1906 / 19 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 Jan 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten.

Nachtrag zu dem Regulativ für die Kur⸗ und Neumärkische Ritterschaftliche Darlehns kasse, betreffend die Hergabe und Abwicklung von Darlehnen an Körper⸗ schaften des öffentlichen Rechts und die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen auf Grund dieser Darlehne. 4 Nr. 5 des Statuts der Darlehnskasse.)

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Dem § 28 des Regulativs für die Kur⸗ und Neumärkische Ritter⸗ schaftliche Darlehnskasse, betreffend die Hergabe und Abwicklung von Darlehnen an Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen auf Grund dieser Darlehne 4 Nr. 5 des Statuts der Darlehnskasse) wird folgender Absatz 2 hinzu⸗ gefügt: . 1

Dem Spezialreservefonds werden bis auf weiteres 25 % der Ueberschüsse der Verwaltungsbeiträge 15) über die aus diesen zu bestreitenden Ausgaben zugeführt. ☛ᷣ⸗ Vorstehender Nachtrag wird auf Grund der Bestimmungen unter § 4 B Abs. 2 des Allerhöchst am 18. Februar 1901 be⸗ stätigten Nachtrags zu den statutarischen Vorschriften der Kur⸗ und Neumärkischen Ritterschaftlichen Darlehnskasse hierdurch von mir genehmigt. 3 8

Berlin, den 5. Januar 1906. (L. S.)

Der Minister für Landwirtschaft, Domänen

1 In Vertretung: von Con

Die Forstkassenrendantenstelle Allenstein Regierungsbezirk Allenstein ist anderweit und 1

die Forstkassenrendantenstelle Suhl im Regierungs⸗ bezirk Erfurt zum 1. April 1906 anderweit zu besetzen.

8 8

im

1.

Nichtamtliches. Deutsches Reich. Preußen. Berlin, 22. Januar.

Seine Majestät der Kaiser und König empfingen vorgestern abend im hiesigen Königlichen Schlosse den Vertreter des Auswärtigen Amts, Gesandten von Tschirschky und Bögendorff. 1u1“ .

Heute konferierten Seine Majestät mit dem Reichs⸗ kanzler Fürsten von Bülow und hörten die Vorträge des Präses der Generalordenskommission, Generaladjutanten, Generals der Kavallerie Prinzen zu Salm⸗Horstmar sowie des Chefs des Zivilkabinetts, Wirklichen Geheimen Rats Dr. von Lucanus

Der Ausschuß des Bundesrats für Handel und Verkehr und die vereinigten Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Justizwesen hielten heute Sitzungen.

Nach den vorliegenden Nachrichten sind die gestern. ab⸗

gehaltenen sozialdemokratischen Protestversamm⸗ lungen gegen das Dreiklassenwahlrecht hier wie auch in Hamburg, Altona, Breslau, Danzig, Dresden, Erfurt, Essen, Frankfurt a. M., Hannover, Kiel, Cöln, Düsseldorf, Crefeld, Posen und anderen Städten des Reichs unter ein⸗ stimmiger Annahme der vom Parteivorstand vorgeschlagenen Resolutionen ruhig und ohne Störung der Ordnung verlaufen.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Stosch“ vorgestern von Cadix nach Cartagena in See gegangen. S. M. S. „Luchs“ ist vorgestern in Canton eingetroffen.

1“ Deutsche Kolonien. ““

Ein Telegramm aus Windhuk in Deutsch⸗Südwest⸗

afrika meldet „W. T. B.“ zufolge:

Feldwebel Franz Siebert, geboren am 1. Februar 1876 zu Königsaue, früher im Infanterieregiment Nr. 144, ist am 5. Januar in Otavi infolge Zerreißens der Luftröhre sowie der Halsschlagader und Bruchs der Wirbelsäule durch Kameelbiß gestorben. 88

Oesterreich⸗Ungarn.

