1905 / 42 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Feb 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. Busch auch auf dessen Anregungen einige Worte erwidern. Wenn ich das nicht getan habe, so habe ich das aufrichtig gesagt in dem Gedanken getan, daß die Anregungen des Herrn Abg. Busch mit den Provinzialamtsblättern und den Kreisblättern doch in gar keinem Zusammenhange stehen, sondern es war eine allgemeine Be⸗ schwerde über Hintansetzung von Organen der Zentrumspartei bei amtlichen Bekanntmachungen. Ich kann ihm lediglich darauf zusagen, daß ich Ermittelungen darüber anstellen werde, ob innerhalb meines Ressorts diese Beschwerden in der Tat begründet sind. (Bravo!)

Abg. von Brandenstein (kons.): Der Abg. Herold hat gestern scharfe Angriffe gegen die Korps und ihre Haltung in der Duellfrage gerichtet. Als überzeugter Korpsstudent erhebe ich für meine Person

gegen diese Angriffe Protest. Das Mensurenwesen der Korpsstudenten 2 selbst von deutschen Gerichten für nicht strafbar erklärt worden. Es hat sich als eine Einrichtung zur Prüfung und Stählung des Charakters jahrhundertelang bewährt. Auch die Korps sind mit Eifer und Erfolg bemüht, das ernste Duell nach Möglichkeit einzuschränken. Will der Abg. Herold etwa ähnliche Angriffe auch gegen das deutsche Offizierkorps richten? Es müßte eine Statistik aufgemacht werden, wie viele Korpsstudenten es gibt, und was aus ihnen geworden ist. Diese Statistik würde beweisen, daß sie geradezu Ausgezeichnetes ge⸗ leistet und sich bewährt haben. Die Korpsstudenten stehen in allen weigen des öffentlichen Lebens weit voran. In den Städten und rlamenten, sogar im Zentrum, sind alte Korpsstudenten vor⸗ 1 nden. Ist denn wirklich unter den Mitgliedern dieses Hauses ddie studiert haben, nur der zwanzigste ein Korpsstudent? Nach der Theorie des Abg. Herold dürfte nur der zwanzigste Teil der Reichstagspräsidenten Korpsstudent sein. Es ist aber tat⸗ sächlich mindestens die Hälfte. Ich erinnere an die Herren von Bennigsen, von Goßler, von Wedell, von Levetzow. Ich bin über⸗ zeugt, daß auch Nichtkorpsstudenten Tüchtiges leisten. Daß aber so viele Korpsstudenten im öffentlichen Leben eine so hervorragende Rolle spielen, erklärt sich daraus, daß die Erziehung in den Korps in der 8 Tat eine ganz vorzügliche, bewundernswerte ist. In kurzer Zeit werden diese jungen Leute aus Schulknaben charaktervolle Männer. Vielleicht war es nicht nötig, Herrn Herold zu antworten. An unseren beestehenden Zuständen wird durch diese Angriffe nichts geändert. Die Korps werden sich mit dem ritterlichen Wort darüber hinwegsetzen: Viel Feind, viel Ehr!

Abg. Nielsen (Däne) erörtert im allgemeinen die dänischen Be⸗ reees ohne im einzelnen verständlich zu werden, und wird chließlich vom Vizepräsidenten Dr. Krause darauf aufmerksam ge⸗ macht, daß er auf die allgemeine Debatte nicht zurückkommen dürfe.

Abg. Bachmann (nl.) weist vom deutschen Standpunkt aus die Beschwerden des Vorredners zurück, insbesondere soweit sie sich auf angebliche Mißstände im Kreissparkassenwesen beziehen.

Abg. Busch (Zentr.) dankt dem Minister für seine Erklärung

. bezüglich der Behandlung der Zentrumspresse und hofft, diese Be⸗ schwerde im nächsten Jahre nicht wieder vorzubringen zu brauchen; ferner lenkt er von neuem die Aufmerksamkeit auf die Lage der Bureau⸗ hilfsarbeiter der Landratsämter. Wenn diese Beamten auch nicht alle vom Staat übernommen werden könnten, so sollten doch mehr 8 etatsmäßige Stellen für sie geschaffen werden. Abg. Dr. von Niegolewski (Pole) dankt dem Minister, daß er 8 infolge der vorjährigen Beschwerde in der Einteilung der Urwahl⸗ beiirke im Kreise Gnesen Remedur geschaffen habe, beschwert sich aber über Beschränkungen der Wahlfreiheit im Kreise Ostrowo.

Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Es ist ein eigentümliches Zusammentreffen, das eein Licht auf die innere Bedeutung der Beschwerden, welche hier von deanischer und polnischer Seite vorgebracht werden, wirft, daß sie meist darin gipfeln, daß die Anordnungen, die von der Zentralregierung aausgehen, noch nicht einmal so schlimm seien der letzte Herr Redner hat sie sogar heilig genannt —, aber, daß die ausführenden Organe 8 in der Provinz diese Anordnungen nach Willkür und ungerecht aus⸗ 8 führen. Diese Auffassung kann ich als zutreffend nicht anerkennen.

Ich kann nur ausdrücklich meine volle Ueberzeugung dahin aussprechen, daß aalle preußischen Beamten, die Landräte insbesondere, sowohl in Nerd⸗ b schleswig als in unserer Ostmark, ihr Amt lediglich nach ihrem Ge⸗ wissen auf Grund der Gesetze und Instruktionen und nach dem Willen der Zentralregierung führen. All die einzelnen Beschwerden, die hier erhoben werden und die im Augen⸗ lick zu prüfen mir selbstverständlich unmöglich ist, muß ich

a priori als unbegründet erachten. (Unruhe bei den Polen.)

Ich bin gern bereit, wenn mir Beschwerden zur rechten Zeit vorgelegt

werden, ihnen nachzugehen; wenn mir aber eben ausdrücklich erklärt

wird: es wird den Leuten empfohlen, gegen die Verfügungen des Amts⸗ vorstehers und des Landrats sich beim Regierungspräsidenten zu be⸗ schweren, sie tun es aber nicht, weil die Beschwerden erfolglos bleiben, so muß ich annehmen, daß sie es entweder nicht tun, weil sie selbst nicht des guten Gewissens sind, daß sie eine gerechte Sache vertreten (sehr gut! rechts; Widerspruch bei den Polen), oder deshalb nicht, damit ihren Abgeordneten die Gelegenheit gegeben wird (leb⸗ hafter Widerspruch bei den Polen; sehr richtig! rechts), hier Sachen vorzubringen, die tatsächlich nicht substantiiert sind. (Erneuter Wider⸗ spruch bei den Polen; lebhafte Zustimmung rechts.) Ich glaube nicht, daß ein Minister dazu da ist, um auf alle die einzelnen Beschwerden, die unvorbereitet an ihn herantreten, einzugehen. Ich wiederhole des⸗ halb meine Erklärung, daß ich sie, solange sie mir nicht im einzelnen substantiiert vorgelegt sind, für unbegründet erachten muß. (Lebhafter Beifall rechts.)

