1905 / 67 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 18 Mar 1905 18:00:01 GMT) scan diff

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sondern die Deutschen die chiedenste widersprechen. d reiferin, das Deutschtum befindet

Schuld tragen, dem muß ich auf das ent⸗

Die großpolnische Agitation ist die An⸗ sich in der Notwehr. Die gesetz⸗ iche Vertretung des preußischen Volkes hat das Ansiedlungsgesetz bewilligt. (Zuruf: Was beweist das *) Das beweist alles! Wir können also den Reichskanzler als Ministerpräsidenten nur ersuchen, auf dem eingeschlagenen Wege fortzufahren.

Abg. Haase: Wir haben die Polenpolitik als eine ebenso ungerechte, wie unkluge jederzeit verurteilt. Die Ausführungen des Abg. Spahn und des Grafen von Posadowsky haben meine Ausführungen über die Mißwirtschaft in der Behandlung der russischen Auswanderer nicht zu erschüttern vermocht. Das Gesetz über das Auswanderungswesen gibt uns in den §§ 21 und 36 die volle Legitimation zu unserem Vorgehen, Rechenschaft von der Re⸗ ierung zu verlangen. Der Reichstag hat ein Recht darauf, daß der Bundesrat die bekreffenden Verordnungen erläßt und nicht irgend eine Polizeibehörde in ihrem Amtsblatt. Was soll mit denjenigen Aus⸗ wanderern geschehen, die gar nicht einen außerdeutschen Hafen erreichen wollen, die nach der Schweiz, Belgien oder Frankreich zu gehen beabsichtigen?

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Ich bedaure, den Rechtsausführungen des Herrn Vorredners nicht recht geben zu können. Die Kontrollstationen beziehen sich nicht nur auf die Auswanderung, sondern auch auf die Rückwanderung, sie sollen uns auch vor der Rückwanderung schützen, d. h. dem Staat die Aus⸗ wanderer nicht zur Last fallen zu lassen, die übersee zurückgewiesen worden sind.

Aber außerdem befindet sich, glaube ich, der Herr Vorredner auch in einem gesetzlichen Irrtum, denn die Bestimmungen des Auswanderungsgesetzes beziehen sich nur auf die ärztliche Unter⸗ suchung unmittelbar vor dem Betreten des Schiffes. Das sind Vorschriften, die vorzugsweise ergangen sind im Interesse der deutschen Auswanderer. Bei den Kontrollstationen handelt es sich aber darum, sich gegen Gefahren zu schützen, die eine massen⸗ hafte Auswanderung oder vielmehr Einwanderung aus Staaten mit sich bringt, wo noch ein verhältnismäßig niedriger Stand der öffent⸗ lichen Gesundheitspflege ist; Deutschland soll geschützt werden gegen Einwanderer, die uns unter Umständen gefährliche Krankheiten nach Deutschland einschleppen können. (Sehr richtig! rechts.) Es sind von unserem Standpunkt aus viel weniger Aus wanderer als Durch⸗ wanderer, gegen die wir uns schützen wollen.

Abgesehen davon, ist aber nach deutschem Staatsrecht, solange ein Reichsgesetz nicht ausgeführt ist, jeder Bundesstaat unzweifelhaft be⸗ fugt, in derselben Materie seinerseits Anordnungen zu treffen, und die Anordnungen, die die preußische Staatsregierung in dieser Beziehung getroffen hat, bewegen sich alle innerhalb des Kreises ihrer gesetzlichen Rechte.

8 Da ich das Wort habe, will ich noch auf zwei Punkte ein⸗ gehen, die ich vorhin vergessen habe zu erwähnen. Was zunächst ie Aufenthaltsbeschränkungen betrifft, so hätte der Herr Vor⸗ redner, der ja das Material gründlich beherrschte, soweit es die Gesetzgebung betraf, doch auch darauf hinweisen sollen, daß gegen die Aufenthaltsbeschränkungen, die gegen gewisse vorbestrafte Personen in Preußen ergriffen werden, das preußische Verwaltungsstreitverfahren ulässig ist, sodaß also jeder, der durch eine solche Aufenthalts⸗ beschränkung in seinem Rechte beschränkt zu sein glaubt, in mehrfachen Instanzen sein Recht verfolgen kann.

Wenn ferner der Herr Vorredner, der über diese Fragen sprach, rklärt hat, man sollte das Gesetz, betreffend den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit, dahin ändern, daß überhaupt jede Bestimmung fortfiele, wonach jemand durch Zeitverlauf die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren könne, so, glaube ich, würde das eine gesetzliche Regelung sein, die zu sehr bedenklichen Folgen führen müßte. Meine Herren, wohin würden wir kommen, wenn jedem Deutschen, der vielleicht selbst in Deutschland gar nicht geboren ist oder nie dort gelebt hat, und sich gar nicht mehr um sein altes Vaterland gekümmert, vielleicht sogar seiner Wehrpflicht nicht genügt hat, es einfiele, falls er irgendwo mit einer fremden Regierung in Konflikt kommt, zu erklären: ich bin deutscher Bürger und beanspruche den Schutz des Deutschen Reiches? Da könnte die Verantwortlich⸗

keit des Deutschen Reiches und könnten die Reibungsflächen mit anderen Staaten in einer geradezu bedenklichen Weise ver⸗ größert werden. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, Sie von der linken Seite sind ja immer so außerordentlich gegen eine Vermehrung unserer Verteidigung zur See. Wenn wir alle die Deutschen und ihre Nachkommen verteidigen und deren Rechte wahrnehmen sollten, die sich nur auf deutsche Herkunft berufen können, aber jeden Zusammenhang mit dem deutschen Vaterlande verloren haben, dann müßten wir noch sehr viel mehr Schiffe bauen, als Sie uns gewähren wollen. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Ich gestehe Ihnen aber ohne

weiteres zu, das Gesetz, betr. den Erwerb und den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, bedarf einer Ergänzung, einer gewissen Modernisierung, weil sich unsere Verkehrsverhältnisse wesentlich ver⸗ ändert, namentlich aber unsere überseeischen Beziehungen seit Erlaß jenes Gesetzes, seit jenen 35 Jahren, ganz außerordentlich vermehrt haben. Ich kann Ihnen versichern, daß der Entwurf eines solchen Ge⸗ setzes bereits auf meinem Schreibtische liegt. (Bravo! in der Mitte.) Aber ganz in dem Sinne, wie die Herren es wollen, kann man ein solches Gesetz nicht aufbauen, wenn man nicht zahllose Konflikte mit anderen Staaten riskieren will. (Bravoy! und Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)

