1904 / 292 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 12 Dec 1904 18:00:01 GMT) scan diff

nun wirklich so haltlos gewesen, wie die öffentliche Meinung glaubt, daß man sagen könnte, der Prozeß hätte gar nicht angestrengt werden sollen? Unser Strafparagraph, der von der Vorbereitung zum Hochverrat handelt, hätte aber Anwendung gefunden, wenn die Gegen⸗ seitigkeit verbürgt gewesen wäre. Die Gegenseitigkeit soll nach § 260 des russischen Gesetzes nur durch besondere Traktate oder Gesetze verbürgt werden. Bei flüchtigem Ansehen könnte man darunter verstehen, daß hiermit Gesetze gemeint sein könnten, die in Deutschland publiziert sind. Bevor das Urteil des Gerichts nicht rechtskräftig geworden ist, soll man jedenfalls nicht sagen, daß die Anklage haltlos gewesen ist. Wenn man sagt, die Staatsanwaltschaft hätte besser getan, nicht vorzugehen, so vergißt man, daß die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, einzugreifen, wenn eine strafbare Handlung vorzuliegen scheint. Nachdem die Verhaftung wegen Hochverrats und Majestätsbeleidigung erfolgt war, war die Staatsanwaltschaft auf Grund des § 130 verpflichtet, den Antrags⸗ berechtigten zu fragen, ob er einen Strafantrag stellen wolle. Die Justizverwaltung kann nur unter besonderen Umständen in ein gerichtliches Verfahren sich einmischen. Der Untersuchungsrichter ist pöllig selbständig und hat von niemandem Weisungen anzunehmen. Deshalb kann man auch dem Justizminister keinen Vorwurf wegen der Handlungen des Untersuchungsrichters machen. Wenn man die Besetzung des Gerichts tadelt, so sollte man doch nicht immer, wenn man mit einem Urteil nicht zufrieden ist, auf die Zusammen⸗ setzung des Gerichts zurückgreifen. Das Präsidium des Land⸗ gerichts wird wohl gewußt haben, daß der bestimmte Vorsitzende zur Leitung solcher Verhandlungen befähigt ist, und wenn dieser uch kurz vorher Staatsanwalt gewesen ist, so hat er doch, sobald er Richter geworden ist, das Bewußtsein, daß er Richter und nicht Staatsanwalt ist. Was die Auslieferungen betrifft, so wünschte ich, daß in einer ganzen Anzahl von Fällen die Auslieferung nicht erst von besonderen Erwägungen abhängig gemacht werden, sondern auf jeden Fall erfolgen muß. Die Aus⸗ lieferung wegen politischer Verbrechen muß dann erfolgen, wenn das politische Verbrechen zugleich ein gemeines Verbrechen ist. Wir wünschen eine Revision des Vertrages mit Rußland in diesem Sinne. Wegen der augenblicklichen Lage Rußlands wäre allerdings eine solche Revision vorläufig noch aufzuschieben, ich bitte die Regierung aber, für eine ruhigere Zukunft sie in Aussicht zu nehmen. Die Fremden sollen bei uns behandelt werden wie Inländer, aber sie haben sich gefährlicher politischer Bestrebungen zu enthalten. Deshalb ist die Regierung auf dem richtigen Wege, wenn sie ein wachsames Auge auf die Ausländer hat. Namentlich müssen die Russen beobachtet werden, und zwar nicht erst dann, wenn sie bereits als Anarchisten erkannt sind. Aber russische Polizeibeamte dürfen sich hier bei uns nicht einmischen, ge⸗ schweige denn Verbrechen begehen. Wir haben aber schon früher die Erklärung der Regierung erhalten, daß eine solche Tätigkeit von fremden Beamten bei uns nicht geduldet wird. Diese dürfen nur zu Auskünften herangezogen werden. Es ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, die ruhestörenden Elemente, die Terroristen und Anarchisten, aus unseren Grenzen zu entfernen. Die böswilligen, auf Umsturz aus⸗ gehenden Elemente aufzunehmen, kann man keinem Staate zumuten, deshalb müssen sie dahin gebracht werden, woher sie gekommen sind. Wir haben das Vertrauen zu unserer Regierung, daß sie sich nur durch das Wohl des preußischen Staats leiten läßt.

Abg. Traeger (fr. Volksp.): Wir können mit dem Verlaufe der Interpellation zufrieden sein, weil die Bedenken im allgemeinen und im besonderen beseitigt worden sind. Der Minister ist an den Maß⸗ nahmen der Behörden in keiner Weise beteiligt. Aber die Anklage⸗ schrift hat dem Minister vorgelegen, und es wäre doch bei der Wichtigkeit der Sache und dem Aufsehen, das sie machte, geboten ge⸗ wesen, die Anklage nach der formellen Seite zu prüfen, sowohl be⸗ züglich der Stellung des Strafantrags wie der Verbürgung der

Gegenseitigkeit. Die Sache ist mit vielem Eklat in Szene gesetzt worden, und das Resultat ist für die gemachten Anstrengungen sehr klein. Da wäre es Pflicht des Ministers gewesen, den Staatsanwalt aufmerksam zu machen und zu fragen, ob er diese grundlegenden formellen Fragen sich genügend beantwortet habe. Das wäre keine unzulässige Beeinflussung gewesen. Als

die Sache hier am 22. Februar zur Sprache kam, hat der

Minister selbst die Mißlichkeit empfunden, über eine schwebende ge⸗

richtliche Angelegenheit sich zu äußern, und hat die Rücksichten ge⸗ nommen, die ihm die ungewöhnliche Situation aufdrängte. So hat auch Herr Gyßling sich jeder Kritik der Gerichtsentscheidung enthalten.

Die Meinung des Ministers, daß von dem § 242 ein etwas weiter

Gebrauch gemacht ist und die Beweisaufnahme einen zu weiten Um⸗

fang gehabt habe, ist bedenklich, denn diese Meinung könnte doch hier und da bei erkennenden Gerichten Anklang finden. Der § 242 enthält eine der Garantien, die geschaffen wurden, als man die Berufung beseitigte. Diese Garantie besteht darin, daß man in allen Fällen, wo ein materielles Rechtsmittel nicht möglich ist, möglichst alle Anträge der Verteidigung zuläßt, weil keine Instanz vorhanden ist, wo eine Versäumnis nachgeprüft werden könnte. Ich hoffe aber, daß kein Gericht durch die Autorität des Ministers von seiner Meinung in dieser Hinsicht abgebracht werden wird. Gerade in dieser Sache ist anzuerkennen, daß das Gericht jeden Verdacht, als ob es die Rechte der Angeklagten beschränke, von sich abgewiesen hat.

