1904 / 288 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Dec 1904 18:00:01 GMT) scan diff

gering

Verkaufte

Gezahlter Preis für 1 Doppelzentner

Menge

niedrigster

niedrigster V höchster

höchster niedrigster höchster

Doppelzentner

Am vorigen Außerdem wurden

Durchschnitts⸗ preis für 1 Doppel⸗ zentner

8

(Preis unbekannt)

Allenstein. eeeee“ Marggrabowa. Thorn 8 Krotoschin Schneidemühl. IE 11““ Breslau... reiburg i. Schl.. .“ Glogau . B 6.“ Neustadt O⸗S. SereE,nZ Goch Neuß. Srieesz Schwabmünchen Ehingen.. Waldsee i. Wrttbg. ... Pfullendorf. bbbbbbbbb“];

1 Saargemüund. Bemerkungen.

11,60 11,20

13,00 13 20 13,50 12 40 13 00 12,30 14,00 13,20 12,40 14,00 12,00 14,00

13 60 13 60 14,00

*

Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der Verkau

Hafer. 13,20 12,00 12,00 14,20 13,30 13,60 13 90 13,70 13,60 13,30 14,20 13,60 13 20 15,40 13 50 14,50 13,20 15 60 14,00 14 20 14,50

14 20 14,80

11,60 12,40 11,20 11,60

11,60

13,80 13,00 13,10 13,20 13,40 13,50 13,70 12,90 13,00 13 20 13,30 12,80 12,80 14,00 14,10 13,20 13,40 12,60 12,80 14 20 14 50 12,60 12,80 14,00 14,25

15,20 13,80 14,00 14,28 13,90 nn 14,00 —-—134259

13,20 12,00 12 40 14,40 13,30 13,60 13,90 14,00 14 00 13,80 14,20 .

13,60 8 13,40 90 15,80 1“

13,70

14,50 400 14,20 125 15,60 8

14,00 81 14,20 33 14,50 159

212 14 60 b 15,00 2 500

12,40 11 60 11,60 14,00 13,10 13 40 13,70 13,40 13,50 13 30 14,10 13,40 13 00 15,20 13,40 14,25

15,40 13 80 14,00 14,28 14,60 14,00 14,50

13,60 13,60

11 60 12,00 14,10 13,13 13,40

11,60 14,17 13,00

2. 12. 28 11. 29. 11.

2. 12. 29. 11. 5. 12

29. 11. 29. 11. 29. 11. 29. 11.

29. 11.

1 13,40 13,00

13,50 14,25 13,3 13 80 14,00

14,28 14,23

14,94

212 1 139 1 170

4 050 5 700 1 670

1 118

455 2 270 3 017

37 340

fswert auf volle Mark abgerundet mitgeteilt. Der Durchschnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen berechnet.

Ein liegender Strich (—) in den Spalten für Preise hat die Bedeutung, daß der betreffende Preis nicht vorgekommen ist, ein Punkt (.) in den letzten sechs Spalten, daß entsprechender Bericht feblt.

Großhandelspreise von Getreide . an deutschen und außerdeutschen Börsenplätzen Wosche vom 28. November bis 3. Dezember 1904 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. Zusammengestellt im Kaiserlichen Statistischen Amt.

für die

1000 kg in Mark.

(Preise für greifbare Ware, soweit nicht etwas anderes bemerkt.)

Hafer, . 8 Mannheim.

Roggen, Pfälzer, russischer, bulgarischer, mittel. Weizen, Pfälzer, russischer, amerik., rumän., mittel. fer, badischer, württembergischer, vrI.. erste, badische, Pfälzer, mittel.

Wien. Roggen, Pester Boden Weizen, Theiß⸗ fer, ungarischer I. erste, slovakische. Mais, ungarischer

8

Budapest. Roggen, Mittelware Weizen, 1

Hefer. 1 Gerste, Futter⸗ Mais, uu Odessa. Roggen, 71 bis 72 kg das hl.. Weizen, Ulka, 75 bis 76 kg das hl

Riga. Roggen, 71 bis 72 kg das hl. ““ Paris. lieferbare Ware des laufenden Monats

Antwerpen. 82“ Donau, mittel. Azima Odessa.. Californier . Walla Walla . “*“ Bombay, Club weiß.. Amsterdam. St. Petersburger amerikanischer Winter⸗ amerikan. bunt La Plata.

London. Produktenbörse (Mark Lane).

Weizen eenglisches Getreide, fer Mittelpreis aus 196 Marktorten erste (Gazette averages)

Liverpool.

La Plata..

Kurrachee..

Kalkutta.

Australier ..

fer, englisch weißer, neu. LEEEE 1ö1“

““

Mais amerikan. bunt 1

e111I1“1““

Chicago. Dezember. Mai. EEVA Dezember. Neu York. (roter Winter⸗ Nr. 2. Dezembe e.

b

Dezember Buenos Aires. schnittsware..

Roggen eizen

Weizen

Weizen, Lieferungsware Mais

Weizen Lieferungsware

Weizen Mais

v1“

Woche

28./11.

bis 3./12 1904

Da⸗

egen

Por⸗ woche

141,44 177,81 139,71

139,58 176,92 140,33

150,00 190,34 149,75 176,66

149,92 190,32 150,38 176,66

140,25 189,55 126,65 154,70 141,10

139,29 189,39 125,70 154,57

140,98

128,78 1 171,91 1 120,70 1 123,25 131,07 100,03 124,82

27,6 71,5 20,6 125,70 130,37

5 6 0

96,97 124,16

103 55] 101,78 130,08] 129,43

131,50 192,14

137,71 145,39 143,77 149,02 156,69 152,49 130,69 141,75

132,79 195,54

137,36 145,44 143,42 149,48 157,56 151,74 130,90 141,40

111,38 118,22 151,99 165,36 114,42 100,48

29

153, 149,25

141,89 116,35 137,53

153,63 149,17

142,21 115,69 136,52

152,04 154,37 135,91 138,94 1 156,71 5,28 118,51] 118,45

99,79 101 30 126,77 125,78 109,00 106,72

98,131 97,50

166,23 168,72 151,66

79,71

167,00 168,20 151,27

80,66

182,82 178,21 171,74 158,73

93,94

183,35 178,74 171,27 158,02

94,81

124,73

Bemerkungen.

