1904 / 251 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 24 Oct 1904 18:00:01 GMT) scan diff

preußischen Heeres in das Leben gerufen. In den parlamentarischen Kämpfen um die Armeeorganisation, den schwersten inneren Kämpfen, die den Staat in allen Fugen erschütterten, hat General von Roon unerschrocken und unermüdlich, fest und beharrlich auf der Bresche gestanden. Tapfer und unbeugsam vor den Rechten seines Königs und der Zukunft seines Vaterlandes. In diesen schweren Kämpfen⸗ 28 die glänzenden Eigenschaften, die der König frühzeitig an

oon wahrgenommen und in ihm das Werkzeug E“ erkennen ließ, zu glänzendster Betätigung: „unbeugsamer Wille, Charakterfestig⸗ keit, Pflcchttreue, S ööltcata und Selbständigkeit, hingebende Treue egen seinen Königlichen Herrn“. Aus diesen Kämpfen ist die geschicht⸗ iche Gestalt Roons emporgewachsen.

Die Arbeit seines Lebens aber hat der Kriegsminister von Roon ekeönt gesehen im weltgeschichtlichen Entscheidungen. Drei Kriege fielen n seine Amtszeit, zu denen er das Heer sorglich vorbereitet hatte. Schier unendlich war das preußische Heer, das in unerschöpflichen ormationen zum Erstaunen von Freund und Feind 1866 in das eld rückte. In den schwierigsten Augenblicken der Nicolsburger Periode konnte der Kriegsminster seinem König mit urhege aussprechen: „daß, wenn die Politik es verlange, die Mittel zur Förtsezung des Krieges auch nach zwei Fronten vorhanden seien“. Sein Wunsch aus jenen Tagen: „Gott gebe ferner helle Augen und feste Herzen!“ sollte sich erfüllen. Als wenige Jahre später die große Entscheidungsstunde schlug, die in mächtigem Aufschwunge des nationalen Geistes die vaterländischen Kräfte zu einheitlichem Handeln usammenfaßte, da fand die treue, mühselige Arbeit des Kriegsministers hren schönsten Lohn. In der Nacht vom 15. zum 16. Juli 1870 og nach beendetem Vortrag bei Seiner Majestät dem König das von oons Hand niedergeschriebene Telegramm durch die deutschen Lande: Die Armee ist planmäßig mobil zu machen“; und es verdient der Vergessenheit entrissen zu werden, daß Roon die folgenden 14 Tage später als die sorgen⸗ und arbeitslosesten seines Dienstlebens bezeichnen konnte. Ungeachtet der völlig unerwarteten Mobilmachung mitten in der Urlaubszeit des Hochsommers hatten der Kriegsminister und seine Organe in der ganzen Mobilmachungsperiode auch nicht eine Anfrage der Generalkommandos zu beantworten gehabt. . 86

Roon hat sich auf der Höhe seines Wirkens als des „Königs Feldwebel“ bezeichnet. Der König aber hat ihm den Feldmarschallstab n die Hand gelegt, die zwar nicht Heere zum Siege geführt, aber sie geschaffen und in sorglicher Ausführung der ihnen vom König ge⸗ gebenen mustergültigen Organisation für den Sieg vorbereitet hat. Das war Königliche Anerkennung für den treuen Diener! Allergnädigster Kaiser, König und Herr! 8

Nach der Errichtung des Denkmals für den Generalfeldmarschall Graf von Moltke wird dieser Königsplatz eine geweihte Stätte so glorreicher Erinnerungen sein, wie kaum eine andere Nation sie auf⸗ zuweisen hat, weil sie uns nicht an vorübergehenden Kriegs⸗ und Schlachtenruhm mahnen, sondern von den großen, dauernden Schöpfungen zeugen sollen, welche wir mit der Einsetzung unserer besten Kraft gewonnen haben; von dem endlichen Besitz der nationalen Güter, auf welche das Sehnen und Ringen ganzer Geschlechter ver⸗ geblich gerichtet gewesen war. An dem Reiterbilde König Friedrich Wilhelm III. im lesen wir unter der Gestalt der Borussia die Worte: „Sie haben dich hart bedränget von deiner Jugend auf, aber sie haben dich nicht überrascht“. Dort der Anfang des in Tilsit beschrittenen, langen Weges, hier sein dortescher Versailler Abschluß.

Möge denn uns und den fernsten Enkeln diese geweihte Stätte eine ewige und mit 1000 Zungen redende Mahnung bleiben: die großen Geschicke des Vaterlandes nicht dem Parteigeist, nicht dem Streit des Tages unterzuordnen, sondern sich allezeit bewußt zu bleiben, b große Name Deutschland, den wir unter der Führung jener großen Männer erst zu seiner Bedeutung gebracht haben, jedem Deutschen große Pflichten auferlegt, Pflichten, die nicht mit Festes⸗ stimmung, mit Worten und Liedern, sondern durch ernste, männliche

Tat erfüllt sein wollen! Wir Lebenden aber, die wir uns in dieser Stunde von dem Geist jener großen Zeit umweht und getragen wissen, wir wollen dieses Gelübde an das Vaterland in den alten und doch ewig jungen Treuschwur des echten Soldatenherzens kleiden: „Seine Majestaät der Kaiser und König unser Kriegsherr Hurra!!!“

Nachdem die Hülle des Denkmals gefallen war, wurde dieses von den Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften. besichtigt. Ein Vorbeimarsch der Ehrenkompagnie schloß die Feier.

8 Das Denkmal besteht aus einer 5 m hohen Bronzestatue

des verewigten Feldmarschalls, die sich auf einem ebenso hohen Postament aus poliertem schwedischen Labrador erhebt. Die vier Ecken bilden kannelierte Rundsäulen, und der Architrav hat eine wuchtige Form. In großen Lettern ist vorn der Name „Roon“ eingemeißelt; darüber ist ein großes eisernes Kreuz angebracht. Das Denkmal wird umgeben von einer halbrunden niedrigen Rüstung aus Labrador mit zwei kräfti abschließenden Endpfeilern. An diese Pfeiler lehnen ich bronzene, bandumwundene Lorbeerkränze. Die Schleifen des einen Kranzes verzeichnen die wichtigsten Daten aus dem

In der am 22. Oktober d. J. unter dem Vorsitz Staatsministers, Staatssekretärs des Innern Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesrats wurde die Vorlage, betreffend Aenderung des werhe nisses der Herkunfts⸗ und Bestimmungsländer für die

statistischen Anschreibungen des Warenverkehrs mit dem Auslande, den zuständigen Ausschüssen überwiesen. Den Ausschußanträgen, betreffend Aenderung der Zoll⸗ ordnung für den Kaiser Wilhelm⸗Kanal und des Niederlageregulativs, die Vornahme einer Viehzählung am 1. Dezember 1904, die Uebersicht der Reichsausgaben und 1 für das Jahr 1902 und die Allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt für das Jahr 1899, wurde die Zu⸗ stimmung erteilt. Ferner wurde über die Neuwahl eines nichtständigen Mitglieds des Reichsversicherungsamts Beschluß gefaßt. Außerdem wurde eine Reihe von Eingaben erledigt.