Der Abg. Spahn hat gesagt, daß der Prozeß kein Ruhmesblatt der preußischen Justiz sei. Der Reichskanzler hat gerade das, was wir an em Prozeß aussetzen, die juristische Behandlung, en bagatelle be⸗ handelt und den Schwerpunkt auf die politische Seite gelegt. Da⸗

üssen wir protestieren; die Hauptsache ist nicht die politische Seite, sondern die Frage, ob der Prozeß dem Ansehen unserer Justiz nach ßen und innen Schaden gebracht hat. Es ist bedenklich, wenn die Recht⸗ rechung etwa in den Dienst der Polizei gezwungen werden sollte. russischen Generalkonsul gegenüber wäre das äußerste Miß⸗ angebracht gewesen. Wenn er keine Zeit für die Ueber⸗ gehabt hat, so hätte er, wenn er seine Aufgabe gewissenhaft das von vornherein erklären und eventuell die Arbeit ab⸗ weisen sollen. Unsere Justiz hat sich hier nicht mit Ruhm bedeckt, es sind bedauernswerte Fehler vorgekommen. Das Verhältnis zu Rußland hat schon seit langer Zeit, ich will nicht sagen Anstoß, aber den Verdacht erregt, als ob wir Rußland besondere Liebesdienste er⸗ wiesen. Die Volksmeinung hat vermutet, daß über diesen Prozeß nicht das preußische Gericht, sondern die russische Regierung entscheide. Auf keinen Fall können wir unsere Rechtsprechung an Rußland oder sonst einen anderen Staat ausliefern, wir müssen in dieser Hinsicht Herren im eigenen Hause bleiben. Was die Fremdenpolizei betrifft, so will der Vorredner den Vertrag mit Rußland von 1885 revidieren, um ihn zu verschärfen; wir wollen ihn aber revidieren, weil er uns zu weit geht. Als der Vertrag von 1885 auf das Reich übergehen sollte, ourde die Vorlage schließlich wieder zurückgezogen, weil die öffentliche Meinung sich entschieden gegen diesen Vertrag erklärte. Daß Rußland vom Ideal eines Rechtsstaats noch weit entfernt ist, wird niemand bestreiten können; deshalb ist Rußland mit der äußersten Vorsicht zu behandeln.

Justizminister Dr. Schönstedt: 8

Meine Herren! Ich will zunächst ein Bekenntnis nachholen, das ich schon vorher hatte abgeben wollen, aber leider abzugeben vergessen habe. Es ist richtig, daß die Anklageschrift, die bezüglich der Gegen⸗ seitigkeit die Erklärung des Generalkonsuls wiedergiebt und sich darauf stützt, dem Justizministerium vorgelegen hat. Sie ist eingegangen am 4. Juli, gleichzeitig mit dem Eröffnungsbeschluß, und es wäre gewiß möglich gewesen, an und für sich ich sehe davon ab, ob man im Justizministerium dazu verpflichtet war, einen genaueren Einblick in diese Anklageschrift zu nehmen. Nun lagen die Verhältnisse in⸗ sofern ganz besonders ungünstig, als der Referent, der die Sache be⸗ arbeitet hat, eben im Begriffe war, seinen Sommerurlaub anzutreten. Die Anklageschrift ist 222 Seiten lang, und die Eröͤrterungen über

die Gegenseitigkeit beginnen auf Seite 155. Wenn Sie diese

Schrift ansehen und sich überzeugen, wie schwer leserlich sie ist, sodaß es eine wahre Arbeit ist, sich hindurchzuarbeiten, dann werden Sie es begreiflich finden, daß der schon reisefertige Referent sich der Mühe nicht unterzogen hat, das ganze Opus noch durchzuarbeiten, um so weniger, als er gerade wie alle Herren im Ministerium am Tage vor dem Urlaubsantritt mit anderen sehr dringenden Arbeiten überreichlich beschäftigt war. Meine Herren, ich will aber gern anerkennen, es wäre wünschenswert gewesen, wenn es geschehen wäre. Allerdings konnte es keinen Einfluß mehr ausüben auf die schon beschlossene Eröffnung des Hauptverfahrens, aber die Justizverwaltung wäre wenigstens in der Lage gewesen, die Staats⸗ anwaltschaft schleunigst zu belehren und dadurch dem Eklat in der Hauptverhandlung vorzubeugen. (Sehr richtig!) Meine Herren, ich bedauere es auf das allerlebhafteste, wenn die Sache in dieser Weise verlaufen ist, und wenn Sie darin eine Sünde erkennen, dann will ich gern im Namen des Justizministeriums an meine Brust schlagen und mich als Sünder bekennen.

Es ist bezüglich der Kenntnis des Justizministeriums von den maßgebenden Vorschriften des russischen Strafgesetzbuchs in der sozialdemokratischen Presse der Vorwurf erhoben worden, die Sache müsse unwahr sein, denn in der Verhandlung vom 22. Februar hätte ich mich nur auf die Erklärungen des russischen Generalkonsuls und der russischen Botschaft über die Verkürzung der Gegenseitigkeit be⸗ rufen. Die Tatsache ist richtig, aber das erklärt sich sehr einfach da⸗ durch, daß ich in dieser Verhandlung überhaupt keinen Anlaß ge⸗ nommen habe, das rechtliche Gebiet eingehend zu erörtern, daß die Frage der Gegenseitigkeit für uns eine unzweifelhafte war, und daß deshalb die Bezugnahme auf jene Erklärungen mir genügte, weil sie nach unserer Ueberzeugung auf dem Boden des russischen Gesetzes stand.

Nun hat der Herr Vorredner mir noch den Vorwurf gemacht, ich sei nicht zurückhaltend genug gewesen in meinen Bemerkungen zu dem ersten Urteil, insbesondere bezüglich der Gegenseitigkeits⸗ frage. Ja, meine Herren, ich habe doch damit niemandem etwas Neues gesagt, und niemand wird der Meinung sein, daß ich daran hätte denken können, in dieser Frage das Reichsgericht zu be⸗ einflussen. Das Reichsgericht kennt ja die Stellung der Justizver⸗ waltung zu dieser Frage ganz genau; in der Revisionsschrift der Staatsanwaltschaft ist sie des näheren begründet worden. Deshalb, glaube ich, kann es nicht als ein Mangel an gebotener Diskretion bezeichnet werden, wenn ich über diese Frage ein paar Worte gesagt habe.

