drittes Bildungselement, das mir in aller und jeder Beziehung hochgefährlich — ich sage wohlbedacht hochgefähr⸗ lich — vorkommt, zulassen, und so würde ich mir gar nichts daraus machen, wenn wir nur Oberschlesier am neuen Seminar in Peiskretscham anstellten. Wie Bogedain aber denkt, wissen Sie; ich habe ihm daher auch ganz offen und ehrlich geschrieben:
Freund, wolltest Du polnische Propaganda in
Oberschlesien machen, Du könntest nicht anders
verfahren; und ich weiß es, ich bin fest davon überzeugt,
von solchen Tendenzen ist Dein deutsches Herz,
Dein patriotischer Sinn weit entfernt.
Die in diesen Vorstellungen der Provinzialbehörden und Beamten geäußerten Bedenken glaubte der Minister durch eine Deklaration seines vorerwähnten Erlasses genügend zu berücksichtigen. Wenn in seiner Verfügung von der polnischen „bezw.“ der ober⸗ schlesischen Sprache die Rede sei, erklärte er, so werde damit nur die letztere, insoweit sie Kirchen⸗ und Umgangssprache der oberschlesischen Bevölkerung sei, gemeint. In das Seminar und in die Schulen neben dem Mutterdialekt und der deutschen Sprache noch ein drittes Element, die „eigentlich polnische Sprache“, einzuführen, halte er nicht für gerechtfertigt.
An diesem Standpunkte ist auch in späteren Erlassen festgehalten worden.
Demgegenüber hob Bogedain in einer Eingabe nachdrücklich her⸗ vor, daß es ihm unmöglich sei, in den oberschlesischen Schulen, wie er sich ausdrückt, „den strichweise nüancierten Bauerndialekt zur Sprache und zum Gegenstande des Unterrichts zu machen“. Er bat, die Bedenken gegen die Einführung des Hochpolnischen fallen zu lassen und eine Konferenz von Sachverständigen zu berufen. Die Konferenz ist jedoch nicht abgehalten worden, weil, wie der Oberpräsident mit Recht darlegte, die Frage, ob die oberschlesische Mundart eine selbständige Sprache oder nur ein vom Hochpolnischen unbedeutend abweichender Dialekt sei, rücksichtlich ihrer materiellen Konsequenzen auf einen bloßen Wortstreit hinauskomme.
Es blieb daher formell die ministerielle Vorschrift bestehen, daß der polnische Unterricht im Seminar und an den Schulen im ober⸗ schlesischen Dialekt zu erteilen sei. Daß diese Vorschrift in der Praxis nicht ausgeführt wurde, dafür sorgten die aus Posen nach Ober⸗ schlesien berufenen, nur des Hochpolnischen mächtigen Lehrer, dazu zwang schon der Mangel an im oberschlesischen Dialekte geschriebenen Lehrbüchern. War doch das von Bogedain selbst verfaßte Liederbuch in tadellosem Hochpolnisch geschrieben, sodaß es, wie noch unlängst der „Kuryer Poznanski' bestätigte, auch in der Erzdiözese Gnesen⸗Posen in weiten Kreisen benutzt wurde.
Mit welchem Erfolge die Ausbreitung des Polnischen auf Kosten des bis dahin an den oberschlesischen Schulen überwiegenden Deutschen während der zehnjährigen Amtsdauer des Regierungs⸗ und Schulrats Bogedain betrieben worden ist, das zeigt die Tatsache, daß es ausgangs der sechziger Jahre eine Reihe von Gemeinden im Regierungsbezirk Oppeln gab, in denen die ältere Generation des Deutschen mächtig war, während die heranwachsende Jugend nur polnisch verstand. Noch charakteristischer ist es, daß eine Reihe von Gemeinden in den gemischtsprachigen Kreisen des Regierungsbezirks selbst um eine Vermehrung des deutschen Unterrichts und um die Uebermittelung besserer deutscher Kenntnisse an ihre Kinder baten. Leider hatten diese Beschwerden fast stets denselben Erfolg: sie gingen an die Schulräte, in erster Linie Herrn Bogedain, zur Prüfung, wurden eingehend untersucht und schließlich als unbegründet ab⸗ gewiesen. Selbst in den, in der unmittelbaren Umgebung der zumeist rein deutschen Städte gelegenen Landschulen, deren Schulkinder eine gründliche Kenntnis des Deutschen zu ihrem wirtschaftlichen Fort⸗ kommen kaum entbehren konnten, wurde an der polnischen Unterrichtssprache festgehalten, lediglich um jener von Herrn Bogedain in seinen Berichten und Gutachten hartnäckig verfochtenen Theorien willen. Und das Betrübendste ist hierbei, daß nicht einmal an denfenigen Schulen, in denen die deutschen Kinder einen erheblichen Bruchteil bildeten, eine Ausnahme zu Gunsten der deutschen Unter⸗ richtssprache gemacht wurde, sodaß die Schule an der Polonisierung zahlreicher ursprünglich deutscher Kinder geradezu mitschuldig wurde.
Daß die Regierung in Oppeln, als nach dem Abgange des Schul⸗ rats Bogedain im Jahre 1858 die üblen Folgen seines Systems in einer fortschreitenden Polonisierung der Bevölkerung immer deutlicher zu Tage traten, dieses System aufgab und dem Deutschen neben dem Polnischen die gebührende Berücksichtigung im Unterricht durch Erlaß entsprechender Instruktionen zu sichern suchte, war nur ihre Pflicht. Die Ergebnisse der gründlichen, unter Zuziehung angesehener Männer aus verschiedenen Lebensstellungen anfangs der siebziger Jahre vor⸗ genommenen Schulrevisionen zeigten aber, daß mit doppelter Unter⸗ richtssprache das Ziel der Volksschule allerdings nicht zu erreichen ist. Insofern hatte Bogedain ganz recht: eine aus⸗ reichende Bildung kann die Volksschule nur bei ein⸗ heitlicher Unterrichtssprache vermitteln. Daß in der preußi⸗ schen Volksschule diese Unterrichtssprache aber nur die deutsche sein kann, ist eine notwendige, nur in den 50 er Jahren nicht genügend beachtete Folge des deutschen Charakters des preußischen Staates. Ich glaube, durch diese allerdings sehr ausführliche, aber den akten⸗ mäßigen Vorgängen nicht allein, sondern auch dem tatsächlichen Her⸗ gange durchaus entsprechende Darlegung den Beweis geliefert zu haben, daß die Bemängelungen meiner damaligen Rede, zu denen der Herr Abg. Dr. Porsch sich bestimmt gefunden hat, doch nicht be⸗ gründet sind. Ich bedauere namentlich auch, daß einmal der Ausdruck „Verdächtigung“ gefallen ist gegenüber Aeußerungen von mir oder eines meiner Amtsvorgänger, und zweitens, daß die eventuelle Unzu⸗ verlässigkeit der ministeriellen Feststellungen und Akten in einer Weise hervorgehoben ist, die wohl geeignet ist, die Korrektheit der Fest⸗ stellungen der Zentralinstanz in ein Licht zu bringen, welches die öffentliche Meinung irreführen kann.
