1904 / 30 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 Feb 1904 18:00:01 GMT) scan diff

wegen Streikpostenstehens Verhafteter zwar freigesprochen, aber wegen seines Verhaltens von der Entschädigung ausgeschlossen werden; ein sozialdemokratischer Redakteur könnte zwar von der Anklage der Majestätsbeleidigung freigesprochen, aber der Entschädigung nicht teilbaftig werden, weil er gegen die gute Sitte verstoßen habe. Haben Sie den Mut, zu sagen, daß das nicht eintreten könnte? Ich laube nicht. Und dann die Vorstrafen. Wie würde es da den ozialdemokratischen Redakteuren ergehen? „Wiederholte Vergehen“ können Dinge sein, die mit 3 geahndet werden; und wegen solcher Vorbestrafungen soll die Entschädigung ausgeschlossen sein? Wenn olizei oder Staatsanwaltschaft jemand verhaftet, und der Richter ich weigert, einen Haftbefehl zu erlassen, kann dann die Entschädigung gewährt werden, oder ist sie zu versagen? Darüber muß Klarheit geschaffen werden; wird nicht für diese Ergreifung Entschädigung gewährt, so hat die ganze Sache keinen Wert. Warum endlich derjenige keine Entschädigung bekommen soll, den der Staats⸗ anwalt 4 Wochen in Haft gehalten und dann entlassen hat, ohne die Anklage zu erheben, begreife ich nicht. An dem Mangel einer Instanz dafür würde nichts liegen; eine Instanz zu schaffen, ist unsere Bureaukratie noch nicht in Verlegenheit gewesen. Nein, man will die Staatskasse entlasten, weil Staatsanwälte und Polizei leicht zugreifen und die Entschädigungslast zu groß werden könnte. Es wird eben bei uns so unglaublich leicht und aufs Geratewohl hin verhaftet, und das soll anders werden; die Be⸗ amten sollen in Züͤgel genommen werden, und dahin wird es kommen, wenn der Staat erst ein paar Mal hat zahlen müssen. Weshalb will der Staat ferner nur den Vermögensschaden ersetzen? Wo bleibt die Entschädigung für brutale, entehrende Behandlung der Ver⸗ hafteten? Wir haben doch böse Dinge genug darüber hier hören müssen. Weshalb also nicht auch den moralischen Schaden ersetzen? Das Verfahren scheint besonders so gestaltet zu sein, damit die Ge⸗ schädigten die Entschädigung nicht bekommen, weil sie irgend einen 8 haben. Der größte Teil der Freigesprochenen wird die Dreimonatsfrist für den geforderten Anspruch auf Ent⸗ schädigung nicht innehalten; mindestens muß in die Gerichtsbeschlüsse eine Belehrung über die Fristen und die Folgen ihrer Versäumnis aufgenommen werden. Daß der Gerichtsbeschluß unanfechtbar sein soll, widerspricht unserm ganzen sonstigen Verfahren. Welches Land⸗ bericht zuständig sein soll, ist auch nicht gesagt; jedenfalls scheint es bedenklich, demselben Landgericht die Entscheidung zu überlassen, das in der Sache selbst tätig war. Wie steht es ferner mit dem Regreß an die Beamten, die bei den Verhaftungen ein Verschulden trifft? Die Justiz, die das Recht schützen soll und in die traurige Lage ge⸗ kommen ist, ein objektives Unrecht zu begehen, sollte sich doch mit allem Eifer bemühen, das Unrecht wieder gut zu machen; hier ist ängstlicher Fiskalismus am allerwenigsten am Platze. Wir können dem Gesetz nur zustimmen, wenn es so gestaltet ist, daß es den Grundsätzen der Freiheit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit mehr ent⸗ pricht als der Entwurf.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

eine Herrren! Ich habe nicht die Absicht, auf all die juristi⸗

chen Einzelheiten einzugehen, die von dem letzten Herrn Redner und

uch von einzelnen anderen Herren vorher in die Debatte gezogen

worden sind. Ich glaube nicht, daß das hohe Haus heute disponiert

ist, sich in Einzelheiten zu verlieren (Zuruf von links), die nach

meiner Meinung besser in der Kommission vorbereitet werden und

dann hier auf Grund des Kommissionsberichts objektiver und gründ⸗ licher geprüft werden können als jetzt.