Herr Traeger hat mir ferner zum Vorwurf gemacht, daß ich in unzulässiger Weise den Umfang der Beweisaufnahme kritisiert habe, welche die Strafkammer zugelassen hat in der Vernehmung der russischen Sachverständigen, des Professors Reußner und des Herrn Buchholtz. Meine Herren, da liegt die Sache doch anders. Ich habe da Veranlassung nehmen müssen, den Auffassungen der Presse entgegenzutreten, die zum großen Teil sich darüber ver⸗ wundert hat, daß tagelang auf der Anklagebank eigentlich nicht die Angeklagten, sondern die russische Regierung gesessen habe, und da habe ich erklärt, wie das Gericht dazu gekommen sei; ich habe gesagt, man könne darüber verschiedener Meinung sein; das Gericht sei der Meinung gewesen, diesen Beweis zulassen zu müssen, und meinerseits könne ich das freie Ermessen des Gerichts in dieser Beziehung nicht anfechten; das Gericht hätte sogar den ganz guten Grund gehabt, auf den der Herr Abg. Traeger eben hingewiesen hat, daß es den Anschein vermeiden wollte, als sei irgendwie die Absicht vorhanden gewesen, die Verteidigung zu verschränken, was möglicherweise einen Revisionsgrund für die Angeklagten abgegeben haben würde. In diesem Punkte kann man mir daher einen Vorwurf nicht wohl machen.

Am Schlusse seiner Rede hat der Abg. Traeger in etwa dunkeler Andeutung noch auf irgend ein Geheimnis hingewiesen, das vielleicht das entgegenkommende Verhalten des Deutschen Reichs Rußland gegenüber erklären könne. Ich weiß nicht, ob darin ein Hinweis auf den angeblichen geheimen Vertrag liegen soll, von dem der „Vorwärts“ vorgestern seine Leser unterhalten hat. Dieser ge⸗ heime Vertrag ist gestern schon durch den Herrn Reichskanzler dahin verwiesen worden, wohin er gehört, nämlich in das Fabelreich des Kaiserschlosses auf dem Pichelswerder. (Heiterkeit und Bravo! rechts.)

Abg. Marx (Zentr.): Die Interpellation Gelegenheit gegeben, sich von schweren Vorwürfen zu befreien, aber nach den letzten Ausführungen des Ministers sind doch auch vom Ministerium Fehler begangen worden. Das Ministerium

at der Regierung

hätte also von vornherein das Versehen der Uebersetzung feststellen können. Die Angeklagten selbst verdienen zwar gerade nicht besonderes Mitgefühl, aber trotzdem mußte auch ihnen gegenüber der Rechtsstand⸗ punkt gewahrt werden. Nur ist es nicht richtig, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, mit einer Interpellation zu kommen. Aber immerhin ist diese Erörterung von nutzen. Die Meinung kann nicht aufkommen, als sollte hier etwa das Reichsgericht beeinflußt werden. Trotzdem kann ich die Ein⸗ bringung der Interpellation nicht als ganz unbedenklich ansehen. ehler sind seitens des Gerichts gemacht worden, z. B. ist die Frist ehr kurz gewesen zwischen der Zustellung der Anklageschrift und der Hauptverhandlung; ferner sind die Akten nicht vollständig den Ver⸗ teidigern vorgelegt worden. Das Gericht durfte sich nur auf eine amtliche Uebersetzung des russischen Strafgesetzes verlassen; in der Bibliothek des Oberlandesgerichts in Königsberg ist die amt⸗ liche Uebersetzung vorbhanden. Hat die Regierung den russischen Generalkonsul über sein Verhalten überhaupt befragt? Es trifft ihn doch ein Verschulden. Wie eine Verhöhnung klingt es doch, daß das russische Gericht die kommissarische Vernehmung des Skubbik erst für den 2. August ansetzte. In der Beweisaufnahme meine ich, daß der Rahmen zu Gunsten der An⸗ geklagten gerade so weit wie möglich gezogen werden muß. Das Kolleg des Ministers von Hammerstein über das Fremdenrecht war sehr interessant, aber es hat mit dem Königsberger Prozeß nichts zu tun. Die Auslieferung wegen politischer Vergehen bedarf dringend einer Aenderung; das Ermessen der Behörden muß ausgeschaltet werden. Die Verwaltungsbehörden verwechseln sehr oft Ausweisung und Auslieferung. Wenn an der russischen Grenze die bewaffnete Macht steht, um den Ausgewiesenen in Empfang zu nehmen, so ist das eine Auslieferung. Die Gegenseitigkeit muß durch besondere Ver⸗ träge verbürgt werden, um jeden Irrtum auszuschließen.

Abg. Pallaske (kons.) erkennt an, daß nach der Stellungnahme des Gerichts eine Kritik des Prozesses sich nicht vermeiden lasse. Wenn Herr Gyßling von einer großen Erregung durch den Prozeß spreche, so gelte das nicht für alle Teile Deutschlands; seine Partei sei auch nicht ohne Schuld an dieser Erregung. Ich schließe mich mit meinen Freunden den Worten des Abg. von Kardorff im Reichstag über den Abg. Richter an, wir vermissen ihn in diesem Hause auch, wir rühmen die politische Unabhängigkeit des Abg. Richter in bezug auf die Sozialdemokratie, der ein Vorkämpfer gegen diese war, was man von den Herren um ihn herum nicht so sagen kann. Ich will nicht sagen, daß sie die Sozialdemokraten unterstützen, aber wenn Herr Goßling als Proben seines Kampfes gegen die Sozialdemokratie

Abschnitte aus dem „Vorwärts“ vorliest, so ist das ein Zeichen seines Mangels an politischem Augenmaß Der Redner geht dann ebenfalls auf die Einzelheiten des Prozesses ein und bedauert das Versehen der mangelhaften Gesetzesübersetzung, will aber darin, daß auch die Verteidiger zu Anfang der Verhandlung davon ununterrichtet waren, eine Entschuldigung sehen. Seine konservativen Freunde wollten aber nicht durch einen zu scharfen Tadel die Arbeitsfreudigkeit der Beamten stören. Es handele sich nicht so um die formale Gegen⸗ seitigkeitsverbürgung, als um die Solidarität aller Kulturstaaten, sich gegen den Umsturz zu schützen. Bismarck habe in den 60 er Jahren gesagt: Das Schwert der Gerechtigkeit hat sich auch auf andere Länder zu erstrecken. An den Handelsverträgen werde ihn doch am wenigsten die Frage interessieren, ob jüdische Handlungsreisende Erleichterungen erhalten in Rußland. Bezüglich der fortwährenden Anklage der Liebe⸗ dienerei gegen Rußland erinnere er daran, wie Bismarck freundliche Beziehungen zu diesem Lande pflegte, und man brauche sich daher wohl einer solchen Haltung nicht zu schämen. b 1