. Abg. Graf von Praschma (Zentr.): Nach den Ausführungen und Zahlen des Herrn von Brandenstein scheint es ja noch größere CEChancen für die höheren Beamtenstellen zu bieten, einem studentischen

Korps anzugehören, als nach der neulichen Statistik des Ministers es eine gute Chance bildet, protestantisch zu sein. Die den Landräten vewäbrten Pauschquanten zu den Schreib⸗ und Fuhrkosten der Land⸗

ratsämter sind unzureichend. Entweder muß der Landrat aus eigenen

Mitteln zusetzen, oder die Geschäfte leiden durch diese Kalamität.

Hier muß Remedur geschaffen werden.

Abg. von Kölichen (kons—.): Nicht nur die Bürgermeister in der Rheinprovinz, auch die Amtsvorsteher in den westlichen Heegighen

find durch Schreibarbeiten sehr überlastet. Ich möchte den Vorschlag

machen, die Arbeiten der Alters⸗ und Invaliditätsversicherung ihnen ab⸗ mnehmen und dafür besondere Beamte anzustellen, wie das in

Hessen⸗Nassau bereits der Fall ist. Die Beamten, die dafür an⸗

gestellt werden, müssen natürlich besoldet werden; die Altersversiche⸗ rung wird diese Kosten nicht * können. Die geeigneten Personen, welche mit Lust und Liebe die Sache übernehmen, werden sich finden lassen. Ich hoffe ferner, daß das Seuchengesetz zur Einführung kpommen wird, dann werden neue große Anforderungen an die Amts⸗ porsteher herantreten, die sie nur werden tragen können, wenn sie von ibhren jetzigen Geschäften etwas entlastet werden. Ich hoffe, daß der

Mintste dieser Anregung folgen wird.

Abg. Hofmann (nl.) spricht sich gleichfalls für eine Entlastung der Amtsvorsteher aus und befürwortet eine Erhöhung der Dienst⸗ aufwandsentschädigung der Landräte, die durchweg als ungenügend an⸗

gesehen werden müsse. Prinzipiell bedenklich sei es, daß die Landräte ihr Bureaupersonal selbst beschaffen müßten. Der Staat müßte es

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Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Ich glaube, ich brauche nicht mehr persönlich zu versichern, daß die Stellung der Landräte in bezug auf ihre Bezüge, die Stellung der Amtsvorsteher in bezug auf ihre Entschädigung und in bezug auf ihre Geschäfte mir wirklich am Herzen liegt, und ebenso die der Hilfsarbeiter der Landräte. Die Anregungen, die hier in diesem hohen Hause vorgebracht werden, werden gewiß sorgfältig

geprüft. Die Anregung des Herrn von Kölichen, besondere Rentenstellen

in den einzelnen Amts⸗ und Kreisbezirken einzurichten, ist gewiß auch der Erwägung wert. Ich glaube aber doch erwähnen zu sollen, daß die Schaffung einer besonderen Klasse von Behörden doch auch erheb⸗ liche Bedenken hat, Bedenken, die begründet sind in dem Organismus unserer Behörden, Bedenken auch gegenüber der Stellung, wie wir sie unseren Landräten und Amtsvorstehern wünschen. Nichtsdestoweniger wird auch diese Frage einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Der Herr Abg. Hofmann wünscht ein Uebergangsstadium zwischen der Zeit, wo alle Beamten des Landratsamts Staatsbeamte sind, und der gegenwärtigen Zeit. Darauf möchte ich erwidern, daß wir uns in einem solchen Uebergangsstadium zur Zeit ja gerade befinden. Alljährlich wird eine Anzahl von neuen Beamtenstellen, von Hilfs⸗ beamten der Landräte geschaffen, und damit werden wir so lange fort⸗ fahren, als das Bedürfnis vorhanden ist. Ich möchte aber, meine Herren, daß Sie nicht alle landrätlichen Hilfsarbeiter mit einem Maß messen. Auf jedem Landratsamt finden Sie junge, eben aus der Schule entlassene Leute die sich dort die Kenntnisse erwerben wollen, um später im Bureaudienst voranzukommen. Die haben gar nicht die Absicht, dauernd in der Stellung landrätlicher Bureauhilfsarbeiter zu verbleiben, sondern sie wollen dort lernen, womöglich auch so viel ver⸗ dienen, daß sie notdürftig auskommen können oder doch einen Zuschuß zu dem, was sie von Hause bekommen, erhalten. Nach wenigen Jahren gehen sie freiwillig wieder fort, sei es, um in einen anderen Beruf einzutreten, sei es, daß sie sich der Sekretariatskarriere endgültig widmen. Für diese zeitweiligen, wie ich sie nennen will, landrätlichen Hilfsarbeiter braucht der Staat ganz gewiß nicht zu sorgen, sondern nur für die⸗ jenigen, die in langjähriger Arbeit ihr Lebensziel in dieser Beschäfti⸗ gung bei dem Landrat gefunden haben. Daß die Anzahl dieser, die 10 Jahre bei dem Landrat gearbeitet haben, im ganzen Lande sehr gering ist, es sind nur wenig über 240, ist schon erwähnt und in der Budgetkommission im einzelnen dargelegt worden. In der Rhein⸗ provinz, auf die der Abg. Busch vorher, glaube ich, Bezug nahm, beträgt diese Zahl überhaupt nur 11. Das dürfte an der größeren Anziehung der Industrie auf die bei Landräten vorgebildeten Privat⸗ gehilfen liegen. Soweit den älteren Beamten geholfen werden kann, bin ich nach wie vor bereit, für sie einzutreten (bravo!) und für den einzelnen, wenn er dessen würdig ist und die nötige Anzahl von Dienstjahren hat, die Anstellungsberechtigung zu beantragen. Weiter zu gehen, wird sich im Rahmen unseres Beamten⸗ organismus verbieten, in dem immerhin nur einseitig vorgebildete Beamte einzugliedern, nicht ohne Schwierigkeiten zu ermöglichen ist. Sie sowohl hier im Hause, wie die betreffenden Beamten draußen werden ebenso wie die Amtsvorsteher und Landräte darauf rechnen dürfen, daß das für sie geschieht, was nur irgend möglich ist. (Bravo!)