Der Fürstlich lippische Staatsminister Gevekot ist hier angekommen.

eutsche Kolonien. 8 5

Ein vorgestern in Berlin eingegangenes Telegramm des Generalkonsulats in Kapstadt meldet, dem „W. T. B.“ zufolge: Die Kompagnie Wehle wurde am 5. d. M. im Lager Sturmacs⸗ werft beim Wasserfall (Hurub) bei Tagesanbruch von Morenga mit 150 Gewehren angegriffen. Der Feind wurde in die Karrasberge veeheversr, die Verfolgung war aber ohne Verstärkung unmöglich. Der Feind hat 11 Tote zurückgelassen, sein Verlust ist aber zweifellos erheblich stärker. Major von Lengerke beabsichtigt, vorläufig in Warmbad und Sand⸗ fontein zu bleiben.

3 Nach mehreren, kurz nacheinander in Berlin eingegangenen Meldungen des Gouverneurs von Deutsch⸗Südwestafrika, Obersten Leutwein aus Rehoboth sind die Bastards treu. Gibeon und Umgegend ist seit dem 16. Ok⸗ tober vom Feinde frei. Dieser sammelt sich haupt⸗

zu finden.

sächlich bei Marienthal. - setzt. Die Station Pforte, deren Fesatung sich nach Dassie⸗ fontein zurückgezogen 88 ist zerstört. ie Besatzung von Falkenhorst befindet sich in Gibeon. Die Gochasleute sind ch. Die Veldschoendrager und Bersabaner sind noch ruhig. Der Kapitän der letzteren hat Hendrik Witbois Brief dem Bezirksamtmann übergeben und um deutsche Soldaten ebeten. Unruhig sind die Bethanier und die Leute von

armbad. Als sicher tot sind gemeldet: Fauprnenn von Burgsdorff, 2 Unteroffiziere, Missionstechniker Holzapfel, 4 Farmer, 10 Buren.

In dem Gefecht, das am 15. Oktober bei Osowandimee stattgefunden hat, ist der Reiter Gottfried Wurg aus Krune bei Schockwitz, früher im Husarenregiment Nr. 10, gefallen; verwundet wurden: Unteroffizier Karl Schmarsowaus Bützow (Mecklenburg), früher im Ulanenregiment Nr. 11 (Schuß in die rechte Schulter und Streifschuß ins Kinn), Reiter Karl Peter aus Frankfurt a. O., früher im Infanterieregiment Nr. 59 (Weichteilschuß in den rechten Oberarm), und Reiter Gottlob Haußer aus Fißlerhof (Württemberg), früher im Artillerieregiment Nr. 65 (Fleisch⸗ schuß in den rechten Oberschenkel).

An Typhus gestorben sind: Gefreiter Ernst Franke von der 2. Kompagnie des Regiments Nr. 2, geboren am 6. Juni 1882 in Menden, am 17. Oktober und Reiter Josef Kruschinski, geboren am 14. März 1882 in Zahr⸗ Lewo, Kreis Bomst, 19. Oktober im Lazarett zu

tjimbinde; Gefreiter Alwin Kunze, früher im Artillerie⸗ regiment Nr. 10, geboren am 13. Mai 1882 zu Bautzen in Sachsen, am 16. Oktober im Lazarett zu Epukiro; Unteroffizier Erich Waldemar Raddatz von der 2. Kom⸗ pagnie des 2. Feldregiments, geboren am 27. Juli 1879 zu Friedeberg (Kreis Schubin), früher im Dragonerregiment Nr. 12, am 21. Oktober im Lazarett zu Okahandja; Reiter Friedrich Robert Esser I. vom 2. Feldregiment, geboren am 14. November 1882 in Offenbach a. M., früher im Infanterie⸗ regiment Nr. 117, am 21. Oktober im Lazarett zu Otjosondu.

Nach einem in Berlin über Sydney eingegangenen amt⸗ lichen Telegramm des Gouverneurs von Deutsch⸗Neu⸗ Guinea ist die Verfolgung der bei dem Ueberfall der Missionsstationen in den Bainingbergen auf Neupommern beteiligt dre Eingeborenen beendet. Die Schuldigen sind sämtlich bestraft, die Mörder hingerichtet.

Desterreich⸗Ungarn.

Die „Neue Freie Presse“ meldet, im Hinblick auf die bevorstehende Session des Reichsrats seien Verhand⸗ lungen mit den Tschechen im Zuge, um eine wirtschaftliche Kompromißpolitik anzubahnen. Es handele sich darum, die Notstandsvorlagen, das Budget und den Zolltarif aus der Obstruktion auszuschalten.

Als am Sonnabend vormittag der Bürgermeister von Wien Dr. Lueger bei der Enthüllung eines Monumental⸗ brunnens im fünften Bezirk, die zur Feier seines 60. Geburts⸗ tages stattfand, eine Ansprache des Bezirksvorstehers beant⸗ wortete, kam es, dem „W. T. B.“ zufolge, zu wiederholten Kundgebungen pon seiten der Sozialdemokraten.

Gestern wurden in Prag, Lemberg, Brünn und Budweis Kundgebungen der Sozialdemokraten für das allgemeine Wahlrecht veranstaltet. Die Teilnehmer hielten Versammlungen ab und zogen unter Absingen von Arbeiterliedern und unter Hochrufen auf das allgemeine Wahlrecht durch die Straßen. Es fanden keine Zwischen⸗ fälle statt.

In der Schlußsitzung des schlesischen Landtags führte der Stellvertreter des Landeshauptmanns, Kardinal Kopp aus, er sei von autoritativer Seite ermächtigt, zu erklären, daß die Regierung ihr Augenmerk darauf richte, eine für alle Teile befriedigende dauernde Lösung der Frage der Parallelklassen in den Lehrerbildungsanstalten

Großbritannien und Irland.