Abg. Dr. Spahn: Der Reichskeneler hat mir in den Mund gelegt, ich hätte gesagt, konfessionelle Gesichtspunkte bestimmten die vreuf sce Ansiedlungspolitik. Ich habe nur gesagt, die Schul⸗ und die Ansiedlungspolitik habe die Empfindung in der polnischen Bevölkerung hervorgerufen, als ob es sich um die Erregung konfessioneller Gegensätze handele. Der geringe Prozentsatz der angesiedelten Katholiken scheint dies zu bestätigen. Es mag 88 daß die preußische Regierun in ihren Verhandlungen mit en katholischen Polen größere Schwierigkeiten hat als mit den deutschen. Aber das würde nur rechtfertigen, daß man auf die Eigen⸗ art der Polen mehr Rücksicht nimmt. Die preußische Regierung hätte auf die Empfindungen der katholischen Polen bei Anstellung der Beamten mehr Rücksicht nehmen sollen. Dem Abg. Büsing bemerke ich, daß die großpolnischen Aspirationen erst aufgetreten sind, als man gegen e. entschieden Front machte. Damit war dem Hakatismus“ der Nährboden sereses. (Lebhafter Widerspruch bei den Nationalliberalen.) Ja, darüber können wir uns eben nicht ver⸗ ständigen. Man kann eben nur seine Anschauung aussprechen, auf Grund der Erfahrungen, die man persönlich gesammelt hat. Man hat auf die polnische Presse Bezug genommen. Ich verfolge sie nicht, aber ich 2 man sollte die Presse nicht allzu ernst in solchen Fragen nehmen. Ich bin auch sehr schlecht von der polnischen Presse

Bevölkerung.

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behandelt worden. Als ich über die katholischen Schulverhältnisse in Westpreußen sprach, warf man mir vor, ich hätte die Interessen der deutschen Katholiken wahrgenommen, die der Polen nicht.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Wer die Geschichte ruhig über⸗ sieht, muß zugeben, daß die Erinnerung an frühere nationale Zustände menschlich sst; kein Staatsmann kann diese Erinnerungen auswischen. Bei der Einverleibung der polnischen Landesteile wurden Verträge abgeschlossen, nach denen sich der preußische Staat verpflichtete, die polnische Nationalität zu erhalten hinsichtlich der Sprache und Religion. Seit jener Zeit, seit 1815, wurden die Rechte der polnischen Nationalität auf dem Wege der Verwaltung und Gesetzgebung abgebröckelt. Daß unter solchen Verhältnissen sich in der Bevölkerung eine Unzufriedenheit zeigte, ist selbstverständlich. Der Reichskanzler hat nun behauptet, daß in dem Kampf zwischen Deutschen und Polen die ve die Angreifenden gewesen seien. Das ist eine Verkennung der

atsachen. Ich kann versichern, daß früher das gegenseitige Verhältnis zwischen Deutschen und Polen so war, daß die greugische Regierung damit vollkommen zufrieden sein kann. 1870 haben die Polen ihre Pflicht auf dem Schlachtfelde voll und ganz erfüllt. Als dann die Leute zurückkamen, wurde der Kulturkampf begonnen, und seitdem hat sich das Verhältnis verändert. Der e war die preußische Regierung. Denken Sie nur, mit welchen Gewaltmaßregeln, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Regierung vorging. Diese Taten liefern den Beweis, daß wir den meisten Anlaß zur Klage hatten. Als dann die Maigesetze revidiert wurden, kam ohne Verschulden der polnischen Bevölkerung die Ausnahmegesetzgebung gegen die Polen, das Ansiedlungsgesetz von 1886. Daß dies Gesetz gegen die Verfassung verstößt, ist längst nachgewiesen worden; gewiß hat das Abgeordnetenhaus das Gesetz gebilligt, aber der Abg. Gneist sprach auch einmal von „plumpen Majoritäten“. Der Abgeordnete Spahn hat vollkommen recht, wenn er sagte, es hätte sich infolge des Ansiedlungsgesetzes eine gewisse konfessionelle Erregung geltend gemacht; jedenfalls wurden dadurch die konfessionellen Verhältnisse verschoben. Wir Polen sind ja der Regierung entgegen⸗ gekommen. Wir haben sie seinerzeit in einzelnen Fragen unterstützt. Ob wir es aus bestem Herzen getan haben, ist gleichgültig, tatsächlich haben wir es getan. 1894 gab der Fürst von Bismarck beim Empfang der Westpreußen die Parole aus: Kampf gegen die Polen! Da entstand der Hakatistenverein, und alle Beziehungen waren zerrissen. Der Kanzler versteht unter großpolnischer Agitation eine gewaltsame Los⸗ reißung von Preußen. Eine solche Idee kann man wirklich nicht ernst nehmen. Wie sollte es denn möglich sein, daß 2 Millionen ohne Waffen so etwas gegen das große Deutsche Reich unternehmen? Von einer gewaltsamen Losreißung der Polen vom preußischen Staate ist absolut nicht die Rede. Der Kanzler hat das Feuer angefacht und schürt es. Ein solches Spielen mit dem Feuer ist gefährlich. Bei einer solchen Kampfesart kann man nicht Frieden von uns erwarten. Wir verlangen nur Gleichheit vor dem Gesetz. Der Redner wendet sich dann noch gegen die Ausführungen des Abg. von Tiedemann und bestreitet, daß die polnischen geistlichen Behörden die Interessen der deutschen Katholiken böö ie Polen beschwerten sich vielmehr darüber, daß z. B. der Fürst⸗ bischof von Breslau die Interessen der polnischen Katholiken in Berlin nicht genügend wahrnehme. Er könne nur den Reichskanzler und die verbündeten Regierungen bitten, sich über die polnischen Verhältnisse

besser zu informieren. Das Ansiedlungsgesetz richte sich gegen die kleinen polnischen Besitzer und Arbeiter. Da sei es kein Wunder, wenn die polnische Presse dagegen

lebhaft Front mache. Friede sei dem Boden der Gerechtigkeit. Die Regierung die ruhige polnische orte fallen, so sei

nur zu erreichen au kämpfe aber lediglich gegen die ganze polnische, au Wenn auf polnischer Seite scharfe das bei dem lebhaften Naturell der Polen erklärlich. Sie müßten sich auch von der anderen Seite scharfe Angreiffe gefallen lassen. Man schaffe Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, und es werde besser werden.