Abg. von Schuckmann kkons.) beschwert sich darüber, daß im Kreise Arnswalde im letzten Jahre manche Ortschaften beim Manöver über die gesetzliche Zahl hinaus mit Einguartierungen belegt worden seien. Es sei von dem sog. „engen“ Quartier Gebrauch gemacht worden. Die Ortschaften konnten dadurch die nötige Verpflegung gar nicht be⸗ schaffen. Ein solches Verfahren möge im reichen Westen möglich sein, aber nicht im Osten. Besonders schwierig sei die Beschaffung der Ver⸗ pflegung für die Offiziere gewesen. Die Belegungsfähigkeit der Ort⸗ schaften sei tatsächlich umgangen worden. ÜUnter solchen Verhält⸗ nissen müsse die Manöverfreudigkeit der Bevölkerung beeinträchtigt werden, die gerade im Interesse unserer Soldaten erhalten werden müsse. Der Minister möge beim Kriegsminister bewirken, daß solche Versuche mit dem „engen“ Quartier nicht wieder gemacht werden. Die Militärbehörde sollte sich mehr mit den Verwaltungsbehörden ins Einvernehmen setzen. 1“

Abg. Dr. von Savigny (Sentr.) bittet, von dem Fonds für die Unterstützung der Privatbeamten der Landratsämter mehr als bisher Gebrauch zu machen, und beklagt es, daß bei der Vorbereitung des Sparkassengesetzes nicht die sachverständigen Vorstände der Kommunal⸗ sparkassen herangezogen worden secien.

Abg. Dr. Wiemer (fr. Volksp.): Es würde einen eigentüm⸗ lichen Eindruck außerhalb des Hauses machen, wenn der Dithyrambus des Herrn von Brandenstein bier keinen Widerspruch fände. Seine persönlichen Anschauungen darüber mag er haben, wie er will; er wird ja wissen, wie seine eigene amtliche Laufbahn und seine Befähigung gewesen ist. Wenn aus seiner Rede eine Mißachtung gegen die anderen Studenten herausklang. so muß ich dem entgegentreten, auch wenn er diesen Eindruck nicht beabsichtigt hatte. Auch andere Studentenvereinigungen als die Korps können sich einen günstigen Einfluß auf ihre Mitglieder zuschreiben. Es kommt nicht auf die Verbindung an, nicht auf das Farbentragen und dergl., sondern auf die persönliche Tüchtigkeit. Herr von Brandenstein rühmt die vorzügliche Erziehung in den Korps. Wir können diese Anschauung nicht teilen. Es wird in den Korps ein äußerliches, ge⸗ schniegeltes Wesen anerzogen, eine Gewöhnung an Luxus, wofür nachher die Väter die Kosten zu zahlen haben. Gerade durch die Zugehörigkeit zu einem Korps wird eine einseitige soziale, politische Anschauung an⸗ erzogen, die es dem Korpsstudenten erschwert, die öffentlichen Dinge vorurteilsfrei zu beurteilen. Die Beweise für die Tüchtigkeit der ehe⸗ maligen Korpsstudenten sind nicht sehr durchschlagend; die Namen, die Herr von Brandenstein anführte, waren mit Ausnahme des Herrn von Bennigsen lauter Konservative. Es mag auch einzelne Buͤrger⸗ meister oder Stadträte gegeben haben, die ihr Amt erhielten, obwohl sie Korpsstudenten gewesen waren. Herr von Brandenstein bestreitet die Bevorzugung der Korpsstudenten bei der Besetzung der öffentlichen Aemter, das ist doch aber öffentliches Geheimnis. Es wird immer darauf hingewiesen, diß man einem Korps angehört hat, z. B. der Vandalia u. dergl. Ueber die Leistungen der Korpsstudenten als Verwaltungsbeamte gehen die Meinungen sehr auseinander; der frühere Kultusminister Bosse hat sich sehr ungünstig darüber aus⸗ gesprochen, und auch Universitätsprofessoren klagen, daß die Anhänger der Korps geistig zurückstehen. Namentlich werden die Adligen aus dem Osten bevorzugt. In der „Post“ hat ein Artikel darüber ge⸗ standen, der dies feststellt und bemerkt, daß auf die wissenschaftliche Qualifikation weniger gesehen wird. Ich stebe auf dem Standpunkt, daß es auf die Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit ankommt, nicht auf die soziale Stellung, die Zugehörigkeit zu einem Korps oder dergleichen. h“

Abg. Herold (Zentr.): Es ist mir mitgeteilt worden, daß Herr von Brandenstein meine Ausführungen heftig angegriffen hat. Ich war in der Handelsvertragskommission des Reichstags und din schnell hergekommen. Die Judikatur ist sich jetzt einig darin, daß der Zweikampf mit geschliffenen Säbeln ein Kampf mit tödlichen Waffen und strafbar ist. Das wissen auch die Studenten, und alle Mensuren finden in der größten Heimlichkeit statt. Gewiß kommen auch beim Sport Unglücksfälle vor, aber beim Sport sucht

ein, aber dazu sind die militärischen Uebungen da. Wir bekämpfen sen⸗ das offizielle Duell, und selbst der Kriegsminister ist bestrebt, es auszurotten. Aber bei den Korps wird die Mensur zur Pflicht gemacht, und keiner kann sich ihr entziehen. Der Minister hat in seinen An. gaben bestätigt, wie die Korpsstudenten bei der Anstellung der Beamten bevorzugt sind. Wenn Herr von Brandenstein sagt, daß aus unreifen Jünglingen in anderthalb Jahren charaktervolle Männer in den Korps würden, so beweist diese Ueberschwenglichkeit schon, wie falsch die Behauptung ist. In die Korps treten überhaupt nur solche ein, die sich von vornherein in der entsprechenden sozialen Stellung befinden. Herr von Brandenstein meinte, die Väter sendeten ihre Söhne wegen der Erziehung wieder in die Korps; vielleicht geschieht es aber nur deshalb, weil sie wissen, wie gut den Söhnen diese Zugehörigkeit zu⸗ statten kommen wird. Ich habe auch nichts von der Zweckmäßigkeit der Korps gesagt, sondern nur den Zwang zur Mensur ver⸗ urteilt. Diese Ungesetzlichkeit war überhaupt die Veranlassung zu meinen Ausführungen. Die Korps und andere Korporationen müssen vollständig gleichstehen, die Korps dürfen nicht bevorzugt werden. Ich habe mich nicht abhalten lassen, auf Ungesetzlichkeiten hinzuweisen. Auch hierin hoffe ich: Der Tropfen höhlt den Stein!

