1904 / 111 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 May 1904 18:00:01 GMT) scan diff

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Es steht lediglich da: zur Förderung deutscher Ansiedelungen ist das

(Lebhafte Zurufe bei den Polen. Abg. Dr. Mizerski:

Gesetz erlassen. § 1.) (Glocke des Präsidenten.)

Polonisierende Bestrebungen!

Im Texte steht dann:

Der Staatsregierung wird ein Fonds zur Verfügung gestellt um zur Stärkung des deutschen Elements in den Provinzen West⸗ preußen und Posen gegen polonisierende Bestrebungen (Rufe bei den Polen: Na also!) durch Ansiedelung deutscher Bauern und Arbeiter us. Der Zweck des Gesetzes ist allerdings gegen die polonisierenden Bestrebungen gerichtet, aber das Ziel ist lediglich die Stärkung des Deutschtums. (Na also! bei den Polen. Abg. Korfanty: Krieger⸗ vereine!)

Die Bestimmung selbst ist wirtschaftlich und politisch geboten, wirtschaftlich geboten, weil es nötig ist, dem Deutschtum in seinem Kampf in den östlichen Provinzen eine starke Hand zu geben. Das Gesetz soll nicht die Niederlassung von Polen verbieten (Lachen bei den Polen), auch nicht die Gründung polnischer Kolonien an und für sich verbieten. Diese polnischen Kolonien sollen nur unter eine gewisse Kontrolle gestellt werden (Lebhaftes Ah, ah! bei den Polen); sie sollen nur da untersagt werden, wo sie den Interessen des Deutschtums zu⸗ widerlaufen. (Zuruf bei den Polen: überall!) Das Gesetz verbietet Niederlassungen von Polen nicht. Ich kann mir sehr wohl denken, daß auch polnische gesunde Neuschöpfungen auf Grund dieses Gesetzes entstehen. (Zuruf im Zentrum: wie denn?) Durch Parzellierung! (Heiterkeit und Lachen bei den Polen.) Aber wo diese Parzellierung das deutsche Element und die die deutschen Interessen verletzt, da soll die Handhabe geboten werden, daß sie verboten werden kann. Die Gemeinden, die man in Polen neu schafft, werden von den Staatsbehörden, von der Ansiedelungs⸗ kommission so ausgestattet, daß sie in der Lage sind, für eine abseh⸗ bare Zukunft den öffentlich⸗rechtlichen Bedürfnissen aller Art zu ent⸗ sprechen, daß sie in der Lage sind, für ihre Kirchen, Schulen, Wege und sonstigen Gemeindeeinrichtungen auf das beste und auskömmlichste zu sorgen, daß sie derart gebildet werden, daß die gesamte Steuerkraft und die persönliche Kraft der Einzelnen zusammengefaßt der An⸗ siedelung ein in sich geschlossenes festes Gefüge geben. Leider haben wir die Erfahrung gemacht, und der Herr Landwirtschaftsminister wird Ihnen das yoraussichtlich noch weiter ausführen (Zuruf des Abg. Korfanty: ist gar nicht nötig!) daß diejenigen Kolonisationen, die seitens der polnischen Banken ausgeführt werden, dieser gesunden, für das Allgemeinwohl absolut notwendigen Grundlage entbehren und daß infolgedessen dadurch eine Schädigung der ganzen Provinz und des ganzen Vaterlandes eintritt. Und nun weiter!

Diese polnischen Banken suchen, wie die polnischen Zeitungen selbst angeben, überall Boden zu erwerben, überall da, wo der Boden für die deutschen Ansiedelungen zu teuer ist; sie bieten höhere Preise, sie bringen eine ungesunde Preistreiberei in den Grundbesitz der west⸗ lichen Provinzen hinein. Die Güter in Posen und Westpreußen haben heute einen viel zu hohen Kaufwert, der zu dem Ertragswert nicht in dem richtigen Verhältnis steht. Und das ist nicht eine Folge

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der Ankäufe der Ansiedelungskommission, sondern die Ansiedelungs⸗

kommission klegt darüber, daß sie zu hohe Preise anlegen muß, weil die polnische Konkurrenz die Preise ins ungemessene in die Höhe schraubt. Und nun ein anderes auf nationalem Gebiet beruhendes Moment! (Ah, ah! bei den Polen.) Durch diese hohen Preise wird auch der Deutsche gezwungen, zumal beim Erbfall bei mehreren Kindern, seinen Besitz nicht zu halten, sondern wieder zu versteigern und in andere Hände, vielleicht in polnische Hände übergehen zu zu lassen. Dadurch wird das deutsche Element, das wir vor allem in unseren westlichen Provinzen aufrechterhalten wollen, geschwächt zu gunsten der Polen, und das ist eine Gefahr für unser Vaterland. (Sehr richtig! rechts) Es ist dies die Landflucht der Deutschen. Niemand kann dieselbe mehr beklagen als ich; aber bei den unglück⸗ lichen Verhältnissen, die dort herrschen, bei den exorbitant hohen Preisen des Landbesitzes, wird es einem Deutschen, der eine Anzahl Kinder hat, schwer, seinen Besitz zu erhalten und ihn nicht aufzugeben und wieder aus dem Lande herauszugehen. Das wollen wir vermeiden und wollen vor allem dahin arbeiten, einen gesunden deutschen Bauernstand in diese Provinzen hineinzutragen.

