Königreich Preußen.
Seine Majestät der Kaiser und König haben Aller⸗
gnädigst geruht: den Oberhofmeister
Schatullverwalters Ihrer
Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht: . den Landrichter Dr. Kolkmann in Bochum bei seiner Uebernahme in die Verwaltung der direkten Steuern zum
Regierungsrat zu ernennen und
dem Regierungssekretär Plank in Potsdam aus Anlaß in den Ruhestand den Charakter als
seines Uebertritts Rechnungsrat zu verleihen.
Ministerium de geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten.
Königliche Akademie der Künste.
Bekanntmachung,
betreffend den Unterricht in den akademischen Lehr⸗ anstalten für die bildenden Künste für das Winter⸗ halbjahr 1904/1905.
Beginn des Unterrichts: Montag, den 17. Oktober 1904.
Akademische Meisterateliers für die bildenden Künste, Charlottenburg, Hardenbergstraße 33.
1) a. für Geschichtsmalerei: Professor A. von Werner, Pro⸗ fessor Arthur Kampf, 3
1) b. für Landschaftsmalerei: Professor Albert Hertel,
2) für Bildhauerei: Professor Ludwig Manzel,
3) für Architektur:
a. Geheimer Regierungsrat, Professor Job. Otzen (für Bau⸗ kunst des Mittelalters mit besonderer Rücksicht auf die kirchliche Kunst),
b. Geheimer Baurat Franz Schwechten (für die aus der Antike, dem romanischen Stil und der Renaissance abgeleiteten Baustile), 8
4) für Kupferstich: Professor Karl Koepping.
Die Aspiranten haben sich behufs ihrer Aufnahme innerhalb der ersten 14 Tage eines jeden Quartals bei demjenigen Meister zu melden, dem sie sich anzuschließen wünschen.
Aufnahmebedingungen können von den betreffenden Meistern oder vom Bureau der Akademie der Künste, Berlin W. 35, Potsdamer Straße 120, bezogen werden.
Akademische Hochschule für die bildenden Künste, Charlottenburg, Hardenbergstraße 33.
Direktor: Professor A. von Werner. 88
I. Klassenunterricht. —“
Figürliches Zeichnen nach Gips und der Natur (Köpfe, Glied⸗ maßen, Halbakte, Akte, Antike): die Professoren K. Boese, J. Ehrentraut, W. Friedrich, E. Hancke. 8 ““ Zeichnen nach dem lebenden Modell: Professor
Boese.
Anatomie des menschlichen Körpers und Proportionslehre: Pro⸗ fessor M. Schaefer, Maler M. Körte.
Perspektive, Projektion und Schattenkonstruktion: Hugo Herwarth, Wilh. Herwarth.
Ornamentlehre und dekorative Architektur: die Professoren O. Kuhn, Wilh. Herwartb. 8
Malklassen. Malen von Stilleben, Köpfen und Figuren (Akten — —2 nach der Natur, Kopieren nach Originalen: die Professoren J. Scheurenberg, G. L. Meyn, M. Schaefer.
Modellerklasse. Modellieren nach der Antike und der Natur: Professor G. Janensch. 1
Aktsaal für Bildhauer. Modellieren nach dem lebenden Modelle (Akt): die Professoren E. Herter, P. Breuer.
Zeichnen, Malen und Modellieren von Tieren nach Gips und nach der Natur, Anatomie der Tiere: Professor P. Meyerheim. p 1eee hü nach Vorlagen und nach der Natur: Professor
Vorgang.
Kupferstich⸗ und Radierklasse: Professor Hans Meyer.
Gewandstudien und Uebungen in figürlichen Kompositionen: in den Abteilungen für figürliches Zeichnen, Malen und Modellieren.
II. Unterricht in den Hilfswissenschaften. Bogurüst Fgee 8 a. Kunstgeschichte S 1eeg; . Klassische Dichtungen Dr. P. Schubring; c. Kostümkunde: Maler G. Guthknecht; d. Anatomie des menschlichen Körpers, Demonstrationen und Sezierübungen am Kadaver: Professor Dr. Hans Virchow. Unterricht und praktische Uebungen in den verschiedenen Techniken der Malerei Zubereitung der Farben, Malmittel und Malgründe: Maler Alb. Wirth. Vorträge über die Chemie der Farben ꝛc.: Kaiserlicher Re⸗ gierungsrat, Professor Dr. Täuber.
III. Atelierunterricht. “
Atelier für Landschaftsmalerei: die Professoren F. Kallmorgen, P. Vorgang. Aitelier für Malerei: Professor P. Thumann.
Atelier für Marinemalerei: Professor C. Saltzmann.
Atelier für Kupferstechen und Radieren: Professor Hans Meyer.
Schülerateliers für Maler und Bildhauer: von sämtlichen ordentlichen Lehrern. 8.
Neueintretende haben sich
Sonnabend, den 15. Oktober 1904, zwischen 1 und 3 Uhr,
im Sekretariat — Charlottenburg, Hardenbergstraße 33 — zu melden und einen selbstgeschriebenen Lebenslauf, ein polizeiliches Führungs⸗ attest, die nötigen Schulzeugnisse sowie eventuell die schriftliche Er⸗ laubnis des Vaters oder Vormundes zum Besuche der Hochschule gleichzeitig ebendaselbst einzureichen; Prospekte sind beim Anstalts⸗ sekretariat erhältlich. 1 “
Berlin, den 25. August 1904. 8
Der Senat, Sektion für die bildenden Künste. Joh. Otzen.
ie Professoren
8 1“
Finanzministerium. 1 Der Regierungshauptkassen⸗Oberbuchhalter, Rechnungsrat
Bernhardt in Köslin ist zum Landrentmeister und Rendanten
der dortigen Regierungshauptkasse ernannt worden. Versetzt sind die Rentmeister bei Königlichen Kreiskassen: Lange von Neutomischel nach Ostrowo und Weckwerth von — nach Neutomischel. er Regierungshauptkassen⸗Buchhalter Meyer in Trier ist zum Rentmeister bei der Königlichen Kreiskasse in Friede⸗ berg ernannt worden. 8 1—
reiherrn von Mirbach auf sein
Ansuchen von den Geschäften des Kabinettssekretärs und ajestät der Kaiserin und Königin zu entbinden und diese Geschäfte bis auf weiteres dem König⸗ lichen Kammerherrn, Landrat a. D. Dr. von Behr⸗Pinnow 2 übertragen, welcher aus dem Verhältnis als diensttuender ammerherr Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin aus⸗
Bekanntmachung.
