1905 / 283 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Dec 1905 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag.

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3. Sitzung vom 30. November 1905, 1,20 Uhr (Bericht nach Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Tagesordnung: Interpellation Albrecht u. Gen., betreffend die Fleischteuerung.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer des Blattes berichtet.

Abg. Scheidemann (Soz.) fortfahrend: Ich verweise ferner auf die Inserate, in denen nicht allein fettes Pferdefleisch, sondern auch⸗ Hundefleisch angeboten wird. Die erwähnte Denkschrift ist ein länzendes Muster im Sinne der Herren Agrarier. Es werden darin

utachten der Landwirtschaftskammern angeführt, worin es u. a. heißt, daß zukünftig ein Mangel an Schlachtvieh nicht zu befürchten sei und diese Auffassung dem Bilde entspreche, das sich das Ministerium von der Sachlage gemacht hat. Es scheint also, als ob die Auskünfte nach der Richtung gewünscht wurden, daß sie dieses Bild bestätigten. Es wird zwar in der Denkschrift zugegeben, daß der Viehbestand einen Rückgang erfahren hat im Verhältnis zur Zunahme der Bevölke⸗ rung, es wird aber behauptet, daß das Rindfleisch auf den Kopf der Bevölkerung eher zu⸗ als abgenommen hat. Das erinnert an die Schrift von Kant „Ueber die Macht des Gemüts“, wo nach⸗ gewiesen wird, daß man mit Willenskraft schmerzliche Dinge über⸗ winden kann, so daß man sich einbilden kann, Zahnschmerzen seien ein wunderschönes Gefühl. Es heißt ferner in der Denkschrift, daß zwar der Bestand an Vieh nicht mit der Zunahme der Bevölkerung gleichen Schritt gehalten habe, daß aber das Manko durch die Verbesserung des Materials ausgeglichen worden sei. An anderer Stelle in der Denkschrift heißt es aber, daß im ganzen der Gewichtsrückgang bei Rindern auf 2 %, bei Schweinen auf 3 % angenommen werden könne. Das zeigt, wie tendenziös die ganze Geschichte gemacht ist. Die Schlächtermeister haben ja festgestellt, daß das Vieh in den letzten Jahren nicht besser, sondern gerade minderwertiger geworden ist. Die agrarische Presse bestreitet die Viehnot, weil auf den Vieh⸗ höfen so und so viel rückständig bleibt und nicht verkauft wird. Der Grund ist, daß das Vieh so schlecht war, daß die Schlächter es nicht gebrauchen konnten. Die Denkschrift macht das inter⸗ essante Zugeständnis, daß es gerade dem armen kleinen Bauers⸗ mann, der vorzugsweise Viehzucht treibt, durch die Futter⸗ knappheit unmöglich gemacht ist, sein Vieh durch den Winter hindurchzubringen; es sind ihm eben die Futtermittel durch die agrarische Zollpolitik in unerhörter Weise verteuert worden, und es beläuft sich auf Millionen, was nach dem neuen Zolltarif die kleinen Bauern und Viehzüchter dafür werden auf⸗ dringen müssen. Im Vergleich des dritten Quartals von 1904/05 ergibt sich nach der Denkschrift, daß der Fleischbeschau weniger unterworfen waren 38 000 Rinder, 48 000 Schafe, 44 000 Kälber, 265 000 Schweine, dagegen mehr Hunde 81 und Pferde 2800. Die Preise für Schweinefleisch sind in Berlin nach der Denkschrift in die Höhe gegangen bis auf 1,15 pro Pfund. Seit Monaten aber steht der Schweinefleischpreis nicht bloß in Berlin, sondern in zahlreichen Städten auch höher als 1 ℳ. Alles in allem steht fest, daß eine Fleischnot besteht. Die heimische Viehzucht kann den Bedarf nicht decken, die Grenzen sind gegen ausländisches Vieh und Fleisch abgesperrt und diese Sperrung durch das Fleischbeschau⸗ gesetz noch verschärft; das Fleischbeschaugesetz ist es, welches die Kompottschüssel für die Herren Agrarier zum Ueberlaufen gebracht hat. Daß Herr von Podbielski nein gesagt hat zu den Wünschen und Bitten der Bevölkerung, wird niemand wundern, aber die Art und Weise, wie er es tat, wie er bei opulentem Mahle, vielleicht beim dritten oder vierten Gange erklärte: „Eine ö gibt es nicht!“ hat im ganzen deutschen Volke die größte Entrüstung hervorgerufen. Es ist doch allgemein bekannt, daß der Herr von Podbielski auch ein großer Schweinezüchter ist; wie kann ein solcher Mann, der doch als objektiver Beurteiler gar nicht anzusehen ist, in dieser Frage über⸗

haupt auch nur angerufen werden? Ich bin der festen Ueberzeugung, daß

in einem Lande, wo das Parlament mehr Recht und mehr Rückgrat hat wie in Deutschland, Herr von Podbielski keine 24 Stunden mehr Mi⸗ nister sein würde. (Vizepräsident Graf zu Stolberg hat sich er⸗ hoben) es gibt keine Gelegenheit zu einem Ordnungsruf, Herr Präsident. Die Art und Weise, wie Herr von Podbielski sich in dieser Frage be⸗ nommen hat, hat ihn in eine ganz unhaltbare Stellung gebracht. Er hat ja der Sozialdemokratie die Ferkel liefern wollen, wenn sie sich mit Schweinezucht befassen wollten. Das liegt nun zwar außerhalb des Rahmens unserer Partei, aber wenn wir Schweine züchten wollten, so würden wir die Ferkel nicht von Herrn von Podbielski beziehen, sondern eher noch vielleicht von der Firma Tippelskirch Wenn jemand ein so persönliches Interesse an dem Steigen des Schweinepreises hat, so kann man es wohl derstehen, wenn er sich gegen die Oeffnung der Grenzen sträubt. Der Herr Reichskanzler seinerseits hat nun um die Sache herum zu reden versucht. Auch er gibt nur eine Fleischteuerung zu, und mit

