Haus der Abgeordneten. 74. Sitzung vom 14. Mai 1904, 12 Uhr.
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die erste Beratung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Bestrafung des Spiels in außerpreußischen Lotterien und des Vertriebs von Losen außerpreußischer oder solcher preußischer Lotterien, welche nur für einen Teil der Monarchie erlaubt sind, fort.
Abg. Traeger (fr. Volksp.): Wir lehnen diese Vorlage ab, wollen aber, wenn größere Parteien Kommissionsberatung wünschen, ihnen darin nicht vorgreifen. Die Immoralität des Lotteriespiels ist schon vor langer Zeit von dem früheren Finanzminister von Bitter anerkannt worden, aber die Regierung hat im Laufe der Zeit die Lose der preußischen Lotterie noch vermehrt. Die Begründung der Vorlage beruft sich darauf, daß die Regierung mit diesem Entwurfe einem Verlangen des Hauses nachkomme. Es ist ja sehr lobenswert, wenn die Regierung unseren Wünschen nachkommt, aber hier hätte sie es nicht tun sollen. Wo ist im Lotteriewesen die Einheit des Reichs? Es ist doch eigen⸗ tümlich, daß ein mit dem Reichsstempel versehenes Lotterielos nur in einem Teile des Reichs gespielt werden darf. Hintertüren für den Vertrieb der verbotenen Lose werden doch immer gefunden. Die Vorlage steht mit dem Reichsstrafgesetzbuch im Widerspruch, denn nach diesem ist nurein gewerbsmäßiger Spieler“ zu bestrafen. Von den weiteren eingehenden Ausführungen des Redners ist auf der Tribüne nur hin und wieder ein Wort zu verstehen. Er erläutert insbesondere die juristischen Bedenken, die der Annahme der Vorlage entgegenständen.
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Ich will dem Herrn Vorredner auf das Rechts⸗ gebiet nicht folgen; ich glaube, der Herr Justizminister wird noch Gelegenheit haben, sich eingehend darüber auszulassen.
Der Herr Abg. Traeger sprach von einem heillosen Rechtszustand und polemisierte gegen die wiederholten Entscheidungen des Reichs⸗ gerichts. Ich glaube, meine Herren, wir könnten uns dabei doch be⸗ ruhigen, daß das Reichsgericht in wiederholten Entscheidungen uns das Recht zuerkannt hat, so vorzugehen, wie es in der Vorlage geschieht. Das Reichsgericht ist doch die oberste Instanz, der oberste Wächter der Rechtsordnung, und wenn das Reichsgericht in wiederholter Judikatur so entschieden hat, so glaube ich, daß das doch einen sichereren Rückhalt gewährt, als die Auffassung des einen oder des anderen nachgeordneten Gerichtshofes.
Ich habe in der goldenen Referendarienzeit mal den Vorzug gehabt, an der Seite des berühmten Anwalts Herrn Traeger zu verteidigen — nebenbei gesagt, mit einem glänzenden Erfolge, denn mein Klient bekam gleich fünf Jahre Zuchthaus —, und ich möchte mich mal an den Herrn Abg. Traeger als Anwalt wenden und ihn fragen, was er wohl tun würde, wenn er für einen Dritten ein großes Vermögen zu verwalten hätte mit einer jährlichen Einnahme von 9 Millionen, ob er es nicht für seine Pflicht erachten würde, dieses Vermögen seinem Klienten ungeschmälert zu erhalten, ob er es nicht für seine Pflicht erachten würde, dafür zu sorgen, daß dieses Vermögen nicht durch Manipulationen von anderer Seite allmählich von der Bildfläche verschr)indet. Und, meine Herren, in der Lage
dieses Anwalts befindet sich der Finanzminister. Er hat die Ver⸗ pflichtung, dafür zu sorgen, daß diese erhebliche Einnahmequelle dem Staate erhalten bleibt, daß sie nicht allmählich verschwindet, und die Steuerzahler genötigt werden, den Fehlbetrag von 9 Millionen durch erhöhte Steuern aufzubringen. Zudem handelt es sich ja nicht etwa um eine zufällige Manipulation, darum, daß aus irgendwelchen Gründen, die von uns unabhängig sind, diese Einnnahmequelle dem Staate entzogen wird, sondern die ganze Gefahr für unsere Lotterie ist durch die anderen Lotterien künstlich heraufbeschworen worden, indem diese Lotterien mit einem Spielkapital eingerichtet sind, daß sie be⸗ wußterweise in ihren eigenen Landesgrenzen gar nicht unterbringen können. Die fremden Lotterien sind also von vornherein darauf ba⸗ siert, in unserem Gebiete abgesetzt zu werden, und ich glaube, es ist nsere Pflicht, uns dagegen zu wehren.
Der Herr Abg. Traeger sagte, wir lüden die Leute ein, in unsere Glücksbude einzutreten und nicht in die anderen. Gewiß! ich halte es auch für die Pflicht nicht nur des Finanzministers, sondern auch der Landesvertretung, daß, wenn mal dieses Spiel nicht auszurotten ist, wie der Herr Abg. Traeger auch anerkennt, wenn diese Neigung zum Spiel in der Bevölkerung besteht, daß sie dann wenigstens zum Nutzen
unserer eigenen Steuerzahler ausfäallt und nicht zum Nutzen der Steuerzahler in einem fremden Lande.
Meine Herren, es handelt sich nicht nur darum, erhebliche finanzielle Interessen zu schützen, sondern — darauf habe ich mir schon hinzuweisen erlaubt — unser Publikum vor schweren Schäden zu bewahren. Ich habe darauf hingewiesen, in welcher Weise unser Publikum zum Teil von den fremden Kollekteuren eingeladen wird, in fremden Lotterien zu spielen, in welcher Weise unser Publikum jeden Tag ver⸗ leitet wird, unsere strafgesetzlichen Bestimmungen zu übertreten. Ich meine, wir sind es unserem Publikum schuldig, es gegen derartige täglich herantretende Versuchungen und gegen eine derartige widerliche Reklame — kann ich nur sagen — zu schützen.
