ns vorgelegt wird, ein Register beigegeben werde, damit wir die
Möglichkeit haben, die ineinander greifenden Positionen aufzusuchen.
Ferner wünsche ich daß beim Etat die Beschlüsse des Bundesrats tschließungen in der verflossenen Session vorgelegt Auf den Kolonialetat, insbesondere auf die Verhältnisse in
ber unsere En verden. 9 1 Südwestafrika, möchte ich hier nicht näher eingehen. Die Ursachen er Entstehung des Aufstandes sind erst jetzt näher aufgeklärt worden. Was den Etat des Reichsamts des Innern betrifft, so möchte ich das Handwerk der besonderen Fürsorge des Staatssekretärs empfehlen, insbesondere unseren neulichen Beschluß in bezug auf die Aus⸗ dehnung des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb. Wir besitzen jetzt schon ein „Reichsarbeitsblatt“, das auch Mitteilungen über den Inhalt der FrebFreeanamerbegcheh bringt. Das genügt aber nicht. Es sollte auch ein Reichshandwerkerblatt gegründet werden, und zwar von der öö aus, denn ein solches Blatt müßte sehr um⸗ fassende Mitteilungen bringen über die Beschlüsse des Reichs⸗ gerichts, über Handwerkerfragen im Auslande usw. Man würde damit dem Handwerk einen großen Dienst erweisen. Im eneß. othringischen Landesausschuß hat man sich auch mit der Benach⸗ eiligung der kleinen durch die großen ühlen beschäftigt. Was ützt aber eine stärkere Besteuerung der großen Mühlen im Elsaß, venn im Reiche selbst eine solche nicht besteht! Das weist darauf in, daß diese Angelegenheit vom Reiche in die Hand ge⸗ nommen werden müßte. Eine andere Frage berührt zum Teil das Reichsamt des Innern, zum Teil die Militärverwaltung. Diese st bereit, vom Produzenten direkt zu beziehen, und die kleinen ewerbetreibenden nehmen an, daß auch die anderen Verwaltungs⸗ zweige des Reichs und der Ein elstaaten es tun würden, wenn diese kleineren Handwerker sich zu Verbänden zusammentäten und so in der Lage wären, der Verwaltung entsprechende Angebote zu machen. Ich möchte wünschen, daß die einzelnen Verwaltungsbehörden das Ihrige täten, um den Handwerkerkreisen die Ueberzeugung beizubringen, daß sie die Konkurrenz mit den großen Unternehmern aufnehmen können, wenn sie sich zu Verbänden zusammenschließen, und daß ihnen dann auch große Aufträge gegeben werden. Die Sozialpolitik des Reichs⸗ tags und des Staatssekretärs hat an anderer Stelle eine etwas scharfe und, wie ich meine, unberechtigte Kritik gefunden. halte es für richtig, daß wir den Weg, den die Mehrheit
des Reichstags betreten hat, ruhig weiter verfolgen. Bedauern muß ich, daß die Gesetzentwürfe über die Berufsvereine und das rbeitsamt, die wir gewünscht haben, nicht vorgelegt worden sind. Was recht schnell in Angriff genommen werden muß, ist der Schutz er Heimarbeiter, denn die Gefahren der Heimarbeit wachsen be⸗ tändig. Auch der Frage der Kohlenförderung und des Kohlen⸗ erbrauchs sollte die Regierung ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Ich hoffe, daß der Staatssekretär uns über die Produktionsweise der Kohlen einen eingehenden Bericht erstattet. Was die Militär⸗ orlage anbetrifft, so müssen wir daran festhalten, daß ihre Ver⸗ bschiedung nur erfolgt, wenn für die Deckung der Mehrausgaben gesorgt ist. Was die zweijährige Dienstzeit angeht, so müssen wir ns auch hier die Prüfung im einzelnen vorbehalten. Sehr be⸗ auerlich ist, daß noch immer Soldatenmißhandlungen vorkommen. Durch die Oeffentlichkeit der Militärgerichtsverhandlungen ist uns ine größere Anzahl solcher Fälle bekannt geworden, als es früher Pschab⸗ „Man beobachtet nun, daß in der letzten Zeit mehrfach die effentlichkeit ausgeschlossen worden ist, namentlich wo es sich um Verhandlungen gegen Offtziere handelte. Wir haben in der Millitärstrafprozeßordnung dem obersten Kriegsherrn das Recht ein⸗ geräumt, Verordnungen zu erlassen, wann er im Interesse des Dienstes es für geboten erachtet, die Oeffentlichkeit auszuschließen. Es ist nun durch den „Vorwärts“ eine Allerhöchste Ordre veröffent⸗ icht worden, die sich gegen die Oeffentlichkeit eines gewissen Prozesses gerichtet hat. Ich halte es für äußerst bedenklich, wenn nachträglich nicht durch das Reichsmilitärgericht, sondern voon einer anderen Stelle aus eingeschritten wird. Das ganze
Vertrauen in das Militärstrafverfahren beruht darauf, daß die Be⸗ völkerung die Ueberzeugung gewinnt, das ven sei ebenso
nabhängig wie das Zivilgericht. Es sollte nichts geschehen, was geeignet ist, dieses Vertrauen zu erschüttern. Es ist nicht einzusehen, wes alb die Oeffentlichkeit ausgeschlossen wird, wenn zwei junge Leutnants auf der Straße ihren Ulk treiben und nun der eine sich egen den Schutzmann auflehnt, der ihn notieren will. Auffallend st auch die Verschiedenheit der Strafen gegen Vorgesetzte und Unter⸗ gebene. Redner erinnert u. a. an den bekannten Fall in Dessau, wo in gemeiner Soldat mit Zuchthaus bestraft wurde, und wendet sich dann, nachdem er namens seiner Partei erklärt, daß sie an dem Flotten⸗ programm festhalte, gegen eine Bemerkung, welche der Reichsschatzsekretär über den Fonds zur Einführung der Witwen⸗ und Waisenversorgung ge⸗ macht hat. Das Zentrum sehe diesen Fonds, der aus den Mehreinnahmen aus den Nahrungsmittelzöllen thesauriert werden solle, gls einen Fonds der Aermsten an und werde an ihm nicht rütteln lassen. Die soziale Frage bestehe nicht nur für die Arbeiter, sondern in großem Umfange auch für den unteren und 89 den mittleren Beamtenstand dem also ebenfalls die Fürsorge aller gese gebenden Faktoren zu teil werden müsse. Redner schließt mit einer Erwiderun auf den Appell des Präsidenten an das Haus, dem Absentismus zu ent⸗ agen. Dieser Appell sei gewiß berechtigt, aber es hänge nicht allein on dem guten Willen der Abgeordneten ab, hier Wandel zu