vergangene Kunstepoche wieder vor Augen führt, die uns in der pathetisch⸗dramatischen Form ihrer Texte sowie ihrer Musik heute recht fremd anmutet. Allerdings bedarf es dieses historischen Interesses, um der ganzen Vorstellung mit Aufmerksamkeit zu folgen. Das Gefüge der Handlung ist oberflächlich und nicht frei von öden, unfruchtbaren Strecken. Die Musik, die manche reizvoll liebenswürdige Stelle aufweist, erreicht mit der Hand⸗ lung zusammen erst im letzten Akt eigentliche Kraft und schwung⸗ vollen Ausdruck. Die Szene spielt hier Nachts auf dem Kirchhof eines Klosters. Ein junger Mann (Fernando) hat soeben das Mönchsgelübde abgelegt. Da erscheint sein verlassenes Weib, das den Tod nahen fühlt, ihn noch einmal zu sehen. Fernando war nämlich vor seiner endgültigen Abkehr von der Welt um dieses Weibes willen, das ihn bezauberte, dem Kloster entronnen. Sie war die Favoritin des Königs. Sie veranlaßte Fernandos Bestallung zum Feldherrn, als welcher er die Feinde des Königs besiegte. Zurück⸗ gekehrt, erbat er vom König Leonores Hand, ohne zu ahnen in welchem Verhältnis jener zu ihr stand. Der König rächt sich für Leonores Untreue, indem er sie Fernando antrauen und diesem erst nach der Eheschließung die Augen über seine Gattin öffnen läßt. Der Getäuschte flieht zurück ins Kloster und sein Weib, das ihm sterbend dahin folgt, haucht dort in seinen Armen den Geist aus. — Die Aufführung kann man diesmal nicht uneingeschränkt loben. Herr Rodmann müßte als Regisseur komisch wirkende Einzelheiten, wie z. B. die ein winziges Häuflein Sand dicht an der Bühnenrampe bearbeitenden Totengräber, vermeiden. Fräulein Rado (Leonore) fällt zwar durch ihr schönes Material auf, läßt aber zugleich bedauern, daß es so schlecht geschult ist; dagegen zeichnet sich Herr Luria (König) durch seirne wohllautende Baritonstimme und vortreffliche Gesangskunst aus, die auch frühere Unmanieren abgelegt hat. Ebenso sind Herr Reinhardt (Fernando), dessen Stimme besonders in der Höhe glänzt, und der schöne Baß des Herrn Wissiak zu loben. Die musikalische Leitung der Oper ist S. Erben anvertraut, der mit ebensoviel Umsicht wie Geschmack dirigiert.
Neues Theater.
Joseph Ruederer, auf dessen dramatisches Schaffen man nach der Bekanntschaft mit seinem Erstlingswerk „Fahnenweihe“ einige Heffnung setzte, hat diese mit der Komödie in fünf Akten „Die
orgenröte“, die am Dienstag auf der Bühne am Schiffbauer⸗ damm ihre Erstaufführung erlebte, bisher nicht erfüllt. Sein Talent ist noch ungeklärt und unentwickelt, aber vielleicht gibt der si absurd gebärdende Most doch einmal einen genießbaren
Das Maulheldentum der Mitläufer, die sich allen
großen Bewegungen anschließen, die Revolutiönchen, die neben den
Revolutionen gleichsam als deren Parodie entstehen und sich zu ihnen verhalten wie etwa die von demselben Sturmwind erregten Wellen der Pfütze zu den Wogen des Ozeans, sollten wohl Zweck und Inhalt eines im Jahre 1848 zu München spielenden Stückes bilden, dem die
bekannte Lola Montez⸗Episode zu Grunde liegt. Aber diese Tendenz kommt recht unklar zum Ausdruck, vielmehr hat es den Anschein, als ob der einem gesunden Volksempfinden entsprungene Unwille gegen die
Buhlerin, die ihren Einfluß politisch in unheilvoller Weise geltend machte, verhöhnt und die ganze durchaus ernst zu nehmende Bewegung, die zur Vertreibung der Montez führte, zu einem Bierulk herabgewürdigt werden sollte. So wenigstens nehmen sich die unter Kuleurstudenten und einigen Kleinbürgern in der Bierstube der Kreszenzig Lunglmayer spielenden Revolutionsszenen ab, in denen lungenkräftige Phrasenhelden das Wort führen und den „Cherusker“ Faver Singlspieler, der von Peißner, dem Günstling der Montez und Senior der zu ihrer Partei gehörigen „Alemannen“ angerempelt wurde, dazu anstacheln, vor die Verhaßte hinzutreten und ihr, anstatt Abbitte zu leisten, wie sie verlangt, die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. Faver geht darauf ein, aber in dem Auftritt im Palais der Lola Montez wird das Herz dieses deutschen Jünglings der fremden Abenteurerin gegenüber, welche sich nicht mit dem ganzen Stolze ihres Englands umgürtet, sondern ihn mit Künsten umgarnt, die sie in Paris gelernt hat, wankend, sein Haß verwandelt sich im Handumdrehen in glühende Liebe und bald nimmt er in ihrer Gunst die Stelle des von ihm nunmehr aus⸗ gestochenen Peißner ein. Inzwischen aber ist draußen, durch die dem Einfluß der Montcz zugeschriebene Schließung der Universität veranlaßt, der Aufruhr losgebrochen, das Schloß wird gestürmt und Lola, die es bereits verlassen hat, bis in die Schenke der Frau Lunglmayer, wohin sie sich flüchtet, verfolgt. Die Wirtin, welche die ganze „saudumme Revaluzion“, wie sie sich aus⸗ drückt, für einen Spaß ansieht, läßt Lola aber durch eine Hintertür
Theater. Königliche Schauspiele. Freitag: Opern⸗
haus. 215. Vorstellung. Die lustigen Weiber von Windsor. Komisch⸗phantastische Oper in 4 Akten nach William Shakespeares gleichnamigem Lustspiel von H. S. Mosenthal. Musik von Otto Nicolai. Masikalische Leitung: Kapellmeister von Strauß. Regie: Oberregisseur Droescher. Choreo⸗ raphische Einrichtung: Ballettmeister Graeb. An⸗ 7 ½ Uhr.