Dann hat der Herr Abg. Traeger gesagt, die Einigkeit des Deutschen Reichs sei inzwischen eingetreten, und man müsse doch das Ziel einer Reichslotterie ins Auge fassen. Meine Herren, das Ziel einer Reichslotterie, glaube ich, ist in ziemlich weiter Ferne, weil sowohl die Interessen der einzelnen Bundesstaaten zum Teil entgegen⸗ stehen, vor allem aber auch, weil im Reichstag selber über eine solche Reichslotterie nur sehr schwer eine Verständigung zu erzielen sein würde. Dagegen würde doch schon sehr viel erreicht sein, ich glaube, auch vom Standpunkt des Herrn Abg. Traeger, wenn wir zwar nicht zu einer Reichslotterie kämen, aber zu einer Verständigung innerhalb der einzelnen Bundesstaaten; und ich habe das in meinen vorigen Aeußerungen nicht nur angedeutet, sondern direkt ausge⸗ sprochen — ich weiß nicht, ob der Herr Abg. Traeger hier war —, ich habe direkt ausgesprochen, daß ich bereits mit den anderen Bundes⸗ staaten in Verhandlungen eingetreten bin in der Richtung, eine Ge⸗ meinschaftlichkeit der Lotterie herbeizuführen. Ich habe ferner aus⸗ geführt, daß damals Kollekteure eines benachbarten Staats bei mir gewesen wären, die mir ausdrücklich mitgeteilt, sie hätten bis⸗ her von ihren 100 000 Losen 20 000 in Sachsen abgesetzt und 40 000 in Preußen, und daß sie jetzt, wo eine Verschärfung unserer strafgesetzlichen Bestimmungen in Aussicht stehe, am Ende ihrer Kräfte wären und nur dringend bäten, wir möchten eine Gemein⸗ schaft herbeiführen. Da habe ich gesagt: das ist gerade das, was wir wollen. Diese Gemeinschaft werden wir aber nie erreichen ohne eine
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man dem Gesetzgeber doch einen lapsus linguae oder eine Ober 1 v111“*“ 8 1
Verschärfung der strafgesetzlichen Bestimmungen. Der Herr Abg. Traeger gab das auch selber zu; er sagte: wenn die Vorlage nicht verabschiedet würde, dann bleibt alles beim alten, vollkommen unge⸗ nügenden Gesetz von 1885.
Wenn man zu einer Einigung kommen will, dann ist es uner⸗ läßlich, zunächst unsere Position zu stärken. Solange die anderen Lotterien hoffen können, daß sie illegitim das erreichen, was sie er⸗ reichen wollen, daß sie per nefas ihre Lose bei uns absetzen können, so lange werden sie nicht die Hand zu einer Verständigung bieten. Erst wenn wir das Strafgesetz so verschärfen, daß wir den fremden Losen den Vertrieb versagen, erst dann werden die anderen Lotterie⸗ staaten sich zu einer Verständigung bereit finden lassen. Daß diese Verständigung erzielt wird darin stimme ich dem Herrn Abg. Traeger bei —, ist auch durchaus mein Wunsch. Wollen wir das Ziel, so müssen wir aber auch die Mittel dazu wählen. Ich darf mich hier wieder an den Anwalt wenden und fragen, ob er es nicht für richtig hält, wenn er einen Prozeß gewinnen oder zu einem Vergleich kommen will, dann den Prozeß so gut zu führen wie nur möglich; wenn er den Prozeß von vornherein verloren gibt oder ihn schlecht führt, so wird er nie zu einem gütlichen Vergleich kommen. Im Ziele sind wir also durchaus einverstanden. Dann aber dürfen wir es bei dem gegenwärtigen Zustand nicht belassen; denn er führt zu einer schweren Schädigung des preußischen Staats und zu einer schweren Schädigung der Steuer⸗ zahler und macht es ganz unmöglich, in absehbarer Zeit zu einer Ver⸗ ständigung mit den einzelnen Lotteriestaaten zu gelangen. Werden wir unser Rüstzeug nach dieser Richtung hin verstärken, dann werden die anderen Staaten sich hoffentlich allmählich herbeilassen, unter den Opfern, die sie bringen müssen, mit uns eine Gemeinschaft zu schließen. Deshalb kann ich die Vorlage dem hohen Hause nochmals empfehlen und es bitten, sich vom Linken in diesem Fall nicht um⸗ garnen zu lassen. (Heiterkeit.) 8
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren, ich bedaure, dem Herrn Abg. Traeger, den reden zu hören, mir immer ein besonderes Vergnügen bereitet, in der Sache selbst auch heute wieder entgegentreten zu müssen, und zwar in den rechtlichen Deduktionen, die er gegen die Zulässigkeit des von der Staatsregierung geplanten gesetzgeberischen Vorgehens vorgebracht hat.
