1905 / 111 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 11 May 1905 18:00:01 GMT) scan diff

1“ 8 Personalveränderungen.

Karlsruhe, 6. Mai. Dem Vorschlage Seiner Königlichen

oheit des Prinzen Luitpold, Regenten des Königreichs Bayern, ent⸗ prechend: v. Steinsdorf, Königl. bayer. Gen. Major und Kom⸗ mandant der Festung Ulm, Wurzer, Königl. bayer. Major, Platz⸗ major der Feß ung Ulm, rechtes Donauufer, von diesen Stellungen enthoben. Ritter u. Edler v. Rauscher auf Weeg, Königl. bayer. Gen. Major, zuletzt Oberst und Kommandeur des 1. Feldart. Regt. Prinz⸗Regent Luitpold, zum Kommandanten der Festung Ulm, Loh⸗ mann, Königl. bayer. Hauptm., Komp. Chef im 19. Inf. Regt. König Viktor Emanuel III. von Italien, zum Platzmajor der Festung Ulr rechtes Donauufer, ernannt.

Kaiserliche Schutztruppen. Offiziere, Fähnriche usw. Ernennungen, ungen und Versetzungen. Karlsruhe, 6. Mai.

Beförde⸗ Aus dem

Heere scheiden am 14. Mai d. J. aus und werden mit dem 15. Mai d. J. in der Schutztruppe für Südwestafrika angestellt: Traeger,

Major, aggreg. dem

folgtem Ausscheiden aus dem Königlich bayer.

I7 Grren. Regt. Nr. 2, Nagel, Oberlt. in der 4. Ingen. J

Füs. Regt. Fürst Karl Anton von Hohenzollern Hohenzollern.) Nr. 40, als Bats. Kommandeur im 2. eldregt., Dony Major und Abt. Kommandeur im 4. Bad. Feldart. Regt. Nr. 66, als Kommandeur der 2. Feldart. Abteil., v. Mülmann, Hauptm., jetzt Komp. Chef im Gren. Regt. König Wilhelm I. (2. Westpreuß.) v. Wittenburg, Oberlt. im Kaiser Franz nsp.; die ts.: v. Hirschfeld im Großherzogl. Mecklenburg. Feldart. Regt. Nr. 60, Haehnel im 4. Westpreuß. Inf. Regt. Nr. 140, kom⸗ mandiert zur Dienstleistung beim Telegraphenbat. Nr. 2, Wilde im Inf. Regt. Graf Tauentzien von Wittenberg (3. Brandenburg.) Nr. 20, Tlüver (Erwin) im 2. Hannov. Inf. Regt. Nr. 77, Bernay im Telegraphenbat. Nr. 3, Goͤring im 9. Rhein. Inf. Regt. Nr. 160, Wackerzapp, Schulz im 1. Lothring. Feldart. Regt. Nr. 33, Wilcke im 2. Thüring. Feldart. Regt. Nr. 55, Bullrich (Georg) m 4. Thüring. Inf. Regt. Nr. 72. Ferner in der Schutztruppe für Südwestafrika angestellt: nach er⸗ Heere: Sertorius, Königl. baver. Oberlt. im 4. Inf. Regt. König Wilhelm von Württem⸗

berg, als Oberlt. mit Patent vom 28. Oktober 1901, Deuringer, Königl. bayer. Lt. in demselben Rös als Lt. mit Patent vom 27. Fe⸗

aus der Königlich sächs. Armee: Exner.

satzungs⸗Brig. angestellt: Vollbrecht,

bruar 1896, Leichtle, Königl. bayer. Lt. im 20. Inf. Regt., als Lt. mit Patent vom 28. Oktober 1899, Roesener, Königl. bayer. Assist. Arzt beim 18. Inf. Regt. Prinz Ludwig Ferdinand, als Assist. Arzt mit Patent vom 24. März 1905; nach erfolgtem Ausscheiden Königl. sächs. Lt. an der Unteroff. Vorschule als Lt. mit Patent vom 21. August 1898, v. Reese, Königl. sächs. Lt. im Karab. Regt. (2. schweren Regt.), als Lt. mit Patent vom 17. August 1903.

Ostasiatische Besatzungsbrigade.

Aus der Armee scheiden aus und werden in der Ostasiat. Be⸗ Major und Bats. Kom⸗ mandeur im Füs. Regt. Graf Roon (Ostpreuß.) Nr. 33, beim Stabe des 2. Ostasiat. Inf. Regts., v. Barfus, Major und Bats. Kom⸗ mandeur im Gren. Regt. König Friedrich III. (2. Schles.) Nr. 11, als

Bats. Kommandeur im 1. Ostasiat. Inf. Regt., Giffenig, Hauptm.

vom Großen Generalstabe, im Generalstabe, Engel, v“

im Magdeburg. Pion. Bat. Nr.

im 1. Ostasiat. Inf. Regt., Oberlt. im Gard 8 Fußart. Regt., kommandiert nach Berlin zum Seminar für orientalische

Hauptm. und

Komp. Chef im Inf. Regt. Oberschles.)

23, Strippelmann,

von Winterfeldt (2. 1G Hauptmann und Kompagnie⸗ im Infanterieregiment Freiherr von Sparr (3. Westfäl.) beide als Komp. Führer im 1. Ostasiat. Inf. Regt., Kuhlo, Hauptm. und Komp. Chef im 2. Nassau. Inf. Regt. Nr. 88, kommandiert nach Berlin zum Besuch des Seminars für orientalische Sprachen, als Brig. Adjutant, Rose, Hauptm. und Komp. Chef 4, als Führer der Ostasiat. v Nr. 167,

Komp., Eckstein, Oberlt. im 1. Oberelsäss. Inf. Regt. Garde⸗

Blevhoeffer, Oberlt. im

Sprachen, im 2. Ostasiat. Inf. Regt., herzogl. Mecklenburg. Füs. Regt. Nr. 90, Schroeder, von der Unteroff. Schule in Weißenfels, beide im 1. Inf. Regt., Meyer, Oberlt. in der 2. Ingen. Insp., in der

Paschen, Oberlt. im Groß⸗ Vesch Oberlt. Ostasiat.

Ost⸗

asiat. Pion. Komp., Hosemann, Lt. in der Maschinengewehrabteil.