Abg. Gröber (Zentr.): Man kann doch nicht vorsichtig genug sein. Ich hatte gemeint, die Begründung für unseren Antrag wegen der jährlichen Vorlegung der Entschließungen des Bundesrats auf Beschlüsse des Reichstages mit dem Scherze schließen zu können, daß diesem Antrage wohl nicht so schwere staatsrechtliche Bedenken entgegenstehen würden, wie dem auf Elsaß⸗Lothringen bezüglichen. Und siehe da: nicht der Kanzler, aber Graf von Posadowsky kam mit dem schwersten staatsrechtlichen Geschütz. Der Abg. Spahn hat schon dar⸗ gelegt, daß dem Bundesrate an seiner Befugnis auch nicht das mindeste verkümmert werden soll. Der Bundesrat bleibt ganz und gar Herr seiner Entschließungen wie bisher. Diese Entschließungen des Bundesrats sind aber nicht, wie man annehmen könnte, eine Art Reichstagsabschied.

Abg. Jessen (b. k. F.) sucht die Behauptung, daß für die Er⸗ möglichung von Ausweisungen Gelder angeboten worden seien, durch zwei weitere Fälle, einen aus Ostschleswig und einen aus West⸗ schleswig, zu erhärten. In diesen beiden Fällen seien seltsamerweise auch je 2000 geboten worden. Man sollte der Sache auf den Grund gehen und beim Oberpräsidenten feststellen lassen, daß aus dem Geheimen Fonds keine Gelder für solche Zwecke verwendet worden seien. Die Optantenfrage sei von dem Grafen von Posadowsky ganz einseitig erörtert worden. Der Redner zitiert für seine Auffassung den Wortlaut der bezüglichen Bestimmung des Wiener Friedens.

Reichskanzler Dr. Graf von Bülow:

Meine Herren! Ich möchte in aller Kürze auf die letzten Aus⸗ führungen der beiden Herren von der polnischen Fraktion antworten. Der Herr Abg. Graf Mielzwnski hat zur Rechtfertigung des polnischen Aufstandes vom Jahre 1848 darauf hingewiesen, daß damals auch die Berliner einen Aufstand gemacht hätten. Das ist richtig, und das war sehr unrecht und sehr töricht von den Berlinern. (Große Heiter⸗ keit.) Gegenüber diesem Rechtfertigungsversuch muß ich aber doch auf zwei Punkte hinweisen: einmal darauf, daß die Berliner niemals die Absicht gehabt haben, sich vom preußischen Staate loszu⸗ reißen, wie das damals unzweifelhaft die Intention der polnischen Aufständischen war. Der Berliner will ja hoch hinaus; aber das hat er damals nicht angestrebt. (Große Heiterkeit.) Und weiter möchte ich darauf hinweisen, daß die Aufständischen in Berlin damals von polnischen Agitatoren angeführt worden sind (sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), angeführt in der doppelten Bedeutung des Wortes. (SHeiterkeit.)

Meine Herren, ich erkenne gerne an, daß der Herr Abg. von Jazdzewski sich einer maßvollen Sprache befleißigt hat. Ich kann wohl sagen, daß er im Gegensatz zu den beiden Herren Vorrednern von der polnischen Fraktion sich einer versöhnlichen Sprache bedient hat, und ich werde ihm ebenso maßvoll antworten. Ich werde ihm nicht antworten mit jener Leidenschaftlichkeit des Tons, die er der Ministerbank vorgeworfen hat, und von der ich noch nichts be⸗ merkt habe.

Der Herr Abg. von Jazdzewski hat gemeint, die preußische Regierung hätte seit dem Jahre 1815 ihre Pflicht insofern nicht erfüllt, als sie es versäumt hätte, durch richtiges Entgegenkommen, durch die richtige Beschwichtigung polnischer Erinnerungen, Empfindungen und Wünsche die polnische Bevölkerung zu gewinnen. Meine Herren, das trifft nicht zu. Solche Beschwichtigungs⸗und Versöhnungsversuche sind von seiten der preußischen Regierung wiederholt unternommen worden. Sie sind unternommen worden in den vierziger, in den fünfziger und in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Bei diesen Ver⸗ suchen ist aber für die preußischen und deutschen Staatsinteressen nie etwas herausgekommen. Es ist dabei nur herausgekommen, daß die polnischen Aspirationen immer exorbitanter wurden. (Sehr richtig! rechts.) Und wenn der Herr Abg. von Jazdzewski nicht ohne

Wehmut an die Zeit erinnert hat, als auch die polnische Fraktion ge. wisse Annäherungsversuche gegenü ber der preußischen Regierung unter⸗

nommen hätte, so hoffe ich, ihm nicht zu nahe zu treten, wenn ich sage, daß er diese Versuche am besten selbst charakterisiert hat, indem er meinte, er lasse es dahingestellt sein, ob sie, wie er sich ausdrückte,

„aus bestem Herzen“ hervorgegangen wären. Ich fürchte, meine

Herren,

daß sie sind. Und deshalb

nicht aus bestem Herzen hat mit Recht Fürst Bismarck da mals seine mahnende Stimme erhoben und darauf hin⸗ gewiesen, daß dieses Entgegenkommen der preußischen Regierung von der großpolnischen Agitation ich vermag keinen Unterschied zu 8 machen zwischen der großpolnischen Agitation und der großen Mehr⸗

hervorgegange

heit der polnischen Politiker, Herrn von Jazdzewski nehme ich aus⸗

drücklich aus (Heiterkeit) benutzt würde, um das Deutschtum in den gemischtsprachigen Provinzen zurückzudrängen, um das Polentum

auf Kosten des Deutschtums und zum Schaden der deutschen Sache

zu fördern.