errn von Podbielski schiebt er die Schuld dem Zwischenhandel zu. In dieser Beziehung macht auch die Denkschrift gottvolle Ausführungen. Da ist die Rede von den Zwischengliedern, welche sich zwischen den Produzenten und Konsumenten einschieben; der Großschlächter wird nur für die Großstädte als berechtigt zugelassen, im all⸗ gemeinen soll der Zwischenhandel seine dienende Stellung zu einer herrschenden umgewandelt haben und die Ausbeutung der Produzenten und Konsumenten betreiben. Also an dem Zwischenhändler soll die ganze Sache abblitzen! Dabei scheint man sich gar nicht bewußt ge⸗ worden zu sein, daß diese Anschauungen konsequent und geradenwegs zum Sozialismus führen. Den Städten hat man geraten, die Fleisch⸗ versorgung selbst in die Hand zu nebmen. Nimmt man dies alles zusammen, so haben wir da ein hohes Lied des Konsumvereinswesens zu hören bekommen. Woher diese Verlegenheitsausreden? Politik ist in Deutschland nicht zu treiben ohne die Agrarier; „kein Kanitz, keine Kähne!“ Uns wird vorgeworfen, wir wollten den Mittel⸗ stand ruinieren; den Mittelstand rutnieren vor allem die, welche der Bevölkerung konsequent das Brot und das Fleisch verleuern! Der Abg. Lattmann bat das Experiment gemacht, für seine Heimat billiges Schweinefleisch zu liefern; er hat gewiß keinen Zwischen⸗ händlerprofit genommen, er hat aber dieselben Preise nehmen müssen, wie die Schweinemetzger auch. Tatsache ist, daß die Fleischnot die Selbst⸗ ständigkeit einer großen Anzahl Fleischermesster vernichtet und sie ins Proletariat hinabgestsßen hat. Dann geht die Denkschrift auf die Grenz⸗ sperrenfrage und die Fleischversorgung im Auslande ein. Buchstäblich ist es ja richtig, daß eine absolute Grenzsperre nicht existiert; aber dennoch ist Deutschland von chinesischen Mauern gegen das aus ändische Vieh umgeben. Es kommt auch weniger auf den Buch⸗ staben als auf die der Grenzsperrevorschriften an. Der Kanzler sagte hier bei B ratung der Handelsverträge, er halte dafür, daß die neuen Vorschriften über die Grenzsperre bei richtiger Hand⸗ habung, wobei er sich auf seinen Freund, Herrn von Podbielski, ver⸗ lasse, uns völlige Sicherheit gewährten. Also er verläßt sich auf die Handhabung, und in diesem Falle konnte die Sache wahrlich nicht in bessere Hände als die des Herrn von Podbielski gelegt werden. Wie stebt es aber mit der Seuchen⸗ gefahr im Auslande? In Holland, Frankreich, Dänemark wurden nur ganz vereinzelte Fälle von Verseuchung konstatiert. Dagegen waren in Deutschland 1904 36 000, 1905 45 000 Geböfte an Rotlauf verseucht, ebenso steht es mit der Schweineseuche in Deutschland. Mit diesen Anführungen sollte man uns doch also nicht mehr kommen, sie schlagen der Wahrheit ins Gesicht. Nun heißt es, die Aufhebung würde nichts nützen, da das Ausland uns nichts liefern könne. Die Denkschrift erklärt es für höchst unwahrscheinlich, daß die dänischen Schweine, die jetzt nach England ausgeführt werden, nach Deutschland ausgeführt werden würden. Aber Sie sind doch sonst nicht so gegen England! Bloß damit die Engländer nicht auf die dänischen Schweine zu verzichten brauchen, werden sie bei uns nicht hineingelassen! Jedenfalls kann diese Logik Anspruch auf Originalität erheben. Wir köͤnnten aus Dänemark eine Masse Schweine beziehen, unbekümmert darum, ob Engl. Id w niger be⸗

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kommt. Der deutsche Fleischerverband hat um die Aufhebung der Schweinegrenzsperre gegen Holland, Dänemark und Frankreich petitioniert, indem er auch auf den günstigen Preisstand im Ausland hin⸗ weist und die Befürchtung zerstreut, daß Dänemark nicht liefern würde. 1905 stellt sich das Preisverhältnis nach dem Reichsarbeiteblatt wie folgt: Dovppelzentner Berlin 125, Leipzig 128, Stuttgart 135 ℳ, Budapest 115, Rotterdam 79, Chicago 49 ℳ! Diese Ziffern beweisen klar, daß der Notstand bei uns kügstlich hervorgerufen worden ist durch die unsinnige Agrarpolitik. Das feischbeschaugeseß steigert die Fleischnot durch de ohen Untersuchungsgebühren und durch die die Einfuhr be⸗ schränkenden oder ganz aufhebenden Vorschriften. Bei der Audienz der Städtevertreter erklärte sich der Kanzler für inkompetent, bezüg⸗ lich der Schweineeinfuhr selbständig Maßregeln treffen zu können. Dem gegenüber erinnere ich, daß eine Kaiserliche Verordnung noch in Kraft besteht, wonach der Kanzler ermächtigt ist, Ausnahmen von den bestehenden Verboten zuzulassen. So gut, wie mir dies bekannt ist, sollte es doch auch seinen Räten bekannt sein. Auch hieran wieder zu erkennen, daß es vor allem auf die Handhabung ankommt. Unsere Behauptung, daß das Volk unter dieser Fleischnot aufs allerschlimmste zu leiden habe, wird noch bestritten, obwohl selbst die eingefleischtesten Agrarier zugeben, daß eine enorme Fleischteuerung Platz gegriffen hat. Trotz⸗ dem sagt die Denkschrift, es würde hier kolossal übertrieben; denn das Fleisch finde ja zu den jetzigen hohben Preisen noch bereitwillig Käufer. a trifft doch das Wort des schwedischen Kanzlers Oxenstierna an „Du weißt nicht, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird!“ Daß die oberen Zehntausend auch bei zehnfachem reise noch ihr Fleisch kaufen können, das wissen wir allerdings. ber die Denkschrift sagt auch, der Konsum habe in einer Weise zugenommen, wie das früher nicht für notwendig ge⸗ halten wurde. Wenn Ihr kein Fleisch mehr bezahlen könnt, dann eßt Kartoffeln oder Kohlrabi! Das steht zwischen den Zeilen der Denkschrift zu lesen. So etwas ist geradezu skandalös! In Habelschwerdt hat der katholische Arbeiterverein aus Anlaß der Fleisch⸗ not den Beschluß gefaßt, von einer Konservenfabrik in Breslau Fleisch für 20 das Pfund zu bezieben; in der katho⸗ lischen Presse ist festgestellt worden, daß dieses Fleisch von der be⸗ treffenden Firma als Hundefutter bezeichnet worden ist! Es wird interessant sein, wenn sich unser neuer Kollege, der Arbeitersekretär Giesberts, mit uns darüber auseinandersetzt. Bei gleichem Schweine⸗ kleischverbrauch würde eine sechsköpfige Arbeiterfamilie jährlich nicht weniger als 75 mehr aufzuwenden haben. Die Kriegsration des Soldaten soll täglich ¾ Pfd. Fleisch betragen. Der deutsche Industrie⸗ arbeiter ist dem Soldaten bezüglich der an ihn gestellten An⸗ forderungen durchaus gleich zu stellen; nehmen wir für die Frau ½, und für ein Kind ¼ Pfo., dann wird allein der Fleischgenuß im Jahre 720 kosten! Daraus ergibt sich, daß die Ernährung des gͤrbeitenden Volkes schon längst eine außerordentlich schlechte war und immer schlechter werden muß, namentlich, wenn erst der famose neue Seflts in Kraft getreten sein wird. Die Tuberkulose fordert jährlich kolossale Opfer, und eine gute Fleisch⸗ nabrung ist ein wirksames Mittel gegen diese Volksseuche. Statt dessen hat man die Aufstellung von Spucknäpfen angeordnet! Dem Alkoholgenusse und der Kriminalität wird durch diese Wirtschafts⸗ politik gleichfalls Vorschub geleistet. Daß die Metzger an der Fleischteuerung schuld seien, ist nachgewiesenerm aßen falsch und wird schon dadurch widerlegt, daß viele Metzger ihre Läden haben schließen müssen. Man empfiehlt die Aufzucht eines deutschen Edelschweines, darauf können wir aber nicht warten. Wollen wir nicht den schlimmsten Gefahren entgegengehen, so müssen wir die Schweine vom Auslande einführen. Nach dem Angeführten bin ich der Hoffnung, daß der Vertreter des Reichskanzlers selbst anerkennen wird, daß der Vertreter der Sozialdemokratie recht hat. Wir sind ja nicht dagegen, daß das eingeführte Vieh untersucht wird; es soll nur nicht in chikanöser Weise gescheben. Wollen wir nur Bosheits⸗, Parteipolitik treiben, so könnten wir ja nichts dringender wünschen, als daß die Regierung sich wieder ab⸗ lehnend verhält. Wir wünschen aber, daß dem Notstande des Volkes ein Ende gemacht ürd, und darum haben wir unsere Interpellation eingebracht.