Es wird hiermit erneut zur allgemeinen Kenntnis ge⸗ bracht, daß den Unteroffizieren und Mannschaften dienstlich verboten ist:
1) jede Beteiligung an Vereinigungen, Versammlungen, Festlichkeiten, Geldsammlungen, zu der nicht vorher besondere dienstliche Erlaubnis erteilt ist,
2) jede Anderen erkennbar gemachte Betätigung revolutio⸗ närer oder sozialdemokratischer Gesinnung, insbesondere durch entsprechende Ausrufe, Gesänge oder ähnliche Kundgebungen,
3) das Halten und die Verbreitung revolutionärer oder sozialdemokratischer Schriften sowie jede Einführung solcher Schriften in Kasernen oder sonstige Dienstlokale.
Ferner ist sämtlichen Angehörigen des aktiven Heeres dienstlich befohlen, von jedem zu ihrer Kenntnis gelangenden Vorhandensein revolutionärer oder sozialdemokratischer Schriften in Kasernen oder anderen Dienstlokalen sofort dienstliche An⸗ zeige zu erstatten.
Diese Verbote und Befehle gelten auch für die zu
Uebungen eingezogenen und für die zu Kontrollversammlungen einberufenen Personen des Beurlaubtenstandes, welche gemäß §6 des Meilteefteh acce und § 38 B1 des Reichsmilitär⸗ gesetzes bis zum Ablauf des Tages der Wiederentlassung bezw. der Kontrollversammlung den Vorschriften des strafgesetzbuchs unterstehen. Berlin, den 30. August 1904. Der Kriegsminister. von Einem.
Militär⸗
gelm. ae se Bekanntmach u ns& Heꝗohxh.
Unter Bezugnahme auf § 4 der Allgemeinen Vorschriften für die Markscheider im Preußischen Staat vom 21. De⸗ zember 1871 bringen wir hiermit zur öffentlichen Kenntnis, daß die von uns dem Albert Ginsberg zu Siegen erteilte Konzession zum Betriebe des Gewerbes der Markscheider in⸗ folge freiwilligen Verzichts mit dem heutigen Tage er⸗ loschen ist. v
Bonn, den 31. August 1904. 8 1““
8 Königliches Oberbergamt. Vogel.
Angekommen:
Seine Erzellenz der Staatssekretär des Reichsschatzamts, Wirkliche Geheime Rat Freiherr von Stengel, vom Urlaub;
der Ministerialdirektor im Ministerium der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten, Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Dr. Förster, vom Urlaub.
V
Nichtamtliches.
SDellsches Reich. Preußen. Berlin, 2. September.
Ihre Kaiserlichen und Königlichen Maäjestäten wohnten heute vormittag mit den hier anwesenden Fürsancb. keiten der Parade des Gardekorps auf dem Tempelhofer Felde bei. Nach dem Abreiten der Fronten fand ein zweimaliger Vorbeimarsch statt. Seine Majestät der Kaiser und König hielten darnach Kritik ab und kehrten an der Spitze der “ und der Standarteneskadron nach dem Königlichen Schlosse zurück.
Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin von Mecklenburg⸗Schwerin trafen gestern nachmittag um 4 Uhr, wie „W. T. B.“ berichtet, auf dem hiesigen Stettiner Bahnhofe ein und wurden daselbst von Seiner Majestät dem Kaiser und König, Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit dem Kronprinzen, Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Friedrich Leo⸗ pold sowie den zur Zeit hier anwesenden Prinzen des Königlichen Hauses empfangen und nach dem Königlichen Schlosse geleitet, wo Höchstdieselben von Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin begrüßt wurden. “
8 8
Laut Meldung des W. T. B“ it S. N. Szg Panther⸗ am 31. August in Paramaribo (Niederländisch Guayana)
eingetroffken und geht am 5. September von dort nach Tobago (Kleine Antillen) in See.
S. M. S. „Falke“ ist am 31. August in Santos (Brasilien) eingetroffen.
S. M. S. „Seeadler“ ist am 31. August in Nanking eingetroffen und geht heute von dort nach Kiukiang. 3
Kiel, 1. September. Seine Königliche Hoheit der Prinz Heinrich ist heute nachmittag nach Berlin ab⸗ gereist, um der Parade des Gardekorps beizuwohnen.
“ Deutsche Kolonien.
Aus Deutsch⸗Südwestafrika wird, wie „W. T. B.“
erfährt, gemeldet, daß der Sanitätsfeldwebel Fritz Dostert,
früher Dragonerregiment Nr. 15, am 11. August bei Water⸗ berg durch Schuß ins Knie leicht verwundet worden sei. Der General von Trotha meldet, die 5. Kompagnie Regiments 1 befinde sich beim Major von Estorff, die 6. Kompagnie Regiments 1 beim Hauptmann von Fiedler.
1“
88
Oesterreich⸗Ungarn.