Nr. 5, in der Maschinengewehrabteil. des

1 der Ostasiat. (fahrenden) Battr., Riedesel Frhr. 8 Lt. im Knurhess. Jägerbat. st

2. Ostasiat. Inf. Regts.,

v. Kleist (Rulekin), Lt. im 2. Pomm. Ulan. Rgt. Nr. 9, in der

Hstasjat. Eskadr. Jäger zu Pferde, Walter, Lt. im Inf. Regt. von der Gol

18 Nr. 54, im 1. Ostasiat. Inf. Regt, Oloff, Lt. im Danziger Inf. Regt. Nr. 128, im 2. Ostasiat. Inf. Regt., Hoeckner, Lt. im 2. Nassau. Feldart. Regt. Nr. 63 Frankfurt, in B zu Eisenach, Nr. 11, im Ostasiat. Inf. Regt., Dr. Neubeck, Stabs⸗ und Bats. Arzt vom 3. Bat. Inf. Regts. von der Goltz (7. Pomm.) Nr. 54, als Regts. Arzt des 1. Ostasiat. Inf. Regts., Dr. Keller, Stabs⸗ und Bats. Arzt vom 3. Bat. Metzer Inf. Regts. Nr. 98, als Bats. Arzt des 1. Bats. 1. Ostasiat. Inf. Regts., Dr. S beim Ostasiat. Feldlazarett, Dr. Lindner, Oberarzt vom Inf. Regt. von der Goltz (7. Pomm.) Nr. 54, bei der Ostasiat. Cahrenden) Battr, Dr. Lehmann, AÄssist. Arzt vom Kür. Regt. von Sevrdlitz (Magdeburg.) Nr. 7, beim 2. Ostasiat. Inf. Regt. 8 In der Ostasiat. Besatzungsbrig. werden nach erfolgtem Aus⸗ scheiden aus dem Königl. bayer. Heere angestellt: Mark, Königl. bayer. Major und Bats. Kommandeur vom 8. Inf. Regt. Groß herjog Friedrich von Baden, als Bats. Kommandeur im 2. Ostasiat. Inf. Regt., Patent 18. Dezember 1903, Müller, Königl. bayer. Oberlt. vom 7. Inf. Regt. Prinz Leopold, im 2. Ostasiat. Inf. Regt., * 9. März 1903, Schneider, Königl. bayer. Lt. vom 2. Inf. egt. Kronprinz, im 2. Ostasiat. Inf. Regt, Patent 21. Juli 1900. v. Claer, Major beim Stabe des 2. Ostasiat. Inf. Regts,, scheidet mit dem Zeitpunkt der diesjährigen Herbstablösung aus der Ostasiat. Besatzungsbrig. aus und wird unter Belassung in dem Kommando als Militärattaché bei der Gesandtschaft in Peking und der Minister⸗ residentur in Söul (Korea) im Generalstabe der Armee angestellt. v. Scheve, Oberlt. in der Maschinengewehrabteil. des 1. Ostasiat. Inf. Regts., wird mit dem Zeitpunkt der diesjährigen Herbstablösung zum Führer dieser Abteil. ernannt. 8 Versetzt werden mit dem Zeitpunkt der diesjährigen Herbst⸗ ablösung: Tummeley, Oberlt. im 1. Ostasiat. Inf. Regt., zum Brig. Kommando als Transportoffizier, Brückner, Oberlt. im

chwer, Oberarzt vom Niederschles. Pion. Bat. Nr. 5,

1

1. Ostasiat. Inf. Regt., in die Maschinengewehrabteil. dieses Regts.,

Jobst. Lt. in der Ostasiat. Eskadr. Jäger zu Pferde, in das 2. Ostasiat. Inf. Regt.

Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. ruhe, 6. Mai. Frhr. v. König, Gen. Lt. und Inspekteur der 4. Kav. Insp., in Genehmigung seines Abschiedsgesuches mit der ge⸗ setzlichen Pension zur Disp. gestellt. Jobst, Hauptm. a. D, zuletzt Komp. Chef im 4. Bad. Inf. Regt. Prinz Wilhelm Nr. 112, Kaul⸗ hausen, Hauptm. a. D., zuletzt Battr. Chef im 1. Oberelsäss. Regt Nr. 15, die Aussicht auf Anstellung im Zivildienst erteilt.

h Deutscher Reichstag. 182. Sitzung vom 10. Mai 1905, Nachmittags 2 Uhr.

Am Bundesratstische: Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding.

Präsident Graf von Ballestrem: Indem ich die Herren Kollegen auf das freundlichste begrüße, eröffne ich die Sitzung. Aus Veranlassung des Geburtstages Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reichs und von Preußen habe ich die ehrerbietigsten Glückwünsche namens des Reichstags Hoch⸗ demselben ausgesprochen. Von Seiner Kaiserlichen Hoheit ist mir

darauf in einem an mich gerichteten Te⸗ egramm sein bester Dank für die Glückwünsche des Reichstags übermittelt worden.

Auf der Tagesordnung steht zunächst der Bericht der Reichsschuldenkommission: I. über die Verwaltung des Schuldenwesens des Deutschen Reichs; II. über ihre Tätigkeit in Ansehung der ihr übertragenen Aufsicht über die Ver⸗ waltung: a. des Reichsinvalidenfonds und b. des Fonds zur Errichtung des Reichstagsgebäudes; III. über den Reichskriegs⸗ schatz und IV. über die An⸗ und Ausfertigung, Einziehung und Vernichtung der von der Reichsbank auszugebenden Bank⸗ noten. Die Vorlage wird der Rechnungskommission über⸗ wiesen.

Es folgt die zweite Beratung der Rechnung der Kasse der Oberrechnungskammer für das Rechnungsjahr 1902 bezüglich derjenigen Teile dieser Rechnung, welche die Reichsverwaltung betreffen. Berichterstatter ist der Abg. Hug (Zentr.).

Nach dem Kommissionsantrage wird der Rechnungsleger bezüglich desjenigen Teils der Rechnungen, der die Reichs⸗ verwaltung betrifft, entlastet.

Gemäß dem Antrage der Rechnungskommission wird ferner für die Allgemeine Rechnung über den Reichshaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1900 die Genehmigung der nachgewiesenen Etatsüberschreitungen sowie der außeretatsmäßigen Ausgaben ausgesprochen und dem Reichskanzler für die vorgelegte All⸗ gemeine Rechnung für 1900 Entlastung erteilt.

Die in der Uebersicht der Reichsausgaben und Ein⸗ nahmen für das Rechnungsjahr 1903 nachgewiesenen Etatsüberschreitungen im Betrage von 42 308 224 und außer⸗ etatsmäßigen Ausgaben im Betrage von 3 959 373 werden vorläufig, die den Etat überschreitenden und außerordent⸗ lichen Einnahmen aus der Veräußerung von Grundstücken, Materialien, Geräten oder sonstigen Gegenständen nachträglich genehmigt, nachdem der Abg. Hug (Zentr.) auf die großen Schuldenaufnahmenhingewiesen, die im Jahre 1903 stattgefunden, und die Hoffnung ausgesprochen hat, daß es den Bemühungen des Reichsschatzamts gelingen möge, die dringend notwendige Sanierung der Reichsfinanzen herbeizuführen, und nachdem der Abg. Dr. Bachem (Zentr.) anerkannt hat, daß so „klotzige“ Etatsüberschreitungen wie früher nicht mehr vorgekommen, es vielmehr in dieser Beziehung besser geworden sei, daß aber Rechnungskommission und e ssee fortfahren müssen, in dieser Richtung Besserung zu schaffen und eine so exakte Innehaltung des Etatsanschlags wie in Preußen zu erreichen.