1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Pro⸗ duktenbörse = 504 Pfund engl. gerechnet; für die aus den Umsätzen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Getreide (Gazette averages) ist 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl. angesetzt. 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 56 Pfund englisch; 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen = 2400, Mais = 2000 kg.

Bei der 8o der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im ‚Reichsanzeiger“ ermittelten wöchentlichen Durchschnittswechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und Neu York die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris, Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze. Preise in Buenos Aires unter Berücksichtigung der Goldprämie.

Deutscher Reichstag. 106. Sitzung vom 6. Dezember 1904, Nachmittags 1 Uhr.

(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Tagesordnung: Fortsetzung der ersten Beratung des Reichshaushaltsetats und des Etats der Schutzgebiete für 1905, des zweiten Nachtragsetats für 1904 und der Gesetzentwürfe, betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres, und betreffend Aenderung der Wehrpflicht.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde gestern berichtet.

Abg. Freiherr von Richthofen⸗Damsdorf (d. kons., fort⸗ fahrend): Was die Ausgaben für Südwestafrika betrifft, so sind wir immer davon ausgegangen, daß wir alles bewilligen, was notwendig ist zur Bewältigung des Aufstandes. Unser Vorgehen in Südwestafrika ist ja von mancher Seite bekrittelt worden. Ich halte solche Vorwürfe für ungerechtfertigt. Meine politischen Freunde erkennen insbesondere an, was von unseren Truppen dort grleistet worden ist. Unsere Truppen baben unter viel schwierigeren Ver⸗ hältnissen gekämpft, an die Tüchtigkeit jedes einzelnen wurden viel höhere Anforderungen gestellt, als es sonst in einem europzischen Kriege notwendig war. Sie haben gezeigt, daß der alte gute Geist noch unter uns lebt. Unsere Armee wird nach wie vor in der Lage sein, allen Anforderungen gerecht zu werden, die der Allerböchste Kriegeherr an sie stellt. Wir können nicht anders, als mit Stolz die Namen der Männer nennen, die dort für uns ge⸗ kämpft und zum Teil gelitten haben. Was die Ursache des Aufstandes betrifft, so wollen wir dem Reichskanzler dankbar sein für den reichen Inhalt der Denkschrift, die er uns vorgelegt hat Wir wollen auch dankbar sein für die sorgfältige Art, mit der der Nachtragsetat durchgearbeitet ist. Daß in einem unz vilisierten Lande gegen die Eingeborenen auf wirtschaftlichem Gebiete so verfahren ist, wie es geschehen, darüber können wir uns nicht wundern, das war un⸗ vermeidlich. Ein definitives Urteil über das uns vorgelegte Material behalten wir uns vor, auch darüber, ob es richtig war, den Cin⸗ geborenen Waffen und Munition zu verkaufen Harin haben die Missionare recht daß Fehler bei der Verteilung des Landes vor⸗ gekommen sind. Ich möchte diese Frage nicht beantworten, aber nicht verhehlen, daß die Antwort vom Regierungstisch doch nicht ganz be⸗ friedigt Die bisherige Kolonialamtseinrichtung war wohl nicht ganz zweckentsprechend. Wenn aber auch Fehler vorgekommen sind, so steht doch fest, daß der Aufstand niedergeworfen werden muß. Wir sind nicht gewillt, die Verantwortung für eine etwaige Verlängerung des Auf⸗ standes zu überrehmen, und wir werden darum bewilligen, was not⸗ wendig ist. Das bezieht sich auch auf die Fortsetzung der Bahn in jenem Distrikt. Für die Forderung von 5 Millionen zu Hilfe⸗ leistungen für die Ansiedler haben wir jetzt das wünschenswerte Material erhalten. Wir werden dieses prüfen, und es sollte uns freuen, wenn die Mehrheit des Reichstags diesmal zu einem anderen Standpunkt käme, wie im vorigen Jahre. Im allgemeinen scheinen die Grundsätze, die da aufgestellt sind, in vieler Beziehung durchaus richtig zu sein. Der Reichskanzler hat gestern am Schluß seiner Rede uns noch verschiedenes über die Kolonialverwaltung mitgeteilt. Wenn ich auch darüber mit meinen politischen Freunden mich ein⸗ gehend auszusprechen noch nicht Gelegenheit gehabt habe, so möchte ich doch sagen, daß eine bessere Ausgestaltung der Kolonialabteilung meine volle Sympathie findet. Wir werden ja die Kostenfrage im einzelnen noch zu prüfen haben. Ebenso hat der Reichskanzler uns von der Notwendigkrit der Trennung von Zivil⸗ und Militärgewalt in den Kolonien gesprochen. Wir sind überzeugt, daß eine derartige Trennung absolut notwendig ist. Es wird allerdings einige Schwierig⸗ keiten haben. Auch alle übrigen Maßnahmen zur Unterdrückung der Aufstände und zur Sanierung der Kolonien werden wir gern akzep⸗ tieren. Gewiß wird dabei Sparsamkeit obwalten müssen, aber das Notwendige werden wir bewilligen, da es sich um unsere Ehre handelt.

Abg. Dr. Sattler (nl.): Der Abg. Bebel hat es in seiner langen Rede nicht unterlassen können, meinen politischen Freunden den Vor⸗ wurf der Verfassungsverletzung zu machen. Lieser Vorwurf ist um so merkwürdiger, als im letzten Jahre eine Verfassungsänderung gar nicht stattgefunden hat. Die Geschäftsordnung ist doch etwas anderes, wie die Verfassung. Ich muß also einen solchen Vorwurf als un⸗ begründet auf das schärfste zurückweisen. In der gleichen Entstellung