Der ungarische Ministerpräsident Freiherr von Fejer⸗ vary ist vorgestern vom Kaiser in einer zweistündigen Privataudienz empfangen worden, in der er, „W. T. B.“ zu⸗ folge, Bericht über die politische Lage und die laufenden An⸗

gelegenheiten erstattete. 111“ V1111141“

Die Berichte über heute zu erwartende ernste Unruhen werden von der „St. Petersburger für grundlos erklärt, da die Mehrheit der Arbeiter wenig

Neigung dazu habe und die Regierung entschlossen sei, allen Massenkundgebungen oder mit Unruhen verbundenen Kund⸗ gebungen sofort ein Ende zu machen. Nach einer eldung der obigen Telegraphenagentur gewinnt Ruß⸗ land mehr und mehr seine Ruhe wieder, im ganzen Reiche, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete, ist Prdnung und Friede wiedereingekehrt, auch haben die Un⸗ ruhen in den baltischen Gegenden, in Polen und Sibirien er⸗ 5 abgenommen. Man erwartet, daß überall bald völlige uhe wiederhergestellt sein wird. Geheime revolutionäre Ver⸗ sammlungen haben anerkannt, daß eine Fortsetzung der bis⸗ herigen revolutionären Aktion wegen ihrer Ohnmacht unzweck⸗ mäßig sei. Dagegen haben sie beschlossen, Anschläge auf das Leben hoher Verwaltungsbeamter auszuführen.

Eine vom „Regierungsboten“ gebrachte Mitteilung über die seit Anfang Dezember vorigen Jahres entdeckten Femen Laboratorien und Bombenwerkstätten sowie die dabei 9 Materialien, Bomben und Waffen jeder Art gibt ein Bild von dem Umfang derrevolutionären Vorbereitungen. Insgesamt

heit, die als ernst angesehen wird, zu untersuchen.

wurden in St. Petersburg, Moskau, Nischninowgorod, Tula, Pensa, Rostow a. Don, Jekaterinoslaw, Odessa, Nikola⸗ jew, Kiew, Dwinsk, Wilna und Riga entdeckt: 8 Labo⸗ ratorien und Bombenwerkstätten, 258 fertige und unge⸗ füllte Bomben, gegen 2000 Pfund Pulver, über 400 Pfund Dynamit, ferner Patronen in großer Anzahl, davon auf dem Bahnhof Moskau der Moskau⸗Rjäsan⸗Bahn allein 100 000 Stück und in Jekaterinoslaw zwei Waggons mit Patronen und Dynamit, ferner Gewehre, Revolver, blanke Waffen, 1 Signalkanone und in der Fabrik Prochorow in Moskau 3 verbesserte englische Maschinengewehre.

Spanien. 8 Das vom Redaktionsausschuß der Marokko⸗Konferenz entworfene Reglement für die Unterdrückung des Waffenschmuggels ist gestern den Delegierten der Mächte zugestellt worden. Der Entwurf, der, „W. T. B.“ zufolge, 15 verschiedene Artikel enthält, wird heute in der offiziellen Sehen der Konferenz beraten werden. Auf Wunsch der spanischen Delegierten ist eine Klausel eingeschaltet worden, durch die die Ueberwachung des Waffenschmugels auf den Grenz⸗ presidios der Sahara Spanien überlassen wird. Als Grund⸗ lage für das Strafmaß dieses Gesetzvorschlags ist in erster Linie die englische Gesetzgebung gewählt worden. Um das Gesetz nach seiner Annahme durch die Konferenz und nach seiner Ratifikation durch die einzelnen Mächte durchführbar zu machen, wird man ihm auch in jedem der beteiligten Länder durch einen Erlaß Gesetzeskraft verleihen müssen, damit auch dort seine Bestimmungen durch die Gerichte zur Durchführung gelangen können. 8 .1““ 8

Türkei

Die Pforte hat, wie das „Wiener Telegr.⸗Korrespondenz⸗ bureau“ meldet, in Belgrad die Erklärung abgeben lassen, daß, wenn die serbisch⸗bulgarische ö endgiltig um Abschluß gelangen sollte, die Pforte die türkisch⸗ serbische Handelskonvention nicht ratifizieren könne, da während der Beratungen über diese Konvention der Inhalt des Zollunionvertrags nicht bekannt gewesen wäre.