Es folgt die erste und eventuell zweite Beratung der auf der internationalen Sanitätskonferenz zu Paris am 3. Dezember 1903 von Deutschland, Oesterreich⸗Ungarn, Belgien, Brasilien, Spanien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Italien,

Luxemburg, Montenegro, den Niederlanden, Persien, Portugal,

Rumänien, Rußland, Serbien, der Schweiz und Aegypten unterzeichneten Uebereinkunft, betreffend die Bekämpfung der Pest und der Cholera.

Abg. Schrader (fr. Vgg.): Es ist nicht meine Absicht, gegen die Konvention zu polemisieren, ich habe nur eine Bitte an die ver⸗ bündeten Regierungen zu richten. Sie werden gesehen haben, daß in dieser Konvention zwei Staaten fehlen, die bei der ganzen Sache sehr interessiert sind: die Türkei und Bulgarien. Wie wichtig der Beitritt der Türkei zu der Konvention ist, ergibt sich schon aus den Pilger⸗ zügen nach Mekka und den damit verbundenen Seuchengefahren. Leider haben die früheren Bemühungen auf Beitritt dieses Staates keinen Erfolg gehabt. Der Redner schildert die Unzuträglichkeiten im Grenzverkehr mit der Türkei. Seine Freunde könnten der Konvention mit Freude zustimmen in der Hoffnung, daß die verbündeten Regie⸗ rungen ihre Bemühungen darauf richten, daß die beiden genannten Staaten der Konvention beitreten.

Darauf wird die Konvention in zweiter Beratung in allen ihren Teilen genehmigt.

Es folgt die zweite Beratung des von den Abgg. Hage⸗ mann, Himburg, Prüschenk von Lindenhofen, Dr. Spahn und Traeger am 11. Mai 1904 eingebrachten Gesetzentwurfs, be⸗ reffend Aenderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes.

Berichterstatter der 12. Kommission ist der Abg. Kalk⸗ hof (Zentr.). 1

Die Kommission hat, entsprechend dem Antrag Hagemann und Genossen, die §§ 27, 28 und 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Richtung der Erweiterung der Zuständigkeit der Schöffengerichte und Beschränkung derjenigen der Strafkammern geändert. Die Zuständig⸗ keit der Schöffengerichte soll sich danach auch erstrecken auf die nur auf Antrag zu verfolgenden Körperverletzungen, auf das Vergehen des Hausfriedensbruchs im Falle des § 123 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs, auf das Vergehen der Bedrohung

mit der Begehung eines Verbrechens im Falle des § 241 des

das Vergehen des strafbaren Eigen⸗ nutzes in den Fällen des § 286 Abs. 2, der §§ 290, 291 und 298 des Etrafgesetzbuchs sowie des § 93 Abs. 3 der Seemannsordnung. Für Diebstähle, Unterschlagungen, Betrug und Sachbeschädigung sollen die Schöffengerichte in Zukunft zuständig sein bis zum Maximum des Wertes oder Schadens von 150 (jetzt 25 ℳ.), desgleichen soll in § 28 das Wert⸗ maximum von 25 auf 150 erhöht werden. Im § 75 wird der Kreis der Vergehen, wegen deren die Strafkammer bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Verhandlung und Ent⸗ scheidung dem Schöffengericht überweisen kann, erweitert und an die Voraussetzung geknüpft, daß wegen des Vergehens auf keine andere und höhere Strafe als auf eine Gefängnisstrafe von höchstens 6 (jetzt 3) Monaten oder eine Geldstrafe von

Strafgesetzbuchs, auf

höchstens 1500 (jetzt 600 ℳ) allein oder neben Haft oder

Karls⸗ in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Einziehung

und auf keine höhere Buße als auf 1500 (jetzt 600 ℳ) zu

erkennen sein werde.

Abg. Hagemann (nl.): Ich habe namens meiner politischen

Freunde zu erklären, daß wir dem Gesetzentwurfe, wie er aus der

Kommission bervorgegangen ist,

stimmung versagen werden.

unsere Zustimmung geben und Ab⸗

änderungsanträgen, sofern sie nicht formaler Natur sind, unsere Zu⸗ Zweck dieses ganzen Vorgehens ist die

Beschleunigung der Strafrechtspflege und die Erweiterung der Kom⸗

petenz der Schöffengerichte.

Ich habe schon früher ausgeführt, daß die Schöffengerichte sich durchaus bewährt haben, und daß man das Laienelement mit gutem Gewissen zur Rechtsprechung heranziehen kann. Wir Juristen können uns nur feeuen, mit dem Laienelement möglichst

in Berührung zu kommen.

Abg. Dr. Brunstermannsbek. F): Meine politischen Freunde werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Die Erweiterung der Befug⸗ nisse der Schöffengerichte ist ein durchaus gangbarer Weg. Die Schöffengerichte haben durchaus das Vertrauen des Publikums. Wir haben gegen den Entwurf nur ein, allerdings nicht unwesentliches Bedenken. Wir fürchten, daß bei der zweifellos eintretenden Arbeits⸗ verminderung der Strafkammern die Erxistenzfähigkeit der kleinen Landgerichte, namentlich in den kleineren Bundesstaaten, bedroht werden könnte. Solche Bundesstaaten, die nur ein Landgericht haben, könnten eventuell zu dessen Aufhebung gezwungen werden, und

das würde doch ein sehr schwerer Eingriff in ihre Justizhoheit be⸗ deuten. Anderseits wird es sich aber wohl nur um ein nicht zu langes Provisorium handeln. Die Arbeit der Kommission zur Revision der Strafprozeßordnung wird auch durch diesen Entwurf nicht beeinträchtigt werden.

