1904 / 59 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Mar 1904 18:00:01 GMT) scan diff

es nicht und muß es zurückweisen; aber kundigen, ob es wirklich vorgekommen ist. (Bravo! rechts.) Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat dann noch besonders darauf hin⸗ gewiesen, daß nur der Anstand der bürgerlichen Offiziere sie gewisser⸗ maßen davon abhielte, zu revolutionieren oder wenigstens so laut zu räsonieren, daß es wer weiß wie weit zu hören sei, weil sie gar nicht vorwärts kommen könnten, wegen Bevorzugung des Adels. Meine Herren, ich muß offen gestehen, es ist mir unbegreiflich, wie das ein Offizier an den Herrn Abg. Müller (Meiningen) hat schreiben können. (Sehr richtig! rechts.) Ich möchte wirklich wissen, was das für ein Offizier ist. Herr Abg. Müller (Meiningen), sehen Sie doch freundlichst die Rangliste des Generalstabs und des mir unterstellten Kriegsministeriums ein, so werden Sie eine große Anzahl von aus⸗ gezeichneten bürgerlichen Offizieren finden. Auch überall in den höheren Stellen haben wir bürgerliche Offiziere in Menge. Aber wenn Seine Majestät der Kaiser die Verdienste dieser bürgerlichen Offiziere anerkennt und sie adelt, so ist es nicht Ihre Sache, das zu kritisieren. (Große Unruhe links.)

Meine Herren, nun hat der Herr Abg. Müller (Meiningen) gesagt, noch niemals sei eine so abfällige Kritik über die preußischen Heereseinrichtungen gefällt worden wie hier neuerdings. Meine Herren, ich muß mit Dank anerkennen, daß diese Kritik von den weitesten Teilen dieses Hauses in so scharfer Weise mir nicht ent⸗ gegengetreten ist, im Gegenteil, von der Linken bis zur Rechten, abge⸗ sehen von den Herren von der Sozialdemokratie, ist mir tatsächlich Vertrauen entgegengebracht worden. Dafür bin ich dem Hause dankbar, und das stimmt nicht mit dem überein, was der Herr Abg. Müller (Meiningen) gesagt hat. Er hat ferner gesagt, es fange an, jetzt geradezu Sitte zu werden, jemand aus dem Hause Dinge in den Mund zu legen, die er gar nicht gesagt habe. Nun, meine Herren, soviel ich weiß, hat der Herr Abg. Müller (Meiningen) in seiner ersten Rede ausgeführt, er wäre doch der Meinung, daß es vielleicht angezeigt gewesen wäre, von seiten Bayerns eine vernünftige Obstruktion gegen die Uniformveränderungen in Preußen zu machen.

Ich habe dann nur bemerkt: wenn Bayern es bei dieser Gelegenheit getan hätte, wo der neue Paletot eingeführt wurde, so wäre das nicht der richtige Moment gewesen. Wie kommt nun der Herr Abg. Müller (Meiningen) dazu, mir zu sagen, es wäre bei mir Sitte geworden, hm etwas in den Mund zu legen?

Meine Herren, der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat mir twas in den Mund gelegt, was ich nicht gesagt habe: denn er hat

gesprochen von dem sog. „liberalen Bürgertum“, das kosmopolitisch ngehaucht gewesen wäre im Jahre 1806. Ich habe aber icht vom „liberalen Bürgertum“, sondern von der „kosmo⸗ opolitisch angehauchten Bevölkerung“ gesprochen und hierunter muß man ebenso, wie wenn wir heute von „Bevölkerung“ sprechen, alles das verstehen, was im deutschen Lande wohnt, vom Regierenden herunter bis zum letzten Bauer. Das habe ich gemeint. Ich habe mich keiner Geschichtsfälschung schuldig gemacht; ich habe auch einiges gelesen. Es kommt mir nicht in den Sinn, mit so geschichts⸗ kundigen Leuten, wie der Herr Abg. Dr. Sattler es ist, mich in Widerstreit zu setzen. Aber es ist unstreitig richtig, daß damals nicht nur die Armee, sondern der ganze Staat von den regierenden Kreisen herab versumpft war. (Sehr richtig!) Weiter habe ich nichts gesagt und weiter nichts sagen wollen; ich habe nicht vom „liberalen Bürgertum“ gesprochen; das ist mir in den Mund gelegt. (Sehr richtig! rechts.) Also, meine Herren, ich weiß ganz genau, daß die Regierung damals das Volk nicht so hat an den öffentlichen Angelegénheiten teilnehmen lassen, wie es vielleicht gut gewesen wäre, und daß die besseren Elemente nicht haben an die Stellen treten können, wo sie hingehörten. Wenn ich über⸗ haupt auf diese geschichtliche Kontroverse eingegangen bin, dann habe ich das nur getan, um dem vorzubeugen, daß heutzutage jeder⸗ mann, dem irgend eine Parade nicht gefällt, dem irgend ein Griff nicht gefällt, der die Ausbildung nicht nach seinem Geschmack findet, sofort berechtigt wäre, zu rufen: die Armee marschiert nach Jena! Das ist nicht wahr; dagegen protestiere ich. (Lebhafter Beifall.)

Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Müller (Meiningen) weiter von dem „Säbelrasseln der Gardekavallerieoffiziere“ gesprochen die dadurch vielleicht ihren Respekt sich erhielten. Ich möchte bloß wünschen, der Herr Abgeordnete hätte Gelegenheit, den intensiven, anstrengenden Dienst bei der Gardekavallerie kennen zu lernen. (Sehr gut! rechts.) Dann würde er sehen, wie sich die Offiziere dort Respekt verschaffen und worin dieser besteht nicht im Säbelrasseln, Herr Abg. Müller (Meiningen). (Widerspruch links.) Ich habe Sie jedenfalls so ver⸗ stan den. (Sehr richtig! inks.) Wenn ich falsch verstanden haben sollte, täte es mir leid. Sie haben von „Säbelrasseln der Offiziere“ gesprochen (sehr wahr! rechts) und haben ferner gemeint, es wäre nicht bekannt genug, daß es verboten sei, sich als Gigerl auf der Straße zu zeigen. Das weiß jeder Offizier; und wenn er sich darüber hinwegsetzt, so tut er es auf seine Gefahr hin. Gewünscht wird das nicht, und Seine Majestät der Kaiser hat bei verschiedenen Gelegen⸗ heiten ganz nachdrücklich und energisch eingegriffen und sich derartiges verbeten, nicht nur durch Worte, sondern auch durch Bestrafungen!