Es handelt sich in der Sache um verschiedene Rechtsfragen. Die erste ist die, ob ein landesgesetzliches Verbot des Spiels in außer⸗ preußischen Lotterien gegenüber der Reichsgesetzgebung zulässig ist. Meine Herren, diese Frage ist wiederholt in diesem hohen Hause auf das eingehendste erörtert worden, und zwar zunächst bei Erlaß des Gesetzes vom Jahre 1885, dessen Ersatz durch den vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigt ist. Das Gesetz von 1885 ist hervorgegangen aus Anträgen des dem Zentrum angehörigen Abg. Bödiker und des nationalliberalen Abg. Francke. Es hat einer außer⸗ ordentlich gründlichen und sorgfältigen Prüfung unterlegen, und der schriftliche Kommissionsbericht, der darüber erstattet ist, beschäftigt sich aufs eingehendste mit den hier vorliegenden Fragen. Es ist damals festgestellt, daß die Rechtslehrer in ihrer Mehrheit den Standpunkt vertreten, daß ein landesgesetzliches Verbot außerpreußischer Lotterien durch die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs nicht aus⸗ geschlossen sei. Es ist ferner auf die konstante Rechtsprechung hin⸗ gewiesen, und zwar nicht nur auf die Rechtsprechung des Reichs⸗ gerichts, von der heute der Herr Abg. Traeger zu meinem lebhaften Bedauern — ich glaube, entschieden Verwahrung dagegen einlegen zu müssen die Aeußerung getan hat, daß das Reichsgericht zuweilen willkürlich mit den Gesetzen umspringe; es hat nicht nur das Reichs⸗ gericht diesen Standpunkt vertreten, sondern es hat sich hierin im Einklang befunden mit der konstanten Praxis des Obertribunals, des Oberappellationsgerichts und des Kammergerichts, welches letztere bis zum heutigen Tage daran festhält, daß ein derartiges Landesgesetz zulässig ist. Allerdins hat in jüngster Zeit sich ein gewisser Widerspruch gegen diese Gesetzesauslegung erhoben, und es sind zwei Abhandlungen erschienen, die auch in der Begründung des Gesetzes erwähnt sind, eine von dem Landgerichtsrat Theisen und eine andere von einem Referendar Brückmann. Insbesondere die Ab⸗ handlung des Herrn Theisen geht in scharfsinniger Weise gegen die Praxis des Reichsgerichts vor. Es hat das auch zu dem Ergebnis ge⸗ führt, daß die Ferienstrafkammer des Landgerichts in Elberfeld, dem dieser Herr Theisen angehört, einmal ein entgegengesetztes Urteil im vorigen Jahre gefällt hat, und diesem Beispiele sind mehrere Schöffen⸗ gerichte gefolgt. Ob diese Urteile rechtskräftig geworden, weiß ich nicht; ich habe aber die feste Ueberzeugung, daß wenn sie mit den zu⸗ lässigen Rechtsmitteln angefochten worden wären — in der höheren Instanz ihre Aufhebung erfolgt sein würde. (Zuruf.) — Ich höre soeben, daß das Elberfelder Erkenntnis aufgehoben ist.
Der Herr Abg. Traeger hat sich auf die Bestimmung des Ein⸗ führungsgesetzes zum Strafgesetzbuch berufen, daß die Landesgesetz⸗ gebung nicht zuständig sei in solchen Materien, welche Gegenstand des Reichsstrafgesetzbuches sind; er behauptet, der Fall läge hier vor, in dem in den §§ 284 bis 286 des Strafgesetzbuchs diese Materie er⸗ schöpfend geregelt sei. Es ist ihm dabei eine gewisse Ungenauigkeit passiert. Er hat bemerkt, daß der Abschnitt, unter dem diese Para⸗ graphen sich finden, unter der Rubrik „Lotterie“ stehe. Das ist nicht richtig; die Ueberschrift des Artikels lautet: Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse. Das Wort Lotterie kommt nur in § 286 vor, der die Veranstaltung von Lotterien unter Strafe stellt.
Nun besteht darüber im allgemeinen kein Zweifel, daß dieser ganze Abschnitt, der vom strafbaren Eigennutz handelt, keineswegs diese Materie erschöpfend erledigt, sondern daß auf dem Gebiete er⸗ gänzende landesgesetzliche Vorschriften zulässig sind. Daß dies ins⸗ besondere für die hier in Frage stehende Materie gilt, ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, die der Herr Abg. Traeger uns schon vorgetragen hat. Aus der älteren preußischen Verordnung von 1847, die neben der Veranstaltung von Lotterien auch das Spielen in aus⸗ wärtigen Lotterien mit Strafe bedrohte, hat das Strafgesetzbuch nur die eine Position herausgegriffen, die Veranstaltung aus⸗ wärtiger Lotterien — zunächst das preußische, demnächst des Reichsstrafgesetzbuch —, und in den Motiven ist ausdrücklich gesagt, die landesrechtlichen Partikularbestimmungen über die Bestrafung des Spielens in auswärtigen Lotterien blieben unberührt.
Der Abg. Traeger folgert nun daraus, daß in der Begründung der Ausdruck „ausländische“ Lotterien gebraucht ist, während die preußische Verordnung von auswärtigen Lotterien spreche, und weil
flächlichkeit im Ausdrucke nicht zutrauen koͤnne, daß dieser Vorbehalt beschränkt sei auf ausländische Lotterien im Sinne des Strafgesetz⸗ buches; dieses versteht unter ausländisch nur außerdeutsche Gebiete. Die Sache liegt aber insofern anders, als zweifellos — und das ift auch schon in der Kommission und in den Verhandlungen über das Gesetz von 1885 dargelegt worden — dieser Passus der Motive damit ausdrücklich die bestehenden Gesetze gegen auswärtige Lotterien hat aufrechterhalten wollen, und für die Partikulargesetzgebung gilt eben nicht der Satz, daß unter „ausländisch“ lediglich die außerhalb des Deutschen Reiches liegenden Gebiete zu verstehen seien, sondern für die Partikulargesetzgebung fallen unser diesen Begriff nach feststehendem Sprachgebrauch alle außerpreußischen Gebiete.
Herr Abg. Traeger hat sich dann weiter berufen auf die Be⸗ stimmung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, nach welcher ein Lotterie⸗ vertrag verbindlich ist, wenn die Lotterie staatlich genehmigt ist. Er meint, damit sei es unvereinbar, das Spielen in solchen Lotterien und den Vertrieb solcher Lose unter Strafe zu stellen. Auch das ist nicht zutreffend. Der von Herrn Abg. Traeger angezogene § 134 Bürger⸗ lichen Gesetzbuchs, der die Bestimmung enthält, daß ein gegen ein Verbotsgesetz verstoßendes Rechtsgeschäft nichtig sei, wenn sich nicht aus dem Gesetz das Gegenteil ergibt, erkennt damit schon an, daß es strafrechtlich verbotene Geschäfte geben kann, die trotzdem privatrecht⸗ liche Wirkungen ergeben, privatrechtlich gültig sind. So liegt die Sache auch hier. Das strafrechtliche Verbot steht in dem preußischen Gesetze, während die privatrechtliche Gültigkeit dieses verbotenen Ge⸗ schäftes im Bürgerlichen Gesetzbuch ausgesprochen ist. Das ist gerade ein Fall, wo strafrechtliches Verbot und privatrechtliche Ungültigkeit sich nicht decken. Ich kann mich für diese Ausführungen auf eine Autorität berufen, die gewiß von keiner Seite angefochten werden wird, nämlich auf die Autorität von Planck, der zum § 763 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch ausdrücklich hervorhebt, daß bei dessen Abfassung gar nicht die Absicht bestanden habe, die partikularrechtlichen Lotterieverbote aufzuheben, daß man vielmehr, wie aus den Materialien auch hervorgeht, an diese Frage nicht habe rüͤhren wollen. Indirekt gibt das auch Herr Abg. Traeger selbst zu, indem er sagt: wenn das vor⸗ liegende Gesetz nicht angenommen würde, dann würde das Spiel des⸗ halb noch nicht straflos, denn es bliebe ja dann das Gesetz von 1885 in Kraft, — während er mit logischer Konsequenz hätte sagen müssen: es bleibt straflos, denn das Gesetz von 1885 ist nichtig, weil es mit der Reichsgesetzgebung in Widerspruch steht. Diese Konsequenz hat er nicht gezogen.
