1905 / 114 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 15 May 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Theater und Musik.

IREEbsbeater. 8

Unter der Leitung Sigmund Lautenburgs begann im Deutschen Theater gestern ein Anzengruber⸗Zyklus, der die Volksstücke des Wiener Dichters in chronologischer Reihenfolge vorführen wird. Berlin kann sich rühmen, Anzengrubers Dramen zuerst liebe⸗ volles Verständnis entgegengebracht zu haben, zu einer Zeit, als der Dichter in seinem Vaterlande noch vergeblich Wum Anerkennung seines kernigen und im heimatlichen Boden wurzelnden Talents rang. In Berlin sind die Sympathien Anzengruber auch stets treu geblieben, so konnte ein Anzengruber⸗ Zpklus von vornherein auf lebhafte Teilnahme rechnen, umsomehr, als für ihn die hervorragendsten Darsteller gewonnen waren und das Zusammenspiel einen wirklichen Kunstgenuß versprach. Die Aufführung des „Pfarrers von Kirchfeld“ am Sonnabend entsprach all' diesen Erwartungen, sie war verständnisvoll inszeniert und wurde schauspielerisch meisterhaft durchgeführt. In der Titelrolle zeigte Otto Sommerstorff seine oft bewährte Kunst mit feiner Affektsteigerung und rechtem Maßhalten. Ihm böllig eben⸗ bürtig war der Wiener Willy Thaller, der den Wurzelsepp spielte und namentlich im vierten Akt eine tiefe Wirkung erzielte. Amalie Schönchen wußte aus der kleinen Rolle der Brigitte wiederum ein Kabinettstück zu machen, und Hansi Niese⸗Jarno stellte die Anna Birkmeier mit unübertrefflicher Treuherzigkeit und Naivität dar. Auch die anderen Rollen waren gut besetzt; Eugen Burg, der den Michel Berndorfer gab, verdient noch be⸗ sonders hervorgehoben zu werden. Der Beifall des gutbesuchten Hauses war überaus herzlich und stellte der Veranstaltung ein zahl⸗ reiches und dankbares Publikum in Aussicht, trotz der Theater⸗ müdigkeit, die sich bei der vorgerückten Jahreszeit rgemäß be⸗

merkbar zu machen beginnt. Berliner Theater.

Fast ein Jahrzent ist verflossen, seitdem das reizvolle dreiaktige Vaudeville „Tata⸗Toto“ von Bilhaud und Barré durch das Gesamtgastspiel des Hamburger Karl Schulze⸗Theaters hier bekannt

wurde, und über ein Lustrum ist es wohl im Spielplan hiesiger Bühnen nicht mehr aufgetaucht. T Berliner Theater könnte man es daher als Verdienst anre es am Sonnabend den Versuch machte, es durch eine ing wieder in Erinnerung zu bringen, wäre nicht die ge Bands, die sich weit übe das übliche Durchschnittsma ei zu kurz gekommen. a Werk verdiente mit weit mehr Recht eine Operette genannt zu werden, als vieles andere, was nach ihm unter der Bezeichnung in die Welt gegangen ist, und es ist ganz unbegreiflich, daß hiesige Bühnen, die über die erforderlichen Gesangskräfte verfügen, sich seiner nicht früher ommen haben. Die gesanglichen Leistungen, die bei onnabend geboten wurden, waren 1 unzulänglich. Auch die Darstellung ermangelte jener Frische, die leicht über die unwahr⸗ scheinlichsten Situationen hinweghilft. Ihr besonderer Reiz liegt in dem Umstande, daß das Zwillingspaar Tata und Toto von einer und derselben Person gespielt wird. Fräulein Elsa Bötticher, der diese Aufgabe zufiel, löste sie befriedigend; sie charakterisierte en ecken, ungezogenen Kadetten Toto und zierliche Tata, den jungen Burschen dchen in Knabenkleidern recht gut nmutiges Wes G Deutsch zu nennen, der, 1 hageren Schulinspektor Blanchard mit stark komischer2 er bildete auch als Coupletsänger die erwähnte einzis anderen Rollen lagen in den ber sen, Erlholz und Kollendt, der Herren

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Nationaltheater.

ielabend von Madame Charlotte 1 Paris, brachte am Sonnabend löckchen des Eremiten“. französischen Künstlerin ist bereits 8 Leonore in Donizettis O gewürdigt worden. gewisser Mangel an

legentlich ihres Favoritin“ eese an ihren ie is b ein 1 ken, so schuf sie diesmal bei der Darstellung ur, deren Ausgestaltung bis in die Einzel⸗ und glaubhaft war. In der Wiedergabe rstgenannten so verschiedenen Partie hatte Frau Wyns schauspielerisch wie gesanglich ihre künst⸗ eitigkeit zu zeigen. Ihre durchdachte Darstellungs⸗ i das verständnisvolle Zusammenspiel mit ihren Partnern li⸗ß die sprachliche Verschiedenheit kaum störend bemerkbar werden und schuf eine recht interessante, wohlabgerundete Vorstellung. Von den Vertretern der anderen Rollen, die sich ihren Aufgaben durchweg nach besten Kräften gewidmet hatten, seien Fräulein Rado (Georgette) sowie die Herren Klemich (Pächter), Birrenkoven (Sylvain) und Joseph (Leutnant) noch hervorgeh . Das voll⸗ besetzte Haus spendete lebhaften Beifall und ehrte Pariser Gast noch durch wiederholte Hervorrufe.

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Theater.

Aönigliche Schauspiele. Dienstag: Opern⸗ haus. 128. Abonnementsvorstellung. Die Heirat wider Willen. Komische Oper in 3 Aufzügen, frei nach einem Lustspiel des A. Dumas, von E. Humper⸗ dinck. Musikalische Leitung: Herr Kapellmeister Dr. Strauß. Regie: Herr Oberregisseur Droescher. Ballett: Herr Ballettmeister Graeb. Anfang 7 ½ Uhr. V

Schauspielhaus. 52. Abonnementsvorstellung. Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. Schauspiel in 5 Aufzügen von W. von Goethe. Regie: Herr Oberregisseur Grube. Anfang 7 Uhr. Dienstag,

Neues Operntheater. Jung⸗Heidelberg. Operette in 3 Akten von L. Krenn und C. Lindau. Musik von Karl Millöcker. Anfang 7 ½ Uhr. V

Mittwoch: Opernhaus. 6. Billettreservesatz. Lohengrin. Romantische Oper in 3 Akten von

b Donnerstag, Richard Wagner. (Elsa: Mme. Alno Akté, von der

Brunnen.