Der Herr Abg. von Jazdzewski hat auch an den Kulturkampf erinnert. Ich glaube, ich kann es wohl sagen, daß in dieser Richtun unsere katholischen Mitbürger einen erheblichen Umschwung anerkennen müssen und viele ernstliche Beschwerden nicht mehr erheben können (Oho! in der Mitte), daß in dieser

daß die deutsch⸗evangelische Bevölkerung im Verhältnis zur polnisch⸗ katholischen sich seit dem Erlaß des Ansiedlungsgesetzes vermehrt hätte. Im Gegenteil, die polnisch⸗katholische Bevölkerung hat trotz de

Ansiedlungsgesesetzes im Verhältnis zur deutsch⸗evangelischen Bevölke⸗ rung zugenommen. Und deshalb, meine Herren, wird die Königlich preußische Staatsregierung und werde ich auch ferner fortfahren, das Dertschtum im Osten zu schützen mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.) 8

Abg. von Gerlach (fr. Vgg.): Es ist doch noch sehr fraglich,

wer von den 1848 Auftretenden töricht gehandelt hat. Herr Büsing hat auch aus sehr natürlichen Gründen die Polenpolitik unterstützen müssen. Ich hatte die Meinung, daß man aus nationalen Gründen das Gegenteil tun sollte. An ihren Früchten soll man sie erkennen. Was sind das für Früchte? Man hütet sich wohl, sie zu nennen; es würden nur sehr magere, trockene Früchte dabei heraus⸗ kommen. Wenn sich in Wongrowitz das Verhältnis umgekehrt hat, so hat Herr von Tiedemann es in einer für die Polen höchst schmeichelhaften Weise begründet. Wenn die Polen so zusammenhalten, die Deutschen so wenig, so meine ich, die Politik der Regierung fördert das Zu⸗ sammenhalten der Polen. Die Deutschen werden durch die Politik veranlaßt, sich auf die Hilfe des Väterchens Staat zu verlassen. Eine Politik der Freiheit und Gleichheit würde noch am ersten zum Ziele führen; beide Rassen müssen sich frei bewegen. Die Polen⸗ politik der Regierung verhindert das. Durch Verdopplung der Dosen beseitigt man nicht die Krankheit, sondern nur die Kranken. Man sollte lieber Fehler wieder gut machen. Daß sich polnische Provinzen von Preußen losreißen wollten, wirkt eigentlich komisch und ist doch nur möglich, wenn Preußen, Rußland und Oesterreich zusammen⸗ brechen. Die großpolnische Agitation ist ein Traum, und auf Träume sollte praklische Politik nicht Rücksicht nehmen. Daß der preußische Landtag das Ansiedlungsgesetz angenommen hat, beweist bei der Art, wie der Landtag zu stande kommt, gar nichts.

Das Gehalt des Reichskanzlers wird bewilligt. Die Resolution Spahn, betreffend die selbständige Vertretung Elsaß⸗Lothringens im Bundesrat, wird gegen die Stimmen der Rechten angenommen, desgleichen die Resolution Gröber, betreffend die jährliche Vorlegung der Entschließungen des Bundesrats auf Beschlüsse des Reichstags an den letzteren mit derselben Mehrheit.

Die Resolution Auer, betreffend ein Reichskanzler⸗ verantwortlichkeitsgesetz, findet nur die Stimmen der Sozial⸗ demokraten, Freisinnigen und Polen.

Die Resolution Brejski,

betreffend Regelung der Fremdenpolizei, fällt

egen die Stimmen derselben Minderheit; desgleichen die Resolution Albrecht, denselben Gegenstand betreffend. Nur die Resolution Albrecht wegen Kündigung des preußischen und bayerischen Auslieferungsvertrages mit Rußland wird angenommen, da mit der bisherigen Minderheit noch der größte Teil des stimmt.

Endlich wird die Resolution Albrecht, betreffend Be⸗ seitigung polizeilicher Aufenthaltsbeschränkungen, gegen die e der Sozialdemokraten, Freisinnigen und Polen ab⸗

elehnt. b Der Etat für die bewilligt.

Um 6 Uhr geht das Haus über des Auswärtigen Amtes. füh 8* dem Gehalt des Staatssekretärs (50 000 ℳ) ührt der

Abg. Eickhoff (fr. Volksp.) darüber Beschwerde, daß unsere aus⸗ wärtige diplomatische Vertretung die Interessen der Firma Friedrich Krupp zum Schaden anderer deutscher Firmen und Fabrikanten von Kriegt material einseitig begünstige. Darunter habe namentlich die Rheinische Metall⸗ warenfabrik von Erhardt in Düsseldorf zu leiden. Tatsächlich sei die Firma Krupp nicht mehr Alleinherrscherin auf diesem Gebiete, und zwar zum großen Vorteile der Reichskasse, wie die Angelegenheit der Panzerplattenlieferung bewiesen habe. Der Redner führt zum Beweise seiner stantinopel an und bittet den

Reichskanzlei wird ohne Debatte

zur Beratung des Etats

Behauptungen Vorgänge in Kons Staatssekretär, nicht eine Firma auf Kosten einer anderen, zwar weniger kapitalkräftigen, aber mindestens ebenso leistungsfähigen Firma zu bevorzugen. Erhardt sei tatsächlich ein genialer Erfinder. Auch im nationalen Interesse sollte eine einseitige Bevorzugung unterbleiben: Justitia fundamentum regnorum.

