sich erst nachher ausspricht.
erkannt. Es gab einmal einen preußischen König, der schrieb: „Indem vor der Justiz alle Leute gleich seyen, es mag seyn ein Prinz oder ein Bauer, so ist der Prinz vor der Justiz dem Bauer gleich und muß pure nach der Gerechtigkeit verfahren werden, ohne Ansehen der Person.“ (Zwischenruf links: Das war einmal!) Dieser Zwischenruf „das war einmal!“ spricht Bände. Die Erklärung des Freiherrn von Mirbach, daß er sich vor Ge⸗ richt vertreten lassen wolle, hätte einem anderen eine Anklage wegen Achtungsverletzung des Gerichts zugezogen. Wenn Leute, die hinter Herrn Stoecker stehen, uns über Gerichtsurteile sprechen, dann muß man nach dem Rechten sehen, um jenen den gitationsstoff zu entziehen. In mancher Beziehung kann ich Herrn Kirsch zustimmen. Ueber die konfessionelle Frage wird später zu sprechen sein. Wir achten die religiösen Gefühle und Ueberzeugungen;
aber der Gotteslästerungsparagraph ist in seinem zweiten Teil
allmählich zu einer ernsten Gefahr für die Aufrechterhaltung des kon⸗ fessionellen Friedens geworden, und die Erbitterung darüber steigt von Tag zu Tag. Man beklagt sich mit Recht über Imparität, und es war die höchste Zeit, einen Antrag zu stellen, der auf eine Reform des § 166 abzielt. Die Staatsanwälte wenden diesen Paragraphen auf alle Beleidigungen von Päpsten an, mssen sie noch so lange tot sein, fogar in dem Falle des Papstes A exander VI. Borgia. Der Himmel wolle uns davor behüten, daß ein gewisser konfessioneller Geist in die Anwaltsstuben und Gerichtssäle verpflanzt wird. Durch diesen Fesesiebe werden sehr viele Richter in
Gewissenskonflikte gebracht. ei den gespannten konfessionellen Gegensätzen des Südens
ist es notwendiger als je, die konfessionellen Gegensätze aus den Gerichtssälen zu bringen. (Abg. Erzberger ruft: S impffreiheit!) Nein, es ist keine Schimpffreiheit zu befürchten. Wir haben in frei⸗ finnigen Kreisen den innigsten Wunsch, daß die konfessionellen Gegen⸗ sätze nicht in die Gerichtssachen getragen werden. In diesem Sinne haben wir unseren Antrag gestellt.
Sctaatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:
1 Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat an mich die Frage ge⸗ richtet, wie es mit dem Gesetzentwurf über den Versicherungsvertrag stehe. Der Gesetzentwurf über den Versicherungsvertrag liegt gegen⸗ wärtig zur Beratung und Beschlußfassung im Bundesrat. Der Bundesrat wird voraussichtlich noch einige Zeit brauchen, bevor er das umfangreiche Gesetzeswerk zur Erledigung bringen kann. Das hat bei der jetzigen Geschäftslage des Reichstages auch nicht viel zu sagen, denn wenn die Herren sich vergegenwärtigen, was am Etat und an wichtigen Gesetzesvorlagen in der nächsten Zeit ihrer noch wartet, so werden Sie selbst zugeben, daß es nichts schadet, wenn dieser neue Gesetzentwurf noch etwas auf sich warten läßt. (Sehr richtig! rechts.) Im übrigen versteht es sich von selbst, daß das Reichsjustizamt, das diesen Gesetzentwurf mit besonderer Genugtuung ausgearbeitet hat, alles tun wird, um seine Erledigung im Bundesrat herbeizuführen.
Der Herr Abgeordnete hat dann gefragt, wie es mit der An⸗ regung stehe, die sich auf die Einführung abgekürzter Geburtsurkunden richtet, die für gewisse Fälle es ermöglichen, die eheliche oder außereheliche Geburt des Kindes zu verschleiern. Ich habe bereits früher gesagt, daß das Bedürfnis zur An⸗ wendung solcher verkürzten Geburtsurkunden außerhalb des Gebiets der Militär⸗ und Marineverwaltung und des Arbeiterinvaliditäts⸗ wesens, wo diese Urkunden länger schon benutzt werden, in mancher Beziehung von seiten der Regierung anerkannt wird. Inzwischen haben sich die Bundesregierungen über entsprechende Einrichtungen verständigt, und es sind die Anordnungen in den Einzelstaaten ent⸗ weder bereits ergangen, oder sie werden in Kürze ergehen, nach welchen in allen Fällen, in denen es sich um die Ausstellung von Geburts⸗ zeugnissen zu kirchlichen und Unterrichtszwecken handelt, ein ab⸗ gekürztes Formular zur Anwendung kommt, und daß die Aufsichts⸗ behörden außerdem angewiesen werden, auch in anderen Fällen, die dazu geeignet erscheinen, die Standesämter zur Anwendung verkürzter Geburtsurkunden zu ermächtigen. Damit, glaube ich, ist dem Bedürfnis, das auf diesem Gebiete hervorgetreten ist, genügt.
Meine Herren, ich komme dann zu den Fällen, die der Herr Abgeordnete behandelt hat, und zu den allgemeinen Betrachtungen, die er daran geknüpft hat. Er hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich seit den 7 Jahren, seitdem er hier im Reichstag Erklärungen von mir gehört hat, stets mich darauf berufen hätte, der vorgebrachte Fall sei mir nicht bekannt. Das ist nicht immer, aber oft geschehen. Ich bin meinerseits gewohnt, Rechtsfälle nur zu behandeln in einer solchen
Körperschaft wie der Reichstag, wenn ich die Fälle nicht nur kenne, sondern gründlich durchgearbeitet habe, und ich muß, wenn der Herr Abgeordnete mir gegenüber nach dieser Richtung hin einen Vorwurf macht (Widerspruch links), meinerseits doch ihm gegenüber den Vor⸗ wurf erheben, daß er mit am meisten dazu beigetragen hat, unvorbereitete, nicht klar erledigte Fälle hier im Hause oder in den Blättern zur allgemeinen Kenntnis zu bringen und damit die öffentliche Meinung zu alarmieren (sehr richtig! rechts), statt vorher der Regierung Ge⸗ legenheit zu geben, sich über den Fall zu orientieren und auch ihre Meinung zu sagen.