Meine Herren, wenn die gesetzgebenden Faktoren Preußens nicht nur bei der Emanation des Gesetzes von 1885, sondern ebenso bei der Emanation des Gesetzes von 1891 bezüglich des Verbots des Privat⸗ handels mit Staatslotterielosen sich auf den Standpunkt gestellt haben, daß ein solches Gesetz landesrechtlich zulässig sei, dann würde sich der Gesetzgeber mit sich selbst in Widerspruch setzen, wenn er jetzt
von diesem Standpunkt abgehen wollte. Ich glaube kaum, daß dazn
eine Neigung in diesem hohen Hause vorhanden sein wird.
Wenn Herr Abg. Traeger in einem amüsanten Beispiel darauf hingewiesen hat, welche Konflikte unter Umständen daraus entstehen könnten, wenn ein Sachse in seiner Heimat ein Los gekauft hat, dem⸗ nächst nach Preußen übersiedelt und hier die sächsischen Lose weiter⸗ spielt und sie sich schicken läßt, welche Konflikte dadurch für den Spieler und für den Händler entstehen können, so will ich nicht be⸗ streiten, daß solche Konflikte vorkommen können. Das kann aber auch auf anderen Rechtsgebieten geschehen. Sie würden für den Be⸗ teiligten aber wohl praktisch eine befriedigende Lösung finden; denn ich glaube, es würde keinem preußischen Staatsanwalt einfallen, in
einem solchen Falle Anklage zu erheben; es wäre auch zweifelhaft, ob
diese Anklage Erfolg haben würde.
Herr Abg. Traeger hat sich dann weiter mit der Frage be⸗ schäftigt, ob ein Abweichen von den allgemeinen Grundsätzen des Reichsstrafgesetzbuches in einem partikularen Strafgesetze zulässig sei oder nicht, er hat aber selbst schon angeführt, daß diese Frage durch eine reichsgerichtliche Entscheidung bejaht sei. Diese Entscheidung bezog sich auf ein Hamburger Gesetz, ein Zollstrafgesetz, wie ich glaube. Da ist ausdrücklich vom Reichsgericht ausgesprochen, das, soweit überhaupt eine Materie nicht durch das Reichsstrafgesetzbuch erschöpft sei, soweit also die Landesgesetzgebung zuständig ist, sich mit ihr zu beschäftigen, die Landesgesetzgebung auch von den allgemeinen Grundsätzen des Reichsstrafgesetzbuches abweichen kann. Das ist auch in der preußischen Gesetzgebung geschehen, indem z. B. mehrfach andere Grundsätze für den Rückfall aufgestellt, andere Strafen angesetzt sind, wie dies nach den allgemeinen Grundsätzen des Reichsstrafgesetzbuchs hätte geschehen müssen. Also auch in dieser Beziehung, glaube ich, ist die Anfechtung des Gesetzes nicht berechtigt.
Ueber Einzelheiten des Gesetzes, auf die Herr Abg. Traeger schon eingegangen ist, über schärfere Formulierung der einen oder anderen Bestimmung, die Mißverständnisse ausschließen könnte, wird sich ja reden lassen. Die Kommission wird der gegebene Ort sein, wo über diese Fragen näher verhandelt werden kann. Aber ich glaube, die Abweisung des Gesetzes a limine, weil es in seinem wesentlichen Inhalt nicht mit der Reichsgesetzgebung ver⸗ einbar sei, ist nicht begründet, und zu dem Ergebnis werden Sie bei der Behandlung des Gesetzes nicht gelangen können. (Bravo! rechts.)
Abg. Dr. Keil (nl.): Ein großer Teil meiner Freunde steht der Vorlage freundlich gegenüber und sieht in ihr einen Weg zur Abstellung der Mißstände in unserem Lotteriewesen. Für uns gilt der Grundsatz: justitia locuta, causa finita. Wenn man das iel erreichen will, muß man auch die Mittel dazu anwenden. Die Strenge der Strafe wird eine chinesische Mauer um Sachsen ziehen, die uns die sächsischen Lose fernhalten wird. Es ist nicht angenehm, wenn man mit jeder Post des Morgens eine Menge Lotteriedrucksachen zugeschickt erhält. Wir fassen dieses Gesetz als ein Kampfgesetz auf, wir wollen, daß die ausländischen Lotterien sich einschränken nach dem Maßstabe ihres eigenen Absatzgebiets. Es ist schon von beteiligter Seite erklärt worden, nach dem Erlaß dieses Gesetzes müsse die lübeckische Staats⸗ lotterie eingehen. Das erstrebenswerte Ziel ist die Lotteriegemein⸗ schaft, dann wird sich der Absatz regelrecht auf ganz Deutschland er⸗ strecken können. Ich beantrage, die Vorlage der Justizkommission zu überweisen, um die Einzelheiten zu prüfen. In den Grund⸗ prinzipien stimmen wir mit der Vorlage überein.
