nicht das Richtige. Der verstorbene Werner von Siemens schilderte
sehr anschaulich, wie er im Kaukasus die dortige Bevölkerung dazu ebracht hat, fleißig zu sein; das einzige Mittel zu dieser Erziehung ei, ihnen mehr Bedürfnisse anzugewöhnen. Er regte zunächst die
Putzsucht der Frauen an, und Uieser kluge Menschenkenner hat es
sehn gebracht, daß diese Naturkinder ohne jeden Zwang zu arbeiten gannen.
Abg. Südekum (Soz.): Ich habe dem Abg. Dr. Paasche keinen Vorwurf machen wollen, ich habe nur unterstreichen wollen, was er selbst in seinem neulichen Vortrage uns mitgeteilt hatte. Ein Ver⸗ treter einer Nation, die unter ihren Kolonialbeamten Leute von Leist und Wehlan bis zu Puttkamer aufzuweisen hat, hat keine Ursache, sich in die Brust zu werfen, wie der Abg. Paasche es getan hat. Auch steht es fest, daß die 88 der englischen Kolonisation unmöglich 8 wären, wenn die Mehrzahl ihrer Kolonialbeamten schlechte
ubjekte gewesen wären.
Abg. Erzberger bestreitet gleichfalls, dem Abg. Paasche irgend einen Vorwurf haben machen zu wollen.
Abg. Dr. Paasche bleibt dabei stehen, daß bei unseren Kolonial⸗ beamten wohl zu viel regiert und reglementiert wird, daß aber kein Pfennig in unrechte Hände kommt, und weist nochmals auf das Bei⸗ spiel der englischen Uganda⸗Bahn hin. In den spanischen Kolonieen hält es jeder Beamte für seine Pflicht, sich zu bereichern; auch die holländischen Kolonialbeamten seien vielfach nach wenigen Jahren mit Vermögen von Hunderttausenden aus den Kolonieen zurückgekommen. Das Recht, unsere Beamten diesen gegenüber zu stellen, müsse er für sich in Anspruch nehmen.
Abg. Gothein (fr. Vgg): Ich habe dem Abg. Dr. Paasche das Recht, unsere Beamten zu rühmen, nicht abgesprochen, aber gemeint, daß eine solche Kritik der Kolonialverwaltung anderer Staaten ohne jede Not und ohne jeden Anlaß durchaus nicht am Platze war.
Damit schließt die erste Beratung. Die beiden Nachtrags⸗ etats gehen an die Budgetkommission. Ebenso verweist das Haus auf Antrag des Abg. Erzberger den vierten Nach⸗ tragsetat für 1905 (30 Millionen für Südwestafrika) an die⸗ selbe Kommission.
Darauf wird die Vertagung beschlossen.
Schluß nach 6 ¼ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 2 Uhr. Initiativanträge des Zentrums und der Nationalliberalen, betreffend Gewährung von Anwesenheitsgeldern.)
8
Haus der Abgeordneten. 8 10. Sitzung vom 16. Januar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Das Haus setzt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Feststellung des Staatshaushaltsetats für 1906, fort.
Auf Bemerkungen des ersten Redners, des Abg. Broemel (fr. Vgg.), über dessen Ausführungen bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, erwidert der
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Der Herr Abg. Broemel hat in seiner langen Rede so viele starke Ausdrücke gebraucht, daß ich es ihm nicht weiter übel nehme, wenn er von meinen Ausführungen gesagt hat, meine Bedenken seien nur formaler Firlefanz. Ich gehe darüber hinweg; ich nehme an, daß es nur eine fagon de parler gewesen ist, die der 8 Herr Abg. Broemel nicht so ernst gemeint hat. Ich will meinerseits
nicht noch den Ton verschärfen; er hat schon seinerseits den Ton viel mehr verschärft, als es durch die Sache geboten gewesen war. (Sehr richtig! rechts.) Ich gehe auf die Sache nicht weiter ein. Mit dem Herrn Abg. Broemel erkenne ich gern an, daß gottlob in unserer Bevölkerung noch das Gefühl lebt, beim Thron immer das Recht zu finden; aber gerade deswegen wollen wir den Thron und den Monarchen nicht in die viel umstrittene Frage der Wahlrechtsreform hineinziehen, noch dazu einer Wahlrechtsreform im Sinne des Herrn Abg. Broemel, und ich halte meine Anschauung gegenüber dem Herrn Abg. Broemel in jeder Beziehung, in jedem Wort und in jedem Punkte aufrecht. (Lebhaftes Bravo rechts.)