Großen Oper in Paris, als Gast.) Die Abonne⸗

ments, Dienst⸗ und ständigen Freiplätze sind auf⸗ gehoben. Anfarg 7 Uhr.

Schauspielbaus. 53. Abonnementsvorstellung. Im D. stillen Gäßchen. be. Lustspiel Tränen. in 4 Aufzügen von J. M. Barrie. Deutsch von B. Pogson. Anfang 7 ½ Uhr.

Neues Operntheater. Jung⸗Heidelberg. Operette in 3 Akten von L. Krenn und C. Lindau. Musik von Karl Millöcker. Anfang 7 ½ Uhr.

Deutsches Theater. (Maispiele.) Dienstag: Der Meineidbauer. Anfang 8 Uhr. Mittwoch: Der Meineidbauer.

Martha. Wildschütz.

Sonnabend,

Berliner Theater. Dienstag: Anfang 7 ½ Uhr. 8

Heiling.

Mittwoch: Tata⸗Toto. Donnerstag: Tata⸗Toto. Freitag: Tata⸗Toto.

Lessingtheater. Dienstag: Meere. Anfang Mittwoch: Elga. ““ Donnerstag: Nora. Anfang 8 Uhr. 8

Nationaltheater. (Direktion: Huge Becker.

Schillertheater. o. Dienstag: Die lustigen

Abends

Schwank in 3 Akten von Gustav Kadelburg. Mittwoch, Abends 8 Uhr: Zum ersten Male:

Der artesische Brunnen.

Abends

N. (Friedrich Wilhelmstädtisches Theater.) Dienstag, Abends 8 Uhr: Gyges und sein Ring. Eine Tragödie in 5 Akten von Friedrich Hebbel.

Mittwoch Abends 8 Uhr: Die Herren Söhne.

Donnerstag, Abends 8 Uhr: Die Tyrannei der

Theater des Westens. (Kantstraße 12. Bahn⸗ hof Zoologischer Garten.) Dienstag (bei aufgehobenem Abonnement): Die neugierigen Frauen.

Mittwoch: Schüleropernaufführung des Stern⸗ schen Konservatoriums. Donnerstag (29. Vorstellung

Freitag (29. Vorstellung im Abonnement): Der Nachmittags

Preisen: Des Meeres und der Liebe Wellen. Abends 7 ½ Uhr:

Im Königlichen Opernhause findet morgen, Dienstag, eine Wiederholung der Oper „Heirat wider Willen“ von E. Humper⸗ dinck in der bekannten Besetzung der Hauptrollen statt.

Im Königlichen Schauspielhause wird morgen von Berlichingen“ wiederholt.

Dr. Rudolf Pröll, der bekannte Baritonist des Frankfurter Opernhauses, der bereits im vorigen Herbst im Theater des Westens auftrat, wird demnächst ein zweites Gastspiel an der ge⸗ nannten Bühne eröffnen und u. a. die Titelrolle in „Hans Heiling“ 8 1

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Mannigfaltiges. Berlin, den 15. Mai 1905.

Ueber die Witterung im Monat April 1905 berichtet das Königliche Meteorologische Institut auf Grund der angestellten Beobach⸗ tungen folgendes: Auf die milde Witterung der voraufgegangenen Monate folgte ein recht kühler April. Abgesehen von kurzen Wärme⸗ perioden am Anfange der zweiten Dekade und gegen Ende des Monats, war es nämlich durchweg zu kalt, besonders in der Zeit vom 7. bis 9. April, in der auf dem ganzen Gebiet das Thermo⸗ meter mehrere Grade unter den Gefrierpunkt sank; das in diesen Tagen aufgezeichnete Minimum der Temperatur ist sogar niedriger als der tiefste Thermometerstand des voraufgegangenen März. Im Durchschnitt war daher die Temperatur allenthalben zu niedrig, am meisten, um mehr als zwei Grad, im mittleren Norddeutschland. Erhöht wurde der unfreundliche Charakter des April durch die häufigen und ergiebigen Niederschläge. Mit Ausnahme des äußersten Südwestens ist überall ein Ueberschuß zu verzeichnen gewesen; mehrfach, namentlich im Nordosten ist etwa das Doppelte der gewöhnlich zu erwartenden Menge gefallen. Schneefälle traten noch allerorts auf, am ausgedehntesten in der Zeit vom 6. bis 9. Zumeist war daher auch in dieser Zeit eine zusammen⸗ ängende Schneedecke vorhanden. Die höchsten Erhebungen der Ge⸗

ge aber waren den ganzen Monat hindurch mit einer Schneeschicht eckt, die im Riesengebirge noch fast ein Meter betrug. Entsprechend er Häufigkeit der Niederschläge war die Bewölkung groß und die r gering; nur an der Nordseeküste sowie im Rheingau

normalen Verhältnisse beinahe erreicht. Auf die am

usse des März eingetretene warme Witterung folgte zu Beginn des April ein rascher Temperatursturz. Zunächst brachte bei hoher Luftdruck im Südwesten ein von der Nordsee nach Südosten ziehendes Minimum kühle nordwestliche Winde und fast allenthalben Niederschlag. Vom 5. an wurde die Abkühlung noch erheblicher, da dem Marimum ein neues Depressionsgebiet im Norden gegenüberlag, das Teilminima über die deutschen Küsten nach dem wesftlichen Rußland entsandte; hierdurch wurnde lebhafte nördliche Luftströmung mit ausgedehnten Schneefällen und ziemlich strengem Froste veranlaßt. Zu Ende der ersten Dekade aber, als das Hochdruckgebiet nach Osten abgezogen war und von Westen her eine umfangreiche Depression heranrückte, trat i südwestlichen Winden starke Erwärmung ein. Diese wurde jedo bald wieder aufgehoben, da am e Antizyklone im Nordosten maßgebend wurde. Dieses chdruckgebiet wanderte langsam im Norden vorüber nach Nordwesten id schließlich bei Beginn der dritten Dekade nach Westen. Infolge⸗

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en waren während dieser ganzen Zeit kalte Winde zunächst östlicher, nördlicher Herkunft vorherrschend. Vom 25. ab lag hoher Luft⸗ im Süden, während im Nordwesten ein Minimum einstellte;

hieraus sich ergebende südwestliche Luftströmung verursachte schnelle unahme der Temperatur, sodaß der Monatsschluß endlich schönes, armes Frühlingswetter brachte.