Abg. Friedberg (nl) führt zunächst aus, daß auch der Re⸗ gierung die Besprechung der Angelegenheit nur angenehm sein könnte. Herr Pallaske hätte seine Worte über den Abg. Richter insofern etwas liebenswürdiger formulieren können, als er nicht zuͤgleich dessen engeren Freunden näher zu treten brauchte. Gewiß hätten wir die Pflicht, im eigenen Interesse die Interessen anderer Staaten wahr⸗ zunehmen, aber Rußland scheine nach dem Rigaer Prozeß selbst keinen allzu großen Wert auf Preußens Entgegenkommen zu legen Es seien in dem Prozeß recht schwere Fehler gemacht worden. Vielleicht wäre die ganze Sache vermieden worden, wenn auf den Bibliotheken der Gerichte in Königsberg eine genügende Anzahl guter Uebersetzungen der russischen Gesetze vorhanden gewesen wäre. Die Nachlässigkeit des Referenten, der dem Justizminister Be⸗ richt erstattete, sei sehr ärgerlich, jedoch sei der Justizminister in Schutz zu nehmen gegen den Verteidiger Liebknecht. In einem solchen Prozeß Sachverständige wie den Professor von Reußner, die nur ein partielles Urteil haben, zuzuziehen, sei nicht ratsam. In Betreff der Auslieferungsbestimmungen sei er der Meinung, daß nur auf Grund bestimmter nachgewiesener Taten die Auslieferung erfolgen dürfe. Wenn auch die Regierung verfassungsmäßig uns die Auslieferungs⸗ verträge nicht vorzulegen braucht, so täte sie doch gut, die Volks⸗ vertretung dabei hinzuzuziehen. Die Waffe der Ausweisung wollen wir der Regierung nicht nehmen, sie ist z. B. nötig, wenn ein fremder Journalist Deutschland verhetzt, aber eine Rekursinstanz gegen die Ausweisungen kann ich nicht gutheißen. Jedoch darf die Ausweisung niemals eine Auslieferung werden. Neu ist mir, daß eine administrative Verhaftung in Deutschland überhaupt möglich ist, eine solche präpentiver Natur, wie im Falle der russischen Studenten, ist nicht angebracht. Daß, wie Herr von Vollmar behauptete, das Gericht in Königsberg beeinflußt gewesen sei, ist nicht richtig; im Gegenteil, er hat bewiesen, daß es unbeeinflußt durch Strömungen von unten und oben geurteilt hat. Ich möchte lieber vor einem solchen Gericht stehen als vor einem sozialdemokratischen Ausschuß.

Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Der Herr Abg. Friedberg hat hier eben einen Fall zur Sprache gebracht, der allerdings in den Zeitungen der letzten Wochen vielfach erörtert worden ist. Es hat hier bereits im vorigen Winter eine junge Russin, Janina Berson, studiert. Diese machte sich schon damals dadurch bemerkbar, daß sie in einer Anzahl Versammlungen sozialdemokratischer und anarchistischer Richtung erschien, daß sie an der Veranstaltung einer Feier für die Märzgefallenen am 18. März teilnahm, und daß sie sich aktiv mit ihrer Unterschrift an den Protestversammlungen und Resolutionen beteiligte, welche im vorigen Frühjahr gegen den Herrn Reichskanzler seitens der Sozialdemokraten und Anarchisten veranstaltet wurden. Diese Berson verließ dann Berlin, und es wurde im Herbst bekannt, daß sie hierher zurück⸗ gekehrt sei, einen bestimmten festen Wohnsitz aber nicht habe. Es wurde dann auf sie gefahndet, und sie wurde eines schönen Morgens bei einem gewissen Karfunkelstein gefunden (hört, hört! rechts), der sehr bekannt ist unter dem Namen Werner Daja, auch in anarchistischen Blättern schreibt. Sie lag mit Karfunkelstein im Bett (hört, hört! rechts, große Heiterkeit), ein russischer Student lag noch in demselben Zimmer auf dem Fußboden. Sie wurde dann nach der Polizei gebracht. In dem Zimmer hatte man eine ganze Reihe anarchistischer Flugschriften gefunden, über die sie jede Auskunft ver⸗ weigerte, die aber anscheinend ihr gehörten. Ich muß hier bemerken, daß Karfunkelstein angab, er nähme das alles auf sich; die ganzen Papiere gehörten ihm. Der Karfunkelstein ist Preuße, sie ist Russin.

Nun hatte sie sich durch ihr ganzes Verhalten, durch ihre An⸗ wesenheit auf anarchistischen Versammlungen der Zugehörigkeit zum Anarchismus sehr dringend verdächtig gemacht und, wie ich schon im Februar d. J. hier erklärt habe, ist es unter den zivilisierten Nationen übereinstimmender Brauch, daß Anarchisten niemals einem anderen als dem SHeimatsstaate zugeführt werden. Es ist deshalb sofort und zwar telegraphisch die russische Regierung von der Festnahme der Russin in Kenntnis gesetzt und ersucht worden, anzuerkennen, daß die Berson dorthin gehöre. Eine Antwort ist nicht erfolgt. Sie ist deshalb zu meinem Bedauern mehrere Tage im Polizeigewahrsam gewesen, 4“st dort übrigens voll⸗ ständig pfleglich behandelt worden (Heiterkeit) und nach einigen Tagen, ist nach ihrem Wunsch ein Rechtsanwalt zu ihrer Vertretung zugelassen worden. Nachdem nach acht Tagen aus Rußland eine Antwort nicht erfolgt war, habe ich auf Antrag des Polizeipräsidenten verfügt, diese Person nunmehr ohne weiteres auszuweisen, und wenn sie im Besitz der nötigen Geldmittel sei, sie über diejenige Grenze auszuweisen, welche sie selbst zu überschreiten wünsche.

Ich glaube, meine Herren, humaner, als in diesem Falle verfahren ist, kann man nicht verfahren. (Sehr richtig!) Im letzten Moment, als die Ausweisung verfügt war, erschien dann ihr Vater wie ich höre, ein sehr angesehener Mann auf dem Polizei⸗ präsidium und hat die Tochter in Empfang genommen. Wenn nachher in den Zeitungen gestanden hat, sie sei erst frei geworden, weil der Vater sein Ehrenwort gegeben habe, sie über die Grenze zu schaffen, so ist das absolut unwahr; ihre Freilassuug war schon ver⸗ fügt, als der Vater erschien, und man freute sich allerdings im Interesse dieses zweiundzwanzigjährigen Mädchens, sie wieder ihrem Vater übergeben zu können, und ich möchte annehmen, daeder Vater ein sehr achtbarer Mann sein soll, daß er glücklich gewesen ist, sie in den Händen der Polizei und nicht im Bette des Herrn Karfunkelstein zu finden. (Stürmische Heiterkeit.) Ich glaube, ein Anlaß zu einer besonderen sittlichen Entrüstung liegt hier nicht vor, und auch hier hat, wie ich vorhin bemerkte, die Polizei ihre Schuldigkeit getan. (Bravo! rechts.)