Abg. von Arnim kkons.): In den Streit zwischen den Herren Broemel und von Zedlitz will ich mich um so weniger einmischen, als r von Zedlitz noch zu Wort kommt. Aber ein großer Teil der Aus⸗ führungen des Herrn von Zedlitz hat mir gefallen und mich zu der Ueberzeugung gebracht, daß er sich unseren Anschauungen nähert. Im Eisenbahnetat sind die Einnahmen, wenn man die gestiegenen Verkehrs⸗ verhältnisse berücksichtigt, sehr vorsichtig veranschlagt. Für Massen⸗ güter auf weite Entfernungen müssen Herabsetzungen der Tarife statt⸗ finden; das würde den gewerblichen Interessen und denen der Land⸗ wirtschaft entsprechen. Dem Abg. Wiemer muß ich sagen, daß wir nicht finden können, daß die Selbstverwaltung in irgend einem Punkte eingeschränkt worden ist. Der Minister hat auch gesagt, es liege ihm fern, irgend eine Aenderung der Gesetzgebung in dieser Hinsicht an⸗ bahnen zu wollen. Man klagt über die Fleischnot, auf die ich nicht weiter eingehen will, aber bei anderen Teuerungen, wie bei der Preissteigerung der Kohlen durch das Syndikat, hört man keine Klagen. In bezug auf die Ansiedlungen möchte ich wünschen, daß die Ansiedlungen nicht zu klein gemacht werden und auch die Mög⸗ lichkeit von Vergrößerungen offen gelassen wird. Aus nationalen Gründen will ich hierbei der Regierung den Wunsch warm ans Herz legen, daß den aus den baltischen Provigzen geflüchteten Deutschen die Möglich⸗ keit gewährt wird, in den Provinzen Posen und Westpreußen sich anzusiedeln. In bezug auf die Sozialdemokratie kann ich mich den Ausführungen des Abg. von Erffa anschließen. Ich meine auch, daß, wenn mit Strenge die Bestimmungen der §§ 68 und 130 Str.⸗G.⸗B. angewendet werden, viel erreicht werden kann. Aber angesichts der zunehmenden Ausschreitungen der Sozialdemokratie muß man sich doch de lege ferenda fragen, ob nicht Aenderungen eintreten sollen. Ich bedaure lebhaft, daß seinerzeit das Sozialistengesetz aufgegeben worden ist. Ein Artikel der „Leipziger Volkszeitung“ hat mir doch Zweifel erregt, ob man mit den bestehenden Gesetzen auskommen kann. Es heißt darin z. B., daß durch einen Staatsstreich des Königs Friedrich Wilhelm IV. und seines Ministers Manteuffel 1848 die Arbeiter politisch zu Heloten gemacht worden seien. Es sei ein Hoch⸗ verrat des Königs und des Ministers gewesen. Diese Sprache ist un⸗ erhört und schamlos. Ich habe in den Berichten über die Ereignisse von 1848 auch nicht einen Schimmer von der Wahrheit der Behaup⸗ tungen dieses Artikels gefunden. Das ist eine schrankenlose und scham⸗ lose Agitation, welche den Bestand der Monarchie in Frage stellt, wogegen eingeschritten werden sollte. Ich stehe im großen ganzen auf dem Standpunkt des Herrn von Zedlitz, ich meine aber, daß die Maßregeln, welche die Regierung zur Abänderung des Wahlrechts vorschlagen will, sich durchaus im richtigen Rahmen bewegen. Ich kann das nicht als Flickwerk ansehen, wie der Abg. Broemel. Daß die Wähler schon eine Stunde vor der Wahl im Wahllokal gemeinsam erscheinen müssen, läßt sich allerdings nicht mehr überall durchführen. Die großen Wahlkreise müssen geteilt werden. Ich betrachte es als einen Vor⸗ zug des preußischen Abgeordnetenhauses, daß keine Sozialdemokraten darin vertreten sind. Die Parole der Sozialdemokratie lautet in jenem Artikel: „Nieder mit der Autorität, es lebe der internationale Sozialismus!“ Das ist eine Aufreizung, wie sie schlimmer nicht ge⸗ dacht werden konnte. Wenn die Regierung zu der Ueberzeugung kommt, daß gegen ein solches Auftreten Ausnahmegesetze erforderlich 8
sind, so hoffe ich, daß sie das Erforderliche veranlassen wird. Es lebe die Autorität, es lebe das Königliche Regiment!
Justizminister Dr. Beseler:
G Meine Herren! Ich habe im Hinblick auf die gestrigen Ver⸗ handlungen eine ganz kurze Bemerkung zu machen. Der Herr Abg. Wiemer hat gestern auch meiner Amtsführung Erwähnung getan und dabei eines kürzlich ergangenen Gnadenerlasses gedacht. Hierbei hat er angedeutet, daß dieser Erlaß wohl noch mit der Amtsführung meines Herrn Vorgängers in Verbindung stehe. Ich möchte be⸗ merken, daß die Verantwortung für den Gnadenerlaß lediglich von mir zu tragen ist und von mir übernommen wird. (Bravo!)
Minister des Innern Dr. von Bethmann⸗Hollweg:
Meine Herren! Ich bitte, es mir zu erlassen, daß ich auf die Wahlrechtsfrage, die auch vom Herrn Abg. von Arnim eben besprochen worden ist, irgendwie eingehe. Es liegt zur Zeit eine greifbare Unter⸗ lage nicht vor. Ich würde nur theoretische Ausführungen, und auch die nur für meine Person, machen können und die Angelegenheit nicht fördern.
Die Artikel, die Herr von Arnim aus sozialdemokratischen Blättern verlesen hat, die verurteilen wir in diesem hohen Hause wohl alle. Ein Mittel, auch gegen solche Preßäußerungen Front zu machen — abgesehen von den gesetzlichen, die, wie der Herr Justizminister ja neulich schon erklärt hat, mit aller Schärfe angewendet werden — aber ein anderes Mittel möchte ich doch auch darin erblicken, daß Presse und Parteien, welche sich zu den bürgerlichen rechnen, nicht kokettieren möchten, wie es leider vielfach geschieht und leider auch in diesen Tagen geschieht, mit Bewegungen, die schließlich in erhitzten Gehirnen zu solchen Aeußerungen führen, wie sie uns mitgeteilt sind. (Sehr richtig!) Aber dies nur nebenbei!