Neues Operntheater. 196. Vorstellung im Abonne⸗ ment. 128. Billettreservesatz. Sonderabonnement B 30. Vorstellung. 5 Aufzügen von William Shakespeare, nach der Uebersetzung von Franz von Dingelstedt und Schlegel⸗Tieck. Musik von Friedrich von Flotow. Tanz von Emil Graeb. Anfang 7 ½ Uhr.
Sonnabend: Opernhaus. 216. Vorstellung. Der Ring des Nibelungen. Bühnenfestspiel von Richard Wagner. Vorabend: Das Rheingold.
Anfang 7 ½ Uhr.
Neues Operntheater. 197. Vorstellung im Abonne⸗ ment. 129. Billettreservesatz. Flachsmann als Erzieher. Komödie in 3 Aufzügen von Otto Ernst.
Anfang 7 ½ Uhr.
Deutsches Theater. Freitag, Abends 7 ½ Uhr:
Kettenglieder. .“ Sonnabend, Abends 7 ½ Uhr: Dagland. Sonntag, Abends 7 Uhr: Don Carlos.
Freitag, Toledo.
Sonnabend, Tränen.
Sonntag, Toledo.
Wintermärchen. Schauspiel in im fang 7 ½ Uhr.
Preisen:
Berliner Theater. Freitag: Zapfenstreich.
Sonnabend, Abends 8 Uhr: Krieg im Frieden. Sonntag, Abends 8 Uhr: Medea.
N. (Friedrich Wilhelmstädtisches Theater.) Abends Historisches Trauerspiel in von Franz Grillparzer. Abends 8.
Abends 8 Uhr:
Theater des Westens. (Kantstraße 12. Bahn⸗ bof Zoologischer Garten.) Freitag (9. Vorstellung Freitags⸗Abonnement): Die Hugenotten. An⸗
Sonnabend, Nachmittags 3 Uhr: Zu ermäßigten Iphigenie auf Tauris. — 7 ½¼ Uhr: Gastspiel von Francesco d'Andrade. Der Maskenball.
Sonntag, Abends 7 ½ Uhr: Undine
Montag: Rigoletto. 8
Nationaltheater. (Direktion: Hugo Becker. Weinbergsweg 12a — 13 b.) Freitag: Gastspiel von Fräulein Prevosti.
Sonnabend: Der Freischütz.
Neues Thenter. Freitag: Die Morgenröte. Sonnabend: Die Morgeuröte.
Lustspielhaus. (Friedrichstraße 236.) Freitag:
9
entwischen, bevor deren Widersacher, zu denen auch der nun⸗ mehr ernüchterte Faver Singlspieler gehört, sie erreichen können. Das ist in Kürze der Vorgang, der zuerst lebhaft inter⸗ essierte, dann aber, als die humoristischen Züge der ge⸗ zeichneten Gestalten sich zusehends zur Karikatur vergröberten, die gleichartigen Sitvationen sich häuften, die Tendenz zu dick unterstrichen wurde und auch das Spiel in unerträglichen Lärm ausartete, auf heftigen Widerspruch stieß. Um die Darstellung machte sich vor allem Fräulein Fehdmer als Lola Montez verdient, die das allen Männern gefährliche, verführerische Wesen dieser beauté du diable sehr glaubhaft zeichnete. Herr Kayßler als jugendlich un⸗ gestümer Faver, Frau Wangel als derbe Wirtin, Herr Steinrück als schwülstiger Bierbankrhetoriker, ferner Fräulein Höflich, die Herren Reinhardt, Engels, Pagay, Klein, Waßmann u. A. taten sich durch gute Einzelleistungen hervor. Daß das Zusammenspiel, wie schon erwähnt, auf einen zu lauten Ton gestimmt war, ist der Regie zur Last zu legen Einen überaus charakteristischen Rahmen zu den Vor⸗ gängen lieferten dagegen die Wirtshaus⸗ und Salbondekorationen. Nach den ersten Akten wurde der anwesende Verfasser mehrmals hervorgerufen.
Im Königlichen Opernhause geht morgen, Freitag, Otto Nicolais komische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ in der Neueinstudierung unter der musikalischen Leitung des Kapellmeisters von Strauß in Szene. Die Damen Herzog, Rothauser, Dietrich, die Herren Knüpfer, Hoffmann, Mödlinger, Naval, Lieban, Krasa sind in den Haupt⸗ rollen beschäftigt. — Herr Wittekopf, der seit 5 als zwei Monaten erkrankt war, wird gelegentlich der Gesamtaufführung von Richard Wagners Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ seine Tätigkeit om Sonnabend in der Rolle des Fasolt wieder aufnehmen.
Die Direktion des Deutschen Theaters hat sich genötigt gesehen, die erste Vorstellung von Ludwig Fuldas Schauspiel „Maskerade“ auf Dienstag, den 22. d. M., zu verschieben. Die zu Sonn⸗ abend, den 19., für die Erstaufführung des Stücks gelösten Eintritts⸗ karten können heute und morgen gegen die gleichen Plätze für Dienstag umgetauscht werden. Am Sonnabend gelangt „Dagland“, Sonntagabend „Don Carlos“ und am Montag die Komödie „Ketten⸗ glieder“ zur Aufführung.
Das Lustspielhaus bringt am Sonntag (Totenfest) Dreyers dreiaktiges Drama „Drei“, sowie Otto Erich Hartlebens Einakter „Abschied vom Regiment’ zur Aufführung. — Am Freitag, den 25. d. M., findet die Erstaufführung des neuen dreiaktigen Lustspiels „Der Familientag“ von Gustav Kadelburg statt.
S1Saan. “ Morgen, Freitag, den 18. d. M., findet Königliche Par⸗ forcejagd statt. Stelldichein: Restaurant „Gardestern“ am Barackenlager.
Mannigfaltiges. Berlin, den 17. November 1904. 8
1 6 8
Wie alljährlich, veranstaltet der Verein „Berliner Presse“
im Reichstagsgebäude ein Wohltätigkeitsfest, das am
Freitag, den 25. d. M., stattfindet. Es wird durch ein Konzert ein⸗ geleitet werden, für das eine Reihe hervorragender Künstler Künstlerinnen ihre Mitwirkung zugesagt hat. 8
Thorn, 17. November. (W. T. B.) Auf der Weichsel ist bei 9 Grad Kälte starker Eisgang eingetreten.