Der Kaiser ist gestern abend um 7 Uhr, wie „W. T. B.“ meldet, von Ischl in Penzig eingetroffen und hat sich von dort
nach Schönbrunn begeben
8 Großbritannien und Irland.
8 Gegenüber den gestern in Paris verbreiteten Gerüchten über einen ungünstigen Peneee des Königs Eduard besagt ein 1 nachmittag dem „Reuterschen Hureau⸗ aus Marienbad zugegangenes Telegramm des Leibarztes des Königs Dr. Ott:
ie diesjährige Badekur des Königs hat einen afsgereicgäeben Erfolg ehabt. Der König verläßt Marienbad bei in jeder Hinsicht voll⸗ ommenster Gesundheit und erklärt, er habe sich in seinem ganzen
ler gefühlt. ““ 8 Der Generalkommissar für Kreta, Prinz Georg von Griechenland, ist, dem „W. T. B.“ zufolge, gestern abend in Rom eingetroffen.
Rumänien.
82 Amtlich wird eine Verordnung des Ministeriums öffentlicht, nach der das Ausfuhrverbot für Mais bis zum 15. Oktober 1905 aufrechterhalten wirdd. Asien.
Eiin Telegramm des Generals Ssacharow an den Generalstab meldet unter dem 1. d. M.:
Die Nacht auf den 1. September ist ruhig verlaufen. Bis 6 Uhr früh ist weder auf feindlicher noch auf unserer Seite geschossen worden. Wie gemeldet wird, läßt der General Kuroki eine Pontonbrücke über den Taitseho schlagen.
Ein weiteres Telegramm des Generals Ssacharow vom 1. September meldet:
Heute setzten Teile der Armee Kurokis auf das rechte Ufer des Taitseho in der Gegend von Sakan über, dort, wo der Fluß eine Biegung macht. Um 5 Uhr früh stellten unsere Streifwachen fest, daß eine Division Infanterie mit Artillerie und Kavallerie die Furt passiert habe. Flußabwärts haben sich die Japaner noch nicht gezeigt. Die Japaner gingen in zwei Richtungen vor, nach Westen und in der Richtung auf Jantai. Die übergesetzten Truppen be⸗ gannen ein Gefecht, um den weiteren Uebergang zu verbergen. Auf unserer vordersten Stellung wurde der Kampf am 31. August außer⸗ ordentlich heftig geführt von 8 Uhr Abends bis 12 Uhr Nachts, wo er vollständig unterbrochen wurde Wie am 30. v. M., so endigte auch der 31. v. M. für uns durchaus erfolgreich. Wir haben aus⸗ nahmslos alle unsere vordersten Stellungen behauptet. Einen besonders heftigen Kampf hatte die Division des Generalmajors Kondra⸗ towitsch auszuhalten. Das Artilleriefeuer der Japaner war sehr heftig. Unsere Truppen, die den ganzen Tag mit Schrapnels über⸗ schüttet wurden, behaupteten die anvertrauten Stellungen mit erstaunlicher Ausdauer. Nach Vorbereitung des Angriffs durch Artillerie⸗ feuer gingen die Japaner mehrere Male zum Sturm gegen unsere Stellung vor. Einige unserer vordersten Befestigungen gingen nach hartnäckiger Gegenwehr in die Hände der Feinde über, wurden aber von uns immer wieder durch Bajonettangriffe zurücker⸗ obert. Bei diesen Angriffen ließen die Japaner eine große Menge Tote zurück. Vor einem Teil der Befestigungen war es gelungen, eine große Anzahl von Wolfsgruben auszuheben, die zum Teil bis zum Rande mit Leichen des Feindes gefüllt waren. Die Verluste der Japaner müssen ungeheuer groß sein. Aber auch unsere Verluste, die auch noch nicht annähernd festgestellt werden konnten, sind bedeutend. Verwundet ist der Generalmajor Mrosowsky. Eine Kontusion hat der Generalleutnant Baron Stackelberg erhalten, der aber an der 8 bleiben konnte. Viele Waffen der Japaner sind in unsere
ände gefallen.
Aus Mukden von gestern abend, 9 Uhr 27 Minuten, meldet das „Reutersche Bureau“, der Eisenbahnverkehr nach Liaujang sei unterbrochen. Die Wege seien unpassierbar.
Das „Reutersche Bureau“ berichtet gestrigen Tage:
n der Frühe machte der linke Flügel der Japaner mit Erfolg einen wilden Angriff auf die Höhen von Hsinlitun, westlich vom Schuschamberg, und durchbrach die russische Linie. Dieser Erfolg machte wahrscheinlich den darauf erfolgenden Rückzug des Zentrums und des rechten Flügels der Russen notwendig. In Tokio glaube man, der General Kuropatkin sei völlig geschlagen. Der Marschall Oyama telegraphiere, seine Verluste bei den Sturmangriffen auf seien be⸗ trächtlich. Die Verluste des Generals Kuroki an den Tagen vom 24. bis 28. August hätten 2255 Mann betragen.
Der rechte Flügel und das Zentrum der die Stellungen südlich von Liaujang verteidigenden russischen Linien haben, demselben Bureau zufolge, gestern nachmittag den Rückzug angetreten; die Japaner verfolgen sie. Diese Nachricht wird jetzt aus Tokio amtlich bestätigt.
Wie dem „Reuterschen Bureau“ aus Tokio vom heutige Tage gemeldet wird, begann der japanische linke Flügel heute mit Tagesanbruch die Russen gegen den Taitsefluß zurückzudraͤngen. Der rechte Flügel der Japaner nahm den Kampf in der Nähe von Heiyingtai auf. Die japanischen Verluste seit Montag werden auf 10 000 Mann geschätt — Ein russischer Dampfer, der mit dem Fort⸗
aus Tokio vom
chaffen von Minen vor Port Arthur beschäftigt war, wurde
am 31. v. M. zerstört.