Ich habe im wesentlichen das Wort erbeten, um zu den Wünschen mich zu äußern, die der Herr Abg. von Arnim für die flüchtenden Balten ausgesprochen hat. Dieselbe Sympathie, welche aus seinen Worten herausgeklungen ist, wird den flüchtenden Balten auch von der Königlichen Staatsregierung entgegengebracht. (Bravo!) Die Deutschen aus jenen russischen Landesteilen, welche bei uns eine Heimat suchen, nachdem ihnen die ihrige verwüstet worden ist, sind uns herzlich willkommen, und es sind bereits von der Königlichen Staatsregierung diejenigen Anordnungen getroffen, welche es den Flüchtenden erleichtern sollen, wofern sie bei uns eine Heimat suchen wollen, sie auch bei uns zu finden. Ich erlaube mir aus einem Erlasse, der an die Herren Oberpräsidenten gerichtet ist, folgendes zu verlesen:
Die Herren Oberpräsidenten werden ersucht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach Kräften darauf hinzuwirken, daß geeigneten deutschen Elementen der gedachten Art die Möglichkeit geboten wird, sich im preußischen Staatsgebiet seßhaft zu machen.
(Allseitiges Bravo!)
Auch ich bin der Ansicht, daß der preußische Staat im gegen⸗ wärtigen Augenblick dieselbe Gastlichkeit zu bewähren hat, die er in früheren Jahrhunderten unter der Führung seiner Fürsten zum Segen des Vaterlandes oftmals betätigt hat. (Allseitiges Bravo!)
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Die letzten Ausführungen des Mnhen des Innern finden auf Seiten 6 Hauses volle Zustimmung. Wir wollen alle, daß unsere deutschen Brüder aus den Ostseeprovinzen zahlreich eine neue Heimat bei uns finden mögen und, wie früher andere, die in Preußen aufgenommen worden sind, gute Preußen werden möchten. Die Ausführungen des Abg. Broemel beweisen mir, daß meine Darlegungen neulich durchaus wirksam waren. Die Erregung der Linken ist mir immer ein klarer Beweis, daß meine Worte das Richtige getroffen haben. Daß den Worten des Abg. Broemel ein besonderes Gewicht beizulegen ist, dieses Urteil kann man von seiner heutigen Rede nicht fällen. Herr Broemel hat am Sonnabend einen Appell an den Monarchen ge⸗ richtet, der nur so perstanden werden konnte, daß dieser zur Aenderung des Wahlrechts aktiv eingreifen sollte. Wenn diese Worte überhaupt einen praktischen Sinn haben, so können sie nur die Aufforderung an den Monarchen bedeuten, mit Hilfe des Volkes über die gesetzliche Landesvertretung zur Tagesordnung über⸗ zugehen. Diese Erklärung allein können die Worte finden, wenn ihnen ein praktischer Sinn unterzulegen war. So sind sie überall verstanden worden in meiner Nähe, und der Abg. Arendt hat mir sofort gesagt: Sie werden doch diese direkte Aufforderung zum Staats⸗ streich in Ihrer Rede verwerten. Meine Auffassung ist also keine willkürliche Auslegung, sondern folgt aus den Worten des Herrn Broemel selbst, wenn man ihnen überhaupt noch einen Sinn unterlegen will. Nun erklärt Herr Broemel, daß es nicht seine Absicht war, einen Appell zum Staatsstreich auszusprechen. Dann haben also die Worte, die er syrach, keinen Sinn gehabt. Ich bin bereit, nachdem Herr Broemel seine Worte in diesem Sinne deklariert hat, meinen Vorwurf voll und ganz zurückzunehmen. Ueber die übrigen abgetanen Parteiweisheiten des Herrn Broemel, von denen niemand mehr etwas wissen will, kann ich hinweggehen. Bei einem Kompromiß wie dem über das Schulgesetz muß selbstverständlich jeder von seinem Standpunkt eine Kleinigkeit nachgeben, wie es auch die Freunde des Herrn Broemel getan haben. Mit gutem Gewissen, um des guten Zweckes willen können wir unsere Stellung vertreten. Die Selbstverwaltung der Städte in der Schulverwaltung ist naturgemäß sorgfältig zu prüfen, und die Ansprüche der Städte werden, soweit sie anzuerkennen sind, auch berücksichtigt. Wir werden nicht die en dazu bieten, die kom⸗ munale Selbstverwaltung in unzulässiger Weise zu beschränken; wir wollen sie in der jetzigen Weise erhalten, und das wird auch die Freudigkeit der Städte an dem Schulwesen erhalten. Freilich, wenn unter der Flagge der Selbstverwaltung gewisse Auswüchse beibehalten werden sollen, die jetzt ohne Gefahr beschnitten werden können, wie z. B. die Ueberlassung der Schulgebäude an sozialdemokratische Jugendvereine, an Sokol⸗Vereine usw., so werden wir das als be⸗ rechtigte Ansprüche der Selbstverwaltung nicht anerkennen im Inter⸗ esse der Stadte und der Selbstverwaltung selbst. In der Wirt⸗ schaftspolitik werden wir uns mit Herrn Broemel niemals verständigen. Die Auffassungen des Herrn Broemel darüber sind in dem auf Grund des gleichen, allgemeinen Wahlrechtes gewählten Reichstag als zu leicht befunden worden, und man ist darüber zur Tages⸗ ordnung gi n Ueberall, wo positive Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft in Frage kamen, sind die Herren links nicht dazu bereit zu finden gewesen. Meine Anregungen bezüglich der Wahlrechtsänderung im Reich hat Herr Broemel ungeheuerlich genannt. Wer gibt denn der Sozialdemokratie toto die mehr aufreizende Mittel an die Hand als die Freisinnigen! Die Wirkung unserer Wirtschaftspolitik wird immer von den Freisinnigen falsch dargestellt. Gibt das nicht der Agitation der Sozialdemokratie immer neue Mittel in die Hand, liefert Ihre Stellungnahme zu Heer und Marine und anderen Fragen der Sozial⸗ demokratie nicht immer neue Mittel an die Hand? Kehren Sie (links) gefälligst vor Ihrer eigenen Tür! Sie sind diejenigen, die die Sozialdemokrate mit Ihrer eigenen Agitation erst großgezogen haben. (Rufe links: Fürst Bismarck!) Fürst Bismarck hat ganz etwas anderes gemeint, als Sie. Ich habe bereits gestern gesagt, daß ich für meine Person die Politik der Furcht nicht kenne, weil ich sie für verwerflich und für die dümmste halte. Durch Nach⸗ geben würden wir viel schlimmere dauernde Schäden herbeiführen,
als wenn wir energisch gegen die Sozialdemokratie vorgehen.