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Gemeinnützige Rechtsauskunft ist in verschiedenen Gegenden Berlins eingerichtet worden. Die Sprechstunden sind regelmäßig Nachmittags 4 bis 6 Uhr, un erlin⸗Nord: Versöbnungs⸗ (Privat)straße 1, Eingang Strelitzer Straße 43, an allen Wochen⸗ tagen; in Berlin⸗Nordost: Landsberger Allee 123 bei Martin an jedem Dienstag und Freitag; in Berlin⸗Südwest: Johanniterstraße 6, links im Erdgeschoß, am Montag und Donnerstag; in Berlin⸗West: Nollendorfstraße 29/30, zwei Treppen. Die ersten drei Rechtsschutzstellen werden von der „Sozialen Geschäftsstelle für das evangelische Deutschland“, die letztgenannte wird vom „Bureau für Sozialpolitik“ unterhalten. Sekretäre sind Rechtsanwalt a. D. Fischer und Arbeitersekretär Bartelt. werden Vertretungen übernommen, mündlicher Rechtsrat erteilt und Schrift⸗ stücke gefertigt.

Rathenow, 14. Mai. (W. T. B.) Der 175. Stiftungs⸗ tag des Ziethen⸗Husaren⸗Regiments wurde am Sonnabend unter Teilnahme der alten Herren des Regiments, zahlreicher ehe⸗ zaliger Offiziere und auswärtiger Ziethen⸗ Vereine gefeiert. Unter nderen waren dazu eingetroffen der Generalfeldmarschall Graf von aeseler, der General der Kavallerie Graf von Wartensleben, der

4 zeneralleutnant von Bülow, der Generalleutnant von der Lanken, der eralmajor von der Schulenburg. Mittags gegen 1 Uhr fand dem Kaiser Wilhelmplatz eine Parade statt, nach der der General f von Wartensleben nach kurzer Ansprache ein dreimaliges Hurra Seine Majestät den Kaiser ausbrachte. 1 fanden Reiterspiele auf dem Reitplatz der Kaserne statt. Heute vormittag erfolgte auf dem Ziethenplatz im Beisein des Ministers für Landwirtschaft ꝛc. von Podbielski, mehrerer

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Zur Feier des Stiftungs⸗

Der Bettelstudent. Abends Heiling.

8 Uhr.

Anfang 8 Uhr. folgende Tage: Ledige Leute.

8s 1„, Weinbergsweg 12a 13 b.) 5 5 4 p 34 mderen —& 200. (Wallnertheater.) Weiber von Windsor.

8 Uhr: Familie Schierke. Mittwoch: Die Fledermaus.

8 Uhr: Der artesische

Familientag. ö

Dienstag, Abends 8 Uhr: 1 Vorspiel und 3 Akten von

im Abonnement): Herzogin Crevette.

Bentraltheater. Lämmer. 2 Akten von Louis Varney.

Mittwoch und folgende Lämmer.

3 Uhr: Zu kleinen

Zum ersten Male: Hans

Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Zu halben Preisen: 7 ½ Uhr: Hans

Neues Theater. (Spielzeit der Direktion

Karl und Theodor Rosenfeld.) Dienstag und

Donnerstag: Die Regimentstochter. Freitag: Amelia, oder: Ein Maskenball. Sonnabend: Zar und Zimmermann. Sonntag: Die lustigen Weiber von Windsor.

Lustspielhaus. (Friedrichstraße 236.) Diens⸗ tag, Abends 8 Uhr: Der 8131 Mittwoch bis Sonnabend, Abends 8 Uhr: Der

Dienstag: (Les petites brebis.) Vaudeville in

Tage:

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Generale, der Garnison, Vereine sowie der hiesigen Kriegervereine die feierliche Grundstein⸗ legung jum Denkmal für den Reitergeneral von Rosenberg. Der Staatsminister von Podbielski hielt eine Gedächtnisansprache.

Hamburg, 14. Mai. (W. T. B.) Bei schönem Wetter fand heute die offene Segelwettfahrt des Norddeutschen Regattavereins auf der Alster statt. Es beteiligten sich 27 Boote. In der Sonderklasse steuerte Seine Königliche Hoheit

der Prinz Heinrich das Boot „Tilly VII“ der Herren Doll.

mann und Krogmann und siegte über „Sonderling“ und „Tilly VI“. Nach der Regatta nahm Prinz Heinrich an dem Frühstück im Uhlen⸗ horster Fährhaus teil.

Wien, 13. Mai. (W. T. B.) Die aus Anlaß des Jubiläums des 25 jährigen Bestehens des Deutschen Schulvere ins stattfindenden Festlichkeiten sind heute mit einer musikalischen und deklamatorischen Feier im großen Musikvereinssaale eröffnet worden Die Festrede hielt der Abg. Professor Groß.

Budapest, 13. Mai. Resicaer Bergwerks wurden heute nacht bei Sprengungsarbeiten infolge einer Explosion 22 Bergleute getötet und einer schwer verwundet.

Paris, 14. Mai (W. T. B. Havas“ hat sich unter dem Titel: „Vereinigung für die natio. nalen Interessen und den internationalen Ausg leich“, eine aus Gelehrten, Schriftstellern, Künstlern, Politikern und Juristen aller Länder Europas und Amerikas zusammengesetzte Gesellschaft gebildet, die sich zum Ziel setzt, sowohl die innere Wohlfahrt der einzelnen Länder zu fördern wie auf gute auswärtige Beziehungen der Länder untereinander hinzuwirken. Die Gruppenvorstände der Ver⸗ einigung sind: für Frankreich Berthelot, Bourgeois und DEstournelles, für Deutschland Haeckel, für Rußland Baron Staal, für Norwegen F. Nansen, für Schweden von Lagerheim.

