1904 / 254 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 27 Oct 1904 18:00:01 GMT) scan diff

1 Haus der Abgeordneten. Sitzung vom 26. Oktober 1904, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht zunächst folgende Inter⸗ pellation der Abgg. Traeger (fr. Volksp.) und Genossen: „Nach Mitteilungen in den öffentlichen Blättern hat der Ober⸗ hofmeister Freiherr von Mirbach die Oberpräsidenten mittels Rundschreibens veranlaßt, durch ihnen nachgeordnete Behörden Sammlungen zu verxanstalten, deren Erträge dem Kaiserpaar demnächst am Tage Seiner silbernen Hochzeit für evan⸗ gelisch⸗kirchliche Zwecke, insbesondere für die Mosaik⸗ verzierung der Kaiser Wilhelm.Gedächtniskirche, zu übergeben sind. Hat die Königliche Staatsregierung den Oberhofmeister Frei⸗ herrn von Mirbach zu solcher Inanspruchnahme von Staatsbehörden vorher autorisiert, und erachtet es die Königliche Staatsregierung für zulässig, die Autorität der Behörden den Eingesessenen ihrer Bezirke gegenüber zu benutzen für Sammlungen, bei denen nach ihrem Anlaß alles ganz besonders vermieden werden muß, was die Freiwilligkeit der Geber fraglich erscheinen lassen kann?“ Nach der Begründung der Interpellation durch den Abg. Traeger, über die

bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. be⸗ richtet worden ist,

94.

nimmt das Wort der

Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Der Abg. Traeger hat in seiner Begründung der Interpellation sich einigermaßen von denjenigen Punkten entfernt, die in der Inter⸗ pellation selbst enthalten sind, und mit der ihm eigenen Geschicklich⸗ keit, ich will auch gern sagen mit einer gewissen Bonhomie, aus der Affäre Mirbach eine Affäre Hammerstein, zu machen gesucht. Er hat den status causae et controversiae gegeben, die litis contestatio soll ihm nicht entgehen. Ich werde darauf später kommen. Zunächst möchte ich mich der mir obliegenden Pflicht entledigen, auf den klaren Wortlaut der Interpellation zu antworten.

Diese Interpellation, meine Herren, ist begründet auf „Mit⸗ teilungen in den öffentlichen Blättern“ wonach

der Oberhofmeister Freiherr von Mirbach die Oberpräsidenten mittels Rundschreibens veranlaßt habe, durch ihnen nachgeordnete Behörden Sammlungen zu veranstalten, deren Erträge dem Kaiser⸗ paar demnächst am Tage Seiner silbernen Hochzeit für evangelisch⸗ irchliche Zwecke, insbesondere für die Mosaikverzierung der Kaiser Wilhelm⸗Gedächtniskirche zu übergeben sind. Meine Herren, diese Begründung und die Zeitungsnachrichten, auf welche sie sich stützt, bedürfen vorab der Richtigstellung. Die An⸗ nahme, als ob zunächst die Oberpräsidenten und dann durch die Ober⸗ präsidenten die ihnen nachgeordneten Behörden in amtlicher oder quasi amtlicher Weise veranlaßt wären, Sammlungen zu veranstalten, trifft nicht zu.

Am 1. Mai 1902 übersandte der Freiherr von Mirbach im Auf⸗ trage des Evangelischen Kirchenbauvereins an die Oberpräsidenten ein Schreiben mit der Anfrage und der Bitte, ob die Ober⸗ präsidenten bereit seien, den anliegenden Aufruf zu Sammlungen mit zu unterschreiben und ihm Personen zu bezeichnen, aus denen in der betreffenden Provinz ein Komitee für die Veranstaltung dieser Sammlung zu bilden sei. Der Aufruf regte die Sammlung an von Spenden in erster Linie für die weitere Ausschmückung der begonnenen Mosaikverzierung der Kaiser Wilhelm⸗Gedächtniskirche. Sämtliche Oberpräsidenten haben dem an sie gerichteten Ersuchen entsprochen und gemeinsam mit den von ihnen dem Freiherrn von Mirbach vor⸗ geschlagenen Persönlichkeiten den Aufruf unterzeichnet. Unter diesen Persönlichkeiten befinden sich nur ganz vereinzelt Beamte in verant⸗ wortlichen oder sonst hervorragenden Stellungen, und auch dann nur solche, welche unabhängig von ihrer amtlichen Stellung eine besondere soziale Stellung innerhalb ihres Kreises und Bezirkes einnehmen. Auf Grund dieser Bereitwilligkeitserklärungen sind dann zu Ende des Jahres 1902 oder zu Anfang des Jahres 1903 die Komitees in den Provinzen zusammengetreten, und diesen Komitees hat die Sammlung und die Abführung der gesammelten Gelder nach Berlin obgelegen. Die Sammlungen waren zur Zeit der Einbringung dieser Inter⸗ pellation in der Mehrzahl der Provinzen noch nicht abgeschlossen, in einigen Provinzen noch nicht begonnen, in einer Provinz war sie aus⸗ drücklich wegen Notstands, der im vorigen Jahre dort geherrscht hatte, vertagt worden.

Meine Herren, wer nun objektiv prüft, der wird doch zugeben müssen, daß die Form der Einleitung dieser Sammlungstätigkeit un⸗ anfechtbar und namentlich nicht geeignet ist, den Verdacht einer höheren Beeinflussung zu erregen. Aber auch sachlich wäre ein solcher Verdacht unhegründet. Wie spielen sich denn solche Dinge im täg⸗ lichen Leben überhaupt ab? Zu der Errichtung eines großen Werkes Wohltätigkeitswerkes, künstlerischen Werkes durch die Gemeinsam⸗ keit einer großen Anzahl von Menschen bedarf es zunächst des An⸗ stoßes und dann der Organisation; und da ist es weder außergewöhn⸗ lich noch verboten, sondern ich möchte sagen, es ist natürlich, daß die⸗ jenigen, welche den Anstoß zu einer solchen Sammeltätigkeit geben, sich zunächst an solche Persönlichkeiten wenden, von denen sie glauben, daß sie kraft ihrer sozialen Stellung geeignet sind, diesem von ihnen in Anregung gebrachten Werke nun auch das Gedeihen zu sichern.

