1905 / 293 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 13 Dec 1905 18:00:01 GMT) scan diff

enger Zusammenhang zwischen der Leitung der Sozialdemokratie und der Revolution in Rußland besteht. Was der Abg. Bebel für den Fall eines künftigen Krieges ankündigte, ist nur so zu deuten, daß er die Landwehr⸗ leute und Reservisten bei Ausbruch eines Krieges auffordern will, sich nicht zu stellen, also hinter dem Rücken des Heeres Aufruhr zu er⸗ regen. Ich glaube aber, daß die Verfassungsrechte nicht auf den Abg. Bebel übertragen werden. Die Kriegsgerichte werden schnelle Arbeit tun und solche Elemente unschädlich machen. Wenn ich unter den Waffen stehe, werde ich meine Pflicht tun; es gibt aber auch noch

andere Exekutionsmethoden (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Tot⸗

reden!), und wenn dies eben mir zugerufene Mittel helfen sollte, so wie seinerzeit der Abg.

bin ich gern bereit, 9 Stunden zu reden, Abg Antrick. Eine Vorprobe für eine zukünftige Revolution haben wir ja schon von der Sozialdemokratie in der letzten Zeit in Sachsen erlebt.

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Die einheimische Polizei war nicht imstande, wirksam einzugreifen, offenbar aus Mangel an einheitlicher Organisation. Ich habe deshalb auch Maßregeln zum einheitlichen Schutze der Versammlungs⸗ freiheit angeregt. Nach einem Antrag Albrecht, der uns vorliegt, soll bei Versammlungen und Umzügen erst 6 Stunden zuvor die Anmeldung bei der Polizei erfolgen; dann kann der ruhige Bürger sich nicht mehr vorsehen, dann kann die Polizei nicht mehr Maßregeln treffen, dann werden sich die Vorgänge in Dresden und Chemnitz wiederholen, mit schlimmeren Erfolgen. Es war zu lesen, daß die Dresdner Behörde sich mit den Arbeiterorgan sationen in Verhandlungen eingelassen und sie gebeten hätte, von Straßendemonstrationen während des Weihnachtsgeschäftes abzusehen. Wenn das wahr ist, würde ich es für eine unerhörte Feigheit halten; mit der Revolution verhandelt man nicht, man schlägt sie nieder! Noch sind die staatstreuen Elemente in Feßen Mehrzahl im Lande vorhanden, man soll ihnen bloß die 9

öglichkeit geben, die Wucht dieser Zahl auch bei Wahlen zum Aus⸗

druck zu bringen; künftige Wahlkämofe müssen so gestaltet werden,

daß der Unterlegene in der Hauptwahl zum Mitsieger in der Stich⸗ wahl gegen die Sozialdemokratie wird. Wir haben diese Taktik in Eisenach siegreich erprobt. Aber es muß auch die Wahlpflicht ge⸗ schaffen werden; sie würde Ihnen sehr unbequem sein, Herr von Gerlach, aber Sie werden die Forderung gerecht finden. „Das Ziel erkannt, die Kräfte gespannt, die Schwarzseher verbannt!“ Denn noch brauchen wir die Hoffnung auf gesunde, friedliche Zustände nicht aufzugeben, trotz der Revolution!

Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr. on Posadowsky⸗Wehner: 8 Meine Herren! Ihre Verhandlungen haben damit begonnen, daß gegen die verbündeten Regierungen aus der Mitte des hohen Hauses der Vorwurf erhoben wurde, sie habe rücksichtslos gegen das Parlament des Reichs gehandelt, indem sie die letzte Session des Reichstags chloß, statt zu vertagen. Ich erinnere demgegenüber zunächst daran, daß in den ersten elf Jahren des Bestehens des Deutschen Reichs, wo die großen gesetzlichen Grundlagen für den Ausbau des Reichs gelegt wurden, eine Vertagung des Reichstags überhaupt nicht statt⸗ efunden hat, und daß, da 1898 und 1903 Schluß der Legislatur⸗ veriode war, seit 1896 überhaupt nur zweimal, nämlich 1897 und 1900, in Schluß der Session erfolgt ist. Die Diskontinuität der Parla⸗ mente herbeizuführen, beruht auf einem wichtigen monarchischen Recht, das verfassungsmäßig die Krone jederzeit nach ihrem eigenen Ermessen zu üben befugt ist. Aus den Vorwürfen, die gegen die Regierung erhoben sind, weil sie die letzte Session geschlossen hat, sieht man, wie bedenklich es werden kann, wenn stillschweigend Rechte der Krone eitweise nicht ausgeübt werden. (Lachen links.) Meine Herren, Sie achen darüber! Aber die Parteien legen doch auch auf ihre ver⸗ jassungsmäßigen Rechte großen Wert, und sie können deshalb der Regierung einen Vorwurf nicht machen, wenn sie von ihren Rechten ebenfalls Gebrauch macht. Nun, frage ich, was ist denn eigentlich durch den Schluß des Reichstags für ein sachlicher Schaden herbeigeführt? Das Militärpensionsgeset war überhaupt erst in wenigen Para⸗ raphen beraten; es war nicht geringste Aussicht vorhanden, daß in der vorigen Tagung, auch wenn der Reichs⸗ tag noch weit bis in den Sommer „hinein beraten hätte, dieses Gesetz damals noch zur Verabschiedung gelangt wäre. Dieses Gesetz ist Ihnen, zum Teil mit den Abänderungen, die damals in er Kommission beschlossen sind, jetzt bereits wieder vorgelegt. Die Maß⸗ und Gewichtsordnung ist Ihnen ebenfalls fast wörtlich in der on der Kommission beschlossenen Fassung wieder unterbreitet. Auch nehme ich an, daß das Börsengesetz vom Bundesrat in der von Ihrer Kommission gewählten Fassung beschlossen und Ihnen zugehen wird. Ebenso ist Ihnen das Banknotengesetz wieder vorgelegt. Also alle die Gesetze, die damals noch nicht erledigt waren, liegen dem lich unverändert zur Beschlußfassung wieder vor. Es ist hiernach ganz ausgeschlossen, daß dadurch, daß die Re⸗ gierung von ihrem Recht der Diskontinuität Ihrer Verhandlungen Gebrauch gemacht hat, irgend ein sachlicher Schade für die Ar⸗ des hohen Hauses herbeigeführt ist. (Sehr richtig! rechts.) Ich komme nun auf eine zweite Frage, die damit in einem gewissen Zusammenhange steht oder wenigstens in einen gewissen Zusammen⸗ hang damit gebracht wird; das ist die Frage der Tagegelder. Ich