Ein gestern in London eingetroffenes Telegramm aus Hull meldet, wie „W. T. B.“ berichtet, die russische Ostsee⸗ flotte habe zwei Fischerboote aus Hull angerannt und zum Sinken gebracht. Achtzehn Fischer seien ertrunken. Es verlaute, das russische Geschwader habe auf die Fischerflotte gefeuert. Ein englischer Kapitän sei getötet worden.

Ein weiteres Telegramm des „W. T. B.“ besagt, die Anwälte der Reeder von 50 Fischerbooten aus Hull hätten das Auswärtige Amt und die Admiralität von dem Angriff des baltischen Geschwaders in Kenntnis ge⸗ setzt. Die erste Abteilung der russischen 8 habe die Fischerboote um Mitternacht vom 21. zum 22. d. M. passiert. Der Rest des Geschwaders, der später gefolgt sei, habe Schein⸗ werfer auf die englische Fischerflotte gerichtet und zu gleicher Zeit das Feuer eröffnet. Das Boot „Crane“ sei zum Sinken gebracht worden. Die Leichen des Kapitäns und des ersten Offiziers, denen der Kopf weggerissen war, seien geborgen und nach Hull gebracht worden. An Bord der englischen Schiffe befänden sich noch mehrere Verwundete. Die Boote „Moulmein“ und „Mino“ seien durch das Feuer der Russen schwer beschädigt in Hull angekommen. „Mino“ habe 16 Lecke. Man fürchte, daß noch ein weiteres Fischerboot mit der Mann⸗ schaft gesunken sei.

Die „Preß Association“ meldet noch folgendes aus Hull, vom gestrigen Tage: Die in Hull einfahrenden Fischerdampfer waren vollständig zerschossen; der stark beschädigte Dampfer „Moulmein“ trug die Flagge halbmast. Der Kapitän berichtet, daß die Flotte vor Gancocok und Great Norson 220 englische Meilen nordöstlich während eines Sturmes gefischt habe, als am Sonnabend früh 1 Uhr bei trübem Wetter die Umrisse von großen Schiffen aufgetaucht seien. Während die Fischer die Schiffe, die offenbar Kriegsschiffe waren, betrachteten, hätten diese ihre Scheinwerfer auf die Fischerboote Licht werfen lassen. Dann seien kleinere Schiffe, anscheinend Torpedoboote, näher gekommen, als ob sie beab⸗ sichtigten, Mannschaften an Bord der Fischerfahrzeuge zu senden, seien aber wieder zurückgefahren; hierauf sei das Feuer eröffnet und einige Boote getroffen worden. Der Fischdampfer „Mino“ sei von vorn bis hinten vollständig durchlöchert, glücklicher⸗ weise aber nicht unter der Wasserlinie. Das Feuer habe wanzig Minuten gewährt. Nach Einstellung des Feuers seien ie Afischen Schiffe schnell davongefahren. Ein Dampfer habe durch Raketen signalisiert, daß er in Not sei; dies sei der Dampfer „Crane“ gewesen, der am Sinken war. Der Maschinist habe eine schwere Verwundung an der Brust gehabt, einem Matrosen sei die Hand abgeschossen gewesen.

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Geitsabis ist stark, vom Feinde be⸗ Auf Deck hätten die Leichen des Kapitäns und

übernehmen.“

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eines Matrosen gelegen, beiden sei der Kopf abgerissen gewesen. Die Leichen seien an Bord des „Moulmein“, die Verwundeten an Bord anderer Schiffe genommen worden. Die Schywer⸗ verwundeten hätten in dem Lazarett der Fischerflottille Auf⸗ nahme gefunden. Die Docks in Hull hätten, da sich die Volks⸗ massen hineindrängten, geschlossen werden Die Namen der russischen Schiffe seien nicht festgestellt. In Hull sei die Entrüstung über den Vorfall allgemein; die Bevölkerung hoffe, daß die russische Flotte werde aufgehalten werden, um eine Erklärung des Vorfalls zu geben.

Nach Meldung Londoner Blätter belaufe sich die Zahl der bisher auf dem Lazarettschiff geborgenen Verwundeten auf 29.

Das Pariser Journal „Matin“ meldet aus London, der Angriff der russischen Flotte auf die englischen bei Hull habe in London große Aufregung ervorgerufen. Der ruffische Botschafter in London habe erklärt, daß das Vorkommnis zweifellos irgend einem Mißverständnis sei. Die Russen dürften wohl geglaubt 8 en, daß die Boote im Dienste der Japaner ständen und feindselige Absichten hätten. Es würde für die Boote in diesem Falle in der Tat leicht ge⸗ wesen sein, an die russischen Schiffe heranzukommen und Tor⸗ pedos abzufeuern. Wenn bewiesen werde, daß tatsächlich nur harmlose Fischer getötet und verwundet worden seien, so werde dieser Vorfall in Rußland das größte Bedauern hervorrufen.

Nach Meldungen Lloyds passierten gestern 4 russische Torpedoboote um 12 ½ Uhr Nachmittags St. Catherines Point auf der Fahrt nach Osten. Um 5 Uhr 40 Minuten Nachmittags fuhren 11 russische Schiffe, nach Westen steuernd, bei Dungeneß vorbei. Wie Lloyd ferner von St. Catherines Point meldet, passierte dort eine russische Flottille um 5 Uhr 47 Minuten Nachmittags. G

Frankreich.

Der König von Griechenland stattete am Sonnabend⸗ nachmittag, wie „W. T. B.“ meldet, dem Präsidenten Loubet ae Besuch ab, den der Präsident im Laufe des Abends erwiderte.

Bei der gestern in Saint⸗Etienne vorgenommenen Wahl eines Senators an Stelle von Waldeck⸗Rousseau wurde der Deputierte Audiffred (Fortschrittspartei) gewählt.