Abhg. Wolff⸗ Lissa (fr. Vgg.): Wir stimmen der Regierung darin bei, daß das zu erstrebende Ziel die Lotteriegemeinschaft ist, und daß dieses Gesetz ein Mittel dazu sein soll. Nur so lassen sich die Strafbestimmungen der Vorlage verstehen. An sich würden diese hohen Strafen zu weit gehen. Daß in der Vorlage die regel⸗ mäßige Versendung einer größeren Anzahl von Losen nicht als eine fortgesetzte Handlung angesehen, sondern jeder einzelne Fall besonders unter Strafe gestellt wird, widerspricht auf jeden Fall dem Reichs⸗ recht. Gegen ein solches Vorgehen gegen die Rechtsprechung des
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Reichsgerichts habe ich das schwerste Bedenken. Unannehmbar ist das Gefet für uns besonders deshalb, weil es dem Rechts⸗ efühl des allergrößten Teils der Bevölkerung widerspricht. ach diesem Gesetz muß selbst die Maschinenschreiberin, welche die Adressen der Kuverts für die Versendung der Lose schreibt, für jeden einzelnen Fall bestraft werden. Und der Lehrling, der 100 Lose in 100 Kuverts steckt, hat hundertmal eine strafbare Handlung begangen. Die Presse, die nicht zu den Lieblingskindern der Gesetz⸗ 88 gehört, wird in der Vorlage ebenfalls mit Strafen bedacht. Es sind ganz drakonische Strafen in der Vorlage angedroht. Die Zeitungsfrau, die 100 Zeitungen mit einer Lotterieanzeige austrägt, hat hundertmal eine strafbare Handlung begangen. Und da 100 Lose nach 100 verschiedenen Orten versendet werden können, kann in jedem der 100 Orte die Anklage gegen den Versender erhoben werden. In dieser Richtung ist das Gesetz schlechterdings unannehmbar. Und wozu wird das Gesetz erlassen? Um die 8 Finanzen zu sichern. Als das Haus seine Resolution im Jahre 1903 faßte, waren 10 000 preußische Lose unabgesetzt geblieben. Seitdem ist aber das finanzielle Interesse geringer geworden. Denn obwohl die Lose unter⸗ dessen um 6000 vermehrt worden, sind bei der letzten Lotterie nur noch 980 Lose unabgesetzt geblieben. Das zeigt, daß durch geschickte Maßnahmen der Lotterieverwaltung der Absatz der Lose gesteigert werden kann. Die Anzeige der Gewinnlisten in den Zeitungen wird auch für die Lotterien verboten, die nur in einem Teil der Monarchie zugelassen sind. Es ist bedauerlich, daß wir Preußen in Bavern, Sachsen usw. ein Ausland sehen müssen. Soll diese Vorlage Gesetz werden, ss müssen wir dem Drachen wenigstens die Giftzähne aus⸗ brechen. - Abg. Reinhard (Zentr.): Meine Freunde stehen der Vorlage freundlich gegenüber. Einige haben allerdings noch Bedenken juristischer Natur. In der Kommission müssen wir diese Bedenken eingehend prüfen, damit endlich einmal Rechtseinheit geschaffen wird. Es ist mir fraglich, ob es nötig ist, das Landesgesetz in einem derartigen Umfang mit dem Reichsstrafgesetz in Widerspruch zu setzen. Darauf wird die Diskussion geschlossen. Die Vorlage
wird der Justizkommission überwiesen.
Bei der dann folgenden ersten Beratung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Erweiterung des Hafens in Ruhrort, erklärt
Abg. von Kessel (kons.), daß seine Freunde die Notwendigkeit dieser Vorlage anerkennen und keinen Widerspruch erheben würden, wenn sie ohne Kommissionsberatung erledigt würde, daß sie eventuell aber auch mit einer Kommissionsberatung einverstanden sein würden.
Die Abgg. Pleß (Zentr.) und Hirsch⸗Essen (nl.) erklären sich dafür, ohne Kommissionsberatung die Vorlage zu erledigen.
Damit schließt die erste Beratung; die zweite Beratung wird demnächst im Plenum stattfinden.
Darauf folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Kottbus.
Abg. Dr. von Dirksen (freikons.) befürwortet die Annahme der Vorlage ohne Kommissionsberatung.
Abg. von Heyking (kons.) empfiehlt die Ueberweisung der Vor⸗ lage an die Gemeindekommission. 1 8
Die Vorlage wird der Gemeindekommission überwiesen.
Alsdann folgt die Beratung des Antrags der Abgg. Trimborn (Zentr.) und Genossen, die Regierung zu ersuchen, in den nächstjäͤhrigen Etat das Gehalt der Eisenbahn⸗ betriebssekretäre in einer ihrer Stellung und ihren Leistungen entsprechenden Weise zu erhöhen.
Abg. Busch (Zentr.) begründet den Antrag und gibt eine ein⸗ ehende Darstellung der Dienst⸗ und Examensverhältnisse der Eisen⸗ bahnbetricbs sekretate deren Gehalt für sich erhöht werden müsse, auch wenn sonst die Gehaltsregelung für die Beamten als abgeschlossen zu gelten habe.
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Die Frage beschäftige bereits seit Jahren das Haus, und die Erfüllung dieses Wunsches würde die preußischen Finanzen nicht ins Schwanken bringen. Der Redner beantragt die Ueberweisung des Antrags an die Budgetkommission. 8 1
Abg. Schaffner (nl.) spricht sich gleichfalls dafür aus, daß der Wunsch dieser Beamten erfüllt werde. 3
Abg. Dr. Wagner (freikons.) erklärt sich namens seiner Freunde mit der Ueberweisung des Antrags an die Budgetkommission ein⸗ verstanden. Wenn die Regierung auf Grund erneuter Prüfung im nächsten Jahre erhöhte Forderungen stellen sollte, würden seine Freunde sich nicht ablehnend verhalten. Diese Beamtenkategorie hätte ein etwas größeres Wohlwollen erfahren können, denn ihre Lage sei tatsächlich mit Schwierigkeiten verbunden. Vielleicht könnten diese Beamten durch Ablegung eines zweiten Examens ihre Befähigung für die Stellung der Eisenbahnsekretäre dartun. Die Budgetkommission werde hoffentlich in dieser Frage Klarheit schaffen.
