1905 / 118 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 19 May 1905 18:00:01 GMT) scan diff

bindung mit den weißen Männern des Platzes Wachen und ständige G“ ein und sandte sofort Freiwillige nach verschiedenen

Kichtungen des Bezirks, um die Farmer zu warnen, und ließ sie auf bestimmte Plätze bis auf weiteres zusammenziehen. Die vom Platz etwas entfernt wohnende Frau von Burgsdorff sowie den Lehrer Just mit seinen Schulkindern ließ ich zum Uebernachten zur Station kommen, während die anderen Bewohner des Platzes in ihren Häusern verblieben. Ungefähr um 11 Uhr Nachts kam der Missionar Spellmeyer zur Station und erbat für sich und seinen Schulmeister Pferde, um den Eingeborenen nachzureiten und dieselben zurückzuholen; ich stellte ihm die Pferde, und er ritt sofort ab.

Als ich um 12 Uhr Nachts die Wachen revidierte, hörte ich auf dem Wege von Rietmond her einen Wagen kommen und ging demselben entgegen; es war Herr Brandt aus Marienthal mit seiner Familie und zwei Söhne des Ansiedlers Hußfeld; auf meine Frage, was es auf Marienthal und Umgegend Neues gäbe, sagte mir Brandt, es wäre dort alles in Ordnung. Nachdem ich ihm die ernste Lage mitgeteilt hatte, sagte er mir, daß dies unmöglich wäre, da er erst am vorigen Abend von seinem Hause fortgefahren sei und dort auch nicht die leisesten Anzeichen von etwas Derartigem vorgelegen hätten, sein Schwager Oskar Mähler habe ihm kurz vor der Abfahrt von der Station aus noch seine Post gesandt und ihm geschrieben, daß es in Rietmond nichts Neues gäbe, auch daß der Unteroffizier Held am anderen Tage nach Rietmond reite, um den aus dem Damaraland desertierten Witbois die Gewehre abzunehmen; dem Herrn von Burgsdorff, welchen er auf dem Wege getroffen, hätte er auf seine Frage, was es Reues gäbe, dasselbe geantwortet. Auf meine Aufforderung hin, bei der Station auszuspannen, da die Schulkinder alle in der Station wären Brandt wollte seine Kinder in die Schule bringen antwortete er mir, das täte er nicht, denn das, was ich ihm soeben gesagt hätte, wären doch nur leere Gerüchte und er zöge vor, unten am Platze auszuspannen; was er auch tat.

3 Gegen Morgen des 4. Oktobers war der Missionar Spellmeyer mit einem großen Teil von eingeborenen Frauen und Kindern zurück⸗ gekehrt, und trafen am Vormittag noch wieder welche ein, sodaß es beinahe den Anschein hatte, als wäre das Volk nur aus einer unbe⸗ kannten Furcht geflohen. Am Vormittag heliographierten verschiedene Farmer von Hanaus aus, daß sie dort versammelt wären und was nun des weiteren zu geschehen hätte, worauf ich die Antwort heraus⸗ ab: „Frauen und Kinder nach Gibeon hereinkommen, Männer dis auf weiteres dort bei der Station bleiben, bis ich Verstärkung sende. Am Nachmittag spät traf der Farmer A. de Wet mit seinen Frauen von Sechskamelbaum aus auf Gibeon ein und sagte mir, daß er die Lage draußen nicht mehr für sicher hielte und deshalb seine Familie in Sicherheit brächte. Gleich⸗ zeitig teilte er mir mit, daß er auf dem Wege nach Gibeon einen Trupp Pferde gesehen, welche in der Richtung Fischrivier aufwärts nach Swartdorn getrieben seien und jedenfalls vom Truppenposten Hatsium stammten. Eine sofort nach Swartdorn entsandte Patrouille kehrte unverrichteter Sache zurück. 8

Als ich nach Dunkelwerden in meiner Wohnung mit Abendessen beschäftigt war, wurde ich herausgerufen und traf dort den Missionar Spellmeyer, welcher mir Meldung brachte, daß die Witbois im Auf⸗ stande und die Absicht hätten, am nächsten Morgen den Platz anzu⸗ greifen; erfahren hätte er es von dem ältesten Sohne des Kapitäns, welchen Gewissensbisse zu diesem Verrate getrieben hätten. Nachdem ich mit dem Missionar noch verschiedenes be⸗ sprochen, ließ ich sämtliche weiße Männer, Frauen und Kinder zur Station kommen und darin unterbringen. Dann teilte ich meine Besatzung, welche nunmehr aus zwei Unteroffizieren, zwei Mann und 27 Zivilisten bestand, ein und ließ die Station mittels Proviant⸗ säcken, Wellblech und Balken in Verteidigungszustand setzen. Von den Gefangenen wurden alle verfügbaren Gefäße in die Station ge⸗ schafft und mit Wasser gefüllt sowie Brennholz besorgt. Gegen Morgen des 5. Oktober waren die notwendigsten Arbeiten beendigt. und erwarteten wir den Angriff. Kurz vor Sonnenaufgang ließen sich einige feindliche Patrouillen sehen, ein Angriff erfolgte jedoch nicht. Nach Tagwerden sandte ich stärkere Frehwintgenpatroullen nach allen Richtungen aus, um die außerhalb befindlichen Ansiedler zu verstärken und nach Gibeon zu bringen. Mit den zurück⸗ bleibenden Mannschaften wurde an den Befestigungen weiter gearbeitet und alle nötigen Bestände aus den Kaufgeschäften in die Station geschafft. Am Mittag kehrte eine Patrouille von Hatsium zurück und brachte die Meldung, daß der dort stationierte Reiter Gröber ermordet aufgefunden sei. Am 4. Abends hatte ich den Ansiedler Technau mit einer Meldung über das Geschehene bereits mit der Bitte um Verstärkung nach Keetmanshoop abgesandt. Am Morgen des 5. Oktober sandte ich heliographische Meldungen an das Gouvernement und nach Keetmanshoop. Am Nachmittag trafen die ersten geretteten Ansiedler mit ihren Frauen und Kindern auf Gibeon ein, die meisten davon hatten nur mit Unterstützung der aus⸗ gesandten Patrouillen das nackte Leben gerettet, da auf dieselben bereits geschossen bezw. Angriffe von seiten der Hottentotten erfolgt waren. Der Tag verlief mit Vorbereitungen zur Sicherung. Am Abend traf der Misstonar Berger zufällig von Gochas kommend auf Gibeon ein, und suchte ich denselben im Missionshause auf. Nach einer Unter⸗ redung mit den Missionaren Berger und Spellmeyer erklärten sich die beiden bereit, am andern Morgen nach Rietmond zu reiten, um zu versuchen, mit den Eingeborenen in Verbindung zu treten und über den Verbleib des Bezirksamtmanns von Burgsdorff nachzuforschen.

Am Morgen des 6. Oktober ritten die Missionare in Begleitung eines Eingeborenen nach Rietmond ab. Als nach Sonnenaufgang heliographische Verbindung mit Falkenhorst gesucht wurde, blieb die Station aus; eine sofort nach dort entsandte Patrouille kehrte gegen Mittag mit der Meldung zurück, daß die Station und die umliegenden Höhen von Witbois besetzt und anzunehmen sei, daß die Besatzung gefallen wäre. Ich zog daraufhin die Station Hanaus, welche nur mit zwei Mann Ss war, an Gibeon heran. Am Nach⸗ mittag kehrten die Missionare, vor den Witbois flüchtend, nach Gibeon zurück und meldeten mir, daß der Bezirks⸗ amtmann von Burgsdorff und die Farmer von Marienthal, Rietmond und Orab ermordet seien. Die Missionare waren bis Jakalsfontein gekommen, wo sie die Frauen der ermordeten Farmer getroffen und alles Nähere gehört hatten. Von den dort versammelten Hottentotten wurden sie am Weiterritt verhindert und als man Miene machte, auch bei ihnen zu Tätlichkeiten zu schreiten, hatten dieselben die Flucht er⸗ griffen. Nach ihrer Meldung waren die Witbois in Stärke von zwei Abteilungen je 100 Mann auf dem Wege nach Gibeon, um den Platz anzugreifen.

In der Oeffentlichkeit war die Nachricht verbreitet worden, der verstorbene Bezirksamtmann von Burgsdorff habe noch kurz vor dem Ausbruche des Witboi⸗Aufstandes an die Witboi

zum Schutze gegen die Herero zweihundert Gewehre nebst

Munition verteilt. Die hierüber vom Gouvernement ein⸗ geleiteten Ermittelungen haben, wie das „Deutsche Kolonial⸗

blatt“ mitteilt, nach einem Berichte des derzeitigen Bezirks⸗ amtmanns von Gibeon nachstehendes Ergebnis gezeitigt:

Soweit sich feststellen ließ, sind an Hottentotten aus amtlichen Beständen auf Veranlassung des verstorbenen Bezirksamtmanns von Burgsdorff abgegeben worden: 1) Im November 1903 zum Bondelzwartsfeldzug etwa 150 Gewehre; jeder Mann erhielt 150 bis 200 Patronen. Von den Gewehren sind 120 wieder abgegeben, 30 sind auf Bitten Witbois und Simon Koppers den Eingeborenen zur Abwehr der Hereros belassen worden. 2) Im Maärz und April 1904 an die gegen die Hereros nach Norden ge⸗ sandten Hottentotten rund 100 Gewehre (wovon etwa 80 M 88) mit entsprechender Munition. Hiervon sind etwa 84 bei der Entwaffnung im Norden abgenommen, 16 sind in Händen der Flüchtigen geblieben. 3) Etwa Mai 1904 55 Gewehre nebst mehreren Kisten Patronen zu 500 Stück an Witbois zum Schutz gegen die in Anmarsch vermuteten Hereros. Hiervon sind alle bis auf

nebst dem größten Teil der Munition Anfang August

d. J. wieder zurückgegeben. 4) Im September 1904 an zwei Witboi⸗

atrouillen je 6 Gewehre mit je 50 Patronen. Diese Patrouillen sind unter Mitnahme der Gewehre zu den Aufständigen übergetreten. 5) Außerdem sind den Eingeborenen seit 1902 im ganzen 19 Ge⸗ wehre, rund 7000 Patronen und 47 ½ kg Blei käuflich überlassen. Demnach sind seit 1902 von amtlichen Gewehren im ganzen 83 in die Hände der Aufständigen gelangt.

8 Deutscher Reichstag. 185. Sitzung vom 18. Mai 1905, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Am Bundesratstische: Staatssekretär des Innern, Staats⸗ minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner, preußischer Minister für Landwirtschaft ꝛc. von Podbielski, Staats⸗ sekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding.

An Stelle des ausgeschiedenen Abgeordneten Pauli⸗Ober⸗ barnim wird auf Vorschlag des Abg. Grafen von Hompesch (Zentr.) der Abg. Schlüter (Rp.) durch Zuruf zum Schriftführer gewählt. 1

Das am 14. Mai 1904 zwischen dem Deutschen Reiche und dem Großherzogtum Luxemburg geschlossene Ab⸗ kommen über die gegenseitige Zulassung des zum mensch⸗ lichen Genusse bestimmten Fleisches . freien Verkehr wird in erster Beratung ohne Debatte erledigt und in zweiter unverändert angenommen. 4

Die Allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt für 1901 wird der Rechnungskommission überwiesen.

Es fo⸗ t die zweite Beratung des Gesetzentwurfs be⸗ treffen ie Wetten bei öffentlich veranstalteten Pferderennen. (Sog. Totalisatorvorlage.)

Die Budgetkommission hat die Vorlage mit unwesent⸗ lichen Aenderungen angenommen. § 1. „Der Betrieb eines Wettunter⸗ nehmens für öffentlich veranstaltete Pferderennen ist nur mit Erlaubnis der Landeszentralbehörde oder der von ihr bezeichneten Behörde zu⸗ lässig“ wird unverändert zur Annahme empfohlen. § 2 lautet nach den Kommissionsbeschlüssen: „Die Erlaubnis darf nur solchen Ver⸗ einen zur Veranstaltung von Pferderennen erteilt werden, welche nach Maßgabe der vom Bundesrat zu erlassenden Aus⸗ führungsbestimmungen die Sicherheit bieten, daß sie die ihnen aus dem Betrieb des Wettunternehmens zufließenden Ein⸗ nahmen ausschließlich zum Besten der Landespferdezucht verwenden.“ Die Erlaubnis kann von weiteren Bedingungen abhängig gemacht, jederzeit beschränkt und widerrufen werden; sie muß widerrufen werden, wenn die vorbezeichnete Sicherheit nicht mehr besteht. Nach § 3 der Kommissionsvorschläge ist das geschäftsmäßige Vermitteln von Wetten für öffentlich im In⸗ und Auslande veranstaltete Pferde⸗ rennen verboten. (Die gesperrten Worte in §§ 2 und 3 sind Zusätze der Kommission.) 9 3 bestimmt ferner, daß Aufforderungen und Angebote zum Abschluß oder zur Vermittlung solcher Wetten verboten sind, wenn sie öffentlich oder in Verbreitung von Schriften oder anderen Darstellungen erfolgen. Nach § 4 ist die nach Maßgabe des Reichsstempelgesetzes von den Wett⸗ einsätzen zu erhebende Reichsstempelabgabe bei Pferderennen auch dann zu entrichten, wenn ausschließlich Mitglieder bestimmter Vereine zum Wetten zugelassen werden. § 5 ist von der Kommission, wie folgt, formuliert worden: „Die Hälfte des Er⸗ trages der Reichsstempelabgabe von Wetteinsätzen bei Pferderennen wird im Reichshaushalt für Zwecke der Pferdezucht bereit⸗ gestellt und zur Verwendung für diese Zwecke den Regierungen der Einzelstaaten nach dem Verhältnis überwiesen, nach welchem diese Abgaben in ihrem Gebiete aufgebracht sind.“ § 6 enthält die Straf⸗ vorschriften. „Mit Gefaͤngnis von 1 bis 6 Monaten oder mit Geld⸗ strafe von 500 bis 1500 wird, sofern nicht nach anderen Gesetzen eine höhere Strafe eintritt, bestraft: 1) wer ein Wettunternehmen für öffentlich veranstaltete Pferderennen ohne die vorgeschriebene Er⸗ laubnis betreibt; 2) wer den Vorschriften des § 3 zuwiderhandelt. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Gefängnisstrafe bis zu einem Monat oder auf Geldstrafe bis zu 500 erkannt werden.“ (Die Minimalsätze und die Klausel wegen der mildernden Umstände sind Zusätze der Kommission.)

Ferner hat die Kommission zwei Resolutionen nahme vorgeschlagen:

1) „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, baldigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach welchem die §§ 3 und 6 des Ge⸗ setzes auf die Wetten bei öffentlich veranstalteten Rennen mit Fahrrädern und Automobilen Anwendung finden.“

2) „Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, die Abhaltung von Rennen am ersten Weihnachtstage, am Karfreitag, am ersten Ostertage, am ersten Pfingsttage und in Gegenden mit überwiegend

zur An⸗

katholischer Bevölkerung am Fronleichnamsfeste zu verbieten. Referent ist der Abg. von Oertzen (Rp.).

Abg. Dr. Becker⸗Cöln (Zentr.): Der vorliegende Gesetzentwurf bezweckt in der Hauptsache zweierlei: das Verbot der Wettbureaus und die Heranziehung der sogenannten Vereinstotalisatoren. Die Wettbureaus haben sich in unglaublicher Weise vermehrt, es existieren ihrer 5000. Die Wettbureaus entziehen der Reichskasse die ihr zu⸗ ständigen Stempelsteuern und 1 das Publikum dadurch, daß sie eventuell den Gewinnern die Gewinne nicht auszahlen. Die Schädigung der Reichskasse ist um so stärker, als die Stempelsteuer im Laufe der Zeit von 5 auf 20 % des Umsatzes erhöht worden ist. 1890 betrug die Einnahme der Reichskasse aus diesem Stempel noch 1 850 000 ℳ, 1902 war sie auf 500 000 gesunken. Diese Schädigung der Einnahmen des Totalisators wirkt indirekt ganz erheblich auch auf die Zucht unserer edlen Rennpferde zurück. Frankreich und Oesterreich beziehen weit erheblichere Einnahmen aus dem Totalisator. Der Gesetzentwurf will nun eine hohe Steuer einführen und gleichzeitig höhere Einnahmen erlangen. Beides zusammen ist erfahrungsgemäß sehr schwer zu erreichen. Bei 10 % Steuer waren die Einnahmen viel höhere. Der Erfolg der vorgeschlagenen Maßregeln zur Bekämpfung der Wettbureaus und des Buchmacherunwesens wird wesentlich von der Energie der Re⸗ gierung abhängen. Uebt sie eine scharfe Kontrolle aus, so dürfte der entstandene Ausfall zum großen Teil ausgeglichen werden. Aber die §§ 4 und 5 können und werden auch manchen kleineren Rennverein schwer drücken. Ein Teil meiner politischen Freunde beantragt des⸗ halb zu § 4 einen Zusatz, nach dem die sogenannten Vereins⸗ totalisatoren, die jetzt durch Reichsgerichtserkenntnis steuerfrei sind, dem Gesetze erst vom 1. Januar 1906 unterworfen sein sollen.

Abg. Bruhn (Reformp.) beantragt, den Stempel auf 5 % herabzusetzen und dem Reiche eine Mindesteinnahme von 1 200 000 zu garantieren.

Preußischer Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten von Podbielski:

Der Antrag zum § 4 entspricht, glaube ich, der Billigkeit, und ich bin der Ansicht, daß voraussichtlich die verbündeten Regierungen diesem Zusatze ihre Zustimmung nicht versagen werden.

Was weiter der Herr Vorredner betreffs der Unterdrückung der Wett⸗ bureaus ausgeführt hat, so begegnen sich seine Anschauungen vollständig mit denen, die in der hohen Kommission bereits dargelegt worden find. Ich habe es immer als eine der ersten Pflichten der Regierung an⸗ gesehen, daß die Wettbureaus, die zweifellos zur Verführung weiter Kreise Veranlassung geben, unterdrückt werden.

Abg. Bruhn: Als die Stempelabgabe für den Totalisator

ingeführt wurde, war eine Erhöhung der Reichseinnahme und

1

eine Verminderung des Wettspiels bea sichtigt. einem Mißerfolge geendet. Die

gegangen und das Wetten hat einen ganz ungeheuren Umfang angenommen. Uns erscheint als Abhülfe der Weg geeignet, den unser Antrag vorschlägt. Die Buchmacher werden sonst nach wie vor ihre efesten Wetten legen”. Es haben sich sogar Buch⸗ macherringe gebildet. Es ist gegen sie nicht scharf genug vorgegangen worden. Die Rennvereine, die die betreffenden Buchmacher kennen, sollten die staatlichen Organe unterstützen. Der Minister des Innern sollte in Berlin schärfer vorgehen. Ich bitte Sie, unseren Antrag anzunehmen; wir werden aber auch für die Vorlage stimmen, wenn dieser nicht angenommen werden sollte.

Abg. Dr. Ablaß (fr. Volksp.): Die Kommissionsverhandlungen können uns von unserem ursprünglich ablehnenden Standpunkt nicht ab⸗ bringen. Der ganze Gesetzentwurf segelt unter einer falschen agge. Bei dem Totalisator handelt es sich nicht um Wetten, sondern um ein reines Hasardspiel. Man arbeitet bei diesem Gesetzentwurf mit dem falschen juristischen Begriff und vermeidet es, offen auszusprechen, daß es sich um einen Anreiz zum Spiel handelt. Eine harmlose Wette hat mit diesem Gesetz gar nichts zu tun; man verschleiert einfach den Tatbestand. Es handelt sich hier um ein einfaches gewerb⸗ liches Glücksspiel; darum muß 8 schon Anstoß nehmen an dem Titel des Gesetzes. Wette und Spiel unterscheiden sich in ihren Beweggründen und im Ziel. Der Totalisator hat nach der Ent⸗ scheidung der obersten Gerichte mit Wetten nichts zu tun; er ist weiter nichts als ein Spiel, ein höchst gefährliches Spiel. Die verbündeten Regierungen hätten besser getan, offen auszusprechen, daß sie ein solches Spiel trotz der geltenden moralischen An⸗ schauungen gesetzlich konzessionieren. Was sonst jeder anständige Bürger nicht tun darf, wird hier vom Staate gestattet, etwas, was sich mit dem Begriffe des Staats nicht verträgt. In einem Gesetzentwurf wird ein rein fiskalischer Standpunkt zur Geltung gebracht. Wie reimt sich die sittliche Entrüstung gegen die Wettbureaus mit dem Gestatten des Spiels am Totalisator zusammen? Das Reich sollte sich auf einen solchen Boden nicht stellen. Man sagt nun, das Wetten solle in richtige Bahnen geleitet werden. Nun, am 5. Juni 1904 sind allein bei einem Wettrennen in Karlshorst 92 272 am Totalisator verloren worden. England kennt überhaupt nicht den Totalisator. Auch ist es mehr als zweifelhaft, ob die Pferderennen überhaupt geeignet sind, die Vollblutzucht zu fördern. Im Kommissionsbericht wird ausgeführt, daß die einmal im Volke bestehende Passion in eine Bahn gelenkt werden müsse, wo sie kontrolliert werden könne. Wäre das richtig, so könnte man statt Totalisator auch Spielbank in das Gesetz einsetzen. Nirgends geht es anständiger zu als bei der Spielbank in Monaco, der Unterschied ist nur, daß dort eine Handvoll reicher Leute ihr Geld, verliert, während hier der Staat die kleinen Leute zum Spiel anreizt und sich aus deren Tasche bereichert. Das ist eines Staates nicht würdig. Daß Unredlichkeiten keineswegs ausgeschlossen sind, ist eine Tatsache. Ein Rennstall, der über einen sehr tüchtigen Renner verfügt, verheimlicht dessen Existenz, um zu veranlassen, daß möglichst wenig auf ihn gewettet wird. Auf den Standpunkt des Landwirtschaftsministers, daß derjenige, der durch Wetten am Totalisator gleichzeitig sein Interesse für die Landespferdezucht kundgeben will, kann ich mich nicht stellen. Gevatter Schneider und Handschuhmacher wollen nur Geld gewinnen, aber keineswegs einen besonderen Pferdeverstand an den Tag legen. Der Kaiser hat doch früher den Offizieren das Spiel am Totalisator verboten. Das beweist, daß der Totalisator keine harmlose, sondern mindestens eine eines deutschen Offiziers nicht würdige Sache ist. Die „Schlesische Zeitung“ hat in einem sehr beachtenswerten Artikel darauf hingewiesen, daß ohne eine Be⸗ seitigung des Totalisators an eine Beseitigung der Auswüchse der Wetten nicht zu denken ist; der Totalisator sei der Feind. Auch die „Kreuzzeitung“ schrieb, man habe absolut kein Recht, sich mit sittlicher Entrüstung gegen die Spielbank zu wenden, ehe man sich nicht dazu entschließe, den Totalisator zu beseitigen. Wie kann das Zentrum ein Gesetz annehmen, das gegen Sitte, Ordnung und Movral auf⸗ gestellt ist, das die Rechtsbegriffe im Volke zu verwirren und den Staatsgrundgedanken zu erschüttern geeignet ist? Wir lehnen den Gesetzentwurf rundweg ab.

Damit schließt die Diskussion.

Der §1 wird gegen die Stimmen der Linken und einiger Nationalliberalen angenommen, ebenso ohne Debatte die §§ 2 und 3.

Zum § 4 wird der Antrag Bruhn abgelehnt, der Antrag Becker angenommen.

Der § 5 wird vom Abg. Dr. Paasche (nl.) in der Fassung der Kommission als eine bedeutende Verbesserung der Regierungsvorlage zur Annahme empfohlen. Auf eine An⸗ regung des Redners erklärt der

Ppreußische Minister für Landwirtschaft ꝛc. bielski:

In Uebereinstimmung mit meiner Erklärung in der Budget⸗ kommission kann ich nur wiederholen: Was die Unterverteilung der den Einzelstaaten überwiesenen Beträge anlangt, so liegt es in der Absicht der verbündeten Regierungen, den einzelnen Vereinen nach Maßgabe der Beträge, welche sie aufbringen, die Rücküberweisungen zuzuwenden, sodaß diese Vereine, glaube ich, nach keiner Richtung hin in Sorge zu sein brauchten.

Abg. Rettich (d. kons.) erklärt, er könne nicht zugeben, daß eine Verbesserung der Regierungsvorlage durch die Kommission geschaffen sei, und er behalte sich für die dritte Lesung vor, mit seinen Freunden eine bessere Fassung zu finden.

Nach einer weiteren kurzen Bemerkung des Abg. Groeber (Zentr.) wird der § 5 angenommen, nachdem der Antrag

ruhn auf Fixierung der Reichsstempeleinnahmen des Reichs abgelehnt ist.

Der § 6 wird ohne Debatte in der Kommissionsfassung angenommen; ebenso die beiden Resolutionen, nachdem zu der weiten preußischer Landwirtschaftsminister von Podbielski sageshe Erklärung abgegeben hat:

Ich kann für die preußische Regierung die Erklärung abgeben, daß am ersten Weihnachtstage, am Karfreitag, am ersten Ostertage, am ersten Pfingsttage und in Gegenden mit überwiegend katholischer Bevölkerung am Fronleichnamsfeste die Abhaltung von Pferderennen verboten werden wird; die verbündeten Regierungen werden ersucht werden, in gleicher Weise vorzugehen. (Bravo ¹)

Damit ist der Entwurf in zweiter Beratung erledigt.

Darauf tritt das Haus in die zweite Lesung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend Aenderung der Zivilprozeß⸗ ordnung, der auf die Entlastung des Reichsgerichts in Zivilsachen gerichtet ist. Ueber die Kommissionsberatungen ist durch den Abg. Trimborn (Zentr.) ein sehr umfassender schriftlicher Bericht erstattet; der Berichterstatter wird durch den Abg. Kalkhof (Zentr.) vertreten.

Die Vorlage will die Entlastung des Reichsgerichts in erster Linie durch die Heraufsetzung der Revisionssumme in Rechtsstreitigkeiten über die vermögensrechtlichen An⸗ sprüche erreichen und schlägt vor, die Revisionssumme, die egenwärtig 1500 beträgt, bei difformen Ents eidungen er Vorinstanz auf 2000, im übrigen auf 3 zu erhöhen. Die Kommission hat eine gleichmäßige Er⸗ höhung der Revisionssumme auf 2500 beschlossen. Außer⸗ dem war von der Vorlage und von der Kommission noch eine

Reichseinnahmen sind zurück⸗

von Pod⸗

Beides hat mit

Reihe weiterer „kleinerer“ Maßnahmen vorgeschlagen; von der Vermehrung der Senate oder der Richter in den einzelnen Senaten ist Abstand genommen worden. Die Kommission geht über die Vorlage mit der Forderung hinaus, daß der ernisis eeac unter allen Umständen die Revision be⸗

gründen mu b 8

Dr. Bachem (Zentr.): Es ist allgemein zugegeben, daß das Sns, in einem solchen Maße überlastet ist, daß Abhilfe un⸗ bedingt geschaffen werden muß. Es liegt ihm ein Arbeitspensum ob, das es nicht mehr bewältigen kann. Jeder Reichsrichter muß die gesamte Rechtsprechung des Reichsgerichts und auch die wissenschaft⸗ lichen Diskussionen außerhalb desselben sorgfältig verfolgen, sonst kann er nicht mit der erforderlichen Sicherheit Recht sprechen. „Wenn das Plenum, wie es heute besteht, zu einem Parlament wird, so wird es mehr und mehr unmöglich, zu einer einheitlichen Recht⸗ sprechung zu kommen. Wenn man die Senate vermehrt, so hat der einzelne Reichsgerichtsrat wohl weniger Sachen zu bearbeiten, aber während er jetzt die Urteilssprüche von 7 Senaten verfolgen muß, müßte er dann diejenigen von 9 oder 10 Senaten verfolgen. Es würde ihm also auf der einen Seite genommen, was ihm auf der anderen gegeben wird. Daher ist es auch verständlich, daß das Reichsgericht selbst eine Ver⸗ mehrung der Senate nicht wünscht. Eine Erhöhung der Revisions⸗ summe zum Zwecke seiner Entlastung ist von den verschiedensten Seiten in Vorschlag gebracht worden. Wir haben uns überzeugt, daß der Vorschlag der Regierung, die Erhöhung auf 2500 ℳ, zum Ziele führt. Man hat sich hiergegen vom Standpunkt der idealen Rechtsverfolgung gewendet. Die Konseguenz würde dahin führen, auch allen amts⸗ und landgerichtlichen Prozessen die Revision beim Reichsgericht zuzugestehen. Diese Konsequenz ist aber nie gezogen worden. Kein Gerichtshof der Welt würde im stande sein, die Un⸗ zahl dieser Revisionen zu bewältigen. Auch praktische Rücksichten lassen die Heraufsetzung der Revisionssumme als geboten erscheinen. Entscheidend ist, daß die Rechtseinheit in der Praxis so aufrecht er⸗ halten werden kann. Bekanntlich wird vom Reichsgericht nur die rechtliche Seite untersucht, um die Rechtseiaheit zu wahren. Ist das Reichsgericht aber so überlastet, daß es dieser Aufgabe nicht mehr genügen kann, so ergibt sich die unabweisbare Notwendigkeit für die Praxis, die Zahl der Prozesse so herabzusetzen, daß es dazu in vollstem Maße wieder in der Lage ist. Man darf bei Beurteilung der Frage der Zulässigkeit einer solchen Heraufsetzung der Revisions⸗ summe nicht von dem einzelnen Prozeß ausgehen, denn allen Prozessen, auch den amts⸗ und landgerichtlichen in allen Fällen eine Revision zu geben, ist unerfüllbar. Es muß eben darum die Revision so eingerichtet werden, daß auf einem Umwege die Möglichkeit gegeben ist, die Rechtseinheit aufrecht zu erhalten. Was die Einwände vom Stand⸗ punkt der Allgemeinheit und des Verkehrsinteresses angeht, so werden nach dem uns in der Kommission vorgelegten Material von allen Revisionen im Durchschnitt der mitgeteilten 5 Jahre rund 79 % ohne weiteres abgelehnt. Vom Rest wurde bei einem Teil in der Sache anders entschieden, ein anderer Teil an das Oberlandes⸗ gericht zurückgewiesen. Von letzterem aber wurden nur 35 % anders entschieden als bei der ersten Entscheidung. Es ergibt sich, daß nur in 10 % der Gesamtfälle hätte anders entschieden werden können. Das Verkehrsinteresse erfordert aber unbedingt, daß die Vollstreckbarkeit, die jetzt schon um etwa 10 Monate hinausgeschoben wird, nicht noch weiter in die Länge gezogen wird. Ein weiterer Einwand war der, daß man sagte, die kleinen Prozesse würden von den Kleinen, die großen Prozesse von den Großen geführt. Setzt man die Revisionssumme herauf, so begehe man also eine Ungerechtig⸗ keit gegen die kleinen Leute. Die Statistik beweist, daß dies nicht zutrifftt, und auch vom sozialen Standpunkt aus kann es nur den kleinen Leuten zu gute kommen, wenn „beim Reichs⸗ gericht eine klare, sichere Rechtsprechung erreicht wird, die ihre Rückwirkung auf die der Amts⸗ und Landgerichte übt. Nach den Beschlüssen der Kommission würden bei den Oberlandes⸗ erichten nur 28 % der jetzt revisiblen Fälle E“ werden. ist geltend gemacht worden, daß der Weg, den die Kommission

ühren würde. Jedenfalls wird uns aber dieser Weg das Reichsgericht

eht, nur für kurze Zeit zu einer Besserung der jetzigen Zustände 6 lange aktionsfähig erhalten, bis durch die Revision der Zivil⸗

prozeßordnung, die bevorsteht, endgültig Abhilfe geschaffen wird. Der Weg der Kommission beansprucht nur provisorischen Wert, es wird nichts übrig bleiben, als ihn zu gehen, denn die Einheit der Recht⸗ sprechung und ihre Promptheit ist derart wichtig, daß wir unsere Hilfe nicht versagen können, wenn wir darum angegangen werden. Noch ein Moment spricht zu Gunsten der Vorlage: unsere Reichs⸗ gerichtsräte, die zu der Elite unserer Juristen zählen, gehen durch ihre üͤbermäßige dienstliche Inanspruchnahme der Wissenschaft verloren, und das ist ein eminenter Schaden für die Weiterentwicklung unserer Rechtswissenschaft. Ich bin auch der festen Ueberzeugung, daß eine ausgiebige Entlastung des Reichsgerichts auch der Durchsichtigkeit der Urteile zu gute kommen würde. Ich schließe daher mit der Bitte, dem Antrage der Kommission stattzugeben. „Es führt kein anderer Weg nach Küßnacht!“

Abg. Himburg (dekons.):; Wir halten die Notlage des Reichs⸗ gerichts für erwiesen und wünschen dringend Abhilfe. Das relativ Beste scheinen uns die Kommissionsbeschlüsse zu bieten. Wir stimmen heute dafür, wollen uns aber damit noch nicht für die dritte Lesung gebunden haben. ö“

Abg. Hagemann (nl.): Wir werden geschlossen für die Kom⸗ missionsanträge eintreten. Die Belastung des Reichsgerichts ist in sehr großer Höhe anzuerkennen. Das Reichsgericht ist nicht in der Lage, wenn durch Krankheit oder Urlaub einzelne seiner Mitglieder verhindert sind, Hilfsrichter einzuziehen. Heute sind zwei Senats⸗ präsidenten beurlaubt, einer ist gestorben. Im ganzen sind nur 50 statt 56 Richter vorhanden und keine Möglichkeit des Exrsatzes vor⸗ handen; Ende 1904 haben 2223 Sachen in Rest gestanden. Mit Recht hat die Kommission bei der Frage der Erhöhung der Revisions⸗ summe das Prinzip der Difformität ausgeschieden. Die Summe von 1500 ℳ, die 1879 als Revisionsgrenze in das Gesetz eingestellt wurde, hat sich als durch die Entwicklung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse durchaus überholt erwiesen. Der Betrag von 2500 dürfte heute etwa jenen 1500 von 1879 entsprechen. Wir werden für die Vorlage der Kommission durchweg stimmen.

Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fr. Volksp.): Auch ich räume ein, daß eine Ueberlastung des Reichsgerichts unzweifelhaft vorliegt; ob das Reichsgericht ganz unschuldig daran ist, will ich dahingestellt sein lassen. Die Heraufsetzung der Revisionssumme habe ich aber stets nur als ultima ratio betrachtet; ich bin auch nicht der Meinung, 8 jetzt kein anderer Weg nach Küßsnacht führt, sondern ich meine, daß die Zahl der kleinen Mittel, durch die diese Entlastung erreicht werden kann, noch nicht erschöpft ist. Ich muß Goethe zitieren, wie Herr Bachem Schiller zitiert hat; ich möchte dem Staatssekretär vorhalten: „Wer vieles gibt, wird manchem etwas geben.“ Ein System kleiner Mittel würde vollständig ausreichen. Die obligatorische schriftliche Begründung der Revision muß die Sache ungemein erleichtern. Dazu kommt der schon angenommene

ntrag Hagemann, der die Strafsenate zu Gunsten der Zivilsenate entlastet. Ein großer Vorteil wäre ein preußisches oberstes Landes⸗ gericht nach bayerischem Muster gewesen; eine Gefährdung oder Störung der Rechtseinheit wäre daducch absolut nicht zu be⸗ orgen. Bedauerlich ist auch die ablehnende Haltung der Ver⸗ waltung gegen die Ueberweisung der Armenrechtssachen und Be⸗ schwerde an den besonderen Senat. Die vortreffliche Qualität der Richter am Pariser Kassationshof hat darunter nicht gelitten. Die Erhöhung der Revisionssumme hat ja auch eine plutokratische Seite, aber in der Hauptsache ist es doch eine organisatorische Frage. les in allem, ist der jetzige Zeitpunkt für eine solche Erhöhung der denkbar ungeeignetste. Wir haben noch keine völlig feststehende uͤdikatur der höchsten Instanz in vielen Materien; der Miets⸗ vertrag und der Dienst⸗ und Werkvertrag würden in unerwünschtem mfange der dritten Instanz entzogen werden. Ich würde persönlich böchstens bis zu einer Erhöhung auf 2000 zu gehen bereit sein; für uns Süddeutsche ist im allgemeinen auch diese Erhöhung

im Landgericht in Aschaffenburg würden bei TenFa e eee Le)fa 9 Sachen 53 bis 58 % wegfallen. Wozu nun das ganze Gesetz? Wir sollen vor einer tiefgrei⸗ fenden Reform unserer Zivilprozeßordnung stehen. Graf von Posadowsky hat uns das ausdrücklich erklärt; wir haben bei den Kaufmannsgerichten eine bezügliche Resolution gefaßt. Da könnte man dieses Gesetz höchstens annehmen, wenn es als notwendiges Uebel unvermeidlich ge⸗ worden ist. Dieser Ueberzeugung bin ich aber nicht, und so werde ich mit einigen meiner Parteigenossen die Erhöhung der Revisions⸗ summe ablehnen.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Ich bin dem hohen Hause dankbar dafür, daß es jetzt noch, so spät im Lauf der Session, diese Vorlage zur zweiten Be⸗ ratung gestellt hat. Nicht nur wir im Reichsjustizamt, nicht nur die verbündeten Regierungen, nicht nur das Reichsgericht, sondern ich glaube auch sagen zu dürfen, große Kreise des rechtsuchenden Publikums warten mit Sehnsucht auf den Augenblick, wo der Reichstag sich entschließen wird, sein maßgebendes Votum zu dieser Sache abzugeben.

Nachdem wir im Mai v. J. diese Vorlage bei dem hohen Hause eingebracht haben und damals im Hinweis auf die damals schon vor⸗ handene Notlage des Reichsgerichts dringend gebeten hatten, die Sache zu beschleunigen, haben es leider die Geschäfte des Reichstags dennoch nicht gestattet, früher an diese Sache heranzugehen. Um so dank⸗ barer, meine Herren, sind wir, daß es jetzt noch geschah. Ich muß allerdings sagen, die Geschäfte des Reichsgerichts wachsen inzwischen mehr und nehr zu gefahrdrohendem Umfange an. Die Kräfte der Richter sind erschöpft. Mehrere Richter sind genötigt gewesen, wegen Ueberarbeitung Urlaub zu nehmen. Bei anderen Richtern steht das bevor, und ich bin bereits in der Lage gewesen, gegenüber Klagen aus der Mitte des Reichsgerichts über diese Ueberlastung, nachdem die Herren bis dahin, ich darf sagen, bis zum letzten Atemzug, ihre Pflicht getan haben, um dem Andrange der Geschäfte gewachsen zu bleiben, darauf hinzuweisen, daß die Richter nicht die Verpflichtung hätten, mehr zu tun, als es die gebotenen Rücksichten auf ihre Gesundheit ge⸗ statten, daß es die Richter nicht treffe, wenn die Rückstände immer größer werden, und daß, wenn eine Aenderung in den Verhäͤltnissen nicht eintrete, eben das Volk die Folgen davon tragen müsse, weil die verbündeten Regierungen nicht in der Lage sind, eine Ver⸗ besserung der Zustände herbeizuführen ohne die Hilfe des Reichstags.

Nun, meine Herren, habe ich aus den Worten des Herrn Vor⸗ redners ich muß sagen: zu meiner Ueberraschung entnommen, daß nach seiner Ansicht auch jetzt die kleinen Mittel noch nicht er⸗ schöpft seien, die wohl geeignet sein würden, dem Reichsgericht in seiner Notlage Abhilfe zu bringen, und daß deshalb, weil diese kleinen Mittel noch nicht erschöpft sind, man zur Zeit noch nicht an das große Mittel heranzutreten brauche, die Erhöhung der Revisionssumme. Aber ich darf den Herrn Vorredner daran erinnern, daß, noch bevor wir eine Vorlage an den Reichstag brachten, ich ihm Gelegenheit gegeben habe er hat das selbst berührt —, an vertraulichen Besprechungen teilzunehmen, nicht nur darüber, wie die Lage beim Reichsgericht ist, sondern auch darüber, mit welchen Mitteln sie gebessert werden kann. Der Herr Vorredner hat seitdem mehr als ein Jahr Zeit gehabt, diese Frage zu überlegen. Er hat zeitweise auch an den Verhand⸗ lungen der Kommission sich beteiligt, also dort seine Vorschläge machen können. Ich habe jedoch keinen Vorschlag über ein sogenanntes kleines Mittel neuer Art von ihm vernommen, und auch seine heutige Rede betonte zwar, daß es solche Mittel noch gäbe, aber sie hütete sich weislich, solche Mittel zu bezeichnen. (Zuruf links.) Wenn nun der Herr Vorredner uns den Vorwurf machen will, daß wir die Sache nicht genügend nach allen Seiten hin erschöpft hätten, dann wäre es nach meiner Meinung, will er berechtigter Weise uns kritisieren, auch seine Pflicht, zu sagen, welches die andern Mittel sind, die er in petto hat, sonst kann ich seine Legitimation nicht anerkennen, uns Vorwürfe zu machen.

Nun hat sich der Herr Vorredner freilich damit herauszuhelfen versucht, daß er sagte, wir hätten uns darauf kapricioniert, absolut die Revisionssumme zu erhöhen. Wie kann man einen solchen Vorwurf erheben gegenüber der Tatsache, daß bereits 1898 die Regierung eine Vorlage ähnlicher Richtung gebracht hat mit dem Anheimgeben, andere Mittel zu wählen, wenn sie geeignet sein sollten, das Reichs⸗ gericht zu entlasten, und daß damals die Kommission des Reichstags nach langen gründlichen Erörterungen zu dem Resultat gekommen ist, andere Mittel gebe es nicht? Wie kann der Herr Vor⸗ redner uns Kapricen vorwerfen, wenn jetzt die Reichstags⸗ kommission der Herr Abgeordnete war selbst Augen⸗ und Ohren⸗ zeuge in langen Verhandlungen die Dinge wiederum geprüft hat und, wie der Bericht ergibt, wiederum zu dem Resultat gelangt ist, andere Mittel als das von uns vorgeschlagene sogenannte große Mittel gebe es nicht, um wirksame Abhilfe zu schaffen?! Der Herr Vor⸗ redner mag uns vorwerfen, wir hätten die Sache nicht nach allen Seiten erwogen; uns aber angesichts der Tatsache, daß zwei Reichs⸗ tagskommissionen auf unserer Seite stehen, zu sagen, wir hätten uns kapricioniert gerade auf diesen einen Vorschlag, das ist ungerecht.

Freilich hat der Herr Vorredner uns gleich eine Anzahl kleiner Mittel angeführt; aber leider sind diese Mittel alle bereits alt, diese Vorschläge sind alle schon dagewesen und erwogen, und in allen diesen Punkten haben leider die Erwägungen der Regierung wie auch die der Kommission zu einem positiven Ergebnis nicht geführt. Der Herr Vorredner hat es sich sehr leicht gemacht, um die ausführlichen Dar⸗ legungen der Kommission mit seiner negativen Haltung zu beant⸗ worten. Er sagt, die schriftliche Begründung der Revisionen würde helfen. Sehr kategorisch hat er das sogar erklärt, aber kein Wort zur Begründung dieser Ansicht gesagt. Dem steht die Tatsache gegenüber, daß das Reichsgericht von dem Zwange zur schriftlichen Begründung einen erheblichen Einfluß auf die Ent⸗ lastung nicht erwartet; und ich erlaube mir doch einstweilen noch an⸗ zunehmen, daß das Reichsgericht auf Grund seiner Erfahrungen in dieser Frage des inneren Geschäftsbetriebs kompetenter ist als der Herr Vorredner. Auch Ihre Kommission hat anerkannt, daß man die schriftliche Begründung der Revisionen zwar bis zu einem gewissen Grade zur gesetzlichen Pflicht machen könne, daß das aber erheblich nicht helfen werde, weil doch meist jetzt schon schriftliche Begründungen erfolgen.

Der Herr Vorredner meinte ferner, es wäre ein sehr gutes Mittel der Entlastung, wenn man in Preußen ein oberstes Landesgericht errichten wollte zur Aburteilung rein landesrechtlicher Streitigkeiten. Wir haben in der Kommission ausführlich dargelegt, daß, wenn die preußischen Sachen, welche gegenwärtig zur Kompetenz des Reichs⸗

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gerichts gehören, nach dem Wunsche des Herrn Vorredners an ein

oberstes Landesgericht verwiesen werden sollten, dieses oberste Landes⸗ gericht aus nicht mehr als 4 Richtern bestehen würde. Wie will der Herr Redner sich ein solches oberstes Landesgericht organisiert denken? Er meinte dann, es gäbe ein sehr brauchbares Mittel in der Er⸗ richtung eines besonderen Vorsenats für Erledigung gewisser Sachen, wie ja auch in Paris am Kassationshof eine Vorkammer bestehe; der Herr Vorredner weiß offenbar nicht, daß die Einrichtung der Chambre des requbtes in Paris schon sehr lange Gegenstand ernster Bemängelung ist; es ist ihm augenscheinlich entgangen, daß gerede il letzter Zeit in der französischen Deputiertenkammer der Antrag eingegangen ist, diese Vorkammer aufzuheben und an ihre Stelle eine Hauptkammer zu setzen. Und warum soll dies geschehen? Weil die mehr untergeordnete Stellung der Chambre des requbêtes gegenüber der Hauptkammer weder den Wünschen der Richter entspricht, noch dem Interesse der Rechtsprechung dienlich ist. Wollte man die Er⸗ fahrung, welche man in Frankreich gemacht., hat, unberücksichtigt lassen, dann könnte man dem Vorschlage des Herrn Abgeordneten folgen; aber, wie die Dinge in Frankreich liegen, wäre es eine Torheit von uns, auf den veralteten Gedanken einzugehen und einen besonderen Senat für die mehr untergeordneten Streitsachen zu schaffen.

Der Herr Vorredner hat dann ganz besonders Gewicht darauf gelegt, daß wir jetzt kurz vor der großen Revision der Zivilprozeß⸗ ordnung stehen, daß der Herr Staatssekretär des Innern vor einiger Zeit diese Revision in Aussicht gestellt habe als eine solche, die nicht lange Zeit werde auf sich warten lassen. Ich glaube nicht, daß der Herr Staatssekretär des Innern so etwas gesagt hat. Was ich selbst nach dieser Richtung hin früher erklärt habe, das halte ich aufrecht; ich glaube, ich bin der komgpetenteste Mann, nach dieser Richtung hin Erklärungen abzugeben. (Sehr gut! in der Mitte.) Ich habe erklärt, daß wir zur Revision der Zivil⸗ prozeßordnung kommen werden, aber daß wir zur Zeit mit der Revision der Strafprozeßordnung und anderen dringenden legislatorischen Arbeiten zu sehr belastet sind, um an die Revision der Zivilprozeß⸗ ordnung in ihrem ganzen Umfange heranzutreten; ich habe aber auch erklärt, daß wir eine Revision desjenigen Teils der Zivilprozeßordnung, der einer Umgestaltung am dringendsten bedarf, nämlich die Revision des amtsgerichtlichen Prozesses, bereits jetzt in die Hand genommen hätten. Das amtsgerichtliche Verfahren hat aber mit der Entlastung des Reichsgerichts nichts zu tun. Wünscht der Herr Abgeordnete viel⸗ leicht, daß wir die Revision der Strafprozeßordnung zurücksetzen sollen und dafür die Revision der Zivilprozeßordnung schleunigst in die Hand nehmen? Oder verlangt er von uns, daß wir zwei so große umfassende und tiefeingreifende Reformen zu gleicher Zeit verfolgen? Das sind unmögliche Dinge, an die niemand ernst⸗ haft denken kann.

Meine Herren, also derart sind die kleinen Mittel, die der Herr Abgeordnete uns vorgehalten hat, mit denen nach seiner Meinung für das Reichsgericht noch etwas zu machen wäre. Die anderen Mittel hat er vorläufig noch nicht in Vorschlag gebracht. Ich bin gespannt darauf, ob er meiner Bitte, diese Mittel doch auch herauszugeben zu unserer Belehrung, entsprechen wird. Ich erkläre und habe das immer erklärt: wir kaprizionieren uns auf keinen Vorschlag, wir nehmen jeden Vorschlag an, der wirklich wirksame Abhilfe gewährt; ob das die Er⸗ höhung der Revisionssumme ist oder ein anderer Weg, ist uns voll⸗ ständig einerlei. Wir sind auf den von uns gewählten Weg nur gekommen, weil wir unsererseits einen andern Weg nicht zu finden vermochten, und anderseits die Lage des Reichsgerichts eine Ver⸗ minderung der Geschäfte durch irgend ein geeignetes Mittel gebieterisch erheischte.

Meine Herren, ich muß wiederholen, was ich in der Kommission schon gesagt habe, daß in dem Laufe der nächsten zehn Jahre, wenn wir, wie ich hoffe, auch vorher zu einer Revision des amtsgerichtlichen Prozesses kommen und an die hat wahrscheinlich der Herr Staats⸗ sekretär des Innern bei seiner Erklärung gedacht, wenn er sich vielleicht auch nicht ganz präzis ausgedrückt haben sollte, was bei seiner dieser Frage ferneren Stellung erklärlich wäre —, an eine Revision der gesamten Zivilprozeßordnung noch nicht gedacht werden kann. (Hört, hört! links.)

Ich richte an das hohe Haus die Frage, ob man den Niedergang der Verhältnisse beim Reichsgericht zum Nachteil unserer Rechtspflege noch weitere zehn Jahre mit ansehen will oder ob man nicht helfen sollte, diesem Niedergang schleunigst und in wirksamer Weise zu steuern. So hätte auch der Herr Abgeordnete die Frage stellen müssen, und dann wäre sicher auch er zu der Antwort gekommen: es läßt sich die Erhöhung der Revisionssumme zur Zeit nicht mehr verschieben, wir wollen sie annehmen einstweilen bis zur Revision der Zivilprozeß⸗ ordnung im ganzen; dann aber wollen wir überlegen, ob wir die damit gegebene Erschwerung des Weges zum Reichsgericht beibehalten wollen oder ob wir auf sie verzichten können.

Auf diese Bemerkungen beschränke ich mich in diesem Augenblick, die Ausführungen des Herrn Vorredners nötigten mich zu einer so⸗ fortigen Erwiderung. (Bravo! in der Mitte.)

Abg. Bruhn (Reformp.): Wir werden gegen den Beschluß der Kommission stimmen. Es sind verschiedene Vorschläge gemacht worden, und es wäre auch möglich gewesen, auf andere Weise das Ziel zu erreichen. Wir erblicken in der Erhöhung der Revisionssumme eine Schädigung der ärmeren und mittleren Berufsschichten. Bei immer weiter gehender Erhöhung wird es schließlich dahin kommen, daß nur noch reiche Leute an das Reichsgericht gehen können. Vom rein menschlichen Standpunkt aus ist es auch erklärlich, daß ein Richter, der ein Urteil fällt, wenn er weiß, die Sache könne nicht in die Berufungs⸗ instanz kommen, sie nicht so gründlich prüfen wird. Wenn die Kom⸗ petenz der Oberlandesgerichte in letzter Instanz erweitert wird, so wird die Uebung, die jetzt schon besteht, daß die Oberlandesgerichte sich an die Entscheidungen und die Grundsätze der Judikatur des Reichsgerichts nicht kehren, noch vergrößert werden. In Referendarien⸗ kreisen wird schon jetzt darüber gesprochen, daß jedesmal festgestellt wird, ob die Sache revisibel ist.

Staatssekretär des Reichsjustigzamts Dr. Nieberding

Neine Herren! Eine Bemerkung zu demjenigen, was der Herr Vorredner erwähnt hat, und eine zweite Bemerkung noch zu dem⸗ jenigen, was der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) vorhin gesagt hat.

Ich kann meine Erklärung über eine angebliche Differenz zwischen der Auffassung des Herrn Staatsseckretärs des Innern und der meinigen über die Zivilprozeßreform jetzt dahin ergänzen, daß eine solche Differenz überhaupt nicht besteht. Der Herr Abg. Dr. Müller (Meiningen) hat offenbar, wenn er nicht eine andere Stelle des steno⸗

graphischen Berichts ins Auge gefaßt hat, was ich nicht weiß, der⸗ jenigen Stelle, welche hier maßgebend in Betracht kommt, aus den Ver⸗