Souveränität des Proletariats würden wir durch das gleiche, all 1X für den Landtag Tür und Tor öffnen. Auch hie⸗ aben Sie (links) wieder mit Ihrem Eintreten für das Wahlröt bewiesen, daß Sie die Vorfrucht der Sozialdemokratie sind. ct
Abg. Broemel (frs. Vgg.): Wir beschweren uns mit volle Recht über eine Wahlkreiseinteilung, deren Unrecht zum Himma schreit. Deshalb sind die Vorwürfe des Herrn von Zedlitz vollkomme unberechtigt. Die konservativen Parteien haben ihre Mandate 8 Grund einer Wahlkreiseinteilung erhalten, die durchaus nicht d Gerechtigkeit entspricht. Deshalb stellt dieses Haus keine wirklice Volksvertretung dar. Herr von Zedlitz entblödet sich nicht, unz vorzuwerfen, daß wir das Interesse der Partei über die Interessen des Vaterlandes stellen; er schiebt uns also unehrliche Motive unter Zur Politik des Freiherrn von Zedlitz gehört diese Art vergifteter Beschuldigungen. Es ist Verleumdung, daß wir die Massen auf⸗ reizten. (Vizepräsident Dr. Krause: Sie S. von einer Partei des Hauses nicht sagen, daß sie verleumdet habe.) Es ist wohl auch nicht zulässig, eine Partei des Hauses zu verleumden. In meinen Worten über die Haltung des Monarchen zur Wahlrechtsfrage war nicht die leiseste Andeutung zu einem Staatsstreich enthalten Der Präsident des Hauses würde niemals die Aufforderung zu einem Staatsstreich auf dieser Tribüne ungerügt gelassen haben Daß er nicht gerügt hat, ist mir ein Beweis, daß in meinen Worten keine solche Andeutung lag. Wenn Herr von Zedlitz meint, fallz nicht der von ihm hineingelegte Sinn darin enthalten gewesen wäre dann hätten meine Worte überhaupt keinen Sinn gehabt, so liegt das nicht an meinen Worten, sondern an ihm. Wie meinte ich denn daß verfahren werden sollte? Doch nur genau so, wie es in einem verfassungsmäßigen Staat immer geschieht. Wenn die Regierung das Haus auflösen würde und den konservativen Parteien bei den Wahlen die Unterstützung entzöge, die sie ihnen immer mittelbar oder unmittelbar dabei zuteil werden läßt, würde dieses Haus schon eine andere Zusammensetzung haben. Mein Urteil über Herrn von Zedlit steht fest. Wenn er seine schmähliche Beschuldigung nicht klipp und klar zurücknimmt — (Vizepräsident Dr. Krause: Diese Worte verstoßen gegen die Ordnung des Hauses. Ich rufe Sie zur Otd⸗ nung.) — ich halte mein Ürteil über Herrn von Zedlitz⸗Neukirch aufrecht.
Abg. Graf von Praschma (Sentr.): Die Ausführungen meines Freundes Herold sind in einer Weise kritisiert worden, daß eine Er⸗ widerung nötig ist. Herr Herold ist jedoch durch seine Anwesenheit im Reichstage daran verhindert. Herr Broemel hat die Ausführungen des Abg. Herold über die Wahlkreiseinteilung als Phantastereien be⸗ zeichnet. Er hat wohl diese Ausführungen nicht genau gehört, sontt hätte er sich überzeugen müssen, daß wir nicht mit Phantastereien arbeiten. Der seßhaften Bevölkerung, welche an dem Staatswesen ein dringenderes Interesse hat als die fluktuierende Arbeiterbevölkerung, muß auch in ihrer Vertretung eine gewisse Bevorzugung zuteil werden. Herr Wiemer hat uns bei der Erörterung der erhöhten Dotation für die Bistümer Widersprüche vorgeworfen, weil wir die Alt⸗ katholiken als besondere Religionsgesellschaft behandeln. Wir müssen unserer Kirche das Recht vindizieren, zu entscheiden, wer zur Kirche gehört oder nicht. Herr Herold hat darauf hingewiesen, daß in unserem Etat etwa 300 Millionen Kapitalreserven versteckt seien. Der Herr Finanzminister hat das angegriffen und hat gesagt, daß diese Reserven wesentlich geringer wären. Nun, über die Höhe dieser Zahlen läßt sich ja streiten. Wir sind aber der Meinung, daß unter diesen Umständen die ungedeckten Matrikularbeiträge keine so große Rolle spielen können. Ueber die Erträge aus den Zöllen können wir wohl beruhigt sein, sie haben schon 44 Millionen mehr ergeben. Sodann hat der Finanzminister Kritik geübt an den Ausführungen des Abg. Herold über die anderweitige Veranlagung der Matrikular⸗ beiträge. Nun, wir würden uns sehr freuen, wenn die anderen