Aber einer Bemerkung des Herrn Vorredners widerspreche ich, nicht deshalb, weil er sie gemacht hat denn der Herr Vorredner hat sich nach meiner Empfindung in so vielen Uebertreibungen bewegt (oh! links), daß er damit selbst die Bedeutung seiner Deduktionen abgeschwächt hat. Wenn alle die Gedanken, die er uns unterstellt hat, wahr wären, alle die Gedanken, die wir gehabt haben sollen, als wir den Gesetzentwurf aufgestellt haben, dann wären wir wahrhaft bös⸗ willige Menschen. Aber der Herr Vorredner hat gesagt, und nicht nur er, sondern auch andere: bei der Ausschließung derjenigen Haft⸗ fälle, die sich im Kreise der staatsanwaltlichen Ermittelungen vollständig abspielen, dort beginnen und dort erledigen, von der Entschädigungspflicht sei im wesentlichen maßgebend gewesen das fiskalische Interesse. Auch der Herr Abg. Gröber und, wenn ich mich recht erinnere, der Herr Abg. Mommsen haben Bemerkungen ge⸗ macht, die voraussetzen lassen, daß wir bei diesem Punkte nicht rein sachlich gewesen seien, als seien wir in dieser Frage, wo es sich um die Entschädigung unschuldig verhafteter Menschen handelt, in erster Linie für den Geldbeutel des Fiskus besorgt gewesen. Das weise ich ganz entschieden zurück. Ich kann aus erster Beobachtung sagen, daß das nicht der Fall ist. Wir haben uns bei dieser Frage von ganz anderen Erwägungen bestimmen lassen. Der Herr Abg. Heine hat sogar gesagt: Ja, hierbei muß sich herausstellen, in welch leichtsinniger Weise er brauchte einen noch schärferen Ausdruck die Staats⸗ anwaltschaft zur Zeit bei den Verhaftungen vorgeht, und hat angedeutet, daß mit Hilfe der von uns vorgeschlagenen Bestimmungen die Aus⸗ nahmen, die von der Entschädigungspflicht gemacht werden, vermöge des leichtsinnigen Vorgehens der Staatsanwälte eine ziemlich unbegrenzte Ausdehnung annehmen könnten. Ich habe schon die Ehre gehabt, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß die Zahl der Fälle, in denen es sich um solche gerichtlichen Haftbefehle handelt, die innerhalb des staats⸗ anwaltschaftlichen Ermittelungsverfahrens sich erledigen, verschwindend gering ist gegenüber denjenigen Fällen, die in das gerichtliche Unter⸗ suchungsverfahren hineinführen und damit zur Entschädigung berechtigen sollen. Wir haben nun keine vollständige Statistik; aber wir haben doch, um ein Bild über diese Verhältnisse zu gewinnen, Ermittelungen in einigen wichtigen Gerichtsbezirken darüber angestellt, wie die Zahlen sich verhältnismäßig stellen. Das Landgericht 1 in Berlin, das Land⸗ gericht II in Berlin, das Landgericht I in München, das Nürn⸗ berger Landgericht und außerdem drei kleinere bayerische Land⸗ gerichte, deren Namen mir augenblicklich nicht zu Gebote stehen, sind diese Gerichte gewesen. Wir haben also eine Zahl von Ge⸗ richten genommen, bei denen sehr verschiedene Verhältnisse obwalten, aus deren Zusammenfassung man somit einen gewissermaßen normalen Zustand für das ganze Reich herleiten kann. Was ist nun das Er⸗ gebnis gewesen? In dem Gerichtsbezirke, in welchem die Verhält⸗ nisse nach dieser Richtung hin am ungünstigsten lagen ich kann ihn nicht augenblicklich nennen, es ist ein kleiner Landgerichtsbezirk standen 6 % gerichtliche Haftbefehle, die sich innerhalb des staats⸗ anwaltschaftlichen Ermittelungsverfahrens abspielten, die also nach unserem Entwurf nicht zur Entschädigung berechtigen würden, gegen⸗ über 94 % Haftbefehlen, die in das gerichtliche Verfahren hinüber⸗ gehen, also zur Entschädigung nach dem Gesetzentwurf berechtigen sollen. In demjenigen Gerichtsbezirk, in welchem die Verhält⸗ nisse nach dieser Richtung hin am günstigsten lagen, stand ½ % gerichtlicher Haftbefehle, die sich innerhalb des staatsanwalt⸗ schaftlichen Ermittelungsverfahrens erledigen, gegenüber 99 ½ % Haftbefehlen, die in das gerichtliche Verfahren hinüber⸗ gehen, also einen Entschärigungsanspruch begründen würden. Wenn wir den Durchschnitt aus all diesen Ermittelungen berechnen,

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so ergibt sich, daß etwas über 3 % sämtlicher Haftbefehle außerhalb der Entschädigungspflicht bleiben, während 97 %,) nahe an 97 % sämtlicher Haftbefehle, auf Grund des Gesetzes die Betroffenen zur Entschädigung berechtigen würden.

Meine Herren, wir haben die Ermittelungen nicht angestellt, um unser fiskalisches Gewissen zu beruhigen ein fiskalisches Gewissen haben wir in dieser Sache überhaupt nicht —, wir haben sie im Verlauf unserer Arbeiten angestellt, um ein ungefähres Bild über diese Seite der Sache zu erhalten. Ich glaube, wenn Sie diese Zahlen vorurteilsfrei ansehen, werden Sie der Regierung die Gerechtig⸗ keit widerfahren lassen müssen, daß bei der Ausscheidung der betreffen⸗ den Fälle, die hier in Frage stehen, eine fiskalische Rücksicht nicht maßgebend gewesen ist.

Abg. Hagemann (nl.): Ich habe namens meiner Freunde unserer Freude darüber Ausdruck zu geben, daß von den verbündeten Regierungen dem Hause diese Vorlage gemacht ist. Auch uns erscheint eine Reihe von Punkten in dem Gesetzentwurf verbesserungs⸗ bedürftig, und wir stimmen der beantragten Ueberweisung an eine Kommission zu. Gegen die Insinuation des Abg. Heine, daß ein deutscher Richter aus fiskalischen Gründen in einem Falle, wo er zu der Ueberzeugung von der Unschuld eines Angeklagten gekommen ist, ein non liquet aussprechen könnte, muß ich den allerschärfsten Protest einlegen. Eine der weittragendsten Fragen ist die, daß diejenigen, bei denen das Verfahren seitens der Staats⸗ anwaltschaft zur Einstellung gelangt ist, einen Anspruch auf Ent⸗ schädigung nicht haben sollen. Wenn der Herr Staatssekretär be⸗ hauptet hat, 8 diese Fälle nur 3 % ausmachten, so kann ich aus meiner Eigenschaft als Staatsanwalt und Richter heraus sagen, daß der Prozentsatz ein ganz erheblich höherer ist, aber auch wenn es nur 3 % sein sollten, so wüßte man nicht, warum diese 3 % schlechter ge⸗ stellt werden sollen als die übrigen 97. Ich sollte meinen, es liege am allernächsten, daß man eine Bestimmung derart trifft, daß den⸗ jenigen Klassen, die durch eine Verfügung des Staatsanwalts ent⸗ lassen sind, die Berechtigung zuerkannt wird, einen Antrag an die zu⸗ ständige Strafkammer zu stellen. Wir wollen aber hier einen Gesetz⸗ entwurf schaffen, durch den der unschuldig Verhaftete sein Recht be⸗ kommt, und dies nicht abhängig gemacht wird von der Gnade und dem Dispositionsfonds. S de lic des § 2 möchte ich mich den Herren Vorrednern aus dem Hause anschließen. Ich glaube auch, daß der § 2 nicht Gesetz werden darf. Der Begriff des Verstoßens gegen die guten Sitten ist ebenso schwer auszulegen, wie der Begriff der groben Fahrlässigkeit, und es ist eine Gewähr um so weniger gegeben, als gegen den Beschluß des Gerichts ein Rechtsmittel nicht fariggeise Eine grundsätzliche Festlegung des Begriffs können wir durch Einführung eines Instanzenzuges erreichen, damit ein höchstes Gericht bestimmte Direktiven gibt. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß bei ernster Arbeit in der Kommission und gutem Willen der ver⸗ bündeten Regierungen es uns gelingen wird, einen Gesetzentwurf zu⸗ stande zu bringen, der eine Wunde schließen wird, die schon lange am Rechtskörper bestanden hat.