schaffen. Möchte doch endlich einmal die Diätenfrage für den Reichstag gelöst werden. Gerade jetzt, wo es sich um so hohe Neuforderungen und m neue Steuern handele, müßten die Vertreter des deutschen Volkes in größter Anzahl bei der Entscheidung zugegen sein. Wer olle denn sonst die Verantwortung für die zu fassenden Beschlüsse bernehmen und tragen? Möge also hier endlich ein Schritt vorwärts etan werden. „ Abg. Bebel (Soz.): Ich muß zunächst mich lebhaft darüber esschweren, daß der Reichstag anläßlich der außerordentlichen Aus⸗ JFPI die der südwestafrikanische Aufstand veranlaßt hat, nicht zu⸗ sammenberufen worden ist, um seine Zustimmung zu diesen Ausgaben zu geben. Es ist freilich nicht das erste Mal, daß der Reichstag in ieser Weise behandelt, ich möchte sagen, mißachtet wird. Wenn es etzt wieder geschehen ist, so sind Sie (zur Kehrheit) selbst schuld. Es wird Ihnen zuteil, was Sie verdient haben. Wären Sie vor Jahren, als es sich um die chinesische Expedition handelte, mann⸗ after gewesen, so würde die Regierung diese Behandlung nicht zum zweiten Male gewagt haben. Dagegen protestieren wir auf das Fentschiedenste und energischste, gegen eine Mißachtung des Deutschen Rieeichstags, wie sie in keinem Lande der Welt möglich wäre. Wir hätten wenigstens im Oktober sollen. An Be⸗ atungsstoff fehlt es uns wahrhaftig nicht. Wir werden auch in jeser Session wieder erleben, daß das Initiativrecht des Reichstags vollständig in die Brüche geht. Das Zentrum weiß dies ganz ut, es ist ja schon im vorigen Jahre dazu übergegangen, seine nitiativanträge in die Form von Resolutionen zu kleiden. Was dem Vorredner ein ganz besonderes Pathos abgezwungen hat, war die Diätenfrage. Verlangen die Herren von der Regierung, daß sie für ihre Arbeiten bezahlt werden, so haben die Volksvertreter dasselbe Recht. Aber daß die Anträge, die wir hier Dutzende Mal gestellt und angenommen haben, immer wieder in den Papierkorb ge⸗ wandert sind, hat auch wiederum der Reichstag seiner Energielosigkeit zu verdanken. Ein Parlament bekommt eben die Behandlung, die s verdient. Der Reichshaushaltsetat befindet sich in einer außer⸗ ordentlich traurigen Lage, er ist der schlimmste, der dem Deutschen Reichstag seit seiner Existenz vorgelegt ist. Nach dieser Richtung verdient es Anerkennung, daß die Ausführungen des Reichs⸗ eee nicht die eringft⸗ Unklarheit übrig gelassen haben. enn wir dem Steaatssekretär vor seiner Rede den Eid hätten abnehmen wollen, nichts zu verschweigen und nichts hinzu⸗ zusetzen, er hätte nicht besser reden können. Ich bedaure nur, daß nicht hier im Deutschen Reichstage wie im französischen Parlament die Sitte besteht, Reden, welche die besondere Zustimmung der Mehrheit gefunden haben, durch öffentlichen Anschlag auf Kosten des Steaates dem ganzen Lande bekannt zu eeben. Ich wäre der Erste, der einen dahin gehenden Antrag stellte. Die Rede des Staatssekretärs in
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deutung als die des Führers der Zentrumspartei. Aus seiner Rede würden wir über die Beschaffenheit des Etats herzlich wenig erfahren haben. Freilich, die Herren vom Zentrum befinden sich, wie allerdings recht häufig, in einer sehr fatalen Lage. Wohl hat sich Herr Spahn alle Mühe gegeben, die Verantwortung seiner Partei für diesen Etat auf die Mehrheit des Reichstags abzuwälzen, aber Sie (zum Zentrum) tragen die Verantwortung, allerdings in Ge⸗ meinschaft mit der Regierung. Durch die Militär⸗, die Marine⸗, die Kolonialpolitik, durch das, was man mit dem einen Worte „Welt⸗ politik“ zusammenfaßt, in die wir seit 1901 Uiaeiigestene sind, trotz⸗ dem sich das Zentrum noch bei der Jubiläumsfeier des Deutschen Reiches dagegen verwahrt hatte, sind wir so tief in den Sumpf hineingekommen. Alles, was in Marine⸗ und Militärpolitik in den letzten Jahren gemacht ist, haben Sie (zum Zentrum) nicht nur durch Ihre Zustimmung unterstützt, sondern es ist in bezug auf die
ormulierung der Gesetzentwürfe in erster Linie Ihr Werk. So sind
ie diejenigen, die die vollste Verantwortung für die gegenwärtigen ungünstigen finanziellen Verhältnisse zu übernehmen haben. Ich habe mich geradezu geschüttelt vor Lachen, als der Redner trotz der kolossalen Aufwendungen auf anderen Gebieten den Staatssekretär inständigst bat, nur ja mit Neuanstellungen am Biologischen Institut und am Reichs⸗ gesundheitsamt recht vorsichtig zu sein. An diesen paar tausend Mark üͤbt der Abg. Spahn eine eingehende Kritik in einer Etatsrede. Diese beiden sind noch die einzigen Institute, die wir als Kulturinstitute ansehen können. Der Vorredner sprach von der Steuerpolitik des Reiches. Ich glaube sehr, daß auch die Handelspolitik vom Bankerott getroffen wird. Ich glaube, es werden auch da die Erwartungen und Früchte ausbleiben, es wird auch da alles anders kommen als es bisher gekommen ist. Wie sich schon der Abschluß der Handelsverträge ganz anders gestaltet hat, als die Herren an jenem berühmten De⸗ zembertage des Jahres 1902 ausgesprochen haben — wer erklärte denn bei der Zollvorlage, schon im nächsten Juni würden dem Reichstage alle Handelsverträge vorgelegt werden können? Es war Herr Bassermann, der dabei mitwirkte, daß unter Bruch der Geschäftsordnung und der Verfassung der Zolltarif zustande ge⸗ bracht wurde.
Vizepräsident Dr. Paasche: Sie haben nicht das Recht, einem Abgeordneten vorzuwerfen, daß er unter Bruch von Geschäftsordnung und Verfassun einen Gesetzentwurf zustande gebracht habe.
Abg. Bebel (fortfahrend): Ich habe es nicht einem Abgeordneten vorgeworfen, sondern der Mehrheit. 8
Vizepräsident Dr. Paasche: Sie haben gesagt, der Abg. Basser⸗ mann sei schuld daran. Ich nehme von dem, was ich gesagt habe, nichts zurück und rufe Sie zur Ordnung.
