1904 / 75 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 28 Mar 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Seine Königliche Hoheit der Großherzog von burg ist heute an Bord des von der Auslandsreise heim⸗ kehrenden Schulschiffes „Großherzogin Elisabeth“ des deutschen Schulschiffsvereins in bestem Wohlsein in Bremerhaven ein⸗ getroffen.

Die Zweite Kammer des 28. Landtags ist, wie der „Hann. Courier“ mitteilt, am Sonnabend durch den Minister Willich im veteng Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs geschlossen worden.

Oesterreich⸗Ungarn.

ungarische Oberhaus hat am Sonnabend, wie „W. T. B.“ berichtet, das Budgetprovisorium für das erste Halbjahr 1904 und die Rekrutenvorlage für 1904 angenominen.

Großbritannien und Irland.

Aus Dartmouth vom gestrigen Tage erfährt das „Reutersche Bureau“, britische Marineoffiziere hätten sich gestern an Bord des Dampfers „Princesse Marie“ begeben, der unter dänischer Flagge von Port Arthur eingetroffen war, da man den Verdacht gehegt habe, daß der Dampfer ein russisches Schiff sei, das die Neutralitätsgesetze übertrete. Bei einem späteren zweiten Besuch an Bord seien die gesamten Schiffspapiere sorgfältig durchgesehen worden. Schließlich sei dem Dampfer erlaubt worden, 500 Tonnen Kohlen einzunehmen, die ausreichend sein

würden, um die Ostsee zu erreichen, und das Schiff habe nach

eeinem Aufenthalt von einigen Stunden seine Reise fortgesetzt.

Frankreich.

Der von der französischen Regierung gegen die jüngste Ansprache des Papstes erhobene Einspruch hat, dem „W. T. B.“ zufolge, folgenden Wortlaut:

Die vom Heiligen Vater anläßlich des St. Josephs⸗Festes getanen Aeußerungen stellen eine öffentliche Beurteilung und Kritik der fran⸗ zösischen Politik dar. Diese Kritik kann um so weniger hingenommen werden, als keine einzige jener Maßnahmen, auf die die päpstliche Ansprache hinwies, den Bestimmungen des Konkordats zuwiderläuft, das die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Frankreich regelt. Die französische Regierung hat deshalb die Pflicht, in formeller Weise bei Seiner Eminenz dem Kardinal⸗Staatssekretär gegen diese Ansprache zu protestieren, die sie weder der Form noch dem In⸗ halte nach hinnehmen kann.

Der progressistische Republikaner Graf Saint⸗Quentin und der sozialistische Radikale Barbaza sind gestern zu Senatoren gewählt worden, der erstere im Departement Calvados, der letztere im Departement Aude.

Das russische Schlachtschiff „Olsjabja“ ist mit drei Torpedobootszerstörern gestern von Algier nach Cadix und Vigo in See gegangen. 8

Italien. 8

Der König traf, wie „W. T. B.“ berichtet, am Sonn⸗ abendvormittag in Begleitung der Minister Tittoni und Mirabello in Neapel ein und wurde auf dem dortigen Bahnhofe von den Behörden begrüßt. Kurz nach 12 ½ Uhr begab sich Allerhöchstdersee be vom Königlichen Schlosse auf ie Jacht „Hohenzollern“, wo der König von dem Kaiser

ilhelm am Fallreep erwartet und überaus herzlich begrüßt urde. Um 6 Uhr Abends reiste der König nach Rom ab.

In der vorgestrigen Sitzung der Deputiertenkammer führte der Deputierte Santini aus, er glaube im Sinne des Hauses zu handeln, wenn er den Präsidenten bitte, dem Kaiser Wilhelm nd dem König Viktor Emanuel die Gefühle zu er⸗ k zu geben, die das italienische Parlament für ihr neues glückliches Zusammentreffen hege. Er entbiete den beiden Monarchen seinen Gruß und wünsche, daß die Zusammenkunft den bis⸗ herigen ruhmreichen Frieden für lange Zeit besiegeln möge. Der dräsident Biancheri machte unter Hinweis auf die Bande der Freundschaft, die die deutsche und die italienische Nation umschlängen, den Vorschlag, das Haus möge seiner Freude über den durch die beiden Souveräne repräsentierten Bund der beiden Länder in einem Telegramm an den König Viktor Emanuel Ausdruck verleihen. Dieser Vorschlag fand die einstimmige Billigung des Hauses.

Die Kammer hat sich vorgestern bis zum 5. Mai, der Senat auf unbestimmte Zeit vertagt.

Portugal. Aus Lissabon wird dem „W. T. B.“ gemeldet, Rodrigo Pequito sei an Stelle von Teixeira de Souza, der demissioniert habe, zum Finanzminister ernannt worden.

Türkei.

Der „Temps“ meldet aus Konstantinopel, der fran⸗ EEEö11““ habe der Pforte im Auftra ge es Ministers des Aeußern Delcassé mitgeteilt, daß Frank⸗ reich rückhaltlos den von den Botschaftern Oesterreich⸗Ungarns und Rußlands aufgestellten Bedingungen, betreffend die Um⸗ gestaltung der Gendarmerie in den Wilajets Saloniki, Mo⸗ nastir und Kossowo, beitrete und diese Forderungen der beiden Botschafter energisch unterstütze.

Das Wiener „Telegr.⸗Korresp.⸗Bureau“ berichtet, der diplomatische Agent Bulgariens Natschowitsch habe vor⸗ gestern die Pforte im Auftrage seiner Regierung zur Unter⸗ zeichnung der formell längst beendigten Verhandlungen zwischen der Türkei und Bulgarien gedrängt.

Rumänien. Die Session des Parlaments erfährt, bis zum 6. April verlängert

Die russische Regierung hat, nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“, der Regierung der Ver⸗ einigten Staaten die Sperrung der Liaomündung durch Minen notifiziert.

Der General Kuropatkin ist gestern, wie die „Russische Telegraphen⸗Agentur“ berichtet, im Hauptquartier Mukden eingetroffen. Auf dem Bahnhofe wurde er von einer Ehren⸗ wache mit Fahne und Musik empfangen; von dort begab er sich zum Statthalter Alexejew.

Ein Telegramm des Statthalters, Generals Alexejew an den Kaiser von Rußland aus Mukden vom 26. d. M. meldet, wie dem „W. T. B.“ aus St. Petersburg mit⸗ geteilt wird:

Ein Bericht des Generals Mischtschenko vom 23. März 11 Uhr Vormittags besage, der General habe zwei Sotnien ausgesandt, um durch einen Erkundungsritt festzustellen, welche Streitkräfte des 5 den Fluß Tschingtschangan überschritten hätten. Eine

otnie habe 1 ½ Werst von Paktschöngan entfernt eine 30 Mann starke berittene feindliche Abteilung bemerkt, die beim Herannahen der Sotnie Verstärkung erhalten und der sich auch Infanterie angeschlossen habe.