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fr. Volksp.): Wir müssen bei dem Gesetzentwurf das Prinzip anerkennen, aber die Ausführung aufs schärfste kritisieren. Ich hätte geglaubt, daß der Abg. Gröber uns unterstützen würde, daß wir durch einen Initiativantrag die Mängel des Gesetzes von 1898 zugleich mit denen des vorliegenden Entwurfes beseitigen. Der Herr Staatssekretär hat sich dagegen H daß ein fislalischer Zug durch dieses Gesetz gehe. Daß er kein fiskalisches Interesse hat, gebe ich ohne weiteres zu. Aber tatsächlich glaubt die ganze öffentliche Meinung, daß hinter diesem Gesetzentwurf die Finanzminister der Einzelstaaten stehen, daß der Geist des früheren Finanzministers von Preußen über den Wassern schwebt. Anders kann man sich die Ausnahmen des § 2 Absatz 2 und 3 gar nicht denken. Ich möchte auch meinerseits bedauern, daß § 1 nur die gerichtliche Außerverfolgungssetzung, nicht auch die staatsanwaltliche Einstellung des Verfahrens umfaßt. Wenn sich der Herr Staatssekretär die staatsanwaltschaftlichen Akten über die Einstellungen ansehen und sehen würde, wie viel Verhaftungen darin sind, so würde er finden, daß seine Statistik nicht paßt. Sie paßt auch deswegen nicht, weil sie auf Verhältnissen der allergrößten Städte fußt. In den großen Städten suchen die Staatsanwälte ihre Sache möglichst rasch an den Untersuchungsrichter heranzubringen. Wollte der Herr Staatssekretär die kleinen Gerichte in Betracht ziehen, so würde er zu einer vollkommenen Verschiebung seiner Zahlen kommen. Die großen Mängel des § 2 Absatz 2 und 3 sind bereits von mehreren Rednern berührt worden. Der Absatz 2 muß jedenfalls gestrichen werden. Ich sehe auch gar nicht ein, warum die an sich gefährliche Fiktion von der Schuld desjenigen, der bereits vorbestraft ist, hier noch be⸗ stärkt werden soll. Es ist von der Theorie und Praxis anerkannt worden, daß der Richter, wenn er die Strafliste liest und sieht, daß jemand schon eine Strafe erlitten hat, bis zu einem ge⸗ wissen Maße gegen die betreffende Person eingenommen und zur Hälfte schon von der Schuld überzeugt ist. Hinsichtlich des § 3 schließe ich mich dem Abg. Heine an. Ist denn das Rechtsgut der Freiheit, der Gesundheit und vor allem das Rechtsgut der Ehre so wenig wert, daß wir es in diesem Gesetzentwurf gar nicht schützen wollen, gar keine Anstalten machen, es zu schützen? Ich kann die Mängel des Gesetzes von 1898 und des vorliegenden nicht besser charakterisieren als durch Anführung eines Falles, in dem ein Gerbereibesitzer wegen Brandstiftung zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt und erst, nachdem er diese abgebüßt hatte, freigesprochen worden ist. Bei der Ausrechnung der Entschädigung wurde von dem Fiskalvertreter in Gera geltend gemacht, daß in dem Momente, als dieser arme Mann verurteilt wurde, er bereits ein armer Mann war denn mit dem Momente seiner Verhaftung wurde sein ganzes Hab und Gut von den Gläubigern weggetragen, sein ganzes Gut wurde, ohne daß die Polizei eingriff, verwüstet. Er habe zur Zeit der Strafvollstreckung bereits den Habitus nicht eines Lohmühlenbesitzers, sondern eines Gerbergesellen gehabt. Infolge dessen gebühre ihm auch nur der Lohn eines Gerbergesellen. Dieser wurde vom Fiskus auf 2260 berechnet, was 1 % des wirklich erlittenen Schadens bei diesem unschuldig Verurteilten ausmacht. Aber auch diese Summe sollte ihm nicht ausgezahlt werden, er sollte sie nur bekommen, wenn er schriftlich sich verpflichtete, alle andern Ansprüche gegen den Fiskus fallen zu lassen. azu hat der Mann sich nicht verstanden, sondern er hat seine Ansprüche beim Landgericht Weimar weiter verfolgt, und es wurden ihm auch dort die 2260 zugesprochen. Aber von diesen sind ihm die Gerichts⸗ kosten weggepfändet worden, weil er auf mehr als 2260 geklagt habe. Eine solche fiskalische Gesetzgebung darf vom Deutschen Reichstage unter keinen Umständen gebilligt werden. Die Sache ging noch weiter. Die Frau und die Kinder des Mannes haben eine Ent⸗ schädigung verlangt. Diese wurde ihnen aber verweigert aus formalen Gründen, weil nicht innerhalb fünf Monaten nach Zustellung des Beschlusses der Anspruch erhoben war. Tatsächlich war aber der be⸗ treffende Beschluß weder der Frau noch den Kindern zugestellt worden. Auch hier ist ein Mangel in der jetzigen Gesetzesvorlage vor⸗ handen. Wir müssen unter allen Umständen verlangen, daß auch den Unterhaltungsberechtigten die betreffenden Beschlüsse zugestellt werden. Die Gegengründe, die die Begründung anführt, sind nicht 8.; Man wird durch das Aufgebot von Polizei, das sonst in der Strafrechtspflege entwickelt wird, doch herausbringen können, wo Frau und Kinder eines Verhafteten sind. Ich möchte bitten, daß die Herren in der Kommission aus dem geschilderten tragischen Falle die Lehren ziehen und sich vor allen Dingen davor hüten mögen, schablonen⸗ mäßig und formalistisch das Gesetz von 1898 herüberzunehmen. Wir bitten im Interesse der kleinen Parteien, daß dieses gewichtige Gesetz in einer Kommission von 21 Mitgliedern beraten wird.