Meine Herren, ich hatte wirklich geglaubt, daß ich die praktischen Versuche, die wir mit Uniformen gemacht haben, in genügender Weise erläutert hätte. Ich habe gesagt, daß wir nach unserer Ueberzeugung bei unserem Klima, bei unserer Bedeckung des Bodens, bei der Beleuchtung genug, unter den Verhältnissen, unter denen wir eventuell Krieg führen müssen, mit unserer blauen Uniform auskommen könnten, und ich meine, das könnte dem Herrn Abg. Müller (Meiningen) doch ge⸗ nügen. (Zuruf von links.)

Dann hat er von der Kavallerieuniform gesprochen. Ja, mein Gott im Himmel! die meisten Regimenter sind blaue Ulanen und Dragoner. Wir haben, glaube ich, zwei oder drei rote Husarenregimenter, und davon wird das der Garde, wenn es ausrückt, wahrscheinlich blaue Attilas anziehen. Also das ist ein geringfügiger Gegenstand, und wie man darüber cine so außerordentlich breite Rede halten kann, ist mir unbegreiflich. (Sehr wahr! rechts.) Wenn der Herr Abg. Müller (Meiningen) nun meint, es wäre am besten, die Kavallerie vollständig gleichmäßig anzuziehen, so ist er vollständig im Irrtum (sehr richtig! in der Mitte), denn wir müssen gerade bei der Kavallerie infolge der Ait ihres Gefechts verschiedene Uniformen haben, damit die Regi⸗ menter, die durch⸗ und auseinandergekommen sind und jede Attacke läßt die Regimenter durch⸗ und auseinanderkommen —, sich sammeln, sich wiederfinden können. Das weiß jeter, der mit taktischen Dingen vertraut ist. (Sehr wahr!) Nun hat er gesagt, wenn das Militär⸗

ich werde mich danach er⸗

kabinett doch der Meinung ist, die Sache sei noch nicht abgeschlossen, dann ist es mit dem Herrn Kriegsminister vorbei. Er soll doch erst abwarten, ehe er etwas Derartiges sagt. Außerdem aber weiß der Herr Abgeordnete über die Tätigkeit des Militär⸗ kabinetts scheinbar überhaupt gar nichts. (Heiterkeit.) Das geht aus allen diesen Dingen hervor. Das Militärkabinett ist gar keine Be⸗ hörde, die etwas anzuordnen hat, sondern es ist nichts weiter, wie eine Kanzlei, der ein Seiner Majestät vertrauter Offizier vorsteht, um Seiner Majestät Befehle auszuführen. Von einem Handschreiben an den Erbprinzen von Sachsen⸗Meiningen habe ich nichts gewußt. Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) muß den Verhältnissen nahe stehen. Jedenfalls ist mir das Militärkabinett in solchen Fragen noch niemals in den Weg getreten, und es wird auch niemals geschehen; das kann ich zur Beruhigung des Herrn Abgeordneten sagen.

Nun hat er das Schreckgespenst, daß sozialdemokratische Offiziere in unsere Armee hineinkommen könnten, vorgemalt. (Widerspruch links, Zustimmung rechts.) Jawohl, das hat er getan, er hat ge⸗ sagt, wenn es so fortgeht, so kann es dahin kommen. (Widerspruch links.) Nach meiner Erinnerung hat er das gesagt. (Zustimmung rechts. Widerspruch links.) Gut, Herr Abgeordneter, wenn Sie es nicht gesagt haben, dann nehme ich mit großem Vergnügen davon Akt, daß Sie doch besser von dem Offizierkorps denken, als es dann, wenn Sie es gesagt hätten, anzunehmen war, und ich bitte Sie, dieses Ver⸗ trauen dem Offizierskorps auch ferner zu bewahren. Wir werden uns dadurch sehr geehrt fühlen. (Große Heiterkeit.)

Abg. Schwarze⸗Lippstadt (Zentr.) beginnt unter großer Unruhe des Hauses. Der Präsident mahnt zur Ruhe mit dem Hinweis, daß er selbst nichts verstehen könne. Redner scheint sich über die Flurschädenfrage zu äußern.