seinen Sohn zu:

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Ich habe namens des Herrn Reichskanzlers folgende Erklärung ab⸗ zugeben:

Die Anordnung oder Aufhebung von Maßnahmen zur Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen liegt gesetzlich den Landes⸗ regierungen ob. Der Reichskanzler hat kraft des ihm nach § 4 Absatz 1 des Reichsseuchengesetzes zustehenden Ueberwachungsrechts nur die Berechtigung und Verpflichtung, die Regierungen der beteiligten Bundesstaaten zur Anordnung und einheitlichen Durchführung der erforderlichen Maßregeln zu veranlassen. In diesem Ueberwachungsrecht des Reichskanzlers ist das Recht inbegriffen, auch die Aufhebung von Maßnahmen, die nach Lage der Sache nicht gerechtfertigt erscheinen, durch Benehmen mit den in Frage kommenden Bundesregierungen in die Wege zu leiten.

Es kann einem Zweifel nicht unterliegen, daß die Frage, welche Maßnahmen zur Beseitigung der bestehenden Fleisch⸗ teue ung zu ergreifen sind, seitens der einzelnen Landesregierungen einer ernsten Prüfung unterzogen worden ist. Auf Grund dieser Prüfung hat die Königlich bayerische Regierung gegenüber einer inhaltlich gleichen Interpellation im bayerischen Landtage sich nicht für berechtigt gehalten, die sicherste Grundlage für eine zuverlässige Fleischversorgung des Landes, die gedeihliche Fort⸗ entwicklung der erfreulich aufblühenden heimischen Vieh⸗ zucht, burch weitergehende Oeffnung der Grenzen für die Ein⸗ fuhr aus dem Auslande zu gefährden, zumal keineswegs fest⸗ stehe, daß eine solche Einfuhr eine Verbilligung des Fleisches in Deutschland herbeiführen würde. (Sehr richtig! rechts; Oh! links.) Eine gleiche Stellung hat die Königlich sächsische Regierung gegenüber einer Interpellation im Königlich sächsischen Landtage eingenommen.

Auch der Königlich preußische Herr Landwirtschaftsminister ist in der heute den Mitgliedern des Reichstags zugegangenen Denkschrift zu dem Ergebnisse gekommen, daß eine Aufhebung oder Abschwächung des veterinärpolizeilichen Grenzschutzes eine Erschütterung der Grundlagen der heimischen Viehzucht und eine steigende Abhängigkeit vom Auslande zur Folge haben müsse, daß aber die sicherste Gewähr für eine angemessene Preisgestaltung für Fleisch in dem Schutze der heimischen Viehzucht liege. (Sehr richtig! rechts.)

Angesichts so gewichtiger Gründe hat der Reichskanzler sich bisher nicht veranlaßt sehen können, diesen Auffassungen entgegen von seinem Ueberwachungsrechte Gebrauch zu machen.

Die sach iche Beantwortung der Interpellation darf ich dem Königlich preußischen Herrn Landwirtschaftsminister vorbehalten. (Bravo! rechts.)

Bevollmächtigter zum Bundesrat, preußischer Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten von Podbielski:

Meine Herren! Der Herr Abg. Scheidemann sagte wenn ich ihn recht verstanren habe bei Einleitung seiner Rede: wenn der Reichstag mehr Rückgrat hätte, würde ich nicht mehr Landwirtschafts⸗

Herren, ich glaube, daß der Reichstag keinen Einsluß hat (Zuruf bei den Sozialdemokraten) und auch niemals haben wird auf die Be⸗ setzung der Ministerstellen in den Einzelstaaten. (Sehr gut! rechts. Zurufe bei den Sozialdemokraten)

Meine Herren, ich muß die Ausführungen des Herrn Vorredners über meine Person zurückweisen; aber ich habe ihm doch dafür zu danken, daß er sich zum Sprachrohr all des Gewäsches gemacht hat, das über meine Person in der Presse verbreitet worden ist, da mir jetzt Gelegenheit gegeben ist, klipp und klar darauf zu antworten. Zunächst die Frage des berühmten opulenten Mahles, bei dem der Sekt geflossen sein und ich beim vierten Gange das Wort ergriffen haben soll. Hier ist eine ganze Reihe von Herren anwesend, die mit dabei gewesen sind und erzählen können, wie das Mahl verlaufen ist; ich stelle auch anheim, daß die Herren sich im „Kaiserhof’, glaube ich, war es erkundigen. (Heiterkeit.) 3