Abg. von Chrzanowski (Pole) macht ebenfalls eine Reihe von Bedenken gegen den Entwurf geltend. Insbesondere mißfalle ihm, daß die erkennende Kammter auch die Instanz für den Beschluß auf Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung sein solle. Das

1 8 1 8 sei nicht die richtige Instanz, denn diese Kammer stehe dem Ver⸗ fohren und dem Untersuchungsrichter viel zu nahe, als daß sie sich o leicht zu einem solchen Beschluß verstehen würde, der in der Mehr⸗ zahl der Fälle eine Rüge für den Untersuchungsrichter und das ganze Verfahren in sich schlösse. Den gegen die §§ 1 und 2 von anderer Seite erhobenen Einwendungen schließe er sich an. Gegen die Ausnahmen von der Entschädigung, die auf einen Verstoß des Inhaftierten „gegen die guten Sitten“ gegründet werden, führt Redner ins Gefecht, daß in den polnischen Landesteilen ein besonderer Moralkodex gelte; dort sei im Sinne der Regierung sittlich etwa gleichbedeutend mit regierungsfreundlich, loyal, gehorsam; wenn sich dort ein Pole seiner Muttersprache oder seines polnischen Namens schäme, so gelte das in den Augen der Regierungsbehörden als „sittlich“, und in diesem Sinne würde dort auch die Auslegung des Gesetzes erfolgen. Für die Polen sei daher diese Ausnahme⸗ bestimmung unannehmbar, wie sie überhaupt insbesondere wegen der Frage der Beurteilung der politischen Vergehen dem ganzen Entwurf skeptisch gegenüberständen. Gegen einen Polen werde schon deshalb vnmef ein begründeter Verdacht bestehen bleiben, weil es eben ein Pole sei.

Abg. Prüschenk von Lindenhofen (Rp., schwer verständlich) führt aus, daß, als 1898 der Entwurf wegen Entschädigung für un⸗ schuldig erlittene Strafhaft an das Haus gekommen sei, auch die Schwierigkeiten in der Erörterung anfänglich in den Vorder⸗ grund getreten seien, und doch schließlich ein gutes Gesetz zur Verabschiedung gelangt sei. Ueber den Begriff der groben Fahrlässigkeit werde man in der Kommission näher zu reden haben. Dem Ausschluß derjenigen von der Entschädigung, die wegen Ver⸗ brechen bestraft seien, stehe er nicht unfreundlich gegenüber: dagegen halte er die Ausnahme, die sich auf ein gegen die guten Sitten ver⸗ stoßendes Verhalten des Verhafteten gründe, für strafrechtlich höchst bedenklich. Der Strafrichter sei kein moralischer Zensor. Ein⸗ gehender Erwägung bedürfe auch die Fassung des Entwurfs für das Verfahren. Er (Redner) könne keineswegs die Behauptung des Abg. Heine gelten lassen, daß die Richter aus fiskalischen Gründen sich bei ihren Entscheidungen bestimmen ließen; solche Erfahrungen habe er in seiner Praxis nicht gemacht. Ebensowenig sei der Vorwurf begründet, daß in Deutschland leichtfertiger Verhaftungen verfügt würden als anderswo. Der deutsche Richterstand sei, das müsse er aus lang⸗ jähriger Anwaltspraxis konstatieren, nicht nur ein Hort der Unpartei⸗ lichkeit und Gerechtigkeit, sondern auch ein Hort der Freiheit.

Abg. von Damm (b. k. F.): Ein zwingender Grund für den Ausfall der Entschädigung in den Fällen, die dem staatsanwaltlichen Verfahren unterliegen, ist nicht beigebracht worden. Ein solcher Aus⸗ schluß ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn es sich nur um wenige Fälle handelt. Auch die Differenzierung der völlig Unschuldigen und der Verdächtigen ist nicht gerechtfertigt. Es erschwert eine einheitliche Judikatur, wenn nur die untere Instanz die end⸗ gültige Entscheidung zu treffen hat. Daß nur der unmittelbare Ver⸗ mögensausfall ersetzt werden soll, ist richtig, aber eben darum sollten von der Gewährung der Entschädigung nicht so viele Ausnahmen ge⸗ macht werden. Hoffentlich gelingt es der Kommission, diese Mängel zu beseitigen und die Regierung zum Nachgeben zu veranlassen.

Abg. Storz (d. Volksp.): Ich weiß aus meiner Praxis als An⸗ walt, daß bei einer Schlägerei in der Regel der verhaftet wird, der die meisten Prügel bekommen hat. Solche Leute werden dann nach ein paar Wochen vom Staatsanwalt entlassen, ohne daß sie einen Pfennig Entschädigung nach diesem Gesetze zu begnspruchen hätten. Wenn man befürchtet, daß der Staatsanwalt sich nicht gerne selbst ins Gesicht schlagen möchte, was läge da näher, als daß die Zivilgerichtskammer, bei der der Staatsanwalt tätig ist, über die Entschädigung zu entscheiden hätte. Die Bestimmung über die guten Sitten ist unhaltbar; auch die übrigen Ausnahmen lassen sich kaum rechtfertigen. Vielleicht könnte man in das Gesetz noch den Zusatz aufnehmen, daß in den Fällen frivoler Denunziationen den von der Haussuchung Betroffenen wenigstens eine moralische Genugtuung gewährt wird.

Um 5 Uhr wird die weitere Beratung auf Donnerstag 1 Uhr vertagt. (Außerdem Fortsetzung der Beratung des Etats des Reichsamts des Innern.)

9. Sitzung vom 3. Februar 1904, 11 Uhr.

Das Haus setzt die zweite Beratung des Staatshaus⸗

haltsetats für das Etatsjahr 1904 und zwar die Be⸗ sprechung des Etats der landwirtschaftlichen Verwal⸗ tung bei der Einnahme an Gebühren und Gebührenanteilen für die Schlachtvieh⸗ und Fleischbeschau einschließlich der Trichinenschau in Bezirken mit Königlicher Polizeiverwaltung 100 000 fort.