Abg. D. Stoecker (wirtsch. Vgg.): Der „Vorwärts“ nennt heute den Militäretat den Etat der erstklassigen Menschen“. Darin zeigt sich die ganze Bosheit jener Kreise. Damit werden die schlechtesten Ele⸗ mente mit der Armee gleichgestellt. Eine Kritik ist nicht nur erlaubt, son⸗ dern auch berechtigt, sie gehört zu den Pflichten des Parlaments. Aber i verlange, daß die Beurteilungen nicht schmähsüchtig und verleumderis⸗ sind, sonst schaden sie dem Vaterlande. Nur solche Männer können über die Armee urteilen, die von der Sache etwas verstehen; sachkundige Leute haben ein Recht zu kritisieren, unsachkundige nicht. Der Parlamen⸗ tarismus hat nur Sinn und Verstand, wenn wir die Kenntnisse der Regierungsbeamten, die manchmal vom grünen Tisch sind, ergänzen durch praktische Erfahrungen aus dem Leben. Was verstehen denn die Herren Bebel und Genossen von der Armee? Von mir kann ich sagen, daß ich sie verstehe, denn ich bin drei Jahre Militärpfarrer gewesen und kenne die Armee von Jugend auf. Ich könnte Herrn Bebel fragen: hat er gedient? (Präsident Graf von Ballestrem: Solche Fragen an einzelne Abgeordnete kann ich nicht zulassen.) Durch Kritik soll man bessern, aber nicht beleidigen und schmähen, sonst verlieren die Kritisierten die Lust, Belehrungen anzunehmen. Bei dem überwiegenden Teil der Reden über Militärangelegenheiten hatte ich das Gefühl, daß die Herren das System unseres Militärwesens gar nicht kennen. Unser System ist das denkbar beste der Welt, und alle anderen Völker beneiden uns darum. Es ist in der größten Stunde der preußischen und deutschen Geschichte eboren, in den Freiheitskriegen. Dieses System hat sich bewährt bei den größten Aufgaben, die unserem Volke gestellt waren. „Es hat uns die Einigkeit erkämpft, die große Stellung, die wir in der Welt haben. Kein anderes Volk würde die Armee, die so Großes geleistet hat, so angreifen, wie es bei uns geschieht. Ich halte das für einen Schaden, eine Sünde an unserem nationalen Geist, für eine große Ge⸗ fahr nach auswärts. Man fürchtet die Armee als Hort der Ordnung. Natürlich, wenn eine Revolution ausbricht, muß die Armee sie nieder⸗ schlagen, dazu ist sie da, das tut sie auch in Republiken. Unsere Armee ist entstanden aus einem großen vaterländischen Sinne. Daß der kosmopolitische Sinn seinerzeit zu unserem Untergang beigetragen hat, ist durchaus richtig, und wenn unser großer Goethe über Napoleon sagte: „der Mann ist euch zu groß!“ so ist mir in diesem Punkte ein tapferer Leutnant lieber als der große Goethe, der sich vor Napoleon fürchtete. Ein Instrument für die herrschenden Kreise ist die Armee gar nicht; das ist ein Blechinstrument, das Sie (zu den Sozialdemokraten) blasen. Disziplin ist eine Ordnung, die mit eiserner Kraft und, wenn nötig, durch Strafe aufrecht erhalten wird, sonst bekommen wir eine Disziplin, wie Sie sie in Dresden hatten, wo Singer von „Schulbuben“ und Klara Zetkin von „Altweibergeschwätz“ sprachen; Buben von der Judenschule waren es in Dresden; das ist Ihre Disziplin. Sie reden von Demokratisierung der Armee. Solange Kriege geführt werden, sind es Persönlichkeiten, die die Armee begeistern; die Armee ist gar nicht zu denken ohne persönliche Begeisterung. Das pommersche Armeekorps hat sich ebenso großartig geschlagen wie die Berliner oder Ostpreußen. Was sollen Unterscheidungen zwischen „städtischen und ländlichen Elementen im Heere? Alle solche Ausführungen bezwecken nur die Schaffung einer sozialdemokratischen Agitation in der Armee. Diese beständige abgrundmäßige Agitation. insbesondere in der sozial⸗ demokratischen Presse, ist das Gefährliche. Herr Ledebour gab eine Definition des Patriotismus, der Liebei zum ganzen deutschen Volke sei. Dann muß ich Ihnen allen Patriotismus absprechen, denn Sie sind nur eine kleine Minderheit, die das ganze übrige Volk haßt, wie Sie in Dresden selbst erklärt haben. Der Patrio⸗ tismus ist etwas Geschichtliches; wer nur mit den Leuten von heute lebt, kann gar nicht wissen, was Patriotismus ist. Der ist der Grund und Boden für eine große Geschichte, Sie aber sind durch und durch ungeschichtliche Menschen, Eintagsfliegen, heute geboren und morgen verweht. Seit Dresden kann ich nicht mehr glauben, daß die

örderung sozialer Aufgaben die Sozialdemokraten zu höherer Kultur bringt; was sie in Dresden geleistet haben, ist Unkultur; ein amerika⸗ nischer Sozialdemokrat hat diesen Parteitag eine Schande genannt. Wenn erst der kriegerische Geist im Volke vernichtet ist, und die Feinde kommen, dann ist es zu spät; selbst Herr Ledebour würde, wenn er die Führung übernähme, den Kampf nicht siegreich durchführen. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Es wird Krieg geben bis ans Ende der Welt (Erneute Zurufe von links); darin stimme ich mit Christus genau überein (Widerspruch bei den Sozialdemokraten; Präsident Graf von Ballestrem: Ich bitte Sie, den Redner nicht zu unterbrechen. Sie sprechen ja auch und lange genug!) I kennen ja die Bibel nicht. Nur Toren, nur dumme Kinder können Sie (links) überzeugen, aber nicht verständige Menschen. Sie wollen die kapi⸗ talistische Ausbeutung brandmarken, aber Sie gehen mit den Juden durch dick und dünn. (Abg. Bebel: Charakteristisch!) Herr von Liebermann hat das ja vorgelesen; und unsere Erfahrungen aus Berlin I müssen doch jedem Blinden klar machen, daß eine Ver⸗ bindung zwischen Juden und Sozialdemokraten zustande gekommen ist, wie sie enger gar nicht sein kann. (Rufe bei den Sozial⸗ demokraten: Ihr Heiland war auch ein Jude!) Der Heiland war kein Jude, er war des Menschen Sohn! (Erneute Zurufe bei den Sozialdemokraten.) (Präsident Graf von Ballestrem: Die Zwischenrufe fangen an, blasphemisch zu werden. (Mit erhobener Stimmel]: Wir 81. hier in der großen Ueberzahl Christen, gläubige Christen, die ihren Glauben nicht ver⸗ höhnen lassen! (Stürmischer Beifall rechts und im Zentrum.]) Sie (zu den Sozialdemokraten) haben kein Verständnis für die wirk⸗ lichen Probleme. Wenn Herr Müller⸗Meiningen die Beschwerde⸗ pflicht empfiehlt, so verkennt er das Wesen der Disziplin. Wenn der Untergebene seinen Vorgesetzten anzeigen müßte, so würde das den Geist der Armee verderben. Die Bayern halte ich für gleichwertige Kameraden, aber daß sie uns überlegen sind, kann ich nicht zugeben. Es herrscht dort ein größeres Maß von Vertrauen und Gemütlich⸗ keit, nicht aber