Lassen schon die von mir dargelegten schultechnischen Gesichtspunkte, sowie die in den 50 er Jahren gemachten Erfahrungen ein Festhalten an der deutschen Unterrichtssprache unerläßlich erscheinen, so macht gerade die nationalpolnische Agitation, wie sie jetzt in Oberschlesien hervortritt, jedes grundsätzliche Nachgeben auf dem Gebiet der Schulpolitik völlig unmöglich. Die Unterrichtsverwaltung würde durch solches Nachgeben lediglich die Geschäfte der gewerbsmäßigen polnischen Agitatoren be⸗ sorgen. Dagegen wird diese Verwaltung, wie bisher, auch künftig nach Kräften bemüht sein, die oberschlesischen Schulverhältnisse zu ver⸗
bessern. Was in dieser Hinsicht im besonderen die Anregungen des
8
Herrn Freiherrn von Zedlitz betrifft, so beweist schon das Bestehen des Fonds im Kapitel 121 Titel 37a, daß von mir die schwierige Aufgabe der oberschlesischen Volksschullehrer voll gewürdigt wird. Ich bin schon in die Erwägung eingetreten, ob die in diesem Fonds bereitstehenden Mittel ausreichen. Sollte sich ergeben, daß wir mit der im Laufe dieses Jahres zum ersten Male zur Verfügung stehenden Summe nicht auskommen, so werde ich mich nicht scheuen, mit dem Herrn Finanzminister über eine Erhöhung dieses Fonds für das Etatsjahr 1905 in Verbindung zu treten. Ob eine solche Erhöhung schon für das Jahr 1904 möglich sein würde, das müßte noch eingehenden etatsrechtlichen Erwägungen unterzogen werden und erscheint mir vorläufig zweifelhaft.
Meine Herren, ich bitte aus meinen Darlegungen zu entnehmen, daß die von mir gegebene Charakteristik des Herrn Regierungs⸗ und Schulrats Bogedain sich keineswegs auf eine Bemängelung seines Charakters, sondern nur auf eine Bemängelung derjenigen Maßnahmen erstreckt hat, die der genannte Herr, wie ich glaube, nicht zum Segen der staatlichen Interessen in seiner Stellung, wenn auch in gut gemeinter Weise, zur Geltung gebracht hat.
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Die Mittel für die Schulen in Oberschlesien reichen nicht aus. In meiner vom Minister erwähnten Rede habe ich nur aus dem Gedächtnis die Aeußerungen vom Ministertisch aus dem Jahre 1902 zitiert. Im Stenogramm lauten die Worte des Ministers allerdings etwas anders, als ich sie auf⸗ gefaßt habe. Ich hatte den Minister dahin verstanden, daß die Ver⸗ hältnisse in Oberschlesien auf die Tätigkeit des Schulrats Bogedain zurückzuführen seien, und darin eine Verdächtigung des Schulrats finden müssen. Ich freue mich, daß der Minister heute eine andere Erklärung abgegeben und die Tätigkeit des Schulrats Bogedain anerkannt hat. Von amtlicher Seite ist der Schulrat Bogedain als ausgezeichneter Pädagog bezeichnet worden. In einem Briefe hat er seine Stellung zur Sprachenfrage dahin erklärt, daß es unrichtig sei, einem Volke seine Muttersprache nehmen zu wollen, und daß das polnische Volk um so leichter germanisiert werden könne, je gebildeter es sei. In einer Denkschrift deutsch⸗evangelischer Missionare in Afrika, die der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt überreicht worden ist, heißt es, daß es falsch sei, in den Kolonien das Deutsche zur Unterrichtssprache zu machen, abgesehen davon, daß es ein Unrecht gegen die einheimische Bevölkerung sei. Diese Auffassung stimmt überein mit der Stellung des Schulrats Bogedain zur polnischen Sprache. Der Schulrat Bogedain kam zu einer Zeit nach Oberschlesien, in der das Lehrerpersonal seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Nach den damaligen pädagogischen Grundsätzen sollten polnische Bücher in den Schulen eingeführt werden, dann mußte der Schulrat doch dafür sorgen, daß die Kinder das Hoch⸗ polnische lernten. Aus pädagogischen Gründen hat er also der polnischen Sprache seine Pflege angedeihen lassen. Der Minister hätte, um seine Behauptung zu bekräftigen, nachweisen müssen, daß die Tätigkeit des Schulrats Bogedain Nationalpolen nach Oberschlesien gezogen habe; das kann er aber nicht nachweisen. Eine Aenderung in der Schul⸗ politik hat damals nicht stattgefunden; die Regierung zu Oppeln hat in ihrer Verfügung von 1863 angeordnet, daß der Religionsunter⸗ richt in polnischer Sprache erteilt werden müsse, weil er nur dann wirksam sein könne, und diese Verfügung ist erst 1873 vom Minister Falk aufgehoben worden. Es ist immer anerkannt worden, daß die polnische Bevölkerung in Oberschlesien durchaus loyal sei, daß die Germanisierung in den Industriebezirken Oberschlesiens fortschreite; noch Anfang 1880 ist dies ausdrücklich festgestellt worden. Das ist ein Beweis dafür, daß die Schulpolitik der früheren Jahre nicht den Anlaß zur großpolnischen Bewegung in Oberschlesien gegeben hat. Der Minister hat selbst anerkannt, daß diese Bewegung von außen nach Oberschlesien hineingetragen worden ist. Noch im Jahre 1881 hat ein Redner der polnischen Fraktion hier im Hause, Abg. Chla⸗ powski, erklärt, daß sich bis dahin die Polen gar nicht um Ober⸗ schlesien gekümmert hätten, und daß sie es jetzt nur täten, um die polnische Muttersprache zu schützen. Die Regierung selbst habe erst das Mißtrauen durch die Behandlung der polnischen Sprache hervor⸗ gerufen. Bis in die 80 er Jahre hinein ist also die polnische Frage in Oberschlesien lediglich eine Sprachenfrage gewesen. Heute sind die Zustände anders, was wir lebhaft beklagen. Die Schul⸗ politik der 50 er und 60 er Jahre steht in keinem