Frankfurt a. M., 15. November. (W. T. B.) Wie die „Frankfurter Zeitung“ aus New York meldet, gerieten die Vieh⸗ höfe in dem New Yorker Stadtteile Jersey City in Brand. 3000 lebende Schweine verbrannten, ebenso 4000 geschlachtete Tiere, während 40 000 Tiere wild durch die Viehhöfe und die Stadt stürmten. ““
Mittags 12 ¾ Uhr am
Bamberg, 17. November. (W. T. B.) Heute früh 4 Uhr brannte das Bahnwärterhäuschen an der Nürnberger e⸗ nieder. Der krank im Bette liegende Bahnwärter und sein sechzehnjähriger Sohn kamen in den Flammen um, zwei andere Kinder und die Ehefrau erlitten erhebliche Verletzungen. Die von Nürnberg kommenden Züge mußten wegen der über den Bahn⸗ körper schlagenden Flammen umgeleitet werden.
Stuttgart, 16. November. (W. T. B.) Der Berlin — Nürnberg —Stuttgart ist heute zwischen hausen und Goldshöfe entgleist. Verletzt ist niemand.
Eilzu Weste
Offenhurg (Baden), 15. November. (W. T. B.) In An⸗ 8
wesenheit Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin von Baden fand heute der fünfte Tuberkulosekongreß hier statt. Der Medizinalrat Battlehner betonte das Entgegenkommen der P. in den Bestrebungen bei der Bekämpfung der Tuberkulose. Der Oberstabsarzt Riedner⸗Berlin besprach die Notwendig⸗ keit der Heilstätten und machte ent⸗ sprechende Vorschläge. Der Oberregierungsrat Lange wies statisttsch nach, daß die Sterblichkeit an Tuberkulose in Baden seit 1890 abgenommen habe, und bemerkte, Hö über das Durchschnittsmaß von Tuberkulose heimgesucht sei. Nachdem noch einige Fragen Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin, die die Er⸗ fahrungen der einzelnen Bezirksausschüsse in der Velzmpfung der Tuberkulose betrafen, ihre Erledigung gefunden hatten, waren die Ver⸗ handlungen beendet. Die Großherzogin kehrte sodann nach Baden zurück.
Ergänzung der
Braunschweig, 16. November. (W. T. 89 Zur Feier des 50 jährigen Schriftstellerjubiläums Wilhelm Raabes fand gestern unter reger Teilnahme ein Festmahl statt. Während der Tafel lief ein Glückwunschtelegramm von Seiner König⸗ lichen Hoheit dem Prinz⸗Regenten von Camenz ein, nach dessen Verlesung der Jubilar ein Hoch auf den Regenten ausbrachte. Aus allen Teilen Deutschlands waren Glückwunschdepeschen eingegangen.
London, 15. November. (W. T. B.) Das 99. Jahresfest des Komitees der St. Georgschulen wurde heute feierlich begangen. Dazu hatten sich viele Gönner und Freunde der Schulen unter dem Vorsitze des Botschaftssekretärs Graf von Bernstorff eingefunden. Bei dem Mahle brachte der Grafen von Bernstorff einen Trinkspruch auf Seine Majestät den König Eduard aus, der sich weit über die Grenzen seiner Länder hinaus die Verehrung und das Vertrauen aller Völker erworben habe, weil er ihnen als Personifizierung einer friedliebenden und völkervereinigenden Tendenz erscheine. Sodann toastete Graf von Bernstorff auf Seine Majestät den Deutschen Kaiser, den er als Vertreter der nationalen Einheit und Hort der Volksmacht feierte. Hierauf gedachte der Redner der Verlobung Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen. Wie Seine Majestät in dem jungen Paare die Fortsetzung seines eigenen Lebens und seiner Hoff⸗ nungen sehe, so erblicke in ihm auch das deutsche Volk die Bürgschaft einer glücklichen Zukunft für spätere Geschlechter. Zum dritten Male ergriff später Graf von Bernstorff das Wort, indem er auf die St. Georgschulen selbst ein Hoch ausbrachte.
Prato in Toskana, 17. November. (W. T. B.) Heute früh nach 6 Uhr wurde hier eine starke Erderschütterung wahr⸗ genommen.
Trelleborg, 15. November. Der Schuner „Johann“ aus Geestemünde ist heute nacht nördlich von Sandhammer ge⸗ strandet. Das Schiff ist mit Holz beladen. Der Bergunge dampfer „Neptun“ ist zur Hilfeleistung abgegangen. 8
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Zweiten Beilage.) 1“
abend, Abends 7 ½ Uhr:
2 FIp 8. Uhr: Die Jüdin von Fesv. Elv. 5 Aufzügen Uhr: Besetzung.)
Die Jüdin von
Tyrannei der
Zentralthenter.
Unterwelt. Anfang 8 Uhr.
Abends
La Traviata. bauer.
Trianontheater.
e Der Weiberkönig. Große Ausstattungsposse mit Gesang und Tanz in 4 Akten von Jean Kren, Alfred Schönfeld und l[v. Musik von Julius Einödshofer.
Tcotensonntag: Einmaliges Gastspiel des Theaters des Westens. Der Troubadour.
Montag und folgende Tage: Der Weiberkönig.
Freitag: Orpheus in der Operette in 3 Akten von Offenbach.
Sonnabend, Nachmittags 4 Uhr: Kindervorstellung. (Halbe Preise, 2 Kinder ein Billett.) Däumelinchen. Neues Märchenspiel in 6 Bildern mit Tanz und Gesang. — Abends: Der Generalkonsul.
Sonntag, Abends 7 ½ Uhr: Die Glocken von Corneville. Operette in 3 Akten von Planquette.
Bellealliancetheater. (Bellealliancestraße 7/8. Direktion: Kren u. Schönfeld.) Freitag und Sonn⸗ — abend, Abends 7 ½ Uhr: Letzte Vorstellungen von: Wer? Hierauf: Die Tugendglocke.
Totensonntag und folgende Tage: Der Millionen⸗
In Vorbereitung: Fröhliche Weihnachten.
(Georgenstraße, Friedrich⸗ u. Universitätsstraße.) Freitag und Sonn⸗ abend: Gastons Frauen. Schwank in 3 Akten von 8g Victor de Cottens und Pierre Veber. Anfang 8 Uhr. Sonntag, Abends 8 Uhr: Das elfte Gebot.
Beethovensaal. Freitag, Abends 8 Uhr: Konzert von Fritz Kreisler.