Meine Herren, wir bestellten uns für 3 Suppe, Fisch und Fleisch mit Gemüse (große Heiterkeit), und ich kann versichern, daß kein Mensch wenigstens, soweit ich die Anwesenden habe beobachten können überhaupt einen Tropfen Champagner getrunken hat. Alles, was in der Zeitung darüber gestanden hat, die infamen Ver⸗ dächtigungen, die daran geknüpft sind, haben in den Tatsachen absolut keine Grundlage. (Hört! hört! rechts. Zurufe bei den Soz)

Weiter, meine Herren, hat man in den Zeitungen gesagt, ich sei der Begründer der Milchzentrale. Ich erinnere in dieser Richtung an die Erklärung, die ich im Abgeordnetenhause abgegeben, daß ich mich absolut von einer Verbindung mit dieser Einrichtung ferngehalten habe (hört! hört! rechts); also ich habe nichts mit der Sache zu tun.

Nun gingen die Verdächtigungen gegen meine Person weiter: ich FEle ein Interesse an den hohen Fleischpreisen, weil ich selber in er⸗ heblichem Maße Verkäufer sei. (Sehr richtig! bei den Sozial⸗ demokraten.) Meine Herren, ich kann Sie versichern: Ich habe seit dem September d. J. drei Schweine verkauft (hört! hört! rechts, große Heiterkeit).

Ich habe mich von all diesen Sachen völlig ferngehalten, weil die Herren immer meine persönlichen Verhältnisse betonen und glauben, ich wäre an der Sache interessiert und handelte aus Egoismus. Ich fasse meine Entschlüsse auf Grund der Erhebungen, die angestellt werden, und entnehme aus diesen auch meine Beurteilung der Sach⸗ lage. (Bravo! rechts.) 8

Meine Herren, es ist leider ein Zeichen der Zeit, daß man,

während man über Auffassungen streitet, die Personen in den Schmutz zu ziehen sucht. (Sehr richtig! rechts.) Ich erinnere Sie an die Zeiten vor 20 Jahren, wo selbst die Herren von der Linken immer sagten: „Man verächtigt uns als Reichsfeinde und wer weiß, was.“ Ich verstehe vollständig wie ich es auch ausgesprochen habe —, wenn die Herren Vertreter der großen Städte, wenn hier die Vertreter der Sozialdemokratie ihre Auffassungen und Ent⸗ schlüsse mit aller Wärme verteidigen; sie werden es aber auch mir nicht verargen können, wenn ich für die Auffassungen eintrete, die ich gewonnen habe. Wir können über solche Auffassungen streiten; aber die Personen sollten dabei nach keiner Richtung in den Schmutz gezogen werden. (Lebhafte Zustimmung rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.) Ich möchte gerade den Herrn Abg. Bebel mal an Zeiten erinnern, wo ich noch dem hohen Hause angehörte, und wo wir uns hier über die Landwirtschaft unterhielten und die Frage erörterten, ob nicht einer aus den Reihen jener Partei mal ein kleines Besitztum erwerben sollte, um einen Einblick in die landwirtschaft⸗ lichen Verhältnisse zu gewinnen. Der einleitende Herr Redner, der Herr Abg. Scheidemann, führte nun aus, ich hätte mit Hohn oder sonst etwas den Herren vorgeschlagen, sie sollten Schweine mästen. So ist der Hergang der Sache nicht gewesen, sondern ich habe am 11. Augusft Bezug genommen auf einen Artikel im „Vorwärts’, „Der agrarische Beutezug“ oder mit ähnlichen Worten überschrieben; die Herren können es nachsehen, ich glaube den Artikel am 6. oder 7. gelesen zu haben. Darin war ausgeführt, wie die Agrarier sich durch die hohen Fleisch⸗ preise bereicherten und das Volk aussögen. Da sagte ich: „Meine Herren, ich würde mich freuen, wenn die Stadt Berlin, wenn der Vorstand der sozialdemokratischen Partei einen Versuch machten, damit sie objektiv feststellten, zu welchem Preise in diesem Falle Schweine zu mästen sind.“ Ist das ein böser Vorwurf? (Lachen und Zurufe von den Sozialdemokraten.) Im Gegenteil, Sie sollten doch die Hand dazu reichen; denn Sie schreiben immer auf die Fahne, Sie wollten die Wahrheit ergründen und für die Wahrheit eintreten. Dann müßten Sie nach meiner Ansicht meinem Rate folgen und den ernstlichen Versuch machen. Man kann doch nicht bloß Worte hinaus⸗ werfen, sondern man muß auf einem festen Boden stehen. Ich glaubte immer, der Boden, auf dem ich stehe, indem ich sage: die preußische und deutsche Landwirtschaft kann zu so niedrigem Preise wie früher nicht mehr die Mast durchführen, sei der richtige. (Sehr richtig! rechts.) Da hätten Sie sagen müssen, wir haben eine andere Methode, wir können es besser, wir wollen es beweisen, die Agrarier sind auf dem Holzwege. Aber mit dem bloßen Schreien und Schimpfen dient man der Sache des Vaterlandes gar nicht. (Lebhafte Zustimmung rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen). Ich habe diese Bemerkungen vorausschicken müssen, um den Herren zu zeigen, wie alles mögliche durch die Presse gezogen wird, was jeder tatsächlichen Grundlage entbehrt. Ich müßte ein Bureau von vielen Beamten haben, wollte ich jeden Tag alles, was in der Presse steht, wieder geradestellen; ich käme aus dieser Arbeit gar nicht heraus, und wenn ich dann eine Stelle in einer Zeitung übersebe, steht alsbald in der Zeitung: das ist nicht dementiert, folglich ist es wahr. (Seiterkeit rechts.) Dem kann ich unmöglich nachgehen. Ich habe es im preußischen Ab⸗ geordnetenhause erklärt und erkläre es hier wieder: ich bekümmere mich nicht um die Presse, ich gehe nicht auf ihre Anzapfungen ein, ob sie wahr, ob sie falsch sind; ich bin aber jederzeit gern bereit, hier als Bevollmächtigter zum Bundesrat, im preußischen Ab⸗ geordnetenhause als preußischer Minister Rede und Antwort zu stehen, der Presse aber niemals. (Bravo! rechts.)

