1904 / 54 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 03 Mar 1904 18:00:01 GMT) scan diff

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Reichsgesetzgebung geht jetzt die preußische Regierung damit um, oder vielmehr die Absicht hat sich schon zu einem Gesetzentwurf verdichtet, der die Tendenz verfolgt, den Polen zu untersagen, Grundeigentum zu erwerben, und zwar in Widerspruch mit dem Gesetz von 1886. Man hat vom Reichstag zum Bürgerlichen Gesetzbuch die Bestim⸗ mung verlangt, daß die Genehmigung zur Ansiedelung versagt werden sollte, sofern nicht die Ansiedelungskommission bescheinigte, daß die Ansiedelung ihren Zwecken nicht widerstrebe. Diese Bestimmung ist damals abgelehnt worden. Trotzdem kommt dieses Gesetz, das im Widerspruch mit der Verfassung und dem Recht der Freizügigkeit steht. Die Gefahr ist deshalb um so größer, weil das Reichsgericht neuerdings behauptet hat, daß ihm das Recht entzogen sei, zu prüfen, ob ein preußisches Gesetz gültig sei. Wo bleiben hier die preußischen Minister? Wenn sie hier nicht erscheinen, so kann man sagen: die Angeklagten sind geständig, die Inkulpaten suchen sich durch die Flucht der weiteren Verfolgung der Anklage zu entziehen. Im Widerspruch zu den Reichsgesetzen hat man in einzelnen Staaten versucht, die Landarbeiter zu entrechten. Am 10. Februar hat man im preußi⸗ schen Abgeordnetenhause einen neuen Vorstoß unternommen, den Landarbeitern die Ausübung des Koalitionsrechts völlig zu rauben, ihre Freizügigkeit zu unterbinden und sie zu rechtlosen Wesen zu machen und dem Willen der Arbeitgeber zu unterwerfen. Die Regie⸗ rung ist aufgefordert worden, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den Arbeitgeber ꝛc. bestraft werden, die den Arbeiter zum Kontraktbruch verleiten wollen. Das Zentrum hat sich diesmal für diese dem Reichs⸗ gesetz widersprechende Regelung erklärt, und der Abg. Klose hat sogar gewünscht, daß auch die Arbeiter wegen Kontraktbruchs bestraft werden sollen, obwohl vier Jahre vorher der Minister Miquel aus⸗ drücklich betont hatte, daß ein solches Vorgehen gegen das Reichsgesetz verstoße, daß dies Reichssache sei. Was kümmern sich die Konservativen im Abgeordnetenhause darum, was das Reichsgesetz sagt! Man tut so, als ob nur der Arbeitgeber bestraft werden soll. Das Gesetz richtet sich gegen diejenigen Arbeitgeber, die ein solches mißhandeltes Mädchen, von dem ich vorhin sprach, annehmen. Gegen derartige Ein⸗ griffe der Partikulargesetze in das Reichsrecht muß entschieden Einspruch erhoben werden. (Zurufe rechts.) Ihre Zurufe können mich nicht beirren. Jedes Wesen macht das Geräusch, zu dem es seine Ver⸗ anlagung führt. Mag der Staatssekretär eine Vorlage machen, die es ermöglicht, daß derartige Dinge in Zukunft nicht abermals passieren. Möge recht bald das allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht in den Einzelstaaten eingeführt werden, dann wird das preußische Ab⸗ geordnetenhaus und das Herrenhaus weggefegt werden, und werden solche Vorfälle nicht mehr möglich sein.

Abg. de Witt (Zentr.): Die Amtsrichter haben sich der ihnen gestellten Aufgabe, die Anforderungen des Rechts in Einklang zu bringen mit den Interessen des sozialen Friedens, in vollem Maße gewachsen gezeigt. Deshalb dürfte auch der Wunsch berechtigt sein, daß in den einzelnen Bundesstaaten mit dem leisen Druck ein Ende zemacht wird, der von oben herab auf die Amtsrichter ausgeübt wird. Ich beschränke mich auf diese kurze Andeutung, umsomehr, als man mich an den Stellen, die es angeht, wohl verstehen wird, und mein Fraktionsgenosse Roeren schon früher mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit auf diesen Mißstand aufmerksam gemacht hat. Man hat das Verfahren der bedingten Begnadigung als ein mechanisches, automatisches bezeichnet, das zu vielen Unzuträglichkeiten und Auseinandersetzungen zwischen dem Staatsanwalt und dem Richter führt. Vielleicht ist eine kleine Verbesserung möglich, wenn man sich dazu entschließen wollte, das Schreibwerk etwas zu vermindern und die Listen, die bei diesem Verfahren in Anwendung kommen, etwas zu vereinfachen. Ich habe diesen Wunsch schon im Abgeordneten⸗ haufe, leider mit wenig Glück, vorgetragen. Wenn aber das Ver⸗ fahren unzweifelhaft kriminalpolitische Erfolge erzielt hat, wenn die Organe, die mit seiner Ausführung betraut sind, ihren Aufgaben gerecht geworden sind, so ist vielleicht auch die Erwartung nicht ganz unbegründet, daß die verbündeten Regierungen demnächst bei der Revision der Strafprozeßordnung oder mindestens bei der Revision des Strafrechts dem an sich richtigen Gedanken der bedingten Be⸗ gnadigung die richtige Form in der bedingten Verurteilung zu Grunde legen. Von meinen Freunden ist hier im Hause verschiedentlich der bedingten Verurteilung das Wort geredet worden. Wir wünschen, daß diese Materie geordnet wird, nicht durch Verordnungen wie in Süddeutschland, sondern durch Gesetz, nicht in Form der bedingten Begnadigung, sondern in Form der bedingten Verurteilung,