Darauf wird die Debatte geschlossen.

Das Kapitel wird bewilligt.

Bei den Ausgaben für die Polizeiverwaltung in Berlin, Charlottenburg, Rixdorf und Schöneberg bringt. b Abg. Cahensly (Zentr.) den Mißstand zur Sprache, daß in den Schaufenstern Berliner Buch⸗ und Kunsthandlungen sogen. Kunst⸗ werke auslägen, die in Wirklichkeit nur unsittliche und unzüchtige Dar⸗ stellungen seien. Seit den Tagen der lex Heinze habe man immer mehr eingesehen, welche Berechtigung für diese geplanten Maßnahmen eigentlich vorhanden gewesen sei und noch sei. Es sei mit Freuden zu begrüßen, daß sich unter dem Vorsitz Otto von Leixners ein Volks⸗ bund zur Bekämpfung der Unsittlichkeit gebildet habe.

Abg. Kreitling (fr. Volksp.): Diese Ausführungen mögen sich auf junge Leute beziehen, die der Erregung vielleicht zugänglicher als der Abg. Cahensly sind, aber auf diesem Wege wird man bald dahin kommen, Anstoß an einem weiblichen schönen Gesicht zu nehmen. Der Abg. Felisch streifte neulich bereits die unzulänglichen Charlotten⸗ burger Sicherheitsverhältnisse und die große Anzahl der Schutzmanns⸗ vakanzen wegen der Anstellungs⸗ und Gehaltsverhältnisse der Schutz⸗ leute. Allerdings sind z. B. die Berliner Schuldiener bedeutend besser gestellt. Außer dem höheren Gehalt von 1600 erhalten sie eine Wohnung im Werte von 600 ℳ, die Schutzleute dagegen nur 240 Wohnungsgeldzuschuß; sie werden nach einem Jahre fest an⸗ gestellt, die Schutzleute erst nach zehn Jahren. Die Schutzleute klagen auch über die schmutzigen und kalten Wachtstuben. Die Witwen der Schutzleute erhalten eventuell erst nach diesen zehn Jahren eine Unterstützung aus der Witwenkasse. Ich möchte den Minister bitten, wenigstens schon nach sechs Jahren der Ausübung des Wachtdienstes den etwaigen Witwen eine Unterstützung zukommen

zu lassen.

Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Der Herr Abg. Felisch hat bei den Einnahmen dieses Etats zur Sprache gebracht, daß in Charlottenburg nicht eine genügende Zahl von Schutzleuten angestellt wäre. Ich habe ihm erwidert, daß ich bei diesem Titel darauf zurückkommen werde, und ich kann dem hohen Hause mitteilen, daß unter den neuvorgesehenen Stellen in diesem Etat 30 neue Stellen für Charlottenburg bestimmt sind, daß außerdem für Berlin und Vororte 71 000 neu eingestellt sind zur Vermehrung der Stellenzulagen, daß für die gesamte Schutz⸗ mannschaft in Berlin und in den Provinzen 80 000 der früheren Summe von 120 000 hinzugefügt worden ist, sodaß nunmehr 200 000 bereit stehen, um für diejenigen Fälle Zuschüsse zu geben, in denen die Schutzmänner Wohnungen nicht zu angemessenen Preisen erhalten können. Sie sehen hieraus, daß auch in diesem Etat wieder eine wesentliche Verbesserung der Schutzmannsstellen beabsichtigt und zur Durchführung gelangt.

Dem Herrn Abg. Kreitling gegenüber möchte ich erwidern, daß der Vergleich mit den Portiers der Berliner Schulen doch nicht ganz richtig ist. Ich freue mich, daß diese Schuldiener und Pförtner von der Stadt so gut gestellt sind, und ich freue mich darüber auch im Interesse unserer Schutzmänner. Denn wie Sie alle wissen, werden die Stellen der Schuldiener mit zivilversorgungsberechtigten Anwärtern besetzt, und die Stellen der Schutzmänner sind dazu da, dieses Recht sich im Schutzmannsdienst zu erwerben, soweit es nicht schon durch den Dienst bei der Truppe erworben ist. Die große Mehrheit der Schutzmänner betrachtet den Schutzmannsberuf nicht als abschließende Lebensaufgabe, sondern sucht nach einer gewissen Zeit in eine ruhigere und wenn möglich besser gelohnte Tätigkeit hinein⸗ zukommen. Da ist es erfreulich, wenn hier in der Stadt Stellen vorhanden sind, die für die Schutzmänner erreichbar sind, die ihren Ansprüchen und Fähigkeiten angemessen sind und die ihnen die Vorteile bieten wie die Stellen, welche der Herr Abg. Kreitling genannt hat.

Die Frage der Witwenkasse und wann die Witwen auf den Bezug aus dieser Witwenkasse Anspruch haben sollen, ist meines Wissens eine Frage der Schutzmannschaft selbst. Die Schutzmannswitwenkasse ist eine Kasse, die unter den Schutzmännern Berlins gegründet ist, und sie wird von den Schutzmännern mitverwaltet. Sie ist statu⸗ tarisch geregelt. Inwieweit diese Statuten einer Aenderung be⸗ dürfen, das müßte aus den Kreisen der Interessenten hervorgehen, indem sie selbst ihre Wünsche begründen. Die Klagen betreffend, die durch den Mund des Abg. Kreitling seitens einiger Schutzmänner er⸗ hoben sind über das Donnerwetter, was manchmal über sie erzeht, über den Mangel der Reinigung in den Revierbureaus, über Nichtheizung derselben usw., bedauere ich sehr, daß diese Schutzmänner dem Abg. Kreit⸗ ling diese Klagen zugetragen haben. Es ist selbstverständlich, daß, wenn sie ihren Vorgesetzten derartige Klagen gemeldet hätten und diese Klagen auch nur zum Teil begründet sind, dann ihnen sofort abge⸗ holfen werden würde, und ich kann daher den Herrn Abgeordneten nur bitten, seine Gewährsmänner zu ersuchen, sich an ihre gegebenen Vorgesetzten mit ihren gerechtfertigten Klagen zu wenden.