Die Deputiertenkammer setzte am Sonnabend die Be⸗ ratung der Interpellation über die Kirchenpolitik fort. Der Deputierte Hubbard (Sozialistisch⸗Radikaler) erklärte, das Land sei für Trennung von Kirche und Staat. Der Redner warf dem Minister⸗ präsidenten und dem Minister des Auswärtigen ihre Schwäche gegen⸗ über dem Vatikan vor; man hätte das Konkordat gelegentlich der Angelegenheit der Bischöfe von Dijon und Laval kündigen sollen. Die Regierung müsse die Initiative be⸗ züglich der Trennung von Kirche und Staat ergreifen. Der Deputierte Engerand (Nationalist) wünschte, daß vor einem Be⸗ schluß über die Trennung eine allgemeine Volksabstimmung über die Frage veranstaltet werde. Der Ministerpräsident Combes erklärte, die jüngsten Vorfälle mit den Bischöfen hätten die Unmöglichkeit dar⸗ getan, das Konkordatsverhältnis aufrechtzuerhalten, und erinnerte an die Aufforderung des Vatikans an die Bischöfe von Laval und Dijon, trotz des Verbots der Regierung sich nach Rom zu begeben. Der Vatikan habe deutlich seine Mißachtung vor dem Konkordat und den Rechten Frankreichs bewiesen. Die Regierung habe den Vatikan zur Erfüllung seiner Verbindlich⸗ keiten aufgefordert und verlangt, daß die Briefe an die beiden Blschohe zurückgezogen würden. Da sie keine Genugtuung erhalten hahe⸗ abe sie den Botschafter beim Vatikan abberufen. Der Papst abe den Bischof von Laval gemaßregelt, weil dieser zunächst der Re⸗ jerun sch unterworfen und sich geweigert habe, das Uebergewicht der geist⸗ ichen Macht über die weltliche anzuerkennen. Der Bischof von Dijon sei auch von der royalistischen Opposition angegriffen worden. Keine Regierung habe je eine Einmischung des päpstlichen Nuntius ertragen. Das Einvernehmen, das nötig sei, um einen Geistlichen zum Bischof zu machen, sei auch nötig, um ihn abzusetzen. Die Geistlichkeit habe durch ihre Angriffe die Geduld der republikanischen Partei erschöpft. Nachdem der Ministerpräsident dann auf die Kundgebungen bei der Schließung der Schulen und auf die Angriffe gegen den Präsidenten Loubet wegen seiner Romreise hingewiesen, fuhr er fort: „Die Trennung der Kirche vom Staat ist unvermeidlich geworden. Alle Gewalten, die den Vatikan zu bewegen suchten, ihr Uebergewicht in weltlichen Dingen anzuerkennen, haben ihre Mühe vergeblich auf⸗ gewendet. Diejenigen, welche ein neues Konkordat zustande bringen wollten, würden düpiert werden und die Regierung schließlich zur Ohnmacht verurteilt sein. „Ich will die Freiheit der Kirche in einem mit unsern übrigen Freiheiten vereinbaren Maße. In Wirklichkeit ist der Papst derjenige, der die Trennung wollte; er will den Staat unterjochen, wie er die Kirche unterjocht hat. Man sprach von einem Gang nach Canossa. Mag nach Canossa gehen, wer will; was mich betrifft, so gestattet es mir weder mein Alter, noch meine Geschmacksrichtung, mich dahin zu begeben.“ Nach dem Ministerpräsidenten nahm der Deputierte Ribot das Wort und sagte: „Die Vorgänger Combes' haben diese Frage mit Vornehmheit behandelt. Combes dagegen hat von heiligen Dingen mit Leicht⸗ fertigkeit gesprochen, er ist ein Theologe, der sich in die Politik verirrt hat.“ Als der Redner dann das Verhalten Bourgeois' demjenigen Combes' gegenüberstellte, rief der Mnisster. präsident: „Wenn Sie glauben, mich in Gegensatz zu Bourgeois bringen zu können, so verschwenden Sie Zeit und ůhe vergebens“ Ribot entgegnete:; „Man kann doch seine Meinung frei aussprechen.: Der Ministerpräsident rief: „Frei, aber nicht frech!“ Ribot verließ sofort die Tribüne unter wieder⸗ holtem Beifall der Rechten und des Zentrums und großer Erregung des Hauses. Der Ministerpräsident wollte sich äußern, aber die Rechte und das Zentrum übertönten 8 Stimme. Combes begab sich zum und sprach mit ihm. Dieser teilte mit, der Ministerpräsident nehme seine Worte zurück. Ribot betrat hierauf unter dem Beifall der Rechten, des Zentrums und eines Teiles der Linken wiederum die Rednertribüne und führte aus: „Nicht Combes, sondern dem Parlament steht es zu, das Konkordat zu lösen. Mit Trauer im Herzen haben wir der Abberufung unseres Botschafters zugestimmt. Frankreich kann den Beziehungen zum päpstlichen Stuhle nicht entsagen. Was die Er⸗ nennung der Bischöfe betrifft, so haben die vorhergehenden Re⸗ gierungen keineswegs die Rechte des Staates aufgegeben; Sie werfen ihnen vor, Bischöfe ernannt zu haben, die der Republik feindlich ge⸗ sinnt gewesen seien; aber nenen von den am feindlichsten gesinnten gehören gerade zu denjenigen, die dem päpstlichen Stuhle aufge⸗ drängt waren. Was die geistliche Zucht betrifft, so muß die Re⸗ gierung sich mit dem 2nb8 Stuhl ins Einvernehmen setzen. Sodann warf der Redner der Regierung vor, daß sie sich nicht mit dem Nuntius wegen der Bischöfe verständigt habe; denn dann würde der Papst nachgegeben haben. Die Regierung habe einen Bruch gewollt, sie werde die Verantwortung dafür tragen. Ribot schloß: „Ich und meire Freunde sind gegen die Trennung von Kirche und Staat; Deschanel hat nur für seine Person gesprochen. Nicht im Kampfe mit der Kirche darf die Trennung vollzogen werden. Es handelt sich um eine Um⸗ wälzung, die nur im Einvernehmen mit den Katholiken durchgeführt werden darf. Wir können uns der Politik der Regierung nicht anschließen; niemals werden meine Freunde und ich eine solche Verantwortlichkeit Die Diskussion wurde hierauf geschlossen, und mehrere Tagesordnungen wurden eingebracht. Der Ministerpräsident Combes

stellte die Vertrauensfrage zu einer von Bien venu Martin (radikaler Kevpublikaner) eingebrachten Tagesordnung, in der die Erklärungen der Regierung, gebilligt werden. Diese Tagesordnung wurde mit 325 gegen 237 Stimmen unter dem Beifall der Linken angenommen und scpann die Sitzung geschlossen. Sieben russische Torpedoboote, das Transportschiff orea“ und der Kohlentransportdampfer „Kitag“ sind gestern in Cherbourg eingelaufen und haben Kohlen genommen.