2 ff. Lisia 1f 8 8 G

„Abg. Wo Iff⸗Lissa (fr. Vgg.): Wenn Herr Richter die Worte des Herrn Pallaske gehört hätte, würde er sich für dieses Lob bedanken. Den Freunden des Herrn. Pallaske ist es ganz gleichgültig, wie die jüdischen Reisenden in Rußland behandelt werden.“ Wir perhorreszieren den Standpunkt der Sozialdemokraten, die den Prozeß agitatorisch ausgenutzt haben. Ich meine nicht, daß es sich um eine Liebedienerei gegen Rußland handle, aber in so wichtigen politischen Dingen sollte man auch den Schein vermeiden und der Sozial⸗ demokratie jeden Vorwand nehmen, von Liebedienerei zu sprechen.

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Man konfisziert aber die Schriften und begnügt sich mit einer Uebersetzung des materiellen Rechts durch den russischen General⸗ konsul. Dem öö mußte doch auffallen, woher eine folche falsche Uebersetzung käme. Gerade dieser Fall mahnte doch zu einer besonderen Vorsicht. Nach der Darstellung der Sozialdemokratie sind nun Märtyrer entstanden, die angeblich monatelang in Unter⸗ suchungshaft unschuldig gesessen haben. Selbst in konservativen Blättern ist dieser Prozeß als ein Mißgriff angesehen worden. Dar⸗ üͤber herrscht Einigkeit, daß der Auslieferungsvertrag mit Rußland von 1885 nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Was sind denn freund⸗ nachbarliche Beziehungen, von denen dabei die Rede ist? Der Ver⸗ trag muß nach der Richtung abgeändert werden, daß die Ausweisungen nicht mehr in Auslieferungen übergehen. Das entspricht nicht den Anforderungen unserer Zeit.

Darauf wird die Besprechung geschlossen.

Abg. Gyßling bemerkt persönlich, daß er am wenigsten von Herrn Pallaske eine Belehrung über die Persönlichkeit des Abg. Richter annehmen würde.

Abg. Marx verwahrt sich gegen eine Aeußerung des Abg. Fried⸗ berg, daß er das Gerichtsurteil kritisiert habe. 3

Abg. Dr. Friedberg hält seine Auffassung aufrecht.

Damit ist die Interpellation erledigt.

Präsident von Kröcher teilt mit, daß er, da kein spruchreifer Beratungsstoff mehr vorliege, zu seinem Bedauern keine Sitzung mehr vor Weihnachten vorschlagen könne.

Abg. Freiherr von Zedlitz (freikons.) wünscht, daß die zweite Beratung des Ausführungsgesetzes zum Reichsseuchengesetz am nächsten Montag beraten werde, und bedauert, daß überhaupt die ganzen Arbeiten in die Kommissionen gelegt und dadurch die Plenar⸗ beratungen zurückgedrängt würden, was den Absentismus befördere.

Präsident von Kröcher erwidert, daß der Berichterstatter für dieses Gesetz in der nächsten Woche nicht mehr hier sein könne.

Abg von Heydebrand kkons.) glaubt, daß das erwähnte Gesetz nach Weihnachten leichter zustande zu bringen sei; jetzt würde es dielleicht nur an die Kommission zurückgewiesen werden können.

Abg. Dr. Friedberg wünscht, daß am Montag noch Petitionen beraten würden.

Präsident von Kröcher erwidert, daß damit nur eine ganz kurze Sitzung zustande käme und daß viele Mitglieder schon ab⸗ gereist seien.

Schluß 6 Uhr. Nächste Sitzung Dienstag, den 10. Ja⸗ nuar 1905, 11 Uhr. (Entgegennahme von Vorlagen der Regierung und Petitionen.)

Literatur.

Friedrich Hebbels sämtliche Werke. Herausgegeben und mit einer literarisch⸗biographischen Einleitung versehen vön ldolf Bartels. 1 Band von 1056 Seiten Lexikonoktav. Ge⸗ bunden 4 ℳ% (Stuttgart, Deutsche Verlags⸗Anstalt.) Im letzten Jahrzehnt hat das Interesse für die eigenartige, große Dichtergestalt Hebbels in weiteren Kreisen Fuß gefaßt, wozu nicht nur die moderne Strömung innerhalb der deutschen Literatur, die eine teilweise Um⸗ wertung der ästhetischen Schulbegriffe mit sich brachte, beitrug, sondern auch die Neuausgaben der Werke des Dichters selbst, vor allem die seiner hochinteressanten Tagebücher. An einer wirklich billigen und dabei doch zuverlässigen Textausgabe der Dichtungen und Prosaschriften Hebbels außer den Tagebüchern hat es bisher aber gefehlt, und o darf man die von Adolf Bartels veranstaltete, die allen Anforde⸗ rungen an den Text genügt und zudem eine einsichtsvolle Würdigung des Dichters in einer biograpbisch⸗literarischen Einleitung liefert, mit Freude begrüßen und ihr weite Verbreitung wünschen.

Ueber der Scholle. Gedichte von Paul Barsch. (Verlag der Allgemeinen Verlagsgesellschaft in München. 2 ℳ) Es ist

ne seltene Freude, wenn man unter den zahlreich erscheinenden neuen Gedichtsammlungen einmal auf eine stößt, aus der ein wirklicher Dichter zu uns spricht. Das ist bei der kleinen Sammlung von Hedichten Paul Barschs der Fall. Sie enthält trotz ihres geringen Umfanges zwar durchaus nicht Gleichwertiges, aber immerhin tine ganze Reihe nach innerem Gehalt und nach ihrer Form ertvoller und schöner Gedichte, aus denen auch Eigenart spricht in männliches und doch zartes Empfinden, ein gesunder Sinn, der

unserer vielfach krankhaft fühlenden Zeit doppelt angenehm berührt, tiefes Naturempfinden und eine glückliche Gabe, auch den Volkston

gekünstelt zu treffen, sind die Hauptvorzüge der Sammlung, auf die alle Freunde der Lyrik aufmerksam gemacht seien.