Toulon, 15. Mai. (W. T. B.) Der Kreuzer „Desaix“, der die auf der Wettfahrt Algier Toulon befindlichen Motorboote begleitet, teilte gestern durch Funkspruch mit, daß alle Motorboote, außer dem „Quandméme“, von dem man keine Nach⸗ richten habe, wegen der schweren See von den Mannschaften verlassen worden seien. Die Mannschaften seien gerettet. Das Boot „Mercedes C. P.“ sei 50 Meilen vor Toulon gesunken Die Insassen wurden gerettet. Die Herzogin von Decazes erhielt inzwischen von dem Kapitän der Vergnügungsjacht ihres Gatten eine Depesche, nach der das Boot „Quandméme“, das von dem Torpedoboot „Arbalete“ begleitet war, die Richtung nach Corsica eingeschlagen bhabe. An Bord des „Quandméme⸗ befinden sich 11 Personen, darunter der Herzog von Decazes und mehrere Marineoffiziere. Der Kommandant des Torpedojägers „Pertuisane“, der gestern das untergegangene Motorboot „Mer⸗ cedes⸗Mercedes' eskortierte, erzählt: Das Boot stand mehr⸗ mals still, weshalb die „Pertuisane“ ihre Fahrt verlangsamen mußte Gegen 8 Uhr Morgens wurde das Motorboot in Schlepp ge⸗ nommen, und seine Mannschaft kam an Bord des Torpedojägers. Gegen 7 Uhr Abends mußte man 70 Meilen on der Küste der Provence wegen der schweren See die Wellen hatten 8 m Höhe erreicht die Schlepptrosse kappen. „Mercedes⸗Mercedes trieb ab und verschwand bald in der Dunkelheit. Wahrscheinlich hat das Gewicht der 150 m langen Stahltrosse das Vorderteil des Boots niedergezogen und es so zum Kentern gebracht.

Madrid, 14. Mai. (W. T. B.) Gestern wurde von der hiesigen deutschen Kolonie unter zahlreicher Beteiligung auch von spanischer Seite eine Schillerfeier abgehalten, an der u. a. die Mitglieder der deutschen Botschaft und des deutschen Konsulats teil⸗ nahmen. Die Festrede hielt der Direktor der deutschen Schule.

1 ——

Nach Schluß der Redaktion eingegangene Depeschen.

Potsdam, 15. Mai. (W. T. B.) Die Prinzessin Ernst von Sachsen⸗Altenburg wurde heute früh von einem Prinzen glücklich entbunden.

St. Petersburg, 15. Mai. (Meldung der „St. Peters⸗ burger Telegr.⸗Agentur“.) Der gestrige Abend verlief in der Residenz im allgemeinen ganz ruhig. In den öffentlichen Gärten, wo sich die Arbeiter zu versammeln pflegen, wurden Kundgebungen versucht. Die Polizei verhaftete gegen 50 Per⸗ sonen und stellte die Ordnung schnell wieder her.

s Amtlichen und Nichtamtlichen in der Erst Zweiten und Dritten Beilage.)

Thaliathenter. (Dresdener Straße 72/73.) Gastspiel der Wolzogen⸗Oper. Dienstag und folgende Tage: Die Bäder von Luecrcä.

1 Bellealliancetheater. (Bellealliancestraße 78. Direktion: Kren u. Schönfeld.) Dienstag, Abends 8 Uhr: Liebesmanöver. Luftspiel in 3 Akten von Kurt Kraatz und Freiherrn von Schlicht.

Mittwoch und folgende Tage: Liebesmanöver.

(Georgenstraße, zwischen FFriedrich⸗ und Universitätsstraße.) Dienstag: Ihr zweiter Mann. Anfang 8 Uhr. MMNittwoch bis Sonnabend: Ihr zweiter Mann.

Trianontheater.

Familiennachrichten.

Verehelicht: Hr. Leutnant i. reit. Feldjägerkorps und Forstassessor Siewert mit Frl. Hildegard Geboren: Eine Tochter: Hrn. Regierungsrat Kilburger (Oppeln). Hrn. Oberleutnant Luchs

Residenztheater. (Direktion:Richard Alexander.) (Lauban) Herzogin Crevette. (La Duchesse des Folies-Bergère.) Schwank in 1 eorges deutscher Bearbeitung von Benno Jacob on. Mittwoch und folgende Tage, Abends 8 Uhr:

n). Gestorben: Hr. Professor Dr. Karl August Lentzner (Berlin).

eeydeau, in Verantwortlicher Redakteur 8 Dr. Tyrol in Charlottenburg.

Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagt⸗ Anstalt Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.

Zehn Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage). (1099 )

Die kleinen

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er Behörden, von Vertretern der Ziethen⸗

(W. T. B.) Im Almasyschacht des

Nach einer Meldung der „Agente

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Berlin, Montag, den 15. Mai

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Pergamon und die neuen Ausgrabungen des Kaiserlich deutschen Archäologischen Instituts.

Pergamon gehört zu der alten Landschaft Mysien, die gegenüber der großen Insel Mytilene oder Lesbos an das Aegäische Meer herantritt. Der Hauptfluß des Landes ist der alte Kaikos, der in ost westlichem Laufe eine große Fruchtebene durchströmt. Nicht fern von seiner Mündung steigt schroff ein 335 m hoher Bergrücken auf, der fast ganz von den tief eingeschnittenen Tälern zweier dem Kaikos zufließenden Ber. des Ketios und des Selinus, umschlossen ist. Auf diesem Berge erhob sich das alte Pergamon. Er war die natürliche Warte der ganzen Ebene. Wer auf ihm festsaß, war . des fruchtbaren Landes und zugleich der Karawanenstraße, die aus dem Innern Kleinasiens durch die Ebene zum Meere führte. So tritt uns auch Pergamon in der Geschichte zuerst nicht als Stadt, sondern nur als fester Platz entgegen, den persische Große, die Grund⸗ besitze der Ebene, mit ihren Leuten innehatten. Der Athener Tendphon nahm im Jahre 399 diese Festung ein, nachdem er sich nach dem glücklich durchgeführten Rückzug aus Persien mit einem Teil seiner Griechen dem in Kleinasien gegen die Perser kämpfenden svartanischen König Agesilaos angeschlossen hatte. Die Bewohner dieses Platzes waren auch im vierten Jahrhundert noch gemischt. Neben ͤolischen Griechen saßen auch Angehörige der alten mysischen Bevölkerung auf der Höhe. Von ihr zeugt noch eine Inschrift auf einer Säule des Athenetempels, des ältesten uns bekannten Bauwerks der Burg, das noch im IV. Jahrhundert errichtet sein muß.