8 Meine Herren, Sie werden gewiß nicht wollen, daß Beamte als solche sich allen solchen Anregungen svpstematisch verschließen. Ebenso wenig aber kann zugegeben werden, daß durch die Tatsache, daß ein Beamter nunmehr einem solchen Komitee beitritt, eine amtliche Beeinflussung dieser Sammlung hervor⸗ gerufen wird. (Sehr richtig! rechts.) In dem vorliegenden Falle aber haben, abgesehen davon, daß die Voraussetzung eines Abhängig⸗ keitsverhältnisses zwischen den Oberpräsidenten und Herrn von Mirbach gar nicht bestand, die Oberpräsidenten sämtlich von der Ueberzeugung sich leiten lassen, daß sie sich der Anregung des um den Kirchenbau so hoch verdienten Freiherrn von Mirbach nicht verschließen sollten. Ich glaube, sie haben recht daran getan. Wie wenig es da einer besonderen Beeinflussung der Oberpräsidenten bedurfte, geht schon aus

der von dem Herrn Abg. Traeger hervorgehobenen Tatsache hervor,

fast sämtliche Oberpräsidenten seit Jahren Mitglieder des Evangelisch⸗kirchlichen Hilfsvereins waren, dessen Tätigkeit sich auf die ganze Monarchie erstreckt. Indem dann weiter die Oberpräsidenten es ihrerseits vermieden haben, ihre Beamten und die ihnen nach⸗ geordneten Behörden als solche und generell zur Unter⸗ zeichnung des Aufrufs und zur späteren Sammeltätigkeit in Anspruch zu nehmen, haben die Oberpräsidenten so gehandelt, wie es nach meiner Auffassung dem richtigen Verständnis der Sachlage entsprach. An⸗

die Regierungspräsidenten sind überha denn, daß ich worauf ich später zurückkommen werde irgend solche Erlasse oder Anschreiben den Oberpräsidenten mitgeteilt hätte.

Das Bild, welches der Herr Abg. Traeger sich von dem ganzen Vorgange gemacht hat, wie er selbst wörtlich sagt, aus einem Wust von Zeitungsnachrichten, ist nicht richtig. Ich meine, daß die gott⸗ begnadete Natur des Dichters hier dichterisch gesehen hat (Heiterkeit), aber daß sein Blick für die Realität der Tatsachen etwas getrübt war. (Heiterkeit.)

Meine Herren, darin stimme ich der Interpellation vollständig bei, daß bei allen Sammlungen und in besonderem Maße bei der in Rede stehenden Sammlung die Freiwilligkeit der Geber nicht in Frage gestellt werden darf. Die Königliche Staatsregierung erachtet es, wie ich auf die Anfrage der Interpellation erwidere, nicht für zu⸗ lässig, die Autorität der Behörden den Eingesessenen ihrer Bezirke gegenüber zu Sammlungen zu benutzen, um so weniger, wenn bei denselben wie bei der in Rede stehenden alles vermieden werden muß, was die Freiwilligkeit der Geber in Frage stellen könnte. Darin sind wir, glaube ich, alle der gleichen Meinung. Ebenso bestimmt muß ich aber von der Hand weisen, daß bei dieser Sammlung die staatliche Autorität, die Autorität der Behörden irgendwie in unzulässiger Weise mitgewirkt hat.

Meine Herren, ich wende mich nunmehr zu der in der Inter⸗ pellation weiter gestellten Frage, ob, wie es wörtlich heißt, die König⸗ liche Staatsregierung den Oberhofmeister Freiherrn von Mirbach zu der behaupteten Inanspruchnahme von Staatsbehörden vorher auto⸗ risiert habe. Ich beantworte namens der Königlichen Staatsregierung und in meinem eigenen Namen diese Frage mit einem lauten und bündigen Nein! Eine vorherige Autorisierung, ja selbst eine aus⸗ drückliche oder stillschweigende Billigung ist weder zu der in der Inter⸗ pellation behaupteten Inanspruchnahme noch zu den vorher von mir dargelegten Schritten des Freiherrn von Mirbach nachgesucht oder erteilt worden. Eine solche Genehmigung war auch rechtlich nicht erforderlich. Meine Herren, ich gestatte mir, hierauf, mit Rücksicht auf die Bezugnahme des Herrn Vorredners auf meine Person, etwas näher einzugehen. Wenn ich auch die Angriffe der Presse, namentlich in der heißen Sommerzeit, allmählich gewöhnt bin, und mir durch dieselben die Ferienruhe nicht sehr trüben lasse (oh! links), so muß mir doch daran liegen, hier an dieser Stelle Verdächtigungen gegenüber⸗ zutreten, die sich auf meine Aeußerungen und Handlungen in und vor diesem hohen Hause beziehen. Nach den Zeitungsartikeln und zum Teil auch nach den Ausführungen des Herrn Vorredners soll ich nicht nur über die Inanspruchnahme der Oberpräsidenten seitens des Herrn Freiherrn von Mirbach von Anfang an unterrichtet gewesen sein, sondern ich soll sie ausdrücklich gebilligt und mit meiner amtlichen Autorität unterstützt haben oder doch nachträglich, nachdem die Schritte des Herrn von Mirbach den erwünschten Erfolg nicht hatten, das Vorgehen desselben dienstlich gefördert haben. Ich gebrauche die Ausdrücke, die ich wörtlich den betreffenden Zeitungsartikeln entnommen habe. Meine Herren, daran wird die Schlußfolgerung geknüpft und der Herr Vorredner hat dem sehr lebhaft Ausdruck gegeben —, daß ich in den Verhandlungen dieses hohen Hauses Ende Juni d. J. wissentlich Unrichtiges gesagt hätte (Widerspruch des Abg. Traeger) und damit eines Aktes der Nichtachtung gegenüber der Landesvertretung mich schuldig gemacht habe. Ich bitte demgegenüber lediglich die Tatsachen reden zu lassen.

Die Schreiben des Herrn von Mirbach an die Oberpräsidenten datieren vom 1. Mai 1902. Diese Schreiben sind, wie ich schon erwähnte, ohne jede Mitwirkung und ohne zuvorige und nachherige schriftliche oder mündliche Billignng oder Zustimmung meinerseits er⸗ gangen; sie bedurften derselben auch nicht und blieben mir vollständig unbekannt. Am 17. Februar 1903, also 9 ½ Monate später, erhielt ich dann von dem Freiherrn von Mirbach die schriftliche persönliche Aufforderung, einem Komitee beizutreten, das sich hier für Samm⸗ lungen von Spenden zu dem gedachten Zwecke gebildet habe. Hier⸗ durch habe ich überhaupt zuerst von der Absicht dieser Sammlungen etwas erfahren. Gleich zahlreichen anderen Herren ließ ich auch meine Unterschrift unter den Aufruf dieses Berliner Komitees setzen.

Darauf erhielt ich am 17. März 1903 von Herrn von Mirbach eine Anzahl von Druckexemplaren dieses Aufrufs, mit Unterschriften versehen, mit der schriftlichen Bitte, „in meinen Kreisen für die Sache zu wirken“. Ohne jede Kenntnis von den weit zurückliegenden Schreiben des Freiherrn von Mirbach an die Oberpräsidenten, glaubte ich dem an mich gestellten Ersuchen am besten zu entsprechen, indem ich unter dem 21. März 1903 ein Schreiben an die Oberpräsidenten richtete, dessen Vorlesung der Herr Abg. Traeger gewünscht hat, welchem Wunsche ich gern Folge gebe. Das Schreiben lautet:

Berlin, den 21. März 1903.