Zusammenhang mit der jetzigen polnischen Bewegung in Oberschlesien. Wenn Herr von Zedlitz meint, erst durch die Tätigkeit des Schulrats Bogedain sei eine polnische Presse in Oberschlesien möglich geworden, so er⸗ widere ich darauf, daß der „Katolik“ 1870 oder 1871 begründet worden ist, also keineswegs von Bogedain beeinflußt sein kann. Taktische Erwägungen sind für unsere Stellungnahme in Oberschlesien nicht maßgebend. Es heißt immer: Was hat denn das Zentrum für die polnische Bevölkerung getan? Es ist die ausschlaggebende Partei und hat nicht erreichen können, daß die Muttersprache anerkannt wird. Daran ist die Regierung schuld, und das ist der circulus vitiosus. Daher wird es schwer, deutsche Kandidaten durchzubringen. Aber die Regierung hat immer gemeint, es würde ihr als Schwäche gegen die
olen ausgelegt werden, wenn sie die Wünsche des Zentrums erfüllte. Fs ist notwendig, der Bevölkerung einiges Entgegenkommen zu zeigen, damit wir aus dem circulus vitiosus herauskommen. Die Vorbereitung zur Beichte und Kommunion ist eine innerkirchliche Angelegenheit, und welche Sprache dabei gebraucht werden soll, muß zunächst die Kirche entscheiden. Es kann nicht von einzelnen Pfarrern bestimmt werden, sondern muß von höheren Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Die Frage des Beichtunterrichts gehört nicht zur Zuständigkeit dieses Hauses. Auf die Ostmarkenzulagen will ich nicht eingehen. Ich muß anerkennen, daß Oberschlesien seit Jahren in den Schulverhältnissen vernachlässigt worden ist; z. B. sind viel zu viel Kinder in einer Klasse, es mangelt an Schulgebäuden. Ich bitte die Regierung, dies Verhältnisse in ernste Erwägung zu ziehen und sich nicht durch vor⸗ eingenommene Berichte der Behörden bestimmen zu lassen.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren! Die Schlußausführungen des Herrn Abg. Porsch stehen in wohltuendem Gegensatz zu der Tatsache, daß er Aeußerungen eines polnischen Abgeordneten, die in der Stimmung der Kulturkampf⸗ zeit im Jahre 1879 gefallen sind, zu den seinigen gemacht und daraus Schlußfolgerungen gezogen hat, welche von neuem den Beweis liefern sollen, daß an der teilweise unerquicklichen Gestaltung der oberschlesischen Verhältnisse die Maßnahmen der Königlichen Staatsregierung die aus⸗ schließliche Schuld tragen. Ich gebe es auf, nachdem der Herr Abg. Porsch sich schon wiederholt im gleichen Sinne hier ausgesprochen hat, eine Verständigung mit ihm über das System herbeizuführen, in welchem die Unterrichtsverwaltung die Schulfrage in Oberschlesien zu behandeln hat. Allerdings kam ein Anklang daran zum Ausdruck, als ob die neuesten Vorgänge in Oberschlesien auch den Herrn Abg. Porsch zu der Ueberzeugung geführt haben, daß die Schulverwaltung genötigt sei, mit fester Hand die bisherigen Maßnahmen durchzuführen. Ich glaube, daß dieses Urteil einigermaßen den Eindruck abschwächen kann, als ob die Vorgänge bei den letzten Reichstags⸗ und Landtags⸗ wahlen in Oberschlesien spurlos an den maßgebenden politischen Persönlichkeiten der schlesischen Katholiken vorübergegangen wären. Die Vorgänge, wie sie sich z. B. in Laurahütte abgespielt haben, sollten doch in der Tat den beteiligten Herren einmal die Augen darüber eröffnen, auf welchen Bahnen sich eine Agitation bewegt, die von der Revolution nicht weit entfernt ist.
Meine Herren, die bisherige loyale Haltung der oberschlesischen Bevölkerung habe auch ich immer anerkannt, und wenn man nicht in einer Weise, wie sie der Herr Abg. von Jazdzewski in der gestern von
mir verlesenen Rede charakteristisch geschildert hat, in diese Stimmung eingegriffen hätte, so wäre sie meiner Ueberzeugung nach auch heute noch durchweg loyal.
Der Herr Abgeordnete irrt aber, wenn er meint, daß erst mit den Maßnahmen, die die Unterrichtsverwaltung im Jahre 1872 ge⸗ troffen hat, der Boden für eine Aenderung in der Stimmung der Oberschlesier bereitet sei. Ich habe hier schon einmal auf meine eigenen Erfahxungen hingewiesen. Diese stammen aus dem Jahre 1863, aus einet Zeit, in der die Wellenschläge der damaligen polnischen Insurrektion sich auch auf Oberschlesien erstreckten. Ich habe damals im Quartier gelegen in kleinen oberschlesischen Bauerndörfern, die zu dem polnischen Sprachgebiet gehören, und ich habe dort gesehen, daß Bücher des aufreizendsten Inhalts, den man sich nur denken kann, von der nationalpolnischen Agitation unter den Bauern verbreitet wurden. Einer dieser Bauern ist mit einem solchen Buche in der Hand zu mir gekommen und hat mir erklärt, er könne nur jum Teil über den Inhalt eines solchen Buches sich orientieren; wöohl aber hätte er den Aufschluß bekommen, daß es sich darum handelte, die oberschlesische Bevölke⸗ rung abspenstig zu machen von ihrer lovalen Gesinnung bezüglich ihrer Zugehörigkeit zum preußischen Staate. Er hielte sich für verpflichtet, mir zu sagen, daß eine solche Zumutung niemals in dem Kreise seiner Berufsgenossen und Glaubensgenossen Eingang finden würde.
Der damalige Mißerfolg hat die nationalpolnische Agitation durchaus nicht abgehalten, auf diesem Pfade weiter zu wandeln und die oberschlesische Bevölkerung weiter von außen her zu beeinflussen. Die Akten des Ministeriums des Innern können darüber Aufschluß geben, wie außerhalb des Armes der Gerichtsbehörden von nicht⸗ preußischen Polen auf die Bevölkerung eingewirkt worden ist.