Die weltgeschichtliche Bedeutung von Pergamon beginnt mit dem Augenblick, da der ehemalige Feldherr Alexanders des Großen, Lysimachos, der bei der Teilung des ma edonischen Weltreiches sich Thrakien und später auch Kleinasien zu erringen wußte, seinen Schatz von 9000 Talenten, etwa 32 Millionen Mark, unter der Obhut des getreuen Philetairos in diese Burg legte. Dieser verteidigte tapfer das anvertraute Gut seines Herrn. Erst als Lysimachos im Jahre 281 im Kampfe gegen Seleukos von Sprien gefallen war, eignete sich Philetairos den Schatz an. Mit seiner Hilfe gründete er sich eine kleine Herrschaft, die nicht weit über die Kaikosebene hinausreichte, und errang ihr die Unabhängigkeit von den mächtigen Nachbarreichen. Seine Nachfolger und Brudersöhne, Eumenes I. und Attalos I. dehnten ihre Herrschaft im Kampfe mit den svrischen Königen und besonders durch die Freundschaft mit den Römern über die ganzen vorderasiatischen Küstenlandschaften aus. Das Ansehen dieses jungen Reiches erhöhte es besonders, daß Attalos den in Kleinasien eingedrungenen Kelten, die eine wahre Geißel der griechischen oder gräcisierten Bevölkerung Kleinasiens geworden waren, als Vorkämpfer des Griechen⸗ tums und seiner Kultur machtvoll entgegentrat. Nach einem ent⸗ scheidenden Siege, den er über diese Horden bei Sardes errang, nahm er 239 v. Chr. den Königstitel an. An seinem Hofe förderte er Kunst und Wissenschaft. Er legte den Grund zu der bedeutenden Bibliothek. Den Ruhm seiner Kriege verkündeten Statuengruppen, die er auf der Burg von Pergamon und auf der athenischen Akropolis aufstellen ließ. Von den pergamenischen Bildwerken sind die Basen mit den In⸗ schriften wiedergefunden, 15 sind jetzt im Pergamon⸗Museum auf⸗ gestellt. Die Figuren selbst, aus Erz, wurden jedenfalls schon im späten Altertum eingeschmolzen. Doch haben sich einige Kopien dieser Werke unter unserem Vorrat antiker Statuen nachweisen lassen. Hierher gehört vor allem der sogenannte sterbende Fechter, jene be⸗ rühmte Figur des capitolinischen Museums zu Rom, die in Wirklich⸗ keit einen in der Feldschlacht tödlich getroffenen Gallier darstellt. Von großer politischer Bedeutung war das Freundschaftsverhältnis, in das Attalos zu den Römern trat. An diesem hielt auch sein Sohn und Nachfolger Eumenes II. (197 159 v. Chr.) fast sein ganzes Leben lang fest. Mit den Römern verbündet, kämpfte er gegen Antiochos den Großen von Syprien und gewann sich so fast ganz Kleinasien bis zum Tauros. Aus dem bescheidenen Kleinstaat war nun ein großes Reich geworden. Pergamon, die kleine Bergstadt, mußte . würdigen Hauptstadt dieses neuen Reiches umgestaltet werden. Ne dem alten Palast auf der Höhe des Stadtberges baute sich Eumenes einen neuen, größeren. Der Platz des alten Athenetempels wurde mit zweigeschossiger, luftiger Säulenhalle umgeben, hinter deren einer Seite die Räume der Bibliothek lagen. Die Schranken zwischen den Säulen des Obergeschosses waren mit den bekannten Waffenreliefs geschmückt, von denen sich bedeutende Reste erhalten haben. Es war sogar möglich, in unserem Pergamon⸗Museum ein ganzes Stück der Halle mit ihrem bildlichen Schmucke wieder aufzubauen. Das be⸗ deutendste Bauwerk des Eumenes ist jedoch der große Altar mit seinem reichen Reliefschmuck, dieser unschätzbare Besitz des Berliner Museums.

Auch der alte Mauerring, der ziemlich hoch oben auf dem Stadt⸗ berge hinlief, genügte für die mächtig aufblühende Großstadt nicht mehr, es mußte ein neuer, größerer gezogen werden, der sich bis beinahe zum Fuße des Berges herabzog, sodaß also der ganze Abhang in den Kreis der Stadt hineingezogen wurde. Galten die früheren Ausgrabungen, die das Berliner Museum unter der Leitung von Conze und Humann, den Urhebern dieses großen Unternehmens, von 1878 bis 1886 ausführen ließ, und die so reiche Ausbeute brachten, den Bauten auf der Höbe des Berges, so haben die neuen Grabungen, die das Kaiserlich deuts⸗ Archäologische Institut seit 1900 veranstaltet, vor allem den Zweck, die am Abhang sich ausdehnende Stadt des Eumenes bis hinauf zur Hshe der Burg klarzulegen. Wieder ist es Conze vergönnt, auch diese Unternehmung zu leiten. Ihm zur Seite steht jetzt Dörpfeld dessen geniale Meisterschaft auch hier wieder sich glänzend bewährt hat.

Die neue Grabung setzte an der Stelle ein, wo die aus dem Innern des Landes kommende Hauptstraße auf den Südabhang des Berges trifft. Schon früher hatte man an dieser Stelle, die am Ende der heutigen, in der Ebene sich ausdehnenden Stadt Bergama,

egen den Anstieg des Berges zu, liegt, Spuren eines Tores gefunden. Jetzt ist es bloßgelegt. Es ist das Haupttor der Stadt des Eumenes, ein großer, fast quadratischer Hofraum, dessen äußere Ecken durch starke Türme geschützt sind. Während bei griechischen Toranlagen das in die Stadt selbst führende Tor in der dem anderen Eingange gegenüberliegenden Rückwand des Hofes liegt, mußte in Pergamon wegen der Beschaffenheit des Terrains von dieser Regel abgewichen werden. Das äußere Tor und das innere liegen in derselben Westwand des Hofes, voneinander getrennt durch die außen an diese Wand an⸗ stoßende Stadtmauer. Wer von der Stadt oder von außen her in in den Hof trat, hatte an der Ostseite eine Laubenhalle vor sich, die ursprünglich eine Brunnenanlage barg. In ihr konnte der Wanderer sich erquicken und auch vom Staube der Straße reinigen. 8

An dieses Tor schließt die Hauptstraße an, die in großen Windungen allmählich sich den Abhang hinaufzieht. Das aus großen Platten bestehende Pflaster ist teilweise noch recht gut erhalten. Von dem starken Wagenverkehr zeugen die tief eingefahrenen Gleise. Unter dem Pflaster liegen die Wasserleitungsröhren und Abwässer⸗ —2 Die Grabungen . Straße, denn man mußte in ihrer Nähe auf große Gebäude stoßen. 8 1