eine größere Bildung. Im Kriegsministerium,

im Generalstabe ist das ba Element zum Teil sogar in

hohem Prozentsatz vertreten. Richtig ist es allerdings, und das ist unerklärlich, daß die Offizierkorps einzelner Regimenter nur aus Adeligen bestehen. Das trifft aber nicht die Armeeleitung, sondern die Obersten. Darin liegen unzweifelhafte Schäden, und die Armeeleitung sollte der Sache nachgehen. Ist denn unsere Armee wirklich so zerrüttet? Nein, der Ehrenschild unseres Heeres ist noch nicht blind geworden, sondern derselbe, der er immer war, und was wir in der letzten Zeit gesehen haben, sind Flecken, aber nicht die Zerstörung des Schildes selber. Dieser Flecken mit dem Herero Cain ist ein böser Blutflecken; das kann nur so erklärt werden, daß ab und zu gegenüber Trägern hoher Namen Rücksichten geübt werden, die mit dem Nutzen der Armee nicht zusammenstimmen. Das trifft auch nicht die Armeeleitung, sondern einzelne Persönlichkeiten. Der Flecken muß abgewaschen werden, gewiß. Kriegsministerium und Kolonialverwaltung müssen sich verbinden und nur solche Persönlich⸗ keiten hinausschicken, die gute Soldaten sind. Forbach und Pirna sind arge Schmutzflecken, aber auch das hängt nicht mit dem System zusammen. Es ist unerhört, daß man die ersten besten, nichtsnutzigen Verleumdungen aus einer Zeitung nimmt und sie hier vorbringt. Wer das tut, dem liegt nichts an der Wahrheit, sondern nur am Skandal. Nur der hat ein Recht, mitzusprechen, der sich sagen muß, meine und unsere Grundsätze sind in solchen Dingen absolut lauter. Es ist über die Unzucht und den Ehebruch in den bekannten Fällen viel geredet worden. Man kann das nicht genug verurteilen. Bebel schreibt aber in seinem Buche „Die Frau“: „Die Be⸗ friedigung des Geschlechtstriebes ist jedes einzelnen persönliche Sache, wie die Befriedigung jedes anderen Naturtriebes.“ Wer so etwas sagt und das geschlechtliche Leben von jeder sittlichen Schranke loslöst, hat kein Recht, sich über Erzesse geschlechtlicher oder ehebrecherischer Art zu beschweren. Das sind nur die Folgen olcher Ideen. Die „Erstklassigen Menschen“ sind ein schandbares uch. Herr Bebel sagt freilich: „Ja, wenn nur ein Drittel wahr ist!“ Wie kann man sagen, daß ein so schmutziges Buch die Wahrheit enthält? Wenn Sie behaupten, daß ein Drittel des Buchs wahr ist, so müssen Sie es auch beweisen. Se Unruhe links. Abg. Bebel ruft: Sie fälschen!) Bilden Sie doch eine Kommission, um diese Dinge zu untersuchen, und stellen Sie Herrn Singer an die Spitze! Eine sachgemäße, vornehme Kritik können wir nicht nur billigen, wir d ssn sie auch wünschen, gerade im Interesse der Armee! Die unberechtigte Kritik, die heutzutage zum Schaden der Armee von Offizieren geübt wird, deren Laufbahn zerbrochen ist, ist lebhaft zu bedauern. Das ist eine große Gefahr. AÄn den zuständigen Stellen sollte der Frage Aufmerksamkeit geschenkt werden, daß hier Offiziere in der Mitte des Lebens zwischen 40 und 50 abgehen müssen, mitten in ihrer Laufbahn unterbrochen werden, und zum Teil aus Not zum Preßhandwerk greifen. Es sollte ein Beförderungsgesetz erlassen werden, nach welchem die mittleren Dienstgrade mehr geschont werden, das Aufsteigen in höhere Stellen befördert und die Ab⸗ gehenden mit einer ausreichenden Pension bedacht werden. Die Mißhand⸗ lungen liegen nicht am System, sondern an der individuellen Be⸗ schaffenheit der betreffenden Leute. Auch Eltern mißhandeln ihre Kinder bis zum Sterben, gerade so wie Breidenbach. Kommt das etwa auch vom preußischen Militärsystem? Nein, es kommt von der Nichtsnutzigkeit der menschlichen Natur. (Lebhafte Unter⸗ brechungen bei den Scozialdemokraten. Präsident Graf von Ballestrem: Herr Bebel, ich bitte Sie wiederholt, nicht immer zu unterbrechen; Sie sind ja notiert!) Es liegt also gar nicht am System, sondern an der Verwilderung der gewalttätigen Zeit, in der wir leben. Es bleibt schließlich nur noch das dekorative

lement in der Armee zu erwähnen, womit es aber auch nach der Aussage des Kriegsministers ein Ende haben soll. Hier soll man auch mehr Wert auf die Königstreue und die Vaterlandsliebe als auf das Aeußerliche legen. Gegen den Luxus muß der Kriegsminister einen beständigen Kampf führen. Kein Luxus mehr in den Kasinos, nicht mehr so viele Festessen, so viele Liebesmahle, so viele Geschenke: Das muß gehen! Worte sind Zwerge, Beispiele sind Riesen! Der alte Kaiser hat sich gegen den Luxus ausgesprochen; auch der jetzige e hat die Gefahr klar erkannt. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!

Abg. Krösell (Reformp.): Herr Ledebour hat von der Rosinante des Kriegsministers und von Herrn von Riepenhausen als seinem Schildknappen gesprochen. Herr Ledebour lasse sich gesagt sein, daß man in Pommern und im Östen nicht nur das beste Pferde⸗, sondern auch das beste Menschenmaterial findet. Hinter Herrn von Einem und Herrn von Riepenhausen, dem echt deutschen Manne, steht der gesamte Mittelstand. Die Sozialdemokraten wollen die Armee gottlos, vaterlandslos und königstreulos machen. Die Armee ist aber ein wundervoll feiner Aufbau, und den Patriotismus wird uns nie⸗ mand, am wenigsten die Sozialdemokratie, aus dem Herzen reißen. Ein gesundes, ursprüngliches Vaterlandsgefühl ist zehnmal mehr wert als die größte Intelligenz. Die beste Schule für das Volk ist doch immer die Armee. Als Vertreter des Mittelstandes habe ich die Pflicht, auf das Handwerkertum hinzuweisen, das in der Armee nicht die Stellung einnimmt, die es einnehmen müßte. Das zeigt sich be⸗ sonders in der geringen Besoldung z. B. der Büchsenmacher; auch wäre es wünschenswert, wenn der Konkurrenz, die die Militärmusiker den Zivilmusikern machen, ein Riegel vorgeschoben würde.

Darauf wird um 6 ½ Uhr die Fortsetzung der Beratun⸗ auf Mittwoch 1 Uhr vertagt. 1u 1 *

Preußischer Landtag. 1 Haus der Abgeordneten.