Nun, meine Herren, politisch! Es ist ja in einem gewissen Sinne selbstverständlich, daß auch dieses Gesetz die Herren Polen in ihrem Herzen trifft und daß sie das bedauern, aber sie werden es ertragen müssen; denn diese Opfer verlangen wir von Ihnen im Interesse der Gemeinsamkeit, der Sie angehören, im Interesse des preußischen Staats. (Bravo! rechts. Lachen bei den Polen.) Wir können nicht warten, bis die Herren Polen aus eigenem Interesse, aus eigener Neigung sich zu uns wenden; da haben wir viel zu lange drauf ge⸗ wartet. Sie werden (Zuruf bei den Polen: 1894! Zuruf rechts: Ruhe!) Sie werden erst dann richtige preußische Bürger werden, wenn Sie es gelernt haben, daß Sie sich unter den preußischen Staat beugen müssen. (Bravoy! rechts. Unruhe bei den Polen.) Meine Herren, das Gesetz und die neue Bestimmung des Gesetzes soll deshalb einen Wall aufrichten gegen die polnische Uebermacht; (Lachen bei den Polen.) sie soll einen Wall aufrichten zur Stützung der Deutschen; sie soll aber auch den Deutschen befähigen, seine alten guten Charaktereigen⸗ schaften, seine Treue, seinen Fleiß, seine Beharrlichkeit in der Arbeit geltend zu machen zu seinem Nutzen und zum Nutzen des ganzen preußischen und deutschen Vaterlandes. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, nun könnten Sie mir erwidern, daß die polnische Agitation gegen das Deutschtum gar nicht so schlimm sei, wie es ge⸗ wöhnlich dargestellt wird hier von dieser Seite. Die Herren pelnischen Redner aus dem Hause pflegen ja gewöhnlich diejenigen Tatsachen nicht anzugeben, welche am besten und treffendsten geeignet sind, den Kernpunkt ihrer Agitation gegen alles, was deutsch und was preußisch ist, hier darzulegen. (Lachen bei den Polen. Sehr richtig! rechts.) Und deshalb, meine Herren, ist es notwendig, zuweilen an die Tatsachen zu erinnern, wie sie in jener Provinz sich ab⸗ spielen. Die polnische Art der Agitation besteht wesentlich in dem Bopkott alles dessen, was deutsch und preußisch ist, in dem Boykott, der in den letzten Wochen wieder eine Blüte getrieben hat, wie sie schöner und drastischer sich noch nicht dargestellt hat, in dem Antrag polnisch sprachiger Aerzte an die Aerztekammer in Posen, alle die⸗ jenigen deutschen Aerzte, welche von der Regierung jemals eine Unter⸗ stützung angenommen hätten, als standesunwürdige Mitglieder von der Aerztekammer auszuschließen. (Sehr richtig! bei den Polen. Be⸗ wegung rechts.) Meine Herren, ich glaube, das Wort ist nicht zuviel

es ist eine Unverschämtheit (große Unruhe und lebhafte Rufe: Oho! bei den Polen. Lebhafte Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen) der polnischen Aerzte, mit einem derartigen Antrage an die Aerztekammer zu gehen.

Meine Herren, und nun die politische Agitation! Ja, hier in Berlin werden Sie mit der politischen Agitation nicht heraus⸗ treten; aber, meine Herren, gerade die letzten Zeiten, die kriegerischen Verhältnisse im fernen Osten und deren Einwirkung auf die polnische Bewegung sind⸗ doch sehr interessant und werfen auf die Gesinnung der Polen außerordentlich interessante scharfe Schlaglichter, wenn man beobachtet, in welcher Weise diese kriegerischen Verhältnisse in der preußischen Provinz Posen und auch im russischen Polen aufgefaßt werden. Da will ich zunächst sagen, daß es zwei Strömungen sind, die dort herrschen: die eine, die etwas langsamer vorgehen wollende, wenn man will, etwas ruhigere, und zweitens die stürmische, die jugendliche. Diese beiden Strömungen, die sich auch vielfach im innern Partei⸗ leben der Polen gezeigt haben, sind hierbei ganz auffällig in die Erscheinung getreten. In einer in Posen veröffentlichten polnischen Zeitung ist der Aufruf abgedruckt, den die polnische National⸗ liga das ist der Verband, der augenblicklich von der Mehrzahl der aͤlteren Richtung der Polen als ihre anerkannte Vertretung noch be⸗ trachtet wird (Lachen und Zurufe bei den Polen), der Aufruf, den die polnische Nationalliga an die Polen im Großherzogtum Warschau, im Königreich Polen erlassen hat. Da wird ermahnt, daß die polnischen Brüder unter russischem Zepter nun nicht in diesem Moment schon losschlagen sollen gegen Rußland (Lachen bei den Polen); Rußland sei augenblicklich noch zu stark, es würde ganz von selbst kommen, daß Rußland durch den Krieg gezwungen werde, gegen Polen andere Saiten aufzuziehen, als es bis jetzt aufgezogen habe, und dann werde es an der Zeit sein, mit allen Wünschen und Aspirationen hervorzutreten; vorläufig sei die Sache noch nicht spruch⸗ reif und auch polnischerseits noch nicht vorbereitet genug, um jetzt schon vorzugehen. (Andauerndes Lachen bei den Polen und Rufe: Was soll das beweisen!) Meine Herren, das ist der erste Aufruf, der gewissermaßen amtlich veröffentlicht ist.

Ein zweiter Aufruf ist mir zugegangen aus dem russischen Polen, der in dem preußischen Polen nicht veröffentlicht ist; der ist gerichtet an die Polen in den preußischen Landesteilen von derselben National⸗ liga. Da heißt es: Ihr in Preußen habt ja einen solchen Haß gegen das Preußentum, daß ihr vielleicht jetzt gesinnt wäret, gegen Rußland günstiger zu denken. Das dürft ihr aber nicht tun, auch Rußland ist unser Feind, es ist nur noch nicht an der Zeit, vorzugehen. (Lachen bei den Polen.) Laßt einmal euren Haß gegen Preußen beiseite und werft euer Interesse auf das russische Polen und seht, was ihr dort zunächst erreichen könnt, das wird auch euch später zu gute kommen. (Zuruf bei den Polen: Was hat das mit diesem Gesetz zu tun!) Meine Herren, diese Voraussetzung, daß der Haß gegen Preußen größer sei als der Haß gegen den Zaren, wird als ganz selbstver⸗ ständlich hingestellt. Wir müssen also mit dem Haß gegen uns rechnen. Und nun, meine Herren, gibt dieser Aufruf noch weitere Lehren, und zwar die: Begünstigt, soviel wie ihr könnt, die Desertion aus den russischen polnischen Landesteilen und seht namentlich, daß diese Desertion nicht von Ungebildeten diese misera contribuens plebs mag nur immer zu Grunde gehen —, sondern daß sie erfolge aus den gebildeten Kreisen und alle die Gebildeten schickt auf geheimen Wegen nach Chicago. In Chicago wird der Kern einer polnischen Armee ge⸗ gründet (große Heiterkeit und Zurufe bei den Polen), da sollen zunächst 1000 Menschen zusammengebracht werden, um als Offiziere und Unter⸗ offiziere der künftigen polnischen Armee ausgebildet zu werden. (An⸗ dauerndes Lachen bei den Polen.) Meine Herren, das ist die ruhige Tonart. Sie lachen darüber, Sie wissen ganz genau, daß die Sache wahr ist. (Erneutes Lachen und Zurufe bei den Polen.)