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gestehe zu, daß für die Gewährung von Tagegeldern gewisse sachliche und Nützlichkeitsgründe geltend gemacht werden können; aber es werden dagegen auch sehr schwerwiegende politische Gründe ins Feld geführt. Ich will nicht auf die Verfassung hinweisen, unter deren bestehenden Paragraphen das jetzt versammelte Haus gewählt ist. Ich will mich aber auf eine andere Tatsache stützen. In dem ersten Jahrzehnt des bestehenden Reichs hat das Parlament und mit ihm die Regierung so unter dem Absentismus gelitten wie jetzt, und gleichzeitig wird man doch behaupten können, daß auch die Wohlhabenheit der Kreise, aus denen die Mitglieder des hohen Hauses überwiegend hervorgehen, im allgemeinen sich nicht unwesentlich gehoben hat (Widerspruch), gehoben hat mit der Wohlhabenheit des ganzen Volkes. (Widerspruch.) Gewiß, meine Herren! Ferner muß ich doch auch an die Tatsache erinnern, wenn man diese Frage einmal hier erörtert, für eine ganze Reihe von Mitgliedern des hohen 1 die Gewährung von Tagegeldern gar keine wirt⸗ schaftliche Bedeutung hat, und daß sie vielfach durch ander⸗ weitige Verhältnisse verhindert sind, den Sitzungen beizuwohnen. Wovran liegt diese Erscheinung? Sie liegt meines Erachtens daran, daß wir in den letzten 30 Jahren eine große Anzahl von neuen politischen, kommunalen, fachmännischen Körperschaften geschaffen haben und hierdurch unser öffentliches Leben ein so intensives ge⸗ worden ist, daß die Mitglieder dieses hohen Hauses auch durch die Teilnahme an vielen anderen Körperschaften in Anspruch genommen sind, ich verweise in der Beziehung auf den Parlamentsalmanach. Man fragt sich in der Tat, wie es einem noch so arbeitsfähigen Manne möglich sein kann, alle diese Aufgaben zu erfüllen. Dieser Zustand, diese Abhaltung durch andere wichtige Pflichten im öffent⸗ lichen Leben würden auch durch die Tagegelder in keiner Weise be⸗

Graf

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die

seitigt werden. (Widerspruch.) Vielleicht nur die Doppelmandate,

aber nicht die Tätigkeit in anderen öffentlichen Körperschaften. (Wider⸗ spruch und Unruhe links.)

Außerdem haben wir hier im hohen Hause etwa 5 bis 6 Monate jeden Tag in der Woche Plenarsitzungen von täg⸗ lich 5 Stunden und darüber. Für die meisten Mitglieder des Hauses, die anwesend sind, haben vorher dreistündige Kommissions⸗ sitzungen stattgefunden. Dazu kommen die Fraktionssitzungen. An die Tätigkeit der Vertreter der Regierung, die außerdem eine große laufende Verwaltung zu besorgen haben, will ich gar nicht erinnern. Das ist in der Tat eine Anforderung, die an die geistige und physische Kraft des Mannes gestellt wird, der nur die ge⸗ sundesten und kräftigsten Naturen überhaupt lange Widerstand leisten können. (Sehr richtig!) Wo bleibt aber bei dieser intensiven Be⸗ schäftigung, die von den Mitgliedern des hohen Hauses und von den Mitgliedern der Regierung verlangt wird, noch die Zeit zur Vor⸗ bereitung? Diese überlastende Tätigkeit, wie sie von Ihnen und von uns verlangt wird, auf dem Gebiete der Gesetzgebung, muß schließlich zur Erschlaffung und Verflachung des politischen Lebens und zu Wiederholungen führen, und ich sehe in diesen äußeren Umständen ebensosehr den inneren Grund des Absentismus, wie vielleicht in den wirtschaftlichen Verhältnissen, die mit der Diäten⸗ losigkeit verbunden find. Ich versichere Ihnen, daß mir auch Herren, die hier auf der Tribüne arbeiten, die Herren Berichterstatter, erklärt haben, das Material, welches ihnen zuflösse, wäre ein so kolossales, daß sie trotz ihres lebhaften Wunsches sehr häufig bedeutende Reden, wichtige Erklärungen gar nicht genügend verarbeiten könnten, weil die Arbeit des laufenden Tages die Arbeit des vorhergehenden überwältigt.

Ich meine, diese inneren Gründe und diese Zustände, von denen Sie selbst unbefriedigt sind, und auch die Regierung unbefriedigt sein muß, drängen mit innerer Notwendigkeit zu einer knapperen Behandlung unserer Geschäfte (Sehr richtig!), und soweit es an der Regierung liegt, wird sie mit gutem Beispiel vorangehen. Dazu kommt noch, daß in der Tat keiner der Herren mag es mir übelnehmen, denn es bezieht sich das teilweise auch auf die Regierung der Wert von Reden verhältnismäßig nicht so nach⸗ haltig ist, wie man glaubt. Die Personen, die hier auf den Tribünen sitzen, stellen doch nur einen kleinen Teil des deutschen Volkes dar, und unter diesen sind noch sehr viele Ausländer, die diese interessante Nummer, wenn sie in Berlin sind, mitnehmen, einmal einer Sitzung im Reichstage beizuwohnen.