Abg. Dr. Dahlem (Zentr.) spricht nach den heutigen Erklärungen des Staatssekretärs des Innern die Hoffnung aus, daß das Gesetz, be⸗ treffend die Reform des Staatsangehörigkeitswesens, dem Reichstage recht bald zugehen und namentlich eine Verbesserung der Frist⸗ bestimmungen enthalten möge. Der Entwurf möge dann auch recht bald der Oeffentlichkeit zur Kritik unterbreitet werden, damit auch die Deutschen im Auslande sich äußern könnten.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staatsminister Dr. Freiherr von Richthofen:

Dem Herrn Abg. Dr. Dahlem erwidere ich, daß die Aeußerung des Herrn Grafen von Posadowsky, der Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des Reichs⸗ und Staatsangehörigkeitsgesetzes liege auf seinem Schreibtisch, zwar nicht besagen will, daß der Entwurf fertig⸗ gestellt ist. Indessen besteht starke Hoffnung, daß dem hohen Reichs⸗ tage der Entwurf noch in der gegenwärtigen Tagung vorgelegt wird. Der Entwurf verfolgt natürlich die Tendenz, den Verlust der Reichsangehörig⸗ keit nicht so leicht eintreten zu lassen wie jetzt, auch die Wieder⸗ gewinnung einer etwa verloren gegangenen Reichsangehörigkeit zu erleichtern. Die Schwierigkeiten liegen wesentlich auf dem Gebiet der Vereinigung dieser Ziele mit der Wahrnehmung der zur Aufrecht⸗ erhaltung der Dienstpflicht erforderlichen Maßnahmen. Ich hoffe, daß die Lösung sich fin lligung dieses hohen Hauses erhält. 1“

Beziehung gegen mich kein be-⸗ gründetes Mißtrauen vorhanden sein kann. Es ist auch nicht richtig,

eorn Abg. Eickhoff möͤchte ich entgegnen, daß selbst⸗

b von einer Bevorzugung der Firma Krupp gegenüber der

n Metallwarenfabrik keine Rede sein kann. Es ist die te Pflicht unserer Vertreter im Auslande, für die Interessen eimischen Industrie nach allen Richtungen einzutreten. Dies

ich an sich nicht schwer, wenn es sich nur darum handelt, eine ma in ihren Bestrebungen zu vertreten; es ist auch dann wer, wenn gegenüber zwei einheimischen Firmen keine aus⸗ Konkurrenz besteht; in diesem Falle kann der ausländische gleichzeitig beide Firmen der betreffenden Regierung an⸗ und dafür sorgen, daß eine dieser beiden Firmen schlag erhält. Sehr schwierig aber liegt die Sache, wei oder mehrere deutsche Firmen an unsere Ver⸗ Auslande herantreten und ihnen gegenüber eine aus⸗ Konkurrenz besteht. Da bestehen zwei Möglichkeiten Vertreter: entweder, daß er sich gar nicht für die Sache it, wobei er leicht das Feld der fremdländischen Industrie oder daß er sich für einen von beiden interessiert, um über⸗ U Ziele zu gelangen. Dies ist bei den letzten Verhandlungen in tinopel der Fall gewesen. Wenn man beide Firmen gleich⸗ nterstützt hätte, wäre das wahrscheinliche Resultat gewesen, ee der beiden deutschen Firmen den Zuschlag erhalten hätte ie Lieferung nicht nach Deutschland gekommen wäre. zuptinteresse, welches die Vertreter im Auge haben ist, daß die Lieferung von deutscher Seite er⸗ gleichgültig von welcher Firma. Naturgemäß ist es, men, die einen längeren Besitzstand haben, leichter zum Ziele n. Und wenn eine Firma etwa gesagt hat, daß die Sicherheit den Zuschlag in Konstantinopel zu erhalten, bereits 99 % so ist gerade vielleicht in Konstantinopel das eine fehlende tentscheidender als die 99. Jedenfalls ist man in diesem nach allseitiger Ueberlegung zu der Ueberzeugung gelangt, tier für die Firma Krupp mehr einlegen zu müssen eine andere, weil sie die meisten Voraussetzungen zu erfüllen um zum Ziele zu gelangen. Der Erfolg hat dies auch be⸗ denn die türkische Regierung hat ihre sämtlichen Geschütze bei bestellt. Ich glaube, daß da von einer Einseitigkeit nicht die sin kann, sondern nur von einer wohlüberlegten Handlungs⸗

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genn ich bei dieser Gelegenheit einen Wunsch aussprechen darf, ire es der und das würde unsere Aufgabe im Auslande sehr ztern —, wenn sich beide große Firmen in der Weise vereinigen in, daß bei Lieferung nach dem Auslande nur eine Offerte öt würde, und zwar von beiden Firmen. (Sehr richtig!) Dann enkeine große Schwierigkeiten für uns entstehen, für ihre Interessen teeten. (Bravo!l rechts.)

Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um auf die Fälle zurück⸗ men, die Herr Graf Reventlow in der letzten Sitzung zur che gebracht hat, und hinsichtlich deren der Herr Reichskanzler bemerkt hat, daß eine Beantwortung dieser Frage bei meinem erfolgen werde.

der Herr Abg. Graf Reventlow hat Ausstellungen gemacht äüllich des Schutzes der Reichsangehörigen im Auslande und hat übt, sagen zu müssen, daß nach seiner Ansicht dieser Schutz nicht ichend gewesen sei. Er hat zwei Kategorien von Fällen an⸗ ün erstens nicht genügendes Eintreten für den Schutz einzelner ime, zweitens nicht genügende Wahrnehmung von Schadensersatz⸗ iihen Deutscher, welche aus Kriegsfällen resultieren.

gm ersterer Beziehung nannte er drei Fälle: Genthe in Marokko, tilleutnant a. D. Bode und einen Schiffbruch an der ckanischen Küste.