Ganz im Zusammenhange damit stehen die Zeitungsunter⸗ nehmungen, die in damaliger Zeit ins Leben gerufen sind und die der Herr Abg. Porsch auch schon erwähnt hat. Hätten damals die maßgebenden politischen Persönlichkeiten katholischer Konfession in Schlesien diese Vorgänge besser beachtet, so hätte die Agitation unmöglich den Um⸗ fang gewinnen können, den sie später angenommen hat. Es ist ein ganz konsequentes System nationalpolnischer Agitation schon Dezennien lang betrieben worden und hat bei der Sorglosigkeit, die zum Teil Platz gegriffen hat, und bei der latenten Zuneigung einzelner ober⸗ schlesischer Bewohner zu dieser Agitation nachher die Er⸗ gebnisse gezeitigt, die bei den letzten Wahlen so traurig her⸗ vorgetreten sind. Ich brauche auf diese Frage nicht näher einzugehen; die inzwischen eingetretenen Verhältnisse rechtfertigen ja meine Mahnung, die ich hier vor Jahren schon ausgesprochen habe, daß die Beteiligten dieser Agitation scharf entgegentreten müßten. Die Regierung hatte und hat ja nicht die genügenden Handhaben, um zu verhindern, daß der teilweise vorbereitete Boden allmählich immer mehr aufgewühlt wird. Die wiederholt hier ausgesprochenen Be⸗ fürchtungen haben sich in vollem Maße bestätigt. Die Herren sind, glaube ich, in Oberschlesien selbst durch die Ereignisse überrascht worden, die diese Maulwurfsarbeit gezeitigt hat.
Zu dieser Maulwurfsarbeit gehört nicht allein die Presse; es ge⸗ hört dazu die Tätigkeit des Marcinkowski⸗Vereins, der seine Wirksamkeit auch auf Oberschlesien ausgedehnt hat (Widerspruch bei den Polen); — gewiß, meine Herren, das ist ganz zweifellos! — es gehört dazu die Niederlassung einzelner nationalpolnischer Persönlichkeiten in Ober⸗ schlesien; es gehören endlich dazu die wirtschaftlichen Genossenschaften, die in neuerer Zeit dort gebildet worden sind. Die Ausgangspunkte dieser Agi⸗ tation waren an sich geringfügig. Aber nach dem Grundsatze: „principiis obsta!“ hätte die beteiligte Bevölkerung von vornherein die ersten Ausgangspunkte von sich abwehren sollen, statt in einer Vertrauens⸗ seligkeit, die ich heute noch nicht verstehe, diese Sachen zu dulden.
Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Porsch unter anderem auch auf die Berichte der Missionare in Afrika hingewiesen. Meine Herren, ich hoffe doch, wenigstens darin Einverständnis zu finden, daß Missionsberichte über die Frage, nach welchen Gesichtspunkten die schwarze Rasse in Afrika zu behandeln sein dürfte, auf preußische Staatsbürger unmöglich Anwendung finden können. Es zeigt dies, was für Beispiele hier angeführt werden, um die Königliche Staats⸗ regierung ins Unrecht zu versetzen.é Ich bedaure sehr, daß ich auf diesem Wege nicht folgen kann.
Ich muß erneut Verwahrung dagegen einlegen, daß lediglich die Maß⸗ nahmen der Königlichen Staatsregierung die Schuld an den gegenwärtigen Zuständen in Oberschlesien tragen. Wenn diese Legende, die ich heute wieder zu zerstreuen versucht habe, weiter verbreitet wird, so wird in der oberschlesischen Bevölkerung schließlich eine Erbitterung Platz greifen, für die die Königliche Staatsregierung mit aller Bestimmtheit die Verantwortlichkeit von sich ablehnen muß.
„Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.):
berührte Frage gehört zu den schwierigsten Problemen unsere
Politik in Preußen Sie ist nicht nur eine Angelegenheit der Schule, auch nicht nur eine Angelegenheit Schlesiens, sondern 5. greift in andere Landesteile hinüber. Man will große Landstriche, die niemals “ in Beziehungen gestanden haben, den deutschen Interessen entreißen. gewissenlose Agitatoren von außen nach Oberschlesien gekommen sind und
die Bevölkerung beunruhigen. Die Regierung darf nichts versäumen,
um dieser Agitation mit allen gesetzlichen Mitteln entgegenzutreten.
Diese außerordentliche Agitation würde niemals einen so gefährlichen
Charakter angenommen haben, wenn sie nicht von besonderen Mo⸗
menten getragen würde. Es ist eine der traurigsten Erscheinungen des Kulturkampfes, daß seit dieser Zeit die oberschlesische Bebölkerung der Ansicht ist, daß sie in ihrer Sprache und Religion bedroht sei.
Dieser radikalen Stimmung ist Wind in die Segel geblasen worden
durch die gewaltigen sozialen Gegensätze unserer Zeit. Wir
wollen ganz offen 18 und sagen, daß in Oberschlesien
auf wirtschaftlichem ebiete in der Wahrung der Interessen
der Bevölkerung große Lücken vorhanden sind. Die polnischen Ein⸗
richtungen wirtschaftlicher Art hätten niemals einen solchen Umfang
gewinnen können, wenn sie nicht gleichzeitig einem dringenden Be⸗
dürfnis entsprochen hätten, und gerade hier hat die Regierung eine
roße Aufgabe zu lösen. Die oberschlesische Frage ist anders zu
ehandeln als die Verhältnisse in Posen und Westpreußen. Wenn
man auch in Schlesien die sprachliche Grenze zum Kriterium der
nationalen Gesinnung machen wollte, so würde man vielen treuen
preußischen Patrioten ihre Arbeit sehr erschweren. Auf dem Ge⸗
biete der Schule zollen wir der Tätigkeit der Lehrer innerhalb und
außerhalb der Schule volle Anerkennung und wünschen für sie, was
sie berechtigterweise verlangen können. Ob das aber auf dem Wege geschehen soll, den der Minister in Aussicht genommen hat, oder auf dem Wege der Ostmarkenzulage, darüber sind wir geteilter Meinung. Wir kämen da zu unermarteten Konsequenzen auch für andere Beamte. Ich verkenne die kulturelle Bedeutung der Schule nicht. Sie hat auch den Polen eine Menge Kenntnisse bei⸗
gebracht und ihnen dadurch den wirtschaftlichen und nationalen Kampf
Agitation großgezogen worden.
Die Frage hat einen akuten Charakter angenommen, seitdem
erleichtert. Aber es wäre ein kleinlicher Standpunkt, wollten wir die Polen deshalb aus den deutschen Schulen fernhalten; denn die spätere Ümgebung, die Presse usw. üben auf diesem Gebiete einen Einfluß aus, der durch die Schulen keineswegs ausgeglichen werden kann. Welche Grundsätze soll nun aber die Schulverwaltung in diesen gemischtsprachigen Landesteilen für den Unterricht befolgen? Ehe man die gegenwärtigen Grundsätze modifiziert, muß man sich zehnmal überlegen, was man tut. Was ist denn das Ziel der Schule? Die Schule hat eine deutsch⸗nationale Mission, hauptsächlich in den öst⸗ lichen Provinzen, zu erfüllen. Sie soll die Jugend in deutscher Sprache und deutscher Gesinnung erziehen. Die Pflege der Mutter⸗ sprache kann dabei nur so weit berücksichtigt werden, als sie die anderen Interessen fördert. Ich bitte den Minister, diesen Gesichtspunkten mit voller Aufmerksamkeit Rechnung zu tragen. Die Regierung darf die Schulen von dieser Richtungslinie nicht abdrängen, wenn sie nicht die Interessen unseres Vaterlandes gefährden will.