Hierzu liegt folgender Antrag der Abgg. Herold, Graf Praschma (Zentr.) und Genossen vor:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, dahin zu wirken: 1) daß die Polizei⸗ verordnungen, welche die SSe und Trichinenschau auch auf Haassehactungen 2 des Reichsgesetzes, betr. die Schlachltvieh⸗ und Fleischbeschau, vom 3. Juni 1900 und § 1 des preußischen Gesetzes, betr. Ausführung des Schlachtvieh⸗ und Fleischbeschau⸗ gesetzes, vom 28. Juni 1902) ausdehnen, nur dort aufrecht erhalten werden, wo ein dringendes Bedürfnis dafür nachgewiesen ist; 2) ncß die Gebühren für Fleischbeschau und Trichinenschau wesentli herabgesetzt werden.

Die Abgg. Gamp, Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.) und Genossen beantragen:

die Regierung zu ersuchen: 1) die Polizeibehörden anzuweisen, vor Erlaß von Verordnungen, durch welche die Fleischbeschau und Trichinenschau auf Hausschlachtungen ausgedehnt werden soll, über die Bedürfnisfrage die betr. Landwirtschaftskammer gutachtlich zu hören und erforderlichen Falles die Entscheidung des Ressort⸗ ministers herbeizuführen; 2) zu veranlassen, daß die bis jetzt erlassenen Polizeiverordnungen, durch welche die Fleischbeschau und Trichinenschau auf Hausschlachtungen ausgedehnt worden ist, in bezug auf ihr Bedürfnis unter Anhörung der betr. Lansweletschastslemaer einer erneuten Prüfung unterzogen werden und daß ev. die Entscheidung des Ressortministers einzu⸗ holen ist; 3) zu veranlassen, daß die Gebühren für Schlachtvieh⸗ und Fleischbeschau insbesondere durch die in vielen Gebieten not⸗ wendige Verkleinerung der Schaubezirke eine wesentliche Ermäßigung erfahre; 4) einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen für das bei der Beschau als zum menschlichen Genuß untauglich befundene Vieh bezw. Fleisch eine Entschädigung aus öffentlichen Mitteln gewährt wird oder entsprechend der Resolution des Reichstags eine öffentliche Schlachtviehversicherung unter Heranziehung staatlicher Mittel eingerichtet wird.

Von dem Abg. Bartling (nl.) wird folgender Antrag gestellt:

die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, zu veranlassen: 1) daß die Verordnung des Herrn Oberpräsidenten von Hessen⸗

Figslan vom 1. Juli 1892, welche den Beschauzwang für Schlacht⸗ vieh auch für die Hausschlachtungen in der Provinz Hessen⸗ Nassau vorschreibt, im Regierungsbezirk Wiesbaden aufge⸗ hoben wird; 2) daß, wenn diesem Antrage nicht stattgegeben wird, dann die burch Verfügung vom 11. März 1903 festgesetzten, wesentlich höheren Gebührensäͤtze wieder auf diejenigen der Verordnung vom 1. Juli 1892 herabgesetzt, auch die Beschaubezirke wieder ver⸗

tanden haben.

kleinert und so 12. werden, wie sie vor der Verordnung vom

11. März 1903 be ( Schluß in d

er Zweiten Beilage )

hen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen

Berlin, Donnerstag, den 4. Februar

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1904.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Nach dem Berichterstatter der Kommission von Arnim, den Abgg. Freiherr von Eynatten (Zentr.), von Blanckenburg (kons.), Gamp (freikons.) und Graf Praschma (Zentr.), über deren Ausführungen bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, nimmt das Wort der

Minister für Landwirtschaft ꝛc. von Podbielsi:

Meine Herren! Ich glaube, es wird den Wünschen des hohen Hauses entsprechen, wenn ich auf die Verhältnisse, die in den ver⸗ schiedenen vorliegenden Anträgen behandelt werden, im Zusammen⸗ hange näher eingehe. Ich werde dann einzelnen Behauptungen und Wünschen entgegentreten müssen, soweit sie nach meiner Ansicht mit den bestehenden Gesetzen nicht in Einklang zu bringen sind oder sonst bedenklich erscheinen.

Ich beginne mit den Vorgängen bei Einbringung des Fleisch⸗ beschaugesetzes im Reichstage. Die verbündeten Regierungen haben in dem damals von ihnen eingebrachten Gesetzentwurfe sowohl aus sanitären als auch aus veterinären Rücksichten die Fleischbeschau bei Rindern und Schweinen, sofern sie das Alter von 3 Monaten überschritten hatten, auch für Hausschlachtungen einführen wollen. Im Reichstage selbst wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, daß die Durchführung der Beschau bei Hausschlachtungen namentlich in den dünn be⸗ völkerten ländlichen Bezirken auf große Schwierigkeiten stoßen würde. Nachdem der Reichstag überwiegend auf Grund dieser Erwägungen den Beschauzwang bei Hausschlachtungen abgelehnt hatte, haben die verbündeten Regierungen diesem Beschlusse des Reichstags die Zustimmung erteilt nicht etwa deswegen, weil sie nicht nach wie vor ein sanitäres und veterinäres Bedürfnis auch für die Beschau bei Hausschlachtungen als vorliegend erachteten, sondern nur, weil sie den auf die schwierige Durchführbarkeit der allgemeinen Beschau bei Hausschlachtungen in dünn bevölkerten Gegenden gestützten Bedenken Rechnung tragen wollten. Das Reichsgesetz hat nun zwar den Beschauzwang bei Hausschlachtungen ausgeschaltet; es hat aber keineswegs die Beschau bei Hausschlachtungen verboten; vielmehr können nicht nur nach § 3 die Landesregierungen eine Haus⸗ schlachtungsbeschau in Zeiten einer Viehseuchengefahr einführen, sondern es kann nach § 24 eine solche Beschau durch Landesrecht vor⸗ geschrieben werden. In Preußen hat man davon abgesehen, durch Landes gesetz allgemein diese Lücke auszufüllen. Wohl aber ist in § 13 des preußischen Ausführungsgesetzes zum Fleischbeschau⸗ gesetze vorgesehen, daß auf dem Wege einer Polizeiver⸗ ordnung Hausschlachtungen der Beschau unterstellt werden können, und zwar mit der besonderen Maßgabe, daß für die nach den bestehenden Polizeiverordnungen dieser Art stattfindende Beschau die Verfahrensgrundsätze des Reichsgesetzes und der Ausführungs⸗ bestimmungen Platz greifen sollen.