Wie die „Agence Havas“ erfährt, hat der Militär⸗ ouverneur von Las Palmas (Kanarische Inseln) nach adrid gemeldet, er habe die telegraphische Nachricht
erhalten, daß vor Lancarota fremde Kriegsschiffe eingetroffen seien, die die russische Flagge gehißt hätten. Transport⸗ dampfer hätten sie erwartet und mit Kohlen versehen.
g- ““ 8 8
ea Parlamentarische Nachrichten.
Der Erbtruchseß in Neuvorpommern Graf Otto zu Solms⸗Rödelheim, Mitglied des b. der Ab⸗ geordneten, ist am 31. v. M. zu Altenhagen verstorben.
Statistit und Volkswirtschaft.
Zur Arbeiterbewegung.
Der *98 der Handelskammer in Marseille setzt, wie „W. T. B.“ meldet, seine auf Beendigung des Ausstandes der Hock⸗ arbeiter (vgl. Nr. 206 d. Bl.) abzielenden Schritte fort. In
zwischen hat auf Anordnung von Marseille auch in Cette der all⸗ gemeine Ausstand der Dockarbeiter begonnen.
Seit gestern früh haben, dem „W. T. B.“ zufolge, sämtliche Glasbütken im Becken von Charleroi ihre enes zsaengsge. Die Einstellung der Arbeit ist allgemein. Nur eine Glashütte in Marchiennes, bei der keine Aussperrung vorgenommen wurde arbeitet. Ueberall herrscht Ruhe. (Vgl. Nr. 206 d. Bl.)
8 Aunst und Wissenschaft. Die Ausstellung von Sitzmöbeln im Lichthof des
Kunstgewerbemuseums ist eröffnet worden. Man findet in ihr
einige Hunderte von Sitzmöbeln vereinigt, die den künstlerischen Charakter dieses wichtigen Möbelstücks zur Anschauung bringen. Die Auswahl ist nach historischen und fuktnrgeschichelichen Gesichtspunkten getroffen, indem Arbeiten möglichst aller Völker und Zeiten vereint
find. In die ältesten Zeiten menschlicher Kultur führen die alt⸗
üapptischen Schemel und Klappsessel zurück, die in Originalen erhalten fccd⸗ das Sitzmöbel des klassischen Altertums im wesent⸗ lichen nur aus Darstellungen auf Vasenbildern und Reliefs kennen lernen kann. Dazu treten einige Terrakotten, die gleichsam als Modelle verlorener Stühle und Sessel angesehen werden können. Auch aus dem Mittelalter sind eigentliche Gebrauchsmöbel so gut wie nicht er⸗ halten; einen reichen Ersatz bieten hier aber die kirchlichen Aus⸗ stattungsstücke, Chorstühle ꝛc., während die Formen mittelalterlicher ausmöbel wenigstens in ihrem Nachleben in bäurischen Arbeiten aus Heleren Zeit zur Anschauung kommen. Sehr zahlreich sind in der Ausstellung die Arbeiten der Renaissance vertreten: der einfache Schemel und Stuhl, der Klappsessel, die Bank und die eigentlichen Prachtwerke der Schreinerei. (Sammlung Hainauer). Mit der Barock⸗ zeit treten die Repräsentations⸗ und Prunkmöbel stark in den Vorder⸗ grund, daneben aber auch einfachere Gebrauchsformen, wie man sie auf den Sittenbildern niederländischer Meister findet. Das 18. Jahrhundert mit den raffinierteren Ansprüchen seiner Gesellschaft bringt auch in das Sitzmöbel einen höheren Grad von Bequemlichkeit und Eleganz. Die Formen werden geschwungen, und die Farbe der seidenen Bezüge beginnt die Wirkung mitzubestimmen. Die steiferen Formen des Louis XVI. und Empire leiten über zum 19. Jahrhundert, das leichfalls durch sehr charakteristische Arbeiten aus der sogenannten Bievermeierzeit vertreten ist. Diese noch vor kurzem wenig geschätzten Arbeiten haben ihre Bedeutung durch ihre einfachen, schlichten Formen, die den modernen Bestrebungen der Möbeltischlerei vielfach entgegenkommen. Zahlreich sind die Arbeiten moderner Künstler in der Ausstellung vertreten, darunter charakteristische Arbeiten von Männern wie Eckmann, van de Velde, Grenander u. a. Dem Ent⸗ gegenkommen der Kunsthandlung von Keller u. Reiner und des Hohen⸗ zollern Kaufhauses ist es zu danken, daß die Ausstellung auch auf diesem Gebiete einen guten Ueberblick bietet. Von be⸗ sonderem Interesse sind die teils primitiven, teils sehr raffinierten Möbel der außereuropäischen Kultur⸗ und Halbkulturvölker, die das Museum für Völkerkunde zum Zwecke der Ausstellung Seee hat und deren Betrachtung gerade neben den Arbeiten europäischen Stils lehrreich ist. So ist in der Ausstellung ein reichhaltiges und viel⸗ seitiges Material vereinigt worden, sodaß sie ein nahezu vollständiges Bild gibt von der Geschichte des Sitzmöbels mit seinen verschiedenen Abarten: dem Stuhl, dem Schemel, der Bank, dem Sofa usw., vom einfachen Bauernmöbel bis zum Prunkstück der Kirche und des Hofes. In dieser Hinsicht schließt sich die Ausstellung den Vorträgen über diese Möbelform an, die im Vorjahre der Professor A. G. Meyer im Hörsaale des Museums gehalten hat und die jetzt auch in der Form eines Tafelwerkes vorliegen.
In Salzburg wurde, wie „W. T. B.“ meldet, gestern die achte V mmlung deutscher Historiker eröffnet.