der Tatsachen hat der Abg. Bebel den Vorwurf der Charakterlosig⸗

8 8 1““

keit, des Strebertums, der Feigheit und Heuchelei gegen die bürger⸗ liche Gesellschaft geschleudert. Ich schließe daraus, daß Herr Bebel sich in einer Gesellschaft bewegt, wo derartige Eigenschaften vorwiegend sind, und wenn man dabei erwägt, mit welchen Ausdrücken die Herren sich gegenseitig auf ihren Parteitagen regalieren, so kann man in diesem Schluß nur bestärkt werden. Es fällt mir doch nicht ein, solche Vorwürfe zu erheben; es ist doch ein hoher Grad von Un⸗ ver.. antwortlichkeit, wenn man solche Vorwürfe gegen seine Volksgenossen ausstößt. Sie sind um so unberechtigter, weil es ganze Staaten gibt, wo die Regierungen und die Volks⸗ vertretungen sich die größte Mühe gegeben haben, den wirt⸗ schaftlich Schwächeren zu helfen. Es ist also unverant⸗ wortlich, solche beleidigenden Worte ohne Anführung von Tatsachen gegen seine Volksgenossen vorzubringen, und ich muß sie auf das schärfste zurückweisen. Zu meiner Freude atmet auch der gegenwärtige Etat sozialpolitischen Geist. Wir sehen, wie die Aus⸗ gaben für die Versicherungsgesetzgebung steigen, und wenn 5 Millionen zur Verbesserung der Wohnungen der Arbeiter und unteren Angestellten eingesetzt sind, so ist das ein Zeichen, daß wir nicht erst durch die unerhörten Angriffe von jener Seite (zu den Sozialdemokraten) genötigt werden, den wirtschaftlich Schwachen zu helfen. Auch auf anderen Gebieten machen sich Strömungen geltend, um den wirtschaftlich Schwachen zu Hilfe zu kommen. Dies gilt nament⸗ lich gegenüber dem Mittelstande, und dem Bestreben, für die Heimarbeiter möglichst Sorge zu tragen. Wenn nicht mit voller Entschiedenheit für solche Maßregeln eingetreten wird, so geschieht es vielleicht aus Angst vor neuen Steuern. Allerdings sind die Finanzen unseres Reichs sehr unbefriedigend. Für 1905 ist eine An⸗ leihe von 293 Millionen vorgesehen. Nun hat ja die Reichsfinanz⸗ verwaltung zur Erhöhung der Uebersichtlichket der finanziellen Ver⸗ hältnisse eine Scheidung eintreten lassen zwischen ordentlichen und außerordentlichen Einnahmen und Ausgaben. In Widerspruch steht damit aber, daß man aus Anleihen ordentliche Ausgaben zu decken an⸗ fängt. Die schlechten Finanzen stammen einmal von der Tatsache des ungeordneten Finanzverhältnisses zwischen Reich und Einzelstaaten; die lex Stengel hat dieses Mißverhältnis etwas beschränkt, aber trotzdem werden immer noch 289 Millionen an Reichseinnahmen den Einzel⸗ staaten überwiesen und von ihnen nachher als Matrikularbeiträge wieder eingezogen. Der andere Grund für diesen Mißstand liegt in der mangelhaften Ausgestaltung der Funktionen des Reichsschatz⸗ sekretärs gegenüber den einzelstaatlichen Finanzministerien. Der finan⸗ zielle Gesichtspunkt gelangt im Reiche nicht zu genügender Vertretung. Ich will nun nicht neue Steuern vorschlagen, denn das ist Sache der Regierung, nicht unsere Sache; wenn aber Herr Bebel erklärt, er hätte nichts gegen Steuern bis zu 20 % auf das Einkommen, so muß ihm doch erwidert werden, daß in manchen Gegenden die Be⸗ steuerung gar nicht so weit hinter diesem Satz zurückbleibt. Ein Ort in Industriegegenden, der 200 % Kommunalsteuerzuschläge erhebt, erhebt also 12 % Einkommen von den höchsten Stufen; nehmen Sie Grundsteuer, Gewerbesteuer, Kirchensteuer hinzu, so duürften an⸗ nähernd 20 % herauskommen. Das weiß aber Herr Bebel nicht, sonst würde er diesen Ausspruch nicht getan haben. Es wäre wirklich besser, er sähe die Verhältnisse erst genauer an, ehe er derartige Shlagworte in die Welt hinausruft. Ich schließe damit meine Betrachtungen über die Finanzlage, da ich keine Abhilfe weiß, und diese auch nicht meine Aufgabe ist. Ich stelle aber auch meinerseits fest, daß wir trotz alledem bewilligen müssen, was für die Machtstellung des Reiches notwendig und was in den beiden Militärvorlagen von uns gefordert wird. Freudig be⸗ grüßen wir, daß die Verwaltung auch im Interesse der völligen Be⸗ seitigung der Militärmißhandlungen eine Vermehrung des Aus⸗ bileungspersen ls eintreten lassen will, das ohnehin durch die zwei⸗ jährige Dienstzeit überanstrengt ist und vor der Nervosität ge⸗ schützt werden muß, welche leicht zu Soldatenmißhandlungen führen kann. Wir können von unserem Heere immer noch sagen, daß die ver⸗ rohenden Wirkungen nicht eingetreten sind, die die militärische Er⸗ ziehung nach Herrn Bebel im Gefolge haben soll. Unsere ehemaligen Soldaten erinnern sich stets mit Vergnügen ihrer Dienstzeit. Bei einem so großen Betriebe sind Ausschreitungen nicht zu vermeiden. Anderseits aber muß von neuem Beschwerde geführt werden über die hohben Strafminima im Militärstrafkodex, die neuerdings in Dessau zu unerhört hoher Verurteilung von 5 Jahren Zuchthaus für verhältnismäßig geringfügige Vergeben geführt haben. Ber Forderung des neuen Qumquennats stehen wir durchaus freundlich gegenüber. Es ist auch nach unserer Meinung rchtig, daß die schwachen Divisionen an der Grenze ergänzt und der Mangen an Kavallerie in gewissen Divisionen beseitigt wird. Herr Bebel wolle sich doch daran erinnern, daß auch noch 1870 die Kavallerie keineswegs so wertlos gewesen ist, wie er es darstellte. Die gesetzliche Fest⸗ legung der zweijährigen Dienstzeit ist mehr von formaler Be⸗ deutung; denn auch wir sind der Meinung gewesen, daß sie, nachdem sie einmal eingeführt war, nicht wieder beseitigt werden konnte. Die Marine hat sich mit ihren Forderungen im Rahmen des Flottengesetzes gehalten. Was den Kolonialetat betrifft, so müssen wir die Untersuchung der Gründe des Aufstands in Südwest⸗ afrika der Budgetkommission überlassen. Niemand konnte ahnen, daß der Aufstand so ungeheuere Dimensionen annehmen würde; wir sollen für 1904 76 ½ Millionen nachbewilligen, und für 1905 werden 48,7 Millionen von uns verlangt. Aber der Aufstand muß nieder⸗ geschlagen werden, das verlangt die deutsche Ehre und die Rücksicht auf die Ansiedler; hier gibt es auch moralische Verpflichtungen für das Deutsche Reich, denn es hat die Ansiedlung dieser Männer in der Kolonie veranlaßt. Wenn man einmal Kolonien haben will, muß man auch dafür sorgen, daß sie wirtschaftlich verwertet werden können, daß der Verkehr sich über den ganzen Bezirk ausdehnen kann, sonst kann man nichts damit machen. Das ist hier leider nicht ge⸗