Abg. Korfanty (Pole): Ich hätte nicht das Wort genommen, wenn nicht gestern Herr Glowatzki einen Teil des polnischen Volks in Oberschlesien beschimpft hätte. Mein Freund Jazdzewski hat mit Recht gesagt, daß Oberschlesien ein vernachlässigtes Land gewesen ist. Der polnische Arbeiter in Oberschlesien ist durch die Grundbesitzer systematisch gemißhandelt und ausgesaugt worden; hierdurch ist die Dazu gesellte sich die Schnaps⸗ seuche. So war es möglich, daß das Volk nicht in die Höhe kam. Das wissen Sie alle ebenso gut wie ich. Wie es den oberschlesischen Arbeitern jahrzehntelang ergangen ist, erweist die Statistik; die Löhne sind nirgends so niedrig wie dort. Dazu kam noch der Kulturkampf. Um das oberschlesische Volk als Mitstreiter zu gewinnen, lenkte das Zentrum nach der nationalen Seite ein. Da erwachte endlich das polnische Volk. Herr Glowatzki sagte, daß wir das Zentrum als Partei mit Verleumdungen und Fälschungen angegriffen haben. Wir haben das Recht, unsere Nationalität zu betätigen. Obwohl das Zentrum dieses Recht an⸗ erkennt und im Reichstag und Abgeordnetenhaus den Gebrauch der polnischen Sprache in der Schule theoretisch gefordert hat, ist doch die Praris des Zentrums in Oberschlesien ganz anders gewesen. Um diese Praxis ging der Kampf. Ich wäre vielleicht nicht Pole, wenn meine Lehrer mich nicht Schritt für Schritt vor den Kopf ge⸗ stoßen hätten. Durch die Schul⸗ und die Polenpolitik der Regierung überhaupt ist uns erst ein Licht aufgegangen. Man kümmert sich ar nicht darum, daß unsere Nation eine geschichtliche Vergangenheit hät. Die Unterdrückung hat uns erst zusammengeschmiedet. Die Schikanierung arbeitet für uns, sie bringt uns unsere Nationalität zum Bewußtsein. Der Unterschied zwischen der Theorie des Zentrums hier im Hause und der Praxis in Oberschlesien trägt die Schuld daran, daß für das Zentrum bei den Wahlen die Grenze so ungünstig gezogen worden ist. Zentrumsleute haben, dem Druck der Kreisschulinspektoren folgend, die polnischen Kinder in den deutschen Unterricht geschleppt, Zentrumsleute haben unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit deutsche Kleinkinderschulen gegründet, Pfarrer germanisieren, wo sie nur können. Zentrumsführer und Geistliche haben allen patriotischen Klimbim mitgemacht. (Vizepräsident Dr. Krause ruft den Redner für den verletzenden Ausdruck, daß der Patriotismus Schwindel sei, zur Ordnung und bemerkt, als der Redner widerspricht, daß der stenographische Bericht ergeben werde, ob der Ordnungsruf aufrecht zu erhalten sei.) Polnische Versammlungen hat man unmöglich ge⸗ macht. Zentrumsführer arbeiten an der Germanisierung des polnischen Volkes. In Herrn Szmulka hat man bei der Wahl einen Groß⸗ grundbesitzer dem Volke gegenübergestellt, dasselbe hat sich in Schroda wiederholt. Nicht wir sind schuld, sondern die deutschen Katholiken sondern sich ab. Herr Glowatzki hebt die 50 000 sozialdemokratischen Stimmen in Oberschlesien hervor. Es kam zwischen uns und den Sozialdemokraten ein Kompromiß zu stande; die Bedingungen, welche die Sozialdemokratie stellte, konnte ich mit gutem Gewissen erfüllen. Nicht gegen den Hirtenbrief des Fürstbischofs haben wir uns gewandt, sondern gegen die Art und Weise, wie er bei den Wahlen gegen uns ausgenutzt worden ist. Ich würde mich als katholischer Mann schämen, diese Sache in die Debatte zu ziehen. (Rufe im Zentrum: Laura⸗ hütte!) Es ist abgeschmackt, meinen Vater hier hereinzuziehen. Geben Sie uns polnische Schulen, polnische Gerichte, polnische Universitäten; dann können wir auf Ihrer Seite stehen. So aber müssen Sie sich damit abfinden, daß die Oberschlesier Polen sind und Abgeordnete herschicken, die der polnischen Fraktion beitreten. Wir wollen die Kinder zu Menschen, Christen und freien Bürgern erziehen, und G wir nur erreichen, wenn der polnische Unterricht gestattet wird.
Vizepräsident Dr. Krause bemerkt, das Stenogramm ergebe, daß der Redner von „patriotischem Klimbim“ gesprochen habe, während er selbst „patriotischen Schwindel“ verstanden habe. Aber trotzdem halte er den Ordnungsruf aufrecht; es könne auch nicht geduldet werden, daß der Patriotismus als „Klimbim“ bezeichnet werde.
G Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt: 8 Der Herr Abg. Korfanty hat gegen die oberschlesische Lehrerschaft Vorwürfe erhoben, die ich nicht unerwidert lassen kann. Ich stelle dem Herrn Abgeordneten anheim, die einzelnen Fälle auf dem instanz⸗ lichen Wege zur Sprache zu bringen, sie werden dann ihre Remedur finden. Aber der allgemein gehaltene Vorwurf nötigt mich, zu er⸗ klären, daß diese Ausführungen unmöglich sachlich waren. Ich muß die oberschlesische Lehrerschaft gegen solche Vorwürfe in Schutz nehmen. Darauf beschränke ich mich.
Im übrigen habe ich den Ausführungen des Herrn Abgeordneten, abgesehen von einigen phantasievollen Abschweifungen, weiter nichts als eine glänzende Bestätigung meiner gestrigen und heutigen Dar⸗ legungen entnehmen können. Ob die neue Eroberung für die polnische Fraktion dem Interesse derselben gedient hat, überlasse ich dem Urteil des Hauses. (Lachen.)