Bundesstaaten die Einkommensteuern nach unserem Muster veranlagen würden; das würde die gerechteste Grundlage für die Veranlagung ergeben. Warum soll denn aber die Erhebung bei den Einjzel⸗ staaten solche Schwierigkeiten machen, wenn es bei den in⸗ direkten Steuern geht? Es kommt doch für das Reich nicht auf das Einkommen der einzelnen Staatsbürger der Bundesstaaten an, sondern auf das Gesamteinkommen der Bürger dieser Staaten, und das steht doch auch heute schon so ziemlich fest. Sodann hat der Abg. von Zedlitz gesagt, das Zentrum scheine Furcht zu haben vor dem Massenschritt der Arbeiterbataillone. Herr von Zedlitz scheint die Aus⸗ führungen meines Kollegen Herold nicht bis zum Schlusse mitangehött zu haben. Denn dieser sagte am Schlusse, daß durch die Wahlrechts⸗ demonstrationen die nötigen Wahlrechtsreformen nur erschwert werden würden. Was sodann die Polenpolitik der Regierung angeht, so hat der Minister des Innern gesagt, es würde in dieser Beziehung viel zu viel geredet und geschrieben. Hierin können wir ihm nur durchaus recht geben. Möchten doch auch die Blätter das beherzigen, die eine tägliche Rubrik über die Polenpolitik haben zu müssen glauben und dadurch nur die Gegensätze zwischen Polen und Deutschen verschärfen. „Auf die Klagen der deutschen Katholiken aus dem Osten will ich heute nicht eingehen; aber ich möchte den Ausführungen entgegentreten, daß auch die Polen in Berlin und im Westen in gleicher Weise Anlaß zu Klagen hätten. Ich möchte da nur darauf hinweisen, daß hier in Berlin heute schon katholischer Gottesdienst in polnischer Sprache abgehalten wird. Den Kindern polnischer Eltern den Religionsunterricht in polnischer Sprache erteilen zu lassen, dafür liegt doch kein Grund vor, denn die Kinder werden hier in Berlin doch genügend das Deutsche beherrschen, um dem Religionsunterrichte in deutscher Sprache folgen zu können. Wir Katholiken im Osten müssen allerdings nach zwei Fronten kämpfen, solange es noch Vertreter des Deutschtums gibt, die sich nicht entblöden zu sagen, daß ihnen die Wahl eines Sozialdemokraten lieber ist als die eines Vertreters des Zentrums. Der Erfolg der Ansiedelungs⸗ politik ist doch wohl recht ungünstig. Freiherr von Zedlitz hat gesagt, daß wir uns mit dieser Politik wohl nicht ganz auf dem richtigen Wege zu befinden scheinen, das heißt bei der milden Form, mit welcher der Freiherr von Zedlitz gegen die Maßnahmen der Regierung vorzugehen pflegt, doch wohl, daß wir vollkommen Fiasko gemacht haben. Man hat dann auch gesagt, die Erfolge würden mit der Zeit kommen, so schnell würde das nicht gehen. Aber hier handelt es sich doch nicht um Mangel an Erfolgen, sondern um glatte Mißerfolge. Die Verhältnisse werden täglich schlechter, die Spannung zwischen den beiden Völkern täglich größer. Wir be⸗ kämpfen diese Politik aus Liebe zum Vaterlande, weil wir der festen Ueberzeugung sind, daß wir mit dieser Politik nicht die polnischen Untertanen zu treuen Untertanen des Königs von Preußen machen.
Abg. Pallaske (kons.): Der Abg. Friedberg hat Bezug ge⸗ nommen auf einen Beschluß des Hauses im vorigen Sommer über die Gleichstellung der Gerichtssekretäre mit den Regierungssekretären. In der Kommission, die diesen Beschluß zur Annahme empfahl, und deren Berichterstatter ich war, bin ich warm für diesen Beschluß eingetreten. Wir stehen auf dem Standpunkte, daß wir nur dann eine Besserstellung von Beamten außer der Reihe vor⸗ nehmen dürfen, wenn wirklich ein dringendes Bedürfnis vorliegt. Ein solches dringendes Bedürfnis scheint uns nun hier vorzuliegen. Sodann kann ich nur meiner Ausdruck geben über die Besser⸗ stellung der Amtsanwälte. Was sodann das Schulunterhaltungs⸗ gesetz betrifft, so möchte ich die Hoffnung aussprechen, daß es noch in dieser Session verabschiedet wird, und daß es möglich sein möge, die Lasten der Schulunterhaltung auf diejenigen Lich lsen zu legen, die diese Lasten tragen können. Nach den bisherigen Verhandlungen in der Kommission ist hierzu Aussicht vorhanden.