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Südwestafrika

schehen, und da hat die Mehrheit des Reichstags ihr gut Teil Schuld. Erst in diesem Jahre ist im Reichstage ein Umschwung ein⸗ getreten. Es ist daher ganz berechtigt, in eine ernste Prüfung darüber einzutreten, ob die bisherige Art der Kolonialverwaltung die richtigz war. Wenn man überhaupt Kolonien erhalten will, muß man auch für ihre wirtschaftliche Entwickelung sorgen. Der Unerschütterlichkeit, mit der unsere Truppen und die Ansiedler dem Aufstande entgegengetreten sind, müssen wir mit den bisherigen Vorrednern unseren vollen Respekt bezeigen. Dem Reichskanzler muß ich erklären, daß die Gewährung von An⸗ wesenheitsgeldern eine der dringendsten Notwendigkeiten ist. Wir laufen sonst Gefahr, nicht nur die Präsenz des Reichstaas dauernd unter dem Niveau beharren zu sehen, sondern auch die Abgeordneten in eine politisch durchaus unerwünschte Abhängigkeit von der be⸗ treffenden Parteizentrale zu bringen. Das Bestreben, ein schlechtes Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland herbeizuführen, weise ich mit dem Kanzler zurück. Ich möchte die Frage stellen, ob in den nächsten Tagen die Handelsverträge vorgelegt werden, die auf Grund des gegen eine rücksichtslose Obstruktion gluücklich zu stande gebrachten

olltarifs abgeschlossen sind. Wir meinen, für das Wohl des deutschen Volkes zu sorgen, indem wir für einen Ausgleich der verschiedenen Interessen der einzelnen wirtschaftlichen Stände sorgen, nicht aber, indem wir einen Stand auf Kosten der anderen begünstigen.

Abg. Dr. Müller⸗Sagan (fr. Volksp.): Auffallend war die abweisende, ich will nicht sagen wegwerfende Art, mit der sich Graf von Bülow gestern über die Diätenfrage geäußert hat. Es kam mir dabei ein Vers aus einem Variétstheater in den Sinn, der lautet: „Du warst doch sonst nicht so, Du warst doch sonst nicht so, Graf Bülow!“ Es wird allen in Erinnerung sein, wie Graf Bülow einmal sich über diese Frage ganz anders ausgesprochen hat. Wenn der Kaiser in Breslau gesagt hat: „Schickt mir den schlichten Mann aus der Werkstatt in den Reichstag“, so hätte doch für den Kanzler die Frage nahe gelegen, wie dieser schlichte Mann in Berlin auf dem teuren Pflaster ohne Diäten leben soll. Freilich, der schlichte Mann ist nicht gewählt. In den Wahlkampf wollte man die Diätenfrage nicht hineintragen, im Anfang der neuen Legislaturperiode war sie nicht an der Zeit, weil der ohne Diäten ewählte Reichstag sich nicht selbst Diäten geben dürfe; jetzt in der