8 Serbien.

Von maßgebender Seite wird dem „W. T. B.“ gemeldet, daß die serh Regierung auf die ihr am 18. d. M. von dem österreichisch⸗ungarischen Gesandten Freiherrn von Czikann übergebene Note noch am selben Tage folgende Antwort erteilt hat:

Die Regierung lege selbst dem Abschluß eines guten Handels⸗ vertrags mit Oesterreich⸗Ungarn großes Gewicht bei; sie werde den Vertrag mit Bulgarien, solange die Besprechungen mit Oesterreich⸗ Ungarn dauern, der Skupschtina nicht volegen und den an dem serbisch⸗bulgarischen Vertrag anzubringenden Abänderungen zustimmen, die durch die Natur des mit Oesterreich⸗Ungarn abgeschlossenen Handelsvertrags sich als erforderlich erweisen werden.

Darauf ist der serbischen Regierung, nach einer Meldung des „Wiener Telegr.⸗Korrespondenzbureaus“, vorgestern eine Note des österreichisch⸗ungarischen Gesandten zugegangen, in der die Antwort der serbischen Regierung als ungenügend be⸗ zeichnet wird. Die amaarische Regierung müsse darauf bestehen, daß die Schlußworte der von der serbischen Regierung abzugebenden Erklärung so lauten, wie sie in der oben erwähnten Note enthalten seien. Wie der serbische Minister des Aeußern Antonitsch aber gestern dem Gesandten Freiherrn von Czikann erklärte, lehnt es die serbische Regierung ab, die von Oesterreich⸗Ungarn gestellte Bedingung zu erfüllen, da sie diese mit ihrer Wuͤrde für nicht vereinbar halte. Daraufhin teilte der Freiherr von Czikann der serbischen Regierung, wie die „Neue Freie Presse“ meldet, mit, daß die Vertragsverhandlungen nicht wieder aufgenommen werden können. 8 .

Allmerika.

Nach Meldungen des „Reuterschen Bureaus“ über französisch⸗vene 2b Konflikt hat sich die Schwierigkeit der Lage erheblich vergrößert infolge der Mel⸗ dungen über die kühle Haltung des venezolanischen Präsidenten Castro gegenüber dem Gesandten der Vereinigten Staaten Russell. Wenn in dieser Haltung keine Aenderung eintreten sollte, wird es möglicherweise erforderlich sein, ein amerikanisches Kriegs⸗ schiff näher an die venezolanische Küste herangehen zu lassen, als augenblicklich beabsichtigt ist. Dem Präsidenten Castro wird zu verstehen Fegeben werden, daß es nicht geduldet werden würde, wenn Russell in ähnlicher Weise behandelt würde wie der französische Geschäftsträger Taigny. In Frankreichs Programm ist die Forderung einer umgehenden bündigen Abbitte wegen der Behandlung Taignys vorgesehen. Die Erledigung der übrigen Beschwerden Frankreichs soll so lange vertagt werden, bis die Abbitte geleistet ist. Frankreich erblickt darin, daß Taigny die Erlaubnis verweigert wurde, wieder in La Guagira an Land zu gehen, eine kriegerische Hand⸗ lung. Es stellt sich heraus, daß drei wichtige In⸗ struktionen enthaltende Depeschen Taigny nicht erreicht haben. Russell ist damit beschäftigt, diese veai. 2

ine gestern an Russell gesandte Depesche war ihm eben⸗ falls, als er seine letzte Depesche nach Washington sandte, noch nicht ausgehändigt. Wie ferner gemeldet wird, ollen mit den drei französischen Kriegsschiffen, die liich gegenwärtig unweit der venezolanischen Küste be⸗ nden, zwei weitere Kriegsschiffe vereinigt werden, sobald diese von Europa eintreffen köͤnnen. Venezuela ist angeblich eifrig damit beschäftigt, Truppen in den Hafenstädten zu sammeln und auszurüsten.

*

Asien.