Ein Regierungskommissar erklärt, daß die Lage derjenigen Betriebssekretäre, welche die Befähigung haben, Eisenbahnsekretäre zu werden, bei Aufstellung des nächsten Etats von neuem geprüft werden solle. Die Eisenbahnbetriebssekretäre hätten durchaus das Wohl⸗ wollen der Verwaltung erfahren; wiederholt seien die Stellen ver⸗ mehrt worden, um den Anwärtern die Möglichkeit zu geben, in die Stellen der Eisenbahnsekretäre zu kommen. In der Kommission werde eine Denkschrift vorgelegt werden, damit die Frage objektiv geprüft werden könne. Aus dieser werde man ersehen, daß fortgesetzt an Ver⸗ besserungen gedacht werde.
Abg. F (Zentr.) tritt für die Wünsche dieser Beamten ein. Namentlich müßten die Stellen der Eisenbahnsekretäre vermehrt Pehen dann werde auch für die Betriebssekretäre mehr getan werden önnen.
Abg. von Klitzing (kons.): Wir sind mit der Ueberweisung des Antrags an die Buͤdgetkommission einverstanden. Ein Teil meiner
reunde ist der Ansicht, daß diese Beamten einer besonderen Berück⸗ ichtigung bedürfen. Aber wir stehen anderseits auch auf dem Stand⸗ punkt, daß die Klagen und Petitionen der Beamten den Bogen nicht überspannen dürfen, und daß die Beamten sich dadurch selbst nicht nützen würden.
Abg. Broemel (fr. Vgg.): Es ist heute fast sechs Jahre her, daß über den Gegenstand zum ersten Male verhandelt worden ist. Die Regierung hatte aber bisher von unseren Wünschen kaum Notiz ge⸗ nommen. Bei der Regelung der Gehälter dürfen auch die un⸗ geprüften Betriebssekretäre nicht außer acht bleiben. Das Haus sollte es doch lieber sehen, wenn die Beamten ihre Wünsche durch Eingaben an das Haus kundtun, als daß durch Zurückdrängung ihrer Wuͤnsche die Unzufriedenheit genährt wird. Abg. Schiffer (nl.): Die Regierung hat anerkannt, daß hier ein Unrecht wieder gut zu machen ist. Es handelt sich um ältere Beamte, und da muß schnell geholfen werden. Wir bitten die Re⸗ gierung, zu helfen, wo zu helfen ist. 8
Abg. Wolgast (fr. Volksp.): Auch wir sind davon überzeugt, daß hier einmal etwas geschehen und die Regierung aus ihren Erwägungen endlich wieder herauskommen muß. Wenigstens die über fünf Jahre hinausgehende Wartezeit sollte auf die Dienstzeit an⸗ gerechnet werden.
Abg. Trimborn (Zentr.) stellt im Schlußwort fest, daß eine solche Einmütigkeit wie heute bei den früheren Verhandlungen nicht vorhanden gewesen sei, und daß die Regierung sich verhältnismäßig entgegenkommend gezeigt habe. Hoffentlich werde der Seeschlange, um die es sich hier handle, erdlich ein seliges Ende bereitet werden.
„„Darauf wird der Antrag Trimborn der Budgetkommission üͤberwiesen.
Es folgt sodann die Beratung des Antrags der Abgg. Ernst (fr. Pgg) und Genossen, betreffend die Erhöhung der Ostmarkenzulage für Volksschullehrer und Slehrerinnen und die Gewährung der Östmarken⸗
fulag⸗ an Lehrer und Lehrerinnen der Mittel⸗
chulen und höheren Mädchenschulen.
Abg. Ernst kommt bei der Begründung seines Antrags auf frühere Verhandlungen über die Ostmarkenzulage zurück und betont, daß die bisherigen Zuwendungen nicht ausreichen würden, um den Lehrermangel zu beseitigen; an die Lehrer würden die höchsten An⸗ gestellt.
Sie sollten im Interesse des Deutschtums tätig sein. Ihre, Klassen seien überfüllt. Da müsse man sie auch wirt⸗ schaftlich stärken, wenn sie mit Freuden ihre Pflicht erfüllen sollen. In manchen kleineren Städten der Provinz Posen seien Mittelschulen. Diese Städte seien aber finanziell so gestellt, daß sie den Lehrern dieser Schulen keine Zulage geben könnten; diese Lehrer ständen daher schlechter da als die Volsschullehrer, welche die Ostmarkenzulage vom Staate erhielten.
Geheimer Regierungsrat Klotzsch erklärt, auf die Anfrage des Vorredners, ob es wahr sei, daß wegen des Lehrermangels Lehrer aus Oesterreich geholt werden sollten, keine Auskunft geben zu können. Die Frage der Ostmarkenzulage sei seinerzeit eingehend geprüft worden, es sei daher nicht angebracht, jetzt schon wieder an dem gewählten System etwas zu ändern. Die Lehrer ständen besser als die Beamten da, denn sie erhielten durchschnittlich schon 10 % ihres Gehalts an Zulage. Wenn die städtischen Mittelschullehrer schlechter wegkämen, so sei eben zu bedenken, daß es zunächst darauf angekommen fei die Landlehrer zu stärken. Der Antrag würde eine Mehrausgabe von 600 000 bis 660 000 ℳ verursachen. Hoffentlich werde es aber noch gelingen, die berechtigten Wünsche der Lehrer an Mittelschulen und höheren Mäadchenschulen zu erfüllen.
Abg. Cassel (fr. Volksp.) erklärt, daß seine Freunde aus prin⸗ zipiellen Gründen gegen die Ostmarkenzulagen überhaupt seien und deshalb auch dem Antrag nicht zustimmen köͤnnten.
Abg. Viereck (freikons.): Die Lehrergehälter sind im Osten ge⸗ ringer als im Westen; die Ostmarkenzulage soll einen Ausgleich bieten, aber trotzdem ist der Lehrermangel nicht beseitigt, und deshalb scheint es mir an der Zeit zu sein, mit einer Erhöhung der Ostmarkenzulage vorzugehen. In der Kommission müssen wir die Frage prüfen, ob den Mittelschullehrern nicht auch die Ostmarkenzulage zu geben ist. Ich empfehle deshalb die Annahme des Antrags.