itte der Legislaturperiode ist auch nicht die Zeit. Warum? Das weiß vielleicht der Reichskanzler. Gesagt hat er es nicht, aber er hat sich gestern gegen die Diäten so ablehnend verhalten, wie nie. Es scheint, als meine der Reichskanzler, mit den Diäten ans Abgeordneten einen Gefallen zu tun. Wir wollen sie aber nicht als Gnadengeschenk, sondern um des Reiches und um des Volkes willen, aus allgemeinen Erwägungen heraus, die heute mehr am Platze sind als je. Der Abg. Bebel hat sich mit Recht beschwert, daß der Reichtag nicht für die Truppennachschübe einberufen sei. Der Reichskanzler hielt die Einberufung nicht für nötig, weil er nach den früheren Verhandlungen sich der Zustimmung des Reichstags versichert hielt. Aber inzwischen ist das Ziel für die Truppen⸗ nachschübe ein anderes geworden. Damals handelte es sich um die Unterdrückung des Hereroausstandes, jetzt aber darum, sämt⸗ liche Eingeborene im Schutzgebiet zu entwaffnen. An diese Ver⸗ änderung des Kampfzieles ist daher ein anderer Maßstab zu legen. Der Reichstag hat übrigens den größten Nachschüben erst wider⸗ strebt und erst auf Wunsch einer anderen Stelle zugestimmt. Der Reichskanzler hätte den Reichstag um so mehr einberufen können, als es sich nicht um ein dringend’s Bedürfnis handelte, denn die Schlagfertigkeit der Schutztruppe wäre nicht unterbrochen worden. Nach den Erläuterungen im Etat hat die Berechnung des Bestandes von 8200 Mann Mitte Oktober ihr Ende erreicht, aber seitdem gehen die Nachschübe weiter, und morgen soll ein neuer Tiansport auf dem Dampfer „Palatia“ abgehen. Der Schatzsekretär hat auch noch weitere Nachforderungen für das laufende Jahr in Aussicht gestellt. Wenn wir nun unseren Reichsetat überbaupt in Ordnung bringen wollen, müssen wir zunächst mit den Aufwänden für reinen Tisch machen. Der vorliegende Etat war schon veraltet in dem Augenblick, wo er veröffentlicht wurde. Gutes war in Südwestafrika nicht zu erwarten, aber so enorme Opfer an Fut und Blut hätte der schlimmste Pessimist nicht be⸗ fürchtet. Der Schatzsekretär sagte, daß von der Gesamtanleihe von 293 Millionen Mark einen erheblichen Teil die gewaltige Summe von 48 ¾ Millionen für den nicht zu übersehenden Bedarf in Süd⸗ westafrika ausmache; es würden weitere Nachschübe folgen, die sich noch nicht übersehen ließen, und es müßten weitere Kredite vorbehalten werden. Ob das nun hundert Millionen, wie in der „Schlesischen Zeitung“ propbezeit ist, oder weniger sind, für die Gestaltung unseres Etats ist es ausschlaggebend Meine Freunde haben sich zurückhaltend gegenüber diesen Forderungen gezeigt und sind auch heute nicht ge⸗ neigt, einen Teil der Verantwortung dafür zu übernehmen. Wir haben keine Neigung, den tapferen Truppen und tüchtigen Offizieren heute eine Kritik zuteil werden zu lassen, gegen die sie sich nicht ver⸗ teidigen können, aber das hindert uns nicht, zu sagen, was gesagt werden muß. Die Dentschrift über Südwestafrika ist urs erst gestern zugegangen, die Etatsberatung hat aber schon am Sonnabend angefangen auch eine Höflichkeit gegen den Reichstag! Der Auf⸗ stand der Herero ist beendet, was soll nun in Südwestafrika werden? Im Etat der Schutzgebiete wird schon flott weiter organisiert, wir finden darin eine ganze Anzahl neuer Beamtenstellen, und es sollen zwei neue Bezirksämter geschaͤffen werden. Danach scheint der Schwerpunkt nicht mehr in die Zentral⸗, sondern in die Lokalverwaltung gelegt werden zu sollen. Ist das der richtige Weg, daß wir an möglichst vielen Stellen in Süd⸗ westafrika eine selbständige Verwaltung einrichten? Bestehen nicht z. B. große Bedenken dagegen, daß die Rechnungskontrolle uns hier entzogen und in die Kolonie verlegt werden soll? Interessant war eine Be⸗ merkung des Schatzsekr⸗tärs, ob wir uns nicht etwa schon den Magen über⸗ laden hätten mit den Kolonien. Er sagte nämlich, die Meinungen gingen auscinander, ob die Erwerbung der Kolonien seiner Zeit zweckmäßig war, aber da wir sie hätten, wäre es unsere Pflicht, ihre Kultur zu fördern. Was versteht der Schatzsekretär unter Kulturmission? Die Missionare verstehen darunter, Heiden zu Christen zu machen. Die Kolonfalschwärmer denken an Flaggenhissen, die Kolonialgesellschaften an Eisenbahnen. Der Reichskanzler sprach von den Eingeborenen, die als Arbeitskräfte für Farmen und Bergwerke nötig seien. Dies hat mich besonders interessiert, denn ich dachte nach den Ausführungen des Kanzlers daß seine Kolonialpolitik in eine andere Richtung gehen würde. Wie man nun auch über die Dauer der Erhaltung der Schutz⸗ gebiete denkt, nun und nimmer werden auch nur die Zinsen der Hunderte von Millionen, die wir zwischen die Steine und Dornen von Südwestafrika gesät haben, für das Deutsche Reich geerntet werden. Selbst wenn es möglich wäre, die Wüste in ein Paradies zu ver⸗ wandeln, so wäre es doch eine Ungerechtigkeit gegen die deutschen Steuerzahler, die Kosten dem Reiche aufzubürden. Wir können aber auch gar nicht ganz Deutsch⸗Südwestafrika mit den Segnungen der Kultur beglücken. Das Deutsche Reich hat 540 243 qkm, Deutsch⸗ Südwestafrika allein 831 000 qkm. Wir haben dort 200 000 Ein⸗ wohner und im ganzen Deutschen Reiche über 56 Millionen. Wie will es Graf Bülow fertig bringen, allen schwarzen Eingeborenen in diesem weiten Gebiete die Feuerwaffen aus der Hand zu nehmen? Eins ist mir erfreulich, daß sich Graf Bülow die Erfahrungen der übrigen Kolonieen für Südwestafrika zu nutze machen will. Im übrigen wäre es gut, wenn wir uns nach dem Beispiele der Vereinigten Staaten im wilden Westen bei der Kolonisation richteten. Man sollte die Schwarzen neben den Weißen bestehen lassen und beider Tätigkeits⸗ gebiete voneinander abgrenzen. Ohne meinerseits in dieser Beziehung irgend welche Vorschläge zu machen, möchte ich dringend empfehlen, eine Denkschrift auszuarbeiten, in welcher Mitteilungen gemacht werden, wie Portugal, die Niederlande unb die Vereinigten Staaten in ihren Kolonien wirtschaften. In dieser Denkschrift könnte viel⸗ leicht auch die Kinderfrage erörtert werden. Man spricht von einem Eheverbot, das erlassen werden soll für die Weißen mit den Schwarzen. Die Interessen der Missionen und der Kolonialgesellschaften befinden sich darin im schärfsten Konflikt. Die Missionen wünschen, daß die

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Weißen die schwarzen Weiber, mit denen sie leben, auch ehelichen;