Bald kam * eine sehr 12 Anlage zum Vorschein. Es ist ein offener Hof von rund 34 % m, von einer doppelgeschossigen Säulenhalle umgeben, hinter der Zimmer liegen, die sich auf den Hof zu öffnen. Man erkannte sofort, daß es sich um einen Marktbau, eine Agora, handelte. Diese aus der Anlage gewonnene Deutung wurde auch durch Inschriftfunde bestätigt. Die den freien Platz umgebenden Zimmer dienten als Läden. Einige dieser Räume an der Westseite waren noch so gut erhalten, daß se sich mit geringer Mühe wieder⸗

herstellen ließen. In ibhnen ist jetzt das Museum für die Einzelfunde eingerichtet. Die Beschaffenheit des abfallenden Terrains machte ge⸗ wisse Abweichungen von der typischen Gestalt dieser Marktanlagen, wie wir sie aus anderen Städten kennen, notwendig. Der Boden lag im Süden und Osten so viel tiefer als an den beiden anderen Seiten, daß noch ein Untergeschoß angebracht wurde mit Zimmern, die sich auf die vorbeiführenden Straßen öffneten. Im Süden wurde außer⸗ dem noch eine stattliche Säulenhalle vorgelegt. Die Stadt Pergamon hatte noch einen andern großen Markt auf ziemlicher Höhe des Berges. Er ist jedenfalls der ältere. Diese jetzt aufgedeckte Agora gehört zur Stadt des Eumenes, ihre Anlage fällt in die Zeit, als der ganze untere Teil des Bergabhangs der Bebauung übergeben wurde. In diesem Bau der Königszeit lassen sich noch deutlich Einbauten und Ausbesserungen, die unter der Herrschaft der Römer gemacht wurden, erkennen. Sie sind mit Kalkmörtel ausgeführt, den die griechische Baukunst noch nicht verwendete. Solche Zusätze waren besonders an der Nordseite erforderlich, wo durch Verschiebung des Bodens ein Einsturz drohte. Er wurde durch starke Pfeiler, die hinter den Säulen und vor der Rückwand der Säulenhalle errichtet und mit Bogen ver⸗ bunden wurden, abgewendet. Schon der alte Architekt kannte genau die Gefahr, die solchen am Abhang angelegten Gebäuden das im Boden von oben herabsickernde Wasser bringt. Er hatte darum da, wo eine Wand mit der Rückseite gegen den gewachsenen Felsen oder das Erdreich sich hätte anlehnen müssen, hinter der nach außen sichtbaren Mauer im Abstand von ½ m eine zweite angelegt, welche die vordere vollkommen isolierte und die Bodenfeuchtigkeit von ihr fernhielt. Daß diese solide Art des Bauens in der Bergstadt Pergamon Regel war, lehrt uns eine hochinteressante, neu gefundene Urkunde, die eingehende polizeiliche Be⸗ stimmungen über Wegebau, Hochbau und Wasseranlagen enthält und in der auch über diesen Isoliergang zwischen den zwei Mauern und die Ableitung der angesammelten Feuchtigkeit gehandelt wird. In dem großen Hofe, dessen Pflaster teilweise noch gut erhalten ist, fanden sich die Reste einer christlichen Kirche. Sie muß in ziemlich frühbe Zeit hinaufgehen der Bau nimmt noch Rücksicht auf die den Hof umgebenden Hallen, diese standen also noch aufrecht und ist für die Kenntnis der Entwicklung des frühchristlichen Kirchenbaues von großer Bedeutung.

Auf allen vier Seiten des Marktes ziehen sich Straßen hin. An er Ostseite ist es die Fahrstraße zur Oberstadt. An ihr liegt auch er Haupteingang des Marktes. Oberhalb seiner Nordostecke biegt die

raße in scharfem Winkel nach Westen um und führt nun an der Nordseite des Markts hin, und zwar in der Höhe des Daches seiner ördlichen Halle. 1

An der Straße, die an der Westseite des Marktes hinaufsteigt

und an dessen Nordwestecke auf die Hauptstraße trifft, liegt ein sehr

oßes, palastähnliches Wohnhaus, das ursprünglich einem vornehmen Manne in der Zeit der Königsherrschaft gehört haben muß, aber in der Kaiserzeit umgebaut wurde. Den Osten nimmt ein großer Vorhof ein, in den eine breite Tür von der Straße her hineinführt. Einige Ge⸗ mächer öffnen sich auf ihn. Von ihm aus gelangt man in einen großen, auf allen vier Seiten einst von Säulenhallen umgebenen Zentralhof, an dessen Nordseite und Westseite die stattlichen Haupt⸗ räume liegen. Die ganze Südseite des Hauses ist abgerutscht. Jetzt hat man von dem Hofe aus einen trefflichen Ueberblick über die ganze Agora und namentlich über die heutige Stadt und die Kaikosebene. Auf dem Boden des Hofes ist das Haus gebaut, das den bei den Arbeiten in Pergamon tätigen deutschen Gelehrten als Wohnung dient.

An der Nordwestecke des Marktes wendet die Fahrstraße wieder mit einem starken Knick um und steigt nach Nordosten an. vv. ist sie von einer Reihe von Läden eingefaßt, auch kleine, als Treppen angelegte Querstraßen zweigen von ihr ab. Oberhalb dieser Läden, nördlich von der Straße, haben sich die Reste eines zweiten, sehr großen Wohnhauses gefunden, das wir unten noch einmal er⸗ wähnen müssen. Den oberen Verlauf dieses Teils der Straße begrenzt im Norden eine gewaltige Stützmauer, die oben eine Terrasse trägt. Ueber ihr bietet die starke, mit großen halbrunden Türmen versehene späte Festungsmauer einen sehr malerischen Anblick. Diese stammt aus dem späten Altertum, als die Stadt, die sich in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit auch in der Ebene ausgedehnt hatte, infolge der immer mehr überhandnehmenden Entvölkerung und der durch Barbareneinfälle verursachten Unsicherheit des Reichs sich wieder auf die Höhe des Berges zurückzog.