Abg. Dr. Porzig (d.kons.): Auch wir werden dem Gesetzentwurf, wie er sich in der Kommission gestaltet hat, zustimmen. Bei der Auf⸗ stellung des Gesetzentwurfs selbst und bei den Beratungen trat die Notwendigkeit zu Tage, die Strafrechtspflege zu beschleunigen und die Reichsgerichts⸗Strafsenate zu entlasten. statistisch genügend nachgewiesen worden, daß die Zustände bei den Strafsenaten des Reichsgerichts nicht so weiter gehen dürfen, wenn nicht eine erhebliche Schädigung der Strafrechtspflege eintreten soll. Erst acht bis neun Monate nach Eingang der Sachen wird der erste Termin angesetzt. Auch mit den Einzelheiten des Gesetzentwurfs bin ich einverstanden. Man wollte den Schöffengerichten nur überweisen, was nach seiner Einfachheit ihnen überweisbar ist. Ueber das, was

in der Kommission beschlossen ist, wollen wir nicht hinausgehen.

Weitergehende Abänderungsanträge sachlicher Natur können wir in dem jetzigen Augenblick nicht annehmen. Bei den Oberlandesgerichten macht man durchgängig die Erfahrung, daß die Schöffengerichte sehr gut arbeiten. Das wird für diejenigen, die eine Ausdehnung des Laienelements in der Rechtsprechung wünschen, ein erfreuliches Be⸗ kenntnis sein. Alle weitergehenden Aenderungen müssen wir der zu⸗ künftigen Revision der Strafprozeßordnung überlassen. Bei einer solchen organischen Regelung wird man ausgiebig nachforschen müssen, was der Entwicklung des Volkes nach seinen ganzen Anlagen frommt. Infolgedessen möchte ich den Staatssekretär bitten, die Reform der Strafprozeßordnung nicht zu überstürzen, man sollte mit Eifer, aber auch gründlich vorgehen.

Abg. Lattmann (gvirtsch. Vgg.): Die Kommissionsbeschlüsse sind ziemlich durchweg mit Einstimmigkeit angenommen worden. Ihr Grundgedanke, wie der des Antrages Hagemann, ist die Herbei⸗ führung einer schnelleren Strafjustiz; die Erweiterung der Zuständig⸗ keit der Schöffengerichte schließt zugleich eine Anerkennung in der

Richtung in sich, daß sie sich in der Rechtspflege bewährt haben. Ob

wirklich durch die Belastungsverschiebung, über die ich mich als Amts⸗ richter ja nur freuen kann, auch die Entlastung des Reichs⸗ gerichts eintreten wird, geht aus dem Bericht nicht zweifelsfrei hervor. Sicher aber wird die Belastung der Amtsgerichte gesteigert und eine Vermehrung der Richter⸗ und Sekretärstellen zur Notwendigkeit. Ebenso wird die Zuständigkeit der Amtsanwalte vermehrt und die Führung dieses Amtes im Nebenamt fast zur Unmöglichkeit.

zubilden, und ich bitte die verbündeten Regierungen, in dieser Be⸗ ziehung ihre Bemühungen einzusetzen. Die weitergehenden freisinnigen und sozialdemokratischen Anträge werden wir ablehnen.

Der § 27 wird darauf in der Kommissionsfassung an⸗ genommen, ebenso der § 28.

Vom Abg. Lattmann wird hiernach ein Antrag empfohlen, nach dem den Schöffen Reisekosten und Tagegelder gewährt werden sollen. Es würde damit die Möglichkeit gegeben sein, auch die wirtschaftlich Schwächsten zum Schöffenamt heranziehen zu können. Die sozialdemokratische Behauptung, daß aus Arbeiterkreisen keine Schöffen entnommen würden, sei auf jeden Fall in ihrer Allgemein⸗ heit nicht richtig; jedenfalls werde eine solche Praxis in Hessen nicht befolgt.

Staatssekretär des Reichsjustigamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Ich glaube, daß dem Antrage, zu Gunsten dessen der Herr Vorredner eben das Wort genommen hat, doch eine Ueber⸗ schätzung der Wirkungen zu Grunde liegt, welche von dem jetzt zur Be⸗

ratung stehenden Gesetzentwurf für die Praxis der Gerichte zu er⸗

warten sind. Es ist ja naturgemäß schwer, genaue Ziffern für das Maß der Belastung anzuführen, die infolge der Vermehrung der schöffengerichtlichen Sachen den Schöffengerichten zufallen wird; aber, meine Herren, zur Verdeutlichung der Sache möchte ich mir doch erlauben, einige schätzungsweise Ziffern anzugeben, die im großen und ganzen das Richtige treffen dürften, wenigstens so weit das Richtige treffen, daß das hohe Haus darauf hin seine Entscheidung treffen kann.

Meine Herren, wir schätzen die Wirkungen des zur Beratung stehenden Gesetzes etwa so, daß infolge der Entlastung der Kammern und der dadurch gegebenen Mehrbelastung der Schöffengerichte rund 10 000 oder ich will ganz sicher gehen und sagen 12 000 Sachen mehr im Jahre den Schöffengerichten zufallen werden. Nun, meine Herren, haben wir in Deutschland rund etwa 2000 Schöffengerichte;

daraus würde sich ergeben, daß durchschnittlich im Jahre dem ein-⸗—

zelnen Schöffengericht 5 bis 6 Sachen mehr zufallen würden. Nun ist es ja richtig, die Sachen werden sich nicht gleichmäßig auf die einzelnen Schöffengerichte verteilen, sondern einzelne Gerichte werden mehr belastet werden als andere; aber für die legislatorische Be⸗ deutung des Antrages, den der Herr Abgeordnete hier vertreten hat, glaube ich, ist es doch wichtig, daß das hohe Haus sich vergegen⸗ wärtigt, welche Wirkungen im Durchschnitt zu Ungunsten der Schöffengerichte die Vorlage voraussichtlich ausüben würde, und da sage ich: eine Vermehrung der Sachen um 5 bis 6 im Jahre für jedes Schöffengericht kann unmöglich die Veranlassung geben, einen so prinzipiellen Antrag hier zur Diskussion zu bringen. Ich muß mich deshalb schon mangels eines Bedürfnisses, das aus der Vorlage hergeleitet werden könnte, gegen die Annahme des Antrages aus⸗ sprechen.