Land⸗ nud Forstwirtschaft. Ernteergebnisse und Getreidehandel in Rußland. 1“ Kaiserliche Generalkonsul in Warschau berichtet unterm
v. M.: 1
Die Getreideernte, die im Laufe des Monats August d. J. von der Witterung sehr begäastigt. war, kann im all⸗
eemeinen als beendet angesehen werden. it Ausnahme einiger
eise der Gouvernements Warschau, Kalisch, Lublin und Kielce ist man mit dem Erträgnis sehr unzufrieden. Die Witterungsverhältnisse waren fast in ganz Polen für das Wachstum und die Entwickelung des Getreides ungünstig. Durch die anhaltende Dürre hat das Wintergetreide, das im Frühjahr noch sehr gut stand, durchweg gelitten, während das Aufgehen und Reifen der Sommer⸗ einsaat verzögert wurde. Im ganzen bat die Wintersaat bessere Erträge geliefert, als die Sommersaat. Wintergetreide auf schwerem und ee Boden ergab noch eine verhältnismäßig befriedigende Ernte, auf leichterem und sandigem Boden dagegen läßt der Ertrag sehr zu wünschen übrig. Die Erwartungen inbetreff des Sommer⸗ getreides sind auch nur gering. Man schätzt den Stroh⸗ und Körnerertrag bei Gerste im Durchschnitt auf nicht über 70 %, bei Hafer auf etwa 50 % einer Normalernte.
Erbsen und Wicken sind ihres schlechten Aussehens wegen an vielen Stellen vor der Reife zu Futterzwecken gemäht worden. Da die Heu⸗ und Kleeernte sich auf kaum ½ einer Durchschnittsernte be⸗ laufen hat und auch der zweite Heu⸗ und Kleeschnitt nicht besser zu werden verspricht, so nehmen schon jetzt nicht nur die Bauern, sondern auch größere Grundbesitzer eine bedeutende Verringerung des Vieh⸗ standes vor.
Die Zuckerrüben sind unter der anhaltenden Dürre im letzten Monat ebenfalls im Wachsrum zurückgeblieben; man erwartet auch hier eine schlechte Ernte.
Kartoffeln und onstige Hacefrücht, stehen so schlecht, daß man mit einer allgemeinen Mißernte, besonders bei den Kartoffeln rechnet. Die Marktpreise, die sonst um diese Zeit in Warschau 1,20 Rbl. bis 1,50 Rbl. für den Korsetz Kartoffeln zu betragen pflegten und im vergangenen Jahre auf 1,80 Rbl. bis 2,00 Rbl. für den Korsetz gestiegen waren, belaufen sich gegenwärtig im Einzelverkauf auf 3,50 Rbl. bis 4,00 Rbl. für den Korsetz und 13 bis 14 Kop. für den Garnietz (1 Korsetz = 128 Liter, 1 Garnietz = 4 Liter). Eine ähnliche Preissteigerung macht sich auch für sämtliches Gemüse und Obst bemerkbar. b
Die Gouvernements Petrikau und Plock sind in geringem Um⸗ fange durch die Hessenfliege heimgesucht worden. Im Gouvernement Plock sollen auch Feldmäuse größeren Schaden angerichtet haben.
„Die für Waggonladungen gezahlten Preise haben sich im Ver⸗ gleich zu denen des vergangenen Monats nur wenig verändert. Sie
etrugen für das Pud:
am 25. Juli d. J. am 24. August d. J. 1,02 Rbl. — 1,10 Rbl. 1,00 Rbl. — 1,08 Rbl., „ Roggen. 0,75 „ — 0,81 „ 0,76 „ — 0,82 „ „ Hifer ( 909 0,76 „ — 0,87 „
. I Generalkonsulat in Odessa berichtet unterm
Bei der Trockenheit, die den ganzen Berichtsmonat über angehalten hat, sind die Ernte, und die Drescharbeiten tüchtig vorgeschritten. Das Ernteergebnis hat sich sehr verschieden gestaltet. Im all⸗ emeinen läßt sich sagen, daß die Ernte der Beschaffenheit nach wider Erwarten gut ausgefallen ist, während sie der Menge nach weniger befriedigt. Im einzelnen ist nachstehendes zu bemerken.
„Im Chersoner Gouvernement müssen die Erträge zum größten Teile als unter „mittel“ bezeichnet werden. Stellenweise ist der Mißwachs derart, daß sich die Bauern zum Verkaufe ihres Viehs sensttgt sehen und daß von der Regierung Maßregeln zur Unter⸗ tützung der notleidenden Bevölkerung ins Auge gefaßt sind. Schlechter steht es noch in Bessarabien, dessen südwestlicher Teil eine völlige Mißernte zu verzeichnen hat, sodaß kaum einmal Saatkorn geerntet ist. Im Hinblick auf die andauernde Hitze be⸗ ginnt man auch für den Mais zu fürchten, der im Kischi⸗ newer Kreise ganz ausgefallen ist. Dad Gleiche gilt vom Kreise Ismail und Henderk Günstiger dagegen ist die Obst⸗ und Weinernte gewesen. Sefstedegesp lauten die Nachrichten aus dem Taurischen Gouvernement. ehnlich sieht es im Gouvernement Jekaterinoslaw aus. Im Kreise Mariupol ist sogar die Gerstenernte ausgezeichnet. Für die an den Dniepr angrenzende istrikte k
für Weizen.
11“
im Durchschnitt eine Mittelernte angenommen werden. Dort ist auch
der Weizen am besten geraten.