Abg. 8.88 (Zentr.): Die Zeitungsleser des Abg. Korfanty dürften nach dem Inhalt seiner Zeitung auf das Prädikat „national“ keinen Anspruch machen. Die polnische Presse hat die Bevölkerung in ganz Oberschlesien verhetzt und sie zu einem Schauplatz der Leiden⸗ schaften gemacht. Die Bevölkerung hat viele Jahre in gutem Ver⸗ hältnis zur Zentrumspartei gestanden. Dieses Verhältnis hat dadurch elkth. daß die Beschwerden des Zentrums in bezug auf die ober⸗ chlesischen Verhältnisse bei der Regierung nie eine Erhörung gefunden haben. Die Bevölkerung mußte dadurch den Eindruck gewinnen, als habe das Zentrum nichts für sie getan; und so ist es gekommen, daß die radikalpolnische Bevölkerung sich vom Zentrum abwandte und Umarmungen mit der Sozialdemokratie feierte. Der Abg. Korfanty denn auch mit 10 000 sozialdemokratischen Stimmen gewählt. Die Schuld daran tragen in erster Linie die Staatsregierung, in zweiter die Hakatisten und erst in dritter Linie die radikalpolnische Bevölkerung. Seit den Erlassen von 1872 und 1873 ist das Volk in Aufregung versetzt, denn es handelte sich hier um eine schwere Schädigung der Muttersprache und der Religion. Seit der Ft Falks hat der gesamte Klerus gebeten, man möchte auf diesem ebiete Wandel schaffen, aber vergeblich. Nicht bloß liberale Blätter haben geurteilt, daß die Maßnahmen der Unterrichtsverwaltung den Stempel der Unduldsamkeit an der Stirn trügen, und selbst der Ministerpräsident hat sich dagegen ausgesprochen, daß der Religions⸗ unterricht als Mittel zur E werde. Wenn die Kinder sechs Jahre alt sind und in die Schule kommen, richtet sich zwischen ihnen und den Eltern plötzlich eine Steinwand in dem deutschen Schulunterricht auf. Die Erziehung der Schule steht im egensatz zur Erziehung im Elternhause, und wie wird den Kindern die deutsche Sprache beigebracht! Sie erhalten Stock⸗ schläge und Ohrfeigen und werden am Haar gerissen. Man kann es nur wehmütig mit ansehen, wenn die kleinen Kinder in der Pause, da sie sich nur deutsch unterhalten dürfen und doch nicht deutsch sprechen können, lieber schweigsam nebeneinander hergehen. Wir haben die feste Ueberzeugung: wenn nicht auf irgend eine Weise der ober⸗
8
schlesischen Bevölkerung zu Hilfe gekommen wird, werden die Dinge noch ärger werden. Deutsch zu lernen, hat man auch außerhalb der Schule Gelegenheit genug: wenn man zur Post geht, auf der Eisenbahn fährt usw. enn Herr Hackenberg betonte, daß der Religionsunterricht aus der tiefsten Tiefe erfaßt werden müsse, so ist dies doch nur mit Hilfe der Muttersprache megnch Der Religionsunterricht muß nun einmal in der Muttersprache erteilt werden. Vor dem national⸗ polnischen Geiste braucht sich niemand zu fürchten. In ganz Oberschlesien ist ein nationalpolnischer Geist nicht vorhanden. Wenn die polnische Bewegung zugenommen hat, so hat dies andere Ursachen. Die Verherrlichung, die der Laurahütter Krawall⸗ prozeß in der Presse gefunden hat, ist eine Infamie. Die Laura⸗ hütter Krawalle haben über 100 Jahre Zuchthaus und Gefängnis eingebracht. Das sind die Früchte der radikalpolnischen Agitation. Der hochverdiente Abg. Letocha ist neben anderen aus diesem Hause hinausgedrängt worden. Von ihm behauptete die polnische Presse, daß er das Volk irregeführt habe. Der „Gornoslonzak“ hat be⸗ hauptet: Heuchelei und Falschheit ist der Charakter der oberschlesischen Zentrumspartei. Der „Vorwärts“ hat schon vor fünf Jahren ge⸗ schrieben, daß die radikalen Polen Sozialdemokraten werden würden, und der Abg. Korfanty selbst soll sich ja um den 188 eines sozial⸗ demokratischen Redakteurs beworben haben. Die egierung muß für den Religionsunterricht den Gebrauch der polnischen Muttersprache gestatten, nur so lassen sich die Verhältnisse bessern. Die radikal⸗ polnische Bewegung hat Oberschlesien schwere Wunden geschlagen.
Ministerialdirektor D. Schwartzkopff: Ich will nur die ober⸗ schlesischen Lehrer gegen den Vorwurf in Schutz nehmen, daß sie in übermäßiger Weise vom Züchtigungsrecht Gebrauch machten. Die Unterrichtsverwaltung will selbstverständlich nicht, daß in übertriebener Weise vom Züchtigungsrecht Gebrauch gemacht wird, und die Auf⸗ sichtsbehörden schreiten ein, sobald derartiges zu ihrer Kenntnis gelangt.
kann aber bestätigen, daß derartige Fälle relativ selten vor⸗ kommen; dagegen kommt es ziemlich häufig vor, daß unbegründete Klagen gegen die Lehrpersonen erhoben werden. Wenn der Vor⸗ redner Fälle kennt, so bitte ich ihn, sie zu unserer Kenntnis zu bringen, damit wir prüfen, ob die Beschwerden begründet sind oder nicht. Solange das nicht geschieht, muß ich daran festhalten, daß die Lehrer ihre Aufgabe vollkommen erfüllen.
Darauf wird die Debatte geschlossen. Persönlich bemerkt
Abg. Korfanty, die Behauptung, daß er sich um die Stellung eines sozialdemokratischen Redakteurs beworben habe, sei falsch. Wer das dem Abg. Faltin mitgeteilt, habe einfach gelogen.
Abg. Faltin erwidert, daß er diese Mitteilung dem „Vorwärts“ entnommen und der „Vorwärts“, als Korfanty es bestritten, dies als schamlos bezeichnet habe.
Abg. Korfanty hält seine Bemerkung aufrecht und fügt hinzu, daß er einen sozialdemokratischen Redakteur wegen dieser Behauptung verklagt habe, der Herr aber über die Grenze gegangen sei.
Der Titel „Gehalt des Ministers“ wird bewilligt.
Das Gehalt des Vorstehers der Meßbildanstalt für Denkmalaufnahmen ist im Etat als künftig wegfallend be⸗ zeichnet.