Demgegenüber steht nun der Aufruf, der von der zweiten Richtung, von derjenigen der polnischen Jugend ausgeht, die in den Sokolvereinen verkörpert ist. (Zuruf rechts: Korfanty! Heiterkeit.) Dieser Aufruf lautet nun allerdings ganz anders; der will, wie es der stürmischen Jugend nun einmal innewohnt, sofort losschlagen:

Ans Werk, polnische Jugend! An die Waffen! Die Stimme der Knechtschaft ruft die verzehrende Flamme der Tat herbei! (Unruhe und andauernde lebhafte Zurufe bei den Polen: Wo steht das?) Zerreißen wir die Fesseln! Erhebt die Herzen! Polen wird der Herrschaft Joch vernichten, denn es geht in flammender Liebe zur Freiheit, zur Gleichheit, zur Brüderlichkeit! (Andauernde Unruhe und lebhafte Zurufe bei den Polen: Quelle nennen!) Unsere Waffen sind Schwert und Sensen. Mit dem Schwert in der Hand gegen Polens Machthaber zieht das polnische Volk. (Erneute Rufe bei den Polen: Quelle nennen!)

Das ist ein Aufruf, der in unzähligen Exemplaren verbreitet worden ist (lebhafte Unterbrechungen und Zurufe bei den Polen: Wo denn?) er kommt aus Oesterreich, d. h. Galizien, und ist von der Vertretung der polnischen Jugend hier auch in unser Land hinein⸗ geworfen worden. (Hört, hört! rechts. Andauernde Unruhe und Lachen bei den Polen)

Meine Herren, ich erzähle Ihnen das nur es sind ja ganz gewiß sehr viele Utopien dabei, es sind Gedanken, die heute in einem erhitzten Gehirn entstehen und die, ehe sie sich zur Tat verdichten, noch einer langen, langen Spanne Zeit voraussichtlich bedürfen; ich erzähle es aber nur, damit wir erkennen und der preußische Landtag erkennt, was wir von den Polen gegebenenfalls zu gewärtigen haben. (Sehr richtig! rechts.) Deshalb ist dies Gesetz, wie ich auch mit Recht zugebe, gewissermaßen auch ein Kampfgesetz gegen die Polen. (Leb⸗ haftes Hört, hört! bei den Polen.) Und da sage ich: videant con- sules, ne quid detrimenti res publica capiat. (Lebhaftes Bravo rechte. Zischen bei den Polen. Erneutes Bravo rechts und bei den Nationalliberalen. Wiederholtes Zischen und Zurufe bei den Polen.)

Abg. Dr. von Skarzynski (Pole) bemerkt, daß das Gesetz eigentlich die Ueberschrift tragen muͤßte: „Ansiedelungsmonopol für die Deutschen“. Die Begründung der Vorlage zeige den Geist des Gesetzes. Logisch sei das Gesetz ein Saltomortale; was es moralisch sei, könne er mit einem parlamentarischen Ausdruck nicht bezeichnen. Wo bleibe das Recht des Eigentümers, wenn er nicht einmal eine Umwandelung seines Gutes in mehrere ländliche Stellen ohne Genehmigung vornehmen dürfe? Ob Verkauf oder Verpachtung, alles werde über einen Kamm geschoren. Dieser Gesetzentwurf und seine Begründung hätten nur den einen Vor⸗ zug, ein historisches Dokument zu sein, das warnend zeige, in wesche

logischen Widersprüche man gerate, wenn man ein solches Gesetz kon⸗ struieren und begründen solle, das dem Grundsatz widerspreche: justitia

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fundamentum regnorum. Die Tätigkeit der Generalkommissionen werde durch dieses Gesetz erschwert. Käme es der Regierung lediglich auf die Förderung des Ansiedelungswesens an, so hätte sie ganz anders vorgehen können. Ueber die Tätigkeit der polnischen Ansiedelungs⸗ banken seien von dem Landwirtschaftsminister haarsträubende An⸗ gaben gemacht, wohlweislich ohne Nennung von Namen. Es sollte der Regierung nur darum zu tun sein, sparsame, tüchtige, ehrliche Bauern anzusiedeln, wie es die Polen seien; ob Polen oder Deutsche, könne gleich sein. Dazu seien das Ansiedelungsgesetz von 1876 und die Rentengutsgesetze geeignet; hier aber handle es sich um ein Kampfgesetz. Das schwierige Ansiedelungswerk werde allein im Interesse der Deutschen durchgeführt. Es sei ein schöner Traum ge⸗ wesen, den Großgrundbesitzern ihr Land abzunehmen und dafür deutsche Bauern anzusiedeln. Die Ansiedelungskommission habe mehr aus deutscher Hand als aus polnischer Hand gekauft. Als die polnische Ansiedelung größere Fortschritte gemacht habe, sei man so vorgegangen, wie es der Landwirtschaftsminister mit soldatischer Offenheit gesagt, daß man die Tätigkeit der Generalkommissionen beschränkt habe. Aus der Zeit des Kulturkampfes hätten sich unvergeßliche Bilder in das Gedächtnis der polnischen Bauern eingegraben. Der jetzige Kampf sei die Fortsetzung des 600 jährigen Kampfes des Germanentums gegen das Slaventum. Die Kämpfe drängten die Polen, wie Herr Roeren ausgeführt habe, in die Städte und nach der Behauptung des Ministers nach Amerika in die polnische Armee. Die östlichen Provinzen der Monarchie verormten und verödeten. Der Kampf gegen die Polen habe bisher nur Mißerfolge gezeitigt. In der inneren Politik habe der Fürst Bismarck Fehler gemacht; seine Hauptfehler seien der Kulturkampf und die Polenpolitik gewesen. Dem Buchstaben der Verfassung widerspreche das Gesetz allerdings nicht, aber das allgemeine Rechtsgefühl und der gesunde Menschenverstand müßten sich sagen, daß es sich um die Verfassung gerade noch herumdrücke. Warum erstrecke sich das Gesetz nicht auch auf Hannover, Schleswig⸗Holstein und Hessen? Auf diese Weise werde nur die Sozialdemokratie gefördert. Oesterreich müsse mit einer großen Menge von Nationalitäten rechnen, aber Preußen und Deutschland sei ein Einheitsstaat und habe unter 60 Millionen Einwohnern nur