In Berlin hat sich ein Komitee gebildet, welches bezweckt, Ihren Majestäten dem Kaiser und der Kaiserin zur silbernen Hochzeit am 27. Februar 1906 den fertigen Ausbau der Kaiser Wilhelm⸗ Gedächtniskirche als Gabe darzubringen. Die hierzu erforderlichen Mittel von mehr als einer Million Mark sollen durch freiwillige Spenden zusammengebracht und etwaige weitere Spenden für den Ausbau der zum Gedächtnis an die Kaiserin Augusta erbauten Gnadenkirche und zur Unterstützung von Wohltätigkeitseinrichtungen für Arme und Kranke verwendet werden.

Eurer Erzellenz übersende ich anliegend ein Druckexemplar des von dem Komitee unter dem 27. Februar d. J. erlassenen Aufrufs mit dem ergebensten Anheimstellen, für das weitere Be⸗ kanntwerden desselben zu sorgen. ͥ““

An sämtliche Herren Oberpräsidenten. 8

Meine Herren, der Herr Abg. Traeger wird sich überzeugen, daß in diesem Schreiben von einer Beifügung von Erlassen überhaupt nicht die Rede ist; Erlasse des Herrn von Mirbach an die Ober⸗ präsidenten oder Erlasse meinerseits an dieselben sind nicht darin er⸗ wähnt oder enthalten. Das Schreiben beweist aber doch auch, meine Herren, daß ich zur Zeit der Abfassung desselben keinerlei Kenntnis hatte, daß die ganze Angelegenheit in den Provinzen schon verhandelt war. Ich hätte doch sonst den Oberpräsidenten nicht anheimgeben können, die Sache weiter bekannt zu machen. Ein solches Ersuchen um weitere Bekanntgabe ist doch nur durch meine Annahme erklärlich, daß die Angelegenheit in der Provinz noch nicht bekannt war. (Sehr wahr! rechts.) Der Inhalt meines Schreibens ging darauf hinaus, die Angelegenheit auf der breitesten Basis der Oeffentlichkeit zum Ziele zu führen. Es ist Ihnen bekannt, daß das Komitee einen

chreiben und Erlasse des Herr an die Landräte und an 1

anderen Weg gesucht und mehr private Sammlungen vorgezogen hat 111“ v“

7 11“ 32

an Stelle der öffentlichen Sammlungen. Es ist dies geschehen, wie ich nachher erkundet habe, um durch diese Sammlung andere, die in den einzelnen Provinzen stattfinden, nicht zu schädigen.

Meine Herren, meine Aufforderung an die Oberpräsidenten war überflüssig und auch der Sachlage nicht entsprechend, wenn die Ober⸗ präsidenten bereits von der Angelegenheit Kenntnis und gar, wenn sie bereits andere Maßnahmen getroffen hatten. Tats ächlich hat sich denn auch nachher ergeben, daß diese allgemeinen öffentlichen Sammlungen nicht beabsichtigt waren. Nach Erlaß meines Schreibens hat zunächst ein Oberpräsident mir schriftlich mitgeteilt, daß er von einer weiteren Bekanntgabe dieses meines Aufrufs glaube Abstand nehmen zu sollen, da auf Anregung des Freiherrn von Mirbach in seiner Provinz bereits ein Komitee in die Wege geleitet und gebildet sei. Hierdurch habe ich zuerst, und zwar am 13. April 1903, Kenntnis davon erhalten, daß in einer Provinz derartige Sammlungen durch Herrn von Mirbach bei dem betreffenden Oberpräsidenten direkt schon in Anregung ge⸗ bracht waren; und weiter kurz danach mündlich stattfindende Unter⸗ haltungen mit anderen Oberpräsidenten bestätigten mir dann, was ich vermutete, daß die Angelegenheit auch in den anderen Provinzen schon vorher geregelt war. Jedenfalls, glaube ich, ergibt sich aus diesen Daten, daß ich bis Mitte April 1903 von der Inanspruchnahme der Oberpräsidenten, die am 1. Mai 1902 erfolgte, keinerlei Kenntnis hatte. Ueber die Vorgänge in jeder Provinz im einzelnen bin ich erst in diesem Sommer nach Einziehung der Akten sämtlicher Oberpräsidenten unterrichtet worden. Ich erinnere noch daran, daß die Interpellation vom 27. Juni d. J. datiert, daß sie mir am 28. Juni zuging, daß ich schon an demselben Morgen telegraphisch die Oberpräsidenten angewiesen hatte, mir ihre Akten über diese Angelegenheit umgehend zuzusenden, daß aber, als die Ver⸗ handlung in diesem hohen Hause am 30. Juni stattfand, ich noch nicht in den Besitz der sämtlichen, sondern nur etwa der Hälfte der Akten der Oberpräsidenten gelangt war. Ich kannte aus den am 29. Juni eingegangenen Akten den Hergang nur in einzelnen Provinzen und habe dann auch am 30. Juni bei der Debatte über die Festsetzung der Tagesordnung und über die Frage, ob und wann vertagt werden sollte, ausdrücklich erklärt, daß mir bis dahin aus den verschiedenen Akten vier verschiedene Schreiben des Freiherrn von Mirbach an die Oberpräsidenten bekannt geworden seien, daß ich aber noch nicht wisse, ob nicht neben dem auch noch andere Schreiben beständen, und daß ich deshalb absolut nicht in der Lage sei, voll⸗ ständige und erschöpfende Auskunft zu geben. Und das war umsomehr richtig, als, wie sich herausgestellt hat, die Behandlung in den ein⸗ zelnen Provinzen nicht eine vollständig homogene gewesen ist, sondern daß in der einen Provinz anders als in einer anderen verfahren worden ist und daß überall dieses Verfahren beruht auf der Korrespondenz des Provinzialkomitees mit dem Freiherrn von Mirbach. Ich bemerke endlich ausdrücklich, daß auch nach dem April 1903 irgend welche Einwirkung meinerseits auf die in den Provinzen ge⸗ troffenen und mir bis Anfang Juli dieses Jahres unbekannten Maß⸗ nahmen meinerseits nicht stattgefunden hat. Alle die Zeitungsartikel, die meine Person mit der Sache verknüpft haben, und ich meine auch die freundlichen Bemerkungen des Herrn Vorredners darüber, über Unwahrheit und dergleichen, sind deshalb völlig unbegründet, und die Schlußfolgerungen, die daran geknüpft worden sind, hinfällig.