dies angesichts unseres gegenwärtigen Verhältnisses

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die Kolonialgesellschaften aber haben Furcht vor dem Heranwachsen einer Mischlingsrasse, und sie wollen verhüten, daß die Kinder der Weißen und Schwarzen als ebenbürtig legitimiert werden. Wir müssen uns bei den Ausgaben für unsere Kolonieen nach der Decke strecken. Es hat mich nun einigermaßen überrascht, daß ohne jede Motivierung unter den einmaligen Ausgaben für Kiautschou 2 ½ Millionen für Armierungszwecke angefordert werden. Dadurch werden die Ausstreuungen einigermaßen bestätigt, daß man aus Kiautschou deutscherseits ein zweites Port Arthur schaffen wolle. Vielleicht werden vom Regierungstische diese Bedenken zerstreut. Aber ab⸗ gesehen vom Finanzstandpunkte halte ich es nicht für richtig, mit einer solchen neuen Forderung für Kiautschou zu kommen, während 135 Millionen für Deutsch⸗Südwestafrika zu decken sind. Der Schatzsekretär sprach von Ersparnissen, freilich unter Ausschluß der Militär⸗, Marine⸗ und Kolonialposten, und das zu einer Zeit, wo wir in Europa wenigstens doch wohl sicherer dastehen als seit Menschenaltern. Ich nehme keinen Anstand, mein Einverständnis zu erklären mit der Haltung, die Graf von Bülow Rußland und Japan gegenüber beobachtet bat. Ich würde es für sehr falsch halten, wenn wir nach dem Beispiel von Shimonoseki einzugreifen versuchten und nicht strengste Neutralität wahrten. Ich möchte nur wünschen, daß in den Hoftelegraphendienst ein solcher Leitungs⸗ widerstand eingeschaltet würde, der auf die vielen Telegramme derart einzuwirken hätte, daß sie erst bestellt werden dürfen, wenn ihr Text schon as authentisch interpretiert wird. Als Leitungswiderstände denke ich mir verantwortliche Reichs⸗ ministerien, die schon seit Jahrzehnten gefordert werden, und auf deren Notwendigkeit auch der Vorredner nachdrücklich hingewiesen hat, wenigstens insofern, als die Schatzverwaltung dabei in Frage kommt. Das englisch deutsche Abkommen ist mit Genugtuung begrüßt worden. Wir haben auch mit Vergnügen Kenntnis genommen von dem Telegramm des Kaisers an den Präsidenten Roosevelt. Wenn man auch nicht allzu große Hoffnungen von den Schieds⸗ gerichten für den allgemeinen Völkerfrieden haben mag, so könnte wenigstens der Kultmfortschritt erreicht werden, daß künftig die Waffengewalt mehr und mehr zurückgehalten wird. Also nicht aus der Hoff ung auf einen allgemeinen Volkerfrieden, sondern aus den tatsächlichen Verhältnissen heraus schöpfe ich die Erwartung, daß die Grenzen Deutschlands seit 30 Jahren wohl kaum so sicher gewesen sind wie heute. Ich will gar nicht prophezeien, aber wenn man so Jahr für Jahr in der Budgetkommission die Weisheit ver⸗ nimmt, die von dem Regierungstisch auf uns bescheidene Abgeordnete hereinströmt, so lernt man doch die Nuancierungen unterscheiden in bezug auf die Weltlage, wie sie vom Regierungstisch aufgefaßt wird. Wenn ich mir die Militärvorlage und deren Begründung an⸗ sehe, so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß auch in maß⸗ gebenden militärischen Kreisen ähnliche Auffassungen Es wird diesmal begreiflicherweise von den Truppenanhäufungen des Nachbars an der Ostgrenze kein Aufhebens gemacht; es hätte sich zu Rußland zu drollig gemacht. Dagegen wird darauf Bezug genommen, daß der Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht angesichts der unserer Bevölkerung zur Durchführung niemals habe gebracht werde können, während Frankreich beinahe auf den letzten Mann einstelle. Das würde nach der Einführung der zweijährigen Dienstzeit dort noch mehr als bisher geschehen. Das muß genügen, um die Forderung einer Erhöhung der Friedenspräsenz um 10 000 Mann zu motivieren. Nun ist aber die Friedenspräsenz in Frankreich fuͤr 1904 nur 550 000, bei uns aber 577 000 Mann; und dabei stellt Frankreich

Qtatsächlich schon längst seinen letzten Mann ein, und eine weitere

Vermehrung des Friedensfußes ist dort einfach nicht mehr denkbar. Nach Loebell hat in Frankreich der einjährige Dienst schon ganz außer⸗ ordentlich großen Umfang angenommen. Es wurden 1902 auf ein Jahr 79 000, auf zwei Jahre 159 000 Mann eingestellt; eine Ueber⸗ flügelung haben wir also auch nach dieser Richtung von Frankreich nicht mehr zu befürchten. Aber auch sonst haben wir keine Veranlassung, uns auf diese Mehrforderung einzulassen, da gerade in diesem Etat ganz erhebliche Neuforderungen für die Bewaffnung an uns gestellt werden, für Handwaffen, Artillerie usw., Forderungen, die wir nicht ablehnen können, wenn die Not⸗ wendigkeit der Neubewaffnung nachgewiesen wird. Aber weniger haben wir Neigung, der rage du nombre nachzugeben.

herrschen.

Zunahme

um so

Der geplanten Vermehrung der Spezialwaffen stehen wir ebenfalls nicht so unsympathisch gegenüber wie der Zumutung, die Zahl der

Kavallerieregimenter zu vermehren. Die Meinung der Militär⸗ verwaltung war darüber nicht immer die heutige; das Nähere werden wir in der Kommission erörtern. Eigentümlich berührt, daß auch für diese Forderung schon die Erfahrungen des russisch japanischen Krieges verwertet sein sollen, da doch die Umrisse diefer neuen Forderung ver⸗ traulich schon in diesem Frühjahr in der Kommission gegeben wurden. Man hat uns wohl die Divisionen namhaft gemacht, die zu wenig Kavallerie haben, aber nicht die, die zu viel davon haben. Wie steht es denn mit der Garde? und Graudenz? Nimmt man hier 4 + 2 Regimenter weg und formiert man aus den Jägern zu Pferde, die ja jetzt auch abge⸗ schlachtet werden sollen, 3 ½ Regimenter, so haben wir 9 ½ neue Regimenter, ohne einen neuen Mann aufstellen zu brauchen. Also mit der Schablone hapert es in diesem Falle doch bedeutend, und man wird andere Gründe vorführen müssen, um die Forderung plau⸗ sibel erscheinen zu lassen. Die Manböverkavallerieatlacken wird man doch wohl ernsthaft nicht ins Gefecht führen wollen. Was hat man nicht alles von den Jägern zu Pferde erwartet! Ihnen war eine ganz besondere Rolle im Ernnstfalle beschieden. Jetzt weiht man ihnen einige Worte des Abschieds, und sie werden ver⸗

schwinden, sie werden zu Reiterregimentern, wie die andern auch. Wir weinen ihnen keine Träne nach; eher wird das in den Garnisonen der

Fall sein, die sie jetzt verlieren. Die zweijährige Dienstzeit will man jetzt gesetzlich festlegen und dabei gleichzeitig einige Kompensationen sich bewilligen lassen. Was geschehen muß, um die Härte der zwei⸗

jährigen Dienstzeit für das Ausbildungspersonal auszugleichen, werden

auch wir bewilligen; aber wir müssen entschieden dagegen protestieren, daß es sich hier um eine Ausgleichung für die gesetzliche Festlegung handelt; die zweijährige Dienstzeit ist überhaupt nicht rückgängig zu machen. Wir müssen bei diesen sogenannten Ausgleichsforderungen um so vorsichtiger sein, als nach einem Artikel der „Kreuzzeitung“ be⸗ absichtigt wird, die Reserven regelmäßig zu achtwöchigen Uebungen her⸗ anzuziehen. Diese Uebungen sind ihrer Dauer nach von den Bewilli⸗ gungen des Reichstags abhängig; der kann durch die Höhe der Bewilli⸗ gungen auf ihre Dauer einwirken, und wir haben das allergrößte Interesse