„‚Dreiklang“. Ein Buch Gedichte von Rudolf Presber nit Buchschmuck von Walter Caspari. J. G. Cottasche Buchhand⸗ lung Nachf. Stuttgart und Berlin. 1904. (Preis 3 ℳ) Es ist

n stattlicher Band, den Rudolf Presber den vielen Freunden seiner kuse als willkommene Gabe auf den Weihnachtstisch legt. Vor wenigen ahren zog er, ein junger noch ganz unbekannter Poet, nach Berlin, n als Feuilletonredakteur und Theaterkritiker der „Post“ seine, atigkeit hier aufzunehmen, heute ist er aber nicht nur als Kunst⸗ urteiler angesehen, sondern hat sich auch als schaffender Künstler auf literarischem Gebiet einen geachteten Namen erworben. Ils Dramatiker wurde er zuerst durch die Aufführung seines Schauspiels „Der Schuß“ im Berliner Theater bekannt, sein anmutiges Versstücklein „Herbstzauber“ erlebte auf verschiedenen Bühnen sowie im vorigen Jahre beim Königlichen Schauspielhause mehrere Aufführungen, und eine formschöne Neuübersetzung und Bühnenbearbeitung des „Richters n Zalamea“ erschien am Anfang dieser Spielzeit am hiesigen Lessing⸗ eater. An einer größeren Erzählung hat er sich wohl noch nicht versucht, wohl aber an kleineren, geistvoll geschriebenen humoristischen d satirischen Skizzen Seine Haupterfolge errang er aber ad das will in der heutigen Zeit etwas besagen s Lvriker, in welcher Eigenschaft er jetzt bereits mit der dritten Sammlung von Dichtungen hervortritt. „Dreiklang“ unt er das Buch darum, weil die einzelnen Gedichte nach der in hnen enthaltenen Stimmung in drei Gruppen zusammengefaßt sind, die er „Lieder eines Träumers“, „Lieder eines Weltkinds“ und „Schwänke“ betitelt hat. Charakteristisch für ihre Tonart sind die Persöͤnlichkeiten, denen jede dieser Gruppen gewidmet ist: die erste ist m feinsinnigen Lyriker Prinzen Emil zu Schönaich⸗Carolath, die zweite dem lebens⸗, liebes⸗ und sangesfrohen Detlev von Liliencron, die dritte dem humorbegabten Alexander Moszkowsky, dem spiritus rector der eustigen Blätter“, zu deren beliebtesten Mitarbeitern auch Presber lt, zugeeignet. Allen gemeinsam ist eine schöne, kristallklare Form, e reichquellende Phantasie und ein sonnig, lächelnder Zug, der sich auch da nicht verleuanet, wo ein schwermütiger Grundton erklingt, und der selbst dem Spott der Satire eine versöhnliche Liebenswürdig⸗ keit verleiht. Zweifellos werden ihm diese Gedichte zu den alten noch ue Freunde werben, manchem Liede aber möchte man wünschen, daß 8, von einem unserer Komponisten mit Flügeln des Gesanges versehen, eine Fahrt durch deutsche Lande antrete. „— „Die moderne Musik“ von Dr. Leopold Schmidt. Ver⸗ lag von Leonhard Simion Nachf., Berlin. (Preis 1 ℳ% 20 ₰.) Der als Musikkritiker in weiteren Kreisen bekannte Verfasser gibt im wesentlichen eine entwickelungsgeschichtliche Darstellung der mit Richard Wagner anhebenden neudeutschen Schule. Nach einer in Ugemeinen Zügen eehaltenen Darlegung der vorwagnerischen Epoche childert er die dur Wagner hervorgerufene Umwälzung in der Musik dis auf die neuesten Ausläufer dieser Entwickelung. Obwohl er selbst tschieden auf dem Boden der neuen Richtung steht, sucht er sich doch n einer extremen Behandlung des Gegenstandes frei zu halten d bekundet das u. a. dadurch, daß er gegen die zweifellos vor⸗ handenen Uebertreibungen dieser Richtung Stellung nimmt. Er kommt zu dem Schluß, daß das Ideal der neuen Zeit der freie, aller kücksicht auf die musikalische Form entbundene künstlerische Ausdruck

8. ——

.“

sei; die Entwickelung in der Musik charakterisiert er als eine Um⸗ bildung des musikalischen Stiles vom Typischen zum Individuellen und schließlich zum Subjektiven. Ein abschließendes Urteil über das Wesen der neuen Kunst zu fällen, müsse eine ernste Untersuchung abweisen. Die weiteren Ausführungen des Verfassers an dieser Stelle machen den Eindruck von Hypothesen, die einen bestimmten Schluß nicht zulassen; im siebenten Abschnitt wird noch die Möglichkeit ausgesprochen, daß Verdis „Falstaff“ den Ausgangspunkt für eine neue Entwickelung bilden könne. Die Ab⸗ handlung ist sachkundig und fesselnd geschrieben; hie und da wäre vielleicht eine etwas präzisere Ausdrucksweise wünschenswert gewesen.

Aus den Papieren der Familie von Schleinitz. Verlag von Eduard Trewendt, Berlin, Ritterstraße 85. (Preis: geb. 10 ℳ, geh. 8 ℳ) Dieses von einem ungenannten Verfasser geschriebene, von Fedor von Zobeltitz mit einem empfehlenden Vor⸗ wort versehene Buch gliedert sich in zwei Teile, von denen der erste „Rühle von Lilienstern“, der andere „Zum Ge⸗ dächtnis Kaiser Wilhelm des Großen“ betitelt ist. Die in beiden niedergelegten, auf persönlichen Erinnerungen, Briefen und Dokumenten beruhenden Mitteilungen sind von historischem, literarischem, militärischem und auch kulturgeschicht⸗ lichem Interesse. Sie bieten manch wertvolles Steinchen, das im Mosaik der Zeitgeschichte einen Platz verdient, und dürften einem großen Leserkreise Gelegenheit zu mancherlei Nachprüfung und Anregung geben. Alle sich mit dem vorigen Jahrhundert beschäftigenden Fachliteraten werden in ihm aber viele aufklärende und tatsächliche Einzelheiten finden; anderen wird hingegen manches völlig neu sein, oder ihnen so gut wie Vergessenes wieder in die Erinnerung zurückrufen. Der als Minister des Königlichen Hauses im Jahre 1885 verstorbene Graf Alexander von Schleinitz und dessen

Julius von Schleinitz, General Rühle von Lileenstern, Betrachtungen. Was Rühle, Militärschriftsteller, Zweigen der Kunst

älterer Bruder, Freiherr dessen Schwiegervater, der stehen im Mittelpunkt der ein praktischer Kriegssoldat, und in den verschiedensten

Lebenspfaden dieser Personen angesehen werden. Auch Briefe von von Kleist, Goethe, A. von Humboldt, Schlegel, Schelling standen dem Verfasser zu Gebote. ist ein Material verarbeitet, das wohl wert erscheint, der Vergessen⸗ heit entrissen zu werden.