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Zwei Züge der Kosaken seien abgesessen und hätten auf 400 Schritte das Feuer gegen die feindliche Patrouille eröffnet. Auf japanischer Seite seien ein Offizier und ein Soldat gefallen. Nachdem einige Salven abgegeben worden seien, habe die Patrouille die Mitteilung erhalten, daß die feindliche Infanterie vorrücke, und sich entfernt. Kundschafter hätten Paktschön vom Feinde besetzt gefunden. Auf dem rechten Ufer des Paktschöngan stünden zwei Kompagnien und etwa drei Schwadronen Reiterei, deren Vorposten sich zwei Werst vom Flusse befänden. In der Stadt Andschu ständen 3000 Japaner. In Tschinampho träͤfen fortgesetzt Kriegsschiffe und Transportschiffe ein. Die dort gelandeten Truppen würden nach Phjöngjang und von dort weiter nach Unsan und Kangge in Marsch gesetzt. Ein Bericht des Generals Ssmirnow aus Port Arthur melde vom 24. März: Eine russische Franctireurskompagnie habe bei Witsino eine 50 Mann starke Tschuntschusenbande geschlagen und fast venh s. Auf russischer Seite habe man keine Verluste gehabt.

Der Vizeadmiral Makarow hat aus Port Arthur vom gestrigen Tage an den Kaiser telegraphiert:

Ich berichte alleruntertänigst, daß heute nacht 2 Uhr der Feind einen zweiten Versuch gemacht hat, den Eingang der inneren Reede zu sperren. Zu diesem Zwecke entsandte er vier große Handelsdampfer, begleitet von sechs Torpedobooten, zum Eingang. Die feindlichen Schiffe wurden rechtzeitig im Lichte der Schein⸗ werfer bemerkt und von den Batterien sowie den Wachtschiffen „Bobr“ und „Otwaschny“ beschossen. Um einem Durchbruch der feindlichen Schiffe zu begegnen, trat der Kommandant des Wachttorpedoboots „Ssilny“, Leutnant Krinitzki, dem Feinde entgegen und zerstörte durch einen Torpedo den Bug des vorderen japanischen Dampfers. Dieser wandte sich nun rechts; ihm folgten zwei andere Dampfer, sodaß alle drei mehr rechts vom Eingang auf Land gerieten. Der vierte Dampfer ging links und sank ebenfalls seitwärts des Fahr⸗ wassers. Das Torpedoboot „Ssilny“ nahm nun den Kampf mit den sechs feindlichen Torpedobooten auf; dabei wurden der Ingenieur und sechs Mann getötet, der Kommandant und 12 Matrosen ver⸗ wundet. Am Morgen kamen feindliche Linienschiffe und eine Ab⸗ teilung Kreuzer in Sicht. Ich ging mit der mir anvertrauten Flotte dem Feinde entgegen. Der zweite Versuch der Japaner, den Eingang von Port Arthur zu versperren, ist, dank der energischen Abwehr durch die See⸗ und Landstreitkräfte, ebenso wie der erste mißglückt; der Eingang zum Hafen ist vollkommen frei geblieben.

Ueber den Kampf, der sich in der Nacht zum Sonntag vor Port Arthur abspielte, berichtet der Kommandant von Port Arthur, Generalleutnant Ssmirnow in einem Tele⸗ 8 gestrigen Tage an den Kaiser ausführlicher, wie folgt:

In der Nacht zu heute machten die Japaner, nachdem der Mond aufgegangen war, einen Versuch, den Hafenausgang zu versperren, wozu sie vier Brander in Begleitung einer Torpedohocksflottile ent⸗ sandten. Gegen 2 ¼ Uhr wurde von den Wachtschiffen und Batterien die Annäherung der feindlichen Schiffe bemerkt, auf die sie ein heftiges Feuer eröffneten. Vor den Brandern fuhren die Torpedoboote, und in bedeutender Entfernung folgten größere Schiffe, die auf die Festung zu feuern begannen, um dadurch die Aktion der Brander und Torpedoboote zu unterstützen. In⸗ folge des starken Artilleriefeuers und des kühnen Vorgehens unserer Torpedoboote erreichten die Brander den Hafeneingang nicht. Zwei Brander gerieten am Goldenen Berge auf ein Riff; einer ging, von einem Torpedo eines unserer Torpedoboote getroffen, hinter den beiden ersten unter; der vierte stieß mit dem Bug an einen früher gesunkenen japanischen Dampfer bei Majatshny Gorod und ging ebenfalls unter. Der Hafememncang ist frei geblieben. Auf den gesunkenen Dampfern wurden

otchkiß⸗Schnellfeuergeschütze einzölligen Kalibers gefunden, aus denen auf unsere Torpedoboote gefeuert worden war. Von jedem der gesunkenen Schiffe war eine Schaluppe zur Rettung der Besatzung ausgesetzt worden, doch scheint sich nur eine dieser Schaluppen gerettet zu haben. Gegen /˙4 Uhr Morgens zogen sich die feindlichen Torpedoboote zurück, und die Kanonade verstummte. Der kommandierende Admiral Makarow begab sich sofort in einem Dampfkutter auf die Reede, um die gesunkenen feindlichen Schiffe in Augenschein zu nehmen. Morgens 5 Uhr wurden in südlicher Richtung von Port Arthur feindliche Tor⸗ pedoboote bemerkt, auf die die Batterien zu feuern begannen. Gegen 6 Uhr erschien am Horizont ein feindliches Geschwader. Unser Ge⸗ schwader ging ihm entgegen. Die Batterien eröffneten um 6 ½ Uhr das Feuer. Die Kanonade der Schiffe und Batterien wurde jedoch bald eingestellt, da das japanische Geschwader sich südostwärts zu ent⸗ fernen begann, offenbar einem Kampfe ausweichend. Gegen 10 Uhr verschwand das feindliche Geschwader am Horizont.