Abg. Bebel (fortfahrend): Durch diesen Ordnungsruf wird nur unterstrichen, was ich gesagt habe. Herr Spahn will wiederum die Matrikularbeiträge erhößen. Er meinte, es müßte ein Weg beschritten werden, nach dem die Matrikularbeiträge nicht nach der Kopfzahl, sondern nach der Leistungsfähigkeit der Einzelstaaten erhoben werden. Ja, verehrter Herr Abg. Spahn, das ist ja seit Jahrzehnten die Frage. Es ist bis heute kein Kolumbus aufgetreten, der das richtige Ei dazu gefunden hätte. Diese Frage zu lösen, ist Sache des
entrums. Ich bin allerdings gespannt, wie es sie lösen wird. Heute macht Herr Spahn das Geständnis, daß die Aermsten von den Verteuerungen der Nahrungsmittel durch die Zölle getroffen werden, deshalb dürfe der Fonds nicht angetastet werden. Bei den Zolltarif⸗ verhandlungen ist das immer von Ihnen bestritten worden; jetzt akzeptiere ich sehr gern Ihr direktes Zu eständnis. Herr Spahn klagt über die Zuschahan eihe Diese Zuschußanleihe ist verfassungswidrig; die Mehrheit des Reichstags hat sich schon einmal darüber hinweg⸗ gesetzt und wird es wieder tun. Das fällt ja heute nicht weiter auf, wo es die Regierung des größten Bundesstaates, wo es die preußische Regierung fertig bringt, ganz ruhig Gesetzentwürfe im preußischen Landtage einzubringen und beraten zu lassen, die gegen den klaren Wortlaut der Verfassung verstoßen. Die Einnahmeposten des Etats für 1905 sind zum Teil ganz unbefriedigend. Die Schaumweinsteuer, eine Luxussteuer, unergiebig wie alle Luxus⸗ steuern, weist kein Plus auf. Wie verkehrt dieses Steuersystem ist, hat ganz 1 ennd die Zuckersteuerpolitik erwiesen; seit man gezwungen worden ist, die Verbrauchsabgaben wesentlich herabzusetzen, hat sich der Konsum unerwartet stark gehoben, und im neuen Etat sind 14 Millionen mehr ausgeworfen. Bei den anderen 1900 beschlossenen Einnahmeerhöhungen 88 ebenfalls Mindereinnahmen zum Ansatz gekommen. Die Reichsschuld ist allein in diesem Jahre von 3200 auf 3600 Millionen gestiegen; von 1888 ab ist die Reichsschuld von 726 Millionen auf diese ungeheure Höhe gelangt. Und dabei gingen in der großen Prosperitätsepoche von 1895 bis 1900 alle Einnahmen weit über die Etatsanschläge hinaus. Heer, Marine und Kolonialpolitik sind allein die Ursache dieser Schuldenlast. Und nun sehen wir den Aufstand in Südwestafrika in immer stärkerem Maße um sich greifen. Das ist doch gerade die Aufgabe des Politikers, über die Nase hinauszusehen. Unsere Diplomatie und auch die Mehrheit des Reichstags aber war entrüstet, als ich im Februar prophezeite, daß wir mit den damaligen Nachtragsforderungen nicht davonkommen würden. Und was stellt sich jetzt heraus? Ich habe noch viel zu wenig prophezeit. Was wir dort ernten können, ist nicht im entferntesten das wert, was wir dort opfern müssen an Gut und Blut. Die einzige Landungsmöglichkeit in Swakopmund ist durch die Zerstörung der Mole beseitigt; jetzt soll sie neu angelegt werden. Nach einer Reihe von Jahren wird sie wieder von den Elementen zerstört werden, und dann muß von vorn angefangen werden. Es wird eine allerdings kleine Summe gefordert für den Bau einer Bahn von Windhuk nach Keetmanshoop. Mit dieser Strecke wird es nicht sein Bewenden haben. Weitere Forderungen werden folgen, an Vorwänden wird es ja nicht fehlen. Die Regierung hat darin Schwein. In Kamerun ist infolge eines Aufruhrs ein Blutbad angerichtet von unserer Seite, wie es immer geschieht. Welchen Vorteil hat der deutsche Handel von der Kolonialpolitik? Der ganze Handel in Einfuhr und Ausfuhr beläuft sich nur auf 33 Millionen. Wenn wir bedenken, wie viel wir dafür ausgeben, und wie wenig zum Schutz unseres übrigen Handels, so muß man sagen: daß die Flotte den Handel schütze, ist eine bloße Phrase, die nur geschadet hat. Eine schöne Phrase ist auch die von dem „Platz an der Sonne“. Ein chinesischer Mandarin hat auf einem Schiff zu einem Reisenden gesagt, er könne manches begreifen, aber nicht, wie man ein Drecknest wie Kiautschou habe erwerben können. Dort kann alles kosten, was es will, wenn es nur eine Kolonie ist. Millionen über Millionen werden in das Faß hineingetan, gleichgültig, was dabei herauskommt. Für Kiautschou werden in diesem Jahre 2 Millionen Mark mehr gefordert, während es doch weniger werden sollten. Aus Kiautschou werden nach Deutsch⸗ land ausgeführt 0,0, nach Kiautschou von uns über 10 Millionen. Mit Japan haben wir einen aktiven Handel, beinahe so gut wie mit China. In Kiautschou ist gar kein Fortschritt gemacht worden; es steht genau so wie vor sechs Jahren. Mit welchem Recht bleiben wir überhaupt in China? as haben wir dort zu suchen? Oder wollen wir etwa in den Streit zwischen Rußland und Japan eingreifen? Das könnte uns 1. fehlen, daß man mit der Vorwitzigkeit vorginge, die für unsere Verhältnisse charakteristisch ist. Man spricht von der deutschen Ehre. Wo man einmal ist, da bleibt man auch sitzen, es koste, was es wolle. Die Heeresvorlage hat der Kriegsminister hinsichtlich der finanziellen Wirkung so elegisch besprochen, wie ich es bisher nie von einem Kriegsminister gehört habe. Er hat einen Bruder, der nicht mehr so klein, sondern gleichberechtigt ist und ihm ein gutes Stück abschneidet: das ist der Marineminister. Das
Reich kann allerdings nicht bankerott machen, es sind auch die Einzel⸗
staaten da. Aber es gibt darunter auch solche, die gar nichts mehr tun können, die bereits am Abschnappen sind. Eine Erdrosselung wird aber notwendig sein, wenn nicht andere Steuerquellen eröffnet werden. Die Einführung der zweijährigen Dienstzeit kostet 4 Millionen. Ueberrascht hat mich, daß der Vorredner kein Wort über die gesetzliche Festlegung dieser zweijährigen Dienstzeit gesagt hat. Für uns hat diese Festlegung gar keinen Wert, denn der Kriegs⸗ minister hat gesagt, daß finanzielle Rücksichten die Verwaltung
bezug auf die Würdigung des Etats ist von ungleich größerer Be⸗
dazu zwingen. Die gesetzliche Festlegung hat für die Regierung
sogar den Vorteil gewisser Kompensationen, von denen früher nicht die Rede war, und fü die der Reichstag früher nicht zu haben gewesen wäre. Wir sind durchaus Verteidiger der allgemeinen Wehr⸗ pflicht, das konstatiere ich ausdrücklich gegenüber gewissen Ver⸗ dächtigungen von bestimmter Seite. Die Voraussetzung dieser