Die Stimmung des hiesigen Markts war fest. Im allgemeinen haben auch die Preise angezogen. Die größte — erfuhr Mais, der etwa 12 Kop. für das Pud gewann. Die Zufuhren waren bis jetzt gering. Es ist dies eine Folge der schlechten Ernte und erklärt sich daraus, daß die nähere Umgegend Odessas, die gewöhnlich ihre Erträge zuerst hierher n den Markt bringt, infolge der geringen Ernte in diesem Jahre fehlte.
Mit Rücksicht hierauf hat auch der Frachtenmarkt für die Reeder und Schiffsmakler manche Enttäuschung mit sich gebracht. Gezahlt werden jetzt: u 3
Osima I1.. .110 —- 111 Kop. 116“*“ 8 IIII11pp“* Ulka 1. ..F 161262. IIb .1111““
IIIV“ bo““ 78 8 für das Pud “ e 8 bordfrei. 1 61 — 62 „ 8 w11“ een.¹“]; 1 In Oelkuchen ist die Tendenz steigend. Man notiert: Leinkuchen EECV p„ Rapskuchen. Kokoskuchen. Ravisonkuchen u“ Ravisonbauernkuchen ...
Die hiesigen Vorräte betrugen am 14. d. M. in Weizen 124 200 dz und zwar: Osima 55 692 dz, Ulka 54 054 dz, Girka 1638 dz, Arnautka 11 466 dz, verschiedene Arten 1350 dz, Roggen 67 034 dz, Mais 85 563 dz, Gerste 119 499 dz, Hafer 16 975 dz, Raps und Rübsen 16 380 dz, Leinsamen 18 018 dz.
Die Verschiffungen stellten sich in der Zeit vom 24. Juli bis 24. August d. J.:
nen Pub, 3 1 Million 8 JS“ 2 Millionen „ 8 Mais. 1 Million „
Bei der Geringfügigkeit der Ausfuhr konnten sich die Frachten nicht erholen. Den größten Teil des Berichtsmonats über standen zuf 5,6 — 6,6 Schill. London, Hull, Antwerpen, Rotterdam,
amburg. 1 .
Erst in den letzten Tagen belebte sich die Nachfrage ein wenig und die Rate stieg auf 7,1 — 7,3 Schill. London, Hull, Antwerpen, Rotterdam, Hamburg 0,6 Schill. mehr.
mitteksneer II1.
Gerste
5
Voggen
““ 2 1“
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absp maßregeln.
Rußland.
88 Die russische Kommission zur Bekämpfung der Pestgefahr hat die Stadt Merw für choleraverseucht erklärt.
Norwegen.
Durch eine norwegische Verordnung vom 25. August d. J. wurden Siam und Tonkin, ferner Brisbane und Maryborough in Queensland, Payta in Peru, Valparaiso und Antofagasta in Chile sowie die brasilianischen Häfen für pestverseucht erklärt und gegenüber den Herkünften von dort die Quarantänevor⸗ schriften (Gesetz vom 12. Juli 1848 und Verordnung vom 13. Ok⸗ tober 1900) in Kraft gesetzt. (Vergl. „R.⸗Anz.“ vom 31. Oktober
Aegypten. Der internationale Gesundheitsrat in Alexandrien hat die für Herkünfte von Salaya angeordneten Quarantänemaßregeln wieder aufg ehoben. (Vgl.⸗R.⸗Anz.“ vom 2. Juni d. J. Nr. 128.)
Theater und Musik. Königliches Opernhaus.
Am gestrigen Vorabend des Tages der großen Herbstparade fand auf Allerhöchsten Befehl im Königlichen Opernhause eine Fest⸗ vorstellung statt, der Ihre Kaiserlichen und Königlichen Majestäten mit Ihren hohen Gästen beiwohnten. Im Parkett und im ersten Rang war das Offizierkorps stark vertreten; auch die fremd⸗ herrlichen Offiziere waren anwesend. Unter Vorantritt des General⸗ intendanten von Hülsen erschienen die Allerhöchsten und Höchsten Herr⸗ schaften in der großen mittleren Hofloge. Seine Majestär der Kaiser führte Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin von Mecklen⸗ burg⸗Schwerin, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen Ihre Majestät die Kaiserin. In der ersten Sesselreihe nahmen außerdem noch Platz Ihre Königlichen Hoheiten die Prinzessin Friedrich Leopold und der Großherzog von Sachsen sowie Ihre Königlichen Hoheiten die Großherzöge von EEEETE1“ und von Oldenburg. — Zur Aufführung gelangte in neuer Einstudierung das phantastische Ballett „Coppelia“ von Ch. Nuitter und A. Saint⸗Léon, mit der stimmungsvollen Musik von Leo Delibes, welche der Kapell⸗ meister Professor Schlar in wirksamster Weise leitete. Die gesamte Vorstellung war in ihrer im serbisch⸗ungarischen Stil gehaltenen
länzenden neuen Ausstattung und exakten Durchführung außerordentlich fesselnd. Die Darsteller wetteiferten förmlich miteinander, ihr Bestes zu bieten, und zeigten ein so harmonisches Zusammenwirken, daß sie und Herr Emil Graeb, als Leiter der choreographischen Einrichtung, nur uuneingeschränkte Anerkennung verdienen. Fräulein Dell'Era, die Vertreterin der Swanilda, bot wieder in bezug auf Anmut der Bewegung und Erscheinung und in der ver⸗ ahdntsia⸗ en Lösung ihrer schwierigen Aufgabe eine Leistung von oher Vollendung. Die großen Vorzüge ihrer Tanzkunst traten namentlich bei den Einzeltänzen in den verschiedenen Bildern hervor, wobei auch u. a. die Damen Lucia, Kierschner und Pfaffenberg Ge⸗
legenheit hatten, ihr künstlerisches Können zu betätigen. Fräulein
Urbanska wurde als Gräfin ihrer mehr pantomimischen Rolle gleich⸗ falls in jeder Weise gerecht. Dasselbe läßt sich von den Frnen Deleuil, orn und Quaritsch sagen. ie gestrige allettaufführung Ueferte wieder den Beweis, daß das Königliche Ballett, obwohl es in den letzten Jahren wenig Gelegenheit hatte,
in einer größeren Aufgabe hervorzutreten, vortrefflich geschult ist. 9 “ W
Deutsches Theater. 8
8
u““ “ Nachdem am Tage vorher die Generalprobe vor geladenem ublikum stattgefunden hatte, ging gestern zur Eröffnung der ersten pielzeit des Deutschen Theaters unter Dr. Leitung Shakespeares „Troilus und Cressida“ in einer Be⸗
arbeitung des Genannten zum ersten Male in Szene. Kühn war das
Unterfangen, es gerade mit diesem vielumstrittenen, viel gelobten, aber — 1 fangen, Fag — Emmy Raabe⸗Burg, gestaltete Elisabeth mit dem langen, grünen
wenig aufgeführten Werke des großen Briten zu wagen, das sich in
keiner der bisherigen Bearbeitungen, von denen die von WePahes 1 o1 Stimme und gute Schulun zeigen.