Abg. von Staudy (kons.): Ich verkenne nicht, daß der Antrag, den ich mit gestellt habe, erhebliche Mehraufwendungen verursacht, aber dennoch empfehle ich die Annahme. Wer die Verhältnisse nicht kennt, weiß nicht, wie schwer für die Beamten und Lehrer die Ausühung ihres Berufs in den polnischen Landesteilen ist. Ich habe von vornherein nicht der Ansicht des Kultusministers beistimmen können, daß die Ostmarkenzulage und die Ver⸗ mehrung der Seminare im Osten den Lehrermangel beseitigen könnten. Diese Ansicht hat sich auch als irrtümlich herausgestellt. Es ist ein Lehrermangel in einem Umfange vorhanden, der die größten Bedenken erregt und uns zwingt, mit geeigneten Mitteln vorzugehen. Auch in Oberschlesien und Ostpreußen, selbst in Masuren heeben schon ähnliche Verhältnisse wie in Posen. Man hat die Gemeinden aufgefordert, ihrerseits mit Erhöhung von Zulagen für die Lehrer vor⸗ zugehen, aber die Voraussetzung wäre doch, daß die Gemeinden in der Lage sind, die Zulage zu geben. Ich schließe mich dem Vorschlag an, den Antrag der Budgetkommission zu überweisen.
Geheimer Finanzrat Löhlein: Diese Frage ist auch unter Be⸗ rücksichtigung der jetzigen Wünsche in der Budgetkommission schon hin⸗ länglich erörtert worden, und ich weise darauf hin, daß eine hierauf bezügliche Petition durch die Beschlüsse des Hauses zum Etat für er⸗ ledigt erklärt worden ist. Dadurch wird auch dieser Antrag gegenstandslos.
Abg. Dr. von Dziembowski (Pole): Wir haben gleich gesagt: wer in dieser Frage einmal A gesagt habe, werde bald B sagen müssen, und wir haben damals schon in Aussicht gestellt, daß im nächsten Jahre schon Anträge von anderen Beamten und Lehrern kommen würden, die auch die Zulage beanspruchen würden. Um dem Lehrermangel abzuhelfen, wäre das richtige Mittel, die Lehrergehälter allgemein zu erhöhen. Aus prinzipiellen Gründen müssen wir den Antrag ablehnen. 1““
Hiermit schließt die Diskussion.
Der Antrag wird der Budgetkommission überwiesen.
Darauf beschäftigt sich das Haus mit Petitionen.
Eine Reihe von Petitionen von Beamten, die rein persönlichen Inhalts sind, werden durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.
Eine Petition von Kapeler in Osnabrück fordert die Einfuͤhrung einer Landeszwangslotterie an Stelle der direkten Besteuerung.
Berichterstatter Abg. Heckenroth teilt aus der Begründung der Petition mit, daß nach Ansicht des Petenten niemand seine Steuern gern zahle, daß aber bei einer Zwangslotterie mit der Aussicht, etwas zu gewinnen, jeder seinen Obolus gern entrichten würde. Die Aus⸗ führung des Planes habe der Petent nicht angegeben, sondern der Er⸗ wägung des Hauses überlassen. Die Kommission habe in der Petition kein brauchbares Material gefunden beantrage deshalb Uebergang zur Tagesordnung.
Das Haus beschließt hiernach.
Die Unterrichtskommission beantragt, Petitionen der Gymnasial⸗ lehrer Möller und Genossen in Flensburg u. a. O. um Erhöhung des Höchstgehalts der seminaristisch gebildeten Lehrer an staatlichen höheren Lehranstalten und deren Vorschulen der Regierung als Material zu überweisen.
Ein Regierungskommissar erklärt sich gegen die Erfüllung der Wünsche der Petenten.
Die Abgg. Dr. Heisig (Zentr.) und Wolgast (frs. Volksp.) treten dagegen für die Petitionen ein und empfehlen die Ueberweisung als Material.
Geheimer Finanzrat Löhlein hält jedoch die Erledigung durch Uebergang zur Tagesordnung für angebracht, da diese Frage ab⸗ geschlossen sei. 1
Das Haus beschließt nach dem Kommissionsantrage.
Eine Petition um Erhöhung des Grundgehalts für diejenigen israelitischen Volksschullehrer, mit deren Stellen Vorsängerdienst ver⸗ bunden ist, wird teils durch nng zur Tagesordnung erledigt, teils der Regierung zur Erwägung überwiesen.
Eine Petition von Zöllner in Kottbus um andere Heranziehung des Einkommens aus Wertpapieren zur Einkommensteuer wird durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt. “
Eine Petition des Polizeikanzlisten Plorin in Kiel um Aus⸗ dehnung des Unfallfürsorgegesetzes auf Polizeibeamte wird der Regierung als Material überwiesen.
Eine Petition des Justizrats Dr. van Koolwyk in Berlin wünscht Aenderung der Berichterstattung über parlamentarische Verhandlungen.
Berichterstatter Abg. von Heyking (kons.) teilt aus der Be⸗ gründung der Petition mit, daß der Petent die jetzige Art der parla⸗ mentarischen Berichterstattung als mangelhaft ansehe. Die Berichte würden zerstückelt und willkürlich anders gebracht, und dadurch werde im Volke ein falsches Bild der Verhandlungen hervorgerufen. Den Berichten würden oft kurze Einleitungen vorausgeschickt, in denen manche Abgeordnete als absurde Menschen hingestellt würden, was das Ansehen des Parlaments herabdrücke; dies gelte besonders von sozialdemokratischen Zeitungen. Die absichtliche Aende⸗ rung und Zerstückelung erfolge aus geschäftlichem Interesse. Die Zeitungen wollten ihren Lesern das bringen, was diesen angenehm sei. Der Petent sehe eine Besserung darin, daß die Journalisten eine bessere Stellung gegenüber den Zeitun sbesitzern erhielten, und daß nach Art der Standesgerichte der Rechtsanrälte und Aerzte Ehren⸗ gerichte für sie errichtet würden, von denen sie für falsche Bericht⸗ erstattung zu bestrafen seien. Zweckmäßig wäre es, wenn die Berichterstattung ganz von der Tribüne beseitigt würde und das Haus selbst die Berichte den Zeitungen in längerer und kürzerer Form zur Verfügung stellte. Andere Berichte sollte keine Zeitung annehmen dürfen, dafür müßten gesetzliche Maßnahmen getroffen werden. Dies würde allen politischen Parteien zugute kommen. Die Fälschung der Berichterstattung würde vermieden und besseres Ver⸗
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ständnis im Volke erzielt werden. Der Berichterstatter fügt diesen Ausführungen der Petition hinzu, daß über Mängel der Zeitungs⸗ berichterstattung schon öfters geklagt, daß aber bestimmte Vorschläge noch nicht gemacht worden seien. Die Kommission habe auch die Vorschläge des Petenten nicht für geeignet gehalten und beantrage Uebergang zur Tagesordnung, zumal da der Erlaß einschlägiger gesetz⸗ licher Bestimmungen zur Kompetenz des Reiches gehören würde.