Meine Herren, ich habe mich in meinen bisherigen Ausführungen darauf beschränkt, das Verhalten der Staatsbehörden und meine persönliche Tätigkeit in dieser Angelegenheit an der Hand der Tatsachen zu begründen. Bei der Erregung, welche nun einmal sich der öffentlichen Meinung in ihrem Urteil für und gegen Herrn von Mirbach bemächtigt hat, werden Sie mit einem gewissen Recht verlangen, daß ich auch zu dessen Tätigkeit Stellung nehme. Mit diesem hohen Hause oder doch seiner großen Mehrheit glaube ich zunächst darin einer Meinung zu sein, daß Herrn von Mirbach aus seiner Sammeltätigkeit zu Kirchenbauten in Berlin und in den Provinzen nicht nur nicht ein Vorwurf zu machen ist, sondern daß im Gegenteil das ganze Land und Berlin zumal ihm Dank schuldet für seine erfolgreiche und aufopfernde Arbeit zur Linderung einer sehr großen Kirchennot. (Bravo! rechts.) Diese Arbeit und ihr Erfolg ist das bleibende Verdienst des Freiherrn von Mirbach.

Auch darin bin ich Ihrer Zustimmung gewiß (nein! links), daß ein so großes Werk großer und vielseitiger Sammeltätigkeit bedurfte, und daß in deren Ausübung der Freiherr von Mirbach, lediglich von den lautersten Motiven getragen, die vor⸗ nehme Gesinnung seines Charakters bewährt hat. (Bravo! rechts.)

Eine andere Frage ist es, ob die ausgedehnte Sammeltätigkeit des Herrn Freiherrn von Mirbach immer politisch klug ausgeübt wurde, und ob er gewissen Persönlichkeiten, die sich an ihn drängten, nicht allzu großes Vertrauen entgegengebracht hat, und ob er bei seiner privaten Tätigkeit es immer vermieden hat und hat vermeiden können, mit der Stellung, die er am Hofe einnahm, in einen unerwünschten Widerspruch, wenigstens in den Augen der großen Menge, zu geraten.

Dieses hohe Haus wird sicherlich nicht geneigt sein, in irgend einer Form in das unzweifelhafte Recht der Krone auf Beurteilung der Tätigkeit von Hofbeamten einzugreifen. Das monarchische Inter⸗ esse muß aber in Ehrfurcht und Ergebenheit gegenüber dem König⸗ lichen Hause auch die Möglichkeit ausgeschlossen zu sehen wünschen, daß private Handlungen einzelner Hofbeamten mit ihrer dienstlichen Tätigkeit verwechselt werden. Ich verschließe mich deshalb dem Gedanken nicht, daß, wenn auch nur die Möglichkeit einer solchen Verwechselung vorhanden gewesen ist, eine Abhilfe erwünscht ist; aber ich brauche auch nur darauf hinzuweisen, daß diese reinliche Scheidung zwischen hofamtlicher und privater Tätigkeit ein⸗ getreten ist. Seine Majestät der Kaiser und König haben den Ober⸗ hofmeister Freiherrn von Mirbach auf sein wiederholtes Ansuchen von den Geschäften des Kabinettssekretärs und Schatulleverwalters Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin zu entbinden geruht. Gleichzeitig hat der Freiherr von Mirbach seine Stellung in den Vorständen der in Betracht kommenden kirchlichen und gemeinnützigen Vereine niedergelegt. Damit scheint mir auch diese Seite der An⸗ gelegenheit erledigt.

Das wesentliche politische Interesse, welches der Interpellation zu Grunde lag, gipfelte doch wesentlich darin, ob die Staatsregierung in diesem Falle einen unberechtigten Druck auf die Freiwilligkeit der Spender ausgeübt habe; die Nichtigkeit dieser Befürchtung glaube i bewiesen zu haben. (Bravo! rechts.)

Auf genügend unterstützten Antrag des Abg. Fischbeck (Frs. Volksp.) tritt das Haus in die Besprechung der Inter⸗ pellation ein. 8

eenden Falle gar keine Rede sein.

die mit der

x befaßten Oberpräsidenten lediglich als Privatleute hinzustellen. vird ihm nicht gelingen. Als die Oberpräsidenten mit dieser e befaßt wurden, erhoben sich Zweifel, ob sie es auf Ein⸗ ag des Herrn von Mirbach oder auf die Anregung des Ministers ttaten. Der Minister hat nun die Akten von den Oberpräsi⸗ en eingefordert. Das kann er doch nur als Vorgesetzter getan haben, hiee Oberpräsidenten sind als Beamte mit amtlichen Funktionen be⸗ vorden. Wenn die Regierung auch erklärt, sie sei mit dem zweiten „, der Interpellation einer Meinung, so ist doch tatsächlich in werxgesetzter Weise gehandelt worden. Der Minister hat nicht ie Frage geantwortet, weshalb in den Erlassen des Herrn Mirbach die kleinen Sammlungen zurückgewiesen und aufgefordert e, darauf hinzuwirken, daß nur größere Beträge gezeichnet cen, und weshalb in den Erlassen selbst eine gewisse Belohnung ze Zeichner in Aussicht gestellt wurde. Es ist bezeichnend, daß Staatsminister derartige Aufforderungen an die Oberpräsidenten 8 weitergibt. Hätte der Minister uns am 30. Juni mitgeteilt, ir schon im März 1903 diesen Aufruf des Herrn von Mirbach ergegeben habe, so hätten wir gar keine Veranlassung gehabt, den gem des Herrn von Mirbach in den weiteren Verhandlungen auch a erwähnen. Dann hätten wir es nur mit dem Minister zu gehabt. Der Minister sagte, er hätte nicht früher geantwortet, richt alle Sammlungen zum Abschluß gekommen wären. Darauf d„ aber doch gar nicht an. Er hat am 30. Juni es so hin⸗ ealt, als ob er von der ganzen Sache gar nichts gewußt hätte, und nun ugt heraus, daß er diesen Erlaß schon ein Jahr vorher selbst an Oberpräsidenten weitergegeben hatte. Diese Dinge sprechen für Abst, und das Volk wird wissen, wie es darüber zu urteilen hat. übg. Dr. Porsch (entr); Es gehört zu den Gepflogenheiten Hauses, daß, wenn hier Angelegenheiten besprochen werden, die zme Konfession angehen, die andere Konfession sich der Beratung Beschlußfassung tunlichst enthält. Der Evangelische Kirchen⸗ gerein und der Evangelisch⸗kirchliche Hilfsverein haben sich wmengetan, um aus Anlaß der silbernen Hochzeit dem Kaiser⸗ „zu evangelisch⸗kirchlichen Zwecken eine Gabe darzubringen. ist eine innere Angelegenheit der evangelischen Kirche, und auch vielfach der Zweifel aufgeworfen ist, ob diese mürchliche Angelegenheit über ihren Rahmen dadurch heraus⸗ ten worden ist, daß in irgend einer Form die Mitwirkung Oberpräsidenten in Anspruch genommen worden ist, so sind meine teschen Freunde doch der Meinung gewesen, daß wir auf diese zi unserseits nicht eingehen dürfen. Darin bestärkt uns noch hemste Erwägung: Als der sogenannte Fall Mirbach zu einer esten Diskussion in der Presse Anlaß gab, haben wir zu unserem nen eine entgegengesetzte Wahrnehmung gemacht. Auf inen Seite hieß es, Herr von Mirbach wäre uns