Land⸗ und Forstwirtschaft.

Rotterdamer Getreidemarkt im November 1904. Das Kaiserliche Konsulat in Rotterdam berichtet

5. d. M.: Im Monat November d. J. zeigte Weizen

Welen

8 8

der beschränkteren Zuf aus Rußland und von der Donau höhere Preise. Bezahlt wurden cif Rotterdam: Weizen für 2400 kg: Südrußland, 74/75 kg, Novemberabladung Rumänien, 74/75 kg, Novemberabladung 1 Rosario Santafé, 74/75 kg, Novemberabladung . Roggen für 2100 kg: Schwarzes Meer, 73/74 kg, Novemberabladung Bessarabien, 73/74 kg. Novemberabladung Taganrog, 71/72 kg, Novemberabladung. St. Petersburg, 70/71 kg, Novemberabladung Gerste für 2000 kg: Südrussische, 60/61 kg, Novemberabladung

60/61 kg, Dezemberabladung. 60/61 kg, Januarabladung für 1000 kg:

cher, 46/47 kg, Novemberabladung Nordrussischer, 46/47 kg, Novemberabladung Mais für 2000 kg: Odessa, Novemberabladung La Plata, Novemberabladung 11“1“ American Mixed, Novemberabladung . . Die Menge der Monatskäufe und den

preisstand für Mehl im November d. J. Zusammenstellung:

115/116 110/112 öETTTTI Durchschnitts⸗

Preis für den Doppelzentner cif Rotterdam Q Fl.

Verkauft wurden Sack

zu 90 kg

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11,5) 12,50 14 000

11,50 12,00 10,50 11,00 11,50 12,00 10,50 11,00

10,00 10,50 14,50 15,50

T 13,50 14,50 1 12,00 12,75 0

- Ungarisches,

Nordamerikanisches,

Bakers. zusammen.

Ernteergebnis Schwedens im Jahre 1904. Nach einer von dem Statistischen Zentralbureau in Stockholm veröffentlichten Uebersicht stellt sich das Ernteergebnis Schwedens im

Jahre 1904, wie folgt: 1 Durchschnitt der Jahre 16 1894 1903

7 386 200 hl. 7 92 . 4 989 500 hl. 4 946 300 hl. 17 661 200 hl. 22 180 700 hl. Mischkorn 3 528 300 hl. 3 443 900 hl Erbsen 362 900 hl 431 500 hl Bohnen 47 700 hl 73 900 hl Wicken 209 800 hl. 233 100 hl Kartoffeln 18 625 200 hl. 18 696 700 hl.

Weizen Roggen Gerste

Hafer

Washington, 10. Dezember. (W. T. B.) Der Monatsbericht des Ackerbaubureaus schätzt den Durchschnittsstand der Winter⸗ weizensaaten auf 82,9 %, der Winterroggensaaten auf 90,5 %. Die Anbaufläche umfaßt für Weizen 31 155 000 Acres.

Handel und Gewerbe.

ö 8 (Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten „Naschrichten für Handel und Industrie““) Einfuhr von Textilwaren nach Rumänien

8 im Jahre 1903.

Das Wintergeschäft mit Textilwaren in Rumänien erscheint wegen der 1902/03 herrschenden Viehseuchen, die den Bauern das Geld knapp machten, nicht ganz den Erwartungen entsprochen zu haben.

als Regierungspräsident von Trier bereits 1865 ihm vorausgegangener sowie

Philosoph vielseitig gebildeter Mann sowie die Schleinitz geleistet haben, reicht bis an unsere Zeit heran. as Ineinandergreifen ihrer gegenseitigen Be⸗ ziehungen und ihr Verhältnis zu dem nachmaligen Kaiser Wilhelm I. kann als einer der merkwürdigsten Umstände auf den verschlungenen interessante Bessel, Struve, Im ganzen

unterm infolge der außergewöhnlich großen Verschiffungen von Südrußland und Indien eine matte Tendenz. Dagegen erzielten Roggen und Gerste infolge

zeigt nachstehende

.“

Dadurch wurde auch die Bewegungsfähigkeit der Landleute gehemmt die nicht wie sonst in die Städte auf die Märkte fahren konnten und durften. Die schädliche Wirkung dieser Seuchen hat sich auch noch in das Frühjahr hinein erstreckt.

Da die Ernteaussichten bald gute waren, so hat sich die Handels lage im Laufe des Sommers gebessert. Die Sommervorräte wurden gut abgesetzt und im Herbste große Neuaufträge erteilt. Das Steigen der Wollpreise auf dem Wollmarkte hat den großen Teil des Handels der auf die Textilbranche entfällt, günstig beeinflußt. Da richtig mit einer weiteren Wollpreissteigerung gerechnet wurde, so hat sich der rumänische Markt beeilt, den Bedarf für den Winter 1903 und d Frühjahr 1904 zu decken. Nach Mitteilungen aus Kreisen der Dock⸗ verwaltung ist aber trotzdem die Einfuhr von Baumwollwaren, die in Rumänien eine große Rolle spieit, wohl wegen der eingangs be⸗ handelten Verhältnisse, keine besonders gewesen.

Die Zahlungen sind im Jahre 1903 egangen. Fallimente größerer mit dem Auslande arbeitender sind nicht beobachtet worden.

Im folgenden werden die Artikel nicht behandelt, in welchen sich gegen das Vorjahr nichts geändert hat.