Der Herr Abgeordnete hat nun zwar erklärt, das sei nicht immer nöglich, denn es gingen ihm noch im letzten Moment Haufen
olcher Beschwerden zu. Das will ich zugeben; aber daß es zuweilen
möglich ist, und daß es wichtige Fälle gibt, in denen es möglich ist, das beweisen die beiden Fälle, die der Herr Abgeordnete hier selbst zur Sprache gebracht hat, die ihm schon seit dem Sommer bekannt sind. Ich würde ihm sehr dankbar gewesen sein, wenn er in beiden Fällen Gelegenheit genommen hätte, mir Mitteilung davon zu machen; ich würde ihm dann in beiden Fällen vollständig Rede gestanden aben, während ich es jetzt nur in dem einen Falle kann. (Zuruf links.) — Ja, Herr Abgeordneter, es ist vielleicht ein Versehen des Bureaus, wenn der eine Fall nicht zu meiner Kenntnis gelangte; Sie können doch nicht verlangen, daß ich alle Nummern der Zeitungen nachlese. Es kann mir selbst auch mal passieren, daß eine Sache von mir unbeachtet bleibt. Wenn Sie aber Ihr Entgegenkommen noch etwas weiter treiben wollten, so könnten Sie ja die Güte haben, mir unter Kreuz⸗ band die betreffende Nummer der Zeitung zu senden. (Sehr richtig! rechts.) Das ist doch nicht viel, aber es ist nicht geschehen; ich halte mich daher für entschuldigt, wenn ich nur den einen Fall hier behandeln kann. Ich bin auch der Meinung, wenn der Herr Abgeordnete eine persönliche Bemerkung über sein Verfahren mir gestatten will, daß es durchaus nicht nötig wäre, alsbald, wenn er Beschwerden über Rechts⸗ verletzungen bekommt, in die Zeitungsposaune zu stoßen. Mir scheint es vollständig zu genügen, wenn er uns erst Mitteilung macht und Ich würde dann gern Gelegenheit nehmen, ihn über den Fall zu orientieren. Er würde dann vielleicht zu der Meinung gelangen, daß er später richtiger zu urteilen in der Lage ist, als wenn er gleich den Weg in die Oeffent⸗ ichkeit wählt. So geht es, meine Herren, daß in vielen Fällen tadelnde Mitteilungen von Män in in autoritativer Stellung auf
—
Grund einseitiger Angaben in die Presse gelangen, daß die öffentliche Meinung dadurch beunruhigt wird und daß sich nachher herausstellt: die Herren sind getäuscht worden, die Sache liegt gar nicht so, wie es anfangs von ihnen angenommen war. Dann wird der einzelne Fall von dem Publikum rasch vergessen und die Verteidigung der Be⸗ hörden kommt zu spät, um noch beachtet zu werden; aber der all⸗ gemeine Eindruck, daß die Behörden unrichtig gehandelt haben, ein Eindruck, der falsch ist, bleibt im Publikum, (sehr richtig! rechts), bestimmt sein Urteil, und das ist sehr beklagenswert.
Ich sage: über den einen Fall hat mich der Herr Abgeordnete dadurch unterrichtet, daß er in die „Frankfurter Zeitung“ — glaube ich, war es — eine Mitteilung hineingebracht hat, die sehr alarmierend lautete und sich bereits in einer Weise über den Fall aussprach, die ich für voreilig halten mußte, und ich glaube, der Herr Abgeordnete wird aus meiner Darstellung des Sachverhalts die Ueberzeugung gewinnen, daß es besser gewesen wäre, zunächst nicht zu urteilen. Jeder Leser, der nicht weiter juristisch gebildet ist und keine Er⸗ fahrungen auf diesem Gebiete hat, wird nach dem Artikel, den der Herr Abg. Dr. Müller⸗Meiningen im Herbst veröffentlichte, annehmen, daß ein sehr großes Versehen auf seiten der richterlichen Behörden vorgekommen sei, und ich muß hier — ich werde auch die Daten dafür anführen — konstatieren, daß ein solches Versehen in keiner Weise vorgekommen ist.
Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat selbst den Namen des Betreffenden genannt, ich darf ihn also auch nennen, obwohl es dem Herrn vielleicht nicht erwünscht sein mag. Der Fall betrifft einen gewissen Freundel, einen Former, einen Mann, von dem der Herr Abgeordnete sagt, es sei ihm nichts Nachteiliges über seine Per⸗ sönlichkeit trotz seiner Bemühungen bekannt geworden. Ich bedaure, in diesem Punkte durch seine Ausführungen genötigt zu sein, etwas darüber zu sagen. Der Mann ist in den 80 er Jahren wegen Meineids zu vier Jahren Zuchthaus und zu fünfjährigem Ehrverlust verurteilt worden, und außerdem ist der Polizei bekannt, daß er seine Frau vielfach im Stiche läßt, daß die arme Frau im wesentlichen durch eigene Arbeit ihr Brot verdienen muß und, soweit es nicht ausreicht, auf die Unterstützung ihrer, nicht seiner Angehörigen an⸗ gewiesen ist. Das kann natürlich die rechtliche Beurteilung dieses Falles nicht beeinflussen, ich bin aber genötigt, diese Seite der Sache hier hervorzuheben, weil der Herr Abgeordnete seinen Schützling als Unschuldsengel hinzustellen versuchte. (Hört! hört! rechts.) (Zurufe links.)
Also, meine Herren, die Sache liegt folgendermaßen. Die Ver⸗ gangenheit dieses Mannes ist nicht ganz klar, er hat sich vielfach, viel⸗ leicht um Arbeit zu suchen — ich will ihm keinen Vorwurf daraus machen, ich muß es aber anführen — an verschiedenen Orten herum⸗ bewegt. Er tauchte anfangs vorigen Jahres, im Januar, in Eisenach — in einem thüringischen Ort, es kommt ja nicht genau darauf an, wo, — auf und war beschäftigungslos. Er wurde dann von einem guten Freunde darauf aufmerksam gemacht, daß in Remscheid Be⸗ schäftigung für ihn sei. Zwei Monate, nachdem bekannt geworden war, daß er keine Beschäftigung habe, ist er dann nach Remscheid gekommen. Er hat seine Reise nicht so eingerichtet, daß er gleich zu der Fabrik, die ihm genannt wurde, gegangen wäre und gesehen hätte, ob er Arbeit finden könnte, sondern er ist auf die Polizei gegangen und hat sich als mittellos und obdachlos gemeldet; infolgedessen wurde er polizeilich untergebracht.