Das Haus beschließt ohne weitere Debatte nach diesem Antrage.
bg. Dr. von Savigny (Zentr.) fragt zur Geschäfts ordnung an, ob der Beschluß des Seniorenkonvents, am 14. Juni wieder zusammenzutreten, nicht zur Ausführung kommen solle.
Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (kons) empfiehlt den Wiederzusammentritt am 7. Juni mit der Maßgabe, daß die Kom⸗ missionen schon vom 31. Mai bis 7. Juni Sizungen abhalten sollten.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.) ist damit ein⸗ verstanden, unter der Voraussetzung, daß in der Woche vom 7. Juni ab 2 noch drei Tage ganz für die Kommissionen freigelassen werden.
Präsident von Kröcher will diese Wünsche erwägen.
Schluß nach 5 ¼ Uhr. Nächste Sitzung: Montag, 11 Uhr (Kleinere Vorlagen; Sekundärbahnvorlage.)
Literatur.
Von der im Cottaschen Verlage in Stuttgart und Berlin erscheinenden Säkularausgabe von Schillers sämtlichen Werken in sechzehn Bänden liegt der vierte Band vor. Er enthält den Don Carlos, der mit Einleitung und Anmerkungen von Richard Weißenfels versehen ist.
— Kriegstechnische Zeitschrift für Offiziere aller Waffen. Zugleich Organ für kriegstechnische Erfindungen und Entdeckungen auf allen militärischen Gebieten. Verantwortlich geleitet von E. Hart⸗ mann, Oberst z. D. Verlag der Königlichen Hofbuchhandlung von E. S. Mittler u. Sohn, Berlin. (Preis des Einzelheftes 1,50, des aus 10 Heften bestehenden Jahrganges 10 ℳ) — Das vorliegende 3. Heft des VII. Jahrganges enthält zunächst folgende größere Auf⸗ sätze: „Der Festungskrieg und die Pioniertruppe“ von Scharr, Mkasor und Militärlehrer an der Kriegsakademie. — Einzelverwendung von Schnellfeuergeschützen von Roßkoten, Oberleutnant im Minden⸗ schen Feldartillerieregiment Nr. 58. — Der Schrapnellbogenschuß der leichten Feldhaubitze. — Nochmals „die Richtmittel der Geschütze“ von Wangemann, Hauptmann und Batteriechef im Altmäͤrkis Hen Feldartillerieregiment Nr. 40. Ferner verschiedene „Mitteilungen“, von denen diejenigen über „Russische Truppentransporte nach Ostasien“, die ein anschauliches Bild über die Einrichtung von Eisenbahnwaggons für winterliche Truppenbeförderungen sowie über die letzteren selbst bieten, besonders interessant sein dürften. Auch die kleinen Abhandlungen über das „Hyposkop“, ein Spiegelinstrument, das den Schützen bei eigener völliger Deckung befähigt, zu zielen und zu feuern, über ein kna oses Gewehr, das Fußrad sowie über nagellosen Hufbeschlag, seien u. a. hesonders erwähnt. Eine „Bücherschau“ beschließt das 79 Seiten Großoktay starke, mit 26 erläuternden Textbildern versehene Heft.
— Die Frühlingsnummer der „Modernen Kunst“ ist er⸗ schienen. (Verlag von Rich. Bong, Berlin W. 57. — Preis dieses Hefts für Nichtabonnenten 2 ℳ, für Abonnenten 1,20 ℳ) Sie ent⸗ hält u. a. einen Aufsatz über Carmen Sylva als dramatische Dichterin. Wolf von Metzsch⸗Schilbach führt uns an den kunstsinnigen Hof von Bukarest, die königliche Dichterin selbst aber erzählt uns davon, wie ihr Drama „Manole“ entstand, das im Laufe dieses Sommers auf mehreren deutschen Bühnen zur Aufführung gelangen soll. Ein großes Bildnis der Königin mit einer faesimilierten Unterschrift, Szenen- bilder von „Manole“, ein Blick in ein rumänisches Königsschloßs illustrieren diesen Artikel. Von dem reichen Bilderschmuck der „Frühlingsnummer“ seien besonders die großen, farbig verviel⸗ fältigten Blätter von F. Wobring, eine Mädchengestalt „Frühlings⸗ lust“ und von Creß Woollett, ein Mädchenkopf „Unschuld“, und C. Gussows schmucke „Berchtesgadnerin“ sowie auch die Holz⸗ schnitte nach Carl Hartmanns Geschichtsbilde „Venus und Tannhäuser“, und L. Willroiders Landschaft „Im Hohlweg“ erwähnt. Interesse beansprucht auch die Reihe von, Vervielfältigungen alter Meisterwerke der Malerei, an denen Dr. H. Pudor nachweist, wieviel Anregung zu neuen Schmuckformen aus dieser Quelle zu schöpfen wäre. Dr. Georg Biedenkapp, Martha Renate Fischer, Maurice von Stern, Dr. Paul Raché u. a. noch haben literarische Beiträge gesteuert
Kurze Anzeigen neu erschienener Schriften, deren Besprechung vorbehalten bleibt.
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Berlin,
Land⸗ und Forstwirtschaft. Uebersicht über die Ein⸗ und Ausfuhr von Getreide und Kartoffeln in Antwerpen im April 1904. (Nach einem Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls in Antwerpen.)
Eingeführt wurden: Roggen: aus Rumänien.. . 8 Rußland.. Bulgarien... den Niederlanden .
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