Zirkus Schumann. Freitag, Abends präzise
7 ½ Uhr: Das neue große Programm. U. a.: Neu: Mlle. Priami. Neu: Mons. Proserpi. Neu: Agube Gudcow, der unübertroffene Dschigittreiter ꝛc. Ferner: Ein musikalisches Phänomen Mr. Franco Piper. Sämtliche Spe⸗ zialitäten und die größte Sensation Berlins: Münstedts Liliputaner⸗Zirkusvorstellung. Zum Schluß: Der Courier des Zaren. Da am Sonntag (Totensonntag) nur eine Vor⸗ stellung, so findet morgen, Sonnabend, Nachmittags 3 ½ Uhr, eine Galamatinee statt mit Münstedts Liliput⸗Zirkus. Marokko, Ausstattungs⸗ pantomime ꝛc. Nachmittags auf allen Plätzen ein Kind frei. Jedes weitere Kind bis 12 Jahren halbe Preise (außer Galerie).
(In allererster
Familiennachrichten.
Verlobt: Minna Gräfin Platen zu Hallermund mit Hrn. Kapitän z. S. a. D. Frhrn. von Erhardt (Schleswig — Eutin). — Frl. Luise Feuerhake mit Hrn. Gerichtsassessor Botho Hindersin (Rheydt — Blankenburg a. H.).
Verehelicht: Hr. Regierungsassessor von Heyden mit Frl. Irmgard Stach von Goltzheim (Spor⸗ witten). — Hr Manfred Frhr. von Wolff⸗Dickeln
zwischen
mit Frl.
Anfang 7 ½ Uhr. 1 Sonnabend: Soldaten. Anfang 7 8½ Uhr. Sonntag: Soldaten. Anfang 7 ½ Uhr.
Montag: Zapfenstreich. Anfang 7 ½ Uhr
Lessingtheater. (Direktion: Otto Brahm.) Freitag: Traumulus. Anfang 7 ½ Uhr. Sonnabend: Zum ersten Male: Die Siebzehn⸗ jährigen. Schauspiel in 4 Akten von Max Dreyer. Sonntag: Die Siebzehnjährigen.
Schillertheater. 0. (Wallnertheater.)
reitag, Abends 8 Uhr: Wallensteins Lager. Ferita, ,⸗ in 1 Aufzuge von Friedrich von Schiller. Hierauf: Die Piecolomini. Schauspiel in 5 Auf⸗ zügen von Friedrich von Schiller.
Biederleute. Sonnabend, Nachmittags 3 ½ Uhr: Marinemütter. — Abends 8 Uhr: Biederleute.
Residenztheuter. (Direktion: Richard Alexander.) Freitag: Eine Hochzeitsnacht. (Une nuit de noces.) Schwank in 3 Akten von H. Kéroul und A. Barré. (Anatol Durosel: Richard Alexander.) Anfang 8 Uhr.
Sonnabend: Eine Hochzeitsnacht.
Totensonntag, Abends 8 Uhr: Nora. (Einmalige Aufführung.)
Montag und folgende Tage: Eine Hochzeits⸗ nacht.
Thaliatheater. (Dresdener Straße 72/73. Di⸗
rektion: Kren u. Schönfeld.) Freitag und Sonn⸗ 1“ M“ “
e.
Konzerte.
Singakademie. Freitag, Abends 8 Uhr: Konzert von Georg Bertram (Klavier) mit dem Philharmonischen Orchester (A. Scharrer).
Philharmonie. Freitag, Abends 7 ½ Uhr: I. Liederabend von Lilli Lehmann.
Philharmonie (Oberlichtsaal). Freitag, Abends 8 Uhr: Konzert von Antonie Geiger (Klavier) und Carl Hugo Müller (Gesang).
Saal Bechstein. Freitag, Abends 7 ½ Uhr: II. Klavierabend von Ossip Gabrilowitsch.
—
rene von Mohl (Schloß Arnshaugk
bei Neustadt a. O.). . — 1
Geboren: Ein Sohn: Hrn. Grafen Porck von Wartenburg (Klein⸗Oels) — Eine Tochter: Hrn. Oberförster Eberhard von Groote (Dannen⸗ berg a. Elbe).
PVerantwortlicher Redakteur Dr. Tyrol in Charlottenburg.
Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin.
Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.
Fünf Beilagen 8 (einschließlich Börsen⸗Beilage)l)
en Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger
Statistik und Volkswirtschaft.
ber die Finanzpolitik der Schreckensherrschaft in der 88 Zeit der ersten französischen Revolution
hat Raymund de Waha in den Heften 2 bis 4 des ersten Bandes der inhaltsreichen neuen „Vierteljahrsschrift für Sozial⸗ und Wirt⸗ schaftsgeschichte“, die Professor Dr. St. Bauer in Basel, Professor Pr. G. pos elg in Tüengen nnd Vr. 8. Ne Hartmann in Wien heraus geben (Verlag von C. L. Hirschfeld, Leipzig), eine erschöpfende Darstellung veröffentlicht, die auch für weitere Kreise viel Interessantes jetet. Der französische Staatshaushalt hat das ganze 18. Jahrhundert hindurch Jahr für Jahr mit einem Defizit geschlossen; fünf Teil⸗ bankerotte hatten unter Ludwig XV. stattgefunden, verschiedene Ver⸗ suche, die Steuern vorübergehend oder dauernd zu erhöhen, hatten nicht zum Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben geführt, und die Staatsschulden waren, insbesondere durch die zur Führung des 7jährigen und des nordamerikanischen Krieges aufgenommenen Anleihen, immer bedenklicher angewachsen. Die Ungleichheit in der Verteilung und die Willkür in der Erhebung der Steuern erschwerten jede weitere Erhöhung; am meisten stand einer solchen die unter Ludwig XVI. von Tag zu Tag mächtiger werdende öffentliche Meinung entgegen, die nicht nur jede Steuererhöhung entschieden verwarf, sondern immer gebieterischer Ermäßigungen verlangte. Das Scheitern aller unter Ludwig XVI. gemachten Versuche zur Gesundung der Staatsfinanzen und das stetige Ansteigen der Staatsschuld führten zu dem letzten Mittel: der Einberufung der Ständeversammlung von 1789, aus der die große französische Revolution hervorging. Diese war in erster Linie ein Werk der Bourgeoisie, der jedoch die Gründung einer konstitutionellen Monarchie nur mit Unterstützung der unteren Volks⸗ klassen, besonders der unteren Klassen der Pariser Bevölkerung, ge⸗ lungen