3 Millionen Nichtdeutsche, es sei daher wohl in der Lage, die Polen wohlwollend zu behandeln.

Der Bestand des polnischen Volkes von insgesamt 20 Millionen Seelen nach dem hundertjährigen Kampfe sei ein lebendes Zeugnis für die Lebensfähigkeit dieser Nation. Der Redner schließt: Wir Polen bleiben unerschrocken. 8

Minister für Landwirtschaft ꝛc. von Podbielski: Mieine Herren! Der Herr Vorredner hat in einer langen Rede, zurückgreifend bis auf die Kulturedikte von vor 100 Jahren, versucht, dem Hause ein Bild über die innere Kolonisation Preußens zu ent⸗ wickeln und hat gefragt: Warum ist dieser Gesetzentwurf nicht auf die anderen Provinzen ausgedehnt? Warum enthält er nichts über Hannover, Schleswig⸗Holstein, Hessen? Ich habe darauf zu ant⸗ worten, daß gerade in diesen Provinzen die Frage, die für die innere Kolonisation von höchster Bedeutung ist, die Frage der Regelung der öffentlich⸗rechtlichen Verhältnisse sowohl bei Gründung von Kolonien, als auch von Einzel⸗ ansiedelungen bereits befriedigend gelöst ist.

Da der Herr Vorredner gewünscht hat, daß Namen genannt werden, werde ich die Kontrakte vorlesen, die die polnischen Banken geschlossen haben. Die Herren werden dann die Verschleierungspolitik beurteilen können, mit der solche Parzellierungsbanken ihre harmlosen Ansiedler ansetzen.

Einer der Herren Vorredner hielt den § 13a für eine schwere Be⸗ lästigung für die Bergbau treibenden Gegenden. Nach § 13a ist die Ansiedelungsgenehmigung erforderlich, wenn infolge oder zum Zweck der Umwandlung eines Landgutes oder eines Teils eines solchen in mehrere ländliche Stellen ein Wohnhaus errichtet werden soll. Es handelt sich also hier darum, daß innerhalb einer bebauten Ortschaft ein Landgut in mehrere ländliche Stellen zerlegt werden soll, was bei der Ansetzung von Bergarbeitern kaum je zutreffen wird.

Dagegen habe ich schon im Herrenhause darauf hin⸗ gewiesen, daß wir in § 17 in der Fassung des Herrenhaus⸗ beschlusses eine wesentliche Erschwerung für das Gesetz sehen, insofern nach dieser Vorschrift bei jeder Anstedelung ohne Unterschied die Kirchen⸗ und Schulvorstände gehört werden müssen. Wir werden uns darüber noch in der Kommisston auseinandersetzen.

Wie von den verschiedensten Seiten zutreffend hervorgehoben ist, kodifiziert ein Teil des Gesetzes eine Menge von Rechtsfragen, die im Laufe der Jahre im Hause berührt worden sind, Wünsche, die hier ausgesprochen worden sind, Erfahrungen, die inzwischen bei den Generalkommissionen gemacht sind. Dieser Teil des Gesetzes würde wohl nicht den Auestellungen unterliegen wie der jetzige § 13 b, der allerdings den Charalter eines Ausnahmegesetzes trägt, der aber eine unbedingte Notwendigkeit für die Regierung ist.

In den Verhandlungen des Herrenhauses sind Angriffe gegen das Vorgehen verschiedener Parzellierungsbanken erhoben worden. Wer im Osten unseres Vaterlandes Bescheid weiß, wird zugeben müssen, daß dort Private wie auch Parzellierungsbanken Bauernhöfe zerschlagen, neue Ansiedelungen begründet, sich aber um das Wohl und Wehe des Ansiedlers herzlich wenig bekümmert haben; sie wollten eben nur ein gutes Geschäft machen. (Sehr richtig!) Die Bedenken gegen dieses Parzellierungsunwesen gingen nicht allein von der konservativen Partei aus, und ich habe sie voll anerkennen müssen.

Nun, meine Herren, hat der Staat mit seinen großen Mitteln ein großes Parzellierungswerk in Posen und Westpreußen übernommen. Ihm ist eine Reihe polnischer Parzellierungsbanken als Konkurrenten gegenüber getreten. In der Presse hat man sich sogar soweit ver⸗ stiegen, zu sagen: Der Gesetzentwurf bedeute die Bankrotterklärung der Ansiedelungskommission, sie kann nicht weiter, nun sollen die un⸗ bequemen Konkurrenten beseitigt werden. Wahrlich, um so etwas handelt es sich nicht. Wenn vielleicht im Laufe des Sommers Herren von allen

Parteien die Reise nach den Ansiedelungsprovinzen mitmachen würden,

würde ich sie gern inszenieren, um zu zeigen, wie gesund und gut begründet die Kolonien sind, welche die Ansiedelungskommission dort geschaffen

hat. (Abg. Dr. von Dziembowski⸗Pomian: Wir laden Sie auch zu

den polnischen ein!) Sehr gern!