Ferner, was die Wiedergabe der Reden in den Zeitungen betrifft, so werden diese Reden zurechtgeschnitten für den Ab⸗ geordneten der eigenen Partei und nach dem politischen Stand⸗ punkt der Zeitung. Ich will den sehen, meine Herren, der sich aus den Zeitungsberichten wirklich ein objektives Bild über das machen kann, was hier vorgegangen ist. (Sehr richtig!) Wenn beispielsweise eine Zeitung sagt, daß wir das englische Handels⸗ provisorium vorgelegt hätten, sei eine unbegreifliche Maßregel der Regierung, so kann von den Freunden dieses Handelsprovisoriums mit Engelszungen geredet werden: so wird das auf die Kreise in der Provinz, die nur die eine Zeitung lesen, gar keinen Einfluß haben, denn die bekommen die anderen Aeußerungen eben gar nicht oder nur sehr summarisch zu lesen. (Zwischenrufe.) Sie, meine Herren, mögen ver⸗ schiedene Zeitungen lesen, in der Provinz liest man aber meist nur eine Zeitung, und auf diese ist die Meinung des Lesers in der Provinz geeicht.

Im allgemeinen haben Reden auch nur eine geringe suggestive Kraft. Ich glaube nicht, daß jemals z. B. der Herr Abg. von Kardorff über⸗ zeugt worden ist durch eine Rede des Herrn Abg. Bebel, wenigstens glaube ich nicht, daß er jemals anders gestimmt hat; und so glaube ich auch umgekehrt nicht, daß der Herr Abg. Bebel durch eine Rede des Herrn Abg. von Kardorff in seiner Ansicht oder Abstimmung wesentlich beeinflußt wird. Es kommt eben nicht so sehr darauf an, was zur Begründung oder Bekämpfung einer Vorlage gesagt wird, sondern wie durch die gesetzgebende Versammlung im Wege der Gesetzgebung den geistigen, wirtschaftlichen und politischen Bedürfnissen des Landes genügt wird, und wie die Gesetze im Lande demnächst ausgeführt werden.

Es ist uns ferner vorgeworfen worden, daß wir hier 25 Gesetze auf einmal dem hohen Hause vorgelegt hätten. Der Herr Abg. von Lieber⸗ mann hat schon mit Recht daran erinnert, daß wir früher getadelt wurden, daß wir nicht die Gesetze alsbald beim Zusammentritt dem Hause vorlegten, sondern nach und nach, und dann die Zeit nicht reichte, diese Gesetze zu beraten, und die Möglichkeit fehlte, für die gesamte Tagung einen Arbeitsplan aufzustellen. Nun, bitte, sehen Sie sich diese Gesetze näher an! Unter diesen Gesetzen ist nicht ein einziges, einschließlich der Finanzreform, was nicht von dem hohen Hause seit Jahren verlangt und gewünscht wird. Und dann kann ich auch nicht annehmen, daß das hohe Haus nicht in der Lage wäre, diese Gesetze zu erledigen. Denn man glaubt doch offenbar, daß auch noch Zeit genug übrig bleiben wird für die Erledigung anderer aus der Mitte des hohen Hauses hervorgegangener Vorlagen. Sehen Sie doch, bitte, auf die große Anzahl von Anträgen, Resolutionen, Gesetzentwürfen, die von Ihnen selbst vorgelegt sind, und die nach ihrer sachlichen Schwerkraft fast ebenso umfangreich sind, wie die Vorlagen der Re⸗ gierung. Es wird endlich auch geklagt über die Rücksichtslosigkeit des Bundesrats, daß er Resolutionen und Gesetzentwürfen, die vom Reichstag beschlossen sind, nicht Rechnung trüge. Ich glaube, man verkennt damit die Stellung des Bundesrats und das politische Ver⸗ hältnis der beiden Machtfaktoren, Bundesrat und Reichstag, zuein⸗ ander. Ich behaupte, daß es keinen Staat in der Welt gibt, wo neben einem so weitgehenden Wahlrecht, wie das allge⸗ meine, gleiche, direkte geheime Wahlrecht, nicht neben dem einen Haus noch ein Oberhaus besteht. Bei uns im Deutschen Reich besteht aber ein solches Oberhaus nicht, denn der Bundesrat ist eine Vertretung der Regierungen, seine Mitglieder sind an Instruktionen gebunden. In Ermangelung eines Oberhauses ist des⸗ halb der Bundesrat genötigt, die Funktionen, die in den anderen Staaten das Oberhaus wahrnimmt, selbst wahrzunehmen. Deshalb hat er die gesamte Gesetzgebung, die hier aus dem hohen Hause hervor⸗ geht, seinerseits zu sichten und allen Anträgen und Gesetzen, die er für das Reich nicht für nützlich hält, selbst die Genehmigung zu versagen. Damit hängt aber auch zusammen, daß die politische Verantwortung, ich mochte fast sagen, das politische Odium, das sonst in anderen Staaten zum Teil das Oberhaus trägt, auf den Bundesrat allein als die unmittelbare Vertretung der Regierungen fällt.

Ich möchte nun mit einem Wort auf die Finanzlage eingehen. Ich habe hier in den 12 Jahren, wo ich die Ehre habe, mit dem

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1 11414“ unsere Schuldenlast noch viel geringer war über das unabsehbare und schnelle Wachstum der Schuldenlast des Reichs. Bei den letzten Verhandlungen über die jetzige Finanzreform scheint sich aber ein ganz anderes Bild zu bieten; jetzt ist es so dargestellt worden, als ob unsere Schuldenlast eigentlich gar nicht so gefährlich wäre, und als ob die Maßregeln, die die verbündeten Regierungen vorschlügen, eigentlich sachlich nicht voll begründet wären, als ob wir unnütz in düsteren Farben malten. Meine Herren, zunächst muß ich bemerken, daß die Parallele, die mit England, Frankreich, Amerika gezogen wird, meines Erachtens nicht zutrifft für die Verhältnisse im Deutschen Reiche. Ich erinnere Sie nur daran, in welch großartiger Weise seinerzeit England nach den napoleonischen Kriegen seine Schulden ab⸗ gebürdet hat; ich erinnere Sie nur daran, in welcher Wels Amerika nach dem Sezessionskriege seine Schuldverhältnifs geordnet hat; auf Frankreich ist schon früher Bezug genommen Aber außerdem ist auch nicht die absolute Höhe der Schulden maß⸗ gebend, sondern die Schulden stehen bei jedem Privatmann im Verhältnis zur wirtschaftlichen Potenz, zum Kapitalreichtum des Staates, und wir können uns in bezug auf Kapitalskraft auch heute noch nicht weder mit Frankreich noch mit England noch behaupt ich mit Nordamerika messen.