Am Ende des eben genannten Abschnitts läßt die Steigung der Straße nach. An dieser Stelle wurde der große Stadtbrunnen auf⸗ gedeckt. Ein Becken von 21 m Länge und 3,15 m Breite war auf drei Seiten mit festen Quaderwänden umgeben; an der Vorderseite, wo die Schöpfenden herantraten, war eine Schranke angebracht. Eine doppelte Säulenreihe trug das aus Steinplatten bestehende Dach. Fespeist wurde das Bassin durch eine Tonrohr⸗ leitung aus der Druckwasserleitung, die aus ziemlicher Ent⸗ fernung vom Gebirge her das Wasser auf den Stadtberg brachte. Links schließt an das Brunnenhaus ein Torgebäude von eigentümlichem Grundriß an. Dieser bildet nämlich den Ausschnitt einer Kreiszone. Von diesem Raume führte einmal eine Tür nach Westen zu der Terrasse, deren große Stützmauer wir schon als Begrenzung der Fahr⸗ straße kennen gelernt haben, ferner eine breite Wendeltreppe in fünf Absätzen zu einer höher gelegenen zweiten Terrasse. Ueber dieser liegt noch eine dritte. Auch diese Terrassen sind durch mächtige Mauern gestützt. Zur Verstärkung sind den Mauern teils Strebepfeiler vor⸗ gesetzt, teils ist da, wo die Mauer besonders hoch sein mußte, und darum einen stärkeren Druck auszuhalten hatte, hinter ihr in gewissem Abstand eine zweite gezogen, die mit der vorderen durch Quermauern verbunden ist. Die dadurch entstandenen Kammern sind mit Erde und kleinen Steinen ausgefüllt. Die Bestimmung dieser großen dreifachen Anlage ergibt sich aus den gefundenen Inschriften; sie war das Gymnasium, der Platz für die Leibesübungen. In den Inschriften werden diejenigen, die sich in diesem Gymnasium betätigten, in Knaben, Jünglinge und junge Männer geschieden. Wir dürfen gewiß mit diesen drei Altersklassen auch die Dreiteilung der Anlage in Zusammenhang bringen, und da sich auf der unteren Terrasse eine große Liste von Knaben gefunden hat, die unter König Attalos II. Epheben, d. h. Jünglinge geworden sind, so werden wir den unteren Platz für die Knaben, die mittlere Terrasse für die Jünglinge, die obere für die jungen Männer in An⸗ spruch nehmen. 8. 8

Das Terrain der unteren Terrasse, die dreieckige Gestalt hatte, ist fast ganz abgerutscht. An ihrer Rückwand, die die Stützmauer der mittleren Terrasse bildet, sind durch die vorgesetzten Strebe⸗ pfeiler Nischen gebildet. In diesen standen einst Bänke, die als Postamente für große Inschrifttafeln und Ehren⸗ statuen gedient haben. Von besonderer architekturgeschichtlicher Bedeutung ist die Wendeltreppe, die den Zugang zu der 12 m höher gelegenen Mittelterrasse bildete. Die unteren zwei Ab⸗ sätze sind noch wohlerhalten, der obere Theil ist durch einen der spät antiken Festungstürme überbaut. Das Merkwürdigste ist die noch jetzt vorhandene Ueberdachung durch ein Tonnengewölbe aus sorg⸗ fältig geschnittenen Steinen. Wir haben hier eines der frühesten Beispiele dieser Konstruktion, die dann in der römischen und der späteren Baukunst eine solche Rolle spielt. Daß wir am Anfang der ganzen Entwicklung stehen, daß der Architekt noch etwas ängstlich war, lehrt vor allem die noch nicht geschickte Lösung der Aufgabe da, wo zwei Gewölbe in rechtem Winkel aufeinander treffen. Auch ließ er das Gewölbe nicht entsprechend der Treppe schräg ansteigen, sondern

er setzte die Bedachung aus mehreren horizontalen, einande überhöhenden Abschnitten zusammen. Steht man jetzt auf der Treppe und blickt hinaus zum Türeingang, so hat man wie in einem Rahmen ein wundervolles Bild der Ruinen und weiterhin des breiten Kaikostales vor sich.

Auf der mittleren Terrasse sind im östlichen Teile die Reste eines Tempels korinthischer Ordnung erhalten. An der Nordseite war ein langer Hallenbau, angelehnt an die Stützmauer der obersten Terrasse, errichtet. Er hatte wahrscheinlich zwei Geschosse. An ihn schließen sich nach Osten mehrere Gemächer an. Eines von diesen ist nach vorn durch eine Säulenstellung gesffnet. Nach einer hier noch in situ gefundenen Inschrift war es ein Kultraum, den Göttern des Gymnasions Hermes und Herakles, später auch noch dem Augustus und der Livia geweiht.

Im Osten führt eine offene Treppe zu der Oberterrasse hinauf. Auf ihr wurde schon in der früheren Periode der Arbeiten gegraben. Es wurde vor allem ein großer Hallenbau aus der römischen Kaiser⸗ zeit festgestellt. Auch die Bestimmung des Ganzen als Eymn jungen Männer wurde durch Inschriftfunde gesichert. liche Anlage gehört dagegen, wie die beiden anderen Terrassen, die Königszeit. Eine genauere Kenntnis ist von der wei legung zu erwarten. Zu bemerken ist, daß also an dieser neue Grabung an das Gebiet der älteren den Anschluß erreicht hat.

Trotzdem alle diese hier betrachteten Gebäude in Trümmern liegen, manche Teile ganz abgestürzt sind, machen diese Ruinen durch die Größe der Abmessungen und die noch jetzt überall sichtbare Sorg⸗

treppenförmig

falt der baulichen Ausführung einen gewaltigen Eindruck auf jeden Besucher. Es sind eben die Reste der Hauptstadt eines großen Reiches, in der Handel, Kunst und Wissenschaft in höchster Blüte standen. Noch ist die Grabung nicht abgeschlossen, für mehrere Kampagnen ist genug Arbeit vorhanden. Welche Ueberraschungen kann uns hier der Spaten noch bringen! b

Von Einzelfunden seien nur einige erwähnt. Ziemlich im Anfang der neuen Grabungsperiode wurde ein marmorner Kolossalkopf Aleranders des Großen gefunden. Er nimmt unter den erhaltenen Bildnissen dieses Herrschers einen ganz hervorragenden Platz ein, denn er zeigt uns ganz besonders deutlich die Kunstweise des Lysippos, ienes berühmten Künstlers, der das Privileg hatte, Alerander zu bilden. Einen Abguß dieses jetzt in Konstantinopel befindlichen Werkes ist im Berliner Museum aufgestellt.