Ein amtliches Telegramm des Statthalters Alexejew an den Kaiser aus Mukden vom gestrigen Tage besagt:

Bei dem Angriff der feindlichen Dampfer auf das Torpedoboot „Ssilny“ wurden der Schornstein und die Maschine des letzteren be⸗ schädigt. Das Boot trieb infolgedessen in der Nähe des Goldenen Berges auf Land, wurde aber wieder flottgemacht. ie Zahl der Getöteten und Verwundeten auf dem „Ssilny“ ist noch nicht genau bekannt. Gegen ½6 Uhr Morgens bemerkte man südlich von Port Arthur feindliche Torpedoboote, auf die unsere Batterien das Feuer eröffneten. Gegen 6 Uhr erschien das feindliche Geschwader am Horizont. Um 6 ½ Uhr eröffneten die Batterien der Halbinsel Tigerschwanz ebenfalls das Feuer, und unser Geschwader verließ den Hafen. „Bajan“, Nowik“ und „Askold“ fuhren an der Spitze und feuerten gleichfalls. Wegen der großen Entfernung des feindlichen Geschwaders wurde das Feuer jedoch bald eingestellt. Um 9 ¼ Uhr stellten sich unsere Schiffe auf der Reede in Linie auf, während das japanische Geschwader, offenbar um einem Gefecht auszuweichen, sich in südöstlicher Richtung zurückzog. Gegen 10 Uhr Vormittags verschwand das Geschwader am Horizont.

Amtlich wird ferner gemeldet, der Vizeadmiral Makarow habe an den Kaiser aus Port Arthur vom gestrigen Tage folgendes Telegramm gesandt:

Ich melde alleruntertänigst, daß sich der Feind zurückgezogen hat, worauf ich mit der Flotte in den Hafen zurückgekehrt bin. Das Torpedoboot „Ssilny“, das infolge einer Beschädigung seiner Maschine durch ein feindliches Geschoß in der Nacht auf eine Sandbank aufge⸗ laufen war, ist flottgemacht worden und dank der Energie der Besatzung in den Hafen eingelaufen. Der Kommandeur Krinitzki, der am Arm leicht verwundet worden ist, hatte seinen Posten nicht verlassen. Auf den Brandern befanden sich Höllenmaschinen, deren Drähte von Scharf⸗ schützen durchschnitten wurden. Die Leutnants Kedrow und Asariew und der Fähnrich Pilsudsky gingen auf meinen Befehl an Bord eines der Dampfer, durchschnitten die elektrischen Leitungsdrähte und löschten das Feuer, das dem Feinde den Hafeneingang hatte be⸗ leuchten sollen. Auf der Reede fand sich Morgens ein schwimmender Torpedo mit einer Höllenmaschine, die glücklicherweise beseitigt wurde. Bei einer Besichtigung stellte man fest, daß die Dampfer, die als Brander gedient hatten, nicht alt sind. Sie sind 2000 t groß und mit kleinkalibriger Artillerie ausgerüstet. Einen Teil der Dampfer werde ich für Hafenzwecke verwenden.

Aus Tientsin vom gestrigen Tage meldet das „Reuter⸗ sche Bureau“, die Russen hätten in Niutschwang das Kriegsrecht proklamiert. Die Schiffahrt auf dem 8 wieder eröffnet.

Der Marquis Ito ist gestern von Söul abgereist.

Aus Phari (Tibet) vom gestrigen Tage erfährt „W. T. B.“, der General Macdonald sei mit einer fliegenden Kolonne nach dreitägigem Marsch von Tschumbi dort eingetroffen. Das Wetter sei schön gewesen, es habe aber große Schwierigkeiten bereitet, die Maultiere über die mit Eis bedeckten Straßen zu bringen.

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Parlamentarische Nachrichten.

en Reichs⸗

Bei der am 24. März im 16. hannovers tagswahlkreise (Lüneburg) vorgenommenen Reichstags⸗ stichwahl wurden nach der amtlichen Zählung insgesamt 21 900 Stimmen abgegeben. Freiherr von Wangenheim⸗ Wake (Welfe) erhielt 11 689 Stimmen, Dr. Jaenecke (nat.⸗-lib.) 10 211 Stimmen. Ersterer ist somit gewählt.

MNr. 15 des „Eisenbahn⸗Verordnungsblatts“, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 24. März hat folgenden Inhalt: Allerhöchster Erlaß vom 7. März 1904, betreffend ander⸗ weite Abgrenzung der Verwaltungsbezirke der Eisenbahndirektionen in Frankfurt am Main, Mainz und St. Johann⸗Saarbrücken. Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 21. März 1904, beteesdnd Aenderungen bei den Eisenbahnbetriebs⸗, Maschinen⸗, Werkstätten⸗ und Verkehrsinspektionen. Nachrichten.

Statistik und Volkswirtschaft.

Ueber den Verkehran den wichtigsten Punkten der deutschen Wasserstraßen in den Jahren 1872 bis 1902 enthält das erste „Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs⸗ (1904) eine Zusammenstellung. Das Jahr 1902 war für die Binnen⸗ schiffahrt ungünstig; die Wasserstände waren zwar gut, aber der Mitte November eingetretene starke Frost brachte die Schiffahrt plötzlich zum Stillstand. Der Frachtverkehr wurde insbesondere durch die ungünstige Geschäftslage nachteilig beeinflußt. An den wichtigsten Punkten gestaltete sich der Schiffsverkehr folgendermaßen: In Breslau erreichte der Gesamtgüterverkehr im Jahre 1902 eine Höhe von 2 263 000 t gegen 2 043 000 t im Vorjahre. In Hamburg ging der Güterverkehr zu Berg von 2 904 000 t auf 2 776 000 t zurück, während er im Tal⸗ verkehr von 2 338 000 t auf 2 395 000 t stieg. Bei Schandau⸗Zol⸗ renze stellten sich die Ausfuhr⸗ wie Einfuhrmengen geringer als im Vorjahre. Die ersteren beliefen sich auf 383 000 t gegen 465 000 t, die letzteren auf 2 549 000 t gegen 2 564 000 t i. J. 1901. Die Zufuhr nach Berlin zu Berg stieg von 2 875 000 t auf 3 067 000 t, zu Tal

von 1 733 000 t auf 2 295 000 t.

An der holländischen Zollgrenze zu Emmerich hat auch im laufenden Jahre die Ausfuhr wiederum zugenommen (von 4 618 000 t auf 5 944 000 t), während die Einfuhr nach fortgesetzter Steigerung in den letzten Jahren von 8 514 000 t auf 8 170 000 t zurückging. In Ruhrort hat der Abgang zu Tal eine Zunahme von 2 161 000 t auf 2 487 000 t, der Abgang zu Berg dagegen eine Abnahme von 3 039 000 t auf 2 540 000 t aufzuweisen. In Mannheim ist der Verkehr auf dem Rhein im Jahre 1902 nicht un⸗ erheblich zurückgegangen; es kamen daselbst zu Tal an 3 450 000 t (1901: 3 781 000 t) und zu Berg 237 000 t gegenüber 202 000 t im Jahre 1901. Recht bedeutend hat sich im Laufe der letzten Jahre der Verkehr in dem Mannheim gegenüberliegenden Ludwigshafen entwickelt. Daselbst kamen 1902: 1 149 000 t Güter zu Berg an (1901: 1 401 000 t, während 433 000 t (1901: 320 000 t) zu Tal abgingen.