Wie ganz anders aber ist das Bild der polnischen Parzellierungs⸗ banken! Der Herr Vorredner sagte, ich sollte Namen nennen und den Herren Material unterbreiten, was diese Banken bei der Regelunz der öffentlich⸗rechtlichen Verpflichtungen verbrochen hätten. Diese Regelung ist für das platte Land von der größten Wichtigkeit, müßte vor der Durchführung jeder Kolonisation erfolgen, was indessen zut Zeit vielfach umgangen wird.

Berlin, Mittwoch, den 11. Mai

Ich komme nun zu den einzelnen Fällen: 1

In Mielzyn z. B., im Kreise Witkowo, ist von der Spolka Ziemska ein Restgut und 7 Stellen gebildet worden. Die Kolonie⸗ genehmigung ist nicht nachgesucht worden, die Ansiedler sind da; die Bauerlaubnis wird jedoch nicht erteilt, und jetzt lehnt die Bank es rund ab, etwas für die Regelung der öffentlich⸗rechtlichen Verhältnisse zu tun und läßt diese 7 Leute einfach sitzen. (Hört, hört! rechts.)

Ein weiterer Fall, bei dem der genannten Bank selbst seitens der polnischen Presse schwere Vorwürfe gemacht worden sind, betrifft das Gut Wichulee im Kreise Strasburg. 25 Kolonisten sind dort angesetzt; der Hektar ist durchschaittlich mit 900 belastet, die Ansiedler haben mit ganz unzureichenden Mitteln den Besitz angetreten und ringen jetzt um ihre Eristenz. Ich habe hier die Berichte des Regierungspräsidenten, und gebe zu, daß ich die prägnantesten Fälle ausgewählt habe. Ebenso liegt es im Kreise Znin. Da hat die Bank eine große Zahl von Ansiedelungen geschaffen, aber sich wohl gehütet, irgendwelche Neubauten von Wohn⸗ häusern vorzunehmen, und auf diesem Wege es umgangen, die öffentlich⸗rechtlichen Verhältnisse zu ordnen. Es ist doch eine eigen⸗ tümliche Sache, wenn plötzlich Ställe, die bisher fürs Vieh ver⸗ wandt waren, zu Wohnungen umzebaut werden und darin Leute wohnen, deren Kinder Schule und Kirche besuchen sollen. Aber nicht allein die polnischen Banken, auch deutsche Unternehmer trifft der gleiche Vorwurf. Sie haben Ansiedelungen vorgenommen, ehe überhaupt eine Ordnung der öffentlich⸗rechtlichen Verhältnisse stattgefunden hat, und ich sage den Herren Polen ganz offen, wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich überhaupt für unser gesamtes Vaterland diesen Ausschlächtern endlich das Handwerk legen wollen. Man soll, wenn man ansiedeln will, erst geregelte Verhältnisse schaffen, statt den Kolonisten, die sich nicht zu helfen vermögen, die Sache zu überlassen. (Bravoy! bei den Polen.)

Nun komme ich zum zweiten Teil, und der ist ein ganz eigen⸗ tümlicher. Wie immer im politischen Leben das möchte ich gerade den Herren vom Zentrum vorführen hat das Polentum es in ge⸗ schickter Weise verstanden, auch die Ansiedelungen mit politischen Zwecken zu verquicken; dem einzelnen Ansiedler, der angesetzt wird, gibt man nicht nur das Land, meinetwegen zu einem sehr hohen Preise, nein, ehe der Mann das Land be⸗ kommt, muß er auch noch in eine Genossenschaft ein⸗ treten. Diese Genossenschaft steht in Wechselbeziehung zu seinen Ankauf; wenn er auf der einen Seite etwas schuldig bleibt und will aus der Genossenschaft raus, so kann er es nicht ohne Genehmigung des polnischen Vorstands. (Hört, hört! rechts.) Auf der anderen Seite kann ihm, wenn er etwas schuldig bleibt, alles genommen werden. Herr von Koscielski hat mir im Herrenhause gesagt: wir sind von Wohlwollen durchtränkte Leute. Gewiß, meine Herren. Aber gegen welches Entgelt? Sie haben die Leute zu Heloten gemacht. (Abg. Korfanty: Sie machen uns zu Heloten!) Sie haben sie ab⸗ hängig gemacht von Ihrem Geld. Der Schwerpunkt der ganzen Angelegenheit, das wollen Sie doch nicht vergessen, liegt in der Ver⸗ quickung von Ansiedelung und Genossenschaft, daß man den Ansiedler ansetzt und ihn zugleich durch dieses Einzwängen in die Genossenschaft absolut abhängig macht von den Männern, die regieren. (Abg. Korfanty: Das ist der rechte Typus von Heloten!)

Nun haben die Herren mich aufgefordert, doch Namen zu nennen, insbesondere bezüglich der Kontrakte und der Banken. Als ich im Herrenhause gesprochen hatte, las ich, ich hätte gar kein oder nur dürftiges Material gehabt. Meine Herren, ich trete im öffentlichen Leben nicht gern mit Namen hervor; die Kontrakte lagen mir vor und ich hatte nur Andeutungen gemacht, weil ich annahm, daß die⸗ jenigen Herren, die mit der Sache zu tun haben, daraus selbst das Nötige entnehmen könnten. Sie haben mich aber heute aufgefordert, Namen zu nennen; wohlan, ich bin bereit.