Die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ meldet aus Teheran, daß etwa tausend Kaufleute und Mullahs, um gegen die Regierung des Schahs zu protestieren,

1n verlassen haben und nach der Ortschaft Schabdullasima gezogen sind. Da der Schah Ruhestörungen und Blut⸗ vergießen vermeiden wollte, kam eine Versöhnung zustande unter der Bedingung, daß eine Versammlung gewählter Ver⸗ treter der Geistlichkeit, der Kaufmannschaft und der Grundbesitzer unter dem Vorsitz des Schahs einberufen werde. Diese Versammlung wird „Haus der Gerechtigkeit“ genannt und übt eine Verwaltungs⸗ und gesetzgeberische Tätigkeit aus. Es wird die Gleichheit aller vor dem Gesetz proklamiert und das Günstlingswesen abgeschafft werden. Der unpopuläre Gouverneur von Teheran hat seine Entlassung eingereicht.

en

Parlamentarische Nachrichten.

Die heutige (25.) Sitzung des Reichstags, der Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr. Grh von Posadowsky⸗Wehner und der Staatssekretär de Reichsschatzamtes Freiherr von Stengel beiwohnten, wena vom Präsidenten Grafen von Ballestrem um 1 ch 20 Minuten eröffnet.

Vor Eintritt in die See, und erhielt e Präsident die Ermächtigung, Seiner Majestät dem Kaiser zum Geburtstage die Glückwünsche des Hauses darzubringa

Der schleunige Antrag Graf Hompesch und Gencse wegen Einstellung eines gegen den Abg. Fusangel beim Antz gericht in Hagen schwebenden Privatklageverfahrens des Kag manns Fehrenberg wegen Beleidigung für die Dauer d Session wurde nach kurzer Befürwortung durch den Antra steller vom Hause ohne Debatte angenommen, ebenso ie schleunige Antrag Albrecht wegen Einstellung des gegen ze Abg. Thiele beim Amtsgericht in Halle a. S. schwebenza Privatklageverfahrens des Rechtsanwalts Suchsland Beleidigung für die Dauer der Session.

Die Novelle zum Gesetz, betreffend die Statistik das Warenverkehrs des deutschen Zollgebiets mit dem Aus⸗ lande, und der Gesetzentwurf, betreffend die Wertbestin⸗ mung der Einfuhrscheine im Zollverkehr, erledige das Haus in zweiter Lesung ohne Diskussion.

Es folgte die erste Lesung des Gesetzentwurfs, betreffen die Ausgabe von Reichsbanknoten zu 50 und 20

Abg. Ortel (nl.): Der vorliegende Gesetzentwurf hat im Jahre das Schicksal verschiedener anderer Gesetzesvorlagen die wegen Schlusses des Reichstags nicht mehr zur Verabschiedm gelangt sind. Es sollen neben die 100⸗Markscheine jetzt Bm⸗ noten treten zu 50 und 20 ℳ. Diese Stückelung könnte nicht m verfänglich erscheinen, da sie aber die fundamentalen Grundlagen àg Bankgesetzes und die Währungsfrage nicht berührt, so werden wit in zustimmen. Nach der Bilanz von 1904 waren ungefähr von 1 600 CC0 0002 in Banknoten Srückelungen zu 100 70 %, und zu 1000 307 vorhanden. Die Reichsbank ist in der Lage, nach dem Bedürfez des Verkehrs so viel Banknoten auszugeben, als sie für notwendig a⸗ achtet; hierin liegt ihre wirtschaftliche Bedeutung. Jetzt ii sie der Ansicht, daß es durchaus erforderlich sei, daß wir ve noten zu 50 und zu 20 bekommen, denn es habe sich ein Mangl an kleinen Kassenscheinen in verschiedenen Teilen des Reiches beues⸗ bar gemacht. Wir müssen diesen Ausführungen glauben. Selr der Entwurf Gesetz werden, so würde § 1 des Geseka betreffend die Ausgabe von Reichskassenscheinen, von 1874 noch a Recht bestehen und zum Teil eine Rivalität entstehen zwischen da 50 und 20 Mark⸗Banknoten und den einfachen Kassenscheinen. Tn geschätzter Seite ist nun gesagt worden, daß die Ausgabe da kleinen Banknoten unter Umständen die Gefahr der Zettelwirtsche hervorrufen könnte. Jedenfalls rüttelt die Vorlage nicht u den Fundamenten des Bankgefetzes und der Währungsfrage, ml dieses ist der springende Punkt. Nun wird eingewandt werde können, der Verkehr könnte das Metallgeld nicht entbehren. Nach de Statistik von 1905 sind bis jetzt 4165 Millionen Goldmüng geprägt worden und 774 Millionen Silbermünzen, im gane ein Metallwert von 5 Milliarden. Wenn man nun davon 1 Millieme abzieht, die durch den Export usw. absorbiert wird, so würe noch 4 Milliarden übrig bleiben. Es würden danach ungefähr 165 4 auf den Kopf der Bevölkerung fallen und wenn man davon 500 H 700 Millionen der Reichsbankbestände abzieht, so blieben noch etm 3 Milliarden 300 Millionen übrig, wodurch sich der Anteil auf da Kopf der Bevölkerung nicht weseatlich vermindert. Meine politische Freunde und ich stimmen dem Gesetzentwurf zu und halten eine Ker⸗ missionsberatung nicht für notwendig. 8