daran, die Reservisten ihrem bürgerlichen Beruf durch die Uebungen

nicht länger als durchaus erforderlich zu entziehen. Der Schatzsekretär

hat die Reichsfinanzen ganz schwarz in schwarz gemalt, und man hätte

wirklich Angst bekommen können, wenn man nicht wüßte, daß ein Staats⸗

Wie mit der überschüssigen Reiterei in Breslau

finanzmann so nur spricht, wenn er sich entweder unmittelbar bankrott

erklären will, oder wenn er sich auf den Staatskredit vollständig

verlassen kann. Aus den Erfolgen der neuen Zuckersteuergesetzgebung

könnte er doch lernen, welche Wege man einschlagen muß, um die

Einnahmen zu erhöhen, ohne neue Steuern auf den Massenkonsum einzuführen. Nicht durch Erhöhungen, sondern durch Herabsetzungen der Konsumsteuern schafft man neue Einnahmen. Das gilt z. B. von

der Börsensteuer, wenn sie herabgesetzt und das Geschäst der Arbitrage

mehr ermöglicht würde, das gilt auch vom System der Material⸗ steuer, der Maischraumsteuer usw. Man spricht von Verkehrsschranken,

als ob wir Verkehrsschranken nicht schon zu viel im Deutschen Reich

hätten. Wenn der Staatssekretär vernünftige Maßregeln ergreifen will, kann er sie finden. Wir haben nichts einzuwenden gegen eine Reichsvermögenssteuer. Wir haben schon 1895 diesen Vor⸗ schlag gemacht, halten es aber jetzt durchaus nicht für zeit⸗ gemäß, überhaupt mit neuen Steuern zu kommen: denn so dunkel, wie die Reichseinnabmen in diesem Augenblick sind, so wenig über⸗ sichtlich, wie die wirtschaftliche Zukunft jetzt ist, ist es noch nie ge⸗ wesen. Wir stehen vor neuen Handelsverträgen. Steuerreform einzusetzen, wäre das Verkehrt ste, was man tun könnte. Vor allem müßte die Weisheit des Staatssekretärs dahin gehen, die Zollpolitik vernünftiger zu gestalte n die Reichsregierun ine

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Da mit einer

sein Wegbleiben reißt in der Tat eine Lücke für den Reichstag.

vernünftige Wirtschaftspolitik machen, dann wird auch die Reichs⸗ 59 binter den tatsächlichen Bedürfnissen des Reichs nicht zurück⸗

eiben. Finanzen haben.

Machen Sie eine gute Politik, dann werden Sie auch gute

Abg. von Kardorff (Rp)): Diese Ausführungen laufen darauf

hinaus, man soll nur zum alleinseligmachenden Freihandel übergehen, dann werden auch die Finanzen wieder gut werden. Sie sich Länder wie Frankreich an, sind denn die Länder finanziell zurückgegangen? Keine Länder haben stärkere wirtschaftliche Fort⸗⸗ schritte, als die schutzzöllnerischen. Vorredner, Konsumartikel Branntwein. Kreuz es werden trüben Aussichten gesprochen; aber dieses Jahr ist noch schlimmer geworden. der 18 Krankheit abwesend ist; das ist wirklich ein aufrichtiges Bedauern.

Aber sehen

Es ist eigentümlich, wenn der erzielen, die Steuern auf Dazu gehört auch Bier und Ich weiß nicht, ob die Herren vom Blauen gern hören werden, daß die Steuern herabgesetzt sollen. Ich habe schon im vorigen Jahr über unsere

Wum Mehreinnahmen zu herabsetzen will.

1 Ich bedauere übrigens lebhaft, daß der Abg. Richter, sonst hier immer den Etat vertrat, heute durch schwere

Wir haben mit Herrn Richter über 30 Jahre lang lebhafte Kämpfe ehabt, aber ich habe allen Respekt vor seinen Kenntnissen, seinem leiß, seiner Festigkeit und Zuverlässigkeit, seinem Charakter. Ich

wünsche, daß es bald wieder möglich ist, ihn hier zu sehen, demn

habe schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß die Einzelstaaten

finanziell sehr bedrückt sind durch die Unsicherheit der Matrikular⸗

beiträge, auch durch die Verzögerung der Abrechnung, daß sie oft über⸗ haupt nicht wissen. was sie bekommen und was von ihnen gefordert wird für das nachste Jahr, und daher außer stande sind, ihren Etat aufzustellen. Da sagte nun Herr Richter, man sollte die ganz kleinen Staaten von den Matrikularbeiträgen befreien, das würde ungefähr eine Million Mark machen, die die anderen sehr gut mittragen könnten. Der Finanzminister von Rheinbaben erklärte sich sehr entschieden da⸗ gegen, weil es eine Deklassierung der Kleinstaaten sei, darauf könne man niemals eingehen. Ja, wir haben doch die progressive Ein⸗ kommensteuer eingerichtet, weil jemand, der 100 000 Einnahme hat, viel leichter 4 % zahlen kann, ohne seine wirtschaftliche Existenz zu gefährden, als nur 1 % derjenige, der 1000 Einkommen hat. Diese Erwägungen hätten schon längst den Bundesrat ver⸗ anlassen sollen, dem Reichstag ein Gesetz vorzuschlagen, durch das in dieser Weise die Finanzlage der Einzelstaaten einigermaßen er⸗ leichtert würde. Als ich noch die Ehre hatte, preußischer Landrat zu sein, habe ich bei der Einführung des neuen Ein⸗ kommensteuergesetzes nicht gefunden, daß die Herren, die in eine niedrigere Klasse eingeschätzt wurden, sich deklassiert fühlten. Ich glaube auch nicht, daß irgend ein Kleinstaat sich deklassiert fühlt, wenn man ihn von dem Matrtkkularbeitrag befreit, jedenfalls haben die Herren vom Bundesrat die Pflicht, darüber einmal ernstlich nach⸗ zudenken, wie die Finanzen der Einzelstaaten zu erleichtern sind. Herr Bebel hat ein sehr einfaches Mittel, die Reichseinkommen⸗ steuer, und Herr Müller⸗Sagan spricht von der Reichsvermögens⸗ steuer. Die Reichsvermögenssteuer hat der Abg Richter selbst seinerseits fallen lassen und sich auf eine Erbschaftssteuer zurückgezogen, weil er zur Ansicht gekommen war, daß man damit den Einzelstaaten viel von ihrer Souveränität nehmen würde, als daß auf ihre