Das den Fall Genthe anbetrifft, so hat Graf Reventlow ge⸗

ni, daß wir einfach über ihn zur Tagesordnung übergegangen

Der Fall liegt eigenartig, und der Herr Abg. Graf Reventlow

zas schon seinerseits hervorgehoben. Dr. Genthe war Kor⸗ undent der „Kölnischen Zeitung“ in Fez und ist eines Abends aus⸗ tten, aber von diesem Ritt nicht wiedergekommen. Dieser Ritt runternommen entgegen allen Warnungen, sowohl seitens der ckkanischen Regierung als auch seitens des deutschen Konsuls in die beide den Korrespondenten wiederholt auf die Unsicherheit der gegend hingewiesen hatten. Der Ritt war gemacht tr Zurücklassung der Soldaten, die ausdrücklich zum zutze des Dr. Genthe bestimmt waren; es lag also zweifel⸗ auf seiner Seite eine gewisse Unvorsichtigkeit vor. bite niemand über den Verbleib des Dr. Genthe etwas zu sagen; lußlich wurde namentlich durch die energischen Nachforschungen, die Konsul anstellen ließ, nach Verlauf eines Monats festgestellt, die Leiche eines Europäers in einem Flusse gefunden war, und es au sich dann, daß zweifellos Dr. Genthe ermordet und in den Fluß worfen war. Wiederum den ernsten Bemühungen unseres Konsuls ßez ist es gelungen, die Verdachtsgründe derart zur Reife zu tigen, daß bestimmte Personen verhaftet werden konnten, die in ihrer Aburteilung entgegensehen. So steht die Sache nenblicklich, und der Fall Genthe bildet einen der Punkte, ber welche mit der marokkanischen Regierung verhandelt wird. Ich eike, daß da auch eine Sühne erlangt werden wird. Natürlich in dieselbe unter den gegebenen Umständen schwer zu erreichen sein.

Ein etwas eigenartiger Reisender scheint der Kapitänleutnant 1Dd. Bode gewesen zu sein, von dem der Herr Graf Reventlow ggte, daß er von den siamesischen Behörden mißhandelt und beraubt olden wäre. Kapitän Bode reiste schon 1900 in Ostasien, war in China und hat dort unseren Behörden manche Ungelegenheiten heritet, derart, daß die chinesische Regierung aufs dringendste geeten hat, ihn' möglichst aus dem Lande zu entfernen, da er sich autoritativer Uebergriffe gegenüber den chinesischen ZBeamten und auch der Mißhandlung von Chinesen schuldig gemacht hätte. Dann ist er von China nach Siam gegangen, dort ohne den erforderlichen Reisepaß angekommen und hat Reisen in Lande unternommen in der Weise, daß er sich von seinen Pferden und von seinem Gepäck getrennt hat. · ein Pferd zu Schaden gekommen, und es ist ihm nach seinen Angaben Geld im Betrage, ich glaube, von 760 gestohlen worden. Die sumesischen Behörden haben nichts damit zu tun gehabt; sie haben sch aber alle Mühe gegeben, den Sachverhalt zu erkunden, und die Erkundigungen haben auch zu einem Resultat geführt. Alle von uns eingezogenen Nachrichten sprechen übrigens dafür, daß die siamesisch Beamten nach Möglichkeit diligentiam prästiert

kA“ 116 6

Zuerst

V der Sampoaentschädigungen dahin erklärt,

Bei dieser Gelegenheit ist ihm

haben, sodaß nach unserer Ansicht in diesem Falle eine Beschwerde gegen die siamesischen Behörden nicht angebracht ist.

Der dritte Fall handelt von der Sühne die im Juni vorigen Jahres nach dem Schiffes an der marokkanischen Küste ermordet worden sein sollen. Voraussichtlich betrifft der Fall, den Herr Graf von Reventlow hier vorgeführt hat, den Schiffbruch eines Schiffes „Brake“. Bei diesem Schiffbruch ist die Besatzung, welche deutsch war, gerettet; niemand ist ermordet worden. Dagegen kenterte bei den Rettungsversuchen ein Boot mit 12 Passagieren, welche ertrunken sind. Die sämtlichen ertrunkenen Passagiere waren aber keine Deutschen, sondern, soviel ich weiß, Engländer. Bei diesen beiden Schiffbrüchen sind Räubereien vorgekommen, und bei den Nach⸗ forschungen nach den Urhebern dieser Räubereien und bei den Schritten zur Erlangung von Schadensersatz hat der deutsche Gesandte den englischen unterstützt. Das ist die Lage der Sache, welche also keine besondere Beschwerde von unserer Seite begründen kann.

Was die Regelung von Schadensersatzanforderungen aus Anlaß von Kriegsereignissen betrifft, so hat der Herr Abg. Graf von Reventlow einige Fälle aus Südwestafrika hier angeführt, der erste Fall ist der eines gewissen Diehl. Von diesem Diehl war angegeben, daß er eine Kaution von 50 Pfund, die er gestellt, nicht zurückerhalten hätte. Diese Kaution ist dem Diehl seit längerer Zeit durch Ver⸗ mittlung des Kaiserlichen Generalkonsulats in Kapstadt zurückerstattet worden.

Ferner hat Diehl sich über nicht genügende Wahrnehmung seiner Interessen durch die deutschen Behörden beschwert. Diese Wahr⸗ nehmung war uns aber außerordentlich schwer gemacht durch das Faktum, daß Diehl seit 14 Jahren Bürger des Oranje⸗Freistaates war und die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte. Trotzdem hat der Generalkonsul in Kapstadt für ihn getan, was er irgend konnte.

Ein zweiter Fall betrifft einen gewissen Sunkel, von dem eine Forderung auf Schadensersatz von 250 000 gestellt war, während dieselbe nur in Höhe von 31 000 be⸗ friedigt worden ist. Dieser Fall liegt noch bei uns zur Erörterung, weil die Frage überhaupt noch nicht ganz abgeschlossen ist, welche Fälle eventuell auf diplomatischem Wege nach dem ergangenen Spruch des Victoriagerichtshofes in London anhängig gemacht werden können. Die englische Regierung begründet ihren ablehnenden Standpunkt im wesentlichen damit, daß die Farm, um deren Wertschätzung es sich in der Hauptsache handelt, nicht von dem Vater, sondern von dem Sohn in Verwaltung genommen worden war, und daß dieser Sohn im Burenkriege auf der Seite der Buren sich aktiv, und zwar unter Uebernahme eines Kommandos, beteiligt hatte. Dies ist ein Fall, von dem wir hoffen, daß wir vielleicht in London noch etwas retten können, der aber angesichts der Beteiligung des Sohnes an dem Burenkriege immerhin seine Schwierigkeiten hat.