war. Als nun immer klarer wurde, daß das Bürgertum keineswegs gewillt war, aus der Deklaration der Menschenrechte alle volitischen und sozialen gleichbeitlichen Folgerungen zu ziehen, entstand im ganzen Lande eine gewisse Spannung zwischen dem niederen Volk und dem Bürgertum. Der Aristokratenhaß begann sich zum Haß gegen die Reichen zu entwickeln. Am 10. August 1792 entthronte die siegreiche Pariser Kommune den König und zwang die „gesetzgebende Nationalversammlung“, die Berufung eines aus allgemeinem Wahlrecht hervorgehenden Nationalkonventes zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu dekretieren. Mit diesem Tage, dem 10. August 1792, begann die Terrorisierung der nationalen Vertretung durch die Pariser Jakobiner, deren radi⸗ kalste Elemente bald im Konvent die Herrschaft ausübten und sich bis zum Sturze Robesvierres in dieser Stellung behaupteten, und die Geschichtsschreiber bezeichnen diese Periode der demokratisch⸗jakobinischen Republik vom 10. August 1792 bis zum 9. Thermidor des Jahres II. (27. Fuli 1794) als die der Schreckensherrschaft. — Schon am 21. September 1792 trat der Nationalkonvent zusammen; er wählte sogleich eine Reihe von parlamentarischen Ausschüssen für verschiedene Zweige der Staatsverwaltung, deren Aufgabe in der Initiative und Vorbereitung der zu fassenden Beschlüsse bestand. Bereits zur Zeit der Nationalversammlung hatten die Ausschüsse die Einbringung von Vorlagen nicht mehr den Ministern überlassen, sondern ziemlich ausschließlich selbst in die Hand genommen. Unter dem Konvente geschah dies in verstärktem Maße; zunächst behielt man allerdings das von der gesetzgebenden Nationalversammlung nach der Entthronung des Königs gewählte Ministerium bei — Clavisre war Minister der Finanzen und der öffentlichen Arbeiten —, aber im Januar 1793 wurden die Minister unter die Aufsicht des Ausschusses für allgemeine Verteidigung gestellt, und vom 6. April 1793 an waren sie nur noch Ausführungsbeamte des Wohlfahrtsausschusses. Am 1. April 1794 wurde das Institut der Minister überhaupt ab⸗ geschafft und durch zwölf parlamentarische Kommissionen ersetzt, die dem Wohlfabrtsausschuß unterstanden, der ein tatsächliches, verant⸗ wortliches Ministerium war. Von den parlamentarischen Ausschüssen, die sich mit sinanziellen Dingen zu befassen hatten, war der Finanz⸗ ausschuß der bei weitem wichtigste; er zählte zeitweilig 42 Mitglieder, sein regelmäßiger Berichterstatter und der eigentliche Leiter der Staats⸗ finanzen unter der Schreckensherrschaft, besonders seit Januar 1793, war Cambon.
Am Tage nach seinem Zusammentritt verfügte der National⸗ konvent, daß alle eingeführten Steuern weiter erhoben werden sollten. Das damals bestehende Steuersystem war von der Nationalversammlung in den Jahren 1790 und 1791 geschaffen worden. Veranlagte Steuern waren: die Grund⸗, die Mobiliar⸗ und die Patentsteuer — sämtlich Ertragssteuern, denen die Prinzipien der Proportionalität und der Veranlagung nach äußeren Merkmalen zu Grunde lagen; an tarifierten Steuern hatte man: Registrierungs⸗ und Stempelgebühren, sowie die Grenzölle. Die Grundsteuer war eine Steuer vom Reinertrag aus allem Grundbesitz oder besser von dem einem jeden Grundbesitz, auch dem nicht kultivierten, supputierten Reinertrag. Letzteren definierte das Gesetz in physiokratischem Sinne als den nach Abzug der Kultur⸗ Aussaat. und Ernte⸗) Kosten vom Bruttoertrag verbleibenden Ueberschuß.
ie Instruktion lief darauf hinaus, daß in der Praxis der Reinertrag dem durchschnittlichen Pachtwert der Grundstücke, aus den letzten 15 Jahren berechnet, gleich zu halten sei. Vom Reinertrag des bebauten Eigentums war ein Viertel, bei Fabriken und Werkstätten ein Drittel für Reparaturen usw. freizulassen. Die Grundsteuer sollte nur vom Besitzer, nicht vom Pächter erhoben werden. Sie war eine Revpartitionssteuer, deren Höhe jährlich durch die gesetzgebende Körperschaft zu bestimmen und die in Geld zahl⸗ bar war. Die auf die einzelnen Departements entfallenden Beträge waren von der gesetzgebenden Versammlung festzusetzen; die Departementalversammlungen hatten die auf die Distrikte und deren einzelne Gemeinden fallenden Kontingente zu bestimmen. Die Veranlagung hatte, entsprechend dem in der Deklaration der Menschenrechte sowie in Art. 51 des Dekrets über die Gemeinde⸗ verfassung ausgesprochenen Grundrecht aller Bürger, sich selbst oder durch ihre gewählten Vertreter zu besteuern, in jeder Gemeinde durch eine Kommission zu geschehen, die aus Mitgliedern des Gemeinderats und ad hoc gewählten Steuerzahlern bestehen sollte. Die Erhebung der Grundsteuer war ebenfalls den Gemeinden überlassen, die die er⸗ hobenen Gelder abzuliefern hatten. Ein Dekret vom 16. März 1791 bestimmte, daß die auf den einzelnen Steuerzahler entfallende Quote e des Reinertrages aus seinem Grundbesitz nicht übersteigen dürfe.
Dieser Satz wurde durch Gesetz vom 30. Juli 1792 auf ⁄ erhöht.