Eine andere hochwichtige Skulptur kam unter den Trümmern der den an der Nordseite der Fahrstraße zwischen Markt und Stadt⸗ unnen heraus. Sie ist offenbar aus dem großen Hause, das sich,

wie oben gesagt, über den Läden erhob, beruntergestürzt. Es ist ein Bild des Gottes Hermes in der altertümlichen Form eines viereckigen Pfeilers mit aufgesetzter Büste. Solche Bilder wurden besonders an Wegen und Toren aufgestellt. Die Inschrift des Pfeilers sagt uns, daß dieses Bild der Hermes „pro pylon“ ist, ein Werk des Alkamenes. Natürlich handelt es sich nur um eine antike Kopie; das Original, der Hermes Propylaios, stand, wie wir aus der Beschreibung des antiken Reiseschriftstellees Pausanias wissen, am inneren Eingang der Propyläen, des berühmten Prachttores der athenischen Akropolis. Pausanias nennt irrtümlich als den Künstler Sokrates. Durch den pergamenischen Fund erfahren wir den wirklichen Schöpfer und lernen dazu ein beglaubigtes Werk dieses Künstlers, des bedeutendsten Schülers des Phidias, kennen. Sehr interessant ist es zu sehen, wie der Künstler im ganzen Schema, in der altertümlichen Haar⸗ und Barttracht sich an die alten Vor⸗ bilder gehalten, dafür aber doch der Gesichtsbildung den Stempel feiner fortgeschrittenen Kunst aufgedrückt hat. Diese Vorbilder stammen aus der attischen Tyrannenzeit. Wir wissen, daß Hipparch, der Sohn des Peisistratos, überall in Attika solche Hermenbilder auf⸗ stellen und auf ihnen die Sprüche der sieben Weisen einhauen ließ. Auch darin ahmt die neugefundene Herme jene alten nach. Unten am Schaft lesen wir die Worte: „Erkenne dich selbst!“ Wie be⸗ rühmt das Werk des Alkamenes war, zeigen die zahlreich vorhandenen Kopien des Kopfes, die sich jetzt um die vergamenische gruppieren.

Unter den vielen wichtigen Inschriften, die herauskamen, seien nur zwei erwähnt, die ein hervorragendes kulturhistorisches Interesse haben. Beide sind einstweilen in den Mitteilungen des athenischen Instituts, in denen in bestimmten Zwischenräumen über die Arbeiten in Pergamon eingehend berichtet wird, veröffentlicht. Die erste, von

rofessor W. Kolbe trefflich behandelt, ist ein Teil einer großen aus der Zeit der Königsherrschaft. Wir bekommen eine große Achtung vor der Ordnung, die in der Stadt und dem Reiche herrschte, und der eingehenden, auf alles gerichteten Aufmerk⸗ samkeit der Herrscher. Das erhaltene Stück beginnt mit dem Verbot der Okkupation öffentlicher Straßen und Plätze durch Private. Die Straße darf nicht von Privaten aufgegraben werden, es soll auf ihr nicht Lehm be⸗ reitet werden, auch sollen keine Steine auf ihr zugehauen werden. Ferner dürfen keine Abwasserkanäle über dem Pflaster angelegt werden. Kein Unrat soll auf die Straße geworfen werden. Wer irgend etwa der⸗ artiges tut, wird um Geld gestraft, und muß natürlich auch die Straße wieder in ihren früheren Zustand bringen. Weigert er sich, so vergibt die Polizeibehörde die zu leistende Arbeit, und jener muß dann das Anderthalbfache der Kosten bezahlen. Beachtenswert ist, daß bei diesen und den folgenden Fällen auch für die Beamten, die die hier vor⸗ geschriebenen Pflichten nicht erfüllen, Strafen vorgesehen sind. Es wird ihnen von der höheren Behörde eine Geldstrafe diktiert, die be⸗ deutend höher ist als diejenige, die den Privaten trifft, außerdem müssen sie dann selbst das Anderthalbfache der Kosten für die per⸗ gebene Arbeit tragen. Für die Straßenreinigung haben die Anwohner aufzukommen, sie haben nämlich bestimmte Taxen zur Bestreitung dieser Arbeit zu zahlen, die von der Stadt vergeben wird. Wer nicht be⸗ zahlen will, wird gepfändet. Aehnlich liegt auch auf dem freien Lande die Erhaltung der Straßen und Wege den angrenzenden Grund⸗ besitzern ob, die ja auch ein natürliches Interesse daran haben.

Eine andere Kolumne der Urkunde enthält Vorschriften der Bau⸗ polizei. Das Verfahren gegen Unbotmäßige ist wieder dasselbe. So wird von der Behörde eingeschritten, wenn ein Haus baufällig ist und den Nachbar bedroht. Besonders eingehende Bestimmungen erfordert der so häufige Fall, daß eine Mauer zwei Häusern gemeinsam war. Er konnte natürlich nur zu oft zu Streitigkeiten der Nachbarn führen. An dieser Stelle wird auch über den zur Trockenlegung einer Wand nötigen Isoliergang gehandelt, von dem wir oben bei der Anlage des Marktes gesprochen haben. Der Nachbar muß die Anlegung eines folchen Ganges auf seinem Grund und Boden gestatten, er nah auch, wenn die örtlichen Verhältnisse es erfordern, dem andern den Zugang zu diesem Raume zum Zwecke der Reinigung durch sein Eigentum er⸗ lauben, doch wird er auch gegen etwaige Schikanen dieses geschützt.

Die letzten erhaltenen Bestimmungen sind in bpgiemnscher Hinsicht von großer Bedeutung. Die Abwässerkanäle müssen rein gehalten werden. Besondere Aufmerksamkeit hat die Polizeibehörde den öffentlichen Brunnen und ihren und Ableitungen zu widmen. Eine Verunreinigung der Brunnen wird mit ungemein schweren Strafen geahndet. Wer ein Tier an einem Stadtbrunnen tränkt oder Kleider und Geräte in ihm wäscht, geht, wenn er ein Freier ist, des Tieres oder der Gegenstände verlustig und muß noch 50 Drachmen Strafe zahlen. Ist er ein Sklave und hat er im Auf⸗ trage seines Herrn gehandelt, so bekommt er 50. Stockschläge im Marterstock und der Herr verliert das betreffende Gut. Hat schließ⸗ lich der Sklave aus eigenem Antriebe sich vergangen, so wird ihm feine ganze Habe genommen, er erhält 100 Schläge im Marterstock,