Es kommt aber noch ein anderer Gesichtspunkt hinzu. Je mehr wi Schuldentitel auf den Markt bringen, je öfter wir mit neuen Anleihen an den Geldmarkt herantreten, desto mehr wird natürlich der Kurs unserer Anleihen gedrückt, und desto teurer wird verhältnismäßig das Geld das wir für unsere Anleihen zu bezahlen haben. Man kann Schulden machen für Einrichtungen, die dauernd sind oder dauernde Erträge versprechen. Aber wenn wir beispielsweise für die Zwecke der Landes verteidigung genötigt sind, Anschaffungen zu machen, die sich im Laufe eines Menschenalters aufbrauchen oder unmodern werden, dann haben wir meines Erachtens die Verpflichtung, im Wege der Steuern und im Laufe einer Generation die Mittel zu beschaffen für solche Aufwendungen, die für die nächste Generation von Wert nicht mehr sein werden; denn die kommende Generation wird bei dem gewaltigen technischen Fortschritt auf allen Gebieten und bei der Verfeinerung unseres gesamten Lebens selbst neue Aufgaben zu lösen und auch zu bezahlen haben. Deshalb ist es meines Erachtens unrichtig, Schulden zu machen für Anlagen, die sich bereits im Laufe eines Geschlechts aufbrauchen; die müssen von der lebenden Generation im Wege der Steuern gedeckt werden. Ich habe einmal mit dem verstorbenen Minister von Miquel in einer ernsten Stunde eine Unterhaltung gehabt über die Finanzen de Deutschen Reichs. Wie Sie wissen, war Herr von Miguel ein Mann von großer praktischer Erfahrung und einer gewissen geschichtsphilosophischen Auffassung. Er sagte mir bei dieser Gelegenheit: wir brauchen in Deutschland den Sieg des Radikalismus, wie er von der äußersten Linken vertreten wird, zunächst nicht zu fürchten; denn Deutschland hat so viele verschiedene geistige, soziale und wirt⸗ schaftliche Zentren dank seiner Geschichte, daß diese einen festen Rückhalt gegen den Ansturm des Radikalismus bilden; die Lage der Regierung kann erst dann eine gefährliche werden, wenn sie in schlechte Finanzen gerät, wenn sie infolgedessen zu abhängig wird vom Parlament, und wenn sie die Staatsausgaben, die das Land und ihre Stellung erfordert, nicht mehr leisten kann. Meine Herren, mir scheint hierin eine tiefe Wahrheit zu liegen. Der Herr Abg. Bassermann und ebenso der Herr Abg. Bebel sind auch auf die jetzige Streikbewegung zu sprechen gekommen, und ich muß sagen, das Streik⸗ sieber, wie es jetzt durch die deutsche Arbeiterbevölkerung geht, muß auf die Länge geradezu zerrüttend auf unsere wirtschaftlichen Ver⸗ hältnisse wirken. Der Herr Abg. Bebel hat sich darüber beschwert, daß ich glaube, im sächsischen Textilgewerbe Arbeiterinnen aus⸗ gesperrt sind, weil sie nicht aus gewissen Organisationen austreten wollten. Ich mochte demgegenüber den Herrn Abg. Bebel daran erinnern, daß fortgesetzt Arbeiter von ihren Mit⸗ arbeitern ausgesperrt werden, weil sic nicht Organisationen angehören. (Bravo! rechts.) Also allerdings der umgekehrte Weg. (Zuruf rechts.) Nein, das ist nichts anderes, Es ist in beiden Fällen eine Be⸗ schränkung der persönlichen Freiheit. (Sehr richtig! rechts.) Beides hängt eng zusammen, und ich meine, auch die Unternehmer würden sich den Organisationen gegenöber anders stellen, wenn nicht dieser Zwang seitens der organisierten Arbeiter geübt würde auf die nichtorganisierten. (Sehr richtig! rechts.) Hier in Berlin ereignet es sich nur zu häufig, daß eine Arbeitsniederlegung stattfindet, weil die Organisierten nicht zusammen mit den Nichtorganisierten arbeiten wollen. (Zustimmung rechts.) Im Hinblick auf diese Zustände hat der Herr Abgeordnete Bassermann den Wunsch ausgesprochen, daß möglichst bald das Gesetz über die Arbeitskammern vorgelegt werden möchte. Wenn die verbündeten Regierungen dieses Gesetz, welches ich namens derselben am 30. Januar vorigen Jahres angekündigt habe, dem hohen Hause unterbreiten, so hoffe ich, wird es Ihre Zustimmung finden und dazu beitragen, die Schärfe der Kämpfe zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern iu mildern. Jedenfalls wollen wir aber erst sehen, ob das Gesetz, be⸗ treffend die Berufsvereine, in diesem hohen Hause eine Gestalt bekommt, die für die verbündeten Regierungen annehmbar ist. Ist das der Fall, dann werden die verbündeten Regierungen sicher auch einen Schritt weiter gehen, und die Schaffung von Arbeitsvertretungen in Aussicht nehmen.

Meine Herren, ich gestatte

wie

mir noch kurz die soziale Frage im allgemeinen zu berühren. Die moderne Arbeiterbewegung steht im !engsten Zusammenhang mit der großartigen und schnellen Entwicklung der deutschen Industrie. Ich möchte sagen, diese moderne Arbeiter⸗ bewegung, die große Massen von Arbeitern an einzelnen Punkten zum Teil ganz vorübergehend konzentriert, aber von der heimischen Scholle dauernd loslöst, ist der Schatten unserer industriellen Entwicklung. (Sehr richtig!) Es ist auch ganz naturgemäß, daß, wenn der Arbeiter sieht, wie die Wohlhabenheit in unserem Lande Gott sei Dank steigt, er dann gleichzeitig mit seiner besseren Schul⸗ bildung und mit der wachsenden allgemeinen Kultur auch seine Ansprüche an die äußere Lebenshaltung steigert und er einen größeren Anteil an dem Gewinne der industriellen Betriebe für sich zu gewinnen sucht. (Sehr richtig!) Aber dieses Bestreben, das an sich verständlich und auch berechtigt ist, findet seine Grenzen in zweierlei Richtung. Erstens kann selbstverständlich durch die Höhe der Arbeitslöhne die Produktion nicht in einer Weise verteuert werden,

(Fortsetzung in der iten Beilage.)