Abg. Jessen (b. k. F.) sucht nachzuweisen, daß auch die Rechts⸗ pflege in den Dienst der Parteipolitik gestellt werde, um das dänische Element in Nordschleswig in seinen Rechten und Freiheiten zu verkürzen. Er weist u. a. auf gröbliche Angriffe hin, die gegen seine eigene Person in einer gewissen Presse erhoben worden 18 wo er sich auf das Recht jedes Staatsbürgers, sich dagegen zu ver⸗ teidigen, vergeblich berufen habe. Mit Hilfe der Gerichte sei es auch gelungen, ein gut Stück Preßfreiheit für die Staatsbürger dänischer Zunge zu beseitigen. Das habe man auf dem Wege des Verbots von harmlosen Liedern zu erreichen gewußt; es habe genügt, daß in einem solchen Liede das Wort „Danmark“ vorkäme, um das Verbot des Liedes und die Unterdrückung von Druckschriften, in denen es sich befand, berbeizuführen. Redner verliest einige solcher Lieder⸗ terte. Ein Gericht habe erkannt, daß ein Gedicht seinem Inhalte nach gar nicht aufreizend zu sein brauche, aber einen Holitischen Inhalt doch durch irgend welche hinzutretenden äußerlichen Momente erhalten könnte. Das Verbot des Ab⸗ singens solcher harmloser Lieder habe nur den Zweck, die Dänen dahin zu bringen, sich als Staatsbürger zweiter Klasse zu fühlen. Die gerichtlichen Instanzen hätten diese Verbote bestätigt, bis zum Kammer⸗ gericht hinauf; wie weit sei man doch von den Zeiten entfernt, wo der Müller von Sanssouci dem König Friedrich habe zurufen können: Es gibt noch ein Kammergericht in Berlin!“

Abg. Dove (fr. Vgg.): Der Staatssekretär hat mich gefragt, wie ich mir eine Einflußnahme des Reichs auf Preußen, betreffend Beseitigung des Richtermangels, denke. Die Verfassung gibt ja arauf sehr einfach im Artikel 17 die Antwort, nach welchem dem Kaiser ie Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Ueber⸗ vachung der Ausführung zusteht. Die Beschleunigung der Reform der Strasprozeßordnung erfolgt keineswegs in wünschenswerter Weise; es scheint im Reichsjustizamt die Zahl der dafür verfügbaren Kräfte nicht auszureichen; man hat sich die freiwillige Mitwirkung von juristischen Autoritäten bei der Sammlung des Materials gefallen lassen; aber das sind doch nur milde Beiträge. Das Reichsjustizamt sollte der bisherigen Lethargie bei der Ueberwindung äußerer Wider⸗ ände entsagen und ein energischeres Tempo eintreten lassen.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding

Meine Herren! Es ist doch bezeichnend, in welcher Weise der Herr Abgeordnete meine Frage beantwortet hat. Er hatte uns Vor⸗ würfe gemacht, daß wir nicht mit genügender Energie gegenüber der preußischen Regierung uns verhielten. Hiergegen habe ich darauf hin⸗ gewiesen, daß im vorliegenden Falle mit dem reichs verfassungsmäßigen Rechte der Verwaltung praktisch nicht viel zu machen sei, und den Herrn Abgeordneten gebeten, er möchte mir doch die Mittel angeben, mit denen man der preußischen Regierung gegenüber zur Förderung seiner Wünsche etwas Weiteres tun könnte. Was sagt der Hert Ab⸗ geordnete mir darauf? Erst führt er in ziemlich bestimmter Form aus, der Staatssekretär kenne nur die verbündeten Regierungen und vom Reichstage, dem Reichskanzler und von den Befnanissen dieser Reichsorgane wüßte ich anscheinend nichts. Ich stehe hier im Hause unnd in der Reichsverwaltung viel zu lange, als daß der Herr Ab⸗ geordnete ein Recht hätte, mir einen Vorwurf wegen Mangels von Verständnis für die verfassungsmäßigen Institutionen zu machen, ein Vorwurf, der nur den Zweck hat, um die Sache herumzugehen.

(Sehr richtig!erechts.)

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Sodann ist der Herr Redner darauf gekommen, wozu gar keine Veranlassung bei dieser Gelegenheit gegeben war, die beschleunigte Bearbeitung eines neuen Strafgesetzbuchs zu verlangen, und hat uns in dieser Beziehung eine gewisse Impotenz unterstellt, indem er die Beiträge der Gelehrten, die uns nach meiner gestrigen Mitteilung zur Verfügung gestellt worden sind, und die ich als eine hochherzige Mit⸗ wirkung bei der wichtigen Aufgabe dankbar anerkannt habe, seinerseits als milde Beiträge für unsere Zwecke charakterisiert hat. Nun hat erstens diese Frage mit dem, was ich dem Herrn Redner gegenüber bemerkt habe, gar nichts zu tun (sehr richtig! rechts), und zweitens verwahre ich die Gelehrten, die uns helfen, dagegen, daß unsere Empfindung gegenüber ihrer Mitwirkung hier so charakterisiert wird, als sähen wir diese als milde Beiträge an. (Bravo! rechts.)

Dann hat er uns vorgehalten, eventuell würde er gern bereit sein, weitere Mittel zu bewilligen, wenn wir unsere Arbeiten nach seinem Wunsche einrichten wollten. Ich danke für diese Bereit⸗ willigkeit; sie ist hier nicht angebracht. Wenn es Zeit ist, mit den Vorarbeiten unsererseits rascher vorzugehen, werden wir die Wege selbst finden, ohne daß wir die Güte des Herrn Abgeordneten für die Bewilligung etwaiger Mittel in Anspruch zu nehmen brauchen. (Sehr richtig! rechts.)

Schließlich hat er uns Lethargie vorgeworfen, weil wir Preußen gegenüber nicht weiter uns vorwagten. Angesichts der Tätigkeit, die in den letzten Jahren das Reichsjustizamt, auch in und gegenüber diesem Hause, entfaltet hat, halte ich es doch für ein starkes Stück, uns mit solchem Vorwurf zu kommen, wenn man auf unsere Frage in der Tat kein Mittel uns vorzuschlagen hat, wie man mit den hier ausgesprochenen Forderungen den Bundesregierungen gegenüber vor⸗ wärts kommen sollte und könnte. (Bravo! rechts.)