Rußland.

Am Sonnabend fand, wie „W. T. B.“ meldet, in St. Petersburg unter dem Vorsitz des Admirals Avelan in Beisein von 4 Admiralen, von Professor Martens und Vertretern der Justiz, die die höchste Instanz des Prisen⸗ gerichts bilden, die Verhandlung wegen der Beschlagnahme des englischen Dampfers „Allanton“ durch das Wladi⸗ zefckgeschwader statt. Es wurde folgender Spruch abgegeben:

Der Dampfer „Allanton“ und dessen Ladung unterliegen nicht der Konfiskation und sind dem Besitzer zurückzugeben. Zur Beschlag⸗ nahme lag genügende Ursache vor; dabei wurden alle not⸗ wendigen Bedingungen beobachtet. Der Beschluß des Prisengerichts in Wladiwostock ist entsprechend abzuändern.

Spanien.

In einer am Sonnabend in Madrid abgehaltenen Versammlung, in der die Frage der gerichtlichen Verfolgung mehrerer Deputierten bebandelt wurde, erklärte, wie „W. T. B.“ berichtet, der Ministerpräsident Maura, die Haltung der Regierung stehe im Einklang mit der Gerechtigkeit, illigkeit und der Ver⸗ fasung. Vor dem Gesetze seien alle gleich. Er habe die Frage nicht angeregt, um eine Gelegenheit zu provozieren, sich von seinem Amte urückzuziehen. Er sei zu diesem ohne sein Zutun gekommen. Man knne ihn stürzen, aber er werde niemals fahnenflüchtig werde

Das Wiener „Telegr.⸗Korresp.⸗Bureau“ meldet aus Kon⸗ stantinopel, die Botschafter der Ententemächte würden den neuerlich von der Pforte gegen die Vermehrung der fremden Offiziere für die Gendarmerie in Maze⸗ donien erhobenen Einspruch abermals ablehnend beantworten.

Der Ministerrat hat das Memorandum der Oppositionspartei der Synode des ökumenischen Patriarchats, das den Patriarchen seines Amtes für ver⸗ lustig erklärt, verworfen und den Beschluß des gemischten Rats, bnh die Absetzung von drei Mitgliedern der Synode, gutgeheißen. Die letzteren seien angewiesen worden, auf ihre Posten in der Provinz zurückzukehren.

Die Pforte hat den Botschaftern der Entente⸗ mächte Abschriften einer chiffrierten Korrespondenz des bulgarischen Komitees übermittelt, die im Falle der Echtheit neuerliche Einfälle und umfassende Tätigkeit des Komitees bedeuten würde. Ein nach Monastir an einen gewissen Eftim gerichteter Brief befaßt sich ein⸗ gehend mit der Besetzung der Lehrerstellen in Monastir. In dem Schreiben wird ausgeführt, daß das Exarchat die darauf bezüglichen Wünsche des Komitees nicht erfüͤllt habe. Unge⸗ fähr 40 der vom Komitee bezeichneten Kandidaten seien ent⸗ weder gar nicht ernannt oder aber wieder abgesetzt worden und würden von den Türken verfolgt. Das Exarchat werde noch einmal aufgefordert werden, die Wünsche des Komitees zu erfüllen. enn dies nicht geschehe, würden die Kirchenchefs und ihre Sekretäre zur Abreise Fifeegg werden. Für den Fall, daß sie nicht gehorchten, würden strenge Maßnahmen angedroht, damit das Exarchat den Einfluß des Komitees kennen lerne. In einem zweiten, aus Serbien datierten Schreiben eines Komiteeführers namens Grozdoff werde von einer Mission nach Cettinje gesprochen und von der Benutzung der Wege S- Albanien, ohne albanesisch sprechen zu können, gewarnt. In dem Briefe würden ferner Ratschläge des bulgarischen diplomatischen Agenten Rizow in Monte⸗ negro mitgeteilt, die dahin gehen, man solle bis zum Ablauf der im Oktober 1905 zu Ende gehenden Reformperiode nichts unternehmen, sondern sich nur die Reform zunutze machen. Der Brief enthalte eine Menge sonstiger S- über das Bandenunwesen, die Munitionsfrage und Winke bezüglich der Agitation.

Bulgarien. Die Sobranje ist, dem „W. T. B.“ zufolge, zum 28. d. M. zu einer ordentlichen Session einberufen worden. 6

1 Amerika.

Der peruanis 8 Senat hat, wie die „Agence Havas“ mitteilt, mit großer Majorität die 1e betreffend Her⸗ absetzung der Zölle auf Zucker, Alkohol und Zuͤnd⸗ hölzer, abgelehnt. Ein außerordentlicher Kongreß werde zusammenberufen werden, um das Budget zu beraten.

Asien. Ein Telegramm des Generals Ssacharow vom 21. Ok⸗ tober meldet:

Am 21. hätten bei der 1. Mandschureiarmee keine Zusammenstöße nit dem Gegner stattgefunden. Der Feind habe sich an diesem Tage elig von Ssachepu nach Potsch zurückgezogen. In Ssachepu sien Gewehre, Patronen und Vorräte gefunden worden. Ein uns betgenommenes Geschütz hatte der Gegner auf unserer früheren

rtilleriestellung zurückgelassen, ebenso 4 Protzwagen und einen Wagen * Handwerksgeräten. Im ganzen haben wir nach dem Kampfe Ff. 16. Oktober 14 Uegehse Geschütze erobert, wovon 9 Feld⸗ und

Berggeschütze sind, und eins von unseren Geschützen zurückerhalten. Ein weiteres Telegramm des Generals Ssacharow an en Generalstab vom 21. d. M. meldet: sas Heute haben bei der ersten Mandschureiarmee keine Zusammen⸗ öße mit dem Feinde stattgefunden. Einzelne Schüsse wurden im aufe des Tages gewechselt. Unsere Batterien beschossen den von den

apanern beee Teil des Dorfes Linschinpu, die Station haho und das Dorf Lamatun. Der Feind beschoß den von Fiacesgenommenen Teil des Dorfes Linschinpu und das Dorf

u.