Die Regierung selbst steht nun nach wie vor auf dem Stand⸗ punkt, daß sanitäre und veterinäre Erwägungen überall eine Beschau bei Hausschlachtungen wünschenswert erscheinen lassen, daß infolgedessen ein besonderes Bedürfnis auf sanitärem und veterinärem Gebiete nicht nachgewiesen zu werden hraucht, um neue Polizeiverordnungen zu erlassen oder alte aufrecht zu erhalten, in denen die Beschau auf Hausschlachtungen ausgedehnt wird. Dagegen ist die Regierung durchaus gewillt, der praktischen Frage der Durchführ⸗ barkeit der Maßregel und der aus ihr den Landwirten erwachsenden Belästigung volle Beachtung zu schenken, wobei allerdings zu berück⸗ sichtigen ist, daß, wo schon früher die Beschau bei Hausschlachtungen durchgeführt war, doch der Beweis geliefert sein dürfte, daß unüber⸗ windliche Schwierigkeiten der Maßregel nicht entgegenstehen.

Ich komme nun zu den Anträgen und Ausführungen der Herren Antragsteller, die sich auf die Bezirke Oppeln und Wiesbaden beziehen.

Ich möchte zunächst die Verhältnisse des Regierungsbezirks Oppeln darlegen. Die Trichinenschau ist dort allgemein auch für Haus⸗ schlachtungen von Schweinen durchgeführt durch Polizeiverordnung vom 21. Mai 1892, die übrigens auch für ganz Schlesien gilt. Nach § 11 dieser Verordnung ist „für jede mikroskopische Untersuchung eines Schweines eine Reichsmark zu zahlen“. Ferner ist durch eine Polizeiverordnung vom 20. August 1896, die der Regierungs⸗ präsident zu Oppeln ich möchte das gleich hier ausdrücklich ein⸗ schalten, mit Zustimmung des Bezirksausschusses er⸗ lassen hat ich komme darauf nachher noch einmal zurück —, be⸗ stimmt, daß „alle Rinder (nicht Kälber) und alle Schweine vor und nach der Schlachtung untersucht werden müssen, selbst wenn das Fleisch zum Selbstverbrauch des Besitzers bestimmt ist“. Die Festsetzung des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Verordnung ist in § 14 einer besonderen Bekanntmachung für die einzelnen Kreise oder Kreisteile vorbehalten.

Nun war bis zum Jahre 1899 die Verordnung in 6 Landkreisen vollständig durchgeführt, und zwar in Beuthen, Kattowitz, Zabrze, Pleß, Ratibor und Neisse. Im Kreise Leobschütz stand die all⸗ gemeine Durchführung unmittelbar bevor. In allen übrigen Kreisen mit Ausnahme von Neustadt war die Verordnung nur in einzelnen Bezirken in Kraft gesetzt; im Kreise Neustadt war sie noch in keinem ländlichen Bezirk verwirklicht. Die vorstehenden Bezirke gehören keineswegs alle oder überwiegend der Industriegegend an, es gehören dazu einige rein ländliche Kreise; auch sind es nicht durchweg wohlhabende Gegenden. Ich darf hier bloß auf den Kreis Pleß ver⸗ weisen, von dem einzelne Teile sehr ärmliche Verhältnisse auf⸗ weisen. Die vollständige Durchführung der Polizeiverordnung ist im Jahre 1899 mit Rücksicht darauf, daß das Fleisch⸗ beschaugesetz eingebracht werden sollte und man annehmen konnte, daß die eine oder andere Bestimmung des Gesetzes und der Ausführungsvorschriften vielleicht dieser Verordnung entgegen war, zu⸗ nächst aufgeschoben worden, und als das Fleischbeschaugesetz in Kraft trat, hat der Regierungspräsident, obwohl er die Berechtigung hatte, auf Grund der früheren Polizeiverordnung, die Beschau bei Haus⸗

gehört und mit dessen Zustimmung eine neue Polizeiverordnung er⸗ lassen, die, wie schon Herr Graf Praschma erwähnte, die Beschau allgemein auf Hausschlachtungen von Rindern und Schweinen ausdehnte. Es handelt sich aber nur formell um eine neue Verordnung. In⸗ haltlich war es eine Wiederholung der älteren Vorschrift, deren Durch⸗ führung im ganzen Regierungsbezirke auch ohne das Fleischbeschaugesetz längst erfolgt wäre. Diese Annahme ist um so gerechtfertigter, als nach den Berichten des Regierungspräsidenten sich die Durchführung der Beschau von Anfang an völlig glatt vollzogen hat. Ich kann dem Herrn Grafen Praschma nur wiederholen, was ich bereits in der Budgetkommission ausgeführt habe, daß mir aus dem Bezirk, abge⸗ sehen von wenigen anonymen Eingaben, bisher keine Klagen zugegangen sind über die Ausdehnung der Beschau auf die Hausschlachtungen. Wie liegt nun die Sache im Bezirk Wiesbaden? Da ist die Grundlage eine Herzoglich nassauische Landesverordnung vom 5 1809. Die bestimmt wörtlich: 1 daß ein jeder Untertan, er sei Christ oder Jude 1 (Heiterkeit), er treibe das Metzger⸗ und Schlächterhandwerk oder nicht, wenn er ein Stück Vieh entweder zu seiner und der Seinigen eigenen Konsumption oder zum feilen Verkauf zu schlachten willens ist, den Tag vor dem Schlachten den öffentlich verpflichteten Fleisch⸗ beschauern die Anzeige machen solle, damit diese die vorgeschriebene Beschau (n. b. vor und nach dem Schlachten) vornehmen können. Also so alt ist diese Verfügung im Bezirk Wiesbaden. Nun gebe ich gern zu, wie es oft mit solchen Verordnungen geht: sie sind im Laufe der Zeit weniger beachtet worden, jedenfalls aber ist sie im Jahre 1892 noch in Kraft gewesen. Denn sie ist in diesem Jahre durch ein besonderes Gesetz aufgehoben; gleichzeitig aber ist für die ganze Provinz Hessen⸗Nassau eine Polizeiverordnung vom 1. Juli 1892 erlassen, nach der die Beschau sich auf alle Haus⸗ schlachtungen, mit Ausnahme von Schafen, zu erstrecken hat. Ich möchte hierbei gleich eine Bemerkung einschalten zu dem Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden. Es ist mir nicht recht verständlich, weshalb die Aufhebung lediglich für diesen Bezirk und nicht auch für Cassel verlangt wird, wo die Beschau für Hausschlachtungen gleichfalls besteht. Würde es nötig sein, die Verordnung für Wiesbaden aufzuheben, dann müßte man dies logischerweise auch für Cassel tun (Abg. von Pappenheim: sehr richtig!); darauf geht aber der Antrag der Herren nicht. Ich kehre zu den Be⸗ schauvorschriften im Regierungsbezirk Wiesbaden zurück. Die Trichinenschau ist dort nur für gewerbliche Schlachtungen, nicht auch für Hausschlachtungen, vorgeschrieben. Insofern steht also der Bezirk wesentlich günstiger da als fast das gesamte übrige preußische Staatsgebiet, wo sonst nur noch in den Beaäirken Königsberg, Gum⸗ binnen, Köslin, Stralsund, Schleswig, Aurich, Münster, Koblenz und Trier die Trichinenschau bei Hausschlachtungen ganz oder teilweise fehlt.