Abg. Kirsch (Zentr): Der Abg. Müller⸗Meiningen hat zur Sprache gebracht, daß Fortbildungsschüler zu Düsseldorf Schul⸗ versäumnisfe durch Gefängnisstrafe abbüßen mußten, und hat diese Tatsache als unerhört charakterisiert; der Staatssekretär hat das für unmöglich erklärt und gemeint, es würde sich wohl um die Eltern handeln, welche für Schulversäumnisse von Volksschülern in Haft genommen seien. Die Sache verhält sich aber doch so, wie es Herr Müller vorgetragen hat. In Düsseldorf besteht eine obligatorische Fortbildungsschule mit einem auch von der höheren Verwaltungsbehörde genehmigten Statut, nach welchem die Schüler von 14 bis 18 Jahren zum Besuch durch Geld⸗ und event. Haftstrafe an⸗ gehalten werden können. Ich weiß nicht, ob in den betreffenden Fällen gegen die jungen Leute auf Geld⸗, und erst nachher auf Haftstrafe erkannt worden ist oder ob von vornherein überall auf Haftstrafe. Jedenfalls sind diese Haftstrafen vollstreckt warden. Da in der Schule kein Raum vorhanden war, um eine solche Haft zu vollstrecken, so wurde die Strafe in dem Gefängnis für Erwachsene vollstreckt. Von der Gemeinde ist in Aussicht genommen worden, entweder geeignete Räume herzustellen oder aber das Statut zu ändern. Von anderen Städten wurde mitgeteilt, daß in den betreffenden Statuten derartige Haftstrafen nicht vorkommen.

Darauf wird Vertagung beschlossen und nach persön⸗ lichen Bemerkungen der Abgg. Bargmann und Dove die Sitzung um 6 ¼ Uhr geschlossen. Nächste Sitzung Donners⸗ tag, 1 Uhr. (Justiz⸗ und Militäretat.) 1“ 8

reußischer Landtag. Herrenhaus. 5. Sitzung vom 2. März 1904, 1 Uhr.

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus setzt die Beratung von Petitionen fort.

Ueber die Petition des Magistrats zu Staßfurt um Errichtung einer staatlichen höheren Lehranstalt in Staßfurt berichtet Dr. Frei⸗ herr Lucius von Ballhausen. Er beantragt, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen. Das Haus beschließt diesem Antrage

emäͤß.

8 Ueber die Petition des Steueraufsehers Wilhelm Auschrat in Berlin um günstigere Regelung seines Besoldungsdienstalters berichtet Herr Becker. Er beantragt Uebergang zur Tagesordnung. Das Haus tritt dem Antrage bei.

Den Bericht der Petitionskommission über die Petition des Frei⸗ herrn von Schlichting und anderer in Labischin zur Abgeordnetenhaus⸗ wahl versammelter Wahlmänner um Verlegung des Wahlorts für den Wahlbezirk 3 des Regierungsbezirks Bromberg von Labischin nach Inowrazlaw erstattet Graf von Haugwitz. Er beantragt, die Petition der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Das Haus nimmt diesen Antrag an.

Alsdann erstattet Graf von Reichenbach⸗Goschütz den Bericht der Kommunalkommission über den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Befugnis der Polizeibehörden zum Erlaß von Vorschriften über die Verpflichtung zur Hilfeleistung bei Bränden. Er beantragt, den Ent⸗ wurf dahin abzuändern, daß Polizeiverordnungen über das Feuerlöschwesen nur zulässig sind, soweit es nicht durch Orts⸗ statut geregelt ist. Die Kommission empfiehlt ferner die An⸗ nahme der Resolution: 4 8

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, möglichst bald auf die gesetzliche Regelung der Unfallfürsorge für verunglückte Feuer⸗ wehrleute bedacht zu sein.“

Herr Dr. Loening: Ich glaube, daß mit der Fassung der Kommission noch nicht alle Bedenken beseitigt sind. Es sollen hier Polizeiverordnungen erlassen werden, die dauernde Rechtsnormen auf⸗ stellen. Das ist ein Novum. Solche Verordnungen können sonst nur unter Zustimmung der Gemeindeorgane erlassen werden. Dieses Novum ist bedenklich. Betont man aber, daß der Erlaß solcher not⸗ wendigen Polizeiverordnungen durch Ablehnung seitens der Gemeinde⸗ organe illusorisch gemacht werden könnte, so kann man ja die Be⸗ stimmung einfügen, daß deren Zustimmung durch den Kreis⸗ bezw. Bezirksausschuß ergänzt werden kann. Ferner möchte ich es der Re⸗ gierung ans Herz legen, möglichst bald einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Fürsorge für beim Feuerlöschwerk Verunglückte und deren Hinterbliebene geregelt wird. 1

Herr Becker⸗Cöln: Da wir die ortsstatutarische Regelung haben, bleiben für Polizeiverordnungen nur die Landgemeinden übrig; und hier ist bisher kein Bedürfnis nach Mitwirkung der Gemeinde⸗ organe hervorgetreten. Im Westen besteht das Recht der Zustimmung zu Polizeiverordnungen gar nicht. So würde man für die vorliegende Sache nur zu Ungleichheiten kommen, wenn man der Anregung des Herrn Vorredners folgte. Wenn aber allgemein eine solche Zu⸗ stimmung zu Polizeiverordnungen angeregt werden soll, so ist das ja sehr dankenswert; es gehört jedoch nicht hierher. Vielleicht gibt die Anregung der Regierung Veranlassung zum Erlaß einer neuen Ge⸗ meindeordnung für Rheinland und Westfalen.

Herr Zweigert⸗Essen: Materiell hat Herr Loening vollkommen recht. Es wäre aber inkonsequent, von dem Zustimmungsrecht der Gemeindevertretung Rheinland und Westfalen auszunehmen. Hier würden die Bürgermeistereiversammlungen in Tätigkeit treten müssen. Das würde aber sehr schwer in dem Rahmen dieses Gesetzes zum Ausdruck zu bringen sein. Aus der Anregung des Herrn Dr. Loening

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sollte der Herr Minister ersehen, wie dringend notwendig eine Revist der rheinischen Landgemeindeordnung ist, die mit ihren unförmlich zu⸗ sammengesetzten Gemeindevertretungen nicht mehr paßt.

Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Ich bin dem Herrn Berichterstatter und der Kommission zunächst dankbar für die augenscheinlichen Verbesserungen, die sie verstanden haben, dem Gesetzentwurf beizufügen.