gbg. Fischbeck: Der Minister hat hier versucht,

doch noch nicht gesagt, daß es sich dabei um eine

seiner antirömischen Gesinnung unbequem, und das Zentrum nde mit Vergnügen die Gelegenheit ergreifen, um sich an Herrn n Mirbach zu reiben und seine Tätigkeit zu erschweren. Auf der aren Seite haben wir mit rstaunen vernommen, daß wir richaltung übten, um diese Gelegenheit zu benutzen, unsere glꝛmentarische Position zu stärken, vor der selbst couragierte Männer whmal eine ganz unbegründete Furcht haben. Diese Erwägungen ver es uns angezeigt erscheinen lassen, im vorliegenden Fall trotz gberlei Zweifeln unserer Gepflogenheit treu zu bleiben, um so als wir ja sicher waren, daß von anderer Seite das Pro und erra ausreichend dargelegt werden würde. Wir haben deshalb den Pirag auf Besprechung der Interpellation unterstützt, um den zerpellanten Gelegenheit zu geben, dem Minister zu erwidern, aber zr geben auf die Sache selbst nicht ein, es sei denn, daß die Ver⸗ lungen uns dazu einen Anlaß geben. bg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.): Es wäre bt besser gewesen, wenn der Minister schon im vorigen Sommer Lage gewesen wäre, die Aufklärungen zu geben, die er uns jetzt reitet hat. Aber wir können nicht so weit gehen, ihm daraus, es nicht getan hat, irgend einen Vorwurf zu machen, denn zen Worten des Ministers ging klar hervor, daß ihm damals die Informationen nicht zur Seite standen. Es ist begreiflich, ian sich erst dann zur Beantwortung einer Frage entschließen wenn man das tatsächliche Material vollständig in der Hand Auch die Tätigkeit des Ministers in der Sache selbst, die uns bier beschäftigt, kann ich kaum tadelnswert finden. Wer im lebt, weiß, daß von privater Seite solche Anregungen für wohl⸗ tige Zwecke vielfach an Verwaltungsbeamte herantreten, und daß es im Menschen einfällt, diese Beamten als beeinflußt hinzustellen. des jedem Privatmann recht ist, konnte doch auch dem Freiherrn von dach frei stehen, auch in diesem Falle, wo der Zweck der zꝛmmlung ein viel bedeutsamerer ist, als es sonst der Fall ist. Es gzieht doch alle Tage, daß Landräte, Oberpräsidenten zu Sammlungen Unterstützungszwecke bei Ueberschwemmungen, Brandschäden usw. Erlaubnis geben. Von einer Nebenregierung kann doch im vor⸗ Wenn solche Nebenregierung sich iend machen sollte, dann würden wir Konservativen die ersten sein, die u mißbilligten. Hiermit erschöpft sich nach der Ansicht meiner politischen znande unser Interesse an der ganzen Angelegenheit. Was uns ugbt, ist die Frage, ob die Staatsregierung im vorliegenden iil richtig gehandelt kat bei diesen Sammlungen. Was müber binausgeht, und was zu unserem Bedauern der Interpellant n den Kreis seiner Interpellation gezogen hat, geht uns direkt üts an. Wir haben nicht darüber zu urteilen, ob ein swatmann korrekt oder unkorrekt, geschickt oder ungeschickt ver⸗ türen ist; ob seine Formen ganz glückliche, ganz richtige sind, das anseht sich der Beurteilung des Parlaments. Wir haben keine Ent⸗ berung darüber, ob ein Hofbeamter, der nicht Beamter des Staates in seiner Stellung als Hofbeamter alle Schritte, die er getan, enz glücklich gewählt hat und seiner ganzen Stellung gerecht ge⸗ errden ist. Wir müssen uns davor hüten, ein Präjudiz zu schaffen, us sehr weittragend wäre. Und wenn der Interpellant sich mit der ieum der Ordensverleihungen beschäftigt hat, so simnd die Ordens⸗ mleihungen Kron⸗ und Hobeitsrechte, die auch nicht unserer Be⸗ melung unterstehen. An dieser strengen Scheidung muß meine Partei urchaus festhalten. Der Interpellant ist über die Grenze hinaus⸗ eamgen, die ich als richtig bezeichnet habe, er hat die Mittel, mit enm Herr von Mirbach in der Sache tätig gewesen ist, als ver⸗ verlich bezeichnet. Vorher hatte er das Ziel, welches jener verfolgt, E edel anerkannt. Ja, wenn .

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2 man dies tut, dann wäre eine wohl⸗ ende Kritik der Bestrebungen, die dieses Ziel zu erreichen suchen, mner Berücksichtigung der Schwäche der menschlichen Natur wohl am laze gewesen. Den ersten Stein auf den zu werfen, der solchen 8e edungen nachgeht, ist derjenige berechtigt, der seinerseits mehr und Rieres leistet, als der Angegriffene. Ich glaube nicht, daß alle meine krande mit allem einverstanden sind, was in dieser Sache geschehen 1 wir verhehlen auch nicht, daß das Streben, aus dem jene mlungen hervorgegangen waren, ein edles war, daß das Ziel ein eeßes und bedeutsames war. Solche Dinge tun unserem Volke heute en sehr not. Meine Partei ist der Meinung, es müsse von uns aus⸗ noochen werden, daß man sich auf diesem edlen kirchlich⸗religiösen Seditt nicht entmutigen lasse durch diese Kritik. Gewiß darf Vorsicht dt außer acht gelassen werden, aber gegenüber den sehr scharfen Lerwürfen wollen wir es nicht unausgesprochen lassen, daß wir rchaus der Meinung sind: die Integrität und persönliche Ehren⸗ bentgkeit des Freiherrn von Mirbach steht völlig intakt da, und demn er auch geirrt und gefehlt hat, so hat er doch viel Gutes ge⸗ ertet, seine Ziele sind edle, und wir können nur wünschen, daß sie dtt elahmen, sondern zum Nuͤtzen des Volkes sich weiter entfalten. Abg. Dr. Friedberg (nl.): Es handelt sich hier nicht um dne konfessionelle, sondern um eine verwaltungs⸗ oder staats⸗ natliche Frage, um die Frage, ob ein Hofbeamter sich seines weflusses auf hohe Staatsbeamte bediente, um sich für seine veaten Zwecke die Verwaltungsmaschinerie dienstbar zu machen. dae Minister hat nun festgestellt, daß eine Autorisierung seinerseits ncht stattgefunden hat. Wenn nun den ganzen Sommer über eine