zchte mich bei dieser Gelegenheit gegen die Kritik des Abg. ve. macite mic er am Sonnabend an der Regierungsvorlage geübt hat. Ih glaube nicht, daß ein solches Verfahren einer gedeihlichen Er⸗ ledigung der Vorlage förderlich ist. Ich wünsche, daß die ruhigen und sachlichen Beratungen, an denen sich alle Parteien beteiligt haben, zu einem guten Erfolge führen. Man hat behauptet, daß die Vorlage schwere Eingriffe in die Selbstverwaltung der Städte bedeute. Die Selbstverwaltung hat sich so glänzend bewährt, daß die Königliche Staatsverwaltung geradezu mit Blindheit geschlagen sein müßte, wenn sie dies beabsichtigte. Und gerade wir von der konservativen Partei sind für einen Uebergang der Schulverwaltung auf die Organe der Selbstverwaltung eingetreten. Der Abg. Wiemer hat beim ersten Erscheinen des neuen „Chefs der preußischen Irg.nn dem früheren Chef einen Stein nachwerfen zu müssen geglaubt. Demgegenüber möchte ich doch aus⸗ führen, daß sich der Minister Schönstedt während seiner Amtsführung von wahrhaft staatserhaltenden, konservativen Grundsätzen leiten ließ. Abg. de Witt (Zeutr) spricht sich zu Gunsten des wieder ein⸗
gebrachten Initiativantrages ezüglich der Gleichstellung der Sekretäre bei den Sehe Landgerichten und bei der Staatsanwaltschaft mit enen bei der Regierung aus. 8
g Abg. Dr. p 79 Dziembowski (Pole): Die ungesetzliche Be⸗ handlung der Polen kann nicht in ihnen Sympathie für den preußi⸗ schen Staat erwecken. Der gestern kritisierte Passus der Thronrede enthält eine Verfassungsverletzung. Daß massenhaft die Veränderunge polnischer Ortsnamen in deutsche stattgefunden hat, hat der Minister gestern felbst bestätigt. Man sollte das historisch Gewordene erhalten. Der Minister beruft sich darauf, daß Anträge auf Aenderung der Namen von den Gemeinden gekommen seien. Welche Stellung nimmt er aber ein, wenn Anträge auf Wiederherstellung der polnischen Namen kommen? Wir müssen ferner erwarten, daß der Minister gegen das ungesetzliche Verbot von polnischen Versammlungen einschreitet. Die Gesetze müssen heilig gehalten werden. Die preußische Polenpolitik hat Fiasth gemacht, wenn auch der Minister an spätere Erfolge glaubt. Ich schließe mit dem Worte Goethes: „Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären“ (Rufe: Schiller!) — oder auch von Schiller.
Minister des Innern Dr. von Bethmann⸗Hollweg:
Meine Herren! Ich habe mir gestern Mühe gegeben, zu den Aus⸗ führungen des Herrn von Jazdzewski in völlig ruhiger und leidenschafts⸗ loser Weise Stellung zu nehmen. Auch durch die Ausführungen des Herrn Vorredners werde ich mich von dem Vorsatz, heute dasselbe zu tun, nicht abbringen lassen. Eine sogenannte Polenrede werde ich nicht halten, sondern nur ganz weniges auf das erwidern, was der Herr Vorredner gesagt hat.
In bezug auf die Aeußerungen der Thronrede wiederhole ich lediglich das, was ich gestern gesagt habe: es handelt sich um einen Appell an den deutschen Grundbesitzer, seinen Grundbesitz zu wahren, und ich kann beim besten Willen darin keinerlei Verfassungsverletzung erblicken.
Was die Namensänderungen angeht, so gebe ich dem Herrn Vor⸗ redner sehr gern zu, daß der Friede nicht gefördert oder gestört wird, wenn auf den Antrag der Beteiligten polnische Namen in deutsche umgewandelt werden. Ich kann auch in dieser Beziehung nur wieder⸗ holen, was ich gestern gesagt habe: stören Sie, die Polen, doch nicht selber den Frieden (sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), reizen Sie die Bevölkerung nicht fortgesetzt auf. In früheren Jahren ist bei dieser Gelegenheit wohl eine Blütenlese aus polnischen Zeitungen gegeben worden. Ich will dies in diesem Moment nicht tun; aber ich möchte doch an eine polnische Stimme aus dem letzten Sommer, ich glaube, aus dem August des vorigen Jahres, erinnern, die die Verhältnisse Deutschlands in der auswärtigen Politik in einer Weise besprach, daß jetzt eine sehr scharfe Strafe über den Redakteur hat verhängt werden müssen. Meine Herren, versuchen Sie es doch einmal, dem polnischen Volke, dessen gute Eigenschaften ich schon gestern anerkannt habe, zum Frieden zuzureden; Sie haben es noch nie getan (Widerspruch bei den Polen), Sie haben stets Oel ins Feuer gegossen. Bei dem großen Einfluß, den Sie auf die Bevölke⸗ rung haben, werden Sie sehen, welche Erfolge Sie erzielen, wenn Sie zum Frieden reden. Wie Herr von Jazdzewki gestern unter Bezugnahme auf Dichterworte für die Liebe zur Muttersprache ein⸗ getreten ist, so kann ich gleichfalls unter Bezugnahme auf Dichterworte nur zum Anschluß an das Vaterland auffordern.
Nachdem Abg. Schiffer (nl.) auf das Wort verzichtet hat, schließt die Beratung. 9
Persönlich bemerkt Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch: Meine Erziehung verbietet mir, Herrn Broemel in demselben Ton zu antworten. Nachdem er uns vorgeworfen hat, daß wir aus Parteiinteresse die Wahlreform verhinderten, ist mir seine Berechtigung zweifelhaft, mir einen Vorwurf daraus zu machen, daß ich von seinen
arteiinteressen sprach. Auch persönliche Liebenswürdigkeiten des Herrn roemel würden mich nicht abhalten, die Wahrheit zu sagen.
Abg. Broemel (frs. Vgg.): Nachdem ich mein Urteil über Herrn von Zedlitz mit unbestrittener Offenheit ausgesprochen habe, nur noch zwei Worte: Semper idem!
Deer größte Teil des Etats wird an die Budgetkommission überwiesen.
Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Ab⸗
änderung des Gesetzes, betreffend die Gewährung von Woh⸗ nungsgeldzuschuͤssen an die unmittelbaren Staats⸗ beamten, vom 12. Mai 1873 (Erhöhung des Wohnungs⸗ geldzuschusses für die Unterbeamten))“
Abg. . unckefrs. Volksp.): Wir begrüßen die Vorlage mit Freuden, um so mehr, als wir uns die Initiative auf diesem Gebiete zuschreiben können. Der Wohnungsgeldzuschuß der unteren Beamten soll um 50 % erhöht werden. Das kann in den größeren Städten kaum als ausreichend bezeichnet werden. Zwar soll der Wohnungsgeld⸗ zuschuß nicht den ganzen Mietspreis decken, aber er bleibt doch noch sehr erheblich dahinter zurück. Immerhin ist aber eine Verbesserung durch die Vorlage anzuerkennen. Die Gleichmäßigkeit der Erhöhung in den einzelnen Klassen müssen wir als richtig anerkennen. Wir freuen uns auch, daß kein Unterschied zwischen verheirateten und un⸗ verheirateten Beamten gemacht wird. Das Zentrum wollte allerdings in erster Reihe die Beamten mit Familien mit Erhöhung bedenken, weil bei unverheirateten Beamten, wie Herr Schmedding meinte, viel⸗ leicht ein Ueberschuß herauskommen könnte. Von einem solchen kann bei einem preußischen Unterbeamten doch nicht die Rede sein. Mit dieser Vorlage aber dürfte die Fürsorge für die Beamten nicht er⸗ schöpft sein, es müßte auch angesichts der Teuerungsverhältnisse all⸗
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Berlin, Mittwoch, den 17. Januar
mählich dazu übergegangen werden, den mittleren Beamten Erhöhungen
zuteil werden zu lassen. Die Finanzlage des preußischen Staats ge⸗ stattet ein Vorwärtsschreiten auf diesem Gebiete. 8
Abg. Fritsch (nl.): Die verheirateten Beamten leiden am meisten unter der Teuerung. Die Vorlage enthält eine soszial⸗ politische Maßnahme, die jedenfalls zur Besserung der Wohnungs⸗ verhältnisse der unteren Beamten beitragen wird. Mit? . die Finanzlage kann allerdings nur Schritt für Schritt vorwärts gegangen werden, aber wir meinen, Wohnungsgeldzuschusses für Unterbeamte Halt gemacht werden darf, sondern daß auch die übrigen Beamten einen höheren Zuschuß er⸗ halten müssen. Ich beantrage, die überweisen. 8 1
Abg. Schmedding (Zentr.): Nachdem meine Freunde wieder⸗ holt die Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses beantragt haben, be⸗ grüßen wir diese Vorlage mit Freuden. De O Notwendigkeit derselben ist allgemein anerkannt, bei den jetzigen Ter d ugsverhältnissen bedarf es einer Begründung nicht mehr. Die Ter⸗ — 3 wird aber um so schwerer empfunden, je größer die Zahl d—0 ilienmitglieder ist; deshalb hätten wir es lieber gesehen, wo9° 1 2% unserer Anregung der Zuschuß nach der Zahl der Familiens 0 per abgestuft worden wäre. Allerdings hätte das mehr Ar — macht, aber sie wäre doch nicht so groß gewesen, daß man dap — ückzuschrecken brauchte. Indessen nehmen wir die Vorlage der 88.—ung jedenfalls dankbar entgegen. Ich schließe mich dem 2 Dauf Kommissions⸗ beratung an. 8 —
Reewlah Finanzminister Freiherr von Rheir Jaben: 1u“ Meine Herren! Wir sind gewöhnt, sehr oft getadelt zu werden; daß wir aber auch noch getadelt werden, wenn wir ausnahmsweise einmal eine gute Tat getan haben, das habe ich eigentlich nicht er⸗ wartet, und zwar war es wirklich in diesem Falle nicht der animus bureaucraticus, der dafür sprach, die Wohltaten auch den un⸗ verheirateten Beamten zuwenden zu wollen. Der Herr Abg. Schmed⸗ ding wird sich freundlichst erinnern der mehrfachen Klagen, die hier im Hause erhoben worden sind über die zu viele Schreibarbeit in unserer Verwaltung, und gerade sein Fraktionskollege Herold hat auch in dieses Horn gestoßen, und ich gebe allerdings zu, nach mannigfachen Richtungen vollkommen begründet; denn es wird in der Tat zu viel geschrieben, und der Bureaukratismus steckt uns etwas im Blute, aber das war doch hier nicht der ausschlaggebende Grund. Erfreulich wäre es für die verheirateten Unterbeamten jedenfalls nicht gewesen, jedes Jahr kontrolliert zu werden, wo sie wohnen, usw. und all⸗ jährlich wieder neue Recherchen nach dieser Richtung angestellt zu sehen. Aber entscheidend war die praktische Rücksicht, daß nach den Ermittlungen, die im Reiche angestellt worden sind, und die wahrscheinlich auch für Preußen als zutreffend anzusehen sind, nur 5 % der Unterbeamten nicht verheiratet sind, und daß damit die ganze Unterscheidung zwischen verheirateten und nicht verheirateten Unterbeamten in der Tat die praktische Bedeutung verloren hat.
Ich kann also nochmals erklären, daß, wenngleich ich im Grunde mit der Anregung des Herrn Abg. Schmedding durchaus sympathisiere, ich es doch für richtig halte, die Unterscheidung nicht vorzunehmen, und zwar nicht aus bureaukratischen, sondern aus praktischen Gründen, und um auch den unverheirateten Beamten diese Wohltat der Vor⸗ lage zuteil werden zu lassen. (Bravo!)
Abg. von Heykins (kons.): Auch wir halten die Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses um 50 % für zweckmäßig und ausreichend. Dadurch wird der Unterschied etwas ausgeglichen, der bisher zwischen Subaltern⸗ und Unterbeamten bestand, obgleich beide Beamtenkategorien sich zumeist aus denselben Kreisen rekru⸗ tieren. Die Schwierigkeiten der Feststellung der unverheirateten Beamten können nach Ansicht meiner Freunde nicht ausschlaggebend sein, aber der Unterschied in der Aufwendung ist nicht bedeutend. Ein Gendarm auf dem Lande braucht zum Beispiel, wenn er un⸗ verheiratet ist, dieselbe Wohnung wie ein verheirateter. Eine Er⸗ höhung des Wohnungsgeldzuschusses ist für alle Beamten erforderlich. Ich schließe mich dem Antrage auf Kommissionsberatung an.