Ich muß mich aber auch deshalb dagegen aussprechen, er nach meiner Meinung eine unvollständige Regelung der hier in Frage stehenden Gesichtspunkte enthält. Denn wenn wir nach der Richtung hin vorgehen wollen zu Gunsten der Schöffen, meine Herren, dann glaube ich, können wir nachher nicht zurückbleiben bei den Schwurgerichten. (Sehr richtig!) Damit nimmt die Frage eine Bedeutung an, die weit über den Be⸗ reich des gegenwärtigen Entwurfs hinausgehen würde. Aber, meine Herren, ich möchte überhaupt davor warnen, bei dieser Gelegenheit, wo es sich nur handelt um ein kurzlebiges Notgesetz, und wo wir die Aussicht haben, in nicht zu langer Zeit zur Diskussion einer neuen Strafprozeßordnung zu gelangen, bei der ja auch diese Frage zweifellos eine Rolle spielen wird, bei der Beratung dieses kurzlebigen Not⸗ gesetzes eine so schwerwiegende Frage anzuschneiden. Wäre unter den ohwaltenden Verhältnissen der Antrag, der von dem Herrn Vor⸗ redner gestellt worden ist, außerhalb des Rahmens der gegen⸗ wärtigen Vorlage gestellt worden, so hätten zweifellos die ver⸗ bündeten Regierungen erklären müssen: es liegt ein legis⸗ latorisches Bedürfnis für den Antrag in diesem Augenblick nicht vor, wir lehnen es ab, zur Zeit in die Diskussion darüber ein⸗ zutreten. Unmöglich kann uns aber die Tatsache, daß eine unwesent⸗ liche Veränderung der Kompetenz der Schöffengerichte geplant ist, eine andere Stellung zu dieser Sache einzunehmen veranlassen; denn ich wiederhole es: in der Vorlage ist ein sachliches Bedürfnis für diese Aenderung des bestehenden Rechts nicht gegeben. Deshalb, meine Herren, glaube ich, ohne der Bedeutung des Antrags für die Zukunft zu nahe treten zu wollen, sagen zu dürfen, daß eine Einstellung dieses Vorschlags in den Gesetzentwurf bei den verbündeten Regierungen den entschiedensten Widerspruch finden würde, und darauf hin kann ich

weil

In der Kommission ist

Damit wird es aber immer dringlicher, auch die Amtsanwalte juristisch vor⸗

Sie nur dringend bitten, im Interesse des Zustandekommens dieses Gesetzes den Antrag abzulehnen.

Abg. Stadthagen (Soz.): Die Regierung hat sich immer ge⸗ sträubt, irgend etwas zuzulassen, was dazu dienen könnte, die Gerech⸗ tigkeit voll zum Durchbruch kommen zu lassen, wenn finanzielle Rück⸗ sichten entgegenstanden. So hat sie früher abgelehnt, Tagegelder für Schöffen und Geschworene zuzugestehen, so stellt sie sich heute wieder auf diesen ablehnenden Standpunkt. Herr Lattmann be⸗ zweifelt zu meinem Erstaunen, daß es ständige Uebung ist, Arbeiter und womöglich gar Sozialdemokraten nicht zum Schöffenamt zu be⸗ rufen. Es ist allerdings klar, daß dieser Ausschluß gegen das Gesetz verstößt, aber es ist ebenso Tatsache, daß Arbeiter und gar Sozial⸗ demokraten nicht zu Schöffen berufen werden, daß vielmehr eine doppelte und dreifache Siebung stattfindet. Ein solches Verfahren ist geradezu ein Mißtrauensvotum gegen die wirklich arbeitende Be⸗ völkerung. Wenn der politische Gesichtspunkt maßgebend, ausschlag⸗ gebend sein soll, darf auch ein politisch wie Herr Lattmann tätiger Mann nicht richterliche Funktionen ausüben. Nach dem Gesetz dürfen das Schöffenamt ablehnen Leute, die nachweisen können, daß sie den damit verbundenen Aufwand nicht zu tragen vermögen; aus dieser Bestimmung hat man unzulässigerweise hergeleitet, daß die An⸗ gehörigen der Arbeiterklasse von vornherein ausgeschlossen sind. Es ware sehr bedauerlich, wenn es jetzt wieder so käme, daß man der Regierung gibt, was sie verlangt, daß man aber nicht bekommt, was man selbst zur Verbesserung der Rechtspflege für notwendig hält. Das wäre um so schlimmer, als wir doch alle wissen, was bei den Beratungen der Kommission für die Revision der Strafprozeßordnung bezüglich der Einführung der Berufung usw. herausgekommen ist. Arbeiter, Handwerker, sie alle werden systematisch vom Amte des Schöffen ausgeschlossen; ihr Recht steht lediglich auf dem Papier. Diese Ungerechtigkeit ist aber auch eine durchaus richtige Konsequenz der Klassenjustiz. Will man das Recht verwirklichen, so gebe man Tagegelder für die Schöffen. Erweitert man die Schöffen⸗ kompetenz, so wird das Unrecht gegen die erwerbstätige Bevölkerung nur noch verschärft. In Berlin ist es vorgekommen, daß ein Staats⸗ anwalt einen Schöffen ablehnte, weil dieser Sozialdemokrat sei. In der Provinz wurde ein Schöffe abgelehnt, weil er dem erwerbs⸗ tätigen Stande angehörte. Diese Fälle scheint Herr Lattmann ver⸗ essen zu haben. Der Reichstag hat früher diese Tagegelder schon ge⸗ ordert, möge er sich heute kein Dementi geben!

Abg. Pohl (fr. Volksp.): Wenn Herr Stadthagen behauptet hat, daß schon bei der Auswahl der Schöffen möglichst solche Persönlichkeiten gewählt werden, die den Arbeitern gegenüber eine gegensätzliche Stellung einnähmen, so muß ich dagegen rundsätzlich aus meiner Erfahrung Verwahrung einlegen. Auch sd doch keineswegs die Arbeiter allein die erwerbstätige

evölkerung; es besteht überhaupt dieser Gegensatz nicht, von dem Herr Stadthagen bei seinen Deduktionen ausging. Wenn wir dem Gedanken des Antrages Lattmann sympathisch gegen⸗ überstehen, so sehen wir doch anderseits ein, daß er nicht recht in dieses Gesetz paßt und daß er einen Mangel aufweist, weil er die Geschworenen nicht berücksichtigt. Trotz dieser Bedenken werden wir für den Antrag stimmen.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Nach der Unannehmbarkeitserklärung des Staatssekretärs darf diese Vorlage, die der Entlastung des Reichs⸗ gerichts dienen soll, nicht mit einer solchen Bestimmung belastet werden. Die Entlastung des obersten Gerichts und die Beschleunigung der Strafrechtspflege ist unser Ziel; dieses müssen wir vor allem im Auge behalten. Wir standen und stehen auf dem Standpunkte, daß es gerecht ist, den Schöffen eine Entschädigung zu gewähren; dazu findet sich aber Gelegenheit bei einer Revision der Strafprozeßordnung, die nun ja nicht mehr gar so lange auf sich warten lassen wird. Ebenso wünschen wir nicht, daß politische Gesinnung ein Grund sei, jemand vom Schöffenamt auszuschließen.