36. Sitzung vom 8. März 1904, 11 Uh 1

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus setzt die Beratung des Etats der Eisen⸗ EEE1 und zwar die Diskussion über die Ein⸗ nahmen aus dem Personen⸗, Gepäck⸗ und Güter⸗ verkehr der Staatseisenbahnen fort.

Abg. Dr. Heisig (Zentr.) bittet um eine bessere Schnellzugs⸗ verbindung für seinen Wahlkreis Gleiwitz und dankt für die Er⸗ weiterung des Nebenbahnhofs in Gleiwitz. Im Eisenbahndirektions⸗ bezirk Kattowitz, fährt er dann fort, klagen die Beamten über eine ungleichmäßige Verteilung der Stellen⸗ und Teuerungszulagen. In den technischen Einrichtungen sind ja Fortschritte gemacht worden, aber die Schneeverwehungen haben die Weichen nicht funktionieren lassen. Ein Zug hat 25 Minuten vor Groß Strehlitz halten müssen, weil infolge der Schneeverwehungen die Weiche von der Zentrale nicht gestellt werden konnte. Bedenklich ist die Beschäftigung von Damen an den Schaltern aus sittlichen Gründen; es sind durch junge Leute Unterhaltungen mit den Damen angeknüpft worden, und in Gleiwitz hat eine Dame aus nicht näher zu bezeichnenden Gründen entlassen werden müssen. Den Wunsch möglichster Unterstützung der Kleinbahnen teile ich, besonders aus dem Grunde, weil die Wohnungs⸗ frage in vielen Gemeinden durch Errichtung von Vorortbahnen gelöst werden kann. Die Handwerker in den Werkstätten wünschen die An⸗ bringung von Schränken zur Unterbringung ihres Handwerkszeugs. Ueber die Behandlung der katholischen Feiertage liegen noch viele Klagen vor, wenn auch schon eine Besserung eingetreten ist. Den Arbeitern ist wenigstens der Vormittag an diesen Feiertagen freigegeben worden. Die Arbeiter sagen aber, es könnten mehr freie Tage ge⸗ geben werden, ohne daß der Betrieb beeinträchtigt würde. Der Rach⸗ mittag vor Weihnachten sollte freigegeben werden, da jeder den heiligen Abend in der Familie zu verleben wünscht. Die katholischen Feiertage müssen im Dienstplan berücksichtigt werden. Bei den Ge⸗ meindewahlen in Gleiwitz sind dem evangelischen Handwerker⸗ und Arbeiterverein die fiskalischen Säle zu Versammlungen zur Verfügung gestellt worden, dem katholischen Verein nicht.

(Schluß in der Zweiten Beilage.) 1El

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Zweite Beilage

Berlin, Mittwoch, den 9. März

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Abg. Dr. von Dirksen (kons.): Den Konsumvereinen gegenüber muß die Staatsbahnverwaltung vollkommen unparteiisch sein, sie darf ch weder für noch gegen sie interessieren. In Cassel ist die Bäckerei eines Eisenbahnkonsumvereins durch billige Hergabe von Räumen durch die Eisenbahnverwaltung so bevorzugt worden, daß die Casseler Baͤcker sich beschwert Es wurde sogar der Versuch gemacht, die Arbeiter der Casseler Straßenbahn zum Anschluß an den Konsum⸗ verein zu bestimmen, woraus allerdings nichts geworden ist, da hier⸗ egen protestiert wurde. Die Staatsbahnverwaltung sollte sich jeder Fertenahme und Beeinflussung enthalten. Die Görlitzer Handels⸗ ammer hat sich über den Görlitzer Eisenbahnbeamten⸗ und Konsum⸗ verein beschwert; es ist aber nicht bekannt, ob die Beschwerde Erfolg gehabt hat. In Frankfurt a. M. liegt ein dritter Fall vor, in dem die privaten Geschäftsleute über die Konkurrenz des Beamtenkonsum⸗ vereins klagen. In Magdeburg soll den Eisenbahnbeamten befohlen sein, aus dem unter sozialdemokratischer Leitung stehenden Konsum⸗ verein auszutreten. Die Krankenkassen befinden sich unter sozialdemo⸗ kratischer Leitung, und der Fall in Magdeburg zeigt uns wieder, daß auch in den Konsumvexreinen die sozialdemokraltische Beeinflussung der Beamten langsam, aber sicher fortschreitet. Wie will der Minister aber entscheiden, ob ein Konsumverein ein sozialdemokratischer ist? eider ist es, wenn die Gefahr bekannt wird, oft schon zu spät

Minnjistr der öffentlichen Arbeiten Budde:

keine Herren! Der Herr Vorredner hat in so beredten Worten ie Schwierigkeiten dieser Frage geschildert, daß ich eigentlich kaum

nötig hätte, das Wort darüber zu ergreifen. Aber ich bin verpflichtet,

dem entgegenzutreten, daß die Königliche Staatseisenbahnverwaltung nicht objektiv der angeregten Frage gegenüberstände. Ich muß es ab⸗ lehnen, daß die Königliche Staatseisenbahnverwaltung in irgend einer Weise die Interessen der Konsumvereine derartig förderte, daß dabei die allgemeinen Interessen geschädigt würden. Die Staatseisenbahn⸗ verwaltung ist nicht in der Lage, ihren Beamten zu verbieten, daß sie sich zu Konsumvereinen zusammenschließen, allerdings unter der Voraussetzung, daß sie ihre Dienststunden dafür nicht in Anspruch nehmen. Es besteht eine Verfügung, daß die Beamten nur die dienstfreie Zeit für solche Zwecke verwenden dürfen.