Der Floßverkehr ist bei den vorstehenden Angaben nicht mit berücksichtigt worden. 8

Verhältnissätze der Kommunalsteuern zu den Staats⸗ steuern preußischer Großstädte im Rechnungsjahre von 1. April 1902 bis 31. März 1903.

Das „Statistische Jahrbuch deutscher Städte“ (Jahrgang 1903) bringt für eine Anzahl preußischer Großstädte eine interessante Ueber⸗ sicht der gemeindlichen Steuerzuschläge und sonstigen auf Grundbesit, Gewerbebetrieb und Einkommen gelegten Abgaben. Danach erhoben

im Rechnungsjahre 1902 8 Hundertteile der

Gewerbe⸗ Betriebs⸗ in⸗ steuer steuer kommen⸗

steuer 150 200 150 121 100

Grund⸗ und Ge⸗ bäudesteuer 178 390 200 150 165 164,5 145,5 125 162 182 200 165 175 188 169 220 119 174 150 160 135 136 230 190 150 169 164 150 205

Altona Barmen Berlin Bochum ö“]; Charlottenburg. Cöln. Crefeld Danzig Dortmund Düsseldorf Duisburg Elberfeld Erfurt. e““” Frankfurt a. M.. Frankfurt a. O. Görlitz 1“ Halle a. S.. Hannover Cassel. w1“ Königsberg i. Pr.. Liegnitz. Magdeburg

osen. Potsdam. Spandau 111“ ö4*“

200 162 167

140 165 173 166 190

169 ¾⅔

164

100 150 190 195 195 100 .““

Wo hierbei schwankende Beträge angegeben sind, beruht dies darauf, daß für die verschiedenen Gewerbesteuerklassen oder Ein⸗ kommensstufen auch verschiedene Sätze bestehen. Sowohl Grund⸗ steuer wie Gewerbe⸗ und Einkommensteuer werden in einer Reihe von Städten nach besonderen Tarifen erhoben. In diesen Fällen bedeutet die angegebene Ziffer das Verhältnis dieser Steuern zu den staatlich veranlagten Steuern derselben Art. Bei Danzig kommt noch die Mietssteuer hinzu, mit deren Einrechnung sich der Satz bei der Einkommensteuer von 188 auf 203,4 und bei der Gewerbesteuer auf 182 erhöhen würde. Das Gleiche ist in a. M. der Fall, wo die Mietssteuer einem Zuschlage zur Einkommensteuer von 94 und einem solchen zur Gewerbesteuer von 27 v. H. entspricht. Von weniger wichtigen Unterschieden sehen wir ab.

Die Erhebungssätze sind ein Erzeugnis der nach Steuerkrast, ferner nach den größeren oder geringeren, schnell oder langsam wachsenden Bedürfnissen und Ansprüchen der Gemeinden und ihrer endlich auch nach der Verschiedenheit steuerpolitischer Anschauungen mannigfach schwankenden Verhältnisse, für deren Ge⸗ staltung das Kommunalabgabengesetz bekanntlich nur einige allgemeine Anleitungen und Schranken gegeben hat. Das größte allgemeine Interesse dürften die Verhältnissätze der Einkommensteuer beanspruchen. Am höchsten sind diese (bei Einrechnung der Mietssteuer) in Danzig und nächstdem in Königsberg i. Pr., wo sie 200 v. H. der Staats⸗ steuer überschreiten. Fällt hier offenbar die geringe Steuerkraft beiden Städte ausschlaggebend ins Gewicht, die zur Er⸗ hebung hoher Zuschläge nötigt, so wird in den Großstädten des westlichen Industriegebietes, die mehrfach 200 oder bis zu 200 v. H. erreichen, das gewaltige Wachstum der Gemeinden entscheiden, das ihre Verwaltung fortdauernd vor neue und kostspielige Aufgaben Am günstigsten stehen einige wohlgelegene und wohlhabende

1“ 8

169 ¾ 100 200

100

100

Städte, wie Wiesbaden, Cassel und Charlottenburg, die noch unter 100 v. H. bleiben, gleichwohl aber mit diesen geringen Zuschlägen so viel leisten können, daß sie andauernd das Ziel weiteren gleich⸗ artigen Zuzugs bilden. Verhältnismäßig günstig stehen neben Berlin noch Görlitz, Liegnitz und Potsdam, die bisher mit dem Satze von 100 v. H. ausgekommen sind.

Zur Arbeiterbewegung.

Dem infolge der bevorstehenden Einführung des zehnstündigen Arbeitstages in Roubaix ausgebrochenen Ausstande haben sich, wie „W. T. B.“ meldet, bisher 1650 Webereiarbeiter angeschlossen (vgl. Nr. 74 d. Bl.). 2100 Arbeiter mußten die Arbeit notgedrungen einstellen. Von dem Ausstande sind 20 Fabriken, darunter 11 Spinnereien, 4 Webereien und 5 Wollkämmereien gänzlich oder teilweise betroffen. Mehrere Bataillone Infanterie sowie mehrere Schwadronen Reiterei sind zur Aufrechterhaltung der Ordnung dort eingetroffen. Eine am Sonnabend abgehaltene, von etwa 2000 Personen besuchte Versammlung beschloß, 8 am heutigen Montag ein allgemeiner Ausstand der Webereiarbeiter beginnen soll.

In Marseille haben die Hafenarbeiter (vgl. Nr. 74 d. Bl.) neuerdings wieder die Arbeit eingestellt, weil von der Polizei die Verhaftung eines Arbeiters aufrecht erhalten wird, dessen Freilassung das Bureau des Internationalen Svndikats verlangte; bis die Ent⸗ scheidung über die Angelegenheit getroffen sein wird, soll der allgemeine Ausstand fortdauern.

Kunst und Wissenschaft

Nach den Berichten aus den Königlichen Kunstsammlungen sind in den Königlichen Museen für das letzte Vierteljahr des Jahres 1903 an Neuerwerbungen, Geschenken und Ueberweisungen (vergl. Nr. 71 d. Bl.) u. a. zu verzeichnen:

Für die Sammlung der Bronzen und Miszellaneen ist erworben eine archaische Bronzekanne mit eiförmigem Bauch und drei⸗ teiliger Mündung, aus Kleinasien. Ferner eine Sammlung von mehr⸗ farbigen Glasgefäßen. Außer einer großen Anzahl von kleinen Salbgefäßen in der Form von Alabastra, Spitzamphoren und Kännchen aus dunkel⸗ blauem Glas mit hellblauen, gelben und weißen Zickzackornamenten sind neun große, teilweise in der Technik der Millefiorigläser hergestellte Gefäße von seltener Erhaltung hervorzuheben. Ein Unikum ist wohl eine Spitzamphora aus dunkelblauem Glas mit rosettenartigen Orna⸗ menten in Gelb und Grün, aus Olbia.