eerisse Hetze gegen den Freiherrn von Mirbach Platz gegriffen hat,

n sehr unerfreuliche Erscheinung in einem gewissen Teil der

Presse, so hat der Minister einen kleinen Teil der Schuld daran insofern, als er uns nicht schon am 30. Juni mit⸗ teilte, was ihm bis dahin von der Sache bekannt war. Wenn der Abg. Fischbeck aus der Einforderung der Akten auf einen amtlichen Charakter der Angelegenheit schließt, so will ich darauf meinerseits nicht so großen, ausschlaggebenden legen. Man kann bei solchen Angelegenheiten, wie der in Rede stehenden, den Privatmann von dem Amtscharakter nicht vollständig trennen. Die Lehre sollten wir aus dem Fall Mirbach schöpfen, daß es nicht wünschenswert ist, wenn unsere höheren und höchsten Beamten sich häufiger dazu hergeben, sich an die Spitze solcher Veranstaltungen zu stellen. Ein großer Teil der Angreifer des Herrn von Mirbach dürften Leute gewesen sein, die sich dem ausgeübten Druck gefügt haben, die bezahlt haben, die sich aber nachher geärgert und ihrem Aerger Ausdruck egeben haben. Sehr gefreut habe ich mich über die geschickte Art, wie

der Minister sich über die Wahl der Mittel, die dabei anzuwenden sind, ausgesprochen hat; wir können davon jedes Wort unterschreiben. Wenn aber gewisse Mittel angewandt werden, wie es hier behauptet wird, um hohe Beiträge zu erzielen, wenn man hohe Beiträge gleichsam herauszupressen versucht hat, so gewinnt die Sache ein anderes Bild, dann kann man in der Tat mit dem Abg. Traeger von Zwangsbeiträgen reden. Wenn Herr von Heydebrand meint, die Ordensverleihungen ꝛc.

seien Kronrechte, so haben wir mit einer solchen Ausführung schon oft zu

rechnen gehabt. Kronrechte wie die Ordensverleihungen sind Re⸗ ierungsrechte, und wir haben für die zu verleihenden Auszeichnungen Gelder zu bewilligen, wir haben ja einen besonderen Etat der General⸗ ordenskommission. Die Berechtigung für uns, diese Dinge zur Sprache zu bringen, steht also zweifellos fest. Nun ist es ja richtig, daß es überall in Deutschland so zugeht, daß man diese Auszeichnungen, Ordensverleihungen ꝛc. benutzt, um die Quellen der Wohltätigkeit flüssig zu machen; aber wenn man das als Tatsache anerkennt, so ist berechtigte Praxis handelt, und noch nicht entschieden, ob man nicht lieber mit einer solchen Praris brechen sollte. ““ Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) stimmt den Ausführungen des Herrn von Hevdebrand bezüglich der Wahrung der Kronrechte zu; bei Beginn seiner Ausführungen ist das Haus so unruhig, daß erst die Glocke des Präsi⸗ denten die Ruhe einigermaßen wiederherstellen kann. Aller⸗ dings, fährt der Redner dann fort, hat die Angelegenheit äußerlich keinen günstigen Eindruck gemacht, und das hätte vermieden werden können. Ueber die absolute Integrität des Freiherin von Mirbach darf kein Zweifel erhoben werden, aber wenn Herr Traeger die Mittel desselben als verwerflich bezeichnet, so schießt das weit über das Ziel hinaus, wie überhaupt die Ausführungen des Herrn Traeger nach dieser Richtung mehr oder weniger Uebertreibungen waren. Der Minister hat den Vorwurf, daß die Staatsregierung von einem Privatmanne, wenn er auch ein hoher Hofbramter ist, sich zu Wohl⸗ tätigkeitszwecken habe dirigieren lassen, ausgiebig und ausreichend widerlegt. Was hier vorgegangen ist, hat mit einer „Neben⸗ regierung“ nicht die geringste Aehnlichkeit. Es liegt in der Natur unserer ganzen sozialen Gestaltung, daß sozial hochstehende Personen, auch oberste Beamte und auch Oberbürgermeister, für Akte der Humanität und Wohltätigkeit in Anspruch genommen werden, und wenn das ein Uebel ist, so trifft das ebenso wie die Staatsregierung auch die kommunalen Verwaltungen. Darüber ist kein Zweifel, daß der Vorwurf einer Nebenregierung, des Eingreifens dritter Personen in die Verantwortlichkeit des Ministers, im vor⸗ liegenden Fall ganz unbegründet ist; sonst wäre ich der erste, das zu verurteilen. Vielleicht hätte uns der Minister einen Teil von dem, was er heute mitgeteilt hat, schon am 30. Juni mitteilen können, aber be⸗ denken Sie, daß damals der Vorwurf erhoben wurde, daß die ganze Organisation der Staatsverwaltung, Oberpräsidenten, Landräte usw. von Herrn von Mirbach an der Strippe gezogen würden. Wenn der Minister in übertriebener Gewissenhaftigkeit erst das vollständige

Material abwarten wollte, so trifft ihn dafür kein Vorwurf.

Abg. Broemel (fr. Vgg.): Der Minister hätte uns schon da⸗ mals Mitteikungen machen müssen. Er hat uns die Vorkommnisse vom 1. Mai 1902 bis Mitte des Sommers 1903 geschildert. Er war nicht von allen Einzelheiten unterrichtet, aber doch darüber, daß bereits ein Jahr vorher Herr von Mirbach sich an die Oberpräsidenten ge⸗ wandt hatte. Der Zweck, die aufgeregten Gemüter zu beruhigen, wäre in hobem Maße erreicht worden, wenn der Minister im Juni hier er⸗ klärt hätte: für die Zeit vom 1. Mai 1902 bis Mitte 1903 bin ich über folgende Vorkommnisse unterrichtet, ich bin aber nicht in der Lage, Auskunft zu geben über die Vorkommnisse seit jener Zeit. Der Interpellant sprach mit Recht über das gegenseitige Vertrauen; die Frage ist von hervor⸗ ragender politischer Bedeutung. Der Redner des Zentrums sah die Sache für sich als erledigt an, weil es sich um den Bau evangelischer Kirchen handele; aber mir scheint doch der Anlaß zu diesen Sammlungen keinen konfessionellen Charakter zu haben. Die Frage, ob der Minister die Beantwortung einer Interpellation auch für folche Tatsachen, die ihm bereits bekannt sind, ablehnt, ist eine politische Frage ersten Ranges. Herr von Heydebrand hat sich be⸗ müßigt gesehen, den Freisinnigen vorzuwerfen, daß sie selbst vor allen Dingen reiner und edler in ihrem politischen Verhalten sein müßten, wenn sie die Mittel kritisieren und verurteilen wollten, die Herr von Mirbach für seine reinen und edlen Zwecke anwandte. Aber das Urteil gerade der Kreise, die religiös sind und Herrn von Heydebrand nahe stehen, über die Tätigkeit des Herrn von Mirbach hat vielfach ganz anders gelautet, als das des Herrn von vee, Konservative und religiöse Zeitungen haben sich daran beteiligt. So schrieb der „Reichsbote“ bei der ersten Veröffentlichung, daß man tatsächlich an⸗ zesichts solcher Vorkommnisse keine Worte finde, um seiner innersten Entrüstung Luft zu machen. Da kann man doch Blättern anderer politischer Richtung nicht verübeln, wenn sie ihrer Entrüstung Ausdruck geben. F Abg. Traeger hat recht damit: solche Mittel entheiligen en Zweck.