allgemeinen Wehrpflicht ist die zweijährige Dienstpflicht, der auch der
Kriegsminister sein Lob gespendet hat. Gegenüber der großen Zahl
der Soldatenmißhandlungen muß man fragen: Ist denn in der Armee auch alles nötig, was gelehrt wird? Das wird von sachverständiger Seite bestritten. Die Resultate der früheren 20 wöchigen Reservistenausbildung waren geradezu ausgezeichnet. Das beweist, daß eine weitere Verkürzung der Dienstzeit durchgeführt werden kann. In der französischen Armee ist in der letzten Zeit die zweijährige Dienstzeit auch für die Artillerie und Kavallerie durchgeführt worden. Bei uns würde man das für unmöglich halten. Ja, der französische Generalstab und die Offiziere nehmen es ganz mit dem unseren auf, und die sind anderer Ansicht; und doch herrscht in der französischen Armee eine Freiheit, wie sie bei uns undenkbar ist. Das demokratische Frankreich hat das Einjährigenjahr abgeschafft. Was nützen uns die großen Paraden auf dem Tempelhofer Felde, auf die alles zugestutzt und derentwegen alles zurückgestellt wird! Hätten wir diesen Paradedrill nicht, so könnte man vie Zeit und Kosten für andere Militärzwecke verwenden. Die Marsch⸗, Schieß⸗ und Turn⸗ übungen sollten von Jugend auf betrieben werden, wie es in Japan geschieht. Ueber den Wert der Kavallerie, die vermehrt werden soll, ist man verschiedener Meinung. Als Kriegswaffe hat die Kavallerie nach der Meinung französischer Offiziere keinen Wert. Das haben die Erfahrungen im Burenkriege gezeigt und nicht minder die Erfahrungen im russisch⸗japanischen Kriege, wie der Oberst Gädke im „Berliner Tageblatt“ mitgeteilt hat. Selbst die „Kreuzzeitung“ hat dies in gewissem Sinne zugegeben, denn sie schrieb, daß es heute zum Nahekampf kaum komme. Im Ernstfalle würde eine Kavallerieattacke, wie schon früher, ein Todesritt werden. Wie kann der Kriegsminister verantworten, daß bei einem Manöver der Höchstkommandierende dem Gegner alle Kavallerie nehmen ließ, damit er am nächsten Tage eine schöne Kavallerieattacke machen konnte? Man könnte viel ersparen, wenn man die Pferde für die Hauptleute der Infanterie abschaffte. Auch unsere Uniform ist einer Reform bedürftig.
Wenn man die Hälfte der Kavallerie für den Krieg nicht formierte,
so könnte man die Ersparnis für andere Zwecke, z. B. die neue Heeresvorlage verwenden. Bei einer gründlichen Reform könnten Dutzende und aber Dutzende von Millionen jährlich erspart werden. Der Marineetat verlangt zwar nicht mehr als im vorigen Jahre, aber er wird uns noch Geld genug kosten. Die Entwickelung der Marine hat dazu geführt, daß wir eine ganz kolossale Belastung schon dadurch auf uns haben. Der Kapitänleutnant Ruß hat voll⸗ ständig recht, wenn er sagt, das ist ein System, das in keinem Lande der Welt in ähnlicher Weise existiert. Der Reichskanzler hat einigen englischen Journalisten die Versicherung gegeben, daß Deutschland niemals an einen Krieg mit England denken würde. Es wäre mir viel lieber gewesen, wenn der Reichskanzler, anstatt englischen Bericht⸗ erstattern Interviews zu gewähren, sich für verpflichtet gehalten hätte, hier im Reichstag bei der Etatsdebatte dem Beispiel des Reichs⸗ schatzsekretärs und des Kriegsministers zu folgen und uns sein Exposé zu geben. Das konnten wir um so mehr verlangen, als durch die Vertagung des Reichstags diesmal eine Thronrede nicht gehalten wurde. Das ist eine große Mißachtung seitens des ersten Beamten des Reichs. Es war aber doch ganz gut, 8 der Reichskanzler den Journalisten das erklärt hat, weil in der Tat in England die öffentliche Meinung dahin geht, daß die deutsche Flottenrüstung nur gegen England gerichtet ist. Daran sind Sie aber selber schuld. eim Flottengesetz erschien eine Broschüre nach der anderen von den Herren a. D. und z. D., in denen gerade mit Rücksicht auf England auf die Notwendigkeit einer größeren Flotte hingewiesen wurde. Und wie oft wurde bei den damaligen Verhandlungen das Beispiel Englands betont Die Broschüre des Kapitänleutnants Ruß gibt sehr zu denken. Sie sollte eine Veranlassung sein, nachzuprüfen, was davon wahr ist. Es ist eine Tatsache, die niemand von Ihnen bestreiten wird, daß gerade in den Kreisen der Offiziere der Armee der Reichstag in bezug auf seine Urteile und Beschlüsse nur Hohn und Spott erntet, daß es heißt, der Reichstag verstehe davon nichts. So ist denn auch alle Aussicht vorhanden, daß die Forderungen der Regierung keine Ab striche, sondern eine erhebliche Erhöhung erfahren werden. De Reichsschatzsekretär hat es schon offen ausgesprochen, daß nach seiner Meinung die höheren Einnahmen aus den Handelsverträgen seh gaüng sein werden. Graf von Posadowsky ist als betrübter Lohgerbe aus Wien zurückgekehrt. Was wir sonst von den Handelsverträgen zu erwarten haben, ist noch dunkel; es werden wohl auch hier die
Erwartungen nicht erfüllt werden. Ein wahres Glück, daß Rußland
durch den japanischen Krieg bis über die Ohren in der Patsche sitzt und gezwungen war, einen Handelsvertrag mit Deutschland ab⸗ zuschließen. Oesterreich⸗Ungarn befindet sich in einer anderen Lage. b wir zu einem Zollkrieg kommen oder nicht, zweifellos müssen neue Einnahmequellen geschaffen werden. Ich hoffe, daß das Zentrum sich dann seiner Resolution von 1900 erinnern wird, daß keinerlei Er⸗ höhungen für Artikel des Massenkonsums eintreten sollen. Wenn Sie diejenigen, die aus den Militär⸗ und Marinelasten die größten Vor⸗ teile haben, wenn Sie die Interessenten wirklich treffen wollen, so können Sie es nicht anders als durch eine Reichseinkommen⸗ und Ver⸗ mögenssteuer. Damit treffen Sie die großen Industriellen des Reiches. Die Rheinisch⸗Westfälische Zeitung“, das Organ einer Clique von Leuten, die buchstäblich im Reichtum ersticken, die nicht mehr wissen, wohin mit ihren Millionen, hat vor ein paar Tagen ausgesprochen, ihre (die nationalliberale) Partei müsse darauf dringen, daß der Fiskus mehr fordere als bisher. Aber dieselben Leute, die in den letzten Jahren Vermögen aufgehäuft haben, die an amerikanische Verhältnisse erinnern, dieselben Leute sind