Hier ist die Sache von Sulin. Ich weiß augenblicklich nicht, in welchem Kreise das Gut liegt; jedenfalls ist es der Kontrakt von der Bank Ziemski in Posen vom 23. Juli 1901; der Fall liegt also nicht gerade weit zurück. Es dreht sich vor dem Kaufvertrage um einen Pachtvertrag. § 2 sagt:

Der jährliche Pachtzins beträgt 100 ℳ, zahlbar in halb⸗

jährlichen Raten am 1. April und 1. Oktober. Dann steht darin folgender hübscher Satz § 7 —:

Falls Pächter den in § 5 vorgesehenen Kaufkontrakt nicht

sollte abschließen wollen, so wird der Pachtzins, vom Tage der

Fälligkeit der nächsten Rate an gerechnet, auf jährlich 240 erhöht. (Hört, hört! rechts.) Meine Herren, ist das nicht ein Strick? (Heiterkeit.) Ich weiß nicht, was sonst ein Strick ist; ich nenne es so Herr von Skarzynski hat ja solche Kontrakte hören wollen. Der Mann, der solchen Kontrakt unterschrieben hat, war mit Leib und Seele der Bank verkauft. Das ist doch zweifellos!

Nun komme ich zu dem zweiten Teil dieses Vertrages. Ich habe damals schon im Herrenhause angedeutet, daß das Gut nicht von be⸗ sonderem Boden ist. Es ist mittlerer Roggenboden. Selbst bei den sehr geschraubten Preisen in der Provinz Posen wird diesem Manre er kauft 2,5 ha Acker, also ungefähr 10 Morgen der Hektar für 1200 verkauft! Meine Herren, das sind doch Zahlen, die zu denken geben! So werden aus den Fellen der Leute, die diese Kon⸗ trakte unterschrieben haben, recht fette Dividenden herausgeschnitten. Wenn sie auch nachher angeblich alles Wohlwollen üben, so ist es doch immer das Wohlwollen: „Mann, du tust das, was wir wollen; dann sind wir wohlwollend; du kannst nicht mehr zur Seite gehen!“

Ich komme nun auf andere Fälle. Die Anzahlung beträgt da etwa 15 %. Meine Herren, wer ein verständiger Landwirt ist, muß sich sagen: ein Mann, der nur 15 % für seine Scholle anzahlen kann, ist von vornherein gerichtet. (Abg. Dr. von Dziembowski⸗ Pomian: Der Pole nicht! Abg. Korfanty: Nur der preußische Junker!) Er ist unfähig, die Sache durc führen zu können.

In diesen Verträgen heißt es der Regel nach: Käufer verpflichtet sich, von dem kreditierten Kaufpreise 5 % Zinsen zu zahlen. Ich hatte im Herrenhause nur 4 ½ % gesagt, als ich mir aber die Kontrakte ansah, war es anders. Hier liegt z. B. ein Kontrakt von derselben Bank Ziemski; er betrifft das Gut Losiniec im Kreise Wongrowitz. Hier ist der Hektar allerdings billiger. 5 ha kosten 3000 ℳ; aber dann heißt es im § 3 ganz interessant: 8 Die Genossenschaft kreditiert dem Käufer das Restkaufgeld zu 4 ½ %. Die ganze Schuld des Käufers wird fällig an dem Tage an welchem er aus der Genossenschaft ausgeschlossen wird oder seinen Austritt anmeldet. Dann weiter der berühmte § 7: der Käufer hat auf die Geschäfts⸗ anteile der Genossenschaft 100 eingezahlt. Die Auflassung aber erhält Käufer nicht eher, bis die 3000 gezahlt sind. Endlich besagt der § 13: Der Käufer ist befugt, über die gekaufte Parzelle frei zu ver⸗ fügen, insofern er sein Geschäftsguthaben gemäß § 74 des Ge⸗ nossenschaftsgesetzes auf seinen Rechtsnachfolger überträgt. Aber, meine Herren, diese Uebertragung darf nur stattfinden mit Genehmigung des Vorstandes. Das ist immer das A und O der ganzen Sache. Es handelt sich nicht um die Parzellierung als solche, sondern darum eine Hörigkeit herbeizuführen; Sie wollen ein gewisses Helotentum schaffen; Sie wissen, die Leute können Ihnen nicht mehr aus den Fingern, weil Sie das Geld haben. Und da will man sagen, die landwirtschaftliche Verwaltung wolle nur die ihr lästige Konkurrenz dieser Parzellierungsbanken beseitigen. Meine Herren, um eine lästige Konkurrenz handelt es sich wahrlich nicht, sondern um eine staats⸗ gefährliche Konkurrenz, die Staaten im Staate bilden will, und da sollte eigentlich doch jeder seine ganze Kraft einsetzen, um solchen Zerrbildern anders kann ich es nicht bezeichnen entgegenzutreten. Aber, meine Herren, noch weit über das hinaus, was ich von er Bank Ziemski in Posen, auf die ich gerade angeredet worden bin, gesagt habe, kann ich z. B. von der Bank Rolnikow in Posen anführen. Diese hat im Bezirk Bromberg 1 ½ ha mit Winterung be⸗ stellt für 2900 an einen Ansiedler verkauft. Ich halte eine solche Ansiedelung für ganz unmöglich und für ausgeschlossen, daß der Mann vorwärts kommen kann. Weiter verkauft die Bank Parcelacyjny in Posen 6 ¼ ha pro Hektar für 3000 ℳ, Anzahlung 5166 ℳ, Rest 13 300 mit 5 % Zinsen. (Zuruf bei den Polen: Wo!?) Es ist im Regierungsbezirk Posen; ich würde Ihnen ja die Kontrakte heraussuchen können. Hier ist z. B. ein Herr von Grabski; dieser ver⸗ pachtet 21 Morgen für 14,64 pro Morgen. Der Pächter ver⸗ pflichtet sich aber, wenn er nicht kauft, sofort diese Pachtrate auf 21,96 ℳ, also um 50 %, zu steigern. Meine Herren, das sind doch, Sie werden mir zugeben, schlimmere Kontrakte, als man sie selbst bei sogenannten Güterschlächtern je gefunden hat. Weiter werden hier z. B. im Regierungs⸗ bezirk Posen der Bank Parcelacyjny 3 ha mit 1560 pro ha bezahlt; die Anzahlung ist 1500 ℳ, der Rest muß mit 5 % verzinst werden. So liegt mir noch eine ganze Reihe von Kontrakten vor, ich bin gern bereit, wenn die Herren sie einsehen wollen, sie herauszusuchen. Für mich ergibt sich daraus: geringe Anzahlung, hohe Verzinsung des Rest⸗ kaufgeldes, Exmission, Verlust aller aufgewandten Mühen und aller Entschädigungsansprüche, sowie man nicht den Verpflichtungen nach⸗ kommt. Natürlich, meine Herren, kommt es nicht immer zum Aeußersten, weil die Banken ja eben in geschickter Ausnutzung ihres Tricks die Leute von sich abhängig machen. Ihr Wohlwollen muß im Wahlzettel voll und ganz seine Quittung erhalten. (Sehr richtig! rechts.)