Der Herr Abg. Cahensly hat hier eine Frage zur Besprechung gebracht, die die Polizei sehr lebhaft und fortgesetzt beschäftigt. Das ist die Frage der Verbreitung und der Ausstellung von unzüchtigen Schriften, Bildern u. dgl. Ich kann bezeugen, daß die Polizei eifrig bestrebt ist, das Unzüchtige aus den Schaufenstern zu verbannen⸗ Ich muß doch aber auch anerkennen, daß der Begriff dessen, was un⸗ züchtig ist, außerordentlich verschieden ist (sehr richtig! links), auch außerordentlich verschieden ist in den Augen der Richter, welche eventuell über eine solche Strafanzeige zu urteilen haben. In⸗ folgedessen ist es wiederholt vorgekommen, daß Anzeigen, die erhoben

sind, ohne Erfolg geblieben sind. Und dazu kommt noch ein Zweites:

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anstellen und besolden. Die Beamten müßten dauernd in ihrem Amte

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man diese Möglichkeit zu vermeiden, bei der Mensur wird aber eine Körperverletzung absichtlich zugefügt. Es sollen Lawing aber

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Berlin, Freitag, den 17. Februar

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atsanzeigern

um den Paragraphen, der vor einigen Jahren im Strafgesetz eingeführt ist, anzuwenden, dazu gehört der Nachweis, daß der Aus⸗ steller eines Bildes das Bewußtsein gehabt hat, ein unzüchtiges Bild zu vertreiben oder auszustellen. Dieses Bewußtsein zu beweisen, ist außerordentlich schwer. Ich erwähne das nur, um hier an einem Bei⸗ spiel zu zeigen, womit die Polizei zu kämpfen hat und wie sie ver⸗

siucht, auch hierin Wandel zu schaffen. Und das geschieht einmal da⸗

durch, daß eine jede Verurteilung, die erfolgt, auf Veranlassung der Polizei in einem bekannten Buchhändlerblatt eingehend zur Be⸗ sprechung und Erörterung gelangt, und zweitens dadurch, daß diejenigen Händler, Schriften zu verbreiten, derartige Bilder auszustellen, ganz aus⸗ drücklich von dem Urteil unterrichtet werden, damit man ihnen später sagen kann, daß sie wissen mußten, daß diese Sachen als unzüchtig zu erachten sind. Wenn trotz aller dieser Maßregeln es noch nicht gelungen ist, so wie ich wohl wünschte, dem Unwesen ein Ende zu machen und namentlich dem buchhändlerischen Vertriebe derartiger Dinge, so liegt das auch wesentlich daran, daß leider der Verdienst, den diese sogenannten Buchhändler wirkliche Buchhändler sind es ja garnicht gerade aus derartigen Schriften erzielen, so groß ist, daß selbst scharfe, erhebliche Geldstrafen von 100, 200, 300 und mehr ziemlich gleichgültig sind gegenüber dem Ge⸗ winn, den sie aus einer einzigen Veröffentlichung erzielen. Ich glaube aber, daß in den letzten Jahren sowohl in den Auslagen in den Läden der Kunsthändler und derjenigen, die die Utensilien für angehende Maler verkaufen, als wie in Buchhandlungen usw. eine erhebliche Verminderung des früheren Zustandes eingetreten ist, und ich hoffe, daß diese Verminderung andauern wird.

Abg. von Eynern (nl.): Es besteht die Absicht, die Beiträge der Städte zu den olizeikosten im Sinne ausgleichender Gerechtig⸗ keit zu erhöhen. Mit derselben Begründung wollte ja auch der Finanzminister die Gesellschaften mit beschränkter Haftung zur Ein⸗ kommensteuer heranziehen trotz unseres Uebermaßes von Einnahmen. Ich würde es viel mehr als im Sinne ausgleichender Gerechtigkeit ge⸗ handelt ansehen, wenn den Städten Zuschüsse zu den Polizeikosten bei unserer Finanzlage gewährt würden, als die Beiträge der Städte noch zu erhöhen. 1

„Die Debatte wird geschlossen. Das Kapitel wird be⸗ willigt.

Kurz vor 4 Uhr schlägt darauf der Präsident von Kröcher die Abbrechung der Sitzung und Fortsetzung am Abend vor.

Abg. Freiherr von Ex ffa (kons.) bittet, noch eine Stunde weiter zu sißs n, dann werde der Etat des Innern erledigt sein können.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.) schließt sich diesem Vorschlage an.

Präsident von Kröcher: Ich habe mir in schon einmal die Hände verbrannt. 8

Abg. Baensch⸗Schmidtlein (freikons.) meint, daß dann noch zwei Stunden gesessen werden müßte.

Präsident von Kröcher: Ich nehme an, daß Herr Baensch nicht länger sitzen will, als bis wir fertig sind.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Wenn uns der Sonnabend noch für den Etat des Innern zur Verfügung gestellt wird, brauchen wir über⸗ keine Abendsitzung. Wir haben nach unseren Plänen noch einen

ag gut.

Das Haus beschließt die Fortsetzung der Beratung.

Zum Kapitel der Polizeiverwaltung in den Pro⸗ vinzen liegt der Antrag der Abgg. Graf von Kanitz (kons.), Braemer sfreikonsv.) und Gottschalk (kons.) vor: die Re⸗ gierung aufzufordern, in den Etat für 1906 ein Grenz⸗ kommissariat in Schmalleningken einzustellen.

Abg. Busch (Zentr.) bittet den Minister, die alten Polizei⸗ verordnungen in der Rheinprovinz, namentlich bezüglich des Feuer⸗ löschwesens, einer Durchsicht zu unterziehen, um manchen alten Zopf abzuschneiden. 8

Abg. Gottschalk (kons.) befürwortet den Antrag; die Ueber⸗ wachung der Grenze erfolge jetzt durch den Amtsvorsteher in Schmalleningken, es habe sich aber durch den großen Verkehr die Not⸗ wendigkeit herausgestellt, ei

dieser Beziehung

in Grenzkommissariat einzurichten.

Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Dieses Grenzpolizeikommissariat wird sich voraus⸗ sichtlich in der Folge als notwendig erweisen. Es besteht nur darüber ein Zwiespalt, oder vielmehr: es ist noch keine Einigkeit erzielt, ob es schon heute eingerichtet werden oder ob man damit noch einige Jahre warten soll, und zwar beruht das auf dem Grunde, daß der Verkehr an diesem Grenzübergang in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Nun glaube ich zwar, daß der Rückgang des Verkehrs nur zufällig ist es handelt sich wesentlich um Holzflöße —, und zwar dadurch hervorgerufen, daß einer der größten Holzhändler der Provinz in Konkurs geraten ist und an dessen Stelle nun erst langsam andere treten. Ich zweifle aber nicht, daß dem Wunsch der Abgeordneten, die den Antrag gestellt haben, mit der Zeit entsprochen wird, und würde empfehlen, den Antrag formell zurück⸗

zuziehen, weil ich glaube, daß das hohe Haus nicht wohl in der Lage

ist, ausdrücklich dem Antrag zu entsprechen und zu beschließen: die Königliche Staatsregierung aufzufordern, schon für 1906 ein Grenz⸗ kommissariat einzustellen. Ich kann in Aussicht stellen, daß, wenn der Verkehr, wie ich glaube, sich wieder heben wird, dann meinerseits die

Einstellung dieses Kommissariats beantragt werden wird, und ich

glaube, daß für diesen Fall auch von seiten des Finanzministeriums ein Widerstand nicht erfolgen wird. Wenn aber tatsächlich der Ver⸗ kehr noch weiter zurückgehen sollte, so würde ein Kommissariat zur Zeit nicht notwendig sein. In dem Sinne bitte ich, den Antrag zu erledigen.

Dem Abg. Busch möchte ich erwidern, daß der jahrhunderte⸗ lange Kampf gegen die Zigeuner auch heute von allen Polizeibehörden des Staates mit Eifer geführt wird. (Na, na!) Es ist aber schwer zu sagen und es würde mir sehr lieb sein, wenn aus dem hohen Hause, vielleicht von einem der Herren, die mit dem Na, nal so bereit waren, mir das gesagt würde —, was ein Zigeuner im Sinne derjenigen Bestimmungen ist, die angewendet werden können, um sie aus dem Lande zu vertreiben. Die Zigeuner, die tatsächlich Ausländer sind, die in Scharen jährlich über die Grenze

kommen, durch das Land ziehen und wiederzurückziehen, bilden nur einen geringen Teil der großen sogenannten Zigeunerplage auf dem Lande. Die Zigeuner und die Kesselflicker werden gewöhnlich ver⸗ wechselt. Die Kesselflicker fallen eigentlich nicht unter den Begriff Zigeuner, weil es in der Regel nicht Ausländer, sondern Inländer sind, die sich an ein herumziehendes Leben gewöhnt haben, und mit diesem herumziehenden Leben alle die üblen Gewohnheiten der herum⸗ ziehenden Zigeuner angenommen haben; aber Zigeuner im wirklichen Sinne des Wortes sind sie nicht. Wenn es mir anders aus diesem hohen Hause dargelegt werden könnte, würde ich dankbar sein. Es ist sehr schwer, gegen diese soge⸗

die hier wesentlich in dem Verdacht stehen, derartige

nannten Zigeuner im Inlande wirksam einzuschreiten. Die anderen sind zu entfernen, aber nicht die Inländer, weil, wenn sie heute in ihre sogenannte Heimat zurückgewiesen sind, sie morgen an einem anderen Ort des Staats wieder auftauchen. Das ist ein sich wieder⸗ holender Prozeß, von dem das Ende nicht zu finden ist. Ob und wie gegen diese später mit der Gesetzgebung vorzugehen sein wird, lasse ich heute dahingestellt sein.

Ich wollte noch meine Stellung zu Bemerkungen über künftige Gesetze Herrn von Savigny und Herrn von Eynern gegenüber dahin präzisieren, daß ich mich enthalten muß, über künftige Gesetze hier in Debatten einzutreten, ehe die Gesetze selbst vorliegen.

Abg. Eckert (freikons.) fragt an, wie es mit der Besserstellung der Polizeisekretäre stehe, die vom Hause durch einen Beschluß empfohlen sei. In Berlin, Schöneberg, Rixdorf und Charlottenburg hätten die Reviervorstände den Rang der Polzeileutnants mit einem Anfangsgehalt von 2700 ℳ; die gleichen Beamten in onderen größeren Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung hätten nuk den Rang der Polizeikommissare mit einem Anfangsgehalt von 2000 Die Funktionen der beiden Beamtenkategorien seien völlig gleich. Das Avancement stehe für die Polizeikommissare in der Provinz nur auf dem Papier, denn zu Poltizeiinspektoren würden fast nur Polizei⸗ leutnants aus Berlin genommen.

. Abg. Stvchel (Pole) beschwert sich über das Verbot einer Pro⸗ zession in Koschmin.

Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:

Der Fall, den der Herr Abgeordnete hier eben zur Sprache ge⸗ bracht hat, ist in meinem Ministerium sorgfältig erörtert worden. Es war die polizeiliche Genehmigung zu einer Art Prozession versagt worden, und zwar seitens des Amtsvorstehers, der Polizeiverwaltung, seitens des Landrats und seitens des Regierungspräsidenten. Der Zeitpunkt, zu dem diese Prozession stattfinden konnte, war längst vorbei, und ich habe mich nicht veranlaßt sehen können, die Vor⸗ entscheidungen aufzuheben, und ebenso wenig kann ich mich jetzt ver⸗ anlaßt sehen, nunmehr hier für alle Zukunft zu erklären, daß für die Folge ein ähnlicher Bescheid nicht erfolgen werde. Diese Bescheide können nur in Kenntnis aller einzelnen Verhältnisse erlassen werden. An und für sich sind ja derartige Umzüge nicht verboten, sondern können mit Genehmigung der Polizei stattfinden; ob aber ein be⸗ stimmter Umzug polizeilich zulässig ist oder nicht, das müssen die Tat⸗ und Zeitumstände in jedem einzelnen Falle ergeben, und so wird es auch für die Folge gehandhabt werden.

Dem Abg. Eckert gegenüber erwidere ich, daß die Prüfung der Frage der Gleichstellung der Polizeikommissare und der Polizeileutnants noch nicht erledigt ist.