Zur Grund⸗ wie zur Mobiliarsteuer durften die Departements und Gemeinden Ge. zur Deckung ihrer Ausgaben erheben. — Die Mobiliarsteuer sollte zuächst licht stammende Einkommen treffen. Sie umfaßte fünf verschiedene Steuern: Die erste war eine fünfprozentige von allem, nach dem Mietwert der Wohnung des Steuerzahlers zu präsumierenden Einkommen desselben, abzüglich des Einkommens aus Grundbesitz, das durch die Grundsteuer etroffen wurde. Wirtschaftsräume waren bei der Schätzung des ietwerts nicht mit einzubegreifen. Das steuerpflichtige Einkommen
wurde nach einem 18 stufigen, progressiven Tarif berechnet, dem der
Gedanke zu Grunde lag, daß geringe Mieten einen höheren Prozentsatz des Einkommens der betreffenden Wohnungsinhaber ausmachen als teurere. So wurde bei einem Mietwert bis 100 Liv. ein Einkommen in doppelter Höhe präsumiert, bei Mietwerten von
100 — 500 Liv. ein 3 faches, von 500 — 1000 Liv. ein 4 faches usw., bei
Mietwerten von 12 000 Liv. und darüber ein 12 ½ faches. Für alle
“
alles nicht aus Grundbesitz
Erste Beilage
Berlin, Donnerstag, den 17. November
nneme
so ermittelten Einkommen galt der einheitliche, fünfprozentige Steuer⸗ satz. Steuerzahler mit mehr als drei Kindern waren in der nächst⸗ tieferen Stufe als der, welche sich aus dem Mietwert ihrer Wohnung ergab, Junggesellen in der nächsthöheren einzuschätzen. Zu dieser ersten Mobiliarftener kamen eine zweite auf die Dienstbotenzahl und eine dritte auf Luxruspferde und Maulesel, also zwei Luxussteuern. Die vierte Mobiliarsteuer war eine Personalsteuer gleich dem Werte von drei Arbeitstagen, die nach Aufhebung der Fronden jeder Bürger der Nation schuldete. Diese Steuer war also ebenfalls in Geld zahlbar; befreit davon blieben alle Bürger, die außer dem täglichen Normal⸗ arbeitsverdienst kein Einkommen hatten. Die fünfte Mobiliarsteuer endlich, Wohnungssteuer genannt, war nach derselben progressiven Skala, wie die erste, auch nach dem Mietwert der Wohnungen zu veranlagen. Sie traf das Gesamteinkommen, ohne Abzug des Ein⸗ kommens aus Grundbesitz. Ihr Satz war ½ %; diese allgemeine Einkommensteuer war damit begründet worden, daß man nicht wisse, ob die vier anderen Teile der Mobiliarsteuer ergiebig genug sein würden, um die festzusetzende Repartitionshöhe der Mobiliarsteuer zu erreichen. Repartition, Veranlagung und Erhebung sollten in ähn⸗ licher Weise wie bei der Grundsteuer geschehen. Ein Dekret vom 29. November 1793 setzte die Personal⸗, Dienstboten⸗ und Pferde⸗ steuer auf die Hälfte, die Hauptmobiliarsteuer auf 11s und die Wohnungssteuer auf ½¼ der früheren Sätze herab, und 1794 kamen die fünf Mobiliarsteuer ganz in Wegfall. — Die dritte direkte Steuer, welche die Nationalversammlung geschaffen hatte, war die „Patentsteuer“, eine Steuer des Handels⸗ und Gewerbebetriebes. Das Einkommen aus Handel und Gewerbe wurde schon durch die Mobiliarsteuer getroffen; diese wiederholte Belastung rechtfertigee man damit, daß erstens die Patentsteuer von den Betroffenen abgewälzt werde und zweitens diese ein billiger Preis sei für die große Wohltat, welche die Abschaffung der Feete und Meisterrechte für Handel und Gewerbe bedeute. Die Patentsteuer war, wie die Mobiliarsteuer, nach dem Mietwert der Wohnungen, aber einschließlich der Wirtschaftsräume, zu veranlagen. Sie betrug für einen Mietwert bis 400 Liv. 10 % desselben, von 400 bis 800 Liv. 12 ½ % und für alle höheren Mietwerte 15 %. Der Charakter der Proportionalität wurde dadurch gewahrt, daß man, wie bei der Mobiliarsteuer, von dem Gedanken ausging, daß geringe Mieten einen größeren Teil des betreffenden Einkommens aus⸗ machen als höhere. Durch Dekret vom 22. März 1793 schaffte der Konvent die Patentsteuer ab, weil sie ein Hemmschuh für Handel und Gewerbe sei. — Was die indirekten Steuern betrifft, so war die Abschaffung der großen Mehrzahl derjenigen des ancien régime 1789 den vühceohe zu der Ständeversammlung zur Pflicht gemacht worden. So wurden denn auch Salz⸗, Getränke⸗, Tabak⸗, Papier⸗, Oel⸗, Seifen⸗, Spielkarten⸗ usw. Steuern beseitigt, ebenso die noch bestehenden Binnenzölle. Dagegen wurden beibehalten bezw. fortgebildet: Registrierungs⸗ und Stempelgebühren, sowie die Grenzzölle. Sämtliche notariellen und gerichtlichen Urkunden, die privaten Besitz⸗ und Nutzungsurkunden mußten, wenn sie vor Gericht vorgelegt werden sollten usw., seit Jahrhunderten in öffentliche Register eingetragen werden, und bei Gelegenheit dieser Eintragung wurden Gebühren erhoben, in deren Tarisen die Gesetzgebung von 1790 gleichfalls das Prinzip der Proportionalität streng durchführte. Der Stempelgebühr wurden sämtliche Urkunden unterworfen, von denen Registrierungsgebühren zu entrichten waren, außerdem die Aktien, Wechsel, Order⸗ und Inhaberpapiere, Geschäftsbücher, Quittungen über den Empfang von Stzatsrenten, sowie solche über Zahlung von Zöllen und aller Gebühren. Endlich wurde nach langwierigen Debatten der II“ von 1786 in schutzzöllnerisch⸗erzieherischem
Sinne fortgebildet.