Nun ist weiter gesagt worden, es wäre doch ein ungleiches Recht, man verböte den Polen den Ankauf von Grund und Boden in ihrer Heimat. Darum handelt es sich aber nicht, es ist nicht einem Polen verboten, einen Bauernhof von einem Deutschen oder einem Polen zu kaufen. Es handelt sich hier lediglich um die Parzellierungstätig⸗ keit, man will nur der ungesunden Parzellierung die Türe zu⸗ machen. Nach dieser Richtung hin würde ich sogar persönlich noch weitergehen wollen. Wir können, meines Erachtens, es nun und nimmermehr wünschen, daß Leute angesiedelt werden, von denen wir überzeugt sind, daß sie in kurzer Zeit zu Grunde gehen, die dadurch in Hörigkeit und Abhängigkeit kommen von politischen Parteien. Wir können andererseits auch im Interesse des Landes nicht wünschen, daß die öffentlich⸗rechtlichen Verhältnisse nicht zuvor geordnet werden, ehe überhaupt die Kolonisation vor sich geht.

Meine Herren, Sie werden aus meinen Ausführungen ersehen haben, daß, weun es sich um ein Ausnahmegesetz handelt (Zurufe bei den Polen: Also doch!), es doch zweifellos begründet ist, weil hier Gefahr für uns im Verzuge ist, eine Gefahr, die weit über das hinausgeht, was die Herren gewöhnlich glauben. Vielleicht werden noch Vertreter aus der Provinz Posen mit beredter Zunge das nach⸗ weisen. Ich wünschte auch, von den Gegnern käme mancher in die Provinzen Posen und Westpreußen und sähe dort die Verhältnisse, ich bin überzeugt, als deutscher Mann würde er zu keinem anderen Urteil kommen als zu dem, daß wir auf dem Boden, den der Fürst Bismarck uns hinterlassen hat, unentwegt vorwärts gehen müssen. Es wäre das größte Unglück, wollten wir von dem betretenen Wege abweichen. Der Tag ist leider sehr fern ich persönlich wünsche ihn herbei —, wo die Polen von ihren Aspirationen abstehen und sich zu dem bequemen, was meiner Ansicht nach allein für sie dienlich ist, d. h. daß sie wirklich patriotische Preußen werden und nach jeder Richtung hin sich auf das innigste verknüpft fühlen mit dem Wohl und Wehe unserer Monarchie. Aber, meine Herren, mit den Polen, welche Aspirationen auf die Trennung von Preußen baben, ist nun und nimmermehr zu rechnen (sehr richtig!), und Sie mögen, aus welchen Gründen immer, heute für die Herren stimmen: es kommt für Sie alle der Tag (Lachen bei den Polen), wo sie sehen werden, daß mit der Staatsraison, welche die Herren Polen aufstellen, nun und nimmermehr ein deutsches Preußen zu erhalten ist. Darum, meine Herren, mag man die Vorlage ein Ausnahmegesetz

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nennen und mag zugegeben werden, daß es schwer ist, mit Ausnahme⸗ gesetzen zu arbeiten: wir gebrauchen nun einmal eine Waffe, weil wir sehen, in wie schlimmer Weise die Güterschlächterei betrieben wird, nicht etwa, wie Sie sich heute hier unschuldig hinstellen als die Lämmlein, die bloß für die Leute sorgen wollen,“ daß sie Grund und Boden kriegen. Meine Herren Polen, seien Sie offen und ehrlich wie Männer. Sie sprachen hier vorher davon, man solle seine Ge⸗ fühle klar und deutlich aussprechen. Sprechen Sie es ehrlich aus, daß Sie im Interesse des Polentums ansiedeln (Lachen bei den Polen), dann wird Ihnen auch eine klare Antwort von der anderen Seite kommen. So aber gehen Sie, leider muß ich das sagen, wie die Katze um den heißen Brei herum (Lachen bei den Polen), Sie deuten an, aber Sie wollen nicht ganz offen eingestehen, wovor Sie im Grunde Ihres Herzens durchdrungen sind: Sie denken weiter nichts als: los von Preußen, frei,“ womöglich ein Reich, Grenzen, ich weiß nicht wo sein sollen (Lachen bei den Polen), um dann, wie ich fürchte, nicht gerade sehr Erfreuliches in diesem Reiche zu zeitigen. (Sehr richtig! rechts.)

Ich hoffe, daß das hohe Haus der Staatsregierung diese Waffe nicht versagen wird. Wir hoffen auf Ihre Unterstützung nach dieser Richtung hin, damit wir wirklich fähig sind, das Deuts tum auch Ostmarken allezeit hochzuhalten und zu stärken. (Bravo! rechts.