ge- Der General Putilow, der am 13. d. M. 12 japanische Züschütze genommen hat, ist, wie „W. T. B.“ erfährt, durch foigenden Erlaß des Kaisers vom 21. d. M. an die mand⸗ hurische Armee ausgezeichnet worden: 1 Mit Vergnügen belohne ich den Generalmajor Putilow mit im Georgorden 4. Klasse. Ich war erfreut, zu erfahren, daß feind⸗ sch Geschütze genommen sind, und daß meine hege.n ruppen 399 wee immer tapfer verhielten. Uebermitteln Sie ihnen meinen Fank und ein besonderes Lob dem 19. ostsibirischen Schützenregiment. Vott schütze Euch. 1. Eee. 12 Nr l Hr. vom Der,Russischen Telegraphen⸗Agentur“ wird aus Pudsiadsi 8 d. M. gemeldet: den Gom 11. bis 18. Oktober kämpfte das erste Armeekorps unter nit Ekneral Meyendorff bei den Höhen von Jansintun und ging em khren, trotz großer Verluste, aus diesem schwierigen Kampf in den bergigen Terrain. Ein besonders blutiges Gefecht fand bei der

setzung des Bergkegels am Schahoufer in der Nähe des Dorfes

Sahojan statt; die Russen erbeuteten hierbei 40 Munitionswagen und eine große Anzahl Gewehre.

Aus Mukden vom gestrigen Tage meldet die „Russische Telegr.⸗Agentur“:

Die Japaner scheinen sich von Schaho zurückziehen zu wollen. Sie haben den Bahnhof von Schaho geräumt und erwidern das Feuer der Russen wenig. Die russischen Belagerungsgeschütze sind in

ätigkeit getreten. ve Astct enee Ekha Aksh. .. 24 „% Aus Charbin erfährt dieselbe Agentur, daß seit dem 6. Oktober gegen 26 000 verwundete Russen nach Norden gebracht worden seien.

Der „Birschewija Wjedomosti“ wird aus Mukden vom 21. d. M. telegraphiert:

In der vergangenen Nacht griffen die Japaner drei Kompagnien des 35. Regiments an. Diese trieben den Feind aber zurück, verfolgten ihn bis zu den japanischen Laufgräben, drangen auch in diese ein und erbeuteten Vorräte an Konserven, Munition, Werk⸗ zeugen und ein Geschütz. In der Umgebung von Mukden wütet ein furchtbarer Sturm. Nachts fällt die Temperatur auf 5 Grad unter Null. Das schlechte Wetter ist für die Japaner äußerst ungünstig. Ganz früh morgens haben unsere Kosaken heute auf den vordersten Stellungen des Feindes zwölf erstarrte Japaner aufgefunden und sie ins ruffische Lager gebracht, wo sie erwärmt und mit Nahrung versehen wurden.

Dem „Reuterschen Bureau“ wird von der östlichen Armee der Russen aus Shenking vom 22. Oktober berichtet:

Beide Heere bleiben im wesentlichen untätig. Die Russen haben Tanupudza wieder genommen. Die Japaner haben eine Stellung auf der Hochebene, die nach dem Schaho zu abfällt, inne. Fort⸗ während finden Vorpostengefechte statt. Man hört zerstreutes Gewehrfeuer, und von Zeit zu Zeit beschießen sich einzelne Batterien. Der General Mischtschenko hat im Westen am 20. Oktober ein heftiges Gefecht gehabt. Die Russen machen in dieser Richtung Fort⸗ schritte, und es verlautet, lapanische Geschütze seien genommen worden. Es sind Anzeichen vorhanden von einer baldigen Wiedereröffnung der Feindseligkeiten, da die Russen augenscheinlich beabsichtigen, zum An⸗ griff überzugehen. Das Wetter ist kalt. Nach annähernder Schätzung belaufen sich die Gesamtverluste der Russen in der letzten Schlacht auf 45 000 Mann, darunter 10 000 Tote.

Aus Tokio vom 22. Oktober wird amtlich gemeldet:

Marschall Oyama berichte, in der Front sei am 21. d. M. keine Veränderung der Lage zu verzeichnen. Die Anzahl der von unserer linken Armee eroberten russischen Geschütze belaufe sich im ganzen auf 43, davon seien 27 von der linken und 16 von der rechten Kolonne genommen worden. In der Nähe von Changlianpao seien von den japanischen Streifwachen in der Nacht des 20. Oktober 200 Russen tot aufgefunden worden. 1

„W. T. B.“ berichtet aus Tokio vom 22. d. M.:

Die Heere Kuropatkins und Oyamas stehen sich noch immer Front gegen Front gegenüber, ohne daß einer von beiden zum Angriff übergehe. Ein Bericht aus dem japanischen Hauptquartier in der Mandschurei, der gestern in Tokio einging, meldet, daß dem Vernehmen nach die Russen eine große Truppenmacht gegen das japanische rechte Heer zusammenzögen. Zwei Bataillone russischer Infanterie ständen bei Kaokwanchai. Es verlaute ferner, daß sich 20 000 Russen bei Kaotailin sammelten. Der Feind beschieße, heißt es weiter, von Zeit zu Zeit die mittlere und die linke Armee zum Teil aus 15 cm.⸗Mörsern. Der bei Sufangtai stehende Feind habe am Nachmittag des 20. begonnen, die Station Schaho zu beschießen. Die Japaner hätten in der Nacht zum 20. bei Changlian pao 120 Gewehre erbeutet.

Der Marschall Oyama berichtet über das Ergebnis der bis zum 22. d. M. angestellten Nachforschung über die Verluste der Russen in der Schlacht am Schaho, wie folgt: Gefangen genommen wurden etwa 500 Mann, Leichname von Russen wurden 10 550 gefunden; erbeutet wurden 45 Kanonen, 6920 Granaten,

74 Gewehre und 78 000 Patronen. Die russischen Leichen wurden mit militärischen Ehren begraben. Die Ver⸗ luste der Russen werden insgesamt auf 60 Mann geschätzt. Die Nachforschung wird fortgesetzt.

Das „Reutersche Bureau“ berichtet aus Tokio: die Russen konzentrierten sich gegen die Armee Kurokis; eine russische Kavallerieabteilung habe den Taitsefluß östlich von Pensihu überschritten.

Der „Daily Telegraph“ meldet aus Schanghai unter dem heutigen Datum, die politische Konstellation in China sei zur Zeit schlimmer als im Jahre 1900. Eine weitverbreitete Agitation geheimer Ge⸗ sellschaften zeige ein höchst gefährliches Wiederaufleben der fremdenfeindlichen Stimmung im Volke, und die Agitation sei nicht durchweg eine chinesische. Britische Offiziere, die von einer Beobachtungsreise nach Schanghai seien, berichteten, starke Abteilungen wohlausgerüsteter Truppen würden in vielen Bezirken der süd⸗ lichen, mitteren und nördlichen Provinzen von geübten Offi⸗ zieren ausgebildet, die nicht alle Chinesen seien.