Ich glaube, daß der Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, klarer und allgemein verständlicher ist, und daß er nunmehr auch für die⸗ jenigen Bedenken keinen Raum mehr läßt, die bisher gegen denselben erhoben worden sind, weil man hie und da aus ihm mehr heraus⸗ lesen zu sollen geglaubt hat, als tatsächlich gemeint gewesen. Die Anregung, welche Herr Professor Löhning gegeben hat, ist ja vom theoretischen Standpunkt aus gewiß bemerkenswert. Es erscheint in der Tat als etwas Anormales, daß im preußischen Staate in bezug auf das Polizeiverordnungsrecht in zwei Provinzen andere Be⸗ stimmungen gelten als im ganzen übrigen Teil der Monarchie. Ich gebe dies vollkommen zu, auch will ich nicht in Abrede stellen, daß viel⸗ leicht einmal ein Moment kommen möchte, wo es angenehm und empfehlenswert erscheint, diese Anomalie zu beseitigen. Ich muß aber ausdrücklich hervorheben, daß bis jetzt aus dieser Verschiedenheit des Polizeiverordnungsrechts in den beiden westlichen Provinzen gegenüber den übrigen Teilen der Monarchie sich irgendwelche Uebelstände nicht ergeben haben, daß also zur Zeit zu einer grundsätzlichen Aenderung keinerlei Veranlassung vorliegt, wie ich denn überhaupt darauf auf⸗ merksam machen möchte, daß der Gedanke, welcher dem Gesetzentwurfe zu Grunde liegt, zu seiner Verwirklichung an dem bestehenden Polizeiverordnungsrecht überhaupt nichts zu ändern braucht, weder im Hinblick auf eine Einschränkung der Befugnisse der Selbst⸗ verwaltungskörper, noch hinsichtlich einer Ausdehnung der den letzteren zustehenden Rechte. Der Gesetzentwurf will das bestehende Recht un⸗ verändert lassen und ich sollte meinen, die Umstände, welche zu der Einbringung des Entwurfs die Veranlassung gegeben haben und darin bin ich, wie ich glaube, derselben Ansicht wie die Herren Professor Löhning und Oberbürgermeister Zweigert sind doch nicht gerade geeignet, so prinzipielle Fragen, wie die Frage der Neu⸗ gestaltung des Polizeiverordnungsrechts in der Monarchie und der Abänderung der Gemeindegesetzgebung in den Provinzen Rheinland und Westfalen bei dieser Gelegenheit aufzurollen. Wer sich erinnert, mit welchen Schwierigkeiten die neue Landgemeinde⸗ ordnung für die östlichen Provinzen zustande gekommen ist, und welche heiklen Fragen dabei zu erledigen gewesen sind, und wie dabei das sach⸗ liche Interesse manchmal leider in den Hintergrund getreten, der wird Scheu tragen, solche Fragen, wie die beregten, gerade in der heutigen Zeit ohne Not anzuschneiden, in einer Zeit, in der es uns mehr als je darauf ankommen muß, dafür zu sorgen, daß alle staaterhaltenden Parteien zusammenhalten und nicht unnötigerweise dazu gebracht werden, in Rücksicht auf Parteiprinzipien auseinander zu gehen. (Sehr richtig!)

Wenn ich aus diesen Erwägungen das Versprechen einer Ab⸗ änderung des bestehenden Rechtszustandes namentlich der rheinischen Gemeindeordnung und der öffentlich⸗rechtlichen Befugnisse der Selbstverwaltungskörper in den einzelnen Landesteilen zu geben nicht in der Lage bin, kann ich dagegen andererseits sehr wohl erklären, daß ich auf das sorgfältigste erwägen werde, ob der Resolution, welche die Kommission gemäß Punkt 3 ihres Antrags, welche lautet:

3) die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, möglichst bald auf die gesetzliche Regelung der Unfallfürsorge verunglückter Feuer⸗ wehrleute bedacht zu sein.

gefaßt hat, innerhalb meines Ressorts irgendwie entsprochen werden kann und ob sich die anzustellenden Erwägungen vielleicht zu einer Vorlage an das hohe Haus verdichten können. Ich sage ausdrücklich „vielleicht“; denn es ist zunächst daran festzuhalten, daß der bestehende Zustand vielleicht genügen dürfte, da doch fast überall Versicherungs⸗ anstalten für die Feuerwehrleute bestehen, und da es schon längst mein lebhaftes Bestreben ist, alle Arten von Feuerwehren, sowohl die Pflichtfeuerwehren wie die freiwilligen, dahin zu bringen, ihre Mit⸗ glieder gegen Unfälle jeder Art freiwillig zu versichern. Ich halte indessen diese Frage für eine so wichtige, daß ich ein⸗ gehend studieren werde, ob die bei einem Feuer, also im Dienste der Allgemeinheit Verunglückten, zur Zeit auch hinreichend entschädigt werden, um eventuell einer grundsätzlichen allgemeinen Regelung näher zu treten. Hierbei tritt allerdings auch die weitere Frage in den Vordergrund, ob eine solche Versicherung Landes⸗ oder Reichsrecht werden soll, ob sie unter die Fürsorge der Reichsgesetze treten oder ob sie landesrechtlich geregelt werden soll. Jedenfalls verspreche ich Ihnen, wenn Sie, wie ich annehme, diesen Absatz 3 des Berichts Ihrer Kommission an⸗ nehmen, daß derselbe nicht unbeachtet von mir in den Akten liegen bleiben, sondern sorgfältig weiter verfolgt werden wird. Gegen die Beschlüsse ihrer Kommission im ganzen habe ich von meinem Stand⸗ punkt aus irgendwelche Einwendungen nicht zu erheben.

Nach einem Schlußwort des Berichterstatters Grafen von Reichenbach⸗Goschütz nimmt das Haus den Gesetz⸗ entwurf in der Kommissionsfassung mit der Resolution der Kommission an.

Hierauf berichtet namens der Kommunalkommission Herr Oertel⸗Liegnitz über die Petition des Bürgermeisters Baecker in Schleusingen und von anderen, namens des Städteverbandes Sachsen⸗ Anhalt, um Aufhebung des Kommunalsteuerprivilegs der unmittel⸗ baren Staatsbeamten, der Geistlichen, Kirchendiener und Volksschul⸗ lehrer. Auf seinen Antrag überweist das Haus die Petition der Re⸗ gierung als Material.

Des weiteren berichtet Herr Oertel über Petitionen der Stadtverordnetenversammlung zu Remscheid und von anderen um Aenderung des § 49 des Kommunalabgabengesetzes in der Fassung vom 30. Juli 1895 behufs Heranziehung des im Auslande gewonnenen Einkommens zur Einkommensteuer in der Wohnsitzgemeinde. Auf seinen Antrag überweist das Haus auch diese Petition der Regierung als Material.