istimmung zu rechnen sein würde. Es würden Dezennien vergehen anen, ehe sich eine Majorität dafür im Reichstag fände. Das gilt namentlich von der Reichseinkommensteuer, aber auch die Erbschafts⸗ euer hat große Schwierigkeiten. Man könnte doch bezüglich der Finanzverhältnisse für die Einzelstaaten zu einer Klassifizierung ommen, die dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl entspräche. Die inen Staaten haben einen Anspruch darauf, weil die großen Staaten Eisenbahnen besitzen und daraus große Revenüen haben, und zu

esen die kleinen Staaten ihrerseits mit beitragen durch ihre Produktion Das ist eine indirekte Steuer, deren Ertrag den Geldbeutel der großen Staaten mitfüllt. Daher ist es billig und gerecht, für die kleinen Staaten Erleichterungen zu schaffen. Der Fürst von Bismarck hatte den großartigen Gedanken eines Reichseisenbahnsystems. Dann wäre das Reich außer Gefahr mit seinen Einnahmen gewesen, aber man würde doch sehr bald gefunden haben, wie in Preußen, daß Tarifveränderungen außerordentlich schwierig sind, da sie einzelnen Landesteilen zu gute kommen können, aber auch gleichzeitig den wirtschaftlichen Ruin anderer Landesteile herbeiführen können. Der Staatssekretär von Thielmann sagte vor einigen Jahren, das Steuerfele wäre abgegrast. Hiergegen wies ich darauf hin, daß, wenn man sich Mühe gäbe, Steuerquellen zu finden, es nicht schwierig sei. Drutschland produziere z B. 150 Millionen Tonnen Kohlen. Das ist zwar ein notwendiges Lebens⸗ bedürfnis, aber wenn man auf die Tonue nur 10 Steuer legte, so würde das etwa 7 ½ Millionen Mark ergeben. r. Kohle 10 eiterfamilie nicht

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Steuer würde bei dem Verbrauch auch für die Arb ins Gewicht fallen, denn das wäre nur ein Teil der täglichen Preis⸗ schwankungen der Kohle. Ich sage das nur nachträglich, denn man soll mir nicht nachsagen, ich hätte eine Kohlensteuer empfohlen. Es gibt ja im Reich keine direkten Steuern, aber bezüglich einer Staffelsteuer für die Mühlengeschäfte, die gestern im preußischen Abgeordnetenhause erörtert wurde, könnte man wohl eine Ausnahme machen und von Reichs wegen eine solche Steuer einführen. Der Bundesrat würde sich damit den Dank des Hauses und der kleineren und mittleren Mühlen erwerben, die heute unter der Konkurrenz der großen Mühlen schwer zu leiden haben. Wenn der Abg. Bebel gesagt hat, Herr Spahn hätte zugegeben, daß durch die Zölle die notwendigen Nabrungsmittel verteuert werden, so stehe ich nicht auf dem Stand⸗ punkt des Abg. Spahn, denn die Arbeiterklasse wird durch die größere Nachfrage nach Arbeit, die infolge des Zollschutzes eintritt, jedenfalls entschädigt. Im übrigen sind die Witwen und Waisen, für die der bekannte Zollfonds gebildet werden soll, keine Produzenten mehr, sie sind angewiesen auf die Beihilfe derjenigen Klassen, die es leisten können. Was die soziale Gesetzgebung betrifft, so möchte ich davor warnen, ein zu schnelles Tempo einzuschlagen. Die Beiträge für die Arters⸗ und⸗Invalidenversicherung haben sich nahezu ver⸗ doppelt. Was die Ausfälle des Abg. Bebel gegen das Haus und die übrigen Parteien betrifft, so hat Herr Bebel gestern schon seine Ant⸗ wort erhalten. Man kann es den Herren in der Tat nicht übel⸗ nehmen, die untereinander mit einem solchen Ton um sich werfen, die sich einer solchen Gesinnung für fähig halten, wenn sie auch anderen Parteien gegenüber dasselbe tun. Man muß das nicht so hart beurteilen. Herr Bebel spricht ja für die große Masse derer, die nicht alle werden. Er machte den Vorschlag, es möchten hervor⸗ ragende Reden öffentlich angeschlagen werden, wie in Frankreich, sogar in den Dörfern. Es würde ja seine Schwierigkeiten haben, die dreistündigen Reden des Herrn Bebel anzuschlagen, aber vielleicht käme er dadurch zu einer etwas größeren Kürze. Sehr probat ist das Mittel, daß einem Redner, der genug gesprochen hat einfach der Stuhl weggezogen wird. Herr Bebel mag es entschuldigen, wenn ich ihm nicht dasselbe militärische Verständnis zuschreibe, wie er sich selbst. Die einjährige Dienstzeit haben wir doch nicht nur für diejenigen ge⸗ schaffen, die Geld haben, sondern, wenn ich nicht irre, auf Antrag meiner Fraktion, auch für die Dorfschullehrer und ich glaube mit Recht, denn die erlangte Bildung gibt dem Lehrer die Berechtigung, seine Dienstzeit zu verkürzen. Ist das nicht gut? Aber freilich, Herr Bebel ist der Bildung nicht sehr hold, ich weiß das von dem Dresdner Parteitage her. Herr Bebel sprach mit besonderer Verehrung und Hochachtung von dem französischen Offizierkorps. Unser Offizierkorps unterschätzt das französische keineewegs, im Gegenteil, es hat vor ihm den größten Respekt seit dem 1870er Kriege. Aber wie Herr Bebel dazu kommt, diese Lobrede auf das französische Offizierkorcs zu halten, weiß ich nicht, es sei denn, daß er die Absicht gehabt hat, das gut zu machen, was seine Partei dort jetzt dem französischen Offisterkorps anzutun beliebt. Ueber das große Gebiet der Kolonialpolitik wird mein Fraktionsgenosse Stockmann sprechen; ich sage nur, daß ich bezüglich der Kolonien einen vollständig anderen Standpunkt ein⸗ enommen habe, wie der verehrte Herr Müller⸗Sagan. Ich in von Anfang an ein begeisterter Kolonialfreund gewesen, weil ich mir sagte: Haben wir Kolonien, so müssen wir auch eine starke

te haben, diese brauchen wir, weil Deutschland heute verpflichtet

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