Abg. Graf von Kanitz (kons.) zieht den Antrag zurück mit Rück⸗ sicht auf die Erklärung des Mnnisters, bestreitet aber, daß der Grenz⸗ verkehr zurückgegangen sei. Nur durch eine andere Behandlung der Pässe sei die Arbeit der Behörden geringer geworden; der Verkehr in Schmalleningken sei ebenso bedeutend wie in Thorn.

Abg. von Pappenheim kkons.): Gegen die Zigeuner geht die Regierung nicht energisch genug vor. Es werden ihnen viel zu viel Gewerbescheine erteilt. In der J Zeit, wo so viele Gendarmen im Bergrevier waren, litten manche Ortschaften außerordentlich durch die Zigeunerplage. Es wurde namentlich viel gestohlen, und die Ort⸗ schaften mußten zusammen aufgeboten werden, um sich zu schützen.

Die Abgg. Fritsch (nl.), Klausener (Zentr), Gyßling (fr. Volksp.) und Münsterberg (fr. Vgg.) sprechen sich für die Gleichstellung der Polizeikommissare in der Provinz mit den Polizei⸗ leutnants in Berlin aus.

Das Kapitel wird bewillgt.

Darauf wird auf Vorschlag des Präsidenten um 4 ¼ Uhr die weitere Beratung vertagt, und zwar, um der Budget⸗ kemmission den Freitag für ihre Arbeiten frei zu lassen, auf Sonnabend 1 Uhr.

Von der Tagung der „Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft“.

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A. F. Seit Dienstag findet in Berlin, wie alle Jahre im Februar, die Jahresversammlung der Deutschen Landwirtschaftsgesell⸗ schaft statt, jener Vereinigung, auf deren Programm ausschließlich der kulturelle Fortschritt der Landwirtschaft steht, in der es somit Meinungszwiespalt nur in Fragen der Technik und der Methode des land⸗ wirtschaftlichen Betriebes gibt. Es ist wiederum ein überaus günstiges und mit Genugtuung über das Erreichte erfüllendes Bild, das der vom Vorstand unterm 31. Januar erstattete Bericht entrollt. Die Zahl der Mit⸗ glieder ist in Jahresfrist um 449 gestiegen, sie beträgt z. Z. 14 366. Die Tätigkeit der Geschäftsstellen für Handelsvermittelung stieg auf bisher noch nicht erreichte Ziffern. Die Düngerstelle vermittelte bei⸗ nahe 4 Millionen Doppelzentner Kalisalze, Phosphate und andere Dünger, die Saatstelle Ankaufe von Saatgetreide, Hülsenfrüchten, Klee⸗ und Grassamen, Kartoffeln ꝛc. im Werthe von 1 104 000 ℳ, die Futterstelle hatte Abschlüsse an Oelkuchen, Kleie und Verschiedenem im Werte von 2 400 000 Die Felddüngungsversuche der Düngerabteilung nahmen in Verbindung mit 14 Slationen ihren regelrechten Fortgang, der Sonderaueschuß für Bodenbakteriologie war mit der Erforschung der Brachewirkung beschäftigt, die Saatzucht⸗ abteilung war bemüht, das Scatenversuchswesen auszudehnen und zu vereinheitlichen, die Ackerbauabteilung veröffentlichte 14 Vorträge über Bodenpflege und Pflanzenbau, der Sonderausschuß für Pflanzenschutz veranstaltete eine dritte Auflage seiner Anleitung zur Be⸗ handlung und Verhütung von Pflanzenkrankheiten, der Sonder⸗ ausschuß für die Kultur des Marschbodens setzte seine Erörterungen über die Wasserversorgung und seine Erhebungen über Dauerweiden fort, die Tierzuchtabteilung setzte das bisher vielfach als unzulänglich besundene Verfahren der Kennzeichnung für Zuchttiere

Stand der Bewässerung in Deutschland, die Gerätestelle bearbeitete u. a. den praktischen Bau von Ackerwagen. Eine erst im vorigen Jahre begründete Betriebsabteilung hat eine Anzahl Bearbeiter für verschiedene Gegenden Deutschlands gefunden, sodaß kald Veröffentlichungen zu erwarten sind. Für 167 Güter wurden im Jahre 1904 die Bücher geführt, der Sonderausschuß für Bauwesen entwarf Skizzen im Bauwerte von 1 491 000 und ausführliche Bauentwürfe von 805 000 ℳ, die obere Bauleitugg wurde über⸗ nommen bei Bauten im Werte von 334 000 Der Sonder⸗ ausschuß für Futtermittel beschäftigte sich mit der Frage der Veran⸗ staltung von Fütterungsversuchen und der Giftigkeit von Schachtel⸗ halm, bezw. damit, ob diese Giftigkeit aufgehoben werden könne. Endlich beschloß der Sonderausschuß für landwirt⸗ schaftliche Gesellschaftsreisen, in diesem Sommer zwei Gesellschafts⸗

reifen zu veranstalten nach Dänemark und Schweden, Württemberg

und Baden. Eine französische Reisegesellschaft ist als Besuch an⸗ b gesagt. Sie wird die Ausstellung zu München besichtigen und dann

Norddeutschland besuchen.

Wie in früheren Jahren, tagen neben den vielen Sonderausschüssen der Landwirtschaftsgesellschaft eine Anzahl anderer, für land⸗ wirtschaftliche Spezialzwecke teils seit längerer Zeit bestehender, teils neu gebildeter Vereinigungen. Als solche sind zu nennen: die Vereinigung der Züchter eines schweren Arbeitspferdes, der Klub Deutscher Geflügelzüchter, der Deutsche milchwirtschaftliche Verein, die Ver⸗ einigung der Steuer⸗ und Wirtschaftsreformer, die vereinigten Pferde⸗ zuchtgenossenschaften der Provinz Brandenburg, der Verein zur Förde⸗ rung der Moorkultur im Deutschen Reiche, der Märkische Forstverein, der Verband der Züchter des deutschen veredelten Landschweines, der Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts⸗ und Heimatpflege, der Verein zur Hebung der deutschen Halbblutzucht, der Verein deutscher Teichwirte, die Deutsche Berkshire⸗Herdbuch⸗Gesell⸗ schaft, der Verein der Stärke⸗Interessenten in Deutschland, der Verein der Merinozüchter, die Zentrale für Viehverwertung, endlich der Verein der Spiritus⸗Fabrikanten in Deutschland. Bei dieser außerordentlichen Zahl der Versammlungen, die sich meist auf 4 Tage zusammendrängen, ist es schwierig, ein Gesamtbild zu entwerfen, das einigermaßen der Summe von Intelligenz und Arbeit, die hier zur Entfaltung kommt, gerecht wird.