Reichstage zu verhandeln, fortgesetzt Klagen gehört schon wie 8 1 G“ 8 ö“

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Berlin, Mittwoch, den 13. Dezember

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1905.

(Fortsetzung aus der Ersten Beilage.)

daß schließlich die Kauflust und Kaufkrast der heimischen Verbraucher sinkt oder die Möglichkeit der Einfuhr fremder Erzeugnisse nach Deutschland übermäßig begünstigt wird, und ferner ist es ein Irrtum den man namentlich in sozialdemokratischen Kreisen häufig begeht daß man im allgemeinen den Verdienst der Unternehmer zu hoch einschätzt Wenn der Unternehmer nicht mehr die Aussicht hat, sein Kapital wirklich gewinnbringend anzulegen, wird eben die Unternehmungslust überhaupt zurückgehen, ein Zustand, wie er in Frankreich so lebhaft

beklagt wird. (Sehr richtig!) Es wird niemand sein Kapital riskieren in gewagten industriellen Unternehmungen, wenn ihm nicht ein reich⸗ licher Gewinn in Aussicht steht. die glücklichen Unternehmungen, die großen Zins abwerfen. den Unternehmungen, den zahlreichen Unternehmungen, die still untergehen, von denen spricht kein Mensch. (Sehr richtig!) Werden also die Forderungen an Löhnen überschraubt, wird die Ware zu teuer, das Geschäft zu riskant, so leidet unter den fortwährenden Streiks zunächst die Unternehmerlust des deutschen Unternehmer⸗ standes, dann trägt aber in zweiter Reihe den Rückschlag der Arbeiter weil sich die Arbeitsgelegenheit entsprechend vermindert. (Sehr richtig ) Diesen Auswüchsen der Arbeiterbewegung kann man nicht durch Gesetze abhelfen; dem kann man nur abhelfen dadurch, daß der Arbeiter in seinem Denken wirtschaftlich reifer, wirklich gebildeter wird und daß er so imstande ist, den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Arbeitslohn und Arbeitsmarkt zu übersehen. (Sehr richtig!) Außerdem muß selbstverständlich die gerechteste Behandlung des Arbeiters sowohl seitens der Regierungsorgane, wie der bürgerlichen Gesellschaft hinzukommen, um sich das Vertrauen des Arbeiters zu erwerben und zu erhalten. (Sehr richtig!) Aber wenn hier bei Gelegenheit der Steuerdebatte ein so düsteres Bild entworfen ist von dem traurigen Zustande des deutschen Arbeiters, so will ich mich auf eine andere ich glaube, ziemlich unparteiische, Quelle stützen. Die enalischen Messingwerke von Birmingham hatten eine Deputation nach Deutsch⸗ land gesandt, um sich zu überzeugen, wie eigentlich die wirtschaftliche Lage des deutschen Arbeiters sei, ob sie wirklich so elend sei, wie man häufig liest, ob der deutsche Arbeiter zu so niedrigen Löhnen arbeite ob seine Lebenshaltung in der Tat eine so geringe sei, daß daraus eine gefährliche Konkurrenz für die englische Industrie entstehen müsse weil man dementsprechend in Deutschland auch wesentlich billiger . duziere als in England. Das über ihre Reise von der Deputation veröffentlichte Buch ist wirklich sehr belehrend. Ich empfehle Ihnen namentlich alles das, was in bezug auf die sittliche Erziehung des deutschen Volkes durch die allgemeine Wehrpflicht gesagt ist. Was aber insbesondere die Lebenshaltung des Arbeiters betrifft, so findet sich hier folgende Stelle: 5 Vom Standpunkte des Arbeiters ist es ganz unzweifelhaft, daß ddeer deutsche Arbeiter besser genährt ist wie in England (hört, hört! rechts), und daß er sich eines höheren sozialen Lebensstandes erfreut (hört, hört! rechts); 8 es scheint, daß billige Nahrung nicht der einzige wichtige Gesichts⸗ Puhkt in der Wohlfahrt eines Volkes ist (sehr richtig! rechts), sondern daß die Intelligenz und die Selbstbeschränkung in ihrem Gebrauch vielleicht von noch größerer Bedeutung ist. (Sehr richtig! rechts.) Die Intelligenz des deutschen Arbeiters ist in der Tat dank der deutschen Schulbildung in einem ganz außer⸗ ordentlichen Maße gestiegen, und man kann nur hoffen, daß er von dieser Intelligenz auch in den Kämpfen auf dem Arbeits⸗ markt einen durch Selbstkontrolle beschränkten Gebrauch machen möge (Bravo!) Etwas ganz anderes wie die moderne ist aber die sozialdemokratische Bewegung. Die Sozialdemokratie schöpft daraus ihre wesentlichste Kraft gegenüber den Massen daß sie ihnen erklärt: die bestehende bürgerliche Gesellschaft ist gar nicht imstande, die berechtigten Forderungen der Arbeiter zu befriedigen; deshalb muß der Staat von Grund aus neu aufgebaut werden. Daher ist es umgekehrt für die bürgerliche Gesellschaft ganz außerordentlich gefährlich, wenn sie nicht ihrerseits einen charfen Unterschied zwischen der modernen Arbeiterbewegung und der sozialdemokratischen Bewegung macht. (Lebhafte Zustimmung.) Leider Gottes, meine Herren, gibt es noch immer Kreise, die in jeder Forderung des Arbeiters, sei es, daß sie sich auf höhere Löhne bezieht, sei es, daß die Arbeiter an die Betriebe Forderungen der Gesundheit, der Sittlichkeit oder des äußeren Anstandes stellen einfach sozialdemokratische Forderungen erblicken. (Sehr richtig! in der Mitte.) Das ist meines Erachtens der schwerste politische Fehler, den man machen kann, und trägt wesentlich zur Stärkung der Sozialdemokratie bei. (Zustimmung in der Mitte. Zurufe links.) Meine Herren, ich glaube nicht, daß ich ein Chauvinist bin; aber ich habe die innerste Ueberzeugung und ich habe auch fremde Länder bereift und ihre Verhältnisse studiert —, daß es doch kein Land gibt, wo im allgemeinen so geordnete soziale Zustände, so ge⸗ ordnete wirtschaftliche und politische Zustände vorhanden sind wie in Deutschland (sehr richtig!), und daß es kein Land gibt, wo auch den unteren Volksklassen nach dem Grundsatz „suum cuique“ so ihr wirtschaftliches und politisches Recht zu teil wird wie in Deutschland. (Widerspruch und Unruhe bei den Sozialdemokraten.) 1 Demge genüber fragt man sich aber: wie ist es psychologisch erklärlich, daß in diesem Deutschland, einem Lande, das auch wirtschaftlich zum Besten der unteren Volksklassen so gewaltige Fortschritte gemacht hat, daß in diesem Lande bei den Wahlen eine Partei mit drei Mil⸗ lionen Stimmen auftreten kann, die unsere ganze Geschichte, unsere ganze Vergangenheit verleugnet und wenigstens durch ihre Führer behauptet: das moderne Staatswesen sei so