Was nun die einzelnen Fälle anbetrifft, die hier aufgeführt find, so ist der Fall in Cassel aufs eingehendste von mir geprüft worden, und es hat sich gezeigt, daß seitens der Interessenten eine ganz unberechtigte Agitation gegenüber dem von den Eisenbahnern gegründeten Konsumverein in Szene gesetzt worden ist. Es handelt sich bei dem Streite um eine Bäckerei, die dort von dem Konsumverein errichtet werden sollte, und zwar aus dem Grunde, weil nicht nur die Brotpreise in Cassel erheblich zu hoch seien, sondern auch das Brot, wie mir berichtet ist, schlecht war, schlechter, als es in anderen benachbarten Städten geliefert wird. Aus diesem Grunde, aus dem Grunde der Selbsthilfe, haben die Eisen⸗ bahner sich eine Bäckerei bauen wollen. Nun befindet sich in der Nähe des Bahnhofes ein der Verwaltung gehöriges Grundstück auf abschüssigem Gelände, welches bis dahin nur 20 Reinertrag brachte, weil es seiner Lage und Beschaffenheit nach als Bauplatz oder Lagerplatz schwer verwendbar ist. Dieses Grundstück ist ursprüng⸗ lich dem Konsumverein zu einem jährlichen Reinertrag von 100 übergeben worden, also statt 20 ℳ, die es bisher brachte. Der Pacht⸗ zins ist von seiten der zuständigen Behörden, der Polizeidirektion und dem Herrn Regierungspräsidenten, nachgeprüft und als reichlich hoch bemessener erachtet worden, sodaß also die Angabe, daß die Staatseisen⸗ bahnverwaltung den Verein in unbilliger Weise unterstützte unrichtig ist. Trotzdem hat der Konsumverein, um Frieden in der Sache zu schaffen, sich erboten, den Preis noch um 100 % zu erhöhen und der Staats⸗ eisenbahnverwaltung 200 jährlich zu zahlen. Ich habe dann auch in dem Sinne verfügt, aber vor einigen Tagen die Nachricht erhalten, daß voraussichtlich der Bau der Bäckerei an der geplanten Stelle überhaupt nicht gestattet werden würde, weil der Bezirksausschuß Bedenken dagegen geltend gemacht hätte. Das ist der Fall des Konsumvereins in Cassel.

Görlitz betreffend, handelt es sich, soweit ich Kenntnis von der Sache habe, darum, daß einige Beamte Ehrenämter in dem großen Konsumverein übernommen haben, der für die Allgemeinheit in Görlitz besteht. Aber, meine Herren, ich wiederhole, daß diese Beamten nur ihre dienst freie Zeit für den Privatzweck widmen. Ich habe nicht das Recht, hiergegen einzuschreiten.

Was sodann andere Vereine betrifft, so möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß die Ansicht, durch die Gründung dieser Vereine führten wir Leute der Sozialdemokratie zu, doch auch vom Herrn Vorredner schon als nicht absolut richtig bezeichnet worden ist; denn er hat ja verlesen, daß ich genötigt war, in Magdeburg anzu⸗ ordnen, daß die Eisenbahner aus den sozialdemokratischen Vereinen anstreten. Ich habe die Erfahrung gemacht, auch in Harburg, daß Sisenbahnarbeiter und Beamte sich in einen sozialdemokratisch seleiteten Konsumverein hatten aufnehmen lassen. Ja, meine Herren, auf diese Weise zieht doch die Sozialdemokratie unsere Arbeiter und kleinen Beamten zu sich, und wenn ich dem nicht entgegenträte, so würde ich als Leiter der Staatseisenbahnen geradezu meine Pflicht verletzen.

Nun hat der Herr Vorredner gesagt: ja, wie will denn die Staatseisenbahnverwaltung unserscheiden, ob der Verein ein sozial⸗ demokratischer ist oder nicht? Nun, meine Herren, die Unterscheidung ist nicht so schwer, wenn ich mir die Leiter ansehe und die politischen Ziele, die diese verfolgen. Deshalb glaube ich, daß wo das Be⸗ dürfnis am Orte vorhanden ist die Eisenbahner und andere Beamten sich zu eigenen Vereinigungen zusammenschließen, um eben der Sozialdemokratie entgegenzuwirken. (Sehr richtig! rechts.) Darüber aber können Sie sicher und ruhig sein, daß, wenn die Eisenbahnvereine sich einen Konsumverein bilden unter Leitung von höheren, mittleren, unteren Beamten und Eisenbahnarbeitern, daß der Verein dann kein sozialdemokratischer ist; dann wird der Verein zum Schutze gegen die Sozialdemokratie dienen, während anderenfalls die Eisenbahner zum Eintritt in sozialdemokratische Verbände verleitet

Grundsätzlich freue ich mich, wenn es nicht notwendig ist, Konsum⸗ vereine unter den Eisenbahnern zu bilden; ich begünstige das durchaus nicht, sondern ich halte es für besser, wenn die Ausgaben, die seitens der Eisenbahner gemacht werden, dem Mittelstande zufließen, damit jedes Gewerbe seinen eigenen goldenen Boden hat. (Bravo! rechts.) Wenn aber ein örtlicher wirtschaftlicher Kampf entsteht, dann würde ich ungesetzlich handeln, wenn ich den Eisenbahnern verbieten würde, außerhalb ihrer Dienststunden tätig zu sein, um für sich wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, da ich nun gerade das Wort ergriffen habe, so möchte ich noch auf einige Punkte zurückkommen, die von mehreren Herren Vorrednern erwähnt worden sind.

Der Abg. Macco hat die Einreichung einer Statistik gewünscht darüber, wann die Beamten das höchste Gehalt erreichen. Eine solche Statistik besteht heute nicht. Sie würde sehr umfangreich und schwierig sein, und ich glaube, der Nutzen würde mit der Arbeit, die darauf verwendet werden müßte, nicht in Einklang stehen. Ich glaube, Sie hätten in den Bänden, die Ihnen zur Beratung vorliegen, bereits ein überreiches Maß von Statistik; deshalb möchte ich Sie bitten, von der erwähnten Statistik Abstand zu nehmen.

Es ist dann geklagt worden über mangelnde Rücksichtnahme bei Versetzungen von Beamten. Wenn man ein Heer von 375 000 Bediensteten unter sich hat, dann ist es ganz unmöglich, daß alle Wünsche, die im einzelnen auch an die Herren Abgeordneten herantreten, hin⸗ sichtlich der Versetzung der Beamten erfüllt werden. Das ist ganz undenkbar! Die Direktionsbezirke sind ihrer Lage nach sehr ver⸗ schieden und auch hinsichtlich der Annehmlichkeit des Dienstes und des außerdienstlichen Lebens. Wenngleich ich grundsätzlich auf die Wünsche der betreffenden Bediensteten nach Möglichkeit Rücksicht nehme, so bin ich doch nicht in der Lage, jeden dahin zu setzen, wo er am liebsten lebt oder vielmehr, wo die nicht im Dienst stehende Ehehälfte am liebsten leben möchte. (Heiterkeit.) Das ist ein Kleinkrieg, den ich nicht überall schlichten kann.