Großes Interesse erregte die Versammlung der neuen Betriebs⸗ abteilung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft am Dienstag chon aus dem Grunde, daß die Teilnehmer zu erfahren wünschten, wie die Leitung der Abteilung ihre Aufgabe er⸗ fasse. 8 sprach Professor Dr. von Seelhorst⸗Göttingen über die allen wichtigste Frage: „Was will die Betriebsumfrage erfahren?“ Das sei, erklärte der Redner, unzweideutig in Fragebogen niedergelegt (die zur Verteilung gelangten), aus denen hervorgehe, daß allgemeine betriebswissenschaftliche Daten zu gewinnen versucht werde, aus denen auf die Ertragsfähigkeit verschiedener Betriebsformen ge⸗ schlessen werden könne. Der Redner verhehlt sich nicht, daß manche Adressaten der Anfragebogen wenig geneigt sein werden, sie hamanch auszufüllen, weil ihnen diese Art Wißbgier Dritter nicht zusage.

fort, die Landeskulturabteilung versandte einen Fragebogen über den

Wer den Zweck wolle, nämlich klar zu sehen über die Rentabilität des landwirtschaftlichen Betriebes, müsse sich aber auch zu den Mitteln verstehen. Die Einzelergeb⸗ nisse der Befragungen verschwänden ja vollständig in der aus ihnen ermittelten Durchschnittsziffer, auf die es allein ankomme. Das Wichtigste sei von Fall zu Fall die Feststellung des Reinertrages in absoluten Zahlen. Daraus soll dann eine Gruppierung der Zahlen unter den verschiedensten Gesichtspunkten vorgenommen werden, um die Einwirkung verschiedener Betriebsweisen auf das Ergebnis zu er⸗ mitteln. Für den einzelnen Landwirt werden sich die zu gewinnenden Uebersichten sehr nützlich erweisen. Er wird daraus erkennen, ob seine Resultate sich über oder unter dem Durchschnitt halten und aus solcher Erkenntnis Nutzen ziehen.

In der Versammlung der Landeskulturabteilung sprach der Meteorologe, Professor Dr. Kaßner⸗Berlin über „die normale Ver⸗ teilung der Niederschläge und die Dürre vom Jahre 1904.“ Es ging daraus hervor, daß das verflossene Jahr sich sehr stark von dem Typus eines Normaljahrs für Deutschland entfernte. Zum Begriff eines solchen gehört, daß von dem durchschnittlich 637 mm Jahres⸗ durchschnitt 60 % auf das Sommer⸗, 40 % auf das Winterhalbjahr entfallen. Der Niederschlagstage in den Monaten Juni, Juli und August gibt es in Normaljahren 35 bis 40 mit einer Gesamtniederschlags⸗ menge von 150 250 mm. Hiermit verglichen, stellt sich für den Sommer 1904 heraus, daß meist nur die Hälfte des normalen Regens gefallen ist, in Mittelschlesien, namentlich auf dem linken Oderufer bis zum Gebirge, vielleicht nur ein Viertel dieses Quantums. Ver⸗ hängnis voll war diese Trockenheit besonders für das Riesengebirge, das sonst in den genannten drei Monaten 300 400 mm Nieder⸗ schläge empfängt. Das Versiegen der Quellen war die natür⸗ liche Folge. Ganz besonders trocken war die erste Hälfte Juni, der Juli mit Ausnahme der ersten 5 und der letzten 6 Monatstage und dieselben Tage im August. Ursache dieser geringen Niederschlagsmengen seien die nicht normale Luftdruckoerteilung, fast beständig hoher Luftdruck über Mitteleuropa gewesen, woher dieser aber rühre, das vermöge die Meteorologie einst⸗ weilen noch nicht zu sagen, da ja erst ein ganz geringer Teil der Erde unter streng wissenschaftlicher Beobachtung genommen sei. Dem⸗ entsprechend lasse über die zukünftige Witterung ja auch noch so wenig Sicheres sagen. Trockne und nasfe Jahre haben ja immer miteinander gewechselt. Vielleicht be⸗ sitzen die gegenwärtigen Zeiten die Tendenz zur Trockenheit, lange genug haben wir unter der entgegengesetzten Tendenz gelitten. Jeden⸗ falls tue die Landwirtschaft gut, diese Möglichkeit ins Auge zu fassen, geregelte Wasserwirtschaft, Ansammlung des überflüssigen Regenwassers für die Zeiten der Not, Stauteiche, Horizontalgräben, künstliche Be⸗ wässerung. Diese Hindeutung fand verständnisvolle weitere Aus⸗ führung an dem nachfolgenden Vortrage des Rittergutsbesitzers Lothar Meyer, der besonders darauf aufmerksam machte, daß bessere Kultur, Stickstoffzufuhr, das Wasserbedürfnis des Bodens steigere. Etwa im leichen Sinne der Notwendigkeit, mit dürren Sommern zu rechnen, süeeen sich in der sehr angeregten Debatte die meisten Redner aus.

1 Literatur.

Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes, be⸗ treffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, von Albert Osterrieth. IV u. 276 S. Berlin, Karl Heymanns Verlag. Preis 4 „Der schon durch frühere treffliche Arbeiten über das Urheberrecht vorteilhaft bekannte Verfasser hat in dieser umfangreichen Schrift den nach längeren Vorarbeiten der Oeffentlichkeit übergebenen Entwurf eines neuen Ge⸗ setzes, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, einer eingehenden, auf völli her Beherrschung des Stoffes beruhenden Kritik unterzogen, welche die ihr gebührende Be⸗ achtung finden wird. Aus den an die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs geknüpften Eröͤrterungen heben wir hervor, daß der Ver⸗ fasser die im Entwurf vorgesehene Gleichstellung der Werke der an⸗ gewandten Kunst mit denen der reinen Kunst auf das närmste be⸗ füͤrvorte und die Einwände gegen die Ausdehnung des Kupftschase⸗ auf die Werke der angewandten Kunst zu entkräften sucht. Mit