Ueber die Petition des Stadtverordneten Hettler in Frank⸗ furt a. M. um Abänderung des Kommunalabgabengesetzes geht das Haus auf Antrag des Herrn Oertel zur Tagesordnung über.

Damit ist die Tagesordnung erschöpft. Gegen 3 ½ Uhr vertagt sich das Haus bis Donnerstag, 1 Uhr. (Kommissions⸗ berichte und Petitionen.)

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Vierte B

Reichsanzeiger und Königlich Preußischen

Berlin, Donnerstag, den 3. März

Staatsanzeiger.

(Schluß aus der Dritten Beilage.)

31. Sitzung vom 2. März 1904, 11 Uhr.

Vor Eintritt in die Tagesordnung nimmt das Wort der

Minister der öffentlichen Arbeiten Budde:

Zur Beseitigung der Ungewißheit, die über den Zeitpunkt, wann die in der Thronrede angekündigten wasserwirtschaftlichen Vorlagen im Landtage eingebracht werden, habe ich namens der Königlichen Staatsregierung folgende Erklärung abzugeben.

Die wasserwirtschaftlichen Vorlagen umfassen:

abgesehen von einem Gesetzentwurfe, betreffend Maßnahmen Verhütung von Hochwassergefahren in der Provinz Brandenburg und im Havelgebiete der Provinz Sachsen, sowie

dem Entwurfe eines allgemeinen Gesetzes, betreffend Freihaltung des Ueberschwemmungsgebiets der Wasserläufe, und

der Verrechnung der Unterstützungen aus Anlaß des vorjährigen Hochwassers,

1) einen Gesetzentwurf, betreffend die Regelung der Hochwasser⸗, Deich⸗ und Vorflutverhältnisse an der oberen und mittleren Oder,

2) einen Gesetzentwurf, betreffend die Verminderung der Hoch⸗ wassergefahren und die Verbesserung der Vorflut an der unteren Oder, Havel und Spree, und

3) einen Gesetzentwurf, betreffend die Herstellung und den Ausbau von Wasserstraßen.

Die beiden letzten Gesetzentwürfe werden in einigen Tagen fertig gestellt sein und sollten dann nach der ursprünglichen Absicht der Königlichen Staatsregierung dem Landtage unverzüglich vorgelegt werden. Nach neuerer Erwägung wird die Königliche Staatsregierung aber von der sofortigen Vorlegung absehen, weil der zu 1 erwähnte, noch der Begutachtung durch den schlesischen Provinziallandtag unter⸗ liegende und deshalb noch nicht abgeschlossene Gesetzentwurf über die Hochwasser⸗, Deich⸗ und Vorflutverhältnisse der oberen und mittleren Oder mit dem Entwurf über die Regulierung der unteren Oder in engem Zusammenhange steht und eine gleich⸗ zeitige Beurteilung und Beratung beider Gesetzentwürfe sowie eine umfassende Würdigung der einheitlich für den ganzen Oderstrom beabsichtigten Maßnahmen vielfach und berechtigterweise gewünscht worden ist.

Deshalb sollen die drei vorgenannten Gesetzentwürfe zusammen erst nach der Osterpause bei diesem hohen Hause zur Vorlage kommen. Die Königliche Staatsregierung hofft, daß diese Entschließung allseitig als zweckmäßig erachtet wird, zumal dadurch auch eine unerwünschte Unterbrechung der dringlichen Etatsberatungen vermieden wird und eine Verzögerung in der Verabschiedung der wasserwirtschaftlichen Vorlagen durch deren Einbringung erst nach der Osterpause zweifellos nicht eintreten wird.

Alsdann setzt das Haus die zweite Beratung des Staatshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1904 im Etat der Bauverwaltung bei den dauernden Aus⸗ gaben und zwar bei dem Titel „Gehalt des Ministers“ fort.

Hierzu haben die Abgg. Felisch (kons.,, Hammer (kons.D) und Genossen den Antrag gestellt:

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, eine Neuregelung des Submissionswesens nach der Richtung herbeizuführen, daß dem Mindestbietenden nicht grundsätzlich der Zuschlag erteilt werde, die Arbeiten und Lieferungen möglichst nicht an Generalunternehmer,

sondern in getrennten Losen vergeben, auch angemessene Ausschreibungs⸗ fristen innegehalten werden.“

Die Abgg. Dr. Arendt (freikons.) beantragen, diesen Antrag in folgender zunehmen:

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, eine Neu⸗ regelung des Submissionswesens nach der Richtung herbei⸗ zuführen, daß 1) dem Mindestbietenden nur dann der Zuschlag erteilt wird, wenn er in bezug auf Leistungsfähigkeit und in bezug auf die Erfüllung seiner Verpflichtungen namentlich auch gegen die Arbeiter und Handwerker Sicherheit bietet und sein Gebot angemessen ist, 2) die Arbeiten und Lieferungen tunlichst in getrennten Losen an Unternehmer und Unternehmerverbände vergeben, auch angemessene Ausschreibungsfristen innegehalten werden, 3) bei der Vergebung nach Möglichkeit die ortsangesessenen Handwerker und Unternehmer berücksichtigt werden.“

Hierzu haben die Abgg. Oeser Rosenow (fr. Volksp.) beantragt,

dem Antrag der Abgg. Dr. Arendt und Genossen hinzuzufügen: a. bei Nr. 3: „und die Frist so bemessen wird, daß die Arbeit nach Möglichkeit in die geschäftsstille Zeit verlegt werden kann,“ b. folgende neue Nr. 4: „Angebote solcher Unternehmer unberück⸗ sichtigt zu lassen sind, welche Löhne zahlen oder Arbeitsbedingungen stellen, die hinter den in ihrem Gewerbe ortsüblichen Löhnen oder Arbeitsbedingungen zurückbleiben.“