eltasohn ffr. „Vgg.); Die heutige Vorlage birgt ewisse Bedenken. Wir haben die Befürchtung, daß durch sie den Großgrund⸗ besitzern Vorschub geleistet wird. Nicht unbedenklich ist auch, daß nur der Weg der Beschwerde und nicht der Rechtsweg gegeben ist. Die Hauptsache in der Vorlage bildet nach unserer Mei 11“ einung §. der in der Vorlage nur als Nebensache erscheint. Daß mit diesem Paragraphen das Gesetz als ein Ausnahmegesetz erscheint, wird allseitig zugegeben. Für Ausnahmegesetze fin wir aber nicht zu haben. Durch das vorliegende Gesetz Bwerden die Polen in ihrem freien Rechte, Grund und Boden zu erwerben beschränkt. Eine solche Tendenz bedeutet aber eine unter⸗ schiedliche Behandlung der Polen gegenüber den übrigen Staatsbürgern und verstößt gegen die Verfassung. Es wird zwar darauf hingewiesen daß wir uns in einem Kampfe befinden; aber selbst im Kampfe müssen gewisse Rücksichten beobachtet werden. Woher will ferner die R gierung die Garantie nehmen, daß die Deutschen, an die sie verkauft 8 nicht wieder an Polen verkaufen? Es kann nicht ausbleiben, daß durch eine Ausnahmemaßregel, wie sie hier geplant wird, Erbitterung hervorgerufen und auch auf weitere Kreise ausgedehnt wird. Diese ungerecht Maßnahme kann nicht zur Stärkung des Deutschtums dienen. Deshalb werfen Sie das Kuckucksei des § 13 b aus dem Nest! Darauf vertagt sich das Haus. Persönlich bemerkt Abg. Roeren (Zentr): Der Minister Freiherr von Hammer⸗ stein hat gesagt, daß ich den Mund sehr voll genommen hätte. Wenn es auch nicht der Gepflogenheit der Minister entsprechen mag, von einem Abgeordneten, der in Erfüllung seiner parlamentarischen Pflichten den Standpunkt seiner Ueberzeugung vertritt, zu sagen, daß er den Mund voll nehme, so hat es mich von dem Minister von Hammerstein nach den Antezedentien doch nicht gewundert, daß er auch Feute die Gepflogenheiten der Minister unberücksichtigt gelassen hat. Mich würde, wenn ich auch von der Rede des Ministers den Ein⸗ druck gewonnen hätte, daß er den Mund voll genommen hat (Glocke des Präsidenten), das Taktgefühl abhalten, es zu sagen. (Prä⸗ sident von Kröcher: Das war unzulässig.) Wenn der Minister von Hammerstein betont hat, daß ich als Staatsbeamter den Mund sehr voll genommen hätte, so hat es mich gewundert, daß selbst der Minister von Hammerstein die parlamentarische Kenntnis noch nicht hat, daß er nicht wissen sollte, daß wir hier nicht als Staatsheamte sondern als Abgeordnete sitzen und lediglich als solche für das was wir sagen, verantwortlich ind. Was die Ausführungen des Ministers selbst betrifft, so glaube ich, daß er sie selbst nicht so hoch qualifiziert hat, daß er erwartet, daß ein Jurist überhaupt darauf antwortet. (Präsident von Kröcher: Das war nicht persönlich.) 8 Schluß 4 ¾ Uhr. Nächste Sitzung: Mittwoch, 11 Uhr. (Ansiedelungsgesetz; Gesetze über die Gebühren der Kreistierärzte und der Medizinalbeamten; Gesetz über die Bildung einer Wassergenossenschaft für das Emschergebiet.)

Statistik und Volkswirtschaft.

XIII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter- wohlfahrtseinrichtungen.

Vorgestern wurde in Leipzig in Gegenwart von Vertretern hoher Staatsbehörden und in Anwesenheit von etwa 130 Teilnehmern die XIII. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrich⸗ tungen eröffnet. Der Vorsitzende, Staatssekretär a. D., Admiral Hollmann, ieß die Erschienenen, vor allem die Ver⸗ treter der Behörden und Korporationen willkommen. Der Ministerialdirektor, Geheime Rat Waentig begrüßte die Konferenz im Auftrage des sächsischen Gesamtministeriums, das den Verhandlungen, die wichtige Gebiete des öffentlichen Lebens beträfen, lebhaftes Interesse entgegenbringe; hätten doch die Fragen der Unterbringung der Ledigen und der Fürsorge für die Fälle der Invalidität, des Alters und des Todes der Arbeiter gerade in der letzten Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Kreishauptmann Dr. von Ehrenstein übermittelte der Versammlung die Grüße des Ministers des Innern von Metzsch, der zu seinem lebhaften Bedauern am persönlichen Erscheinen verhindert sei. Im Auftrage der durch die Verhandlungen des Landtages in Anspruch genommenen Bürgermeister der Stadt hieß der Stadtrat Ludwig⸗Wolf die Ver⸗ sammlung in den Mauern der Stadt Leipzig willkommen. Der Vor⸗ sitzende, Staatssekretär a. D. Hollmann, eröffnete darauf die Ver⸗ handlungen der Konferenz mit einigen einführenden Worten.

1 Nach dem Eintritt in die eigentliche Tagesordnung sprach der erste Referent, Beigeordneter Dr. Wiedfeldt⸗Essen, über die allgemeinen Fragen des Themas „Schlafstellenwesen und Ledigenheime’. Er ging davon aus, daß heute das Schlafstellenwesen fast allseitig als sehr mangelhaft anerkannt und verurteilt wird, daß es sich aber dessenungeachtet infolge der wirtschaftlichen und sozialen Entwickelung immer weiter verbreitet. Nachdem der Vortragende die Mißstände des Schlafstellenwesens beleuchtet, wandte er sich zu den Maß⸗ nahmen, die bisher gegen das Schlafstellenwesen getroffen worden sind, und empfahl die Begründung von sog. Ledigenheimen, ins⸗ besondere von Junggesellenheimen nach der Art derjenigen der Firma Krupp in Essen. Zwar sei die Errichtung möglichst vollkommen ausgestatteter, für die besonderen Zwecke eingerichteter Ledigenheime und ihr Betrieb auf wirtschaftlicher Basis kein Allheilmittel, aber ein wichtiges Hilfsmittel im Kampfe gegen das Schlafstellenwesen und ein Mittel, für dessen Anwendung gerade jetzt eine ünstige Zeit sei. Bei der zu erhoffenden Besserung der Lage der ndustrie würden

einerseits bei dem Steigen der Löhne die Schlafstellenvermieter etwa