Dieser Umstand gab nun der Polizeibehörde Veranlassung, auf Grund eines ihr vorliegenden gerichtlichen Haftbefehls ihn zu verhaften. Weshalb? — Da muß ich nun ein Intermezzo erwähnen, das in seiner Art eigenartig ist und Gott sei Dank selten vorkommt, das aber nicht gestattet, den Behörden einen Vorwurf zu machen, und dieses Intermezzo ist folgendes. Zwei Jahre vorher, Ende 1890, wurde in Stettin ein Mann, der sich Klein nannte, verhaftet und wegen Betruges zu einem Jahre Gefängnis verurteilt. Er hatte eine Reihe kleiner Handwerksmeister in verschiedenen Orten mittels An⸗ bieten von wertlosem Arbeitsmaterial betrogen. Dieser angebliche Klein bekam also ein Jahr Gefängnis. Während er seine Strafe absaß, wurden über sein Vorleben Ermittelungen angestellt. Er behauptete, er heiße Klein und sei aus Rovigno in Istrien. Natürlich nahmen die Ermittelungen eine lange Zeit in Anspruch, es stellte sich aber schließlich heraus, daß man in Rovigno in Istrien von diesem Klein nichts wußte. Es war also ein Schwindel, den er den Behörden vorgemacht hatte. Als er nun seine Gefängnisstrafe verbüßt hatte, wurde er nochmals deshalb zur Verantwortung gezogen. Man verhaftete ihn nicht, er versprach, seine Legitimationspapiere beizubringen und sich dadurch genügend bekannt zu geben. Er verschwand aber und ist bis heute spurlos ver⸗ schwunden. Inzwischen kam aber zur Kenntnis der Behörden, daß ähnliche Schwindeleien, wie dieser angebliche Klein sie in der Gegend von Stettin verübt hatte, in ganz gleicher Weise auch verübt worden waren in Ost⸗ und in Mitteldeutschland. Die Polizeibehörden kamen dadurch, wie ich glaube, doch mit Recht auf den Gedanken, daß es sich hier um eine Persönlichkeit handele, die allerhand strafbare Dinge verübt habe, die Grund habe, ihre Person den Behörden zu entziehen. Es wurde infolgedessen, wie das üblich ist, hier im Polizeipräsidium eine Photographie des Mannes ausgehängt. Nun, meine Herren, kommt eines schönen Tages zur Polizei ein Mann, der früher mit dem Freundel zusammen gearbeitet hatte, und teilt der Polizei mit: das ist ja die Photographie von meinem früheren Arbeits⸗ genossen Freundel, mit dem ich zusammen arbeitete, ich erkenne ihn danach wieder. Amtlich war man vorsichtig, man ging auf diese Mitteilung hin nicht ohne weiteres vor, sondern schrieb an die Behörde des Heimatsorts und ließ die Photographie dort Bekannten des Freundel mitteilen. Die sagten: gewiß, das ist der Freundel, wir kennen ihn ja. Man blieb noch immer vorsichtig, wendete sich auch an das Zuchthaus, in dem der Freundel 4 Jahre gesessen hatte, und in dem Zuchthause wurde der Beamte vernommen, der in dieser Zeit den Freundel zu beaufsichtigen hatte. Dieser Aufseher rekognoszierte gleichfalls Freundel. Daraufhin wurde nicht nur von dem einen Gericht in Stettin, sondern auch von den anderen Gerichten Haftbeschluß gefaßt, ein Steckbrief gegen den Freundel alias Klein erlassen, und ich möchte den wissen, der es nach solchen Vorgängen den Behörden verargen wollte, daß sie gegen den Mann so vorgegangen sind.
Dieser Steckbrief lag nun in Remscheid vor, als der Freundel dort eintraf. Was konnte die Polizei anders tun, als dem gerichtlichen Haftbeschluß Folge leisten? Sie verhaftete den Mann. Nun hätte
ja der Freundel es sehr leicht gehabt von der Haft sich zu befreien, er
“ 8 8 S8 hätte bloß zu sagen brauchen: ich bin nicht der Mann, sondern ich k während der Zeit, wo die Taten, deren ich beschuldigt werde, vo gekommen sind, dort und dort in Deutschland gewesen. Er hat me zwar wohl geleugnet, daß er der Mann sei; aber er h nicht gesagt, wo er sich zu der Zeit, wo die Betrügereien d. gekommen sind, aufgehalten hat. (Widerspruch und Zur links) — Nein, das genügt nicht für diesen Zweck. We man sich gegen den Verdacht einer strafbaren Handlung unter so wandten Umständen decken will, so muß man sich ausweisen, wo ma gewesen ist. Erst eine Reihe von Tagen später besinnt Freundel ft darauf, zu sagen: ich bin in den fraglichen Zeiten da und da gewesen Das Gericht stellt die Wahrheit dieser Behauptungen fest, unde ergibt sich, daß die Aussage zutreffend ist. Es ergibt sich daraus weitere Folge, daß der Mann unschuldig verhaftet worden i Sofort, nachdem im telegraphischen Wege die Gerich die Haftbeschluß gefaßt hatten, davon Kenntnis bekamz sind die Haftbefehle zurückgenommen worden, sind ah Behörden telegraphisch von der Zurücknahme in Kenntnis geset⸗ Nur ein Gericht, das Gericht in Danzig, hat, weil es besondaen Ermittelungen angestellt hatte, geglaubt, einige Tage zögern zu müsser um zunächst das Ergebnis der Ermittelungen zu erfahren, hat dan aber auch denselben Schritt getan.