Abg. Böeler (Reformp.): Wir werden für diesen Antrag stimmen und können nicht das Bedenken überwiegen lassen, daß eine solche Bestimmung nicht ganz in das Gesetz paßt. Hier gerade ist eine gute Gelegenheit, zu zeigen, daß man auch bereit ist, für das werktätige Volk etwas zu tun. Das Bedürfnis ist stets vorhanden gewesen. Tatsächlich wird ein großer Teil der breiten Masse des Feile doch vom Schöffenamt durch diese materielle Rücksicht fern gehalten.

Abg. Stadthagen repliziert auf die Ausführungen des Abg. Pohl: Die Arbeiter sind tatsächlich der erwerbende Teil des Volkes, sie erwerben, leider nicht für sich, sondern denen, die besitzen. (Gelächter.) Das ist nicht zum ei sondern zum Weinen; daraus folgt eben der Klassengegensatz. In Ostelbien sind durchweg die Schöffen Besitzer, diese Tatsache läßt sich nicht aus der Welt diskutieren. Neben den Besitzern kommen höchstens noch ehemalige Beamte und Offiziere in Betracht. Wenn die Regierung meint, sie müsse das Reichsgericht entlasten, so hat doch gerade jetzt der Reichstag alle Veranlassung, diese Forderung durchzusetzen; sonst wird der Gesetzgebung noch mehr als bisher der Charakter der Klassenjustiz aufgedrückt. 1

Abg. Pohl (fr. Volksp.): Es ist absolut unzulässig, einen solchen Widerstreit zu konstruieren zwischen Besitzenden und Arbeitern. Arbeiten die besitzenden Kaufleute etwa weniger als die Kommis? Die Eigentümer der großen Werke müssen heute im Durchschnitt dreimal so viel arbeiten wie ihre Arbeiter. Das ist unsere Meinung.

In der Abstimmung wird der Antrag Lattmann gegen die Stimmen der Deutschen Reformpartei, der Wirtschaftlichen Vereinigung, der Polen, Freisinnigen und Sozialdemokraten abgelehnt.

Zum § 75 liegt der Antrag der Sozialdemokraten Abgg. Dreesbach und Genossen vor, die im bestehenden Gesetz enthaltene, vom Antrag Hagemann und von der Kommission unberührt gelassene Vorschrift, daß die Ueberweisung der Ver⸗ handlung und Entscheidung der betreffenden Vergehen von der Strafkammer an das Schöffengericht nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgen kann, zu streichen.

Abg. Hagemann bittet, den §, 75 nach dem Kommissions⸗ beschlusse unverändert anzunehmen. Einige Bedenken könnten ja darin gefunden werden, daß auch die Bestechung im Falle des § 333 Str. G. B. von der Kommission eingefügt sei, indessen handele es sich doch hier nur um eine bedingte Kompetenzerweiterung.

Abg. Dr. Opfergelt (Zentr.) beantragt, die von der Kommission im § 75 neu aufgenommene Ziffer 14 a „wegen der Vergehen der⸗ jenigen Personen, welche zur Zeit der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten“ zu streichen. Es liege kein Grund vor, diese Ausnahme für die jugendlichen Missetäter zu machen.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Die Vertreter der verbündeten Regierungen haben in der Kommission, in der diese Vorlage zur Beratung kam, den Vorschlag, den jetzt der Herr Vorredner angefochten, toleriert, aber nicht befürwortet. Ich bin in der Lage, zu bestätigen, was bereits der Herr Vorredner angeführt hat, daß die Kommission zur Revision der Strasprozeßordnung, die doch alle einschlagenden Fragen sorgfältig geprüft hat, sich in diesem Punkte auf den Standpunkt der Kommission des Reichstags nicht gestellt hat, daß sie im Gegenteil dahin gelangt ist, es bei dem bestehenden Grundsatz zu belassen.

Wenn die Kommission des Reichetags dazu gekommen ist, bei allen Straftaten Jugendlicher, die nicht Verbrecher sind, die Ueberweisbarkeit an die Schöffengerichte einzuführen, so ist das wohl geschehen ich glaube, wenn ich das sage, trete ich den Herren der Kommission nicht zu nahe aus einem gewissen dunkeln Drange, den Jusendlichen eine Wohltat zu erweisen. Aber wenn man die einzelnen Gesichtspunkte, die hier in

Frage kommen, an der Hand der Praxis prüft, so glaube ich, muß man dem Herrn Vorredner doch darin recht geben, daß bier vielfach Verhältnisse eintreten, in denen die unbedingte Ueber⸗ weisbarkeit von Delikten Jugendlicher an die Schöffengerichte zu Folgen führen kann, die keineswegs eine Wohltat für die Jugendlichen sind. Ich bin insbesondere der Meinung, daß nicht immer in den Familien der jugendlichen Delinquenten die Ueberweisung an die Schöffengerichte kraft dieser Aenderung des bestehenden Gesetzes gern gesehen werden wird. Ich kann mir manche Fälle denken, in denen es die Familie des jugendlichen Deliaquenten geradezu als eine Strafe besonderer Art ansehen wird, wenn ihr Kind nicht ver⸗ wiesen wird an die Strafkammer der etwas ferner liegenden größeren Stadt, sondern daß es zur Aburteilung kommt vor dem Schöffen⸗ gericht des kleinen Wohnorts, dessen Richter alle Leute persönlich kennen, dessen Mitglieder allen Leuten genau bekannt sind. Mir scheint, meine Herren, das ist doch bei dem von der Kommission ge⸗ faßten Vorschlage nicht genügend berücksichtigt worden, und ich glaube, man sollte doch einiges Gewicht auf die Fälle legen, in denen die Eltern es lieber sehen würden, daß ihr Kind nicht vor dem Schöffen⸗ gericht ihres Wohnortes abgeurteilt wird, sondern daß für das Kind das ferner gelegene Landgericht zuständig bleibt. Ich bin aber auch der Ansicht, daß es Fälle gibt, in welchen die Aburteilung des Kindes durch die Strafkammer, die aus 5 Mitgliedern besteht, einen viel größeren moralischen, einen nachhaltigeren Eindruck auf das Gemüt des Kindes ausüben wird zum Wohle seiner künftigen sitt⸗ lichen Entwicklung, als wenn das Kind überwiesen wird dem aus einem Richter und zwei Schöffen bestehenden Gericht des Ortes selbst. Meine Herren, da spielen doch beachtenswerte Empfindungen mit. Das ferner stehende Gericht ist eine größere Autorität für das Kind als das in seiner Zusammensetzung dem Kinde genau bekannte Schöffengericht. Wenn man von diesem Gesichtspunkte aus die Sache erwägt, dann ist es doch eine zweifelhafte Veränderung des Gesetzes, wenn wir in allen Fällen die Vergehen der Jugendlichen an die Schöffengerichte zu überweisen gestatten. Und da man nun nicht be⸗ haupten kann, daß nach den Erfahrungen der Praxis wenigstens bei den verbündeten Regierungen liegen solche Erfahrungen nicht vor der bestehende Rechtszustand den Kindern irgendwelche Nachteile oder für die Rechtspflege irgend⸗ welche Unzuträglichkeiten gebracht hat, so möchte ich befürworten, in diesem Punkte es bei dem bestehenden Rechte zu belassen und den von der Kommission hier eingefügten § 14a wieder auszuscheiden. Nach der Auffassung der Regierungen, meine Herren, würde darin eine Verbesserung der Kommissionsvorschläge liegen. Ich trete also dem Wunsche des Herrn Vorredners durchaus bei.