Ueber den ersten Teil der Debatte über diese Anträge ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Abg. Wolff⸗Lissa (fr. Vgg.) führt aus, theoretisch sei schon jetzt dem Wunsche der Antragsteller insoweit genügt, als der Zuschlag teineswegs unter allen Umständen dem Mindestfordernden erteilt werde; aber die Schwierigkeiten beständen darin, daß die Ausführung der Bestimmung nach bedenklichen bureaukratischen Grundsätzen ge⸗ handhabt werde. Es gelte eine Verfügung, nach der dem Mindest⸗ fordernden der Zuschlag nicht unter allen Umständen erteilt werden solle; wenn er ihm aber nicht erteilt werde, solle an die vor⸗ gesetzte Behörde berichtet werden, warum er nicht erteilt sei. Dem Beamten sei nichts unangenehmer, als an die vorgesetzte Behörde Bericht zu erstatten, wenn er sich rechtfertigen solle. a würden denn Umwege zur Umgehung dieses Berichts benutzt: entweder werde dem Mindestfordernden der Zuschlag erteilt, oder aber wenn der Nächstbietende zuverlässiger erscheine, werde dieser veranlaßt, sein Gebot bis auf die Höhe des Mindestfordernden herabzusetzen. Solche ”. seien ihm mehrfach bekannt geworden. Hier müsse die Besserung einsetzen.

Abg. Dr. Marcour (Zentr.) erklärt, daß seine Partei sämtlichen Anträgen sympathisch gegenüberstehe. Die sehr eingehenden Aus⸗ führungen des Redners über die Einzelheiten derselben bleiben im Zu⸗ sammenhang auf der Tribüne unverständlich.

Ein Regierungskommissar sagt auf besonderen Wunsch des Verredners zu, daß die Handwerker in Koblenz in Zukunft nach Mög⸗ lichkeit berücksichtigt werden sollen.

und Genossen Fassung an⸗

(fr. Volksp.) und

Abg. Oeser (fr. Volksp.): Ein ideales Submissionsverfahren wird sich überhaupt nicht finden lassen, selbst das beste Verfahren wird Mängel haben. Aber verschiedenes werden wir an der Hand der Anträge bessern können. Das Mindestpreissystem ist das bedenklichste, denn darunter leidet die Qualität der Lieferungen. Dem Antrag Felisch können wir nicht zustimmen, der Antrag der Freikonservativen entspricht eher unseren Wünschen. Wirtschaft⸗ lich⸗praktische Gründe haben uns veranlaßt, unseren Zusatzantrag zu stellen. In der Bestimmung unseres Antrags bezüglich der Löhne liegt ein erheblicher sozialer Kern. Es ist nicht richtig, von einem Gegensatz der Arbeiter und der Arbeitgeber zu sprechen; beider Interessen gehen zusammen. Die Erfahrungen mit dem englischen Schwitzsystem haben gezeigt, daß die meisten Ausschreitungen dieses Systems gerade bei den Ausschreibungen vorkommen. Frankfurt a. M. hat ein Orga⸗ nisationsstatut für die Submission aufgestellt, in dem unserem Vor⸗ schlage Rechnung getragen ist. Die württembergische Regierung hat dieselben Grundsätze anerkannt. Ich werde der Kommission das Frank⸗ furter Statut gern vorlegen. Wir vergeben in Frankfurt nicht an den Mindestfordernden, sondern berücksichtigen die mittleren Forderungen. Abg. Dr. Friedberg (nl.): Der Antrag Felisch ist für uns nicht annehmbar, denn ein solches Verfahren ist staatsrechtlich nicht zulässig und praktisch bedenklich. Die Submittenten könnten sich einigen und einen Mindestfordernden, der von vornherein aus⸗ geschlossen wäre, vorschieben. Der Antrag Arendt enthält eigentlich weiter nichts, als eine Reihe frommer Wünsche. Die Ausführungen des Abg. Oeser könnten mir sympathisch sein, aber die Tarif⸗ gemeinschaften zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern haben niemals Bestand, sie halten sich immer nur 3 bis 6 Monate; wir befinden uns in dieser Hinsicht in einem fortwährenden Kampf, alle Verhältnisse sind im Fluß. Mit einer Kommissionsberatung sind wir einverstanden. 8 1 8 3 Abg. Hammer (kons.): Im ganzen Hause ist Verständnis für diese Frage. Herr Oeser hat unseren Antrag mißverstanden, wenn er annimmt, er sei nur für die Unternehmer. Wir wollen den Stand⸗ punkt des Herrn Oeser in dieser Beziehung selbst betonen. Cs sind Mißstände bei den Submissionen eingerissen, die auf alle Fälle be⸗ seitigt werden müssen. Die Verpflichtungen der Arbeitgeber zur Förderung der Arbeiter vohlfahrt sind bei öffentlichen Lieferungen oft nicht innegehalten worden, manche Unternehmer sind Tausende von Mark für Unfallbeiträge schuldig geblieben; man kann aber an sie nicht heran, weil die Exekution bei ihnen fruchtlos war. Solche Unternehmer wollen wir ausschließen. Die allgemeinen Sub⸗ missionsbedingungen müssen geändert werden. Deshalb war die Stellung unseres Antrags notwendig, und es ist erfreulich, daß das ganze Haus die Notwendigkeit anerkennt.

Abg. Baensch⸗Schmidtlein (freikons.): Trotz der Erklärungen des Kommissars des Ministers war es angebracht, die Anträge ausführlich hier zu besprechen. Ich bitte den Minister, den Entwurf mit⸗ zuteilen, damit wir darüber in der Kommission schon verhandeln können. Herr Friedberg hat den Antrag der Konservativen sicherlich falsch verstanden; er weiß wohl nicht, 9 in dem Antrag die ursprüngliche Fassung „nur ausnahmsweise“ ersetzt ist durch die Fassung „nicht grundsätzlich'. Das ist eine so bedeutende Aenderung des Antrags, daß die Stellung des Herrn Fried⸗ berg nicht mehr Precetsertig. ist. Vor einigen Jahren ist bei Eisen⸗ bahnbauten in Hirschberg der Fall vorgekommen, daß der Unter⸗ nehmer davonging und die Arbeiter monatelang warten mußten, ehe sie wenigstens einen Teil ihres Lohns retten konnten. Die Eisen⸗ bahninspektion treffen allerdings keine Vorwürfe, es muß aber dafür gesorgt werden, daß die Arbeiter nicht von solchen Unternehmern um ihren Lohn betrogen werden. Wenn es ferner vorgekommen ist, daß ein Zuchthaus sich um die Tischlerarbeiten bei dem Gymnasialbau in Kalisch beworben hat, so ist das eine Rücksichtslosigkeit gegen die Handwerker, und das hat nicht einmal der betreffende Unternehmer getan, sondern die Direktion des Zuchthauses selbst. Die Vergebung an Generalunternehmer hat viel Mißstände herbei⸗ geführt; diese Unternehmer ziehen großen Gewinn, während im übrigen die Preise gedrückt werden. Was den Antrag Oeser betrifft, so wird es sehr schwierig sein, die geschäftsstille Zeit zu bestimmen. Herr Oeser will auch für die Arbeiter sorgen, aber die Erfahrungen in meiner Heimat haben oft gezeigt, daß die Arbeiter gerade die Unter⸗ nehmer oft im Stich lassen. Deshalb muß der Schutz der Arbeiter⸗ geber und der Arbeitnehmer auf dem umgekehrten Wege von unten herauf erfolgen. .