Seitdem war der Mann frei. Wenn der Herr Abgeordnete sa⸗ seitdem sei der Mann noch verschiedentlich verfolgt und vernomme worden, so ist meines Wissens nur eins richtig: er ist einmal; einem besonderen Punkt noch vor dem Gericht vernommen worde Es ist aber nicht richtig — und der Herr Abgeordnete ist hier fal unterrichtet worden —, wenn gesagt wird, daß er verschiedentlich de nommen worden sei. Er hat allerdings verschiedene Zuschickung von den Gerichtsbehörden bekommen, aber diese Briefe haben nicht anderes enthalten als die Mitteilung, daß der gegen ihn erlass Haftbefehl aufgehoben sei. Wenn der Mann den Inhalt dieser richtlichen Mitteilungen anders aufgefaßt hat, oder wenn er et auch an den Stellen, mit denen der Herr Abgeordnete in Verbinduz stand, falsche Mitteilungen darüber gemacht hat, so kann den Be hörden doch kein Vorwurf gemacht werden. Wie liegt also die Sache meine Herren? Auf Grund eines Irrtums in der Identität der Perso⸗ eines, wie ich glaube nach meinen Mitteilungen sagen zu dürfen, gam ungewöhnlichen Irrtums, haben die Behörden in entschuldbarer Wen angenommen, daß Freundel sich strafbar gemacht habe und der Be strafung sich entziehen wolle. Auf Grund der Haltung des Ver hafteten, indem er sich nicht gleich dazu bereit fand, zu sagen, wos sich zu fraglicher Zeit aufhielt, hat der Mann länger gesessen, als an sich nötig gewesen wäre. Für diese Tatsache kann kein Richt verantwortlich gemacht werden, auch keine Polizeibehörde. D. Gerichte haben so gehandelt, wie sie nach Maßgabe der Strafproges ordnung auf Grund der Mitteilungen handeln mußten, die ihns vorlagen, und es ist also nichts, was in diesem Falle auf sein der Gerichte oder Polizeibehörden zu entschuldigen oder weiter; rechtfertigen wäre. Der Mann nahm nun eine Entschädigung in spruch für die Einsperrung; obwohl er eine Reihe von Tagen gesef⸗ hat vermöge seiner eigenen Schuld, weil er nicht angab, wo er si aufgehalten habe, hat der preußische Herr Minister doch kein Bedenke getragen, ihm für die ganze Dauer der Haft eine Entschädigung d.
gewähren, und zwar wurde diese Entschädigung für jeden Tag bemesse⸗
nach dem höchsten Lohnsatz, der in der Fabrik, an die der Mann si wenden wollte, für Leute seines Handwerks bezahlt wird. (Hou hört! rechts.) Also er hat für diese Zeit alles bekommen was er im andern Falle hätte verdienen können, und als der Man sich dann noch einmal an den Minister wendete und darauf hinwie daß er nicht gleich nachher habe unterkommen können, ist ihm n. mals eine Entschädigung, wie der Herr Abgeordnete das auch richte hervorgehoben hat, von 120 ℳ bezahlt worden. Das ist eine E schädigung für eine Zeit von mehr als drei Wochen, während wele Zeit der Mann keine Arbeit gefunden haben will. Auf noch länge Zeit, selbst wenn der Mann dann noch arbeitslos war, ihm d Unterhalt zu gewähren, lag kein Anlaß vor. Nach dem Sinn?d Gesetzes über die Entschädigung unschuldig Verhafteter kann man . Behörden unter diesen Umständen gewiß nicht bezichtigen.
Meine Herren, wenn Sie sich diesen Fall vorhalten, so wen
Sie mir zugeben müssen, daß gesetzmäßig in allen Stadien die Sache gehandelt ist, und der Herr Abg. Müller (Meiningen) ume mir vielleicht auch zugeben wollen, daß es richtiger gewesen wäre, nis von vornherein die öffentliche Meinung aufzuregen und Beschuldigun auszusprechen. (Sehr richtig! rechts.)
Der Herr Abgeordnete hat nun den Vorschlag gemacht, möchten doch ein Verzeichnis sämtlicher Fälle, in de grundlose Bezichtigungen der Behörden vorkommen, aufstellen dann veröffentlichen. Er glaubt, daß sehr viele Zeitungen — grch Zeitungen — bereit sein würden, dies abzudrucken. Einmal ist 5 die gefährliche Wirkung solcher Mitteilungen nicht in dem Publike der großen Zeitungen zu suchen, sondern sie liegt in den Mitteilung der kleinen Blätter, der Blätter, die in die große Masse komn und diese Mitteilungen — das hat der Herr Abgeordnete selbst erkannt — können unmöglich alle berichtigt werden, und geschähe so würden die kleinen Blätter die ihnen nicht genehmen Berichtigung auch nicht aufnehmen. Das Beste wäre, wenn in solchen Fällen,
eine Bedeutung haben, die Herren Abgeordneten lsie hier 4₰
Hause zur Sprache bringen wollen, da hat die Verhandlung Resona und eine Richtigstellung kann in keinem Blatt unterschlagen werde Wir werden immer gern bereit sein, zu antworten. Aber die He
Abgeordneten sollten sich in solchen Fällen, in denen es sich um wicht Angelegenheiten handelt, auch regelmäßig Zeit nehmen, sich vorz unparteiisch zu orientieren, und uns Gelegenheit geben, uns unsen⸗ seits genau zu orientieren. Wir werden ihnen dann, wenn sie il Beschwerden vorbringen, nie die Antwort schuldig bleiben. (Bravo! recht
†.
(Simplicissimus“
No. 12.
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preu 1
Berlin, Sonnabend, den 14. Januar
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eiger.
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(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Abg. Kulerski (Pole) bemängelt, daß die Gerichtssäle in den polnischen Landesteilen zum Tummelplatz der Leidenschaft und des Hasses gegen die Polen gemacht würden. Gewisse Leute spielten in den polnischen Landesteilen die Rolle von agents
rovocateurs. Besonders bedenklich sei das Vorgehen der Staats⸗ anwälte gegen die polnischen Angeklagten, namentlich gegen polnische Redakteure. Ein Staatsanwalt habe gesagt, es sei unglaublich, daß Geistliche über die polnischen Aufständischen; also über Räuber und Mörder, den Segen Gottes herabgefleht hätten. Das sei, bemerkt Redner, eine unerhörte Beleidigung und Verunglimpfung des polnischen Nationalgefühls. Ein solches Verfahren zeuge nicht von edler Ge⸗ sinnung. Aber beute frage man ja nicht nach edler Gesinnung, man suche auf jede Weise Karriere zu machen. Gegen das geknechtete polnische Volk glaube man sich eben alles erlauben zu dürfen. Polen die Aussage in deutscher Sprache verweigerten, so täten sie das, weil sie in der Tat des Deutschen nicht vollkommen mächtig seien, und weil sie von der Heiligkeit des Eides eine hohe Meinung hätten. Man gewinne immer mehr den Eindruck, daß die preußischen Gerichte zu politischen Zwecken mißbraucht würden. Die polnische Presse werde von den preußischen Gerichten viel schlechter behandelt als in Rußland.