Nun wird der Herr Abg. Scheidemann es mir nicht verargen, wenn ich sage, er hat sich in seinen Ausführungen eine so große Menge von Blößen gegeben (sehr richtig! rechts), daß ich ihm sehr leicht zeigen könnte, wie schwer es ist, agrarische Verhältnisse einiger⸗ maßen richtig zu übersehen. Er führt Ihnen z. B. einen Satz an, der auch in der Denkschrift steht: „In diesem Jahre“ ich betone ausdrücklich: in diesem Jahre! „ist das Vieh etwas leichter ge⸗ wesen“, und zwar, wie jeder Landwirt weiß, infolge der geringeren Futtermittel. Daraus deduziert er: die Behauptung der Agrarier,

minister sein (Sehr richtig!

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bei den Sozialdemokraten.) Ja, meine

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das Vieh sei seit dem Jahre 1873 oder

8 widerlegt, es ist ja zugegeben, daß es leichter geworden ist. Ja, meine Herren, wer die Verhältnisse kennt, weiß, daß das Vieh seit 20 Jahren durchschnittlich um 80 bis 100 kg schwerer geworden ist. (Sehr richtig! rechts.) Das erweisen alle Wägungen. Es ist nur in diesem Jahre rund 6 % des jetzigen Gewichts leichter. Der Abg. Scheidemann wirft da zwei Sachen durcheinander, und er zeigt damit, daß er auf diesem Gebiet zutreffende Schlüsse zu ziehen, außerstande ist.

Meine Herren, ich möchte nun, da der Herr Staatssekretär des Reichsamts des Innern darauf verwiesen hat, daß ich nähere Aus⸗ führungen dem hohen Hause machen würde, auf die einzelnen Punkte eingehen. Die dem hohen Hause zygestellte Denkschrift enthält allerdings schon das wesentliche Material, vielleicht aber bedarf dieses doch nach der einen oder anderen Richtung hin einer Klarstellung oder Vervollständigung. Ich möchte an dieser Stelle zunächst betonen, daß die Ihnen unterbreitete Denkschrift nicht etwa das Resultat der Erhebungen nur bei den Landwirtschafts⸗ kammern ist, sondern daß sie ebenso sehr auf den Erhebungen der Regierungspräsidenten beruht, die sich wieder auf die Berichte der unteren Instanzen, also auch der Städte stützen. Alle Organe sind gefragt, und ich hatte keinen Grund, irgend etwas zu verschweigen. Ich werde nachher nochmals hervorzuheben haben: der große Unter⸗ schied in den Auffassungen dort (links) und den meinigen besteht darin, daß nach meiner festen Ueberzeugung die augenblickliche Teuerung ein vorübergehender Zustand ist, während Ihre Ausführungen davon aus⸗ gehen, daß es sich um einen dauernden Zustand handelt. Ist der Zustand vorübergehend, daß kein Anlaß zur Aenderung unseres Wirtschaftssystems vorliegt, so hat meine Auffassung recht. Werfen Sie einen Blick auf andere Erwerbszweige, z. B. auf unsere Industrie. Würden Sie die nicht in demselben Moment auf den Kopf stellen, wenn Sie wegen vorübergehender guter oder schlechter Konjunkturen die Zölle für einen Teil der Industrie aufheben wollten? Sie, meine Herren, sagen, Sie gebrauchen für die Industrie stetige Verhältnisse wahrlich, um wieviel mehr die Landwirtschaft, die lange nicht so beweglich und anpassungsfähig ist, wie die Industrie! (Sehr richtig! rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.) Also der Schwerpunkt der Sache liegt darin: ist der Zustand vorübergehend, dann ist er zu ertragen; ist er dauernd, dann muß er beseitigt werden. Was ich zu sagen habe, geht darauf hinaus, daß ich darlege: die Teuerung und ihre Ursachen sind vorübergehend, und deshalb ist in kurzer Zeit eine Aenderung der augenblicklichen wenig erfreulichen Ver⸗ hältnisse zu erwarten.

Meine Herren, ich habe schon darauf hingewiesen, daß nach der Statistik des Jahres 1904 im Vergleich zu der Zählung 1900 die Zahl des Rindviehs von 18 auf 19, die Zahl der Schweine von 16 auf 18 Millionen gestiegen ist; das deutet zweifellos darauf hin, daß wir uns nicht bei einer fallenden Periode befinden, sondern daß unsere Viehbestände in der Zunahme begriffen sind.

Nun, meine Herren, ist ja schon des öftern ausgeführt worden, daß das Jahr 1904 mit seiner schlechten Kartoffelernte, mit seiner schlechten Futterernte zweifellos aufs schwerste in die Viehwirtschaft ein⸗ greifen mußte (Sehr richtig!) Wenn nun in der Denkschrift steht, der Großgrundbesitz könne solche schlechten Zeiten leichter überwinden als der kleine Mann, der vielfach nicht in der Lage sei, sich Futtermittel zu⸗ zukaufen, so sind mir die Ausführungen, die der Herr Abg. Scheidemann an diesen Satz geknüpft hat, unverständlich. Es ist doch naturgemäß, daß der Großgrundbesitzer sich leichter helfen kann, der die Waren im großen bezieht, als der kleine Mann, der in einzelnen Pfunden, Säcken und Zentnern die Ware entnehmen muß, und es ist doch zweifellos, daß es dem kleinen Mann oft schon an dem Entschluß fehlt, sich Futter⸗ mittel, die ihm sonst zuwachsen, für bares Geld zu beschaffen, und daß er lieber sein Vieh schlechter füttert oder früher verkauft, als daß er sein Geld von der Sparkasse holt, um Futter dafür zu kaufen. Weiter, meine Herren, wenn im vorigen Jahre infolge der schlechten Ernte die Kartoffeln sogar auf dem Lande auf 2,50 bis 3 der Zentner ge⸗ stiegen, so lag darin zweifellos für eine große Anzahl von Leuten ein Anreiz, lieber die Kartoffeln zu verkaufen, als das Risiko einzugehen, eine Verwendung dieser Produkte in der Mast zu suchen. Das war ja ganz naturgemäß. (Sehr richtig! links.) Ich weiß nicht, was der Herr Abg. Gothein mir zugerufen hat. (Sehr richtig! links. Heiter⸗ keit.) Von seiner Seite eine Bestätigung zu bekommen, ist für mich er⸗ freulich, wundert mich aber, denn sonst gehen unsere Auffassungen oft sehr weit auseinander. (Sehr richtig! links. Heiterkeit.)