Das Inkrafttreten des neuen chinesischen Marken⸗ schutzgesetzes ist, dem „W. T. B.“ zufolge, vorläufig ve schoben worden.

Berliner Theater.

Gestern spielte Frau Sarah Bernhardt zum ersten Male in Berlin die Rolle des Herzogs von Reichstadt in Edmond Rostands vielgenanntem Versdrama „L'Aiglon“, das in. im Ausstellungs⸗ jahr zum ersten Male auf der Bühne erschien. Das traurige Schicksal des einzigen Sohnes Napoleons I. aus seiner Ehe mit der Erzherzogin Maria Luise von Oesterreich, ist schon verschiedentlich dichterisch be⸗ handelt worden, und zwar zunächst episch von den Fran⸗ zosen Barthélömy und Méry unter dem Titel „Le fils de l'homme“; in Deutschland hat Otto von der Pfordten den Kaisersohn zum Helden eines dramatischen Gedichts

emacht, das im Jahre 1900 auf der Bühne des Königlichen Schau⸗ spielhauses einige Wiederholungen erlebte. Die geschichtlichen Tat⸗ sachen, die auch der Rostandschen Dichtung zu Grunde liegen, sind kurz folgende. Napoleon Franz Joseph Karl wurde am 20. März 1811 zu Paris geboren, erhielt gleich nach seiner Geburt den Titel eines Königs von Rom und wurde, da sein Vater am 22. Juni 1815 zu seinen Gunsten verzichtete und er nominell ein paar Tage Oberhaupt Frankreichs gewesen war, im Dekret Napoleons III. vom 7. November 1852 Napoleon II. genannt. Er wurde im Jahre 1814 nach dem Schloß Schönbrunn bei Wien ge⸗ bracht, wo ihm der Kaiser Franz die Herrschaft Reichstadt in Böhmen und den Titel eines Herzogs verlieh. An seinem zwölften Geburtstag erhielt der Prinz das Fähnrichspatent, im Jahre 1830 wurde er Major. Die Taten und das Schicksal seines Vaters waren ihm wohlbekannt, und er widmete dessen Andenken die leidenschaftlichste Verehrung. Mit Eifer gab er sich dem Studium der Kriegswissenschaft hin und verzehrte sich in unbefriedigtem Ehrgeiz nach großen Taten. Seinen Wünschen und Plänen, den französischen Thron einzunehmen, widersetzte sich Metternich. Im April 1832 zeigten sich bei ihm die ersten Spuren der Lungenschwindsucht, die bald reißende Fortschritte machte, und derer bereits am 22. Juli desselben Jahres erlag. Rostand hält sich in seiner Dichtung ein Drama kann

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man sie füglich nicht nennen ziemlich eng an die geschichtliche

Ueberlieferung, oder vielmehr er setzt sie als bekannt voraus. Er stellt den Herzog in den Mittelpunkt von sechs monolog⸗ reichen Bildern, in denen der Ruhm des ersten Napoleon immer wieder dithyrambisch verkündet wird; wir sehen den Herzog beim Geschichtsunterricht seinen Lehrern gegenüber, die den Namen und die Taten seines Vaters geflissentlich verschweigen, im Zorn aufflammen, wir sehen ihn beim Kriegsspiel bemüht, der Taktik Napoleons nachzuspüren, wir sehen ihn, den Mummenschanz eines Maskenfestes zu dem Versuch benutzen, mit einigen Bonapartisten, die sich in seine Nähe geschlichen haben, nach Paris zu entkommen, wo die Getreuen seiner harren, wir sehen dann den Flüchtigen in der Nacht auf dem einstigen Schlachtfelde von Wagram, von den Verfolgern wieder eingeholt, an der Leiche des treuesten seiner Anhänger, eines alten napoleonischen Soldaten, sich in wilden Fieber⸗ phantasien ergehen, in die der Geisterchor der einst hier gefallenen fferziaben schaurig hineinklingt, wir sehen ihn schließlich selbst terbend noch einmal den Untergang des Kaiserreichs und das eigene ruhmlose Ende beklagen. Von Spannung und Handlung ist in diesen im Rhythmus wohlklingender, aber auch schwülstiger Alexandriner sich entrollenden Bildern nichts zu verspüren; bis auf den Herzog, dessen Charakter in dieser Stilisierung im wesentlichen richtig erfaßt ist, sind die vielen Träger geschichtlicher Namen wesenlose Schatten, selbst Metternich hat nur die Züge des Geistes, der auf der Bühne stets verneint, des Theaterbösewichts, der seinem in dem Drama nicht motivierten Haß gegen Napoleon in langen Tiraden Ausdruck gibt. Wären dazwischen nicht einige unterhaltende Episoden und spielte Sarah Bernhardt nicht die Titelrolle, das Stück wäre auf der Bühne fast unerträglich. Sarah Bernhardt freilich versteht es, aus der Rolle des Herzogs von Reichstadt etwas zu machen; sie sieht in der österreichischen Uniform mit ihrer schlanken und immer noch bewunderungswürdig schmiegsamen Figur vorzüglich aus und weiß Sinn und Klangschönheit der Rostandschen Verse, man möchte bei einigen arienhaften Stellen sagen, fast singend zum Ausdruck zu bringen. Der auf der Ebene von Wagram spielende Akt, der ihre ganze Kraft in Anspruch nahm, hatte sogar etwas von der Größe und Stimmung des Heineschen Gedichts „Die beiden Grenadiere“. Unter den anderen Mitwirkenden zeichnete sich wiederum herj Magnier als Veteran Napoleons aus. Ausstattung und In⸗ zenierung waren zwar nicht glänzend, aber doch würdig. De das Haus bis auf den letzten Platz füllenden Zuschauer wurden nicht müde, Fr

n Bernhardt immer wieder hervorzurufen.