Arbeiterbewegung

Außerdem sieht man immer nur Von

gebaut werden müsse? Ich habe auch mit Ausländern darüber gesprochen, und die haben mir gesagt: „Ja, wir stehen vor einem Rätsel! Wenn wir durch dieses Deutschland fahren mit seinem wachsenden Wohlstand, wo man überall ernste Arbeit, wo man überall wohlgekleidete Leute sieht, wenn wir sehen, was Deutschland auf sozialem Gebiete geleistet hat, Leistungen, die wir als ein Vorbild betrachten, dann fragen wir uns erstaunt: woher kommt bei Ihnen diese große radikale Partei?“ Meine Herren, man könnte viele Ant⸗ worten darauf geben; ich möchte aber zunächst zwei Gründe für eine gewisse Erklärung finden. Ich will hierbei keine Schönfärberei treiben: ich glaube, daß wir bei der Art unsrer Verwaltung auch in den lokalen Instanzen noch manche kleinen Gesichtspunkte aus dem kleinen alten Polizeistaat hinübergenommen haben, die in unsere Zeit nicht mehr passen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ich glaube aber ferner auch, daß mit unserm wachsenden Wohlstand nicht in gleichem Maße die Opferfreudigkeit ge⸗ stiegen ist, die Großherzigkeit in wirtschaftlichen Dingen, die die besitzende Klasse auszeichnen muß. (Sehr richtig!) Die sozialdemokratische Bewegung, die Sozialdemokratie, wurzelt unzweifelhaft in einer durchaus materialistischen Weltanschauung. Ich kann es aber nicht leugnen, auf Grund der Beobachtungen, die ich im täglichen Leben gemacht habe, daß mit unserm wachsenden Reichtum auch in unsern besitzenden Klassen ein Maß materialistischer Weltanschauung, materialistischer Genußsucht gewachsen ist (viel⸗ faches Sehr richtig! in der Mitte und links), das mich manchmal mit Besorgnis und Bedauern erfüllt. (Zustimmung in der Mitte und links.) Und darin sehe ich auch den eigentlichen Grund, daß die bürgerliche Gesellschaft nicht die Kraft hat, die Sozialdemokratie zu überwinden weil in der Sozialdemokratie und in unsrer bürgerlichen Gesellschaft mit ihrem wachsenden Reichtum, weil in beiden ein Materialismus herrscht, der kongeniale Erscheinungen auf Grund derselben Ursache erzeugt. (Sehr gut!)