Meine Herren, die Folge war, daß in den kleinen Städten, wo die Fabrikarbeiter oder sonstigen Arbeiter, die sonst Schweine mästen und ein Schwein auf den Markt bringen, sämtlich aus der Fleisch⸗ produktion ausschieden und daß nun die Zahl der Käufer auf den Märkten größer war als in anderen Jahren. Aus den kleinen Städten kamen die Schlächtermeister nach Berlin und anderen großen Märkten, um hier Ersatz für die Ware zu suchen, die sie sonst

den kleinen Landstädten und deren nächster Umgebung kaufen onnten. Nun, meine Herren, steigen die Preise ganz unwillkürlich wenn eine größere Menge von Käufern da ist, man sieht eine regem

2 achfrage und das hat ein Anziehen der Preise zur Folge.

un wird immer behauptet, den Hauptvorteil an der Steigerung der Viehpreise hätte der Großgrundbesitz, und diesem zuliebe sehe die Regierung von weiteren Maßnahmen zur Minderung des Preisdrucks ab. Nein, meine Herren, die Viehzucht liegt nicht vorwiegend, sondern

ur zu einem geringen Teile beim Großgrundbesitz. Rechne ich zu diesem schon die Betriebe mit mehr als 100 ha, so entfallen auf die ittleren und kleinen Betriebe, also auf diejenigen unter 100 ha

93 ½ % aller Schweine (hört! hört! rechts) und 88 ½ % allen Rind⸗ biehs. Das zeigt doch, daß die Aufzucht und Mast hauptsächlich in

kleineren und kleinsten Betrieben unserer Landwirtschaft liegt.

Am deren Wohl und Wehe handelt es sich hier.

Nun werden mir die Herren wohl zugeben müssen: man kann

Acker mit Zuhilfenahme von Dampfmaschinen pflügen, man kann mit Maschinen das Getreide mähen, binden und ausdreschen, aber in der ganzen Mastwirtschaft ist noch kein Automat erfunden und wird auch einer erfunden werden, sondern es ist das lediglich das Werk der Hände. dun, meine ich, mit steigenden Löhnen hat doch auch wohl der länd⸗ liche Arbeiter, der kleine Bauer ein Anrecht daran, daß auch ent⸗

. hend sein Lohn und sein Gewinn sich steigert. Das wollen Sie

ber nicht zugeben, das wollen Sie dem Lande nicht gönnen. Das ommt aber daher, daß die Herren Sozialdemokraten auf dem Lande sisher keinen Einbruch haben machen können, sie finden, daß der ändliche Arbeiter noch in innigem Zusammenhange mit seinem Arbeit⸗

ber steht, und infolgedessen haben sie für seine wirtschaftliche Ent⸗

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1“ ““ ““ wickelung zweifellos weniger Interesse, als sie unter Facteien Unsh nd

wohl haben würden. Aber ich meine, Sie sollten das gleiche Recht auch für alle gelten lassen, Sie sollten anerkennen, daß der Mann ebenso gut ein Anrecht auf entsprechenden Lohn für seine Arbeit hat, die in dem Tiere, das er zu Markte bringt, steckt, als wie ein anderer.

Der Herr Abg. Scheidemann hat ferner gesagt, das Fleisch⸗ beschaugesetz habe einen hemmenden Einfluß auf die Fleischeinfuhr gehabt und dadurch die Fleischversorgung bedenklich in Frage gestellt. Ich habe mir die Auszüge aus der amtlichen Statistik soeben machen lassen, und da ergibt sich, daß, nachdem im Jahre 1903 ein kurzer Rückgang eingetreten war, in den zum Vergleich stehenden ersten drei Quartalen im Jahre 1901 1 391 000 dz, im Jahre 1905 1470 000 dz eingeführt worden sind, also eine ganz erhebliche Steigerung. Der Vorwurf, wir hätten die Einfuhr von Fleisch aus dem Auslande durch das Fleischbeschaugesetz gehindert, ist also nicht zu⸗ treffend. Das Gleiche gilt hinsichtlich der von ihm erwähnten Ein⸗ fuhr von Zungen. Der genaue Sachverhalt ist mir augenblicklich nicht gegenwärtig, die Sache scheint mir aber leicht erklärlich, die Zungen waren nicht etwa sämtlich schlecht, aber man war nicht in der Lage, sie korrekt untersuchen zu können, und man mußte deshalb dem hygienischen Grundsatze des Fleischbeschaugesetzes gemäß zu einem Verbote der Einfuhr schreiten.

Meine Herren, beobachtet man die Bewegung der Preise in einer längeren Reihe von Jahren, so zeigt sich immer folgendes Bild: zuerst steigen die Löhne, dann auch die Produkte von Industrie und Gewerbe, aber erst spät findet ein Ausgleich zwischen den Produkten der Landwirtschaft und den Löhnen statt. Das ist auch ganz natürlich, denn die Landwirtschaft hat mit tausenden von kleinen Einzelbetrieben zu tun, die unmöglich in der Lage sind, sich zu einem Trust oder einer sonstigen Vereinigung zusammenzufinden. Die Folge ist, daß sich nur ganz allmählich die Preise der landwirtschaftlichen Produkte zu dem Lohn in das richtige Verhältnis setzen. In diesem Stadium der Preisbewegung befinden wir uns jetzt, und die sämtlichen Produkte der Landwirtschaft haben eine Neigung zum Steigen. (Hört! hört! bei den Soz.) Ich ver⸗ denke es nun und nimmer dem Arbeiter, der bisher, um ein Beispiel anzuführen, vielleicht eine Mark täglich für sein Vergnügen oder nicht unbedingt notwendige Ausgaben übrig gehabt hat, daß er böse wird, wenn er von dieser Mark noch einen Teil für Produkte der Landwirtschaft ab⸗ geben soll. Aber es handelt sich hier meiner Ansicht nach um eine Entwickelung, die sich auf Grund der allgemeinen Preisbewegung im Lande naturgemäß vollziehen muß.