blngd. Dr. Spahn (Zentr.) widerspricht dem Antrag Müller⸗ Meiniagen wegen Abänderung des § 168 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs. Der Antrag wolle zwar die Beschimpfungen der Kirche strafbar lassen, aber die kirchlichen Einrichtungen schutzlos machen. Er selbst stehe auf einem absolut abweichenden Standpunkt. Der Richter habe sich zu fragen, was eine Einrichtung, ein Gebrauch der Kirche sei. Dabei könne es allerdings vorkommen, daß ein Richter in nicht genügender Kenntnis der religiösen Einrichtungen nicht wisse, was eine solche Einrichtung sei. Aber es müsse bverhindert werden, daß eine Konfession angegriffen werde. Der § 166 schütze die Angehörigen aller Konfessionen in ihrem religiösen Bewußtsein. Wenn der Fall angezogen werde, daß Staatsanwälte wegen Beleidigung von Päpsten angeklagt hätten, so sei es eben ein Angriff auf das Papsttum, wenn ein Papst an⸗ zegriffen werde. Gerade in Deutschland, wo es verschiedene Kon⸗ essionen gebe, müsse dieser Paragraph aufrecht erhalten werden, damit jeder das Bewußtsein habe, daß er die andere Konfession achten müsse.
Abg. Kopsch (fr. Volksp.): Es hat langer Kämpfe bedurft, ehe die Regierung sich dazu entschloß, der Frage der Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft näher zu treten. Sie hat sich mit einer Abschlagszahlung begnügt. Die Hoffnung nun, daß das Gefetz wenigstens in einheitlicher Weise durchgeführt werden würde, hat sich nicht erfüllt. In einem Falle wurde ein notorischer Sittlichkeitsverbrecher, der lediglich wegen seines Geisteszustandes freigesprochen werden mußte, für die Haft ent⸗ schädigt. Das Entgegengesetzte ereignete sich in dem bekannten Falle des Fräuleins Kümmel in Kottbus, die einstimmig freigesprrchen ist. Das Gericht billigte ihr keine Entschädigung zu, weil nicht erwiesen sei, daß ein begründeter Verdacht gegen die Angeklagte vorgelegen hätte. Es eibt also jetzt außer Freigesprochenen und Verurteilten auch verdächtig Freigesprochene. Das Wieder⸗ aufnahmeverfahren ist hbeutzutage wobl geeignet, dem unschuldig An⸗ geklagten die idealen Güter der Ehre und Freiheit wiederzugeben, aber nicht den materiellen Verlust. Das versteht das Volk nicht. Eine solche Entschädigung vermag ja der Staat nicht zu geben. Wer vermas zu entschädigen für den Kummer und die Sorgen und den Verlust des guten Namens? Der Staat muß den unschuldig Ver⸗ urteilten wenigstens materiell so stellen, wie er stand, als die Anklage erhoben wurde. Wenn diese Zustände weiter bestehen, dann haben diejenigen recht, die den alten Zustand vor Erlaß dieses Gesetzes dem jetzigen vorziehen. 8
Abg. von Gerlach (fr. Vag): Ich bekam vor einigen Tagen eine Vorladung als Angeschuldigter. Diese Vorladung war gesetz⸗ widrig, denn meine Eigenschaft als Abgeordneter war nicht berück⸗ sichtigt. Aber ich lasse das dahingestellt. Ich weiß nicht, um welche Bagatelle es sich handelt. Ich habe mich dadurch nicht irritieren lassen. Aber andere haben zartere Nerren Es müßte in der Vor⸗ ladung doch angegeben werden, um welches Delikt es sich denn eigentlich handelt. Sonst kommt man unvorbereitet hin und hat kein Beweis⸗ material bei sich. Nach der Haltung der Justizverwaltung ist freilich auf ein Entgegenkommen kaum zu rechnen. Der Abg. Lenzmann sagte, er sei nicht der Ansicht, daß wir eine Klassenjustiz hätten. Sehr weite Kreise des Volkes bis in die äußerste Rechte werden dieser Ansicht nicht zustimmen. Ein früherer Reichstagsabgeordneter, Professor der Rechte Delbrück, schrieb in den „Preußischen Jahrbüchern“, der Ruf „Klassenjustiz“ der Sozialdemokraten verdiene Beachtung. Wir haben feine Aussicht, die Sozialdemokratie auszurotten, ehe dieser Ruf sich nicht als unberechtigt herausstellt. Der Redakteur des „Deutschen Adels⸗ blatt 8*, Freiherr von Grotthus, führte eine ähnliche Sprache. Er fordert zur Bekämpfung der Sozialdemokratie, daß mit der Klassenjustiz ein E de gemacht werde. Auch Professor Laband hat sich dafür aus⸗ gesprochen, daß es so nicht weitergehen dürfe. Auch die Schwur⸗ gerichte, so relativ gut sie vor den anderen Gerichten sind, sind doch in gewissem Sinne nur Klassengerichte, nicht Volksgerichte. Die Zusammensetzung der Geschworenen in einem Prozeß gegen einen ländlichen Arbeiter in Eüstrow war derartig, daß man sagen konnte, nicht ein einziger der Geschworenen würde nach seiner polilischen und wirtschaftlichen Stellung Milde und Verständnis gegenüber dem An⸗ geklogten walten lassen. In Bavyern ist ein Erlaß ergangen, in dem gesagt wird, es stehe nicht im Einklange mit dem Gegetz wenn zum Amt eines Schöffen oder Geschworenen solche nicht berufen werden, die der Arbeiterschaft oder einer bestimmten Partei angehörten. Dieser Erlaß näre nicht ergangen, wenn er in Bavern nicht not⸗ wendig gewesen wäre. Unsere Regierung hätte aber alle Veranlassung, diesem Beispiel zu folgen. Wenn man sagt, die Arb iter hätten kein Geld zu solchen Ehrenämtern, so glaube ich, die Arbeiterorganisation würde das nötige Geld ihren Mitgliedern sehr gern zur Verfügung stellen. Zu bedauern ist, daß der Staatssekretär auf