Minister der öffentlichen Arbeiten Budde:

Meine Herren! Es könnte so aussehen, als ob der Schutz der Arbeiter der Königlichen Staatsregierung von diesem hohen Hause erst anempfohlen werden müßte, wenn ich zu den letzten Aeußerungen des Herrn Vorredners nicht Stellung nähme. Ich kann glücklicher⸗ weise sagen, daß die Königliche Staatsregierung beim Schutz der Arbeiter im Einzelfalle noch viel weiter gegangen ist, als es von Ihnen hier befürwortet worden ist.

An einem Sonntag, wo in der Regel die Bureaus des Ninisteriums geschlossen sind, bekam ich kurz vor Weihnachten vorigen Jahres ein Telegramm von einem Landrat in der Provinz, daß in seinem Kreise eine große Anzahl von Arbeitern den rück⸗ ständigen Lohn für mehrere Wochen von dem Eisenbahnunternehmer nicht bekommen könnten, weil dieser in Vermögensverfall geraten war. Staatliche Geldmittel, um die Arbeiter auszulohnen, standen mir nicht zur Verfügung. Darauf habe ich auf eigene Verantwortung an den zuständigen Eisenbahndirektionspräsidenten telegraphisch verfügt, daß die Kaution des Unternehmers, soweit sie ge⸗ richtlich noch nicht mit Beschlag belegt war, sofort zur Auszahlung der Arbeiterlöhne verwendet werden sollte (bravo!), daß also mit anderen Worten die Rechtsansprüche, die der Staat in erster Linie an die Kaution hatte, zurückstehen sollen gegen die Be⸗ friedigung der Arbeiter, trotzdem diese an den Staat gar keine Rechts⸗ ansprüche hatten, sondern nur an den Unternehmer. (Sehr gut!) Als ich darauf Bericht erhielt, daß die Kaution zur Auslohnung der Ar⸗ beiter nicht ausreiche, habe ich mich sofort mit dem Herrn Finanz⸗ minister in Verbindung gesetzt und sein Einverständnis dazu erreicht, daß wir die nachgewiesenermaßen rückständigen Löhne, ohne daß wir etats⸗ mäßige Deckung dafür hatten, sofort bezahlten, weil der Herr Finanz⸗ minister und ich der Ansicht waren, wie auch der Herr Vorredner es ausgeführt hat, daß der Arbeiter allerdings in fälschlicher Auf⸗ fassung der rechtlichen Sachlage sagen würde: ich habe für die Eisenbahn gearbeitet, und die Verwaltung zahlt mir kein Geld. Mit anderen Worten: wir wollten also nicht, daß der Schweiß des Ar⸗ beiters in einem Eisenhahndamm angelegt worden ist, ohne daß dafür bezahlt wurde. (Bravo! Sehr gut!)

Ich habe daber in vollem Einverständnis mit dem Herrn Finanz⸗ minister die rückständigen Löhne gezahlt, trotzdem heute noch keine etatsmäßige Deckung dafür vorhanden ist.

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Meine Herren, ich glaube Ihnen damit den Nachweis geführt zu haben, daß es der Anregung bei der Regierung nicht bedarf, wenn es sich darum handelt, die Interessen der Arbeiter gegenüber Unter nehmern wahrzunehmen. In letzter Zeit sind noch mehrere solche Fälle vorgekommen, in denen ich ebenfalls die Eisenbahnbezirkspräsi⸗ denten angewiesen habe, mit allen verfügbaren Mitteln dafür zu sorgen, daß die Arbeiter ihren Lohn bekommen.

Ich habe ferner einen Erlaß an die Eisenbahndirektionen heraus⸗ gegeben, ehe ich von den hier vorliegenden Anträgen Kenntnis hatte, daß die Direktionen bei Vergebung von Arbeiten dem Unternehmer die Niederlegung besonderer Kautionen auferlegen sollen, durch die ausschließlich die Löhne der Arbeiter für alle Fälle sicher gestellt werden sollen. (Sehr gut!)

Ich meine also, was Sie an sozialer Fürsorge in diesen An⸗ trägen wünschen, hat die Königliche Staatsregierung bereits in mehreren Fällen, die während meiner kurzen Amtsführung vorgekommen sind, betätigt, und ich freue mich, daß das hohe Haus mit diesen Maß⸗ nahmen, die ich aus eigener Initiative, in Uebereinstimmung mit dem Herrn Finanzminister, getroffen habe, voll übereinstimmt. (Sehr gut!)

Ich habe ferner noch eine Direktion, in deren Bezirk auch die Handwerker geschädigt wurden, angewiesen, diesen Handwerkern vorweg neue Lieferungen zuzuweisen, damit sie für den Schaden, den sie er⸗ litten haben, in etwas wenigstens einen Ausgleich finden. (Bravo!

Im übrigen kann ich nur generell wiederholen, daß ich mich freue, daß das Submissionswesen in der Kommission zur eingehenden Be⸗ sprechung gelangt, wie der Herr Unterstaatssekretär schon erwähnt hat; es wird Ihnen dabei voraussichtlich dargelegt werden, daß im wesent⸗ lichen die Grundsätze, die die Mehrheit des hohen Hauses als zweck⸗ mäßig anerkennt, auch seitens der Königlichen Staatsregierung gebilligt werden. (Bravo!)

Darauf wird die Debatte geschlossen; das Haus überweist die sämtlichen Anträge der Kommission für Handel und Gewerbe.