Der Herr Abg. Dr. Wiemer hat dann das System der Platz⸗ karten als Fiskalität bezeichnet. Meine Herren, ich halte die Platzkarten für einen Aufschlag, der nicht fiskalische Inter⸗ essen zum Ursprung hat, sondern betriebliche Rücksichten; denn jeder, der lange Reisen zu machen nötig hat, wird wissen, daß es eine große Unbequemlichkeit und eine große Belästigung ist, wenn namentlich in verkehrsreichen Gebieten der Lokalverkehr sich auf die durchgehende D⸗Züge stürzt und die Reisenden, die schon stundenlang auf der Bahn sind, belästigt. Infolgedessen ist es nützlich, einen Auf⸗ schlag zu machen, welcher dazu führt, auf kurze Entfernungen einen Personenzug zu benutzen, der vielleicht nur wenige Minuten länger fährt, dafür aber auch billiger ist. So sehe ich die Platzkarten an, also nicht etwa als eine fiskalische, sondern als eine betriebliche Maß⸗ regel, die sich gut bewährt hat.

Noch ein Grund spricht für die Platzkarten. Es ist nicht mög⸗ lich, alle Züge mit neuen, schönen und gut eingerichteten Wagen zu versehen; es ist auch nicht das Bedürfnis vorhanden, auf kleinen Strecken derartige Wagen fahren zu lassen. Daher ist es nicht unbillig, für den größeren Luxus in den D-⸗Zügen einen Zuschlag zu erheben gegenüber den Landesteilen, die sich noch mit den alten Wagen, mit weniger guten Einrichtungen begnügen müssen.

Ebenso sehe ich auch die Bahnsteigkarte nicht als eine fiskalische, sondern als eine betriebliche Maßregel an.

Was die Abschaffung der Schreibgebühren betrifft, so läßt sich darüber reden; ich werde es in Erwägung nehmen.

Der Herr Abg. Graf Moltke hat dann gefragt, wie das Ver⸗ hältnis der aus Staatsgruben bezogenen Kohlen zu den aus Privat⸗ gruben gelieferten Kohlen sich stelle. Aus oberschlesischen Staatsgruben werden 750 000 t und aus den Saargruben rund 250 000 t jährlich bezogen, also im ganzen 1 Million Tonnen gegen⸗ über einem Gesamtbedarf von 7 Millonen Tonnen. Es ist selbst⸗ verständlich, daß der Bezug aus den Staatsgruben nur bis zu einer gewissen Entfernung zum Produktionsort stattfinden kann, weil sonst durch die Beförderung nach entfernteren Orten die Selbstkosten der Kohlen sich steigern würden.

Es ist dann darüber geklagt worden, daß die Auskunfts⸗ bureaus nicht mit dem ausreichenden Material zur Feststellung von Auslandsreisen ausgerüstet seien. Ich habe zu meinem Bedauern gehört, daß das richtig ist, und daß in dem Bureau hier auf dem Bahnhof Alexanderplatz einige ausländischen Fahrpläne nicht vorhanden sewesen sind. Ich habe bereits verfügt, daß die Auskunftsbureaus mit den erforderlichen Fahrplänen ausgerüstet werden, und daß die Beamten, die dort fungieren, eine Belehrung über die Benutzung der ausländischen Fahrpläne bekommen.

Was dann das Viehkursbuch betrifft, stehe ich dieser Einrichtung nicht ablehnend gegenüber. Als ich noch Chef der Eisenbahnabteilung im Großen Generalstab war, empfand ich es unangenehm, daß kein Viehkursbuch vorhanden war. Da es mir zu lange dauerte, bis das Reichseisenbahnamt ein solches aufstellen konnte, so wurde das Pferdekursbuch gemacht, das sich bewährt hat und jetzt in das Viehkursbuch aufgeht. Aus den Mitteilungen, die von der Tribüne hier gemacht worden sind, habe ich entnommen, daß das Viehkursbuch von dem Publikum recht wenig benutzt wird. Ich habe das befürchtet, weil es sehr schwer ist, sich in ihm zurecht zu finden, und weil das Viehkursbuch mit den Zeiten, die es angibt, nicht immer eine richtige Zugverbindung auf Eisenbahnknotenpunkten gibt; denn wenn auch der Mensch auf einer Station in einen anderen Zug übersteigen kann und man aus den Zeiten des Reichskursbuchs entnehmen kann, welche Zugverbindung man hat, so kann das Vieh doch nicht übersteigen; der Wagen muß übergeführt werden, und ob das nach den Betriebseinrichtungen auf den einzelnen Stationen in jedem Falle möglich ist, kann man aus dem Viehkursbuch nicht immer entnehmen. Es sind also nicht fiskalische Rücksichten, die mich veranlaßt haben, die Frage noch als

Versuch zu behandeln, sondern praktische Rücksichten, Ich werde aber

zeiger und Königlich Preußische

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natürlich das Viehkursbuch erneut beschaffen, und wenn es sich auf die Dauer bewährt, wäre ich sehr erfreut, daß dadurch namentlich der Landwirtschaft ein großer Dienst geleistet wird.

Auf die Bemerkungen, die über die Syndikate gemacht worden sind, erwähne ich nur kuͤrz, daß ich glaube: die Syndikate haben mindestens ebenso viel Intereffe daran, sich mit der Staatseisenbahn⸗ verwaltung gut zu stellen, wie die Staakseisenbahnverwaltung ein Interesse daran hat, daß die Syndikate angemessen und verständig geleitet werden. Ich habe also keine Sorge, daß etwa die Syndikate versuchen würden, mich zu irgendwelchen Maßnahmen oder Beschlüssen zu zwingen, die für den Staat nicht wirtschaftlich wären.

Der Abg. Broemel hat dann darüber geklagt, daß der Verkeh auf der Berliner Stadt⸗ und Ringbahn und auch auf de Vorortzügen sehr gedrängt wäre, daß die Wagen nicht ausreichten daß das Publikum namentlich an Sonntagen in die Wagen hinein stürme, daß die Wagen überfüllt seien.