Dit bürgerliche Gesellschaft wird die Sozialdemokratie auch nicht mit großen Worten überwinden, sondern sie wird sie nur überwinden, wenn sie in sich selbst geht, wenn sie selbst diesen materialistischen St andpunkt verläßt, und wenn in das ganze Leben der bürgerlichen Gesellschaft wieder ein größeres Maß sittlichen Ernstes einzieht⸗ (Sehr gut! in der Mitte.) Wir haben im Beginn des 16. Jahr⸗ hunderts und im Beginn des 19. Jahrhunderts Perioden gehabt, wo ein großer sittlicher und geistiger Läuterungsprozeß über das deutsche Volk gekommen ist, und dieser geistigen Wiedergeburt des deutschen Volkes in jenen beiden großen Zeitläufen unserer deutschen Geschichte verdanken wir eigentlich, daß wir zu einem deutschen Nationalstaat gekommen sind. Ich hoffe, und es tut dringend not, daß das deutsche Volk wieder eine solche geistige und sittliche Wiedergeburt erlebt, voll Opfer⸗ freud igkeit und Selbstlosigkeit für die großen Aufgaben der Zeit! Dann werden die besitzenden Klassen und wird die bürgerliche Gesell⸗ schaft in Deutschland sich den Einfluß und die Schwerkraft erhalten die sie trotz jeden Wahlrechts in jedem Staat und unter jeder Ver⸗ fassung besitzen muß, und die sie in jedem zivilisierten Staat in der Tat auch besitzt. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Schrader (frs. Vgg.): Es ist kein glückliches Syst den Reichstag immer wieder zu vertagen und so 18 bücee Sesten. erhöhen; aber in diesem Frühjahr lagen doch keine erheblichen Gründe dafür vor, weil eine Anzahl wichtiger Gesetze so weit vorbereitet waren, daß sie noch hätten verabschiedet werden können. Außerdem erfolgte die Schließung des Reichstages, ohne daß seine Mitglieder vorher die geringste Ahnung davon hatten; mindestens muß ihnen doch rechtzeitig Kenntnis von dieser Absicht des Schlusses gegeben werden. Eines entschiedenen Protestes bedarf aus unserer Mitte sofort die Ausführung des Staatssekretärs daß das Reden hier eigentlich nichts nütze, da doch kein Redner den anderen überzeuge; eine solche Herabsetzung des Reichstags kann nicht energisch genug zurückgewiesen werden. Ein Oberhaus können wir uns nicht gefallen lassen, denn es würde auch nur die Interessen des Reichs zu vertreten haben und vertreten müssen; der jesige Bundesrat wächst sich aber immer mehr aus zu dem alten Bundestag, der nichts war als eine Vertretung der Einzelstaaten. Je mehr wir leiden unter der Belastung mit politi⸗ schen Geschäften und anderen Dingen, desto mehr müssen die Abgeordneten erleichtert werden in der Wahrnehmung ihrer Geschäfte, auch durch die Uebernahme der Kosten ihres Aufenthalts in Berlin auf das Reich. In der Behandlung der zur Diskussion stehenden Vorlagen werde ich dem anekdotenhaften Vortrage des Herrn Kollegen Liebermann nicht folgen. Was die Erledigung des Etats für 1906 betrifft, so ist schon jetzt kkeine Aussicht, daß wir mit der ersten Lesung desselben und der Steuervorlagen vor dem 15. Januar fertig werden. Dann haben wir ganze 2 ½ Monate für die Einzelberatung und endgültige Verab⸗ schiedung übrig! Es wird da gar nichts übrig bleiben, als nach dem Vorschlage des Abg. Fritzen alles auf die neuen Steuern Bezügliche aus dem Etat zu eliminteren; aber leicht wird uns das nicht fallen ich sehe überhaupt nicht, wie wir zum Ziele kommen können. Statt uns im November zu berufen, läßt man uns erst im Dezember zusammen⸗ kom men, obwohl man weiß, wie schwer es ist, kurz vor Weihnachten be⸗ schlußfähige Häuser zusammenzuhalten! Die Ausgaben im ordent⸗ lichen Etat scheinen mir bereits im Hinblick auf die neuen Steuern festgestellt zu sein; die einzelnen Ressorts haben munter drauf los gefordert. Ob die Einnahmen richtig angenommen sind, wird sich erst gegen Ende des Etatejahres genauer übersehen lassen. Gegen die Marineforderungen haben wir vorbehaltlich der Prüfungen im einzelnen nichts einzuwenden. Auch in der Kolonialverwaltung haben wir, wie die Dinge nun einmal liegen, dafür zu sorgen, daß die Kolonieen gut verwaltet und so ausgestaltet werden, daß sie auch einmal etwas einbringen, daß sie durch Bahnen usw. erschlossen werden. Vor allem aber muß eine schärfere Kontrolle von hier aus geübt und überall der richtige Mann in den Kolonieen an die richtige Stelle gesetzt werden. An der Spitze jeder Kolonie muß ein Mann ersten Ranges stehen; nicht entscheidend darf sein, ob er früher Leutnant gewesen ist, sondern er muß ein tüchtiger Verwaltungsbeamter sein. In allen diesen kolonialen Verhältnissen ist die Person die Hauptsache. Was die Steuerreform angeht, so hat uns der Bundesrat, diese Vertretung der Einzelstaaten, eine Reform vorgeschlagen, deren Basis das Bestreben ist die Einzelstaaten von der unbequemen Last der Matrikularbeiträge für das Reich zu befreien. Hier liegt der Kernpunkt der Reformvor⸗ schläge; in allen anderen Beziehungen sind wir der Beschlußfassung des Bundesrats unterworfen, in diesem einen Punkte nicht, hier kann der Reichstag souverän beschließen. Das will man beseitigen; man will die Matrikularbeiträge auf einen Betrag von 40 pro Kopf reduzieren. Die Erbschaftssteuer, so wie sie vorgeschlagen wird,