Abg. Traeger bemerkt, daß seine Kennzeichnung der Mittel als verwerfliche sich selbstverständlich nicht im mindesten auf den Charakter des Herrn von Mirbach, sondern lediglich auf die Natur der Mittel bezogen habe; es habe keine persönliche Spitze oder Verdächtigung darin gelegen. Der Abg. von Heydebrand habe ihm Uebertreibungen vorgeworfen, aber er habe doch lediglich die tatsächlichen Mitteilungen zusammengehalten, sie charakterisiert, seine Schlüsse daraus gezogen und den Minister gefragt, wie sich die Sache verhalte. Das Urteil stelle er nun dem hohen Hause anheim.

Damit schließt die Besprechung. Persönlich bemerkt Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa: Ich habe nicht ge⸗ sagt, daß die Ausführungen des Herrn Traeger Uebertreibungen waren; soviel ich weiß, ist das von einem anderen edner geschehen.

Damit ist die Interpellation erledigt.

Es folgt die Interpellation der Abgg. Marx (Zentr.)

und Genossen:

„Hat die Königliche Staatsregierung Kenntnis genommen von den im Prozeß gegen den früheren Bergarbeiter Kraemer in Saarbrücken ergangenen Zeugenaussagen über Wahl⸗ bedrückungen und ahlkontrollen, wie sie nach diesen Aussagen von Beamten der Königlichen Bergwerks⸗ direktion zu Saarbrücken vorgenommen worden sind?

„Was gedenkt die Königliche Staatsregierung zu tun, um der eSes folcher Vorkommnisse endlich und endgültig Einhalt zu tun?

Auf die Frage des Präsidenten erklärt der Minister für

und Gewerbe Möller sich zur sofortigen Beantwortung der nterpellation bereit. Zur Begründung erhält zunächst das Wort der

Abg. Marx (Zentr.): In dem Saarbrücker Prozeß ist der Berg⸗

mann Kraemer wegen der in den beiden von ihm verbreiteten Flug⸗ blättern begangenen Beleidigungen und Verleumdungen zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Es liegt mir fern, an diesem Urteil Kritik zu üben; aber auch die „Deutsche Juristen⸗Zeitung“ hat das Ürteil ein überraschendes und durch die Schwere der Verurteilung rschütterndes genannt. Es ist ein breiter Strich zu

zwischen dem, was in den Zeitungen und Flugblättern stand und zur Verurteilung führte, und dem, was wir hier im Februar als Beschwerde vorführten. Das Gericht hat angenommen, daß die Flug⸗ blätter sich nur gegen den Bergwerksdirektor Hilger richteten, und nur Angriffe dieser Art zur Kognition des Gerichtshofes gehörten; eine Reihe der sonst von dem Angeklagten angebotenen Wahrheitsbeweise ist demgemäß abgelehnt und die Beweisführung auch sonst noch be⸗ schränkt worden. Wir halten uns für berechtigt, die sämtlichen Tat⸗ sachen, welche in dem Prozeß zu Tage getreten sind, zum Gegenstande unserer Betrachtung zu machen. Das Gericht hat sich ferner auf den Standpunkt gestellt, daß die Behauptung, es habe System in dem Verhalten der Beamten gelegen, nicht erwiesen sei. Für uns kommt es gar nicht darauf an, ob ein „System“ vorhanden war, wir lassen uns an der langen Reihe der Tatsachen genügen, welche die Verhandlung zu Tage gefördert hat. Die Person des Herrm Geheimen Rats Hilger tritt dabei für uns durchaus in den Vordergrund. Ich kenne den Herrn gar nicht, ich bin noch nie an der Saar gewesen. Selbst wenn Herr Geheimer Rat Hilger nicht mehr in leitender Stellung dort sein sollte, müssen wir befürchten, daß sich die gerügten Mißstände weiter geltend machen werden, wenn nicht endlich prinzipiell Wandel geschaffen wird. Auf den früheren Prozeß muß ich noch einmal zurückkommen, weil das Verhalten des Staatsanwalts in demselben mich dazu zwingt; ich greife dabei auf die stenographischen Berichte des „Vorwärts“ zurück, von denen ich annehme, daß sie vollständig richtig sind, da die Behörde auch einen stenographischen Bericht hat auf⸗ nehmen lassen und von einer Abweichung beider Be⸗ richte von einander in der Oeffentlichkeit nichts verlautet hat. Der Staatsanwalt hat da die „ultramontane“ Partei beschuldigt, unter dem Schutze der Redefreiheit im Reichstage allerlei „olle Kamellen“ wieder ausgegraben zu haben, speziell solle der Abg. Marr sich mehr⸗ fach in dieser Richtung vergangen haben. Diese Stellungnahme des Staatsanwalts war durchaus ungehörig und eine grobe Taktlosigkeit; er hat die Politik in den Gerichtssaal getragen, um die Zentrums⸗ partei zu beschimpfen. Ich weise das mit Entrüstung zurück. Der Staatsanwalt hat sich zu dem neuen Prozeß, dem in Saarbrücken, als Zeugen laden lassen; die Ladung ist aber, wie ich vermute, auf höhere Weisung, wieder aufgehoben worden. Es handelt sich dabei insbesondere auch um die Behauptung, daß die Bergleute gezwungen worden seien, in den nationalliberalen Wahlverein ein⸗ zutreten; meine damaligen Ausführungen in dieser Richtung waren um so mehr berechtigt, als zu jener Zeit das Urteil noch nicht aus⸗ gefertigt war. Und sind es etwa „olle Kamellen“, wenn die Bergleute zu 20 und 30 in geschlossenen Gruppen nach dem Wahllokal unter Führung eines Beamten dirigiert wurden, und der Versuch, ihnen Stimmzettel zu geben, damit abgewehrt wurde, daß die Leute schon mit Zetteln versehen seien? Unser Kollege Fuchs ist ja persönlich Zeuge eines solchen Vorgangs gewesen. Leider befindet sich in dem Erkenntnis auch der Satz, es sei nicht einzusehen, warum den Beamten der Bergverwaltung nicht ebenso wie anderen Bergwerksbesitzern gestattet sei solle, auf die Bergleute aufklärend zu wirken. 8 ie steht es denn damit, wenn sich diese „Aufklärung“ durch die Verletzung des Wahlgeheimnisses betätigt? Die „Deutsche Juristenzeitung“ nennt die vor Gericht in dieser Hinsicht fonstatierten Vorgänge einen Hohn auf die geheime Wahl. Es ist gesetzwidrig, wenn die Bergverwaltung sich herausnimmt, ihre Arbeiter ei der Stimmabgabe irgendwie zu kontrollieren; in dieser Auffassung kann mich auch dieses Urteil eines Gerichts nicht wankend machen. Der neue Prozeß hat rinen sehr dankenswerten Fortschritt gebracht, für den auch der Minister unseren Dank verdient; es ist in liberalster Weise Freiheit der Aussagen für die Beamten gewährt worden. darf hoffen, daß wir in Zukunft überhaupt nicht mehr nötig haben werden, in dieser Richtung über unleidliche Zustände im Saarrevier zu klagen. Eine Reihe von Mißständen ist nun in diesem Prozeß zu Tage getreten, für die wir dringend Abhilfe fordern müssen. Die Zeugenaussagen, und zwar solche, welche nach dem Wortlaut des Urteils nicht in Zweifel gezogen werden können, gehen dahin, daß tatsãächlich Wahlbedrückungen und Wahlkontrollen von den Bergwerksbeamten in großer Zahl stattgefunden haben. Sogar in der Wahlzelle, im Isolier⸗ raum konnte das Umtauschen von Wa lzetteln beobachtet werden, denn „der Aufpasser steckte ja mit seiner Nase beinahe darin“, wie einer der Zeugen ausgesagt hat. War die Kontrolle des Isolierraumes schwieriger, so waren auch mehr Aufpasser zur Stelle. Die Geistlichen, die ja glücklicherweise am wenigsten mit dem Wohl⸗ wollen der Steiger und Beamten zu rechnen haben, sind, um Be⸗ weise für diese und andere Tatsachen, welche ungesetzlichen Wahl⸗