Seit der Erstürmung der Tutlerien durch die jakobinische Pariser Kommune (am 10. August 1792) zogen sich viele be⸗ güterte Bourgeois von der Revolution zurück. Die „Patrioten“ verurteilten eine solche Handlungsweise um so schärfer, als Frankreich seit April 1792 mit Oesterreich und Preußen in Krieg verwickelt war. Dazu kam das steigende Elend, das sich infolge von Revolution, Krieg und schlechter Ernte in breiten Kreisen der Bevölkerung einstellte: alles das mehr als genug, um die ohnehin schon aus der Unzufriedenheit mit dem Bourgeoisregime erstandene Erbitterung der Sansculotten gegen alle „Reichen“ mächtig zu fördern. Dieser Erbitterung kam im weitesten Maße der Gleichheitsgedanke entgegen. „Außerordentliche Besteuerung der Reichen“ und Bleich⸗ machung des Besitzes“ wurden zu populären Schlagworten. Ende September 1792 führten die „Révolutions de Paris“, damals eine der verbreitetsten und einflußreichsten Zeitungen, aus: „Es ist notwendig, die möglichste Gleichheit der Vermögen herbeizuführen, um so das fehlerhafte Prinzip des Uebergewichts der Reichen über die Armen zu zerstören. Es muß ein Verbot erlassen werden, daß kein Bürger mehr als eine bestimmte Anzahl von Morgen Land in einem Kanton besitzen darf. Bis zur Durchführung der absoluten Vermögensgleich⸗ heit, die in der Gleichheit der natürlichen Bedürfnisse und deren Befriedigung ein einigendes Band um uns alle schlingen wird, muß jeder, der nicht 400 Liv. Einkommen hat, von aller Steuer freibleiben; seine Schuld an den Staat wird er zahlen durch seine Arbeit, seinen Konsum, durch den Fahnendienst oder die Zahl seiner Kinder. Wer aber wird für die Bedürfnisse des Augenblicks aufkommen? Die Gerechtigkeit gebietet, eine außerordentliche Steuer zu erheben von den Feinden der Freiheit und Gleichheit. — Alle Ueberfluß Besitzenden sind in Revolutionszeiten als heimliche oder erklärte Feinde der Regierung des Volkes anzusehen.“
Die Forderung einer außerordentlichen Besteuerung der Reichen faßte festen Fuß in der öffentlichen Meinung; sie wurde immer klarer und bestimmter: sie bildete den breiten Unterbau, auf dem dann nach und nach das ganze Spstem einer progressiven Einkommensbesteuerung sich entwickelte. Auch der radikale Gedanke der Gleichheit des Besitzes machte seinen Weg, bis ihm am 18. März 1793 von seiten des Konvents die schärfste Verurteilung widerfuhr. Das Eigentumsrecht wollten die Jakobiner nicht beseitigen. Daher an jenem 18. März die feierliche Erklärung Bardres im Namen des Verteidigungs⸗ und Sicherheitsausschusses im Konvente: „Ein Gegenstand der Besorgnis für die Departements sind die Deklamationen, die man sich gegen das Eigentumsrecht erlaubt hat. Es ist Pflicht des Konvents, kund⸗ zugeben, daß er auch nicht den geringsten Angriff auf das Eigentums⸗ recht, von welcher Art er sei, dulden wird.’ Und sofort wird das Dekret erlassen: „Jeder, der es versuchen sollte, das Agrargesetz*) oder ein anderes Gesetz oder eine Maßnahme einzuführen, welche dem Eigentumsrecht entgegensteht, ist der Todesstrafe verfallen.“ Bei dem damaligen Gleichheitsfatanismus wäre es aber undenkbar gewesen, einer solchen Erklärung nicht zugleich ein der Gleichheit Genüge leistendes Gegengewicht zu geben. Fortfahrend verlangte daher Barère den Entwurf des Finanzausschusses zu einer progressiven allgemeinen Einkommensteuer. Man unterbrach den Redner, um diese sofort mit überwältigender Mehrheit im Prinzip zu dekretieren.
Der Grundsatz der progressiven Einkommensteuer fand eine tat⸗ sächliche Verwirklichung zunächst als Veranlagungsform mehrfach durch⸗ geführter Zwangsanleihen. De Waha berichtet eingehend über einige dieser Zwangsanleihen und teilt mit, daß nach dem Gesetz vom 3. Sep⸗ tember 1793 die Kontrollausschüsse bei Junggesellen ein Existenz⸗ minimum von 1000 Liv. freizulassen und von dem deklarierten Ein⸗
.) Unter Agrargesetz verstand man damals die gleiche Aufteilung des Bodens unter alle Bürger. 28 1“
1904.
kommen in Abzug zu bringen hatten, bei verheirateten Männern 1500 Liv. für diese selbst und je 1000 Liv. für die Frau, für jedes Kind und jeden sonstigen Angehörigen und jeden vom Haushalts⸗ vorstand unterhaltenen Angehörigen von im Felde stehenden Bürgern, und daß im übrigen die folgende Progressionsskala festgesezt war: Vom ersten Tausend, um das ein Ein⸗ kommen das freigelassene Existenzminimum übersteigt, werden 10 % für die Zwangsanleihe erhoben, vom zweiten Tausend 20 %, vom dritten 30 % usw. bis zum neunten Tausend, von dem 90 % erhoben werden.*) Das heißt also, daß von 1000 Liv, die von der Zwangsanleihe getroffen werden, 100 Liv. zu zahlen sind, von 2000 Liv. 300 Liv. (nämlich 100 Liv. vom ersten Tausend und 200 Liv. vom zweiten Tausend), von 3000 Liv. 600 (100 und 200 und 300) Liv., von 4000 Liv. 1000, von 5000 Liv. 1500, von 6000 Liv. 2100, von 7000 Liv. 2800, von 8000 Liv. 3600 und von 9000 Liv. 4500 Liv. Alle Einkommensteile über das neunte Tausend hinaus, um das ein Einkommen das freigelassene Existenzminimum übersteigt, sind zum vollen Betrage in die Zwangsanleihe einzulegen. Man hatte also den Gedanken, das eine bestimmte Grenzsumme übersteigende Einkommen ganz einzufordern, beibehalten. Ramel sagt darüber: „Wir haben uns gefragt, ob es nicht besser sei, den Steuerzahlern immer noch einen Teil ihres Einkommens, soweit dasselbe auch das neunte Tausend über das Existenzminimum übersteigt, zu lassen. Wenn es sich um eine dauernde Einkommensteuer gehandelt hätte, so hätten wir nicht gezögert, das zu tun; denn dem Erwerbsfleiß der Bürger will die Revolution keine Schranken setzen. Sie will nur durch weise Gesetze die Vermögen, die das Niveau der Gleichheit überschritten haben, auf sanften Bahnen zu demselben zurückführen.“
Der reichtumsfeindliche Gleichheitsgedanke, der uns bei den Zwangs⸗ anleihen als leitendes Motiv entgegentritt, lag auch einer Reihe anderer Steuern der Schreckensherrschaft zu Grunde, so den so⸗ genannten „revolutionären Lokalsteuern“. Ihren Ausgangspunkt hatten diese Steuern in einem Dekret des Konvents vom April 1793, das den Besitz der woblhabenden, nicht jakobinischen Bürger der Willkür jakobinischer Behörden preisgab. Dieses Dekret bestimmte, daß in jeder Gemeinde eine Steuer von den großen Vermögen zu erheben sei, um allen Gemeinden die nötigen Mittel zu verschaffen, die Preise der Lebensmittel der Höhe der Löhne anzupassen. Den Gemeinden blieb die nähere Bestimmung über Höhe, Veranlagung und Erhebung dieser Steuern überlassen. Die folgenschwerste revolutionäre Lokal⸗ steuer dürfte wohl die im Mai 1793 in Lyon erhobene gewesene sein. Die jakobinische Gemeindevertretung von Lyon beschloß am 14. Mai, eine außerordentliche Steuer von den Kapitalisten, den reichen Grund⸗ und Hausbesitzern und den reichen Kaufleuten des Lyoner Distriktes zu erheben. Auf Betreiben von Kommissaren des Konvents wurde die zu erhebende Summe auf 6 Millionen Livres festgesetzt und zur Aus⸗ hebung und Ausrüstung einer revolutionären Garde bestimmt. Der Lyoner Wohlfahrtsausschuß erhob aber in Wirklichkeit über 30 Millionen Livres. Vielfach erzwangen die Gemeindebeamten unter Drohungen und mit den Waffen in der Hand die verlangten Zahlungen. Durch dieses Vorgehen der jakobinischen Machthaber wurde die Bevölkerung aufs äußerste erbittert; sie griff zu den Waffen und inszenierte den bekannten Lyoner Aufstand, dem nach langwierigen und hartnäckigen Kämpfen die Eroberung Lyons durch die Truppen der Republik ein Ende machte.