Das Kupferstichkabinett wurde durch neue Stiche, illustrierte Bücher, Zeichnungen alter und neuer Meister, Radierungen, Holjz⸗ schnitte und Lithographien ergänzt.

Die Sammlungen des Münzkabinetts sind vermehrt um 58 griechische, 2 römische, 4 orientalische, 87 mittelalterliche, 36 neu⸗ zeitliche Münzen und 7 Medaillen bezw. Plaketten, insgesamt 194 Stück. Von den antiken Münzen verdienen als Seltenheiten erwähnt zu werden ein Bronzemedaillon des Elagabal von Thyatira mit der Darstellung eines agonistischen Tisches, auf dem zwei Preiskronen und zwei Geldbeutel liegen; eine sehr gut erhaltene Münze der Kaiserin Julia Mamaea von Istrus mit dem Wappenhbilde der Stadt (Seeadler auf einem Delphin); eine in der Stadt Caesarea Ger⸗ manica geprägte Münze des Pescennius Niger; eine Münze von

altus (Syrien) mit den Köpfen des Septimius Severus und der Julia Domna. Von den mittelalterlichen Münzen mögen genannt sein ein Straßburger Denar Karls des Großen, ein Brakteat des Ulrich von Wettin mit stehendem Markgrafen und ein Mühlheimer Turnosgroschen des Kaisers Ludwig IV. des Bayern. Unter den neu⸗ zeitlichen Münzen ist die bedeutendste ein Goldgulden des Grafen Heinrich von Sayn vom Jahre 1590; die übrigen entstammen zumeist der Kipperzeit und vorzugsweise der Grafschaft Hohenlohe.

Die ägyptische Abteilung verdankt der Verwaltung des

Egypt Exploration Fund auch in diesem Jahre wextvolle Proben aus den Ausgrabungen der Gesellschaft im Tempel des Osiris in Abydos. Bemerkenswert ist darunter ein hübsches Elfenbeinfigürchen eines rundlichen Knaben aus der Zeit um 3500 v. Chr. Ferner aus derselben Zeit Figuren von Affen aus grüner Fayence sowie andere Beispiele der in Aegypten uralten Kunst der Fayencebereitung. Von sonstigen Erwerbungen sind zu nennen: Ein Exemplar des Skarabäus Amenophis’ III. auf seine Thronbesteigung mit der Angabe seiner Titulatur, der Namen der Eltern seiner Gemahlin und der Grenzen des ägyptischen Reichs. Solche großen Skarabäen sind wie unsere Denkmünzen bei besonderen Gelegenheiten ausgegeben worden. Der Zeit desselben Königs gehört ein anderer Skarabäus an, der weit jenseits der alten Suüdgrenze des Reichs, im heutigen Soba (südlich von Chartum), gefunden ist. Er ist im Altertum wohl durch den Handel dorthin gebracht worden. Rund 1500 Jahre später ist ein anderes Werk ägyptischer Hände aus Aegypten aus⸗ geführt worden und zwar hoch hinauf in den Norden, wo es in der Nähe von Rom gefunden ist. Es ist ein Bruchstück einer schönen Kapelle aus Basalt, die einst Sethos I. in den ehrwürdigen Tempel von Heliopolis geweiht hatte und die in der Kaiserzeit zur Dekoration eines römischen Isis⸗ oder Serapistempels verwendet worden ist. Gleichfalls aus Rom stammen Bruchstücke von marmornen Säulen und Kapellengiebeln, die jedoch von römischen Künstlern in ägyptischem Stil gearbeitet sind. Sie sind nicht nur durch die Verbindung römischer und ägyptischer Elemente interessant, sondern auch durch die Schönheit ihrer Arbeit ein wertvoller Zuwachs unserer Sammlung. Das Museum für Völkerkunde wurde durch zahlreiche Ge⸗ schenke von Privaten an indischen, chinesischen, amerikanisch⸗ozeanischen und afrikanischen Gegenständen bereichert; ein Teil dieser Gaben stammt aus den Sammlungen des verstorbenen Professors R. Virchow. Ferner wurden zahlreiche Gegenstände von der Verwaltung käuflich erworben. Funde aus Heimatsprovinzen wurden dem Museum zahl⸗ reich überwiesen, und zwar aus Ostpreußen, Pommern, Posen, Sachsen, Hessen⸗Nassau, Westfalen, Schleswig⸗Holstein, ferner aus Thüringen, Rußland und Italien.

Das Kunstgewerbemuseum kaufte u. a. einen Halsschmuck aus Gold mit Email, von René Lalique, Paris 1903; neun SIee. Nachbildungen alten Silbergeräts von Sy u. Wagner und Vollgold u. Sohn in Berlin, der Galvanischen Kunstanstalt in Geislingen⸗Steige, Otto Haegemann in Hannover und Theodor Heyden in München. Von Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Heinrich von Preußen wurde ein Spielschrein, 1883 zur Feier der silbernen Hochzeit der Hochseligen Kaiserlichen und Königlichen Hoheiten des Kronprinzen und der Kronprinzessin Friedrich gestiftet vom Berliner Kunstgewerbe⸗ verein, überwiesen. Außerdem wurden der Sammlung verschiedene Ge⸗ schenke überwiesen. 8

Die Nationalgalerie erhielt die bei dem Bildhauer H. Ber⸗ wald⸗Schwerin bestellte Bronzebüste H. von Treitschkes abgeliefert; ferner an Geschenken von Dr. K. von Wesendonk in Berlin die Bronzefigur eines nackten Jünglings (L'aàge d'airain) von A. Rodin und von ungenannten Kunstfreunden das Aquarell „Am Ofen“ von K. Larsson, die Feder zeichnung „Bildnis Morley Hardens“ von W. Strang und die Bleistiftzeichnung „Den Ozean entlang“ von J. Toorop.