Abg. Graf Praschma (Zentr.): Der verstorbene Abg. von Heereman hat wiederholt die Meßbildanstalt anerkennend erwähnt, und wir haben ihre Reproduktionen wiederholt gesehen, u. a. auch die Restitution des Wetzlarer Doms Ich hoffe, daß der Leiter der Anstalt noch recht lange an der Spitze des Instituts stehen werde, und würde es mit Freuden begrüßen, wenn die Anstalt dauernd gesichert wäre. Das Verständnis für die Denkmalpflege wird immer mehr wachsen, und ich möchte anregen, daß die Anstalt dem Landes⸗ konservator eine Hilfe bieten möge, indem sie ihm aus dem Lande die historischen und bildlichen Unterlagen für die Denkmalpflege bei⸗ brächte. Ich bitte die Regierung, wohlwollend zu erwägen, ob nicht der Etatsvermerk „künftig wegfallend“ fortfallen könnte.
Geheimer Oberregierungsrat Dr. Schmidt: Die Anstalt ist allerdings auf die Person des Leiters zugeschnitten. Wir werden aber die Anregung wohlwollend in Erwägung ziehen und alles tun, um die Anstalt zu erhalten.
Bei dem Kapitel „Evangelischer Oberkirchenrat“ weist
Abg. Meyenschein (kons.) darauf hin, daß in den Etat eine Ein⸗ nahme von 3369 ℳ aus Beiträgen von 25 Kassen des ehemaligen Konsistorialbezirks Hanau eingestellt sei. Die Verpflichtung der Kirchenkassen, zu den Kosten des Kirchenregiments beizutragen, sei altes hessisches Recht, anders aber stehe es mit den Stiftungs⸗ kassen. Aus Gründen der Gerechtigkeit müsse jedoch auch die Pflicht der Kirchenkassen beseitigt werden. Die Finanzen des Staats würden nicht in Frage gestellt werden, wenn er auf diese 1100 Taler verzichte. Früher seien diese Beiträge der Kirchenkassen dazu benutzt worden, das Konsistorialgebäude in Hanau zu unterhalten: jetzt sei die Kirche ihr Gebäude los, aber die Beiträge würden weiter gefordert. Auf dem Rechtswege hätten sowohl die Kirchenkassen wie die Stiftungs⸗ kassen nichts erreicht. Es bleibe ihnen nur die Bitte in diesem Hause. Die Gemeinde Bischofsheim habe eine Petition an das Haus eingereicht.
Berichterstatter Abg. Winckler teilt mit, daß diese Petition von der Kommission für ungeeignet zur Beratung erklärt worden, weil der Instanzenzug noch nicht erschöpft sei.
Abg. von Pappenbeim (kons.) beantragt, die Kommission zurückzuverweisen.
Das Haus beschließt demgemäß. v
Zu dem Kapitel „Evangelische Konsistorien“ bemerkt
Abg. Dr. Rewoldt (freikons.), daß dem Plebanat Gützkow in⸗ folge der geschichtlichen Entwickelung der Verhaͤltnisse die Besoldung des Generalsuperintendenten von ommern zur Hälfte zufalle, die andere Hälfte der Staat zahle. Dieser seit alter Feit bestehende Zu⸗ stand bedürfe jetzt unter veränderten Verhältnissen dringend der Ab⸗ änderung.
Ein Regierungskommissar erwidert, daß für die Aufrecht⸗ erhaltung des bisherigen Zustandes auch kirchliche Interessen maß⸗ gebend gewesen seien. Das Plebanat Gützkow sei seit langer Zeit eine Pfründe. Die Regierung werde aber mit dem Oberkirchenrat noch einmal in eine Erwägung der Angelegenheit eintreten.
Abg. Dr. Rewoldt: Ich muß dazu bemerken, daß das, Plebanat Gützkow erst seit 1886 eine Pfründe ist.
Abg. Rosenow (fr. Volksp.) führt darüber Beschwerde, daß die Swinemünder Hausbesitzer nach einer Verordnung von 1793 an die Kirche eine Abgabe und außerdem eine vs zu zahlen hätten; die Gemeinde habe die ebangelischen Hausbesitzer von der Abgabe befreit, die Angehörigen der anderen Konfessionen aber nicht.
Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Ich kann mich den Ausführungen des Vorredners nur anschließen. 8 8
Ein Regierungskommissar erklärt, daß die evangelische Gemeinde in Swinemünde nach einer reichen Erbschaft den Beschluß gefaßt habe, auf die Beiträge der evangelischen Hausbesitzer zu ver⸗ zichten. Der Minister werde aber Fera . nehmen zu erwägen, ob nicht aus Billigkeitsgründen von der Erhebung der Abgabe ab⸗ gesehen werden könne. b
Auf eine Bemerkung des Abg. Funck (fr. Volksp.) erwidert
Ministerialdirektor von Chappuis, daß die kirchliche Behörde den Verzicht auf die Beiträge nicht weiter ausdehnen wolle, und der Minister hierüber nicht zu entscheiden habe.
Abg. Dr. Friedberg (nl.) bemerkt dazu, daß hier eine Anomalie vorliege, die aller Billigkeit Hohn spreche. Der Minister dürfe die Ausnutzung der Hausbesitzer nicht dulden.
Die Abgg. Dr. Lotichius (nl.) und Graf von Wartens⸗ leben (kons.) sprechen sich anerkennend über die in Aussicht gestellte Erhöhung der Remunerationen und Dienstaufwandsentschädigungen der Superintendenten und der Generalsuperintendenten aus, denen hier⸗ durch der Verkehr von Auge zu Auge und von Mund zu Mund im Interesse ihres Amtes werde ermöglicht werden.
die Petition an
Ministerialdirektor von Chappuis bedauert, daß die in Aus⸗ sicht genommene Erhöhung nicht schon im diesjährigen Etat Platz greifen konnte.
Um 4 Uhr vertagt das Haus weitere Beratung bis Montag, 11 Uhr. 8 —
Handel und Gewerbe.
(Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten „Nachrichten für Handel und Industrie“.)
Kohlenproduktion und ⸗konsum der Welt, Anteil der wichtigsten Länder.
Unter Zugrundelegung der amtlichen Statistik beläuft sich die jährliche Weltproduktion an Kohlen — mit Ausnahme der Braun⸗ kohlen — auf etwas über 700 Millionen Tons. An ihr sind in der Hauptsache die Vereinigten Staaten. von Amerika, Groß⸗ britannien, Deutschland, Frankreich und Belgien beteiligt. Welchen Umfang die Kohlenerzeugung während der Jahre 1900 bis 1902 in den genannten Ländern erreicht hat, geht aus nachstehender Tabelle hervor. Bemerkt sei jedoch, daß in dieser Zusammenstellung für die Vereinigten Staaten und Großbritannien die Longtonne mit 2240 engl. Pfund, für Deutschland, Frankreich und Belgien die metrische Tonne mit 2204 engl. Pfund in Ansatz gebracht worden ist. Außerdem ent⸗ fällt ungefähr ein Drittel der für Deutschland angegebenen Pro⸗ duktionsziffer auf die Gewinnung von Braunkohlen, und die Mengen und Werte der belgischen Produktion sind, da das statistische Material noch nicht veröffentlicht war, schätzungsweise angenommen.