Ich komme nun zu den veterinären Fragen. Da kann ich zunächst hier vor dem hohen Hause mit hoher Freude fest⸗ stellen, daß in deutschen Landen die Maul⸗ und Klauenseuche nicht mehr existiert (bravo! rechts), und daß auch die Lungen⸗ seuche des Rindviehs vollständig getilgt ist. Wenn die Herren Gegner sich nur einmal vor Augen halten wollen, daß die Maul⸗ und Klauenseuche vor wenig Jahren uns noch jährlich 100 Millionen gekostet hat (hört! hört! rechts), so werden sie doch zugeben müssen, daß die Veterinärverwaltung hier einen äußerst erfreulichen Erfolg erzielt hat. (Sehr richtig! rechts.) Es fragt sich nur, meine Herren, wodurch ist das erreicht worden? Ich kann mich hier auf die ersten Autoritäten des Veterinärwesens stützen, die immer wieder hervorheben: allmählich wird jede Seuche in ihren Erscheinungen schwächer und läuft sich tot, wenn man die Zufuhr neuen Ansteckungsstoffes ver⸗ hindert. Kommen aber neue Ansteckungskeime aus Gegenden hinzu, die bisher mit den verseuchten Gebieten nicht in Beziehung gestanden haben, so lebt die Seuche zu neuer Kraft auf und wird dann sehr gefährlich. Das haben wir oft erlebt. Das Serum, das wir zur Bekämpfung der Schweineseuche hergestellt haben, enthält allein 52 verschiedene Stämme von Bazillen, und die Veterinärwissenschaft zeigt uns, daß noch viel mehr solcher Stämme im Auslande existieren. Sollen wir nun wirklich diesen gefährlichen Versuch machen und es darauf ankommen lassen, daß uns z. B. neue Stämme von Bazillen der Schweineseuche eingeschleppt werden und dadurch alle unsere bis⸗ herige Mühe vergeblich gemacht wird?

Ein Vorkommnis der neuesten Zeit ist in dieser Beziehung sehr lehrreich. Vor 20 Jahren ist der letzte Fall von Schafpocken in Preußen vorgekommen. In diesem Sommer wurden plötllich durch Tagesarbeiter an der Grenze von Russisch⸗Polen die Leute nächtigten mehrfach in den Schafställen die Schafpocken nach dem südlichen Ost⸗ preußen übertragen. Diese Seuche, die vor 20 Jahren ganz geringe Opfer forderte, trat nun in dem neu infizierten Gebiete mit einer Vehemenz auf, daß bis zu 50 % der Bestände sofort in wenig Tagen zu Grunde gingen. Wer dort oben in Sorge geriet, packte nun die Schafe auf und brachte sie nach Berlin auf den Viehhof; hier wurden sie noch dis⸗ tribuiert und nun flammte plötzlich diese Seuche in verschiedenen Landesteilen auf. Ich hoffe sie bald zu unterdrücken, aber immerhin hatten wir in kurzer Zeit 30 Seuchenausbrüche. Dieser Vorfall be⸗ weist, wie wir auf der Hut vor dem Auslande sein müssen.

Nun ist der Herr Abg. Scheidemann in seiner Darstellung des Seuchenstandes im Auslande ja geschickt über einen Punkt hinweg⸗ geglitten: er hat bloß solche Länder wie Holland, Belgien, Dänemark und Frankreich vorgeführt, wo verhältnismäßig weniger Seuchen vor⸗ kommen; er hat aber Rußland ausgeschaltet. Nach meiner Meinung ist aber für die Alimentation gerade Rußland von Bedeutung, und die veterinäre Lage Rußlands spielt daher eine entscheidende Rolle. Wir haben, wie die Einfuhrstatistik erweist, einen dauernden Rückgang der Einfuhr aus Oesterreich⸗Ungarn zu verzeichnen, dagegen könnte bei Rußland die Möglichkeit vorliegen, daß wir von dort mehr Vieh oder Fleisch beziehen könnten. Es dürfte ja den älteren Herren, die die Kriege 70 und 71 noch mitgemacht haben, erinnerlich sein, daß jeder Krieg nicht nur eine Ausbreitung der menschlichen, sondern auch der tierischen Seuchen im Gefolge hat, und so war es ganz naturgemäß, daß auch bei Rußland jetzt dieser Fall eintrat; das mußte die schwersten Bedenken hervortufen. Die Herren werden mir zugeben, daß die sibirische Pest, die ja eine seuchenhafte Milzkrankheit des Rindviehs bedeutet, eine außerordentliche Gefahr für unseren Viehstand bildete. Ich habe den Herren Bürger⸗ meistern des oberschlesischen Industriebezirks gegenüber ausgeführt, daß, sobald ein bißchen mehr Ruhe und Sicherheit drüben eingetreten seien, ich gern bereit sei, bei dem Herrn Reichskanzler zu beantragen, daß

und gegen Schlesien im Vormarsch ist. Es ist bis jetzt sei

das Kontingent vergrößert werde. Ich halte mir aber stets gegen⸗ wärtig, daß wir unter Umständen die oberschlesische Grenze ganz sperren müssen, wenn z. B. die Rinderpest die Weichsel überschreitet

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Dank! nicht dazu gekommen, und ich habe die Ueberzeugung, daß wir, wenn nicht etwa neue Zufälligkeiten eintreten werden, ohne diese Maßregel auskommen können.

Als die Eisenbahn nach Sosnowice gesperrt war, wurde mehr⸗ fach beantragt, die Schweine für Oberschlesien über Prostken oder über Thorn einzulassen; das war eine Unmöglichkeit, weil in einem großen Teil Polens die Schaspocken so stark herrschten, daß wir dort jeden Verkehr mit Mensch und Tier möglichst hintanhalten mußten. Infolgedessen trat das Auswärtige Amt auf meinen Wunsch mit der österreichischen Regierung in Verbindung, um zu erfahren, ob viel⸗ leicht seitens der österreichischen Verwaltung die Möglichkeit gegeben würde, daß wir die russischen Schweine durch Galizien nach Ober⸗ schlesien transportieren könnten. Die österreichische Antwort lautete:

Da der Tierseuchenstand in Rußland andauernd sehr ungünstig

ist, indem im konkreten Falle in den in Betracht kommenden Gouvernements Bessarabien und Wolhynien zur Zeit der Milz⸗ brand, die Maul⸗ und Klauenseuche und die Schweinepest herrschen usw. Diese Antwort ist vom 22. November und beweist, daß man im Nachbarlande Bedenken trug, auch nur die Durch⸗ fuhr solcher Schweine zuzulassen. Ich führe dies nur an, weil es die Richtigkeit meiner Auffassungen über die veterinäre Lage in Rußland bestätigt. Wir haben dort mit einer großen Reihe gefähr⸗ licher Tierkrankheiten zu rechnen und haben allen Grund, dauernd auf der Hut zu sein auch hinsichtlich des oberschlesischen Kontingents.