Abg. Stadthagen: Werden diese Sachen dem Schöffen⸗ gerichte überwiesen, so ist wenigstens der Vorteil vorhanden, daß dar⸗ über zwei Instanzen entscheiden können. Ich möchte Sie aber auch bitten, unseren Antrag zum § 75 anzunehmen, um damit die politische Präponderanz der Staatsanwaltschaft in etwas wenigstens zu schwächen. Die Richter werden intellektuell und moralisch immer mehr abhängig von der Staatsanwaltschaft. Dem muß entgegen⸗ getreten werden.

Staatssekretär des Reichsjustigamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Nur eine tatsächliche Feststellung zu dem letzteren Vorschlag! Der Herr Vorredner hat den Vorschlag verteidigt, wo⸗ nach bei der Entschließung über die Ueberweisung einer Sache an das Schöffengericht, die Staatsanwaltschaft mitzuwirken nicht mehr be⸗ rufen sein soll. Ich muß das hohe Haus daran erinnern, daß diese Frage bereits Gegenstand der Beratungen gewesen ist in den Verhandlungen der Kommission, die im Jahre 1895 berufen war, über die Novelle zur Strafprozeßordnung sich schlüssig zu machen. In dieser Kommission war der gleiche Antrag gestellt. Die verbündeten Regierungen haben damals entschiedenes Gewicht darauf gelegt, daß die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft beibehalten werde. Die Mehrheit der Kommission hat, und ich glaube auch im Sinne der damaligen Mehrheit des Reichstags, sich dahin schlüssig gemacht, daß die Bestimmung des geltenden Rechts beibehalten werden solle, und die Kommission, der die jetzige Vorlage überwiesen war, hat sich der Auffassung der damaligen Kommission angeschlosseu. Gerade so wie damals werden auch jett die verbündeten Regierungen auf die Beibehaltung dieser Worte Wert legen. Und indem ich das konstatiere, meine Herren, kann ich Sie nur bitten, dem Antrag, den der Herr Vorredner ver⸗ teidigt hat, nicht Folge zu geben.

Der Antrag Opfergelt und der sozialdemokratische Antrag werden abgelehnt und der § 75 unverändert nach den Beschlüssen der Kommission angenommen.

Von den sozialdemokratischen Antragstellern ist ferner eine Abänderung des § 80 des Gerichtsver⸗ fassungsgesetzes beantragt, nach dem für Vergehen, welche durch den Inhalt einer im Inlande erscheinenden periodischen Druckschrift begangen sind, künftig die Schwur⸗ gerichte zuständig sein sollen. 1

Abg. Stücklen (Soz.) weist auf die schlimmen Erfahrungen hin, die die Presse mit den Strafkammern gemacht habe, die Preß⸗ vergehen vielfach rein formalistisch behandelten und in Zeitungsartikel Dinge hineinlegten, die dem Autor niemals in den Sinn gekommen seien. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen werde von den Straf⸗ kammern fast nie als vorliegend anerkannt. Daß die Schwurgerichte nicht gerade eine Verwilderung der Presse herbeiführen würden, gehe aus den schweren Urteilen hervor, die sie gegen die Presse verhängt hätten. Immerhin seien von ihnen gerechtere Urteile zu erwarten. Wenn in Süddeutschland nicht so zahlreiche Preßprozesse vorkämen, so liege dies daran, daß der Staatsanwalt sich sage, er werde bei den

Schwurgerichten damit kein Glück haben. Würde der Antrag seiner Freunde angenommen, so würde verhindert werden, daß der Staats⸗ anwalt durch Umstellung der Namen sich die Strafkammer aussuchen könne, bei der er eine Verurteilung durchsetzen zu können hoffen dürfe, wie es in dem berüchtigten Plötzensee⸗Prozeß vorgekommen sei, wo die Sache vor die vierte Strafkammer mit dem Landgerichtspräsidenten Oppermann gekommen sei. Vor einer preußischen Strafkammer hätte jedenfalls der „Simplicissimus“ sehr schlimme Erfahrungen machen müssen. Der Kreis der Geschworenen müsse erweitert und Arbeiter nicht ausgeschlossen werden. Ungehörig sei, wenn Vorsitzende die Wahrsprüche der Geschworenen kritisierten. Die Geschworenengerichte entsprächen zwar nicht dem Ideal eines Volksgerichtes, aber sie kämen ihm am nächsten. Für die Regierung freilich würden die Strafkammern zu⸗ verlässigere Gerichte sein als die Schwurgerichte, aber dies sei gerade ein Grund mehr, auf die Ausgestaltung der Schwurgerichte dinzu⸗ wirken. Man brauche bessere Rechtsgarantieen für die Presse durch Ausdehnung der Kompetenz der Schwurgerichte. e

Eine weitere Diskussion entsteht nicht.

Bei der Abstimmung erheben sich für den Antrag außer den Sozialdemokraten die Freisinnigen, die Deutsche Reform partei und die Wirtschaftliche Vereinigung. Vom Zentrum sind nur etwa 10 bis 15 Mitglieder anwesend. Nach Probe

und Gegenprobe erklärt der Präsident den Antrag Dreesbach für angenommen.

Die weiteren Anträge Dreesbach und ein Antrag Pohl, die noch vorliegen, beziehen sich auf die Strafprozeßordnung.

Der Präsident trägt Bedenken, diese Anträge, da sie mit dem vorliegenden Entwurfe nicht in direktem Zusammen⸗ hange ständen, hier zur Beratung und Abstimmung zu bringen, und unterbreitet dem Hause diese Frage zur Entscheidung.

Abg. Stadthagen wendet ein, daß sämtliche Anträge sich aus den zum Gerichtsverfassungsgesetz beantragten Abänderungen er⸗ geben, und bittet, sie, entsprechend dem Vorgang der Kommission, zur Erledigung zu bringen. v1“

. Pohl weist diesen Zusammenhang speziell für seinen Antrag auf Abänderung des § 140 der Str.⸗P.⸗D. nach.