nicht zu haben, wenn sie einmal ein paar Groschen auf dem Altar des Vaterlandes opfern sollen. Das fällt ihnen nicht ein. Wenn Sie das Einkommen, das bei diesen Klassen nach Hunderttausenden, ja Millionen zählt, mit 20 % Steuer für nationale Rüstungszwecke heranziehen, dann haben diese Klassen noch überreichlich zu leben. Wenn wir jetzt schon in Friedenszeiten alles, was Steuern tragen kann, mit Steuern belasten, wenn wir trotzdem genötiat sind, von Jahr sn Jahr die Schulden des Reiches bedeutend zu erhöhen, dann frage ich Sie, was soll einmal werden, wenn dieser ganze ungeheure Apparat im Ernstfall in Wirk⸗ samkeit treten soll? Wenn Sie diese Frage nicht beantworten können, dann ist das ganze System, das Sie vertreten, einfach dem Unter⸗ gange geweiht. (Lachen bei der Mehrheit.) Lachen Sie nur, wer zuletzt lacht, lacht am besten! Das eine sage ich Ihnen, wir wünschen nicht, daß jemals die Stunde kommen wird, wo wir in einen Krieg verwickelt werden, aber das Resultat eines Krieges würden wir alle einheimsen müssen. Auch wir sind an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit an⸗ gelangt. Wir können nicht mehr Mannschaften aufbieten. Früher spielte bei solchen Heeresvorlagen auch Rußland eine große Rolle. Da hieß es, Rußland habe seine Armee um so und so viel vermehrt. Ach, das stand alles auf dem Papier. Im jetzigen Kriege sehen wir, was seine Kavallerie, seine Artillerie, seine neuen Waffen leisten. Wir haben einen Zusammenbruch des dortigen militärischen Systems. Das ist ein Glück für uns, und auch für das russische Volk. Dies sehnt sich förmlich nach einer solchen Niederlage. Dann wird die russische Hüchonderan die seit 1871 auf Europa lastet, be⸗ seitigt. Das veffic Prestige ist auf Jahrzehnte finanziell und militärisch vernichtet, auch wenn es in diesem Kriege siegen sollte. Wenn im nächsten Jahre die hundertjährige Schlacht bei Jena gefeiert werden wird, dann hat das deutsche Volk keinen Anlaß zur Trauer, sondern nur das offizielle Preußen; das Volk könnte eine Siegesfeier veranstalten. Man hört jetzt viel von Schiedsgerichten, von Friedensverträgen usw. Ich erinnere an Nordamerika und den Depeschenwechsel. Aber von der Hauptsache ist bei diesen Verträgen nicht die Rede, von der Beilegung der Poben Kämpfe. Könnte man nicht einen internationalen Tag bilden? ie Vertreter der verschiedenen Nationen wären in der Lage, dabei sehr wohltätig zu wirken. Roosevelt hat auf der einen Seite eine Einladung zur zweiten Friedenskonferenz unterschrieben und auf der
fachsten Grundrechte des Arbeiters
sehr laxe ist.
der Demütigung Preußens vor
recht für die Staatsarbeiter? Der Minister von Budde hat einen Erlaß
8 2 eine neue Flottenvorlage unterzeichnet. Er hat dann den tücegen Ruhm eines Weltheilands. Den Amerikanern kommt es eben in erster Linie auf das Geschäft an, und auch wir Sozialdemokraten aben keine Veranlassung, die amerikanische Handels⸗ und Militär⸗ politik gutzuheißen. Solche Widersprüche sind einmal mit dem Wesen der bürgerlichen Gesellschaftsordnung unzertrennlich verbunden. reiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit steht ja heute noch auf allen öffent⸗ lichen Gebäuden, Kirchen, Kasernen Frankreichs. Kommt es aber zur Tat, so muß diese Gesellschaft heucheln. Es entspricht nicht unseren Interessen und unserer Würde, wenn unsere Beziehungen zu Rußland sich in Formen kleiden, wie wir es erlebt haben. ‚Ruß⸗ lands Trauer, Deutschlands Trauer“ hieß es. Das macht den Eindruck der Parteilichkeit gegenüber dem russischen Koloß. Es scheint ein Vertrag zwischen Rußland und Deutschland zu be⸗ stehen, nach dem wir die russischen Militärflüchtlinge ausliefern müssen. Mehrere Fälle von Ausweisungen russischer Arbeiter nach Rußland sind in der letzten Zeit bekannt geworden, sogar ein russischer Arzt wurde in Wirballen von Gendarmen vom Bett aus verhaftet und über die Grenze geschafft. Da stellt es sich heraus, daß die russischen Behörden den preußischen ge⸗ anc Uebersetzungen russischer Gesetze geliefert hatten, und anderes Unglaubliche mehr. In jedem anderen Lande wäre der Justizminister, dem ein solcher Prozeß zur Last fiel, mit Schimpf und Schande ent⸗ lassen worden; aber in Preußen kann so etwas nicht vorkommen. Trotz alledem und alledem von Preußen und vom Reiche stets und immer wieder das höflichste und demütigste Entgegenkommen! Wie der russische Kaiser 20 km von der Grenze eine Heeresschau ab⸗ hielt, wird der Oberpräsident von Ostpreußen und der Höchst⸗ kommandierende dort zur Begrüßung hingeschickt; wenn eine Jagd in der Nähe der russischen Grenze stattfindet, stehen auf der anderen Seite der Grenze russische Gendarmen in Reih und Glied, und man verteilt Zweimarkstückchen. Auf dem Schwarzen Meer wird ein deutsches Schiff von der russischen Flotte wie von Seeräubern über⸗ fallen und beraubt; von entrüsteten Revanchen, wie sie seinerzeit gegen England verlangt wurden, als es sich um einen ähnlichen Vorfall im Burenkriege handelte, diesmal kein Wort, denn Rußland ist ja unser lieber Freund, dem darf man so etwas nicht übelnehmen. Redner geht dann über auf die Handhabung der Justizpflege und be⸗ rührt unter anderem den Prozeß Schulz⸗Romeick. Wenn es nicht der Oberhofmeister der Kaiserin, sondern ein Sozialdemokrat ge⸗ wesen wäre, der ausgesagt hätte, er habe das Geld nicht empfangen, wisse aber auch nicht, wo die 325 000 ℳ geblieben seien, der Sozialdemokrat wäre sofort wegen Meineides angeklagt worden. Er würde vielleicht sofort abgeführt werden, wie jener unbestrafte Kellner Meyer in diesen Tagen im Ruhstrat⸗Prozeß. Und das ist, fährt der Redner fort, derselbe S von Mirbach, der immer das Christentum im Munde führt, der für Kirchenbauten sammelt, der jede Gabe, die nicht 200 ℳ erreicht, für lumpig erklärt. Welche Heuchelei, wenn man Millionen über Millionen für Kirchenbauten zu⸗ sammenbringt, und wenn für elende, kranke, verkrüppelte Kinder in Ostpreußen ein Pfarrer die öffentliche Mildtätigkeit durch Inserate aufrufen muß! Wenn Sie wirklich Christen sein wollen, dann sorgen Sie dafür, daß den Tausenden von Proletarierkindern, die in Berlin sogar ein Frühstück entbehren müssen, wenn