Abg. Broemel (frs. Vgg.): Auch ich stimme allen einzelnen Teilen der Vorlage zu und halte eine Erhöhung des Wohnungsgeld⸗ zuschusses für die mittleren Beamten für wünschenswert.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.): Ich habe schon gestern unsere Befriedigung über die Vorlage ausgesprochen und hoffe, daß sie recht bald die Budgetkommission passieren möge.
Die Vorlage wird darauf an die Budgetkommission verwiesen.
ESss folgt die Beratung der Denkschrift, betreffend die Ausführung des westfälischen Anerbengesetzes vom 2. Juli 1898. 8 —
Abg. Peltasohn (frs. Vag.): Dieses Geseß hat sich als ein Experiment erwiesen, das sich nach der Denkschrift sehr wenig bewährt hat. Die meisten Gutsbesitzer haben, um ihr Gut in einer Hand zu belassen, den Weg des Testamentes oder des Vertrages gewählt; es ist nur in verhältnismäßig wenig Fällen von dem Gesetz Gebrauch gemacht worden. Der Erfolg des Gesetzes ist also sehr gering, viel⸗ leicht sogar bedenklich. Jedenfalls sollte man andere Provinzen mit dieser Gesetzgebung verschonen. In Westfalen ist es allerdings Gewohnheit, daß über das Gut zu Gunsten eines Erben verfügt wird. Es ist schon an sich nicht angebracht, Ausnahmen vom allgemeinen bürgerlichen Recht zu schaffen, um so weniger, wenn man sieht, daß solche Zwangsmaßregeln so wenig Erfolg haben.
Adg. Herold (Zentr.): Wenn das Gesetz verhältnismäßig wenig angewandt ist, so ist doch die Schlußfolgerung nicht richtig, daß das Gesetz verfehlt sei. Ich habe schon bei der Beratung des Gesetzes keinen Zweifel gehabt, daß nur in wenigen Fällen davon Gebrauch emacht werden wird. Denn in den weitaus meisten Fällen werden estament oder Vertrag über das Gut verfügen, aber in Westfalen hat sich die Gewohnheit des Ueberganges auf einen Erben gegen das Gesetz erhalten müssen. Auf die Dauer ist es aber ein Mißverhältnis, daß die dem Volksbewußtsein widersprechenden Gesetze aufrecht er⸗ halten bleiben. In dem Gesetz von 1898 liegt ein erheblicher Antrieb, die alte westfälische Sitte aufrecht zu erhalten. In manchen Teilen der Rheinprovinz kann man sich allerdings ein solches Gesetz nicht denken, aber in manchen anderen Provinzen wäre ein solches Gesetz durchaus angebracht. In Westfalen hat es sich bewährt und wird weiter segensreich wirken. 8
Abg. Meyer⸗Diepholz (nl.) kann nicht finden, daß das An⸗ erbengesetz für Westfalen verfehlt sei, und fragt an, wie weit die Vor⸗ lage eines hannoverschen Höfegesetzes gediehen sei.
Justizminister Dr. Beseler:
Die letzte Frage des Herrn Abgeordneten kann ich sogleich be⸗ antworten. Der Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten in Celle wegen des hannöverschen Höfegesetzes ist schon vor geraumer Zeit ein⸗
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gegangen. Er ist dann den Verwaltungsbehörden mitgeteilt worden,!
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Mit Rücksicht auf daß nicht bei dieser Erhöhung des
Vorlage der Budgetkommission zu
zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
1906.
und da haben sich Meinungsverschiedenheiten ergeben, die es wünschens⸗ wert machten, daß nochmals eine Erörterung darüber stattfinde. Nun ist inzwischen ein Wechsel in der Besetzung der Stelle des Oberlandes⸗ gerichtspräsidenten in Celle eingetreten, und dadurch hat sich selbst⸗ verständlich die Sache verzögert. Soviel mir mitgeteilt ist, wird Ende dieses Monats der Bericht des Oberlandesgerichtspräsidenten eingehen. Ich babe natürlich die Absicht, die Sache soweit wie möglich zu be⸗ schleunigen, und ich glaube, daß ihre Erledigung wohl in naher Zu⸗ kunft in Aussicht steht.
Abg. Jürgensen (nl.) bittet zu erwägen, ob nicht hinsichtlich des Anrechnungswertes das Gesetz noch abgeändert werden kann.
Abg. Sielermann (kons.) schließt sich vollkommen den Aus⸗ führungen des Abg. Herold an. Es sei nur zu wünschen, daß das Gesetz auch ferner so günstig wirken möge wie bisher.
Damit schließt die Debatte; die Denkschrift wird für erledigt erklärt.
Schluß nach 3 Uhr. Nächste Sitzung Montag, 22. Ja⸗ nuar. (Interpellation Roeren über Kontrollmaßregeln gegen Geistliche; Gesetz über die Knappschaftsvereine.)
1“ Land⸗ und Forstwirtschaft. Uebersicht 1X“ über die Ein⸗ und Ausfuhr von Getreide und Kartoffeln in Antwerpen im Dezember 19005.
(Nach einem Bericht des Kaiserlichen Generalkonsuls in Antwerpen.)
Eingeführt wurden: Roggen: aus Rumänien.D 34 930 Bulgarien 30 350 England 800 8 66 080
3 500 dz 921 960 296 740
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4 390 164 440 96 060
58 590 44 380 17 320 15 230
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