A. F. In der letzten Sitzung der Gesellschaft für Erdkunde sprach der Professor Dr. M. Hartmann über „Historische Geographie Turkestans“. Was gewöhnlich Turkestan genannt wird, nämlich Buchara, Samarkand, Taschkent ꝛc., die ausgedehnte junge Schöpfung der Russen, das ist im historisch⸗ geographischen Sinne nicht Turkestan, nicht Türkenland, wenn auch die Sprache der Bewohner, ein Türkendialekt, der des wahren Turkestan nahe verwandt ist. Aber diese Bewohner sind weder Türken, noch wollen sie es, mit Ausnahme der Turkmenen und Oezbeken (in Buchara) sein. Die Hauptmasse der Bewohner nennt sich viel⸗ mehr Sarten. Sie sind Nachkommen der arischen⸗Ureinwohner des Landes, die sich allen Völkerstürmen zum Trotz viel von ihrer alten leiblichen und seelischen Beschaffenheit, ja in einigen Städten und abgelegenen Landesteilen sogar ihre Sprache, einen persischen Dialekt

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erhalten haben. Der Vortragende meinte mit Turkestan ausschließlich e das Gebiet östlich des großen Bergwalls, der Russisch⸗von Chinesisch⸗Turkestan scheidet, das erdgeschichtlich von Richt⸗ hofen zutreffend als den. westlichen Teil des trockenen Meeres Zentralasiens⸗ bezeichnet hat, und das allezeit den geographischen Bedingungen nach zu Ostasien gehört hat, sodaß von ihm gesagt werden darf, die Herr⸗ schaft, die Nordchina darüber stets sich anmaßte, wenn auch wirksam zu üben nicht immer in der Lage war, ist in den Bodenverhältnissen tief begründet. Dasselbe Lößland begleitet den Wanderer, der Alt⸗ china durch das westliche Tor der großen Mauer verläßt, und verläßt ihn nicht auf seiner Wanderung durch die Wüste Chami bis zu den Toren von Turfan und Kaschgar. Keine erhebliche Schranke, keine nennenswerte Boden⸗ erhebung stellt sich ihm auf seinem Zuge entgegen. Und so eintönig wie das Land sind es auch die Menschen, allerdings geschieden in zwei große Gruppen; denn bis zu seinem Eintritt in die Wüste umgibt den Wanderer chinesisches Volk, von Chami ab reist er unter Türken. Chami ist der östlichste Punkt des Türkenlandes, das eigentliche Turkestan. In zwei Richtungen bewegte sich stets zchs Leben der Be⸗ völkerung dieses ausgedehnten Gebietes: in der Nichtung ungezügelten Schweifens und in der staaten⸗ oder doch städtebildenden Zusammen⸗ wohnens am festen Ort. Die erstere Richtung war in alter Zeit, wie bei den Mongolen im Osten, so auch bei den Türken im Westen die überwiegende. Die Neigung des Schweifens dehnte sich früher auf ungeheure Entfernungen aus und führte die großen Ver⸗ schiebungen herbei, von denen vor allem die Geschichte der Türken zu berichten weiß und die übereinstimmend den gleichen Zug aufweisen, daß es immer ein besonders geschickter und energischer Mann ist, der seinen Anhängern durch Beutezüge bessere Lebensbedingungen zu verschaffen unternimmt. In der Annahme der sich anschließenden Gefolgschaft ist der Führer nicht wählerisch. Der Mongole Dschingis Khan hatte Türkenstämme, der Türke Timur Mongolen zahlreich in seinem Heer; weder in Turkestan noch in Mongolistan läßt sich eine strenge Schei⸗ dung zwischen türkischen und mongolischen Stämmen durchführen und die beiderseitigen Sprachen zeigen viele wechselseitige Entlehnungen. Neben dem Trieb zum Schweifen geht der zur festen Siedelung. Ihre Bedingung ist Wasser. Daran fehlt es Turkestan nicht, wenn man die Wüste Takla Makan ausschaltet. Der mächtige Hang zum Nomadentum ließ es aber trotz des Wasserreichtums nicht zu zahlreichen und großen Ansiedelungen kommen. Größere, feste Ansiedelungen kamen wegen zeitweisen Durchbruches des Triebes zum Schweifen nur durch große Zeiträume getrennt vor, und diese Punkte sind immer nur von Türken wie Chinesen als Oasen empfunden worden. Das steht nicht im Widerspruch zu der Entdeckung der wunderbaren Städteruinen an der Takla Makan, auch nicht zu den kaum weniger bewundernswerten zahlreichen buddhistischen Kultstätten bei Turfan und Kutscha. So leicht eine rationelle Verwaltung noch heute nach tausendjähriger Vernach⸗ lässigung Landstriche mit blühenden Kulturen nördlich und südlich der Takla Makan und nördlich vom Tiansan schaffen könnte, wenn ein intelligenter und fleißiger Bevölkerungskern zur Stelle wäre, so sicher ist es, daß der Trieb zu schweifendem Räuberleben den Türken so fest im Blut sitzt, daß sie kaum jemals einen solchen Bevölkerungs⸗ kern abgeben werden. Ja, es ist wahrscheinlich, daß sie auch früher nie imstande gewesen sind, selbst ein einigermaßen blühendes, festes Gemeinwesen herzustellen, sondern sich hier, wie überall zu seßhaftem Leben nur herbeiließen, wo sie schon feste Gemeinwesen vorfanden und sich mit Vertreibung oder Unterdrückung der fleißigen Begründer nur in das warme Nest zu setzen brauchten. Unwahrscheinlich ist es also nicht, daß die ältesten Siedelungen auch in Turkestan von Nichttürken herrührten; woher, das bleibt zu erörtern. Es ist z. B. erwiesen, daß seit den ältesten Zeiten die lebhaftesten wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Turkestan und Indien bestanden. Wie immer der Zusammenhang ist, die wenigen Siede⸗ lungen wurden nur bei besonderer Gunst der wirtschaft⸗ lichen Bedingungen oder an Kreuzungspunkten von Verkehrsstraßen, oder wo beides sich vereinigte, angelegt. Ein Beispiel hierfür ist Khotau, wo Goldwäscherei und Nephritbearbeitung und wahrscheinlich auch sehr früh schon Seiden⸗ und Baumwollenkultur sowie Teppich⸗ weberei betrieben wurden.