Abg. Heine (Soz.): Wenn das Gesetz infolge seines Inhalts logisch auf die Strafprozeßordnung übergreifen muß, so genügt es, einfach den Titel des Gesetzes zu ändern. 1

Abg. Dr. Porzig erklärt, er teile die Auffassung des Präsidenten.

Abg. Dove (fr. Vgg.) hält diese Auffassung doch für zu formalistisch. Dte Antragsteller könnten ja ihren Zweck ohne weiteres erreichen, wenn sie ihren Antrag als Paragraphen des Gerichts⸗ verfassungsgesetzes formulierten

Präsident Graf von Ballestrem . Juristische Haarspaltereien treibe ich nicht. Ich habe mich aber auf einen formalistischen Stand⸗ punkt stellen müssen. Alles muß auf Ordnung beruhen. Wenn man die Formen außer acht läßt, dann geht alles außer Rand und Band. Ich muß bei meiner Meinung bleiben. Wenn die Herren zur dritten Lesung ihre Anträge umformen wollen, so ist das ja zulässig.

Abg. Dr. Semler (nl.) erklärt sich im Prinzip für die Auf⸗ fassung des Präsidenten, wenn die beiden Gesetze auch ineinander übergriffen.

Inzwischen ist ein Antrag Heine eingegangen, nach dem das Gesetz die Ueberschrift erhalten soll: „Gesetz, betreffend Aenderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Straf⸗ prozeßordnung“. 8

Präsident Graf von Ballestrem: Dieser Antrag würde erst zur Debatte gelangen können, wenn wir zur Ueberschrift des Gesetzes kommen. „Formalistisch' wäre also der Antrag auch nicht richtig, um den Zweck zu erreichen, der erreicht werden soll. Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der Frei⸗ sinnigen entscheidet die Mehrheit im Sinne des Präsidenten.

Nach Artikel 2 der Kommissionsvorschläge soll das Gesetz mit dem Tage seiner Verkündigung in Kraft treten.

Ein Antrag des Abg. Kirsch (Zentr.), das Gesetz zum 1. Oktober 1905 in Kraft kreten zu lassen, wird von dem Antragsteller zurück⸗ gezogen und dafür die Streichung des Artikels 2 empfohlen. Es würde dann das Gesetz nach der Reichsverfassung 14 Tage nach seiner Publikation in Kraft treten.

Staatssekretär des Reichsjustigamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Der Artikel 2 ist in den Antrag wohl hinein⸗ gekommen, weil man im vorigen Jahre bei der Stellung des Antrags erwartete, die Erledigung des Initiativantrags würde vom Hause in kürzester Frist erfolgen; für den Fall, daß dies geschehen wäre, hatte dieser Artikel 2 allerdings eine Bedeutung. Jetzt, meine Herren, wo der Reichstag ein ganzes Jahr lang nicht in der Lage gewesen ist, zu der Erledigung dieser Vorlage zu kommen, glaube ich, ist der Zeit⸗ verlust, der dadurch eintritt, daß nicht besonders ein sofortiges Inkrafttreten verfügt wird, so unerheblich, daß ich meinen möchte: es ist richtig, nach dem Vorschlage des Herrn Abg. Kirsch zu verfahren und den Artikel 2 ganz zu streichen. Das Gesetz tritt dann in Kraft 14 Tage nach der Publikation; dieser Zeit⸗ verlust von 14 Tagen spielt gegenüber der seit dem Eingang des Initiativantrages verflossenen Zeit keine Rolle. Auf der andern Seite wird dadurch für die Gerichte und das rechtsuchende Publikum ein viel einfacherer und praktisch bequemerer Rechtszustand gegeben. Ich möchte daher dem Vorschlage des Herrn Abg. Kirsch beitreten, den Art. 2 zu streichen. Das kann ich aber natürlich in der zweiten Lesung nur unter der Voraussetzung tun, daß der Beschluß, den das Haus zum § 80 soeben gefaßt hat, in der dritten Lesung wieder zurück⸗ genommen wird. (Sehr richtig! rechts.) Bleibt dieser Beschluß aufrecht erhalten, so versteht sich von selbst, daß die verbündeten Regierungen darauf, ob der Artikel 2 bleibt oder fällt, keinerlei Wert zu legen brauchen, weil für sie der Initiativantrag überhaupt erledigt sein würde.

Der Artikel 2 wird gestrichen. Der Abg. Heine zieht seinen Antrag wegen Aenderung der Ueberschrift zurück.

Die Abstimmung über die Petitionen wird bis zur dritten Lesung ausgesetzt. .

Damit ist die Tagesordnung erledigt.

Schluß 5 ³ Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 2 Uhr. (Erste Lesung der Vorlage wegen Uebernahme einer Reichs⸗ garantie für die Kameruneisenbahn; Wahlprüfungen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 178 Sitzung vom 10. Mai 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung Nummer d. Bl. berichtet worden.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Beratung des Antrages der verstärkten Handels⸗ und Gewerbe⸗ kommission auf Annahme eines Gesetzentwurfs zur Ab⸗ S.aee des Warenhaussteuergesetzes vom 18. Juli 1900.

Am 17. Februar 1904 wurde der Kommission der Antrag der Abgg. Fuchs (Zentr.) und Genossen, die Regierung um eine Abänderung des Warenhaussteuergesetzes behufs wirk⸗ sameren Schutzes des Mittelstandes zu ersuchen, uͤberwiesen. Die Kommission hat eine Novelle zum Gesetz entworfen und beantragt folgende Abänderungen desselben:

In § 1 soll die Besteuerung nicht erst bei 400 000 ℳ, sondern schon bei 200 000 Umsatz beginnen, und ferner soll die Steuer nicht nur von dem Umsatz in den in § 6 des Gesetzes unterschiedenen Warengruppen, sondern „von dem ge⸗ samten Umsatz erhoben werden, gleichviel ob derselbe aus dem Verkauf lediglich dieser Warengruppen oder auch anderer Waren erzielt wird“.

Nach § 2 des Gesetzes beginnt die Warenhaussteuer bei dem Umsatz von 400 000 mit einem Steuersatz von 4000 ℳ, der progressiv bis zu 22 000 bei 1 100 000 Umsatz steigt und für jede weitere 100 000 Umsatz je 2000 mehr, also im Höchstfall 2 Proz. beträgt. Die Kom⸗ mission schlägt eine Abstufung des Steuersatzes nach der Zahl der Warengruppen vor; er soll bei 200 000 Umsatz beginnen und zwar bei zwei Warengruppen mit 2000 ℳ, bei

i Gruppen mit 4000 und bei mehr als drei Gruppen

ist in der gestrigen