den typischen Fall Kozlawsli in Posen nicht eingegangen ist. Die Justizverwaltung wesß von diesem Falle nicht einmal. Hoffentlich siebt sich der Staatssekretär diesen Fall nachträglich an. Dem Gesinde gegenüber gilt nach der jetzigen grseseeun nicht Recht, sondern Poliz iwilllür. Soll denn dieser schutzloseste Teil der Bevölkerung auf alle Zeit der Gesindeordnung preisgegeben sein? Noch ein Wort über Oldenburg. Die Zustände der oldenburgischen Justiz sind von Herrn Burlage gestern als so rosig dargestellt worden, als wenn das oldenburgische Justizpalais die Ueberschrift verdiente: „Herberge der Gerechtigkeit“. Andere Leute sind anderer Meinung. Herr Burlage hat die Berichte der Berliner Blätter über den Prozeß angegriffen; aber die Blätter in Oldenburg selbst haben ganz die gleichen Berichte gebracht. Daß manches faul ist im Staate Oldenburg, hat die gestrige Rede des Vertreters dieses Staates im Bundesrat gezeigt. Der „Residenzbote“ mag ein schmutziges Instrument sein, aber er hat einen guten Dienst getan, indem er den oldenburgischen Sumpf aufgerührt hat. Es ist so viel nachgewiesen, daß in Zukunft ganz gewiß be⸗ deutend weniger als bisber in Dldenburg gejeut werden wird. Wenn Kerr Burlage dann von dem Schmutz des „Simplicissimus“ sprach, den der „Residenzbote“ verbreite, so möchte ch demgegenüber die Meinung vertreten, daß wir als Deutsche uns frenen duͤrfen, ein solches Organ zu besitzen. Ich halte den für das beste satirische Blatt der Welt. (Rufe:
Wenn
„Kladderadatsch“!) Der „Kladderadatsch“ ist ein gutes Blatt, aber im Vergleich mit dem „Simplicissimus“ ist er doch nur ein stumpfes Messer gegenüber einem schneidigen Florett. Ich identifiziere mich keineswegs mit seinem ganzen Inhalt, aber er steht geistig und künst⸗ lerisch so hoch, daß man ihn nicht einfach zu der Schmutzliteratur werfen darf. Satirische Blätter müssen immer eine gewisse Freiheit haben. Sie sind der Zeitspiegel und bewahren noch in die späteren Jahr⸗ hunderte hinein ihre kulturgeschichtliche Bedeutung. (Zwischenruf: Und die Sittlichkeit?) Auch sitilich steht der „Simplicissimus“ sehr hoch, weil er die Fäulniserscheinungen der Zeit bloßlegt und Kritik daran übt. Deshalb muß man auch manchmal etwas in den Kauf nehmen, was weniger gefällt. Durch den „Simplicissimus“ wird noch keine Seele, kein Charakter verdorben worden sein wie durch die Schmutz⸗ presse. Ich habe mich auch an manchem geärgert; aber deswegen werde ich das Unternehmen nicht verdammen, weil es dann und wann eine Ausschreitung begebt. Daß die Festungshaft ein fideles Gefängnis ist, dafür kann auch Graf Pückler als Zeuge angeführt werden. Als er in Weichselmünde brummte, fand in Danzig die Einweibung des Denkmals Kaiser Wilhelms statt. An dieser nahm Graf Pückler teil, begab sich auf die offizielle Tribüne, gesellte sich später nach dem Einweihungeakt zu dem offiziellen Diner und saß im Frack mitten unter den Spitzen der Behörden. Dann legte er sich in einem ersten Hotel Danzigs zur Nachtruhe nieder und erschien erst am nächsten Morgen wieder in Weichselmünde. Das hat ein mitgefangener Redakteur öffentlich bezeugt. Sollte das Reichs⸗ justizamt sich nicht aus dieser Veranlassung darüber orientieren, ob hier ein Strafvollzug oder nicht vielmehr die Farce eines solchen vorliegt? Ich bin mir darüber nicht klar, ob Graf Pückler ein vollendeter Demagoge oder ein vollendeter Narr ist. Ich habe ihn einmal gehört und möchte ihn für das letztere halten. Darauf wird Vertagung beschlossen. önliche Bemerkungen der
Es folgen pers Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr
“ Abgg. Lenzmann und Werner. ffend den Bergarbeiterstreik; Etat).
Schluß 6 Uhr. (Interpellation Auer, betreff
Nr. 2 der „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts“ vom 11. Januar 1905 hat folgenden Inhalt: Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten. — Sterbefälle im November 1904. — Zeitweilige Maßregeln gegen Pest. — Sterb⸗ lichkeiteverhältnisse in deutschen Orten mit 15 000 und mehr Ein⸗ wohnern, 1903. — Gesetzgebung usw. (Baden.) Tuberkulose der Menschen. — (Mecklenburg⸗Schwerin.) Bandwurm⸗ und Trichinen⸗ merkblatt. — (Frankreich.) Tierseuchen. — (Belgien.) Wurmkrankheit in der Provinz Lüttich. — Tierseuchen im Deutschen Reich, 31. De⸗ zember 1904. — Rinderpest in Aegypten. — Vermischtes. (Ver⸗ einigte Staaten von Amerika, Maine.) Geburten und Sterbefälle, 1902. — Monatstabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 15 000 und mehr Einwohnern, November 1904. — Desgleichen in größeren Städten des Auslandes. — Wochentabelle über die Sterbe⸗ fälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. — Des⸗ gleichen in größeren Städten des Auslandes. — Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. — Desgleichen in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. — Witterung. — Beilage: Gerichtliche Entscheidungen, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln (Wurst).
Statistik und Volkswirtschaft.
Die Arbeiterverhältnisse auf den staatlichen Berg⸗ werken, Hütten und Salinen im Etatsjahre 1903.