Abg. Dr. Marcour (Zentr.): Wir beantragen die Verweisamng der Vorlage an die Budgetkommission. Warum das Gesetz über me Reichskassenscheine, das der Vorlage entsprechend geändert werden un nicht gleichzeitig mit vorgelegt worden ist, ist nicht aufgeklärt; vn erwarten Auskunft darüber in der Kommission. Daß ein Bedürfrt für die Ausgabe kleinerer Werte und Banknoten in dem behauptete Maße vorhanden ist, kann ich persönlich nicht finden; dem nah meiner Meinung wirklich hervorgetretenen Bedürfnisse würde eha und besser abgehollen werden dadurch, daß man an Stelle eineg Teils der Reichskassenscheine zu 50 solche zu 20 und eventul sogar zu 10 ausgibt. Mit dem Abg. Büsing bin ich der Me⸗ nung, daß wir hier den ersten Schritt auf einer verhängnrs⸗ vollen Bahn tun, daß wir einer Zettelwirtschaft, einer schwemmung mit Papiergeld in Deutschland die Wege ebna. Die Zustände in unseren Nachbarländern Oesterreich, Italien umn der Schweiz können wahrlich nicht zur Nachahmung aufforden Papiergeld geht leicht verloren, wird leichter unbrauchbar und wert als Gold und Silber. Man kann auch aus diesen Gründen nich wünschen, daß das Volk sich allzusehr an den Gebrauch des Papie⸗ geldes gewöhne. Die ganze Vorlage wäre nicht notwendig gewese⸗ wenn man sich hätte entschließen in Deutschland den Schet⸗ verkehr mehr zu pflegen. 8 v

(ßluß besh Birlihts.)

Die heutige (11.) Sitzung des Hauses der Abgeord⸗ neten, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. Angeleger heiten Dr. Studt, der Minister des Innern Dr. vr⸗ Bethmann⸗Hollweg und der Minister für Handel un Gewerbe Delbrück beiwohnten, eröffnete der Präsident von Kröcher mit folgenden Worten: W“

Wie Ihnen schon bekannt sein wird, ist der Staatsminifg Freiherr von Richthofen am 17. d. M. verstorben. Ich b geglaubt, in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich namens des Hause den Hinterbliebenen die Teilnahme ausgesprochen und mich in die art⸗ gelegten Listen eingeschrieben habe. (Zustimmung.) 2

Der Präsident machte ferner Mitteilung von dem Ablebe⸗ des Abg. Schweckendieck (nl.) Das Haus ehrte das Ar denken der beiden Verstorbenen durch Erheben von den Sizen

Auf der Tagesordnung stand zunächst die Interpellatios der Abgg. Roeren (Zentr.) und Genossen: 8

„Durch die Gerichtsverhandlung zu Trier vom 30. Oktober 5 2. November v. J. in der Prozeßsache Faßbender und von Kessae gegen Follert und durch verschiedene andere in letzter Zeit belm gewordene Vorkommnisse ist festgestellt, daß über das Verhalta der katholischen Geistlichen seitens der Polizei und der 1 Verwaltungsorgane eine besondere Kontrolle geübt und gehem⸗ Akten gefübrt werden. 4

Die Königliche Staatsregierung wird ersucht, anzugeben 2 dieses Verfahren auf behördlicher Anordnung beruht und wie des selbe gerechtfertigt werden soll.“ Eaant

Auf die Frage des Präsidenten erklärt sich der Mini der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt bereit, P Interpellation sofort zu beantworten.