sie in die Schule kommen, ein solches gereicht werde. Wo bleibt die Ver⸗ wirklichung des sozialen Programms des Kanzlers: die Gleich⸗ berechtigung der Arbeiter? Wo bleibt das Versprechen des Kaisers, die preußischen Staatsbetriebe sollen „Musteranstalten“ werden? Wohin wir steuern, das hat der Saarbrücker Prozeß gezeigt; die ein⸗ werden von den Staatsbehörden nit Füßen getreten. Und zu einer derartigen Staatsverwaltung ollen wir auch noch das geringste Vertrauen haben? Das sind die Zustände in dem Gegenwartsstaate des Grafen von Bülow. Torpedoboote sollen für russische Zwecke gebaut, auch Kanonen sollen n Rußland verkauft sein. Schiffe sollen allerdings an Private verkauft worden sein, um zu Hilfskreuzern verwandt zu werden. Das zeigt, daß die Wahrung unserer Neutralität mindestens eine Die russische Freundschaft treibt immer weitere Ein russischer Assistent war auf Veranlassung der russischen hiesige Universztät geschickt. Er wurde nicht mmatrikuliert; er mußte erst ausweisen. Der Arzt hatte einen Paß des russischen Auswärtigen Amtes. Ich halte das Vorgehen der hiesigen Universitäts behörde einfach für skandalös, das uns vor dem Auslande bloßstellt. Es ist schlimm genug, daß unsere Universitätsbehörde eine so jammervolle Rolle spielt und nichts als Handlanger der Polizei ist. Wenn ich diese Zustände sehe, so wächst mein Respekt vor den alten Professoren ins Riesengroße, für die ich sonst nicht viel übrig hatte. Er erinnere an die Brandmarkung Rußland, die er als schimpflichste Demütigung bezeichnete. Es war ein preußischer Prinz, der sagte, daß russisches Gold sich bis in sein Vorzimmer gewagt habe. In dem bekannten Königsberger Prozeß hat die preußische Justiz eine furchtbare Blamage, eine Niederlage erlitten, wie sie er⸗ drückender nicht gedacht werden kann. Wo bleibt das Genossenschafts⸗
Blüten. Regierung an die
herausgegeben, der die Bedürfnisfrage aufwirft; noch Schlimmeres ist in Sachsen geschehen. Wollen Sie den Staatsarbeitern alle diese Rechte rauben, dann sagen Sie es offen heraus. Wo bleibt das deutsche Versammlungs⸗, wo bleibt das Koalitionsrecht? Ueberall geht es rückwärts, rückwärts! Auch nicht der mindeste Lichtblick, nicht der mindeste Fortschritt in dieser allgemeinen Wüste ist zu entdecken. Strebertum, Charakterlosigkeit, Feigheit ist neben der Heuchelei die Signatur unserer 8 „Man wagt nicht mehr zu sagen, was man denkt, und man sagt, was man nicht denkt!“ dieses Wort des Tacitus trifft auf die heutige Zeit mehr als je zu. Man sieht den Himmel voller Geigen; es wimmelt von Denkmalsenthüllungen, Heerde Monarchenbegrüßungen aller Art; kurz, man muß im Aus⸗ ande glauben, Deutschland sei ein “ Freudenhaus. Und der Kanzler sagt: Deutschland in der Welt voran! Jawohl, aber in Rüstungen und in Unterdrückung des Rechts; die Masse des Volkes steht im Kampfe für alles, was edel, gut und schön ist, und wird in diesem Kampfe seinen Mann stehen.
Reichskanzler Graf von Büͤlow: “
Meine Herren! Was der Herr Abg. Bebel soeben über Jena gesagt hat, daß das deutsche Volk Anlaß hätte, das Jubiläum von Jena zu feiern, hat mich nicht wundergenommen. Es stimmt ja dem Sinne nach mit dem überein, was er auf dem sozialdemokrati⸗ schen internationalen Parteitage in Amsterdam über Sedan gesagt haben soll (sehr richtig! rechts): daß er es sich wohl gefallen lassen würde, wenn auch wir einmal ein Sedan erlebten.
Der Herr Abg. Bebel hat weiter gemeint, die Früchte eines großen europäischen Krieges würde in erster Linie die Sozial⸗ demokratie davontragen. Diese Auffassung halte ich für richtig, und das ist ein Grund mehr, warum die Regierungen aller großen Länder, wie ich hoffe, festhalten werden an ihrer jetzigen ruhigen und be⸗ sonnenen Friedenspolitik. Das ist aber auch der innere Grund für die Art und Weise, wie die Sozialdemokratie sich zu dem ostasiatischen Konflikt stellt. Ich habe schon im vergangenen Frühjahr den Aufsatz eines der erleuchtetsten Köpfe der sozialdemokratischen Partei vor⸗ gelesen, einer Hauptfeder der sozialdemokratischen Partei, des Herrn Dr. Kautsky, wo er eingehend darlegte, daß die Sozial⸗ demokratie den gegenwärtigen ostastatischen Krieg benutzen müsse, um überall den Regierungsantritt der Sozial⸗ demokratie, die Diktatur des internationalen Proletariats vorzubereiten. Die Sozialdemokratie will ja gar nicht, daß wir dem ostasiatischen Krieg gegenüber neutral bleiben. In Wirklichkeit möchte
Druck der öffentlichen Meinung hervorbringen, wärtigen Politik Schwierigkeiten zu bereiten, um Hindernif den Weg zu legen, und am letzten Ende vielleicht, um ein kriegerisches Durcheinander hervorzurufen, wobei eben dann der Weizen der Sozial⸗
demokratie blühen könnte.
gegenüber dem ostasiatischen dieser Partei sich nicht gegen Rußland in solchen Angriffen ergehen, wie wir sie soeben gehört haben, 1 spruch zu der neutralen Haltung stehen, die wir gegenüber dem ostasiatischen Krieg revolutionäten Einmischung in die Länder wollen wir aber nichts wissen. haben gar nicht das Recht, in die hältnisse gar nichts an. Die die Russen unsere Verhältnisse angehen. Einmischung des Auslandes haben wir auch nicht das Recht, bei zuschmeißen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten. rechts.) Sie wollen international sein, nationalen Beziehungen! Sie predigen gegen den Krieg, und Sie suchen selbst den Krieg herbei⸗ zuführen. (Sehr richtig! rechts.) Sie nennen unsere ruhige und be⸗ sonnene Politik eine abenteuerliche Politik, die überall Händel suche, und Sie empfehlen uns eine Politik, die, wenn wir sie einschlagen wollten, uns in Schwierigkeiten mit aller Welt verwickeln würde.
11“
um unserer aus⸗ uns Hindernisse in
Wenn die Sozialdemokratie wirklich eine neutrale Haltung Krieg wollte, so würde der Führer
Angriffe, die im direkten Wider⸗
haben. Von einer solchen inneren Verhältnisse anderer (Sehr richtig! rechts.) Wir inneren russischen Ver⸗ (sehr wahr! rechts); die gehen uns gehen uns ebenso wenig vetwas an, wie
Wenn wir uns jede ernstlichste verbitten, so anderen die Fenster ein⸗ — Sehr richtig! und Sie gefährden die inter⸗ rechts und in der Mitte.)
einzunehmen
hineinzureden
auf das
(Sehr richtig!