Ich nehme an, daß der Herr Abg. Broemel mit diesen durchaus berechtigten Ausführungen nicht nur an die Staatseisenbahnverwaltung sondern auch nach zwei anderen Richtungen einen Wink hat geben wollen, erstens an die Berliner Stadtverwaltung, daß sie für die schleunige Vermehrung der Untergrundbahnen in der Stadt und nach den Vororten sorgt; denn die Stadt Berlin ist in ihren Verkehrs⸗ einrichtungen zurückgeblieben. (Sehr richtig!) Der Staat ist grund⸗

so kann die Stadt Berlin dem Staate dafür nur dankbar sein. Für keine einzige Stadt in der preußisch⸗hessischen Eisenbahngemeinschaft ist so viel für den örtlichen Verkehr ge⸗ schehen wie für Berlin und seine Vororte. Ich hoffe also, der Abg. Broemel wird mit seinen Ausführungen erreichen, daß die Stadt Berlin nun ihrerseits das Versäumte durch den Bau von Untergrundbahnen oder durch Hochbahnen in beschleunigtem Tempo nachholt.

sein möge, da die Stationsvorsteher an Feiertagen und Sonntagen selbstverständlich den Verkehr nur unter verständiger Mitwirkung des Publikums erfolgreich durchführen können.

Es sind dann eine Anzahl von kleinen Reibungen in den Werk⸗ stätten an verschiedenen Orten hier zur Sprache gebracht worden.

Wer je eine Fabrik geleitet hat, wird wissen, daß solche kleinen Differenzen, ob ein verschließbarer Behälter für das Werkzeug da sein soll, wie die einzelnen Einrichtungen in der Fabrik getroffen werden sollen und dergleichen mehr, nirgends aussterben, daß sie immer wieder⸗ kehren. Selbstverständlich werde ich bemüht sein, solche Differenzen durchaus wohlwollend zum Austrag zu bringen. Ich glaube aber nicht, daß das hohe Haus verlangen wird, daß ich auf die Einzelheiten in den einzelnen Werkstätten hier eingehe.

Der Abg. von Strombeck hat ausgeführt, daß die Nebenbahnen dem Gesamtnetz doch auch einen Verkehrzufluß bringen, und daß sich deshalb die Ausfälle, die ich ja nur berechnet habe, um dem Vorwurf zu begegnen, daß der Skaat nicht genug für die Nebenbahnen tue, reduzieren würden. Dieser Verkehrszuwachs ist bei unseren Anschlägen selbstverständlich in Ansatz gebracht worden, soweit ein solcher über⸗ haupt berechnet werden kann.

Ferner gebe ich dem Abg. von Strombeck zu, daß ein ge⸗ wisser Aufschluß der Gegend, wo eine Nebenbahn gebaut wird, stattfindet, und daß dies nachher natürlich in den Steuer⸗ erträgen zum Ausdruck kommt. Das ist ja auch der Grund, aus dem der Staat sich fast 12 000 km Nebenbahnen von Ihnen hat be⸗ willigen lassen, und deshalb ist die Staatseisenbahnpolitik, wie ich durch Zahlen nachgewiesen habe, auch so vortrefflich gewesen.

gestern anerkannt hat, so aufgeblüht, weil der Staat eine so vortreff⸗ liche Eisenbahnpolitik getrieben hat. (Lachen bei den National⸗ liberalen.)

Eine Statistik über die Beiträge der Gemeinden zur Beseitigung von Niveauübergängen und zu Umbauten der Bahnhöfe besteht nicht. Ich glaube auch, daß diese Statistik keinen Zweck hat, weil sie eben kein richtiges Bild gibt. Die Anforderungen, die die Gemeinden an ihre Wege stellen, an die Ober⸗ oder Unterführung, an ihre Breite, ja sogar an ihre architektonische Ausstattung, sind so verschieden, daß eben auch die Beiträge ganz verschieden bemessen sind. Ich glaube deshalb, daß es zweckmäßigerweise dabei bleiben muß, daß diese Frage im einzelnen Falle zwischen Staatseisenbahn und Gemeinde geregelt wird und nur auf diese Weise geregelt werden kann.

Von verschiedenen Seiten ist dann auf die Remuneration hin⸗ gewiesen worden, die von der Staatseisenbahnverwaltung an ihre Be⸗ diensteten verteilt werden, und es ist vorgeschlagen worden, diese Re⸗ munerationen auf ein Minimum zu beschränken, also den Fonds so niedrig als möglich zu bemessen, um die Klagen, die über die Ver⸗ teilung laut werden, zu beseitigen. Ja, meine Herren, ich glaube, genau das Gegenteil wird eintreten, wenn Sie den Fonds verkürzen; die Klagen würden immer größer werden. (Sehr richtig! rechts.) Denn stets führen diejenigen, und zwar wohl sämtlich, Klage, die in einem Jahre keine Remuneration bekommen haben. Die Staatseisenbahnverwaltung ist aber auch nicht in der Lage, auf die Remunerationen ganz zu verzichten, weil der Betrieb nicht schematisch ist; er bleibt sich nicht immer gleich, sondern er stellt verschiedene An forderungen an den Einzelnen zu den verschiedenen Zeiten. Nehme Sie nur eine Schneeverwehung an, wie wir sie im letzten Jahre ge habt haben, oder das Hochwasser in Schlesien, oder nehmen Sie be sondere Neuerungen an, die eingeführt werden sollen, wie z. B. die Aenderung des Abfertigungsverfahrens! Da ist es ganz selbstverständlich, daß einzelne Beamte, die dabei mitzuwirken haben, in ganz hervor⸗ ragender und außerordentlicher Weise beansprucht werden. Nehme

Sie Zugverspätungen an bei Wind und Wetter! Da ist es selbst- verständlich, daß für einzelne Beamte der Dienstturnus gar nicht mehr

sätzlich nicht dazu da, der Stadt Eisenbahnen zu bauen, und wenn der 8 Staat die Stadt⸗ und Ringbahn sowie die Vorortlinien gebaut hat,

Der Appell des Abg. Broemel ist zweitens an das Publikum gerichtet, und ich hoffe, daß er auch in dieser Beziehung erfolgreich

Deshalb ist ja auch das wirtschaftliche Leben, wie Herr Abg. Macco