sehen, wie ein Ei einem andern, zu be⸗ schaffen, sogar mit photographischen Apparaten in die Wahllokale gegangen, um solche Vorgänge zu firieren und derartige Bilder und latten sogar dem Gericht vorzulegen. Die Steiger und die andern Beamten haben von solchen Kontrollen nichts gesehen; aber die Platte lügt doch nicht, meinte einer der vernommenen Geistlichen. Eine große Anzahl von Zeugenaussagen, welche sich über frühere Wahlvorkommnisse verbreiten, ist für das Gericht im Urteil nicht vorhanden gewesen. Daß die Wahl von 1898 infolge dieser fest⸗ gestellten Beeinflussung vom Reichstage kassiert wurde, muß in diesem Zusammenhange ins Gedächtnis zurückgerufen werden Aus den dies⸗ maligen Aussagen ist als ganz besonders charakteristisch die Ver⸗ nehmung des Fahrsteigers David II aus Dudweiler, eines Zentrums⸗ anhängers, der sich durch die Aeußerungen zweier Bergwerksinspektoren, Liesenhoff und Höh, u. a. durch die Aeußerung: „Wissen Sie, daß man Sie auch wegen Ihrer politischen Parteizugehörigkeit knuten kann?“ schließlich gezwungen sah, an Herrn Hilger zu schreiben, er habe aufgehört, Zentrumsmann zu sein, und der aussagte, daß das nicht aus innerer Ueberzeugung geschehen sei, daß es ihm sogar Schmerz machte, daß er es aber angesichts der Aeußerung dieser beiden Inspektoren für besser hielt. (Der Redner verliest den Wortlaut des betreffenden Teils der stenographischen Aufzeichnungen.) Natürlich spielte auf der anderen Seite das Inaussichtstellen von Vorteilen, Be⸗ förderung usw. seine Rolle; „nur wer waschecht ist, hat Aussicht, vor⸗ wärts zu kommen“. Und daß „waschecht⸗ nicht den Sinn hatte, daß ein entschiedener Zentrumsmann bei der Behörde gut an⸗ geschrieben sei, hat auf die Frage des Verteidigers, Rechtsanwalts Heine, der Inspektor Höh ausdrücklich bestätigt. Weiter ist ausgesagt der Befehl von der Inspektion gekommen sei, aufzupassen, ergleute, besonders die katholischen Beamten, wählten.

ift auch festgestellt worden, daß keine amtliche Anweisun

dieser Alk ergangen; das macht man doch nicht so, das wird außeramtli gemacht. Ein Aufseher ist nach der Wahl verlegt worden, weil er ein Hoch auf den Zentrumskandidaten Enler ausgebracht hatte. Daß man es selbst fertig gebracht hat, einen Gendarmen, also Beamten einer ganz anderen Staatsverwaltung, der sich allzu sehr „patriotisch“, d. b. nicht nach dem Sinne der Bergwerksverwaltung benommen hatte, versetzen zu lassen, muß hier auch hervorgehoben werden; es ist durch die Zeugenaussagen festgestellt worden. Wir werden ja jetzt die Antwort des Ministers hören; im Interesse der Wahrung der politischen Unabhängigkeit auch der Bergleute hoffen wir, daß sie

befriedigend ausfallen wird.

beeinflussungen so ähnlich zu

Minister für Handel und Gewerbe Möller:

Meine Herren! Bei den Ausführungen des Herrn Interpellanten spielte zu Anfang eine große Rolle die Kritik, die er geübt hat an dem Herrn Staatsanwalt und an dem Gerichtshof, der das letzte Erkenntnis in dem Fall Kraemer gefällt hat. Es ist nicht meine Sache, auf derartige Kritiken, die an der Justiz⸗ verwaltung geübt werden, und auf die ich nicht gefaßt war ich hatte die Justizverwaltung nicht gebeten, hier teilzunehmen meinerseits zu antworten. Insoweit der Herr Vorredner diese Kritik aufrecht erhalten will, müßte ich ihn bitten, sie bei Anwesenheit des Herrn Justizministeis vorzubringen. Ich kann mich nur an die Er⸗ kenntnisse halten, ich muß Respekt haben vor dem Erkenntnis eines

preußischen Gerichts, und ich kann nur anerkennen, was

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