(Sehr richtig! rechts.)
Wenn übrigens der Herr Abg. Bebel sich in dieser Weise gegen die russische Autokratie echauffiert, so spottet er seiner selbst und weiß nicht wie. (Sehr gut! rechts und in der Mitte.) Die im vorigen Jahre hier sattsam erörterte Art und Weise, wie der geehrte Herr Abgeordnete seine eigene Partei leitet, steht ja ungefähr auf der Höhe des Zustandes, der ihm in Ruß⸗ land nicht gefällt. (Große Heiterkeit.) Die Freiheit, die er seinen Gesinnungsgenossen und den publizistischen Organen seiner Partei ein⸗ räumt, die gleicht ungefähr dem Grade von Freiheit, der ihm in Ruß⸗ land nicht genügt, und die Ordnung der Dinge, die er herbeiführen möchte, die Zukunftsgesellschaft, die er bei uns etablieren will, würde jeden Despotismus in den Schatten stellen. (Zuruf bei den Sozial⸗ demokraten.) Werden Sie erst selbst wirklich liberal, begreifen Sie erst selbst das Wesen wahrer Freiheit, bevor Sie unter Störung unserer internationalen Beziehungen die Freiheit bei anderen importieren wollen. (Beifall rechts.)
Der Herr Abg. Bebel ist auch auf die Zwischenfälle ein⸗ gegangen, die sich im vergangenen Sommer und vor einigen Wochen ereignet haben: die Aufbringung einiger deutschen Handelsschiffe und die Beschießung des Geestemünder Fischer⸗ dampfers „Sonntag“. Sobald die ersten Nachrichten über diese Zwischenfälle bei uns eingetroffen waren, haben wir sofort eingegriffen. Ich freue mich, sagen zu können, daß die russische Regierung unseren berechtigten Forderungen sogleich und willig entgegengekommen ist. So ist es möglich gewesen, diese Zwischenfälle glatt und rasch aus der Welt zu schaffen.
Sie wissen, meine Herren, daß die Fragen des Seerechts und Völkerrechts, die dabei in Betracht kommen, sehr streitiger, daß sie ver⸗ wickelter Natur sind. Um so ratsamer schien es mir, den Versuch zu machen, in jedem einzelnen Falle diese Zwischenfälle auf diplomatischem Wege aus der Welt zu schaffen. So haben es übrigens auch die anderen Regierungen gemacht, die sich in derselben Lage befanden wie wir. Sie haben auch den Weg diplomatischer Verhandlung beschritten. Sie haben sich auch be⸗ strebt, diese Fragen in einer Weise zu behandeln, die nicht notwendig zu Konflikten führen mußte.
Das war freilich nicht nach dem Sinn mancher Leute, die gerade bei diesem Anlaß ein besonders forsches Vorgehen von uns verlangten. Namentlich im sozialdemokratischen Lager zeigte sich damals — das klang ja noch in der Rede des Herrn Abg. Bebel nach — eine leb⸗ hafte Sehnsucht nach der gepanzerten Faust (hört, hört! rechts), die Ihnen doch sonst nicht sympathisch ist. Da wurde mir schon im Sommer, ich war noch in Norderney, geraten, ich möchte, ohne eine russische Erklärung abzuwarten, die deutsche Flotte ohne weiteres nach Kronstadt schicken. (Heiterkeit.) Und als nun der Geeste⸗ münder Fischerdampfer „Sonntag“ beschossen wurde, — da muß ich eine Parenthese eröffnen: Ich konstatiere hier, an der Hand der mir vorgelegten Species facti, daß an Bord des „Sonntag“ niemand verletzt worden ist, daß der Dampfer selbst unbeschädigt geblieben ist — nur ein Tau ist zerbrochen, man weiß aber nicht, ob infolge eines Schusses —, und daß der Schadensersatz, den die Reederei beansprucht, sage und höre auf 3065 ℳ berechnet wird. Der Land⸗ rat in Geestemünde glaubt, daß eine Entschädigung von 1500 bis 2000 ℳ ausreichen würde. Also als sich dies Ereignis zutrug, da wurde der Lärm im sozialdemokratischen Lager ganz fürchterlich. Der Herr Abg. Bebel hat eben gesagt: über allen Wipfeln ist Ruh! Na, ich danke. (Heiterkeit.) Ich habe mir die damaligen Auslassungen seines Moniteurs, des leitenden Blattes der sozial⸗ demokratischen Partei, des „Vorwärts“, vorlegen lassen, da hieß es, sobald die erste Nachricht über die Beschießung des „Sonntag“ ein⸗ getroffen war, als ich noch gar nicht die Möglichkeit gehabt hatte, irgend welche Schritte zu unternehmen:
„Die deutsche Regierung nimmt sich ungeheuer viel Zeit, um auch nur die Tatsache dieses frechen Russenstreiches festzustellen. Wenn sie in dem gleichen Schneckentempo die Sache weiter ver⸗ folgt, wird sie lange Zeit brauchen, um mit einer Sühneforderung an Rußland heranzutreten.“ 8
Weiter hieß es in einem anderen Artikel des Vorwärts: 8
„Was speziell Deutschland anlangt, so muß mit dem größten Nachdruck gefordert werden, daß Deutschland erstens zu der allge⸗ meinen Verletzung des Völkerrechts schleunigst Stellung nimmt, und daß es zweitens sofortige Aufklärung über den aus Geeste⸗ münde gemeldeten Fall erteilt. Jedes Schweigen muß den Ein⸗ druck erwecken, als wenn Deutschland dem unsäglich unwürdigen
Russendienst noch einen neuesten allerschmählichsten hinzufügen
wollte. Einerlei, wie Graf Bülow und seine Leute über
das Völkerrecht und nationale Würde denken mögen, das deutsche
Volk hat zu verlangen, daß die Regierung sich nicht länger der
Verachtung anderer Nationen preisgibt.“
Und dasselbe Kriege
Die radikale Presse sekundierte in diesem Fall der sozialdemo⸗
kratischen. Die „Volks⸗Zeitung“ brachte einen überaus schneidigen Leit⸗ artikel unter der Ueberschrift: „Bülow heraus!“ Heiterkeit.)