durch und durch morsch, daß es von Grund aus neu auf⸗

ene Wirtschaftspolitik eingeschlagen. Sobald irgend eine Ver⸗ besserung auf militärischem Gebiete erfolgt, sind sofort sämtliche Staaten gezwungen, sie mitzumachen; damit wachsen die Ausgaben für die Wehrhaftigkeit des Reiches. Es ist doch aber immer dasselbe Faß, welches angezapft wird; es fließt alles aus den Taschen des⸗ selben Volkes heraus, gleichviel, wo das Faß angebohrt wird. Unser deutscher Reichshaushalt basiert auf den Leistungen der Industrie und des Handels; und gleichzeitig haben wir eine Wittschaftspolitik die geradezu die Entwicklung dieser Leistungen künstlich hindert. Der Graf Posadowsky appelliert an die reichen Leute, die einmal etwas für das allgemeine Beste tun sollten. Zahlen etwa unsere Groß⸗ grundbesitzer die hohen Steuern? Nein, sie haben aber die Liebes⸗ aus dem Branntweinsteuergesetz! Hier bietet sich für den v Posadowsky ein Weg, seinen Idealen zur Wirklich⸗ eit zu verhelfen. Ein wirklich gutes Mittel, der Finanz⸗ misere abzuhelfen, ist die Reichseinkommensteuer, und zwar eine quotisierte. Jetzt ist das Unglück da: mit jedem Jahre wachsen die Flottenausgaben an sich, da sie bei der technischen Entwicklung wachsen müssen, und die Deckung fehlt. Ich will ja nicht hoffen, daß Sie genötigt sind, zu der Reichseinkommensteuer zu schreiten, aber kommen wird sie, weil sie allein die Möglichkeit bietet, zu geordneten Finanzzuständen zu gelangen. Was die neuen Steuern im einzelnen betrifft, so haben wir die allergrößten Be⸗ denken gegen jede neue indirekte Steuer, die aufgelegt werden soll. Der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben hat neu⸗ lich, und der Graf Posadowsky heute die Lage der Ar⸗ beiter in den glänzendsten Farben geschildert. Jede Lohn⸗ erhöhung bedingt eine Verteuerung von Lebensmitteln und Verbrauchsgegenständen; derselbe Lohn hat heute nicht mehr die Kaufkraft wie vor Jahren und wird so zu einer fortwährenden Ver⸗ teuerung der Nahrungsmittel und Verbrauchsgegenstände. Nun verweist man auf den Erlaß der Einkommensteuer bei den unteren Klassen Aber das bedeutet doch nur den Erlaß der Steuer, die der Haus⸗ haltungsvorstand bezahlt; die indirekte Steuer trägt er weiter und nicht einfach, sondern drei⸗ sechs⸗ und mehrfach, je nach der Kopfzahl seiner Familie. Die Unterbeamten stehen heute vielleicht noch schlechter da als die Arbeiter, denn ihre Gehälter ändern sich nicht so leicht bei noch so starker Teuerung der Lebensmittel. Von der Ent⸗ lastung auf dem Gebiete der direkten Steuern soll man also nicht so viel Worte machen. Und kommt nicht mit dem neuen Zolltarif eine weitere schwere Belastung? Da kann man doch nicht gleichgültig daran vor⸗ übergehen. Wir sind bereit, die Erbschaftssteuer zu erhöhen und auf De⸗ szendenten und Ehegatten auszudehnen, um zur Erleichterung der Arbeiter beizutragen. Die Thronrede hat diesmal einen Ton angeschlagen wie er nicht herkömmlich ist; die Schärfe, die aus ihr klingt, hat uns gestern in der Debatte seltsame Nachklänge gebracht, indem der Graf Reventlow gegen unseren deutschen Botschafter in London loszog, als ob der unsere Regierung in den Glauben versetzt habe, daß die eng⸗ lische Regierung gegen unsere Flottenvermehrung sei. Eine etwas energischere Zurückweisung hätte diese Insinuation wohl verdient als sie gestern vom Bundesratstische erfolgte. Was die Marokko⸗ Frage betrifft, so deute ich die Thronrede und die Kanzler⸗ rede so, daß wir auf dem Wege einer freundschaftlichen Ver⸗ ständigung sind. In solcher Situation ist cs kaum angezeigt Rückblicke zu werfen auf die Entwicklung und nachträglich zu zeigen, daß der andere eigentlich unrecht hat. Die Ordnung für die inneren Zustände in Marokko wird man boffentlich Frankreich überlassen; ein gemeinsames Eingreifen mit Frankreich und England in die marokkanischen Verhältnisse unsererseits würde wahrscheinlich nicht zum Frieden, sondern zum Unfrieden führen es würde ein Danaergeschenk der Konferenz von Algeciras sein. Die Flottendemonstration gegen die Türkei scheint ja zu Ende zu sein, ohne großen Erfolg gehabt zu haben. Es war eine neue Auflage des alten leidigen Zustandes, daß die Mächte in die inneren Verhältnisse der Türkei sich einmischen; mit dieser ewigen Einmischung im Namen Europas legt man die einzige Macht die wirklich einschreiten sollte und könnte, nämlich die Türkei selbst, eher lahm und nützt auch der Gesamtheit nichts. Ganz besonders mußte der Passus der Thronrede auffallen, daß andere Nationen uns mit Mißgunst verfolgen. Gegen England sind ja hier im Hause schon seit langem die heftigsten Reden gehalten worden; wenn jetzt in England heftige Gegenäußerungen erfolgen, so ist die Hauptursache davon in der deutschen Schutzzollpolitik und in der Chamberlainschen Agitation zu suchen. Chamberlain ist es, der die öffentliche Meinung Englands gegen das ochschutzzöllnerische Deutschland aufgeregt und aufgewühlt hat. Jetzt aber ist ein anderes Ministerium ans Ruder gekommen, und die angesehensten Leute der englischen Gesellschaft verwahren sich dagegen, eine deutsch⸗ feindliche Politik auch nur im mindesten zu unterstützen oder nur zu billigen. Wir können unserseits nur mit Freuden diese Wendung be⸗ grüßen; ich wünschte nur, daß wir ebenso freundlich diese Bewegung erwiderten, daß auch von uns aus, einem Breslauer Anstoß folgend, angesehene Leute sich ähnlich soli⸗ darisch für ein England freundliches Verhältnis erklärten. Ganz gewiß werden wir nur einen Krieg führen, der uns aufgedrungen wird, den unsere nationale Ehre uns zu führen zwingt; so lagen die Dinge auch 1870. Aber es wird doch mit dem „Ernst der Zeit“ ein etwas ausgedehnter Begriff verbunden. Hat doch gestern der Kultusminister Studt im preußischen Abgeordnetenhause erklärt der Ernst der Zeit erfordere, daß das Volksschulgesetz ohne viele Reden angenommen werden müsse! Daß Rußland bald aus den jetzigen Wirren herauskommt, glaube 8 nicht; es fehlt jede Autorität, welche die Ordnung der Dinge nach der einen oder der anderen Seite in die Hand nehmen könnte. Unsere Grenz⸗ provinzen nach Osten können doch vielleicht irgendwie davon beeinflußt werden. Auch Oesterreich⸗Ungarn hat gegen⸗ wärtig innere Wirren durchzumachen, deren Wirkung viel⸗ leicht zu uns irgendwie überspringen könnte. Der Staats⸗ sekretär macht den materialistischen Geist bei uns für die unbe⸗ friedigende Lage der sozialen Zustände verantwortlich, und gleichzeitig befürwortet er die Auferlegung so ungeheurer neuer Lasten die die Unzufriedenheit notwendigerweise schüren müssen! Und das in einer Zeit, wo schon diese höchst aufreizende Fleischteuerung die höchste Un⸗ zufriedenheit erregt, der Bundesrat aber nicht das allermindeste Ent⸗ gegenkommen in dieser Frage bewiesen hat. Wenn unsere Sozial⸗ demokratie trotz aller Fehler, die sie macht, immer weiter wächst, so liegt das daran, daß die ganze Politik der Regierung darauf gerichtet ist, die unteren Klassen zu belasten und sie in einer direkt ver⸗ letzenden Weise zu behandeln. Man tut auch alles, was man kann um unsere gebildeten und intelligenten Klassen vor den Kopf zu stoßen. Trotz aller Sozialreform ist zu bedenken, ob in der bisherigen Weise fortgewirtschaftet werden kann.)

Graf

Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr.

von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Der Herr Abg. Schrader hat geglaubt, einen Protest aussprechen zu müssen gegen meine Ausführungen. Ich glauke wirklich, dieser Protest war nicht notwendig. (Widerspruch links.) Nein! Der Herr Abg. Schrader hat meine Ausführungen miß⸗ verstanden. (Zuruf links.) Meine Herren, ich habe ausgeführt,

bietet keinen Ersatz. Wir haben von vornherein eine ganz

daß für Diäten sich zwar sachliche und praktische Gründe geltend