Der Vortragende gab hierauf eine sehr ausführliche Beschreibung der Straßen, die sowohl westöstlich als nordsüdlich Turkestan kreuzen und in der ersten Richtung Glieder des ungeheuren Straßenzuges sind, der seit uralter Zeit Asien durchquerte und der, einstmals von größter kultureller Bedeutung, später versumpfte, bis Dschingis Khan ihn vor 650 Jahren vorübergehend wiederherstellte. Diese Haupt⸗ straße durch Asien ist der vielbesprochene Weg zu den Serern, den Seidenerzeugern, die via mercatorum ad Seres proficiscentium der Römer. Wird sie je wieder annähernd die frühere Bedeutung erlangen, und unter welchen Um⸗ ständen? Aehnliche Fragen knüpfen sich an die Verbindungen mit Transoxanien, dem Land am alten Oxus oder Amu Darja. Hier im russisch⸗indisch afghanischen Grenzgebiete spricht politische Eifersucht ihr leider nicht immer einer vernünftigen Entwickelung günstiges Wort. Es ist indessen auch fraglich, ob viel Wert auf den Ausbau und die Eröffnung dieser Verkehrswege zu legen ist, solange die kultu⸗ relle Entwickelung Turkestans so minimal ist, wie in der Gegenwart. Der Vortragende ging hier zu einem Rückblick auf die Geschicht⸗ Turkestans über, um zur Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage zu gelangen, ob es nicht wahrscheinlich, vielleicht sogar nachweisbar sei, daß die Kultur, deren Ruinen durch Sven Hedin, durch eine russische und in jüngster Zeit eine erfolgreiche deutsche Expedition aufgedeckt und erforscht worden sind, von andern als den gegenwärtig Turkestan bewohnenden Türken in diese Gebiete hineingetragen und lange behauptet worden ist. Wir wissen wohl mancherlei Aeußer⸗ liches von dem Reich der Hiung⸗nu (identisch mit den Hunnen), die von 240 v. Chr. bis etwa 220 n. Chr. die Herrschaft in der Mongolei und Turkestan übten; aber die Kulturverhältnisse dieses Reichs sind dunkel. Ein Kulturbild tritt uns erst entgegen, als das Volk der Uiguren ums Jahr 850 sich in Turkestan zur Geltung bringt, ein Volk unbekannter Abstammung, das seit 600 bereits im Osten ein Reich mit der Hauptstadt Karakorum gegründet hatte, die 620 Jahre später Residenz von Dschingis Khan war. Das Reich und Volk der Uiguren muß auf einer verhältnismäßig hohen Stufe der Gesittung gestanden haben, wie selbst chinesische Gesandtschaftsberichte aus dem Jahre 981, trotz der Sucht der Chinesen, das Fremdländische herabzusetzen, rühmend hervorheben. Ein Punkt dieses chinesischen Berichts hat ganz kürzlich eine höchst merkwürdige Bestätigung erfahren. Der chinesische Abgesandte an den Hof des Uigurenfürsten erzählt, nachdem er vom buddhistischen Kultus, dem hier gehuldigt werde, Heheregen, es sei dort auch ein Tempel des Mani, bedient von persischen Priestern u. s. f. Die Vermutung, daß mit Mani die christlichen Manichäer gemeint seien, bestand nun zwar längst, zur Gewißheit ist sie aber durch eine Entdeckung ge⸗ worden, die der Direktorialassistent am Völkermuseum Dr. F. W. K. Müller machte, dem es gelang, einige der Handschriftreste in Estrangelo⸗ schrift zu lesen, die wir unserer deutschen Turfanexpedition verdanken. In der von Dr. Müller über seine Entdeckung der Akademie gemachten Mitteilung heißt es: „Wir haben in diesen Handschriften Reste der verloren geglaubten manichäischen Literatur vor uns. Hiermit ist zugleich dokumentarisch bewiesen, daß in dem Uigurenreiche die größte religiöse Toleranz herrschte.’ Es kann nach allem nicht daran gezweifelt werden, daß die Uiguren die Städteerbauer und Kulturträger in Turkestan gewesen sind. Professor Dr. Hartmann zeigte 8 weiteren, wie Schritt vor Schritt diese Kultur durch das Vordringen des Islam vernichtet worden ist. Die chinesische Herr⸗ schaft besteht in Turkestan seit 1756 mit kurzen Unterbrechungen. Die chinesische Regierung ist im Lande nicht unbeliebt, und sie schützt die Bevölkerung vor c. denn sich selbst überlassen, können diese direktions⸗ und zuchtlosen Menschen nicht miteinander leben. Die Provinz Hjen⸗tsiang, wie Turkestan in Peking firmiert, bringt jedoch nichts ein, sondern verursacht China Kosten, muß aber des Prestiges wegen gehalten werden, solange es geht.

Welche Gestaltung der Verhältnisse wünschenswert für das Land ist,

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kann nach den Lehren der Geschichte nicht zweifelhaft se⸗ Der Vor⸗

tragende meinte: Das blühendste Staatswesen besaß Turkestan unter der Herrschaft der höchsten Toleranz gegen den Glauben der Bewohner und des überwiegenden Einflusses nicht türkischer Elemente. Unter keinen Umständen darf sich also ein islamitisches Staatswesen in Turkestan bilden; denn die in Turkestan die Bevölkerung beherrschende Form des Islam schließt sie von jeder günstigen Entwickelung ab. Nach den geographischen Bedingungen bildet Turkestan durchaus einen Teil Ostasiens, es ist eine natürliche Dependenz der großen ostasiatischen Macht. Kommt von Osten her neues Leben in das Land, dann mu der hohe Bergwall, der es im Westen abschließt, zu einem Burgwall, zu einer wahren Grenzscheide gegen politische Uebergriffe von beiden Seiten gestaltet werden. Die Hauptbevölkerung werden ja weiter wie seit einem Jahrtausend die Türken bilden, und Turkestan wird ja auch ferner wohl der Name des Landes bleiben.

Der Historienmaler, Geheime Hofrat, Professor Ferdinand Pauwels ist, wie „W. T. B.“ meldet, in der Nacht vom Freitag zum Sonnabend in Blasewitz bei⸗Dresden plötzlich infolge eines Herzschlags verstorben. Er wurde am 13. April 1830 in Eckeren bei Antwerpen geboren und an der Kunstakademie seiner Vaterstadt unter Wappers und Dujardin ausgebildet. Nach Studienreisen in Frankreich, Italien und Deutschland wirkte er von 1862— 1872 als Professor an der Weimarer Kunstschule. Dann kehrte er auf einige Zeit nach Antwerpen zurück, um sich mit einem für das Rathaus zu Apern bestimmten Wandbillderzyklus zu beschäftigen. Im September 1876 wurde er als Professor an die Königliche Akademie der bildenden Künste in Dresden be⸗ rufen, wo er bis Ende 1901 ein Lehramt innehatte. Sein Haupt⸗ werk: „Graf Philipp von Elsaß im Marienhospitale von Ypern“ befindet sich in der Dresdener Galerie. Auch die Museen zu Brüssel, München, Leipzig und Königsberg i. Pr. sind im Besitz von Werken seiner Hand. Bekannt sind ferner seine sieben Wandbilder in der Lutherwohnung auf der Wartburg (Szenen aus Luthers Leben), seine sechs historischen Wandgemälde in der Aula der Fürstenschule zu Meißen sowie drei Gemälde biblischen Inhalts in der Brautkapelle der Marienkirche zu Pirna.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs maßregeln.