In diesem Zustande ist durch das Fleischbeschaugesetz grundsätzlich nichts geändert, außer daß allerdings die Beschau nach den neuen Be⸗ stimmungen etwas schärfer gehandhabt werden muß,

und daß infolge der von den Fleischbeschauern verlangten besseren Vorbildung und dementsprechenden höheren Leistung auch eine Er⸗ höhung der bis dahin außerordentlich niedrigen Beschaugebühren erforderlich wurde.

Meine Herren, ich erkenne gern an und muß dem, was die Herren Vorredner in dieser Beziehung ausgeführt haben, zustimmen, daß für die ländliche Bevölkerung aus der Beschau große Unbequemlichkeiten und Lasten erwachsen können, namentlich wenn die Beschaubezirke groß sind und die Gebühren hoch, und nach beiden Richtungen hin habe ich wahrlich die Verpflichtung, die Verhältnisse eingehend zu prüfen und dafür zu sorgen, daß Mißstände beseitigt werden. Ich bin denn auch, sobald mir die Beschwerden aus dem Wiesbadener Bezirk bekannt wurden, mit dem Oberpräsidenten und mit dem Regierungspräsidenten in Verbindung getreten und habe die Herren bestimmt darauf hin⸗ gewiesen, daß eine Verkleinerung der Bezirke und eine Herabsetzung der Gebühren erwogen werden möge. Ich möchte aber auch das hohe Haus daran erinnern, daß erst im vorigen Jahre das Fleischbeschau⸗ gesetz in Kraft getreten ist, und daß es also noch nicht ein ganzes Jahr in Kraft ist. Ich bin von vornherein der Auffassung gewesen, man solle die Gebühren nicht zu hoch ansetzen. Aber, meine Herren, Sie wissen alle aus der Praxis: es ist viel leichter, eine zu hohe Gebühr herabzusetzen, als zu niedrig angesetzte Gebühren zu erhöhen. (Widerspruch im Zentrum.) Gewiß, meine Herren! Es liegt nicht im Interesse der Regierung, den Beschauern etwa zu hohe Gebühren zuzuwenden, aber die Gebühren müssen so hoch sein, daß das ausreichende Beschaupersonal beschafft und die Fleischbeschau durchgeführt werden kann. Sieht man, daß die Gebühren zu hoch sind, dann ist die Herabsetzung ohne zu viel Beschwerden möglich; man würde aber auf große Schwierigkeiten stoßen ich glaube, jeder, der im praktischen Leben steht, wird mir das zugeben —, wenn man plötzlich die Gebühren in die Höhe setzen wollte; da kommen naturgemäß von allen Seiten Einwürfe.

Meine Herren, ich komme nun zu einem sehr wichtigen Kapitel, zu der Trichinenschau. Nach den Ausführungen des Herrn Freiherrn von Eynatten müßte man glauben, daß wir mit der Trichinenschau vollständig auf dem Holzwege sind. Aber, meine Herren, Sie werden nachher aus meinen Ausführungen sehen, daß gerade unser Kampf gegen die Trichinen zu großen Erfolgen geführt hat; denn wir haben zweifellos die Trichinengefahr in unserem Vater⸗ lande wesentlich eingeschränkt. Nun, meine Herren, in dem Moment, wo wir auf eine völlige Ausrottung der Trichinen in absehbarer Zeit hoffen können, da sollen wir inne⸗ halten und alles in Frage stellen? Meine Herren, wir können dieser für die menschliche Gesundhelt außerordentlich gefährlichen Krankheit der Schweine nur durch nachhaltiges Bekämpfen völlig Herr werden; aber wenn man das Gesecht erfolgreich eingeleitet hat, dann auf halbem Wege stehen bleiben und für einzelne

Bezirke den Kampf aufgeben, das, meine Herren, halte

schlachtungen allgemein durchzuführen, nochmals den Be e

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ich für sehr bedenklich 8 wir

sollten die

Gefahr im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung weiter überall energisch bekämpfen, bis sie ganz beseitigt ist. auf, dann könnten wir schon nehmenden Trichinengefahr stehen und von neuem den Kampf auf⸗ nehmen müssen.

Hören wir schon jetzt binnen kurzem wieder vor der zu⸗

(Sehr richtig! rechts.) 1 Meine Herren, ich wende mich nun zur Lage der Trichinenschau⸗

vorschriften im einzelnen und namentlich in der Rheinprovinz.

In den Trichinenschauverordnungen der Regierungsbezirke der Rheinprovinz ist durch das Fleischbeschaugesetz und dessen Aus⸗ führungsvorschriften keine wesentliche Aenderung eingetreten; ins⸗ besondere ist auf Grund des Gesetzes nicht etwa erst die Trichinen⸗ schau bei Hausschlachtungen eingeführt. Eine solche bestand vielmehr in dem größeren Teile der Provinz schon früher, und zwar ist die Trichinenschau obligatorisch auch bei Hausschlachtungen von Schweinen: iim Regierungsbezirk Cöln seit 1878,

. 8 Düsseldorf seit 1892.