(Große andauernde Da hieß es:
„Was wird der Deutsche Reichskanzler tun, um für dieses allem 8 Völkerrecht hohnsprechende, an die Praxis der marokkanischen See⸗- räuber erinnernde Gebaren Genugtuung zu verlangen 88 Selbst das „Berliner Tageblatt“, welches in auswärtigen Fragen
mitunter verständig ist, wurde ganz wild (Heiterkeit) und schrieb:
„Hoffentlich zeigt unsere Regierung diesmal, daß sie von den Russen sich ebenso wenig die Butter vom Brote nehmen läßt wie das Kabinett von St. James.“ 8
Warum eigentlich, meine Herren? Sie
unerhört, als wir vor zwei Jahren die haitianischen Insurgenten auf
die Finger klopften, die widerrechtlich ein deutsches Handelsschiff ge⸗ kapert Wahrung in Venezuela wie besessen
unschuldiger Missionare und des deutschen Gesandten durch di
chinesischen Boxer nicht dulden wollten; Sie verhielten sich ganz ruhig, als die Herero armen deutschen Farmern den Hals abschnitten; Sie wünschten, daß wir die Herero um Frieden bitten möchten; Sie wollen, daß wir das Hereroland wieder räumten. Zwischenfällen, vorgekommen
russischen Regierung, uns jede Genugtuung zu gewähren, und obwohl die anderen Mächte, die sich in derselben Lage befanden wie wir, diese Zwischenfälle ganz versöhnlich sofort vom Leder ziehen sollten. Mitte. Zurufe von den Sozialdemokraten.) — ab, Herr Vorgehen von vollem Erfolge gekrönt war, da fand der „Vorwärts“, daß unsere Haltung außerhalb jeder Kritik läge. Engländer waren damals der Sozialdemokratie nicht forsch genug. (Hört, hört!) Zwischenfall von der Doggerbank hatte, da schrieb der. „Vorwärts“:
hatten; Sie protestierten, lärmten, als wir in völkerrechtswidrig geschädigter deutscher Interessen einschritten (hört, hört! rechts); Sie schrien (Heiterkeit), als wir die Ermordung deutscher
Aber bei wie sie Neutralen gegenüber in Seekriegen öfter sind, trotz der augenscheinlichen Bereitwilligkeit der
nahmen, da wollten Sie, daß wir (Hört, hört! rechts und in der Warten Sie nur korrektes und verständiges
Bebel! — Als unser
Aber selbst die
Als zur Befriedigung aller vernünftigen Leute der seinen akuten Charakter verloren
„Der jetzige Ausgang des Konflikts ist für England keineswegs
so rühmlich, wie es anfangs den Anschein hatte. England hätte unter diesen Umständen trotz alles Säbelrasselns ziemlich klein beigegeben.“ sozialdemokratische Blatt, das so oft behauptet hat, und Konflikte gingen nur hervor aus der gegenwärtigen Ordnung der Dinge, aus unserer heutigen bürgerlichen Gesellschafts⸗ ordnung, das so oft erklärt hat, im Zukunftsstaat würde es keine Krisge und keine Konflikte mehr geben, — ach, Herr Bebel, was haben Sie selbst darüber für nette Sachen geschrieben in Ihrem Buche „Die Frau“. (Große Heiterkeit.) Was habe ich da für hübsche Sachen gelesen über das idyllische Friedensdasein, das einst auf dieser Erde unter Ihrer Leitung herrschen würde. (Heiterkeit.) Dieser selbe „Vorwärts“ schrieb, als zur Genugtuung wiederum aller vernünftigen Leute der Huller Fall einem Schiedsgericht unter⸗ breitet wurde — ich bitte um die Erlaubnis, noch diesen Artikel ver⸗ lesen zu dürfen —:
„Noch unwahrscheinlicher dünkte uns die Petersburger Meldung, daß die englische Regierung der russischen den Vorschlag gemacht habe, den Zwischenfall einem Schiedsgericht gemäß der Haager Bestimmung zu unterbreiten. Würde sich England wirklich auf eine solche Verschleppung des Falles einlassen, so hätte es unstreitig an Prestige unendlich verloren. Wir zweifeln nicht daran, daß England sich vollständige Genugtuung verschaffen könnte, wenn es nur Rußland seinen unbeugsamen Willen zeigt. Es brauchte durchaus nicht das Baltische Geschwader in den Grund zu bohren, schon die ersten scharfen Schüsse würden Rußland zur Nachgiebigkeit zwingen. Eng⸗ land hat jetzt die beste Gelegenheit, zu zeigen, ob es wirklich auch mit einer Großmacht anzubinden wagt, oder ob es gleich anderen Staaten auch nur den Heldenmut besitzt, gegen winzige Kleinstaaten bramarbasierend vom Leder zu ziehen.“
Das, meine Herren, ist schon ein recht bösartiger Hetzversuch (sehr richtig! rechts), der erklärt, weshalb während und nach dem Huller Zwischenfall die Nachricht auftauchte, wir suchten Rußland und England zu entzweien. Wir, d. h. die vernünftigen Leute, die große Mehrheit dieses Hauses, haben das nie getan, aber andere Leute haben es versucht. (Sehr richtig!) 8
Der Gipfelpunkt dieser ganzen Kampagne war, daß nach dem Huller Zwischenfall, an dem wir gar nicht beteiligt waren, der uns nichts anging, der „Vorwärts“ uns im Namen der sozialdemokratische Partei aufforderte, sofort einen geharnischten Protest an Rußland z richten. (Heiterkeit. Zurufe von den Sozialdemokraten.) Damals schrieb der „Vorwärts“: 8
„Schon der Fall mit der englischen Fischerflottille hätte den Konflikt zu einer internationalen Frage machen müssen. Waren doch alle Nationen in gleichem Maße daran interessiert, daß den Russen ihr Flibustierhandwerk, das die Fahrzeuge aller Nationen bedrohte, so rasch und gründlich wie möglich gelegt werde. Nachdem aberdie übrigen Fälle noch hinzugekommen sind, nachdem mehrere schwe⸗ dische, ein unerkanntes undaller Wahrscheinlichkeit nach auch ein deutsches Fahrzeug von den russischen Schiffen bombardiert worden sind, be⸗ deutet es die gröblichste Mißachtung des Völkerrechts, daß nicht sofort alle, auch die unbeteiligten Staaten
also auch wir — gegen das Vorgehen der Russen geharnischten Protest erhoben resp. den Protest Englands zu ihrem eigenen machten.“
Nun, meine Herren, ich hoffe, daß Sie diese Reizbarkeit Ihres Nationalgefühls künftig auch bei anderen Gelegenheiten zeigen werden (sehr gut! Bravo! und Heiterkeit), und ich verstehe nicht, wie unter solchen Umständen der Herr Abg. Bebel nicht mit beiden Händen für die Forderungen meines verehrten Kollegen, des Kriegsministers v. Einem, stimmt. Ich erwarte, daß er uns die Mittel bewilligen wird zu Lande und zu Wasser (Heiterkeit), um einer so kampfbereiten Politik, wie er und sein Leibblatt uns da empfehlen, den nötigen Rückhalt zu geben. (Heiterkeit.) Denn, meine Herren, daß es mit dem großen Mund allein nicht getan ist, das wird mir der Herr Abg. Bebel selber zugeben. (Sehr richtig! und Heiterkeit.)
Der Herr Abg. Bebel hat auch von unserer angeblichen Würde⸗ losigkeit gesprochen — das war, glaube ich, der Ausdruck, den er ge⸗
die Sozialdemokratie uns gegen Rußland verhetz ie möchte 8 E11“ v“
brauchte, er liebt ja die tarken Worte —, also von unserer