Am 5. und 6. April tagt in Berlin, Savoy Hotel, der Vereins⸗ bund deutscher Zahnärzte, der aus den 37 zahnärztlichen Ver⸗ einen Deutschlands sich zusammensetzt. Außer Vereinsangelegenheiten sollen von wichtigen allgemeinen Punkten besprochen werden die staat⸗ liche Organisation der Zahnärzte und die Pflege der Zähne beim Militär, die Titelfrage und die Reklame.

Wohnungspflege in Hamburg.

Nach dem Jahresbericht der Verwaltungsbehörden der freien und Hansestadt Hamburg für 1902 gingen auf Grund des Gesetzes vom 8. Juli 1898, betreffend die Wohnungspflege, im Jahre 1902 bei der Wohnungspflegebehörde 1115 neue Beschwerden ein, während 819 aus den Vorjahren als noch nicht erledigt übernommen wurden. Von den neuen Beschwerden konnten 566 (50,70 %), von den über⸗ nommenen 542 (66,16 %) im Berichtsjahre erledigt werden; von ersteren stammten 571 von Privaten, 284 von Behörden, be⸗ sonders von dem Medizinalamte und der Polizeibehörde, 144 von den ehrenamtlichen Organen der Wohnungspflege her; 116 waren ohne Unterschrift eingegangen. Die Erledigung erfolgte in 946 (im Vor⸗ jahre in 689) Fällen durch gütliche Vermittelung der berufenen, ehren⸗ amtlichen Organe, in 86 (79) Fällen mit Hilfe der Kreisversamm⸗ lung, in 53 (42) Fällen durch die Behörde ohne Zwangsmaßregeln, in 29 (15) Fällen durch Zwangsmaßregeln, nämlich 3 (1) Räumungen, 23 (11) Strafen auf Grund rechtskräftiger Polizeiverfügungen und 3 (3) Strafen auf Grund gerichtlichen Urteils. Im allgemeinen ist demnach auch im Berichtsjahre das Gesetz sehr milde und nachsichtig gehandhabt worden. Sieht man von Neu⸗ bauten ab, so sind von der Behörde 1902 nur 25 An⸗ träge auf Bestrafung und 5 auf Räumung gestellt worden; von diesen fanden 23 ihre Erledigung, und zwar wurden 14 mal Grundeigen⸗ tümer bestraft wegen Nichtausführung ihnen auferlegter baulicher Reparaturen, 9 mal Mieter, und zwar 2 wegen Nichtbefolgung eines ihnen gegebenen Befehls, 5 wegen Verunreinigung der Wohnung und des dazu gehörigen Hofes, 1 wegen Verunreinigung des Bodens durch das Halten von Tauben und nur 1 wegen Benutzung eines zum Schlafen völlig unzulänglichen Raumes.

Was nun die Beseitigung der vorhandenen Mißstände betrifft, so erfolgte diese in 680 (466) Fällen durch bauliche Veränderungen oder zweckentsprechende Reparaturen, in 207 (152) Fällen durch gründ⸗ liche Reinigung, in 96 (68) Fällen durch regelmäßiges Lüften oder Heizen und Lüften der Wohnräume, in 52 (35) Fällen durch sonstige Maßnahmen; 52 (23) mal sah sich die Behörde genötigt, einzelne Teile von Wohnungen, 25 (7) mal die ganzen Wohnungen zu schließen. Im Vergleich mit dem Vorjahre ist man also in dieser Beziehung wesentlich schärfer vorgegangen. Die zur Kenntnis der Behörde gelangten und im Jahre 1902 beseitigten Mißstände bezogen sich in 207 (im Vorjahre in 166) Fällen auf Verunreinigung, in 24 (26) Fällen auf Luftverderbnis, in 150 (83) Fällen auf Mangel an Tageslicht oder frischer Luft. Feuchtigkeit war 358 (231) mal vorhanden. Die Abortanlagen waren 420 (222) mal die Veranlassung zum Einschreiten, 83 (75) mal die Entwässerungsanlagen. In 429 (292) Fällen lagen Mißstände in der Wasserversorgung vor, während 222 (121) mal der mangelhafte bauliche Zustand des Hauses und der Wohnung das Ein⸗ schreiten der Behörde veranlaßte; 35 (31) mal war Ungeziefer die Ur⸗ sache hierfür. Wie im Vorjahre, richtete die Wohnungsbehörde auch im Berichtsjahre und zwar mit Erfolg ihr Augenmerk auf die Ver⸗ besserung der Wasserversorgung und der Abortanlagen.

Durch Neubauten oder größere Umbauten neuhergestellte Wohnungen wurden von den Beamten der Wohnungspflege im ganzen 1308 (744) besichtigt. Es wurden dabei 459 (210) Warnungen vor dem Beziehen dem § 9 des Gesetzes nicht entsprechender Wohnungen, sowie 60 (24) Befehle zum besseren Austrocknen der Wohnung erteilt Bestrafung durch rechtskräftige Polizeiperfügung erfolgte in 102 (43) durch das Gericht in 2 (4) Fällen Räumung; eine Schließung vo Wohnungen wurde 5 (1) mal vorgenommen.

Für wünschenswert erklärt es die Behörde in Uebereinstimmung mit allen Kreisversammlungen, daß in dem neuen Baupolizeigesetze Baufristen vorgeschrieben werden. Bis zur Erreichung dieses Zwecks sollte aber durch das revidierte Wohnungspflegegesetz das Tapezieren von Neubauten auf eine gewisse Zeit verboten werden, zumal die Fälle, in denen dg genügend ausgetrocknete Wohnungen bezogen gefunden wurden, im Berichtsjahre ganz erheblich zahlreicher gewesen ist.

Verdingungen im Auslande.

Spanien.

5. April 1904, 12 Uhr. Junte des travaux du port in Santander: Lieferung von 3000 t Steinkohlen. Sicherheitsleistung

1070 Pesetas.

9. April 1904, 1 Uhr. Stadtverwaltung in Malaga: Her⸗ stellung einer Pferdebahnlinie in der Stadt. Sicherheitsleistung 4126,02 Pesetas.

15. April 1904. Ayuntamiento Constitucional de Madrid: Vergebung der im Laufe der nächsten vier Jahre benötigten Asphaltierungsarbeiten und der Reparaturen für weitere acht Jahre. Angebote auf spanischem Stempelpapier. Voranschlag 100 000 Pesetas; Sicherheitsleistung 10 000 Pesetas. Entwurf ist im Sekretariat der genannten Gemeindeverwaltung einzusehen.

15. Juni 1904. Direccion General de Obras Publicas in Madrid: Bau einer Zement⸗ oder Steinkittbrücke über den Eslafluß auf der Straße von Mayorga nach Villamanan FPropin Leon). Angebote auf spanischem Stempelpapier sind bis 10 i 1904 ein⸗

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