Das Geschäft in bedruckten Kattunen wird als befriedigend geschildert. Der größere Teil der besseren Qualität kam aus Deutsch⸗ land. Das Steigen der Baumwollpreise scheint das Geschäft etwas beeinträchtigt zu haben. stoffen scheint wieder D zum überwiegenden Teil aus Frankreich und Barchente brachte Italien Im Jahre 1903 wieder mit ziemlichem Erfolge versucht, zu lief

rachten Deutschland und Oesterreich einfuhr wird wegen der herrschenden Mode Das Geschäft in Strump erreich ein sehr großes. int wieder zurückgegangen zu kotagenfabrik (in griechischen Händen) nimmt f ihre ganz ungewöhnlich günstigen Erträgnisse. 3 ch einen hohen Zoll gegen die ausländische Konkurrenz ges letzte Jahresbilanz weist einen Reingewinn von fast 1000 as Geschäft in glatten einfarbigen Tüchern, in Deutschland sonst einen ziemlichen Umsatz macht, scheint i 903 etwas vernachlässigt geblieben zu sein. Es verlautet, Fabriken langsam geliefert und daher an Absatz eingebüßt l Größere Ausschreibungen für Staatsbedürfnisse (wie Militär⸗ Waggontücher) sind im Jahre 1903 nicht beobachtet; sie sind wegen des noch immer herrschenden Sparsystems unterblieben. Einfuhr von Damenmänteln und Jacketts ist wegen der in⸗ ländischen Konkurrenz wieder zurückgegangen. Es kommen nun regelmäßig nur mehr einige fei Die Teppicheinfuhr soll hoben haben, auch die aus Deutschla dieser Branche haben sich gegen früher 1 in Kokosläufern hat speziell aus land Die italienische Konkurrenz scheint, angeblich wegen wenig entsprechender Lieferung, ziemlich beseitigt. Den größten Teil des Bedarfs an Jute haben wie gewöhnlich Oesterreich und England gedeckt, einen kleinen Teil auch Italien. Infolge der beabsichtigten Zollerhöhung soll übrigens die Errichtung einer Jutefabrik in Galatz im Werke sein. In Weißwaren war das Geschäft ein sehr lebhaftes, wohl infolge der voransgesehenen Preissteigerung auf dem Weltmarkte. In billigen Schirtings, Chiffons und Orfords hat Eng⸗ land wieder den größten Teil des Bedarfs gedeckt. Zum ersten Male und nicht erfolglos hat auch Italien angefangen, den Artikel zu bringen. Das bessere Publikum hat wie bisher elsässische Weißwaren bevorzugt. Die elsässische Appretur scheint sehr geschätzt zu sein. Kopftüchern haben die deutschen Firmen im versucht, das verlorene Gebiet wieder zu gewinnen. nicht unerheblich. Einzelne Kunden bestellen 20 30 000 Du Die Schweiz und England haben zuletzt den Bedarf haup gedeckt. Der Bedarf in leichten bedruckten Baumwolls (Zephir) wird als ein großer bezeichnet. Er geht viel wäsche, da bunte Muster hierfür im Lande gesucht sind. Fabrikate, in welchen der Hauptumsatz gemacht wird, kamen wiede

Italien und England, die besseren aus Deutschl 1

eich⸗Ungarn. Das Geschäft in Posamenten

wird als sehr zufriedenstellend geschildert in Mode begünstigt den 8. drei Vie abe

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Das Geschäft zugenommen.

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Deutschland gedeckt n, speziell Berlin. Einfuhr aus Deutschland in Gardinen und Spi scheint wieder zurückgegangen zu sein, und zwar zu Gun lischer und österreichischer Fabrikate. Als Grund werden die Preise der Konkurrenz angegeben. Die Plauenschen Fabriken nach Urteilen aus rumänischen Fachkreisen zur Zeit anderweit be⸗ schäftigt zu sein und daber dem rumänischen Markt weniger Aufmerk⸗ samkeit zu widmen. Die englische Konkurrenz soll sich zuletzt be⸗ sonders bemüht haben, damit in das Geschäft zu kommen, und es würde der Aufmerksamkeit seitens der deutschen beteiligren Häuser bedürfen, wenn ihnen der Markt nicht verloren gehen soll. In Schustergarnen hat die deutsche Einfuhr nach fast völlig Verdrängung des englischen Fabrikats den Mark end ziemlich beherrscht. In Bindfaden gehö er ile vollständig den inländischen Fabriken. leinwand sind Oesterreich und B. die H lieferanten geblieben. Die deutschen, als leistungsfäh geltenden Häuser scheinen sich um die Branche in Rumänie bisher nicht in der richtigen Weise zu bekümmern; der Artike 5 r nicht zu den ganz großen, da der Rumäne Baum⸗ trägt und Bett⸗ und Leibwäsche also ausfallen; immer⸗ hin soll er von Bedeutung für Tischwäsche sein. In Linoleum, das ebenfalls kein großer Artikel ist, scheint man von englischer Seite der deutschen Einfuhr Konkurrenz zu machen. Bei annähernd gleichen Preisen und Qualitäten wird es daher auf das Geschick bei der Einführung ankommen. In Herrenwäsche, Kragen und italienische Konkurrenz im Jahre 1903

wieder die Har

Manschetten erschien die 1

ziemlich beseitigt. Oesterreich und Deutschland haben so ziemlich den Bedarf gedeckt. (Nach einem Bericht des Kaiserlichen Konsulats in Bukarest.)

Einfuhrhandel Boliviens im Jahre 1903

Die Einfuhr nach Bolivien bewertete sich im Jahre 1903 auf 11 069 814 Doll., während ihr Wert im vorhergehenden Jahre 14 442 984 Doll., also fast 3 ½ Millionen Dollar mehr, betragen hatte.

Der Anteil der wichtigeren Herkunftsländer an dieser Handels⸗ bewegung ist nachstehend ersichtlich gemacht: Vereinigte Staaten von Amerika 2 796 537 Doll. (1902: 2 982 660 Doll.), Großbritannie 3 196 481 Doll. (5 750 785), Deutschland Doll (2 085 900), Frankreich 1 011 738 Doll. (1 588 030), Belgien 403 102 Doll. (368 898), Spanien 442 686 Doll. (348 373), Italien 440 857 Doll. (348 044), Peru 499 720 Doll. (510 174)..

Auf die Hauptwarengruppen verteilte sich diese Einfuhr folgender maßen: Oele 273 233 Doll. (228 707) Nahrungsmittel 1 842 269 Doll. (1 778 347) Waffen und Munition 106 048 Doll. (126 445) Schuhwaren 143 948 Doll. (160 043) Drogen und Medikamente 349 874 Doll. (265 088) Garne und Tauwerk 273 560 Doll. (196 338) Ton⸗ und Glaswaren 177, 130 Doll. (184 505) Bau,⸗ und bearbeitetes Holz 227 471 Doll. (157 045) Maschinen 270 644 Doll. (257 530) Gold. und Silbermünzen 214 450 Doll. (2 380 107) Papierwaren 308 976 Doll. (298 713) fertige Kleider 566 926 Doll. (861 658) Gewebe 2 973 134 Doll. (3 852 408) Weine und Liköre 736 567 Doll. (614 947) Stearinlichte 186 718 Doll. (225 395). (Aus Memoria de la Cämara de Comercio, Guavyaquil.)