Der Minister für Handel und Gewerbe hat dem Hause der Ab⸗ geordneten 70 Quariseiten umfassende „Nachrichten von dem Betriebe der unter der preußischen Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung stehenden Staatswerke während des Etatsjahres 1903“ unterbreitet, die auch Aufschluß über die Verhältnisse der Arbeiter auf den Staatswerken geben. Im Berichtsjahre 1903/4 haben sich die Arbeiterverhältnisse auf den Bergwerken, Hütten und Salinen des Staates gegen das Vorjahr nicht wesentlich geändert; sie gewährten im ganzen ein erfreuliches Bild, da infolge der zwar langsam, aber stetig fortschreitenden Neubelebung des wirtschaftlichen Lebens mit der erhöhten Aussicht auf Arbeitsgelegenheit auch die Lage der Arbeiter sich besserte. Arbeiterentlassungen von nennenswertem Umfange kamen nicht vor. 1
Es waren im Jahresdurchschnitt insgesamt 80 097 (im Etats⸗ jahre 1902 77 064) Arbeiter beschäftigt, also 3033 mehr als im Vor⸗ jahre (während die Zunahme von 1901 zu 1902 nur 2189 betragen hatte). Auf die einzelnen Betriebszweige kamen:
1903 28s 74 378 Arbeiter 71 436 Arbeiter
912 3 789
Bergbau.. Gewinnung von Steinen und Erden Hüttenbetrieb. Salinenbetrieb 813 Badeanstalten 109 Bohrverwaltung.. 96 8 zusammen. 80 007 Arbeiter 77 064 Arbeiter
Der Gesundheitszustand der Belegschaften war zufrieden⸗ stellend. Die Wurmkrankheit (Ankylostomiasis) blieb wie im Vor⸗ jahre auf die neuerworbenen Steinkohle bergwerke des Ruhrreviers beschränkt. Die erste Durchmusterurg der gesamten unterirdischen Be⸗ legschaft der Möllerschächte des Steinte g . Ver. Gladbeck wurde zu Ende geführt. Hierbei wurden von 638 Mann 27, d. h. 4,2 v. H. als wurmkrank befunden. Bei einer auf Grund der Bergpolizei⸗ verordnung vom 13. Juli 1903, betreffend Maßregeln gegen die Wurm⸗ krankheit der Bergleute, vorgenommenen zweiten Untersuchung von 20 v. H. der Belegschaft befanden sich unter 158 Mann 9, d. s. 5,7 v. H. Wurmkranke. Von den seit Inkrafltreten der genannten Polizeiverordnung vom 1 August 1903 auf den Möllerschächten neu angelegten 247 Mann wurden bei den sechswöchentlichen Nachunter⸗ suchungen 3 Mann als wurmkrank befunden. Auf den Rheinbaben⸗ schächten wurde bei der Nachuntersuchung von 239 neu angelegten Bergleuten in nur 2 Fällen Wurmkrankheit ermittelt. — Auch auf dem Steinkohlendergwerk Waltrop gelangte die erste Durchmusterung der gesamten unterirdischen Belegschaft zum Abschluß. Unter den 33 zuletzt Untersuchten befanden sich noch 2 Wurmkranke. Im ganzen wurden 46 Mann untersucht und hier⸗ von 8 d. s. 17,4 v. H. als wurmkrank befunden. Bei der im Juli 1904 vorgenommenen zweiten Durchmusterung der gesamten unter⸗ irdisch beschaftigten Belegschaft wurden von 130 Mann nur 5, also 3,8 % wurmkrank befunden. Die Kranken unterzogen sich einer Ab⸗ treiburgskur. Bei den Nachuntersuchungen der seit der zweiten Durch⸗ musterung neu angelegten Bergleute ergab sich kein Fall von Wurm⸗ krankheit. Auf dem Steinkohlenbergwerk ergmannsglück ist bei den Nachuntersuchungen der unterirdischen Belegschaft kein Fall von Wurm krankheit bekannt geworden. 7
Die Zahl der tödlichen Verunglückungen ging gegen das Vorjahr zurück. Es kamen durch Betriebsunfälle 128 (131] Arbeiter oder auf 1000 Mann der durchschnittlichen Belegschaft 1,566 (1,669) zu Tode. Die Unfallziffer ging hiernach zwar gegen das Vorjahr
zurück, war jedoch gegen die früheren Jahre immer noch hoch; sie wurde außerordentlich ungünstig beeinflußt durch zwei Unfälle, die je eine größere Anzahl von Opfern erforderten. Auf de
Königin Luise⸗Grube in Oberschlesien wurden bei einer Kohlenstaubexplosion am 2. April 1903 23 Bergleute getötet, während auf dem Steinkohlenbergwerk von der Heydt bei Saarbrücken vier verbotswidrig das Seil zum Einfahren benutzende Arbeiter infolge Seilbruchs tödlich verunglückzen. 8
Für die Versicherung der Arbeiter auf Grund des Unfall⸗ und Invalidenversicherungsgesetzes sowie an Beiträgen zu den ver⸗ schiedenen Knappschaftskassen waren von den Staatswerken insgesamt 7 995 922 (7 577 689) ℳ aufzubringen. 1 3
Die Ansiedlung der Arbeiter in der Nähe der staatlichen Werke wurde, wie in den Vorjahren, in der bisher bewährten Weise verfolgt. Es wurden bei der Zentralverwaltung zu Zabrze 900 ℳ Hausbauprämien und 2100 ℳ unverzinsliche Hausbaudarlehen, beim Salzwerk zu Bleicherode 900 (3600) ℳ Hausbauprämien und 6375 (6616) ℳ Hausbaudarlehen, bei dem Steinkohlenbergwerk zu Ibben⸗ büren 3600 ℳ Hausbauprämien und 60D00 ℳ Hausbaudarlehen, im Saarbezirk 120 (82) Hausbauprämien im Gesamtbetrage von 107 115 (73 455) ℳ und 195 000 (123 000) ℳ Hausbausbarlehen verausgabt. Die Gesamtsumme der im Saarbezirkseit dem Jahre 1865 gewährten unverzins⸗ lichen Hausbaudarlehen belief sich am Jahresschlusse auf 5 892 335 ℳ und die Zahl der seit 1842 prämiierten Bergmannshäuser auf 6465.
Aus dem der Staatsregierung durch das Gesetz vom 4. Mai 1903, betreffend die Verbesserung der Wohnungsverhält⸗ nisse von Arbeitern, die in Staatsbetrieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten, zur Verfügung gestellten Mitteln wurden im Bereiche der Berg⸗, Hütten⸗ und Salinen⸗ verwaltung während des Berichtsjahres überwiesen: der Zentral⸗ verwaltung zu Zabrze 579 350 ℳ zum Bau von 24 Vier⸗, 3 Sechs⸗ und 6 Zwölffamilienhäusern, dem Huͤttenamte zu Gleiwitz 46 000 ℳ zum Bau von 2 Achtfamilienhäusern, der Saline zu Schönebeck 15 000 ℳ zum Bau eines Zweifamilienhauses (für Beamte), der Berginspektion zu Grund 22 600 ℳ zum Bau eines Achtfamilien⸗ hauses, der Bergwerksdirektion zu Dortmund 674 400 ℳ zum Bau von 30 Vier⸗ und 16 Zweifamilienhäusern, der Bergwerksdirektion zu Saarbrücken 418 600 ℳ zum Bau von 30 Zweifamilienhäusern (davon 7 für Beamte) und 3 Vierfamilienhäusern (davon 2 für Beamte); ferner wurde an Arbeiter der Saarbrücker Staatswerke ein Betrag von 200 000 ℳ an verzinslichen und zu tilgenden Bau⸗ darlehen gezahlt. — Insgesamt sind bisher auf Grund der Gesetze, betreffend die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse von Arbeitern, die in Staatsbetrieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten, der Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung, zur Ver⸗ fügung gestellt worden
an Baukosten 4 905 100 ℳ, „ Baudarlehen. 1 188 600 „
zusammen 6 093 700 ℳ Von den sonstigen Wohlfahrtseinrichtungen seien noch die folgenden erwähnt.