nennt es gab die Venus, „Inhaberin einer unterirdischen Kneipe mit Damen⸗
und von Gelber als die jüngsten genannt seien, die Bühne
hat erobern können. Die Lindausche Bearbeitung „Drama“, und das kennzeichnet auch die Tendenz dieser Bearbeitung; sie legt das Hauptgewicht auf die ernste Seite des Stückes, sucht
elles zu mildern, zumal da, wo die Ruhmredereien der
griechischen
Paul Lindaus
88 S
Helden diese fast in Offenbachschem Sinne parodistisch auf uns einwirken lassen. Aber Shakespeares Partei⸗ nahme gegen die Hellenen läßt sich trotz alledem nicht aus der Welt schaffen; so ungetrübt wie uns, die im Zeitalter des Hellenismus groß geworden sind, hat ihm die Sonne Homers, den er wahrscheinlich nur in der Umdichtung Chapmans kennen lernte, vielleicht nicht geleuchtet, und ganz gewiß hat er sich nicht die Aufgabe gestelt. das griechische Nationalepos, wie er es vorfand, in die dramatische Form umzugießen. Er stellte sich vielmehr im Gegensatz dazu auf Seiten der Trojaner, deren schlichteres Heldentum sich in seinem Drama von den Prahlereien der Griechen wirksam abhebt. Die Anregung zu seinem Werke mag ihm eine gleichnamige Dichtung Chaucers gegeben haben, oder beide schöpften gemeinsam aus einer älteren Quelle, in der die nach⸗ homerische Cressida⸗Episode, die nur leise an die Geschichte der Chryseis und Briseis anklingt, selbständig fortgesponnen war. Vielleicht hat gerade im Hinblick auf dieses Werk der ge⸗ lehrte Ben Jonson in seinem Hymnus auf Shakespeare die Bemerkung nicht unterdrücken können: „Und wußtest du auch wenig nur Latein, noch weniger Griechisch, war doch Größe dein.“ Etwas von dem Geist des klassisch gebildeten Ben Jonson ist heute in uns allen lebendig und hindert uns, diese Shakespeare⸗Dichtung trotz aller ihrer Schönheiten, die auch der große vHellenist Goethe wohl zu schätzen wußte, unbefangen zu genießen. aran scheint, aus der Aufnahme, die das Drama jetzt fand, zu schließen, auch der Lindausche Neuaufführungsversuch, so verdienstvoll er an sich ist, nichts ändern zu können. — Die Aufführung selbst darf noch nicht mit dem Maß⸗ stabe gemessen werden, den man später, wenn die neuen Kräfte erst erprobt und gefestigt sein werden, wird anlegen müssen. Neben vortrefflich Gelungenem stand Mindergutes sowohl auf griechischer wie auf trojanischer Seite, sodaß der Satz „Iliacos intra muros peccatur et extra“ auch hier Geltung behielt. Die Hauptrollen aber waren gut besetzt. Als Troilus bewährte sich der vielseitige Herr Walden ebensosehr im heroischen wie in dem mehr lyrischen Teil seiner Aufgabe, besonders in der an „Romeo und Julia“ gemahnenden Gartenszene. Als Cressida, deren buhlerisches Wesen sie aus dem angenommenen züchtigen Gebaren diskret hervorlugen ließ, führte sich Fräulein Paula Müller glücklich ein. Als scharfer und zugleich humorvoller Charakteristiker erwies sich 88 Alfred Abel als Thersites, individuelle üge zeigten eerner die Herren Schlaeger (Aeneas), Waldow (Ajax), Landa (Ulysses), Geisendörfer (Diomedes). Ein vortrefflicher Hektor war Herr Sommerstorff, eine anmutige Helena Fräulein Rabitow, eine wirkungsvolle Kassandra Frau Arnold. Die Bühnenbilder, bei denen die plastische Dekoration mehrfach wirkungsvoll angewandt war, unterstützte zum Teil wesentlich die Stimmung, die die Regie dem ganzen Werke zu geben trachtete.
Lessingtheater.