In der dann folgenden allgemeinen Debatte bemerkt

Abg. Malkewitz kkons.): Es ist erfreulich, daß der Minister die Ungewißheit über die Kanalvorlage beseitigt hat. Eine der wichtigsten Aufgaben der Bauverwaltung ist der Uferschutz, und ich freue mich, im Etat zum ersten Male 400 000 zu Uferschutzbauten an der pom⸗ merschen Ostseeküste zu finden. Ich habe den dringenden Wunsch dabei, daß die Regierung sich bemüht, möglichst energisch auf diesem Gebiete vorzugehen auch dort, wo Gefahr und Schaden noch nicht so groß sind, wie sie es leider Gottes in den letzten Jahren an den Punkten der pommerschen Ostseeküste geworden sind, die nach dieser Vorlage berücksichtigt werden sollen. Es ist z. B. so schlimm, daß ganze Gebäude, daß die Kirche, daß die Schule von Sorenbohm infolge der anstürmenden Wogen der Ostsee in so ernste Gefährdung geraten sind, daß wirklich die allergrößte Eile bei Ausführung der Arbeiten egeboten ist. Die Stadt Kolberg hat aus eigenen Mitteln schon Erhebliches für den Uferschutz geleistet. Ich wäre der Regierung dankbar, wenn siw eine Erklärung darüber abgäbe, wie sie sich die Verwendung dieser Etatsposition denkt. Das Kolberger Deep hat schwer zu leiden durch Ueberflutung des Seewassers, das die Wiesen vollständig vernichtet; es muß beim Einfluß des Rega⸗ sees eine Sperre angebracht werden, damit das Seewasser nicht auf das Land hinüberfluten kann. Früher habe ich ferner schon auf die Absicht der Wiesenbesitzer von Greifenhagen hingewiesen, zwei Gräben zu ziehen, um ihre Wiesen zu entwässern. Das wurde ihnen damals nicht gestattet. Ich bitte die Regierung um Auskunft darüber, ob die Sache nochmals geprüft ist und die Ausführung der Gräben nunmehr gestattet werden kann. Die Greifenhagener Fischer sind auch in eine schwierige Lage gekommen durch die Krebspest und dadurch, daß ihnen der Fang mit Aalhaken nicht gestattet wird. Ich bitte den Minister recht dringlich, alles zu tun, was ihm möglich ist, um den Greifenhagenern zu helfen.

Unterstaatssekretär Schultz: Die Regierung wird gern bereit sein, den Wünschen der Kommunalverbände in bezug auf die Verteilung der Kosten der Uferschutzbauten entgegenzukommen. Die Frage der Regulierung der Reganiederung, die noch erwogen wird, und die Frage der Förderung der Fischereiinteressen gehören zum landwirt⸗ schaftlichen Ressort.

Abg. Dr. Hirsch⸗Berlin (fr. Volksp.) beschwert sich darüber, daß die Ausführung des Bauprojektes für das Vereinshaus des Deutschen Gewerkvereins dadurch bedeutend verzögert worden sei, daß es bei den Regierungsabteilungen an dem nötigen Beamten⸗ personal gefehlt habe. Der Redner widerspricht dann einer früheren Aeußerung des Abg. Felisch, der ihm vorgeworfen hatte, daß er die Unfallziffern im Baugewerbe zu hoch angegeben habe. Er habe auf 1000 Arbeiter 11,69 entschädigungspflichtige Unfälle angegeben, während Herr Felisch nur 7,47 Fälle zugestanden habe. Herr Felisch habe den Irrtum hegangen, nur die Zahl der dauernd im Baugewerbe be⸗ schäftigten Arbeiter zu Grunde zu legen und die vorübergehend dabei beschäftigten außer acht zu lassen. Herr Feich habe deshalb mit Unrecht eine Erweiterung des Schutzes der Bauhandwerker abgelehnt. Dem gegenüber müsse er (der Redner) seine Behauptung aufrecht erhalten, daß die Bauarbeiter die Stiefkinder der sozialpolitischen Fürsorge seien. Im Jahre 1902 seien in Berlin die töd⸗ lichen Unfälle im Baugewerbe von 51 auf 63 gestiegen; aus allen Orten weise die Statistik eine erhöhte Unfallziffer auf; die Hoffnung, daß sie zurückgehen werde, sei leider nicht erfüllt. Auffällig sei, daß die verschiedenen Bauberufsgenossenschaften sehr ver⸗ schiedene Unfallziffern hätten. An der Spitze marschiere die Nord⸗ östliche Bauberufsgenossenschaft mit 13,97 % Unfällen und 1,8 % Todesfällen, während die Hannoversche Berufsgenossenschaft nur 8,73 % Unfälle und 0,79 % Todesfälle habe. Es fehle an einem hinreichenden technischen Aufsichtspersonal. Aus Liegnitz z. B. werde berichtet, in der Bauaufsicht sei alles beim alten geblieben, der Polizeibeamte führe die Aufsicht. Aus Schweidnitz werde berichtet, daß noch keine merkbare Verschärfung der Baukontrolle trotz des Mi⸗ nisterialerlasses eingetreten sei, nur den Polieren sei gesagt worden, sie möchten sich mehr vorsehen. Aehnlich laute es aus Görlitz, wo nur ein Polizeibeamter sich z. B. ein Gerüst oberflächlich von außen ansehe, sowie aus vielen anderen Orten. In Berlin habe die Kommission von Vertrauensmännern der Bauarbeiter in einem Jahre 56 Verstöße gegen die Verordnung vom 1. Dezember 1901 festgestellt. Die Regierung habe gewiß den besten Willen, für die Sicherheit der Bauarbeiter zu sorgen, aber die Durchführung der Kontrolle in der Provinz sei schwierig. Die Einrichtung der Bau⸗ kontrolle in München funktioniere gut und koste wenig; dort würden, Baukontrolleure von den städtischen Behörden aus den Arbeiter⸗ verbänden und Innungen gewählt, und diese Kontrolleure führten zusammen mit den Bezirksingenieuren die Baukontrolle. Sozial⸗ demokratische Vertreter der Arbeiter würden auf die Arbeiter und die Befolgung der Unfallverhütungsvorschriften viel mehr Einfluß haben als staatliche Beamte. Die Hauptsache sei die Herabdrückung der Unfallziffer im Baugewerbe. Nicht mit Worten, sondern mit Taten

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