8 8 Aachen seit 1897.

Im Regierungsbezirk Trier ist die mikroskopische Untersuchung sämtlicher geschlachteten Schweine im Jahre 1881 angeordnet. Leider ist im Jahre 1882 den Polizeibehörden gestattet, den Trichinen⸗ schauzwang für Hausschlachtungen auszuschließen. Hiervon ist überall mit Ausnahme der Schlachthausgemeinden Gebrauch gemacht.

Im Regierungsbezirk Koblenz ist eine Trichinenschau bei Haus⸗ schlachtungen nur in den acht Schlachthausgemeinden, mit rund 100 000 Einwohnern, ferner in den Kreisen Neuwied, Altenkirchen sowie in der Gemeinde Mallendar, Landkreis Koblenz, und in der Stadt St. Goar eingeführt, in den ländlichen Bezirken seit 1883/85.

Wegen Aufhebung des Trichinenschauzwanges bei Haus⸗ schlachtungen in allen diesen Bezirken sind die land⸗ wirtschaftlichen Vertretungen bereits mehrfach vorstellig geworden, mit ihren Anträgen indessen ftets abgewiesen, das letzte Mal etwa Mitte des Jahres 1903 durch den Herrn Oberpräsidenten in Koblenz im Einverständnisse mit den zuständigen Ministern der Medizinalangelegenheiten und für Landwirtschaft. 8

Als Grund für die verlangte Aufhebung des Trichinenschau⸗ zwanges wurde angegeben, daß in der Rheinprovinz Trichinenfunde bei Schweinen überhaupt sehr selten seien und bei den in der Rheinprovinz selbst gezogenen Schweinen gar nicht vorkämen.

Das seltene Vorkommen von Trichinen ist ja in der Rheinprovinz vollständig zuzugestehen; aber die Statistik beweist doch, daß immerhin die Gesamtzahl der trichinös befundenen Schweine nicht unbeträchtlich ist. Es kommt dabei in Betracht, daß nach der Rheinprovinz in steigender Zahl aus dem Osten Faselschweine eingeführt werden, die

mit Trichinen behaftet sein können. Die Statistik, die mir vorliegt, erstreckt sich auf eine Reihe von Jahren; das ist auch notwendig, denn wenn man, wie einer der Herren Vorredner nur ein paar Jahre herausgreift, so würde das nicht eine genügende Uebersicht gewähren —: Es sind in der Rhein⸗ provinz in dem Zeitraum von 1886 bis 1902, also in 16 Jahren, 12 741 000 Schweine geschlachtet worden; davon waren 339 trichinös und 11 084 und darauf komme ich nachher noch eingehender 8 zurück finnig. Ich könnte für die einzelnen Regierungsbezirke die Zahlen verlesen, aber ich glaube, es genügt, das Bild für die ganze Provinz zu geben. Auf je 10 000 Schweine entfielen 0,27 trichinöse Schweine und 8,7 und diese Zahl ist sehr beachtenswert finnige Schweine. Ueber die Angemessenheit der für die Trichinenschau gemachten Aufwendungen können ja gewiß Zweifel ent⸗ stehen, aber ich meine, man sollte doch die Rüstung im Kampf gegen diesen zweifellos der menschlichen Gesundheit äußerst gefährlichen Parasiten nicht zu früh ablegen, sondern, nachdem man so lange Jahre gekämpft hat, den Kampf auch völlig durchführen.

Ich möchte den Herren weiter die Zahlen vorführen, die sich für den ganzen Staat ergeben. Während noch in den Jahren 1885 bis 1889 auf je 10 000 untersuchte Schweine 5 und mehr trichinöse Schweine entfielen, betrug diese Zahl in den Jahren 1890 bis 1897 nur etwa 2 bis 4 und seitdem wenig mehr als 1. Im Jahre 1902 haben wir sogar auf je 10 000 Schweine nicht 1 trichinöses Schwein gehabt. Das ist doch der beste Beweis, daß die Unter⸗ suchung des Fleisches auf Trichinen wesentliche Vorteile für unser gesamtes Volk gezeitigt hat. 8

In dem Augenblick, wo wir diese Erfolge haben, drängen nun viele von den Herren dazu, daß wir diese seit Jahren mit Erfolg durchgeführte Maßregel einschränken. Ich kann das un⸗ 8 möglich zugeben. Gewiß klingt es etwas erschreckend, wenn mir vorgehalten wird, daß Hunderttausende von Mark ausgegeben werden müssen, um ein trichinöses Schwein zu finden; aber in diesem Kampf sollte sich der Osten von dem Westen nicht trennen, sondern im Interesse der gesamten Bevölkerung müssen wir ihn durchführen. Im Hinblick darauf, daß alle Abfälle von trichinösen Schweinen ver⸗ nichtet werden, ist der Zeitpunkt zu erwarten, wo ein anderer Land⸗ wirtschaftsminister, der an meiner Stelle steht, dem hohen Hause mit Freude erklären kann: die Seuche ist vernichtet, und wir können die hohen Gebühren, die wir, bisher dafür bezahlt haben, sparen. Ich weiß sehr wohl, diese Worte würden mit Jubel seitens der landwirtschaftlichen Bevölkerung aufgenommen werden; aber ich möchte warnen, jetzt, nachdem wir einen halben Er⸗ folg gezeitigt haben, heute schon zu sagen: wir können uns beruhigen, die Gefahr ist der Hauptsache nach beseitigt, nun können wir in der 8 Strenge der Bekämpfung nachlassen. Wir haben doch Pflichten gegen die gesamte Bevölkerung, und ich möchte dringend bitten, nach dieser Richtung hin nicht mit Vorschlägen heranzutreten, die nach meiner Meinung nur zur Folge haben würden, daß das Geld, welches bisher aufgewandt ist, verloren ist.

Weiter haben wir gerade in der Trichinenschau auch die Mög⸗ lichkeit, die für die menschliche Gesundheit äußerst gefährliche Finnen⸗ krankheit zu bekämpfen. Es ist erwiesen, daß durch die Schweine⸗ finnen auch schwere Augenkrankheiten und Gehirnkrankheiten hervor⸗ gerufen werden. Gerade in der Rheinprovinz hat nun die Finne

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