Die Direktion Otto Brahm hielt gestern mit der Darstellung von Henrik Ibsens Schauspiel „Die Frau vom Meere“ ihren Einzug in das neue Heim; und ein tiefgehender, großer Erfolg fiel dieser ernsten künstlerischen Arbeit wie eine reife, schöne Frucht in den Schoß. Ibsens „Frau vom Meere“ hat ihre erste Aufführung vor mehr als zehn Jahren im Königlichen Shauspielhause erlebt; sie ist aber lange genug wieder vom Spielplan verschwunden, um gestern fast wie eine Neuheit zu wirken. Wie über allen Werken Ibsens, schwebt auch über diesem ein geheimnisvoller Zauber; hier aber zeigt er, ein besonderes Gepräge, das des lockenden und schreckenerregenden, uferlosen Meeres, unter dessen Einfluß auch die Heldin des Schauspiels Ellida, die Tochter des Leuchtturm⸗ wächters, in einem mystischen Glanze schimmert. Bewundernswert tritt wieder die sichere Meisterschaft hervor, die es Ibsen er⸗ möglicht, den zartesten und kompliziertesten Seelenregungen nach⸗ zuspüren, äußere und innere Eindrücke miteinander zu verweben, wie hier die unheimliche Gewalt des weitwogenden Meeres mit den sitt⸗ lichen Forderungen einer groß angelegten Menschenseele. Mit den schrankenlosen ogen trieb Ellidas unstillbare Sehnsucht in die un⸗ emessene Weite und zwang ihre Seele unter den Willen eines eee Seefahrers. Zwang führt dann die arme Heimatlose in das Haus des ältlichen Witwers Doktor Wangel. Ruhelos wie Ebbe und Flut schwanken ihre Gedanken hin und wieder. Ihre kranke Seele erhebt sich erst stark und gesund aus diesem Meere lockender und abstoßender Empfindungen, als sie frei⸗ willig, unter eigener Verantwortung, die Entscheidung treffen darf, die sie auf den Weg des Friedens an der Seite des Gatten und seiner Kinder führt. In der Entwirrung dieser feinen und vielspältigen Seelenregungen der Frau vom Merre entfaltete Irene Triesch ihre
boße und oft bewährte Kunst, die sie zu den berufensten Vertreterinnen
bsenscher Frauengestalten erhebt. Das Mystische dieser Weibesseele ward geklärt durch ergreifende Naturlaute der Stimme und durch eine schlichte Plastik der Gebärde. Oscar Sauer führte die Gestalt des Doktor Wangel in einem festgefügten, einheitlichen Stil durch; die Gefühle des Gatten, des Arztes und des Vaters kamen überall zu ihrem Rechte; nur hätte er der Stimme und den Bewegungen etwas mehr Frische gönnen können, um rückhaltloser die Liebe zu verstehen, die das blühende junge Weib den Weg an seiner Seite wählen läßt. Der fremde Seemann, der nach langen Jahren wiederkehrt, um Ellida für sich zu fordern, wurde von Albert Bassermann stark realistisch gegeben; seine geheimnisvolle Gewalt wurzelte lediglich in einem starken Willen, dessen Einfluß vor der freien Selbstbestimmung der Frau vom Meere zerbrach. Die anderen Figuren, in denen die klare Wirklichkeit des Alltaglebens scharfzügig und nicht ohne einen Anflug feinen Humors gezeichnet wird, fanden ebenfalls eine treffliche Darstellung. Emanuel Reicher führte hier den Reigen an und schuf in dem Oberlehrer Arnholm eine ebenso charakteristische wie lebenswarme Gestalt. Willy Grunwald als junger kranker Bild⸗ hauer zeigte wieder viel natürliche Begabung, und die Damen Urfus und Schiff spielten Wangels Töchter liebenswürdig und auch nicht ohne Eigenart. Auch Carl Meinhard in der Rolle des kleinstädtischen Allerweltskünsters darf nicht vergessen werden. Die Inszenierung zeigte außerdem herrliche Dekorationen, ragende Gebirge, schimmernde Fijorde und Teiche und ein stimmungsvolles nordisches Zimmer. Der brausende Beifall nötigte Direktor Brahm vor die Gardine und er schloß den ereignisreichen Abend mit Dankesworten für die treue Mitarbeit seiner Künstlerschar auf dem Wege zur ernsten Kunst und für die verständnis⸗ volle Teilnahme der Anwesenden.
Zentraltheater.
Gestern wurde die Winterspielzeit mit einer Neuaufführung der alten „Tannhäuser⸗Parodie“ unter Leitung des Kapellmeisters Peisker eröffnet. Ursprünglich als „Keilerei nf der Wartburg“ für das Stiftungsfest einer Studentenverbindung von Dr. Hermann Wollheim verfaßt, wurde die Parodie von Nestroy für die e Bühne überarbeitet. Die Musik ist von Karl Binder. Text sowohl als Musik persiflieren das Wagnersche Werk in geistvoller Weise⸗ Manche Stellen sind ebensosehr künstlerisch wirkungsvoll als von un⸗ widerstehlicher Komik. Eine Inhaltsangabe verbietet sich von selbst. Der Höhepunkt der Wirkung ist wohl der Sängerwettstreit, bei dem Tannhäuser durch seine Schnadahüpfl alles zum Schuhplattln be⸗
eistert. Die reich ausgestattete Aufführung verlief glänzend. Herr nder war als Landgraf von der köstlichsten Komik, so auf der Jagd, beim Sängerkrieg und besonders als trauernder Onkel. Herr
Braun führte die Titelrolle, mit seinem schönen Material nur etwas
zu freigebig umgehend, mit Geschick und Wärme durch. Vorzüglich war Herr Schulz als „Wolfram Dreschenbach“, so besonders, als er statt des Abendsterns den „guten Mond“ ansang, sowie Herr Albes als „Fridolin Taubenklee“. Ein neues Mitglied der Bühne, Frau
Strickstrumpf recht humorvoll und fand auch Gelegenheit, ihre schöne räulein Wini Grabitz
bedienung“, mit grotesker Komik und schöner gesanglicher Wirkung. Der aus lustigen Vagabunden bestehende Pilgerchor und die aus allen möglichen Opern entsprungenen, in die Wartburg einziehenden Gäste ver⸗
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