In vielen Fällen verlieren übrigens die von den Kommissaren des Konvents usw. verfügten Gelderhebungen den Charakter der Steuer oder selbst der Requisition: sie erscheinen lediglich als Strafe die den Reichen für ihren Reichtum auferlegt worden sind. Ein Erlat von St. Just und Lebas, Abgesandten des Konvents in Straßburg, vom 10. brumaire des Jahres II belegte 193 namentlich aufgeführte Bürger mit einer Steuer von 9 Millionen Liv. Auf die Einzelnen verteilte sie sich in Beträgen von 6000 bis 300 000 Liv. Wer binnen 24 Stunden seinen Teil nicht gezahlt hatte, sollte an den Pranger — der Guillotine gegenüber — gestellt werden. Einige Zeit später ver⸗ urteilte die Gemeindeverwaltung von Straßburg die Bierbrauer in der Erwägung, daß der Goldhunger stets das treibende Motiv all ihres Handelns gewesen sei, zur Zahlung von 250 000 Liv. Von den Bäckern wurden aus dem⸗ selben Grunde 300 000 Liv. verlangt. Am 18. brumaire II ließen die Abgesandten Milhaud und Guyardin in Straßburg alle Bankiers, Wechsler und Notare einkerkern und deren Gelder beschlag⸗ nahmen. Das Gleiche geschah auch an vielen anderen Orten.
Die ungeheuren Ausschreitungen, zu denen das den représentants en mission sowohl als auch den kommunalen Behörden verliehene Recht der außerordentlichen Besteuerung der Reichen führte, ver anlaßte den Konvent trotz allen Reichenhasses zu Gegenmaßregeln Durch Dekret des Wohlfahrtsausschusses vom 9. April 1794 wurde alle revolutionären Steuern endgültig verboten. 8
— Zur Arbeiterbewe 1 In Frankfurt a. M. beschlossen, der „Frkf. Ztg.“ zufolge, die uchbinder in einer Versammlung, den Meistern einen Tarifvertrag zu unterbreiten. Die wichtigsten Forderungen sind: neunstündige Arbeitszeit, Mindestlöhne von 18 ℳ im ersten Jahr nach der Lehrzeit, 21 ℳ im zweiten, 24 ℳ im dritten Jahr, für Arbeiterinnen 14 ℳ, für Ueberarbeit ein Zuschlag vo 33 ¼ %, für Sonn⸗ und Feiertagsarbeit von 50 %. 1 In Görlitz sind, wie die Köln. Ztg.“ erfährt, sämtliche Tischler der photographischen Anstalten in den Ausstand eingetreten. Sie fordern eine Lohnerhöhung von 10 %. In Havre beschlossen, wie „W. T. B.“ meldet, die Hafen⸗ arbeiter, die Arbeit niederzulegen (vgl. Nr. 270 d. Bl.). Zum belgischen Bergarbeiterausstand (vgl. Nr. 270 d. Bl.) teilt die „Frkf. Ztg.“ mit, daß der Streik im Kohlengebiet von La Louvidre bis auf wenige Ausständige als beendet anzusehen sei.
Literatur.
Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, heraus⸗ gegeben vom Kaiserlichen Statistischen Amt. 25. Jahr⸗ gang 1904. XX u. 315 S. mit 9 graphischen Beilagen. Berlin, Verlag von Puttkammer u. Mühlbrecht. Kart. 2 ℳ — Der 25. Jahrgang des Statistischen Jahrbuchs für das Deutsche Reich, das in Gestalt eines für weiteste Kreise wertvollen, knappen Hand⸗ buchs die wichtigsten und neuesten Ergebnisse der Reichsstatistik in kurzen, leichtverständlichen Uebersichten und meist in vergleichbaren Jahresreihen zur allgemeinen Kenntnis bringt, schließt sich in Form und Inhalt den früheren Jahrgängen im wesentlichen an. Die bishe gegebenen Nachweisungen sind durch die neuesten Daten fortgeführt un ergänzt, einzelne der früheren Uebersichten erweitert und neue Gegen stände, die eine gleichmäßige und zusammenfassende Darstellung für das Reich zuließen, hinzugefügt. Die schon im vorigen Jahrgang
mitgeteilten Ergebnisse der Volkszählung von 1900 haben bis auf di
**) Bei der Rechtfertigung dieser Gesetzesvorlage teilte Ramel mit, daß das Nationaleinkommen Frankreichs sich auf höchstens 3 Milliarden beziffere (Cambon hatte es am 22. Juni 1793 auf 3,7 Milliarden Liv. geschätzt). Ein Blick auf die Steuerrollen zeige, daß die Hälfte davon auf die Bürger entfalle, die weniger als 1000 Liv. Einkommen haben. Von der anderen Hälfte entfielen ¾ auf die Ein⸗ kommen unter 6000 Liv “ 8 8
8