Es produzierten:
1902
Menge Wert öʒ Tons 1000 ₰
1900 1901
Menge Wert in 1000 in Tons 1000 5
Menge Wert in 1000 in
Tons 1000
Verein. Staaten
von Amerika [240788 3194507[261874 363450 [269195 371927 Großbritannien [225181 6082651219047 512435[227095 467605 Deutschland 149551 *) 241515 [153019 *) 253815[150600*) 262667 Frankreich. 32722 9836031634 99870 29574 92745 Belgien 23463 70389 22213 66639 22769 68307.
Hiernach stellen die Vereinigten Staaten von Amerika und Groß⸗ britannien zusammen ungefähr zwischen zwei Drittel und drei Viertel der Welterzeugung her; die Produktion der Vereinigten Staaten von Amerika beträgt über ein Drittel und die Großbritanniens etwas weniger als ein Drittel der Gesamtsumme. Hinsichtlich der erzeugten Menge behaupten die Vereinigten Staaten von Amerika bereits seit 1899 den ersten Platz, in bezug auf den Wert der Produktion da⸗ gegen steht Großbritannien bei weitem an erster Stelle. Unter Be⸗ rechnung der pro Kopf der Bevölkerung produzierten Menge rangieren Großbritannien mit 5 ½ Tons, die Vereinigten Staaten von Amerika mit 3 ½ Tons und Belgien mit 3 ½ Tons den übrigen Ländern voran.
Die Zahl der im Kohlenbergbau beschäftigten Arbeiter betrug (unter Angabe der betreffenden Jahreszahl in Klammern): in den Vereinigten Staaten von Amerika 518 307 (1902), in Großbritannien 805 100 (1902), in Deutschland 448 000 (1901), in Frankreich 159 957 (1901) und in Belgien 134 092 (1901). Hiernach stellte sich die von den einzelnen Arbeitern durchschnittlich pro Jahr geförderte Kohlenmenge auf 520 Tons in den Vereinigten Staaten von Amerika, 278 Tons in Großbritannien, 242 Tons (Steinkohlen) in Deutschland, 198 Tons in Frankreich und 166 Tons in Belgien. Die auf den ein⸗ einzelnen Arbeiter entfallende produktive Leistung ist daher in den Vereinigten Staaten von Amerika bei weitem die größte, was, wie man wohl mit Recht annehmen darf, in erster Linie den in Amerika in Gebrauch befindlichen vorzüglichen Kohlenfördermaschinen zuzu⸗ schreiben ist. Außerdem befinden sich die Kohlenlager dort erheblich dichter unter der Erdoberfläche, sodaß die Schachtanlagen weniger tief und der Betrieb mit Schleppkarren viel ausgedehnter ist als in den übrigen Ländern.
Was die Kohlenein⸗ und ⸗ausfuhr anbetrifft, so bleibt nur Frank⸗ reich mit den Verschiffungen hinter seinen Kohlenbezügen zurück, während die übrigen vier Länder weit mehr Kohlen exportieren als sie von außerhalb beziehen. Die Ausfuhr aus Großbritannien und Deutschland zeigte 1902 gegen das Vorjahr eine Zunahme, aus den Vereinigten Staaten von Amerika dagegen hatte sie nachgelassen, wohingegen die Einfuhr nach der Union in dieser Zeit gestiegen war. Im einzelnen gestaltete sich die Kohlenein⸗ und ⸗ausfuhr 1902 in den fünf Ländern, wie folgt:
Mithin
die Ausfuhr höher (+.)
oder niedriger (—)
Menge in 1000 Tons
Vereinigte Staaten von Amerika. 2 544 6 127 + 3 583 84* 3 60 400 + 60 397 Deutschland. 14 752**) 19 002**) + 4 229 Frankreich. 1 . 13 641 1 016 — 12 625 Belgien I1I16““ 3 496 6 574 + 3 078. In der britischen Exportziffer sind 15 148 000 Tons Bunkerkohlen enthalten, die für den Dampferkonsum im Verkehr mit dem Auslande bestimmt waren. Auch der französische Export enthält die zu gleichem Zweck verwendeten Mengen, während die Zahlen für Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika diese Ausgänge nicht mit einschließen. 8
Der Kohlenverbrauch erreichte im ganzen sund pro Kopf der Be⸗ völkerung folgenden Umfang: 1
1902 pro Kopf der Bevölkerung Menge in 1000 Tons Tons
265 612 3,38 166 698 3,97 146 370 **) 2,44 Fereec 1 44 657 42 199 1,08 1161616““ 19 691 2,86.
Die Zahlen ergeben für die Vereinigten Staaten von Amerika den größten Kohlenkonsum. Die auf den Kopf der Bevölkerung ent⸗ fallenden Konsummengen sind naturgemäß dort am größten, wo Eisenbahnwesen und industrielle Tätigkeit am meisten entwickelt sind. Bei Anlegung dieses Maßstabes schneiden jedoch Deutschland, Frank⸗ reich und die Vereinigten Staaten von Amerika insofern mn geftiger ab, als in diesen Ländern zum Maschinenantrieb eine nicht un⸗ bedeutende Menge anderer Stoffe, wie Torf, Spiritus, Oel, Holz usw. (letztere beiden besonders in den Vereinigten Staaien von Amerika) verwendet werden. 88 1
Was die übrigen an der Weltproduktion beteiligten Länder an⸗ betrifft, so wäre noch zu erwähnen, daß Canada vorläufig weit mehr Kohlen konsumiert, als es produzieren kann. Den Mehrbedarf haben bis jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika gedeckt, doch dürften diese Bezüge in Zukunft nach Erschließung der auf mindestens 7000 Millionen Tons Kohlen geschätzten Felder in Neu⸗Schottland
*) Davon Steinkohlen (nach deutscher Statistik in 1000 Tonnen): 1900: 109 290 — 1901: 108 539 — 1902: 107 474. **) Einschließlich von Koks, Preß⸗ und Braunkohlen bei der Ein⸗
Einfuhr Ausfuhr
Vereinigte Staaten von
b Großbritannien Deutschland
256 407 161 271 142 250***)
—
**) Einschließlich von Braunkohlen.