Die im Bereiche der Bergwerksdirektion zu Saarbrücken bestehenden Werksschulen, die von Bergleuten im Alter von 14 bis 16 Jahren besucht werden, wurden von 70 auf 73 vermehrt. Die durchschnittliche Schülerzahl stieg von 2643 auf 3318. Die vorhandenen Industrieschulen, in denen Handarbeits⸗, zum Teil auch Koch⸗ und Haushaltungsunterricht an heran⸗ wachsende Bergmannstöchter erteilt wird, erfreuten sich eines gleich starken Besuchs wie im Vorjahre. In den Kleinkinderbewahr⸗ anstalten fanden 2680 (2648) Kinder Aufnahme. Durch das Auf⸗ treten von Kinderkrankheiten in größerem Umfange wurde der Besuch indessen auch im Berichtsjahre zeisweise ungünstig beeinflußt. In den Arbeiterbibliotheken wurde der Lesestoff fortdauernd ver⸗ mehrt. Die Ausgaben hierfür beliefen sich auf 2713 ℳ Die vorhandenen 9 Konsumvereine und Einkaufsgenossen⸗ schaften erfreuten sich einer steigenden Entwickelung. Die Zahl ihrer Mitglieder stieg von 10 432 auf 11 154. — Für den Bau von „Arbeiterbadeanstalten mit Brausevorrichtungen wurden wiederum bedeutende Beträge verausgabt. An sonstigen freiwilligen Leistungen zu Guͤnsten der Arbeiter ist zu erwähnen die Gewährung von Kohlen m dem ermäßigten Preise von 3 ℳ für die Tonne, die einen Einnahmeausfall von 693 154 (650 285) ℳ bedingte.
Von den oberschlesischen Staatswerken gewährte das Steinkohlenbergwerk Königin Luise 2068 Arbeitern Vor⸗ schüsse von insgesamt 58 965 ℳ zur Beschaffung von Kartoffeln. — Der auf dem Ostfelde errichtete Backofen wurde von 1281 Arbeiter⸗ familien benutzt. — Der in Zaborze B erst im Berichtsjahre ge⸗ gegründete onsumverein erfreute sich trotz der wenig günstigen Lage seiner Verkaufsstellen einer zunehmenden Be⸗ liebtheit unter den Arbeitern. — Die in Dporotheen⸗ dorf und Zaborze errichteten Kleinkinderbewahranstalten wurden von 140 und 112 Kindern besucht. Das Steinkohlen⸗ bergwerk König vermehrte seine Arbeiterwohnungen von 108 im Vorjahr auf 202. — Am 1. Oktober 1903 wurde eine Haushaltungsschule für die der Volksschule entwachsenen Töchter aktiver und früherer Arbeiter eröffnet. Der erste Halbjahr⸗ kursus war mit 32 Schülerinnen voll besetzt. — Zur ersten Hilfe bei Unglücksfällen wurden 25 Aufseher von dem Ober⸗ schlesischen Knappschaftsverein im Samariterdienst ausgebildet. — Zur Unterhaltung der Belegschaft veranstaltete die Werksverwaltung durch das Personal des Oberschlesischen Volkstheaters 3 Theater⸗ abende. Der Zuschauerraum war jedesmal bis auf den letzten Platz gefüllt. Als Ausweis diente ein zum Preise von 5 ₰ ausgegebenes gestempeltes Programm.
Von dem Königlichen Oberbergamt in Breslau wurden auf Vorschlag der beteiligten Staatswerke aus Staatsmitteln ins⸗ gesamt 132 unterstützungsbedürftige Berginvaliden und Witwen mit 1546 ℳ, aus Milteln der Werksarbeiter⸗Unterstützungskassen der Staatswerke insgesamt 1406 Personen (aktive Arbeiter, Berginvaliden, Witwen und Watsen) mit 15 190 ℳ, aus Werksfonds und der Güttlerstiftung 68 Arbeiter mit 1200 ℳ unterstützt.
An die Arbeiter des oberharzer Blei⸗ und Silberbergwerks⸗ haushalts wurden 1907 (im Vorjahre 1953) t Brotkorn zu er⸗ mäßigten Preisen abgegeben. Zur Deckung des Minderpreises leisteten die Werkskassen einen Beitrag von 102 969 (64 427) ℳ und die Kasse des Clausthaler Hauptknappschaftsvereins einen solchen von 6024 4071) ℳ Auf den einzelnen Arbeiter berechnet sich daraus eine
uwendung von 27,61 (17,06) ℳ im Jahre oder 9,20 (5 69) 4 für den Arbeitetag. — Bei den 9 für die Arbeiter der fiskalischen Werke bestehenden Konsumvereinen berxechnete sich im ganzen der Umsatz im Jahre 1903 auf 1 731 363 (1 722 309) ℳ, der Reingewinn auf 261 562 (247 981) ℳ, wovon 254 372 (226 132) ℳ als Dividende an die 7913 Mitglieder gezahlt wurden.
Der auf dem fiskalischen Steinkohlenbergwerk am Deister bestehende Spar⸗ und Vorschußverein hatte 1023 Mit⸗ glieder, deren eingelegtes Kapital von 555 842 ℳ sich mit 3,9 %
verzinste. iTie beim Steinkohlenbergbau in Oberschlesien, Nieder⸗ schlesien, in dem Oberbergamtsbezirk Dortmund urd auf den Saar⸗ in den letzten Jahren gezahlten Arbeits⸗
brücker Staatsgruben 1 löhne — darunter sind hier die reinen Löhne, d. h. solche nach
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Abzug aller Nebenkosten (Kosten für Geleuchte, Gezähe, Knappschafts⸗ beiträge usw.) verstanden — waren folgende: