Herrenhaus.
Der bisher bei dem Hause der Abgeor neten angestellt gewesene Stenograph Rudolf Drews ist zum etatsmäßigen Stenographen bei dem Herrenhause ernannt worden.
Nichtamtliches. Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 1. November.
Der Kaiserliche Gesandte in Bern, Wirkliche Geheime Rat von Bülow hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetreten. Während dessen Dauer werden die Geschäfte der Gesandtschaft von dem Ersten Sekretär, Legationsrat Dr. von Brüning geführt.
Der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika Charlemagne Tower ist nach Berlir zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Botschaft wieder übernommen.
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Laut Meldung des „W. T. B.“ ist der ausreisen de Fähnrichstransport für das Kreuzergeschwader mit dem Reichspostdampfer „Prinz Heinrich“ am 30. Oktober in Port Said eingetroffen und hat an demselben Tage die Reise über Suez nach Aden fortgesetzt.
S. M. Flußkanonenboot „Vaterland“ ist gestern in Tschinkiang eingetroffen und geht morgen von dort nach Schanghai ab.
S. M. S. eingetroffen.
△ * —
„Sperber“ ist am 30. Oktober in Duala
Dentsahe Nolonien.
Der Kaiserliche Gouverneur von Deutsch⸗Ostafrika Graf von Götzen berichtet dem „W. T. B.“ zufolge unterm 30. Oktober: Aus Muanza wird gemeldet, daß ein Ein⸗ schreiten gegen den Sultan Makongolo, zwei Stunden von Muanza, notwendig geworden ist. Die ausgesandte Ab⸗ teilung, bestehend aus 12 Europäern und 24 Askaris, stieß auf Widerstand, bei dem der Feind 25 Tote ve De Sultan soll auf der Flucht ertrunken sein.
SDesterreich⸗Ungarn
8
Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Budapest hat
r leitende Ausschuß der Koalition als Antwort auf das Programm der Regierung eine Erklärung ver⸗ öffentlicht, die besagt:
„Das Programm ist auf Jahrzehnte berechnet, während die Regierung nicht weiß, ob sie eine Partei haben und ob sie auch nur wenige Wochen bestehen wird. Die Verwirklichung Versprechungen der Regierung würde ungeheure Summen verschlingen, die nur mittels großer Steuererhöhungen auf⸗ zubringen sind. Diese Steuererhöhung müßte um so beträcht⸗ licher sein, als auch eine bedeutende Erhöhung der Militär⸗ ausgaben geplant ist, da die Einführung der zweijährigen Dienstzeit, die das Programm ankündigt, sowohl mit einer Erhöhung der Präsenzseärke als auch mit hedeutenden Mehtkosten verbunden ist. Die Reformen, welche die Regierung antündigt, bilden seit Jahrzehnten die Forderungen der Opposition.“
Die Erklärung schließt mit den Worten: „Die ungarische Nation ist nicht so leichtgläubig, um sich durch die Ver⸗ sprechungen der Regierung irreführen zu lassen.“
Frankreich. Der Kreuzer „Léon Gambetta“ mit dem Präsidenten Loubet an Bord ist gestern früh, laut „W. T. B.“, in Marseille eingetroffen.
In der gestrigen Sitzung der Deputiertenkammer be⸗ gründete Gauthier (Nationalist) „W. T. B.“ zufolge einen von ihm eingebrachten Antrag, durch den die Revision der Verfassung verlangt wird, und kritisierte das gegenwärtige parlamentarische Regime. Der Ministerpräsident Rouvier bekämpfte diesen Antrag und betonte, daß die Verfassung Frankreich 30 Jahre inneren und äußeren Friedens gebracht habe. Man dürfe nicht die Verfassung reformieren wollen, sondern die Sitten. Gauthier verlangte sodann für seinen Antrag die Dringlichkeit. Diese wurde mit 396 gegen 154 Stimmen abgelehnt. Die Kammer begann hier⸗ auf die Beratung der Vorlage, durch welche die Stadt Paris er⸗ mächtigt wird, eine Anleihe von 120 Millionen aufzunehmen, um das Gasmonopol einzuführen.
der
Rußland.
Trotz des günstigen Eindrucks, den das Manifest des Kaisers gemacht hat, dauern die Unruhen und der Ausstand fort. Wie das „W. T. B.“ aus St. Petersburg meldet, benutzte die Menge das Erscheinen des Manifestes zu einer Demonstration. Die ganze Nacht zogen große Volksmengen unter Absingung der Marseillaise über den Newski⸗ Prospekt an dem Anitschkow⸗Palais vorüber, über den Liteini⸗ Prospekt nach dem bei dem Bezirksgericht belegenen Unter⸗ suchungsgefängnis, wo revolutionäre Lieder gesungen wurden. Als sie bei der Rückkehr an dem Hause des Oberprokurators des Heiligen Synods Pobjedonoszew vorüberkamen, wurde gepfiffen. An einem Punkte des Newski wurde Halt gemacht, um einen Redner anzuhören, der das Manifest einer Kritik unterzog und aus dessen Ansprache neben der Genugtuung über die Zugeständnisse der Regierung Mißtrauen gegen deren Erfüllung hervorklang. Der Umzug dauerte bis in die vierte Morgenstunde. Gestern abend fanden zahlreiche Versammlungen, auch von Offizieren und Matrosen der Kriegsflotte, statt, die aber ruhig verliefen, weil die Polizei sich fernhielt; nur beim Techno⸗ logischen Institut, wo eine Bombe geworfen wurde, kam es zu einem Zusammenstoß mit dem Militär, welches feuerte und vier Salven gegen die Fenster eines Gebäudes abgab, in dem 83 Studenten versammelt waren. In einem gestern in großer Auflage erschienenen Manifest der sozialdemokratischen Partei wird darauf hingewiesen, daß durch den Kaiserlichen Erlaß der Kampf des Proletariats nicht zum Stillstand komme. Die Taktik des Proletariats habe zu bestehen in der Ausnutzung der unter seinen Schlägen gewährten Rechte, ferner in der Ver⸗ anstaltung von Arbeiterversammlungen zur Entscheidung der Dauer des Ausstandes, sowie in der Organisation einer Miliz zur Wahrung der erkämpften Rechte
und in der Forderung einer Amnestie. Hinsichtlich dieser nicht nur von der sozialdemokratischen Partei gestellten Forderung ist die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ von dem Grafen Witte zu erklären ermächtigt, daß im Justiz⸗ ministerium die Freilassung der wegen politischer Ver⸗ gehen verhafteten Personen, deren Vergehen gegen⸗ wärtig keine Gefahr für die öffentliche Ordnung biete, erwogen werde. Die Frage werde in den nächsten Tagen in einer Ministerkonferenz beraten werden.
In Moskau nahmen, der genannten Telegraphen⸗ agentur zufolge, die Ausständigen freiwillig die Arbeit wieder auf. Auf den Straßen wurden zahlreiche Ver⸗ sammlungen abgehalten; die Reihe der Reden wurde durch eine von dem Rektor der Universität Manuilow gehaltene Ansprache eingeleitet. Hierauf ordnete sich die Volksmenge zu einem Zuge, an dem 10 000 Personen teil⸗ nahmen, und sang patriotische Lieder. Für den Fürsten Trubetzkoi wurde ein Requiem abgehalten. Eine große Kundgebung fand vor dem Hause des General⸗ gouverneurs statt, wo die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert wurde. Als die Menge aus einem Gefängniswagen die Gefangenen befreien wollte, gab der diesen begleitende Polizist Revolverschüsse ab und reizte so die Menge zum Erwidern derselben. Zwei Personen wurden hierbei getötet und zwei verwundet.
Aus der Provinz liefen gestern außer Telegrammen über die freudige Erregung, die das Kaiserliche Manifest hervor⸗ erufen hat, noch Nachrichten über Unruhen und Zu⸗ ae mit den Truppen, die auf die Menge feuerten, ein, so aus Kasan, Kischinemw, Pultawa, Lod und Bialystock. In Riga hat sich der Streik auf sämtliche Fabriken ausgedehnt. Schulen und Theater sind geschlossen, die Eisenbahnverbindung ist unterbrochen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung sind umfassende polizeiliche und militärische Maßnahmen getroffen worden; die Zivil⸗ bevölkerung hat auch den Selbstschutz organisiert. Aus Warschau meldet das „W. T. B.“, daß die Angestellten der Warschau⸗Wiener Eisenbahn gestern in einer großen Ver⸗ sammlung beschlossen haben, im Ausstand zu verharren. In der Stadt herrscht sehr erregte Stimmung; die radikale Agitation erklärt die durch das Kaiserliche Manifest gewährte Verfassung für ungenügend. Auch in Helsingfors dauert der Ausstand fort. Alle Fabriken und Werlkstätten, der Fernsprecher, die Post, die Straßenbahnen und die Eisen⸗ bahnen haben den Betrieb eingestellt. Die Sitzungen des Senats sind eingestellt, die höheren Schulen und die amtlichen Bureaus sind geschlossen, ebenso sämtliche Läden und Banken. Der Stadtrat, der gestern in einer außerordentlichen Sitzung beschlossen hat, seine Sympathie für die politische Streikbewegung auszusprechen, hält es für nötig, daß der Landtag sofort zu⸗ sammenberufen werde, daß Maßnahmen zur Wiederherstellung gesetzlicher Zustände getroffen werden und daß die finnländische Regierung rekonstruiert werde mit Männern, die das Vertrauen des Landes genießen. Nach Abhaltung einer Versammlung begab sich eine Deputation zum Generalgouverneur, bei dem die Senatoren versammelt waren, und verlangte, daß die Senatoren zurücktreten sollten. Der Prokurator hat den Generalgouverneur gebeten, die Behörden möchten sich jeden Ein⸗ greifens in die Ausstandsbewegung enthalten. In Odessa ist die Lage, „W. T. B.“ zufolge, etwas ruhiger geworden. Die Barrikaden sind fortgeschafft. Die Läden wurden geöffnet, und gestern sind, einige Züge angekommen und abgefahren, aber bie öffentlichen Anstalten, die Banken, sämtliche Schulen ucs mehrere Fabriken sind noch gesperrt. Die Stimmung ist aber immer noch sehr ängstlich, da neue Greueltaten gleich den vorgestrigen befürchtet werden, wo vielfach Volksmassen, auch Frauen und Mädchen, von Kosaken und Polizeibeamten geprügelt und mit Gewehrkolben gestoßen wurden, sowie auf Wagen des Roten Kreuzes, die Verwundete fortschafften, und sogar auf Leichenzüge geschossen wurde. Auf die beharrliche For⸗ derung der Munizipalität setzte gestern der Stadthauptmann 85 während der Unruhen verhaftete Kinder in Freiheit. Die Stadt⸗ verwaltung hat zur Unterstützung der Familien der Getöteten und Verwundeten 5000 Rubel bewilligt. Vor dem Palais des General⸗ gouverneurs erschienen gestern etwa 20 000 Bürger. De Generalgouverneur gratulierte ihnen zu dem Kaiserlichen Manifest und rief aus: „Es lebe die Verfassung!“ Die Bürger dankten und baten um Freilassung der Verhafteten und Ent⸗ fernung der Kosaken aus der Stadt. Der Baron Kaulbars versprach sofortige Erfüllung dieser Wünsche.
Der Oberprokurator des Heiligen Synods Pobjedonoszew hat, laut Meldung der „St. Petersburger Telegraphenagentur“, den Kaiser um seine Entlassung gebeten, die dieser durch ein in gnädigen Worten abgefaßtes Reskript und unter Belassung Pobjedonoszews in seinen Stellungen als Mitglied des Reichsrats, Staatssekretär und als Senator auch genehmigt hat. Der Unterrichtsminister, Generalleutnant Glasow ist heute auf sein Ansuchen seines Postens enthoben und zur Verfügung des Kriegsministers gestellt worden. Die Leitung des Unterrichtsministeriums über⸗ nimmt zeitweilig sein bisheriger Gehilfe Lukjanow.
Spanien.
Das neue Ministerium wurde vorgestern, wie „W. T. B.“ meldet, vom Ministerpräsidenten im Senat und in der Deputiertenkammer vorgestellt. .
1— Schweden.
Laut „W. T. B.“ hat der König
präsidenten ein Schreiben gerichtet, in dem er die Minister
auffordert, im Amt zu verbleiben, bis sämtliche die
Auflösung der Union betreffenden Arbeiten er⸗ ledigt sind.
Norwegen.
Nach einer Meldung des „W. T. B.“ reichte der Finanz⸗ minister Gunnar Knudsen in der gestrigen Sitzung des Staatsrats sein Abschiedsgesuch ein, das bewilligt wurde.
„In der gestrigen Vormittagssitzung des Storthings teilte der Minister des Aeußern Lovland, wie „W. T. B ”beri 8 mit, er habe nach der Abdankung des Königs am letzten Sonnabend die auswärtigen Regierungen benachrichtigt, daß Norwegen in amtliche Verbindung mit ihnen zu treten wünsche. Von einer Reihe von Re⸗ gierungen seien bereits zustimmende Antworten eingelaufen. In der Abendsitzung wurden der Antrag der 10 Storthings⸗ mitglieder auf Volksabstimmung über die zukünftige Staatsfaorm mit 86 gegen 30 Stimmen und ein Antrag Foss, wonach eine Volksabstimmung stattfinden sollte, ehe man sich an den Prinzen Karl von Dänemark wende, mit 84 gegen 39 Stimmen abgelehnt. Sodann wurde mit 87 gegen 29 Stimmen der Regierungs⸗ vorschlag angenommen, nach dem die Regierung ermächtigt wird, mit
an den Fanser.
114.“ dem Prinzen Karl von Dänemark darüber zu verhandeln, daß er d Wahl zum König von Norwegen unter der Voraussetzung annehme daß das norwegische Volk durch eine Volksabstimmung seine 3. stimmung zu dem Beschlusse des Storthings und der Regierung gebe
Afrika.
Einer Meldung der „Agence Havas“ zufolge hat de französische Gesandte Fes am 26. v. M. verlassen auf Befehl des Sultans haben ihm Sid Mohammed e Torres und Sid Benou Ghennam bis auf einige Entfernung von der Stadt das Geleit gegeben. Diese höfliche und song ungebräuchliche Kundgebung beweist, daß der Sultan mi den fremden Missionen gute Beziehungen zu unter halten wünscht.
Parlamentarische Nachrichten.
Bei der Ersatzwahl eines Mitglieds des Hauses de Abgeordneten, die gestern im 2. Wahlbezirk des Re gierungsbezirks Koblenz, umfassend die Kreise Altenkirche und Neuwied, stattfand, wurden nach amtlicher Feststellung wie „W. T. B.“ aus Altenkirchen berichtet, insgesam 543 Stimmen abgegeben. Es erhielt Amtsgerichtsre Gerhardus in Limburg (Zentr.) 293 und Gutsbesitze Ofhaus in Ariendorf (Natl.) 250 Stimmen. Ersterer i somit gewählt.
Statistik und Volkswirtschaft.
Die 4. Jahresversammlung des Verbandes deutsche Arbeitsnachweise.
Wie schon kurz mitgeteilt worden ist, wird der Verband deutsch Arbeitsnachweise vom 9. bis 11. November in Wiesbaden seir 4. Jahresversammlung und daran anschließend die Arbeitsnachwei konserenz abhalten. Nach dem Vorbild anderer großen Vereine v öffentlicht der Verband gedruckte Vorberichte, die orientierend für Teilnehmer und richtunggebend für die Besprechungen wirken, auch erhöhtem Maße das öffentliche Interesse für die zu behandelnde Fragen wachrufen. Die Vorberichte zu der diesjährigen Tagung sie soeben als Heft 5 der Schriften des Verbandes der deutschen Arbeit⸗ nachweise bei Karl Heymann in Berlin erschienen (Preis 1 ℳ).
Der Verband zählt jetzt 144 Mitglieder, unter denen, entsprech den ganzen Tendenzen des Verbandes, die gewerbsmäßigen völl fehlen. Die überwiegende Mehrzahl bilden die öffentlichen Arbei nachweise; davon sind 83 städtische, 2 an Gewerbegerichte ang schlossen, 4 von preußischen Landwirtschastskammern geschaffen, und sind Kreisarbeitsnachweise. Die übrigen Arbeitsnachweise sind gemei nütziger Natur, zum Teil stellen sie ganze Verbände dar, wie Deutsche Herbergsverein zu Bethel, der Verband der Arbeitsnach weise in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Liegnitz und der Ver band der Anstalten für Arbeitsnachweis in Baden. Einige anden Arbeitsnachweise sind von Berufsorganisationen ins Leben gerufer wie der der Berliner Brauereien und der des Deutschnational Handlungsgehilfenverbandes. Während bis vor einigen Jahren fee nur Süddeutschland und die Rheinprovinz als Hort des gemeindliche Arbeitsnachweises galten, hat er sich jetzt auch in Norddeutschlan eingebürgert, wie die 23 in dem erwaäͤhnten Heft 5 der Verband schriften mitaufgeführten norddeutschen Arbeitsnachweise zeigen, untt denen Großstädte und Mittelstädte vertreten sind, wie z. B. Bresla Charlottenburg, Erfurt, Cassel, Magdeburg, Königsberg, Bromber Coburg, Gotha, Quedlinburg, Aschersleben, Thale.
Die Verhandlungen des Verbandstages werden sich auf d Arbeitsnachweisverbände und interlokäle Vermittlung die Reklame im Dienste der öffentlichen Arbeitsnach weise, Maßregeln für wandernde Arbeitslose und auf d Arbeitsvermittlung für landwirtschaftliche Arbeite erstrecken. In der nachfolgenden „Konferenz“ wird die Reforn bedürftigkeit des gewerbsmäßigen Arbeitsnachweise besprochen werden.
2, Der Berichterstatter zum ersten Thema, Beigeordneter Dominfen Straßburg i. E., klagt über die Schwierigkeiten, die der inte lokalen Arbeitsvermittelung dadurch bereitet werden, die einzelnen Arbeitsnachweise zu wenig Fühlung miteinond haben, die Vakanzenlisten nicht nach einheitlichen Gesichtspunkten ab gefaßt werden, daß die Nachweisstellen nicht in einzelnen, nach Wir schaftsgebieten abgegrentten Verbänden organisiert sind und daß Fiskus in Reich und Staat noch zu wenig Entgegenkommen zeigt Unentgeltliche Benutzung des Fernsprechers sei zur schnellen A gleichung von Angebot und Nachfrage auf dem lokalen und a wärtigen Arbeitsmarkt ebenso nötig, wie möglichst wohlfei⸗ Beförderung der Stellungsuchenden an den Ort, wo ihnen Arbeit; gesagt ist. Württemberg, Baden, lsaß⸗Lothringen seien in diest Hinsicht den meisten anderen Ländern mit gutem Beispiel vorangegange Der Berichterstatter befürwortet den Erlaß eines Reichsgesetzes, de alle Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern zur Errichtung vo paritätischen, gebührenfreien Arbeitsnachweisen nötigt. Diese sin stufenweise in Verbänden zu organisieren und sollen unter Aufsidh eines Reichsamts stehen.
Ueber die „wandernden Arbeitslosen“ berichtet Pastor a. 2 Mörchen⸗Bethel (Bielefeld), der Vorsitzende des Verbandes de Herbergen zur Heimat. Seine reiche Erfahrung auf diesem Gebiet hat ihn gelehrt, daß die überwiegende Mehrzahl der Wanderer nich aus Arbeitsscheuen, sondern aus Arbeitsuchenden besteht; für diese Arbe zu finden, ist ethisch wie volkswirtschaftlich und sozial eine dringen Pülicht der Gesellschaft. Der notwendig schematisierende Staat kön hier unmittelbar wenig tun — mittelbar, durch Gesetzgebung un Verwaltung, recht viel. Gemeinde und Vereine haben aber hier ei fruchtbares Arbeitsfeld. Obdachlosenasyle, Arbeiterkolonien, Herberge und Arbeitsnachweise können einander noch wirksamer in die Händ arbeiten als bisher.
„Die Arbeitsvermittlung von Ort zu Ort, insbesonde die aufs Land macht offenbar recht gute Fortschritte, wie der Berich von Rat Dr. Naumann⸗Hamburg erkennen läßt. Gerade von Hambun aus wird die holsteinsche und binnenländische Landwirts chaft reichlich m Arbeitskräften versege Von den einzelnen Arbeitsnachweisen des Ver bandes wurden im Jahre 1899 insgesamt 10 000 landwirtschaftlich Stellen besetzt, im Jahre 1901, in dem die Hochkonjunktur in do
Industrie schon vorüber war, bereits 16 660, 1902 fast 30 00
8 nämlich etwas über 27 000. J München fanden im Jahre 1904 die meisten, nämlit 2944 Vermittlungen für die Landwirtschaft statt. Dann folge Kiel mit 2064, Frankfurt g. M. mit 1884, Konstanz mit 1378, Düsseldo mit 1105, Flensburg mit 1040 — alles Striche des landwirtscha lichen Mittel⸗ und Kleinbetriebes. Die Großgrundbesitzer wenden
mit Vorliebe an die Landwirtschaftskammern, die im Jahre 1904 übe 57 500 Arbeiter verschafften; freilich in überwiegender Zahl waren
ausländische Saisonarbeiter. Ob man aus den steigenden Zahlen doe letzten Jahre weitergehende Schlüsse auf ein Nachlassen de Arbeitermangels auf dem Lande ziehen darf, erscheint a fraglich. Jedenfalls haben aber die öffentlichen Arbeitsve⸗ mittlungen den gewerbsmäßigen hier recht großen Abbruch getan Der Berichterstatter hat eine Umfrage an die Verbandsmitgliede betreffs ihrer Beobachtungen über den landwirtschaftlichen Arbeit markt gerichtet, hat aber nur wenig maßgebendes Material erhalte da der Beobachtungskreis der städtischen Arbeitsvermittlungsstell dafür heute noch zu beschränkt ist. Es scheint, als ob in den bäuen lichen Gebieten Süddeutschlands die „Leutenot“ jetzt auf die Ernty monate beschränkt sei und als ob Lõ im allgemeinen etw höher seien als früher. “
und 1904 wieder weniger,
sicherung
und der Umgegend beschloß, der
Im Neubau des Kunstgewerbemuseums ist nunmehr
1 . 4 8 en gewerbsmähigen Arbeitsnachweis will der Verband nachdrüchlich bekämpfen. Der Referent Dr. Franz Ludwig⸗ Lübeck befürwortet die völlige Ausschaltung der privaten Stellen⸗ vermittlung durch ein Reichsverbot. Es wird abzuwarten sein, welche Stellung der Verband zu dieser radikalen Forderung einnehmen wird. Wenn auch die Verhandlungen und die Veröffentlichungen des Verbandes sich in erster Linie nur mit der Arbeitsvermittlung befassen, so führen die Untersuchungen doch ganz unaufhaltsam zur Behandlung des ganzen Problems der Fürsorge für die Arbeitslosen hin. Die rage, ob und inwieweit gegen die Arbeitslosigkeit, diese traurige Er⸗ cheinung des modernen Wirtschaftslebens, auf dem Wege der Ver⸗ wird vorgegangen werden können, dürfte die öffentliche
cg
Deutschland in der nächsten Zukunft lebhaft beschäftigen.
Zur Arbeiterbewegung “ “ Eine öffentliche Versammlung der Stukkateur Berlins „Voss. Ztg“ zufolge, am Montag, zur Durchführung der „Fensterfrage“ (verschließbare Fenster Pei Neubauten ꝛc) in eine allgemeine Bewegung einzutreten; auf allen Bauten, die den Anforderungen nicht entsprechen, soll die Arbeit niedergelegt, werden. Unter dem 24. Sepiember 1.„ J. it an alle in Frage kommenden Arbeitgeber seitens der Organisation ein Rundschreiben gerichtet, in dem auf die Fensterfrage Bezug ge⸗ nommen und darauf hingewiesen worden ist, daß vom 1. November ab laut Tarifvertrag die Bestimmungen darüber Geltung haben und die Arbeiter gewillt sind, dieser Frage Anerkennung zu ver⸗ schaffen. — Im Berliner Bäckergewerbe steht nach demselben Blatt ein neuer Lohnkampf für das nächste Jahr bevor. In einer estern abend abgehaltenen Massenversammlung der Berliner Bäckereiarbeiter, die zum Zweck der Vorbereitung für den neuen Küͤmpf vom Verband der Bäcker und Berufsgenossen Deutschlands einberufen war, wies der Verbandsvorsitzen de Allmann⸗Hamburg darauf hin, daß der im Berlirer Bäckergewer be nach dem letzien großen Ausstand abgeschlossene Tarif im kommenden Jahre abläuft. Die Berliner Bäckerinnungen hätten die Parole ausgegeben, den Tarif nicht zu erneuern; schon jetzt werde er nur noch von einem kleinen Bruchteil der Meister ein⸗ gehalten und diese würden wahrscheinlich nach dem Ablauf seiner Gultigkeit auch ohne Tarif arbeiten wollen. Der Verband der Bäcker aber wolle im nächsten Jahre die Arbeiter mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zwingen, in allen Berliner Betrieben einen einheitlichen Tarif einzuführen. Der neue Kampf werde sich mit allem Nachdruck gegen die beiden Berliner Innungen richten. Den Winter hindurch sollen von der Berliner Ortsgruppe des Bäcker⸗ verbandes weitere vorbereitende Versammlungen abgehalten werden-
In Roanne (Separt. Lotre) sind, wie der „Rh⸗Westf. Ztg.“ telegraphiert wird, die Arbeiter der Baumwollfärbereien in den Ausstand getreten. Eine Menge Ausständiger versammelte sich Montagabend vor der Färberei Zerbay und feuerte gegen diese mehr ere Schüsse ab, die von Leuten des Fabrikanten erwidert wurden. Ein 8,1 wurde verwundet. Gendarmen stellten die Ordnung wieder her.
In Malmo ist, wie „W. T. B.“ meldet, der Ausstand der Arbeiter auf den Gaswerken gestern durch ein Uebereinkommen beendet worden. (Vgl. Nr. 255 d. Bl.) .
Kunst und Wissenschaft.
auch die Freiherrlich von Lipperheidesche Kostümbibliothek in stattlichen Räumen aufgestellt und von heute ab der Benutzung zu⸗ gänglich. Diese einzigartige Sammlung, die Freiherr von Lipperheide geschaffen und dem Staate geschenlt hat, hatte das Museum bisher aus Platzmangel nur in Mietsräumen unterbringen können. Jetzt füllt sig in dem N⸗ubau das ganze Erdgeschoß des Bibliothekflügels. Dort sind die 12 000 Bände und 30 000 Einzelblätter ihrem Wert entsprechend in schönen Schränken weiträumig aufgestellt. Im Anschluß an den Lese⸗ und Arbeitsraum, der wochentäglich von 10 bis 1 Uhr Wor⸗ mittags sowie Dienstags und Freitags, Abends von 6 bis 8 Uhr, geöffnet ist, ist Gelegenheit für wechselnde Ausstellungen aus den reichen Blattsammlungen geschaffen. Mit dem Einzug in die neuen Räume ist auch der gedruckte Katalog der Bibliothek fertiggestellt worden, der für alle Zweige der Kostümkunde, die Geschchte der Trachten, die Mode und die Konsektionsarbeit reiches Material nach⸗ weist. Es ist zu erwarten, daß diese großartige Schenkung im Sinne ihres Stifters ven allen Fachkreisen und Interessenten eifrig benutzt werden wird.
8 Land⸗ und Forstwirtschaft.
Vergleiche zwischen den Vegetationsverhältnissen in Deutsch⸗Südwestafrika und Algier.
Der seit Jahren im Dienst des Kaiserlichen Gouvernements von Südwestafrika stehende Botaniker Dinter hat im Juli und August d. J. im amtlichen Auftrage eine Studienreise nach Algier ausgeführt. Seinem über diese Reise erstatteten Bericht entnimmt das „Deut sche Kolonialblatt“ folgende, die Vegetationsverhältnisse Algiers und üd⸗ westafrikas vergleichende Stellen:
Auf der von dem Städtchen Affreville nach Teniet el Haad in einem Omnibus zurückgelegten Fahrt verlassen wir zwischen Les Puits und Pont du Kaid die fruchtbare Cheliffebene. Die Straße steigt am Ued⸗Massiv zwischen Lentikcusgebüsch und mit Aleppokiefern be⸗ deckten Hügeln hinan. Callitris quadrirukos, hier stets Thuja ge⸗ nannt, beginat auf den trockenen Hügeln immer häufiger zu werden, ebenso die Oliven, die hier im wilden Zustand forstbildend auftreten, Je höher wir kommen, desto häufiger werden die Prachtexemplare von Pistacea Terebinthus mit 2 bis 3 Fuß dickem Stamm und runder dichter Krone, desgleichen Mandelbäume mitten in den die Hügel bedeckenden Gerstenfeldern; es sind Wildlinge, die von den Besitzern nach und nach veredelt werden. Zwischen dem vierten und dem fünften Halt ist Callitris am häufigsten und schönsten, piele Exemplare bis 8 m hoch mit über fußdickem Stamm. Callitri= ist eine für Algerien wertvolle Konifere; ich sah vom Waldfeuer getötete Stämme, die schon wieder meterhohen Ausschlag aus dem Stock getrieben hatten; dann nimmt dieser Baum mit den trockensten und sonnendurchglühtesten Standorten vorlieb. Bei dem Mangel an Nutzhölzern in Südwestafrika ist Gallitris trotz ihres langsamen Wachstums eine nicht zu unter⸗ schätzende Erwerbung zur Bedeckung unserer kahlen Hügel, besonders um Windhuk herum, wo sich der Holzmangel schon seit Jahren un⸗ angenehm fühlbar macht. Leider waren die Früchte noch ganz umreif, sodeß ich nicht sogleich selbst Samen sammeln lassen konnte; sie sind indessen jederzeit durch Vermittlung des Inspecteur des Eauek et Forêts in Miliana zu beziehen. Sehr geschätzt sind die Wurzelstöcke der Callitris bei den Drechslern; außerdem ist sie die Lieferantin des Sandarakharzes. Nach etwa sechsstündiger Fahrt mit dreimaligem Pferdewechsel hatten wir den 59 km langen Weg bis Teniet exl Daad bei 1000 m Steigung überwunden.
Der berühmte Cedernwald bedeckt im 14 km Entfernung westlich von Teniet el Haad einen hufeisenförmigen Gebirgszug, dessen Grat zwischen 1400 bis 1700 m Höhe schwankt. Mit sehr guten Mugen kann man einige exponiert stehende Cedern von Teniet aus chon erkennen. Ich machte mich am Morgen nach meiner
inkunft mit einem jungen Araber auf den Weg. Auf ab⸗ kürzenden Wegen ging es über Wiesen mit schöner und interessanter Kompositen⸗ und Umbelliferenvegetation (Carlina Sp. Sp., Pyanomon Acuna, Eryngium, Echinops, Scolymus usw.) hinan. Der Eindruck der Landschaft war genau der der Eeevoralpen. Nach einer Stunde guten Marsches hatte ich den Parasol, eine wegen ihrer Schirmform so genannte, auf einem Felsen isoliert ste hende Ceder, erreicht. Die Cedern wurden immer häufiger, zuerst F mit Quercus Ilex, höher binauf mit Quercus Mirbeckii und Qu. Suber, in höͤeren Lagen wurde der Bestand immer reiner. Der gute, schwarze, aber ziemlich schwere Waldboden war durch die Trockenheit vielfach tief zerrissen. Die Cedern waren eben
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im Begriff zu blühen, vorjährige weibliche Zapfen sah ich nur an einer Stelle, doch unerreichbar hoch. Nach etwa dreistündigem Marsche durch den 1500 ha großen Cedernwald kamen wir beim Forsthaus „Le rond point des Cidres“ an, einem unbeschreiblich schön unter einer mächtigen Cederngruppe gelegenen Gehöft in 1450 m Höhe. Der Förster gab mir bereitwilligst alle mögliche Auskunft über das Klima des Cedernwaldes sowie über die Ceder selbst. Ich war nicht erstaunt zu hören, daß im Wald im Winter oft über 1 m Schnee liegt und ihn stellenweise völlig ungangbar macht, sowie daß die Kälte oft 10 ° C. beträgt, da mir die Leute in Teniet schon erzählt hatten, daß dort bei 1120 m. Höhe sogar meterhoher Schnee länger als eine Woche liegen bleibt. Da die Ceder sehr leicht keimt, so legt man keine Cedersaatkämpe an, sondern lockert nur auf Blößen ein wenig den Boden und steckt die Samen an Ort und Stelle. Auf dem ganzen Wege hatte ich zu taufenden an den verschiedensten Stellen, besonders auch auf den hart⸗ getretenen Wegen Cedern gefunden, die im vergangenen Frühjahr ge⸗ keimt hatten. Auf meine Bitte erhielt ich einen Sack vorjähriger Cedern⸗ zapfen, welche 400 g reinen Samen ergaben. Ich halte die Ceder, speziell die Atlascecer, für eine der wenigen Koniferen, die mit ziemlicher Aussicht auf Erfolg auf den Glimmerschiefer⸗ hügeln in und um Windhuk angebaut werden können. Salz verträgt die Ceder entschieden nicht; bei der Anzucht in den bei uns üblichen Konservenbüchsen sammelt sich in der Erde trotz der guten, durch Löcher und Kieselschicht hergestellten Drainage nach kurzer Zeit zu viel Salz an, welches den Tod vieler Pflanzen herbeiführt. Ein Versuch mit dem Ausstecken von Cedernsamen an den Glimmerschieferhügeln Windhuks bietet ziemliche Garantie auf Erfolg, wenn diese Arbeit nach dem ersten starken Regen vorgenommen wird, da auf diesen Hügeln die durch die Verwitterung des Glimmers und Feldspats freiwerdenden Alkalien durch jeden Regen hinabgespült werden, sich aber nie ansammeln können. Den besten Beweis für das Nichtvorhandensein von schädlichen Alkalien bietet das regelmäßige Vorkommen dreier Farnarten an diesen Orten. Alkalien aber sind der größte Feind aller Farne. 8
Auf der Eisenbahnfahrt nach Blida durch das Gebirge zwischen der Cheliffebene und der Metidschaebene waren mir am interessantesten die massenhaft im Callitriswalde wildwachsenden Olivenbäume, von denen erst kürzlich tausende veredelt worden waren; denn die ge⸗ pfropften Aststümpfe waren noch mit den schützenden weißen Leinwandlappen umwickelt. Der Reichtum des ganzen Landes an großen, alten, nicht gepflanzten, sondern wildwachsenden Oliven ist außerordentlich und beläuft sich auf viele Mil⸗ Uonen. Professor Trabut sagte mir, daß die an wilden Oliven — Veredelungen schon nach dem zweiten Jahre einen ungefähr bikmetergroßen Besen bildeten und sich die Arbeit des Veredelns schon im zweiten oder dritten Jahre bezahlt gemacht habe. Auch in Südwestafrika besitzen wir wildwachsende Oliven, eine der europäischen außerordentlich nahe verwandte Art, welche sicher mit Vorteil mit guten Sorten europäischer Oliven veredelt werden kann. Ich fand diese wilde Olive, die ja nur liausterbeerengroße Früchte gibt, in Menge in den Schluchten der Südseite der Auasberge, auf Farm Hoffnung (Siedlungsgesellschaft) am Omatako, bei Otjinene, Otawi, Grootfontein usw.
In der Dase Biskra widmete ich mich dem Studium der dortigen Dattelvalmenkultur. Ein breiter Bach, welcher der sehr stalken Quelle 2 km oberhalb der Stadt am Qued Biskra entspringt, dient der regelmäßigen Bewässerung. Im Süden der Stadt erstreckt sich lärgs der beiden Ufer des Oued Biskra die etwa 150 000 Palmen jählende Oase, die außerdem noch an 5000 Oliven, sehr viele Feigen⸗, Pfir sich⸗ und Aprikosenbäume enthält. Der Boden ist überall fehr steifer Lehm, derselbe, aus welchem die Häuser der Araber von Alt⸗Biskra sowie die Mauern um die einzelnen Dattelgärten gebaut sind. Jede Dattelpalme ist von einer Grube umgeben, die ½ bis 1 chm Passer hält, aus welcher ein Graben das hineingeleitete Wasser zur näöchsten Palme führt, sobald die Grube voll sst. Diese Bewässerung wird jede Woche einmal vorgenommen. Jeder Dattellandbesitzer hat nach der Größe seines Grundstücks das Wasserrecht für eine entsprechende Anzahl Stunden pro Woche; Streitigkeiten wegen des Wassers, die oft zu Prozessen führen, kommen natürlich vor. Ich sah eine Anzahl neuangelegter Dattelgärten, die Stecklinge fingen eben zum großen Teil an zu treiben. Sie werden als acht⸗ bis zehnblätterige Schosse, die an der Basis des Stammes bei alten Dattelpalmen oft in großer Anzahl austreiben, abgehackt und die Wunde abgesägt oder glatt⸗ geschnitten. Meist haben die Stecklinge von dieser Stärke schon einige eigene Wurzeln, sodaß die durch das Verpflanzen entstehende Wachs⸗ tumspause nur kurz ist. Damit die glühende Sonne die schlecht oder ar nicht bewurzelten Stecklinge nicht so rasch verzehrt, werden die Blätter in die piassavaähnlichen Fasern, die am Grunde der Blätter dem alten Stamm anliegen, von unten bis oben eingewickelt, die Stecklinge dann in den tief umgearbeiteten Lehmboden gepflanzt und nach dem Pflanzen sofort sehr stark bewässert, welche Arbeit bis zum Treiben der Stecklinge zweimal in der Woche vorgenommen wird. Daß die Pflanzen sich zu bewurzeln begonnen haben und Blätter zu treiben anfangen, sieht man an den faustgroßen, sich hebenden Lehmklumpen, die oben auf die zusammengebundenen Blätter aufgeklebt werden. Ist das geschehen, so wird nach einigen Wochen die Bastumhüllung abgenommen, und die Pflanze bedarf fortan keiner weiteren Pflege, als daß sie wöchentlich einmal bewässert wird und die alten abgestorbenen Blätter abge⸗ schnitten werden. Die Pflanzweite der Stecklinge beträgt in den alten Dattelpflanzungen der Araber etwa 5 m. Sie variiert indessen oft beträchtlich, da die Araber nicht nach der Schnur pflanzen. stehen die Palmen noch viel enger; so habe ich viele Palmen in Biskra und Sidi Okba gesehen, bei denen man den Wurzelausschlag zu starken tragenden Pflanzen hatte auswachsen lassen. Gruppen von vier aus einer Wurzel entsprungenen Palmen, die alle gleich reichlich tragen, sind etwas sehr Gewöhnliches. Leroy, der Direktor der Biskra⸗ und Oued Rir⸗Gesellschaft, dessen wertvolle Bekanntschaft ich machte, war indessen der Ansicht, daß man nicht dichter als 6 ¾ 6 m pflanzen solle. Die Besonnung der Fruchttrauben soll, besonders in den höheren Lagen, möglichst in⸗ tensio sein, damit die Datteln schneller reifen; dazu trägt auch sehr das Abschneiden toter, sonneauffangender Blaͤtter bei. So viel ist sicher, die durchschnittliche Jahreswärme ist in dem Algerien südlich vom Atlas bedeutend größer als in dem größten Teile unserer höher gelegenen südwestafrikanischen Kolonie, trotzdem wir dem Aequator um 10 Grad näher liegen, um so nöͤtiger die größere Pflanzweite bei uns. Direltor Leroy sagte mir, daß es in Tuggurt, Hurlana Mravyer, viel südlicher gelegenen Oasen, noch bedeutend wärmer sei als in Biekra; und 88” habe ich vom 4. bis 11. August eine viel größere Hitze ausgestanden, als ich sie irgendwo in Südwest⸗ afrika erlebt habe, mit Ausnahme des Swakoptals. Diese enorme Hitze ist unerläͤßlich für die beste aller algerischen Datteln, die Deglet⸗ nur, die einzige Dattelsorte, welche der größte Dattelhändler in Biskra, Herr Colombo, aufkauft für den Export. Die zeitigsten Dattelsorken Algeriens, Reschté und Amaraya, kommen für die Kultur in Südwestafrika hauptsächlich in Betracht, während die spätreifenden Sorten (Deglet⸗nur, Mrars und Tendela) sich nur für die allerwärmsten Punkte eignen. In Algerien gibt es außer den obengenannten Sorten, welche „Weiche Datteln“ heißen, noch eine Anzahl sogenannter „Trockendatteln“, die indessen nur dem Konsum im Lande selbst dienen, in reifem Zustande trocken, mebhlig und wenig süß sind und außerdem sehr spät reifen. Uebrigens sollen Weichdattelsorten in ungenügend warmem Klima Trocken⸗ datteln liefern. Außer diesen im ganzen Lande bekannten Dattelsorten, die durch Stecklinge vermehrt werden, gibt es noch eine Unmenge aus Samen entstandener Varietäten und Kreuzungen, die ineinander übergehen und die zu benennen unmöglich ist. Jede Oase besitzt außer den allsemein verbreiteten und bekannten Sorten noch eine Anzahl dieser Varietäten und Bastarde. Mit Ab⸗ sicht wird die Dattelpalme nie aus Samen gezüchtet, indessen läßt man von selbst aufgegangene Sämlinge stets stehen, da die Früchte dieser Wildlinge, wenn ch wegen der Un leichmäßigkeit ihrer Qualität
Oft
zum Export ungeeignet, doch für den Konsum im Lande selbst genügen. Leroy riet mir, in Anbetracht der für Stecklinge schwierigen Transport⸗ verhältnisse, dem Schutzgebiet die Anzucht aus Samen zu empfehlen. Ich fand bei ihm eine Bestellung des Gouvernements von Südwest⸗ afrika, die ich schon auf dem Kaiserlichen Generalkonsulat in Algier gesehen hatte und über die ich mit ihm eingehend sprach.
Er saßte mir, daß die Beförderung von Stecklingen jetzt unmöglich sei, da die Bestellung gerade in der eit ihrer Vegetation eingelaufen war; sie könnten erst in der Winterruhe
am Ende des Jahres befördert werden. Das Sicherste würde unter
allen Umständen sein, die Stecklinge erst in Algerien ein Jahr lang in etwa 1 Kubikfuß großen Kistchen zu kultivieren und sie mit einem guten foliden Ballen zu transportieren. Diese Art des Traneports würde allerdings sehr kostspielig werden, aber man würde nicht 1 v. H.
Verlust haben. Professor e hat vor einigen Jahren eine Anzahl Dattelpalmen auf diese Weise von Biskra nach Arizona mit gutem Erfolg transportiert, bei einer späteren Gelegenheit aber, die eben von den Mutterpflanzen abgelösten Stecklinge in die braune, die alten Palmenstämme umgebende Faser einwickeln lassen und so, in Kisten verpackt, mit fast ebenso gutem Erfolg nach Arszona gebracht, wobei er nur 3 v. H. Verlust gehabt hat. Die Reise nach Deutsch⸗Südwestafrika ist nicht viel länger, indessen wegen des mehrmaligen Umladens (Algier oder Philippevpille, Marseille, Hamburg) umständlicher. Uebrigens ist die schon früher vom Gouvernement in Windhuk gemachte Stecklings⸗ bestellung aus Algerien in leidlich gutem Zustande in Ukuib im Swakoptal angekommen. Ich bat Herrn Lerov, die bestellten Dattel⸗ kerne (100 kg), sobald sie erhältlich sein würden, sofort abzusenden, damit sie beim Beginn des Sommerbs, wenigstens aber bis Ende De⸗- zember, in Südwestafrika ankämen und noch im selben Sommer ein
e Aussaat in Töpfe beiw. Konservenbüchsen gemacht werden önne. 8 Der Umstand, daß die Dattelreife in Deutsch⸗Südwestafrika gerade in den Sommer (Regenperiode) fällt, hat wenig oder nichts für den Erfolg zu bedeuten, so sehr man auch in Algerien währen
des Reifens der Früchte lang anhaltende Regen und trübe Witterun
fürchtet; in Südwestafrika sind sehr schne
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denn die Regenfaͤlle in vorübergehend und drei Tage bedeckten Himmels, ohne daß die Sonne zum Vorschein käme, eine große Seltenheit, insbesondere aber in dem Distrilt, den ich von jeher als den aussichtsreichsten für Dattelkultu angesehen habe, nämlich das Swakopbett von Otjikango (Barmen) abwärts bis etwa nach Salem. Indessen auch in Omaruru gedeiht di Dattelpalme vorzüglich; ich sah dort im Missionsgarten mehrere Exemplare deren eines gut vier Zentner Datteln trug (eine aus Samen gezogene Weichdattelpalme), während ich in Biskra das Fruchtgewicht der best⸗ tragenden Palme auf nicht höher als zwei Zentner zu schätzen wag Hierbei ist zu erwähnen, daß die Zahl der oft zwölf weiblichen Blütenstände durch Abschneiden auf sechs oder sieben in Algier reduziert wird, da sich bei Entwickelung aller Fruchttrauben der Baum zu seh erschöpfen und im nächsten Jahre eine sehr unbefriedigende Ernt eben würde. In betreff der Befruchtung der Dattelpalme sagte mir eroy, daß bei künstlicher Befruchtung für 100 weibliche Palmen eine männliche ausreichend sei. Das ist eben der Uebelstand de Dattelkultur aus Samen: Man erhält eine überflüssige Men männlicher Pflanzen, die unproduktiv sind und unnötig Platz wegnehmen. Das zukünftige Geschlecht läßt sich eben leider nicht am Samen erkennen, obwohl manche Araber diese Fähigkeit zu besitzen meinen. Wir wissen noch nicht einmal, ob da Geschlecht überhaupt schon in dem Samen vorgebildet ist, oder ob aus ihm je nach Behandlung und Bodenart eine männliche oder weibliche Pflanze hervorgehen wird. Ich habe nirgends erfahren können, weder aus dem Munde von Arabern noch aus der Literatur, ob bei einer Aussaat die Zahl der männlichen die der weibliche Bäume überwiegt oder umgekehrt, oder ob sie ungefähr dieselbe für jedes Geschlecht ist. Wilde Dattelwälder, an welchen man das natürliche prozentische Verhältnis erkennen könnte, gibt es nicht; und die Annahme, daß Phoenix sylvestris Coxb. in Indien wahrscheinlich der Vater der Kulturdattel⸗ alme sei, ist nicht zu beweisen. Jedenfalls dürfen wir schließen, daß, falls man dem Walten der Natur das Streben nach Zweckmäßigkeit zuerkennen will, die Zahl der männlichen Exemplare höchstens ebenso groß, wahrscheinlich aber kleiner als die der weiblichen sein wird. Wir müssen uns also mit dem Gedanken vertraut machen, im ersten Stadium extensiver Dattelkultur einer Unzahl von Pflanzen Pflege und Sorgfalt widmen zu müssen, die sich nach etwa acht⸗ bis zehn⸗ jähriger Kultur als wertlose Männchen herausstellen werden und bis auf etwa zwei oder drei aufs Hundert weiblicher Pflanzen werden herausgerissen werden müssen, um ihre Plätze mit Steck⸗ lingen weiblicher Palmen besetzen zu können. Die künstliche Be⸗ fruchtung, welche bekanntlich dadurch bewirkt wird, daß einer der fuß⸗ langen männlichen Blütenzweige (75 bis 200 an einer Infloreszenz) innerhalb eines eben aufplatzenden weiblichen Blütenstandes angebunden wird, ist sehr bequem für den schwarzen Arbeiter, solange die weiblichen Palmen zwar schon reichlich blühen, aber eben erst Stamm zu bilden beginnen. Schwierig wird die Sache aber, sobald die weiblichen Blütenstände vom Boden aus nicht mehr erreichbar sind. Die unteren Fiederblättchen der Dattelwedel sind zu sehr steifen gefährlichen spießigen Dornen umgewandelt, zwischen welchen sich, wie mir Leroy sagte, der arabische Pflanzungsarbeiter mit nackten Füßen ohne Gefahr bewegt. Unsere ungeschulten Schwarzen würden sich bei dieser Arbeit die Füße schwer verwunden, wenn man sie nicht vor solchem Unfall dadurch schützen würde, daß man die zu Dornen umgewandelten Fiederblättchen einfach mit Heckenschere oder Hippe beseitigt. Da die Dattelpalme jährlich nur ein Dutzend neuer Blätter treibt, ergäbe das einen Zeitaufwand von jährlich einer halben Stunde pro Baum. Daß die arabischen Dattelgärtenbesitzer das nicht tun, hat seinen Grund weniger in der Bequemlichkeit als in der Ueberzeugung, daß Diebe in finsterer Nacht ohne Gefahr für Gesicht, Hände und Füße sich unmöglich in den dornenstrotzenden Palmenkronen bewegen können; denn daß viel gestohlen wird, beweisen die häufigen Flintenschüsse, auf die mich Leroy aufmerksam machte, als wir Nachts vor einem arabischen Café saßen. Ich schilderte Leroy die Boden⸗ und Wasserverhältnisse der für Dattelkultur in Frage kommenden Alluvial⸗ flächen des Swakoptals, und er stimmte meinem Urteil über die günstigen Aussichten der dortigen Dattelkulturanlagen bei. Ich er⸗ warte, daß die Wärmeverhältnisse des Swakoptales auch für die spät⸗ reifenden Dattelsorten völlig ausreichend sein werden. Bei Stecklingspflanzung erreichen die Palmenwurzeln schon nach dem zweiten oder dritten Jahre das dort nur 2 bis 6 m tiefe Grund⸗ wasser und brauchen keine künstliche Bewässerung mehr. Zwei Tage vor meiner Abreise von Biskra nach Constantine sah ich auf dem Markte die ersten reifen Datteln der Reschti⸗Sorte, doch waren sie noch sehr teuer, 10 Stück für 1 Sou. Die Fabrikation von Dattel⸗ schnaps scheint in Biskra eingestellt worden zu sein. 8. In den Anlagen von Biskra ließ ich noch 5 kg eben reif⸗ gewordener Samen von Fraxinus kabylica sammeln, einem vorzüg⸗ lichen Nutzholzbaum, der in Algerien überall üppig gedeiht und seine Existenzbedingungen auch bei nicht zu tiefem Grundwasser in Süd⸗ westafrika finden wird. Eine große Kuriosität Biskras, nämlich eine sich in zwei Aeste teilende Dattelpalme, deren jeder sich wieder in drei Aeste teilt, will ich nicht unerwähnt ! ssen; sie steht in einem der Garnison gehörigen Dattelgarten. 1“
8 8 Verkehrsanstalten.
Für Briefsendungen nach Kurland (mit Ausschluß von Polangen und Libau), nach Livland, Estland und nach dem Gouvernement Kowno bietet sich auch eine Beförderungsgelegenheit über Laugkzargen —Tauroggen und von da ab auf dem Landwege. Der Abgang der Landpost von Tauroggen erfolgt täglich um Mitter⸗ nacht im Anschluß an den Zug aus Berlin 24 Stunden vorher um 11,29 Abends. Beförderungsdauer Berlin —Riga 60 Stunden, Tau⸗ roggen —Riga 36 Stunden. Nach Riga, Livland und Estland werden außer dieser Verbindung auch die bereits mitgeteilten Dampfschiff⸗ verbindungen von Kiel, Lübeck und Stettin benutzt.