Der dritte Fall betrifft die Berliner Mission. Der Herr Abg. Graf Reventlow hat gesagt, es lägen Reverse, von Lord Kitchener unterzeichnet, vor, aber die englischen Behörden hätten behauptet, daß diese Scheine gefälscht wären. Unsre Akten ergeben darüber nichts; aber ich werde selbstverständlich in Kapstadt Erkundigungen einziehen lassen. Unsere Nachforschungen ergeben weder, daß Lord Kitchener die Ersatzscheine unterzeichnet hat, noch daß die englische Regierung be⸗ hauptet hat, daß sie gefälscht seien.

Zum Schluß hat der Herr Abg. Graf Reventlow auch noch die Frage gestellt, wie es mit den Samoaentschädigungen und mit den Venezuelaentschädigungen stände. Ich habe im vorigen Jahre die Lage daß der König von Schweden und Norwegen seinerseits der deutschen Regierung das Recht auf Schadensersatz zuerkannt, aber in seinem Schiedsspruch weder den Betrag noch die Grundsätze für die Berechnung des Schadens festgestellt hat. Eine Frage, die offen geblieben, ist nament⸗ lich die, ob es sich nur um unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Schaden handelt, und ob bei dem mittelbaren Schaden auch der ent⸗ gangene Gewinn, und namentlich auch die Schäden, welche Ein⸗ geborene herbeigeführt haben, mit hereingenommen werden können. Ueber die Bemessung dieses Betrags herrscht eine weitgehende Verschiedenheit der Auffassung zwischen der deutschen Regierung einerseits und der englischen und der amerikanischen Regierung anderseits. Die englische und die amerikanische Regierung boten schließlich einen Betrag von 25 000 Dollar, der etwas weniger als ein Viertel derjenigen Summe ausmachte, die von den Geschädigten verlangt war, nicht derjenigen Summe, die wir vielleicht selbst zuerkannt hätten. Diese Summe von 25 000 Dollar war von uns als zu gering bezeichnet worden, und es hatten langwierige Ver⸗ handlungen stattgefunden. Diese haben eine Erhöhung über die Offerte hinaus, wenn auch nicht in sehr erheblichem Betrage, herbei⸗ geführt, aber zugleich haben beide Staaten erklärt, daß sie sich auf eine höhere Summe nicht einlassen würden, im Gegenteil glaubten, daß bei einem etwaigen Schiedsspruch uns eine viel geringere Summe zugebilligt werden würde. Es entsteht nun die Frage, ob wir die angebotene Summe annehmen, oder ob wir von dem Vorschlage der Niedersetzung einer Kommiffion Gebrauch machen, die aus je einem englischen, einem amerikanischen und einem deutschen Bei⸗ sitzer bestehen soll, oder drittends, ob wir auf einen weiteren Schiedsspruch des Königs von Schweden und Nor⸗ wegen rekurrieren sollen. Wir haben die Frage vom kaufmännischen Gesichtspunkt zu prüfen, auf welchem der drei Wege wir zur günstigsten Lösung gelangen, sowohl was die Höhe als die Schnelligkeit der Aus⸗ zahlung betrifft, und werden danach unsere Entschließungen treffen.

Besser liegen die Verhältnisse bei der Venezuelafrage.

Hierbei handelt es sich um drei Arten von Schuldforderungen. Die erste betraf die Schäden, welche Deutschen erwachsen waren aus dem Bürgerkriege 1898 bis 1900. Das war der eigentliche Anlaß zu der Aktion, die wir gegenüber Venezuela unternommen haben. Diese Schäden beliefen sich auf 1 400 000 Diese Summe ist von Vene⸗ zuela sogar noch vor der Fälligkeit vollbezahlt worden.

Die zweite Kategorie von Forderungen, die wir hatten, umfaßte Entschädigungen für Schäden nach 1900 und belief sich auf 1 600 000 Für diese sind uns zugesichert 30 % der Zölle von La Guayra und Puerto Cabello. Es hat ein längerer Streit darüber bestanden, ob eine vorzugsweise Behandlung für die drei Interventionsmächte England, Deutschland, Italien eintreten solle oder eine gleichmäßige Behandlung mit den Forderungen der Angehörigen anderer Staaten. Das Schiedsgericht hat zu Gunsten der Interventionsmächte entschieden, und es ist bereits über die Hälfte der Summe bezahlt, und wenn, wie zu erwarten steht, es so weiter

für 13 Deutsche, Scheitern eines

geht, so wird voraussichtlich 1906 die ganze Summe von Venezuela bezahlt sein.

Die dritte Klasse betrifft die Forderungen aus der 5 prozentigen Anleihe von 1896. In dieser Beziehung schweben zwischen dem eng⸗ lischen und deutschen Gläubigern einerseits und der venezolanischen Regierung andererseits Verhandlungen, welche auch Aussicht gewähren, zu einer Regelung der Schuldverhältnisse zu kommen.

Der Herr Abg. Graf Reventlow hat gemeint, daß die Schieds⸗ gerichte sich nicht bewährt hätten. So kraß möchte ich das jedenfalls nicht aussprechen. In dem Falle der venezolanischen Frage kann man im Gegenteil eher einen Erfolg des Schiedsgerichtsgedankens kon⸗ statieren. In allen Fällen führt allerdings das Schiedsgericht eine etwas starke Verlangsamung mit sich, und infolgedessen ist es immer erwünschter, wenn man auf schnellerem diplomatischen Wege zum Ziele gelangen kann als auf dem Wege des Schiedsgerichts.