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Gerhard Hauptmanns dramatisches Schmerzenskind „Florian Geyer“ ging am Sonnabend in einer neuen, von dan Dichter selbst vorgenommenen Bühnenbearbeitung nach achtjähriger Pause wieder in Scene. Laut und demonstrativ wurde Hauptmann von einem Teil der Zuschauer des öfteren hervorgerufen, während die Mehrzahl sich aller Zeichen der Zustimmung, aber auch weil kein Anlaß dazu war, dem Dichter die Freude an den Sympathiekund⸗ gebungen zu verkümmern der Mißbilligung enthielt. Die Lärm⸗ szenen des Jahres 1896 wiederholten sich aber schon deswegen nicht, weil öö“ den damals vielumstrittenen, unsäglich roh wirkenden Auftritt, in dem die gefangenen und geknebelten Bauern von trunkenen Rittern verhöhnt und gepeinigt wurden, preisgegeben hatte. Aber trotz dieser anerkennenswerten Geschmacksläuterung und des Bestrebens, durch andere starke Kürzungen und Umänderungen, besonders in der früher viel zu breit geratenen Exposition, die Hand⸗ lung mehr zu verdichten, kann von einem eigentlichen Erfolg auch diesmal nicht die Rede sein, und die Bühnen dürften sich dem Werk gegenüber fürderhin ebenso spröde verhalten wie bisher. Der dramatische Kern, soweit von einem solchen überhaupt die Rede sein kann, schält sich immer noch sehr langsam aus dem Wust der ihn umgebenden Hülle; es bedarf immer noch gespannter Aufmerksamkeit, um sich unter den siebenunddreißig evzcai vrg 1e (früher waren eseinundsechzig) einiger⸗ maßen zurechtzufinden. en stärksten Eindruck rief der erste Akt hervor, dem nicht, wie früher, ein Vorspiel vorangeht, sondern der, gleich in medias res eintretend, die Begründung des fränkischen Bauernbundes und Florian Geyer auf der Höhe seiner Macht Feigs. Ergreifend klingt die markige Weise des Lutherliedes „Ein’' feste Burg“ hinein, und wirkungsvoll steigert sich zum Schluß die Kampfeslust und Siegeszuversicht der sich um den unheimlichen schwarzen Ritter scharenden Getreuen. Diese Geschlossenheit des Vorgangs und Intensität der Stimmung wird in keinem der nachfolgenden vier Aufzüge mehr erreicht; die wortreichen Wirtshausszenen in Rothenburg vermögen nur vorübergehend zu fesseln; die Landtagsszene in Schweinfurt ist ebenso inhaltsleer und zerfahren, wie sie schon früher war; nur der düstere Schlußakt hat unter Hinweg⸗ lassung der obenerwähnten Brutalitäten gegen früher erheblich ge⸗ wonnen. Er bringt noch einmal Spannung und Stimmung, erweckt noch einmal die erlahmende Teilnahme für den von allen verlassenen, im Schlosse des Schwagers schmählich verratenen und dem Tode ge⸗ weihten Helden. Ueber die altertümelnde Sprache des Stückes und seine Art, Geschichte dichterisch zu deuten, ist schon früher so viel gesagt und geschrieben worden, daß an dieser Stelle, wo nur die Bühnenwirkung der neuen Bearbeitung beurteilt werden soll, darüber als etwas Bekannten füglich hinweggegangen werden kann. Zu eeiner darstellerisch bemerkenswerten Leistung bietet eigentlich nur die Rolle des Florian Geyer Gelegenheit, und diese war am Sonnabend Herrn Rittner anvertraut. Er ging gewiß mit den besten Absichten und einem achtbaren Können an seine Aufgabe; aber das Uebermenschentum, das sie erfordert, zu verkörpern, ist ihm nicht gegeben. Nur der starken Persönlichkeit und dem ungestümen Temperament eines Matkowskpy dürfte es gelingen, dieser Gestalt das Leben einzuhauchen, dessen sie auf der Bühne dringend benötigt. Im übrigen tauchten einige scharf umrissene Charakterköpfe aus der Fülle der Erschei⸗ nungen auf; genannt seien der derbe, biedere Tellermann Bassermanns, ferner Reicher als blinder Mönch, die kraftvolle Landsknechtsfigur Hans Marrs, der knorrige Bauer Jakob Kohl in der Darstellung Patrys, Oskar Sauer als Schreiber, Adolf Klein als Karlstatt und Irene Triesch als Marei. Eine ganz besondere Sorgfalt war auf die Aus⸗ stattung und Inszenierung verwendet worden; es waren zumeist sehr eindrucksvolle Bühnenbilder, die, unter Mitwirkung des Malers Pro⸗ fessors Slevogt entstanden, sich den Blicken darboten.

Im Königlichen Opernhause wird morgen „Cavalleria rusticana“ von P. Mascagni, in Verbindung zmit dem Ballett „Coppelia“, Musik von L. Delibes, wiederholt. Das Gastspiel von Frau Emma Calvé von der Opéra Comique als „Carmen“ findet am Freitag bei aufgehobenem Abonnement statt.

Am Mittwoch beginnen wieder die Vorstellungen der von einem Gastspiel in Holland zurückgekehrten Mitglieder des Berliner Theaters mit „Zapfenstreich’; am Donnerstag wird „Ueber unsere Kraft“ (I. n. am Freitag und nächsten Sonntag „Zapfenstreich“ und am Sonnabend „Götz von Berlichingen“ gegeben.

Im Schillertheater 0. (Friedrich Wilhelmstädtisches Theater) kommt am Mittwoch „In Behandlung“, Donnerstag das Anzen⸗ rubersche Volksstück „Die Kreuzelschreiber“ zur Aufführung. Nächsten Ponnanachmittag wird „Johannisfeuer“ von Sudermann egeben. Im Schillertheater N. (Friedrich Wilhelmstädtisches heater) wird morgen der Blumenthal⸗Kadelburgsche Schwank „Die Großstadtluft gegeben. Am Mittwoch geht das Volksstück „Die Kreuzelschreiber“, am Donnerstag das Lustspiel „In Behandlung“ von Max Dreyer in Szene. Für Freitag ist die erste Aufführung des Moserschen Lust⸗ spiels „Krieg im Frieden“, das Sonnabend und nächsten Sonntagabend wiederholt wird, angesetzt.

Im Residenztheater spielt Richard Alexander auch in dieser Woche allabendlich die Rolle des Durosel in dem französischen Schwank „Eine Hochzeitsnacht“.

Die Konzertdirektion Hermann Wolff kündigt für diese Woche folgende Konzerte an: Dienstag: Saal Bechstein: Liederabend von Heinrich Scheden (Tenoc); Beethoven „Saal: Liederabend von Julia Culp; Singakademie: II. Konzert des zwölf⸗ jährigen Violinvirtuosen Mischa Mitw.: W. Moldenhauer