Was nun Dänemark und Holland anbelangt, so gebe ich ja gern zu, daß betreffs der Rindviehkrankheiten dort zur Zeit vielleicht geringe Gefahr droht. Andererseits halte ich mich aber für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß Schweinekrankheiten, die uns gefährlich werden könne n, auch dort noch im Gange sind. Der Herr Begründer der Interpellation meinte, ich hätte eine Vorliebe für England und wolle die Einfuhr von Dänemark nicht zulassen, damit die Versorgung Englands mit Vieh und Fleisch nicht in Frage gestellt werde.

Diese Deduktion aus den Worten der Denkschrift ist doch wohl etwas sehr gesucht und gründlich verfehlt. Es handelt sich nur darum: ist zu erwarten, daß man in Dänemark die bestehenden Handelsbeziehungen für den Absatz der Schweine nach England ab⸗ bricht, um vielleicht für eine kurze Zeit nach Deutschland zu liefern? Diese Frage mußte ich verneinen. Es war nicht die Sorge für Eng⸗ land, die hat mir bei Aufstellung der Denkschrift völlig fern gelegen, sondern es mußte die Frage untersucht werden: ist sichere Aussich t 1 vorhanden, daß unser Wunsch, mehr Schweine von dort zu bekommen, Erfüllung findet? Und das habe ich geglaubt verneinen zu müffen. Ich glaube, wer die Handelsverhältnisse kennt, wird ingeben, daß man nicht gern liebgewordene Beziehungen abbricht, um unsichere vielleicht dafür einzutauschen.

Ich käme nun zu den Märkten und dem Viehhandel. Ich legte mir die Frage vor: ist die Erhöhung des Produktionspreises, ist die allgemeine Wertsteigerung daran schuld, daß wir mit einer solchen Preissteigerung zu rechnen haben? Ich bin dann zu der Ueberzeugung gekommen, daß zweifellos noch andere Ursachen dabei mitgewirkt haben. Es wird so oft von den Herren der Linken den Agrariern der Vor⸗ wurf gemacht, wir schrien immer nach dem Staate, warum wir nicht einmal selbst Hand anlegten, um uns zu helfen, und da, muß ich sagen, wundert es mich eigentlich, daß so vortrefflich regierte Großstädte auch den Weg zum Staate betreten und selber nicht wissen, wie sie sich helfen sollen. (Sehr richtig! rechts.) Ich will Ihnen nur zwei Beispiele vorhalten. In der Stadt Breslau, wo ein warmer Fürsprecher für die Oeffnung der Grenzen sitzt, hat eine einfache Berechnung dahin geführt, daß Breslau die Schlachtsteuer aufheben könnte, wenn es 42 % der Einkommensteuer mehr erheben würde. Dann würde sie gerade die kleinen Leute ent⸗ lasten, und in Zeiten einer solchen Krisis, die von allen Seiten als sehr schwer angesehen wird, täte sie dann wenigstens, was meiner Ansicht nach ihre ernste Pflicht wäre. Aber die Stadt erhebt ganz ruhig ihre hohe Schlachtsteuer (hört, hört! rechts) und ruft nach dem Staate, der soll die Grenze öffnen, damit sie von den einkommenden Tieren hohe Einnahmen hat. (Sehr richtig rechts, Widerspruch links.) Ich möchte Ihnen ein anderes Beispiel vorführen, die Stadt Potsdam. 8 Die Schlachtsteuer in Potsdam beträgt 31 für einen Ochsen. (Hört, hört! rechts.) Rechnen Sie sich alles zusammen, fragen Sie sich, ob unsere Steuern, die in Aussicht genommen sind, je auf diesen Betrag kommen werden! Ja, meine Herren, so voll und ganz ich auf dem Standpunkt stehe, daß die Städte das gute Recht haben, für die Interessen ihrer Ein⸗ wohner einzutreten und nach jeder Richtung hin anregend zu wirken, so, meine ich, haben sie auch die gute Pflicht, dafür zu sorgen, daß zunächst einmal im eigenen Haufe diejenigen Maßregeln ergriffen werden, die möglich sind, um den Preis des Fleisches billiger für die Bevölkerung zu stellen.

Meine Herren, der Herr Abg. Scheidemann sprach über kapita⸗ listische Entwicklung. Mir ist es immer sehr interessant, wenn ich mir persönlich einen klaren Einblick in die Verhältnisse verschaffen kann; denn ich sage mir: jeder Bericht kann gefärbt sein, er kann von einer anderen Auffassung ausgehen. Meine Herren, ich selbst habe, wie ich das schon vorher erwähnt habe, aus meinen Be⸗ ständen drei Schweine herausgenommen, habe sie von einer Kom⸗ mission zu Hause untersuchen lassen, auch von einem Tierarzt, der sie als erstklassig bezeichnete. Es waren ein 2 Ztr. 80 Pfd. schweres Schwein, ein 2 Ztr. 30 Pfd. schweres Schwein und ein Schwein von 2 Ztr. Um Verwechselungen auf dem Berliner Markt zu vermeiden, war ich auch so vorsichtig, diese Tiere nicht allein oder vielleicht ver⸗ eint mit anderen Schweinen zu schicken, sondern ich ließ sie mit in einen Transport Kälber einstellen, sodaß sie ganz getrennt von allen anderen hier auf dem Berliner Markt erschienen. Selbstverständlich habe ich auch nicht daran geschrieben, daß sie von mir waren. (Heiterkeit.) Da ergibt sich nun und ich stelle den Herren diese Abrechnung zur Verfügung, weil sie ganz interessant und lehr⸗ reich ist, denn es handelt sich hier nicht um die Schlachtgebühren, sondern um die Viehhofsgebühren, die ja den Städten, wie Sie wissen, auch angenehme und erhebliche Summen einbringen da ergibt sich für die drei Schweine folgendes: Ich habe die Abrechnung von einem Viehkommissionär bekommen, der die Schweine hier verkauft hat. Da ergibt sich an Standgeld für die 3 Schweine, die am Abend angekommen und am anderen Morgen geschlachtet sind, 1ℳ 50 ₰, an Futtergeld 3 30 (Heiterkeit) es steht hier so an Kassiergeld 6 30 ₰, für Abspülen der Schweine und Füttern 60 ₰, für das Treiben der Schweine 30 ₰, für das Stroh 30 ₰, für die Versiche⸗

rung 3

Sie sehen, es ist eine ganz hübsche kleine Apotheker⸗