Abg. Dr. Beumer (nl.): Ich kann die Angriffe des Abg. Eick⸗ hoff auf die Firma Krupp nicht unwidersprochen ins Land gehen lassen. Zunächst hat Herr Eickhoff wieder die alte, längst widerlegte Legende aufgewärmt, daß die Firma Krupp an den nach Deutschland Panzerplatten mehr verdient habe, als an den nach dem Ausland gelieferten. Von der Notwendigkeit des Wettbewerbs bin ich vollkommen überzeugt, aber Herr Eickhoff ist über die Leistungs⸗ fähigkeit der mit der Firma Krupp konkurrierenden Firma Erhardt getäuscht worden. Diese Firma hat der Bud⸗ getkommission eiren Bericht zugehen lassen, in dem ein Brief der Schweizer Artillerie⸗Prüfungskommission über die Konkurrenzfähigkeit der Firma Ehrhardt vishetten ist. Aus diesem Schreiben sind aber charalteristischerweise gerade die Stellen fortgelassen, die der Firma erklären, daß ihr Geschütz nicht kon⸗ kurrenzfähig sei. Herr Eickhoff sagt, die Ehrhardtschen Geschütze hätten die Kruppschen stets in den Schatten gestellt. Das ist nicht zutreffend. Nach England hat Ehrhardt Geschütze nur während des Burenkrieges geliefert, mittlerweile ist dort ein anderes System adoptiert worden. Bei wirklichen Konkurrenzen ist Krupp stets Sieger geblieben. Im übrigen sei bemerkt, daß Patentstreitigkeiten zwischen den beiden Firmen schweben; es ist vom Patentamt festgestellt worden, daß Ehrhardt einen widerrechtlichen Verkehr mit Angestellten der Firma Krupp gepflogen hat. Die erwähnte Schweizer Kommission hat das Kruppsche Modell eines 7,5 cm Rohrrücklaufgeschützes für das beste erklärt. Die Behauptungen des Herrn Eickhoff bezüglich des letzteren Geschützes zerfallen damit in nichts. Der Ausdruck „Kompromizßgeschütz Krupp⸗ Ehrhardt“ trifft auf das neue Rücklaufgeschütz nicht zu. Die Behaup⸗ tung der unlauteren Konkurrenz der Firma Krupp dürfte damit ge⸗ nügend widerlegt sein.

Abg. Eickhoff: Herr Beumer hat über vieles geredet, was nicht zur Sache gehört. Ich habe keinerlei Angriffe gegen die Firma Krupp gerichtet, kein Wort von unlauterer Konkurrenz gesagt; das alles hat sich Herr Beumer sozusagen aus den Fingern gesogen. Ich habe nur für gleiches Recht plädiert. Daß die Firma Krupp für Panzer⸗ platten ganz unangemessene Preise gefordert hat, ist eine von der Kommission festgestellte Tatsache. Beim Militäretat werde ich auch die weiteren Ausführungen des Herrn Beumer, zu denen ich keine Veranlassung gegeben habe, widerlegen. Die Firma Ehrhardt hat Rohrrücklaufgeschütze lange vor der Firma Krupp angefertigt. Ueber die Patentfrage werden wir uns noch näher zu unterhalten haben. Die Angriffe des Herrn Beumer auf die Firma Ehrhardt, daß sie mit Kruppschen Beamten widerrechtlich in Verkehr getreten sei, waren auch nicht schön. Die Firma Krupp hat sich seinerzeit gerade an die Firma Ehrhardt gewendet, um weitere Verbesserungen der Konstruktion zu erreichen. 8

Damit schließt die Diskussion. Das Gehalt des Staats⸗ sekretärs wird bewilligt, desgleichen die übrigen Be soldungen für das Auswärtige Amt und die Besoldung des Gesandtschafts⸗ und Konsulatspersonals, des gleichen die allgemeinen Fonds.

Bei den dauernden Ausgaben für die Kolonial verwaltung (Kolonialabteilung, Oberkommando der Schutz⸗ truppen, Schutzgebiet der Marschallinseln, Allgemeine Fonds) hat die Budgetkommission die Forderung von 35 000 für je einen kolonialen Beirat bei den Kaiser⸗ lichen Botschaften in London und Paris gestrichen, da gegen den Betrag von 18 000 für einen kolonialen Beirat bei der Kaiserlichen Botschaft in London auf das Extra⸗ ordinarium zu übernehmen beantragt. Nach dem Referat des Abg. Prinzen von Arenberg (Zentr.) tritt das Haus diese Vorschlägen ohne Debatte bei.

Beim Extraordinarium befürwortet der

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) sehr lebhaft die Bewilligung der Position von 16 000 „zur Förderung wissenschaftlicher, insbesondere ethnologischer Arbeiten in China“, diesem ältesten Kulturlande der Welt; diese seien für die Forschung äußerst wertvolle Arbeiten.

Es handle sich namentlich um die Erforschung der Bauwerke in Chin

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staatsminister Dr. Freiherr von Richthofen:

Meine Herren! Die Anregung kann ich nur höchst dankbar b grüßen; sie wird sicher volle Berücksichtigung finden. Ob die in diesem Etat eingestellten Mittel reichen werden, kann ich im Augenblick nicht übersehen. Jedenfalls werden wir sehen, der Anregung im Laufe des nächsten Etats nach Möglichkeit Rechnung zu tragen.

Abg. Dr. Südekum (Soz.) und Dr. Müller⸗Sagan (fr. Volksp.) schließen sich den Wünschen des Abg. Bachem an.

In das Extraordinarium wird entsprechend dem vorher gefaßten Beschluß die Summe von 18 000 für den kolo⸗ nialen Beirat in London eingesetzt. Im übrigen wird die Be⸗ schlußfassung über die Zuschüsse zur Bestreitung der Ver⸗ waltungsausgaben in den Schutzgebieten, die zur Feststellung der Etats für die letzteren vorbehalten. Im Extraordinarium, außerordentlicher Etat der Kolonialverwaltung, steht die zweite Rate, Darlehen des Reichs an das Schutzgebiet Togo zum Zwecke des Baues einer Eisenbahn von Lome nach Valime 3600 000 Die Forderung wird genehmigt, ebenso die Einnahmen des Etats des Auswärtigen Amts. Damit ist dieser Etat erledigt.

Schluß 7 ½ Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr. (Kolonialetat.) 8

Haus der Abgeordnete

164. Sitzung vom 17. März 1905, Mittags 12 Uhr.

(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung, in der die dritte Be⸗ ratung des Staatshaushaltsetats für das Rechnungs⸗ sahr 1905 fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl.

erichtet worden.

Die daselbst auszugsweise wiedergegebene Rede, die bei Besprechung des Etats der Handels⸗ und Gewerbe⸗ verwaltung in Erwiderung 8; die Ausführungen des Abg. Jacobskötter (kons.) über die eisterkurse der Minister für