Zur Begründung der Interpellation erhält das Wor: d.

Abg. Roeren (Zentr.): Die Interpellation bezweckt keine z0 klage oder Anschuldigung gegen den Ministerrat, sondern einztg. hg allein, Klarheit zu suchen in einer Angelegenheit, die in den bais 5 Kreisen Erregung und Unwillen hervorgerufen hat. Namentli 8 der letzten Zeit sind aus den verschiedenen enden ia Monarchie Beschwerden darüber erhoben worden, daß seitens unteren Verwaltungsorgane über die katholischen Geiftlichen geheime Kontrolle geübt wird. Wegen der strengen Geheim brnes dieses Verfahrens war es schwierig, einen wirklich faßbaren Ber

de.—

8

f erbringen. Zahlreiche Vorkommnisse, auffallende Zurück⸗ 8 n2 ke von Geeftlichen, plötzliche Entziehung der Schulaussicht ohne . abe von Gründen und Aeußerungen von Beamten haben es zur Zewißheit gemacht, daß hier geheime Berichte vorlagen. Man ging icht vor, teils weil man keine strikten Beweise hatte, teils weil man 8 Beamten nicht Unannehm lichkeiten bereiten wollte. Im Herbst des vaten Jahres hat nun aber in Trier ein Prozeß zwischen dem Birgermeister Faßbender und dem Landrat von Kesseler einerseits und Follert andererseits g Beleidigung stattgefunden.

farrer 1 .2. des letzteren sagte dabei zum Landrat von Kesseler:

Der V. 2.. 2 1 8 n der Staats anwaltschaft geschrieben und ein geheimes Akten⸗ e das Verhalten des Pfarrers Follert zur Verfügung gestellt. Der Landrat bestätigte dies. Das Aktenbündel wurde vom Gerichtsbof nicht ur Verhandlung gestellt. Es trug folgende Aufschrift: Acta über das Verhalten des Pfarrers Follert. Daß nun der Landrat von Kesseler zber die Gefstrches Isetess Ereer deche See haparee iglich aus önl icher Liebha ansammelte, ist ausgeschlossen, baiglich er etwa aus Abneigung gegen diese ein Aktenbündel anlegte. Man kann nur annehmen, daß im Landratsamt solche geheimen amt⸗ sichen Schriftstücke 8, 8— Utlce v. 82 s über diejenigen, die nach dem Ermessen des Landrats der Kon⸗ nes, Hesaesas gesee angelegt wurden. Das b 1 ist gleichermaßen verletzend. 3 wurde nun festgestellt, daß au 2 8- Keeisen der Monarchie eine ähnliche Kontrolle über die Führung und das Verhalten der katholischen Geistlichen besteht, so namentlich in Sachsen, Schlesien, Westfalen, Westpreußen, selbst⸗ verständlich 8 unc L den Regierungsbezirken Trier und Koblenz. Namentlich unsere strebsamen Regieärgermeister haben solche Berichte erstattet. Aus Schonung ha die beteiligten Persönlichkeiten will ich nicht alles anführen. Ich beginne mit dem harmlosesten Fall. Im Regierungsbezirk Trier wurde ein Geistlicher vom Bürgermeister denunziert, weil er an des Kaisers Geburtstag kein Hochamt abgehalten habe. Er konnte feststellen, daß er schon am Sonntag vorher, was der ganzen Ge⸗ meinde bekannt war, wegen starker Heiserkeit und Bronchialkatarrhs nicht predigen konnte. Ein anderer Geistlicher erhielt auf eine für seine efeffahntlic., Shleng nh 1 Ein⸗ gabe einen abschläglichen escheid mi er Motivierung, ß ihm die notwendigen Eigenschaften der konfessionellen Reasgiihen und patriotischen Gesinnungstüchtigkeit fehlten. Pfarrer war lediglich in zwei katholischen Arbeiterversamm⸗ lungen als Redner aufgetreten. Wegen seiner Rede in der zweiten Versammlung, worin er die Frage, ob ein Christ Sozialdemokrat sein dürfe, verneinte, weil diese Partei gegen die christlichen Grundbegriffe Eigentum und Religion verstoße, war er sogar von der staatlichen Aufsichtsbehörde gelobt worden. Der Vorwurf der mangelnden Friedfertigkeit war aber, wie sich bei der Vernehmung des Beamten berausstellte, lediglich auf diese Reden begründet. Ein Bürgermeister schrieb an einen Kaplan, der in einem kleinen Dörfchen der Eiffel oder des Hunsrücks, ich weiß es nicht genau, als Pfarrer angestellt werden näne „Ich habe über Sie Perict u erfatken, und fa ich es tets verschmähe, mir auf anderem Wege Nachrichten zu affen, ich Sie, mir einige Ptt,⸗ 2 Sie zu Dieser Bürgermeister ist sogar ein Protestant; es muß anerkannt werden, daß 8 so gehandelt hat. Die besseren Elemente unter den Landbürger⸗ meistern empfinden Ekel an dieser ganzen Spionage. Ein Schreiben des Landrats eines Kreises am Niederrhein, das vervielfältigt ist, also wohl an alle Bürgermeister seines Kreises gegangen ist, Fe; .ev scin Mitteilungen binnen acht Tagen über das Verhalten der katholischen Geistlichen bei Gelegenheit der bevorstehenden Reichstagswahlen.“ 8 8— 8.2 nur Bezicht 8 das 1.Sv der . eistlichen verlangt. alte Sie nicht mit dem ganzen reichen Mategsar auf IFer noch 8212 vb” ans veheshee 5. in Pfarrer im Regierungsbezirk Trier, der versetzt war, erhielt na ve eae Ort F seicnem stüherz Bürgermeifter din Pn Schreiben, das infolge unrichtiger Adressierung an ihn statt an seinen neuen Bürgermeister gelangte. Zu seiner Ueberraschung fand er darin das Führungszeugnis, das ihm sein früherer Bürgermeister ausgestellt hatte und das für den neuen Bürgermeister bestimmt war. Das Zeugnis lautete wörtlich: „Führung gut“. In anderen Fällen lauteten ferner die Zeugnisse: „Führung genügend“, „Führung be⸗ friedigend“. Ein solches Verfahren ist im höchsten Grade für die Geistlichen entwürdigend, es spricht das größte Mißtrauen 8. 82 größte e. ergns. 8 jgxerf 1.8 228 n seinem Vorgesetzten beaufsichtigt, und es werden Personalakten geführt, aber kein anderer Berufsstand unterliegt einer solchen all⸗ gemeinen polizeilichen Kontrolle. Dabei ist den Geistlichen nicht Gelegenheit gegeben, sich gegen die unrichtigsten Berichte zu ver⸗ teidigen, die für ihr ganzes Fortkommen maßgebend werden können. Dazu gehört nicht immer böser Wille, sondern persönliche Differenzen 8* Bangere Seisishe 85 F e sch⸗umgen floncen e Berichte beeinflussen. Ein Bürgermeister anderer politischer Richtung kann zum Beispiel schon die Teilnahme eines Geistlichen an einer Versammlung oder die Unterstützung einer Zeitung als Agi⸗ tation und Hetzerei auffassen und dem Pfarrer das Zeugnis geben, daß er ein politischer Hetzer sei und keine Friedfertigkeit habe, und der Ue neth he⸗ 1 5 eF ö heener rbittern. Wenn die Regierung glaubt, in dem einen oder andern Falle vielleicht ein besonderes Interesse an der Qualifizierung des Geist⸗ lichen für eine bestimmte Stelle nehmen zu müssen, weil etwa das staatliche Interesse durch die in Frage kommenden Funktionen berührt werde, . einziehen Se-s - sjen. Sie wird ja die besten Informationen immer bei der vor⸗ Peeßten kirchlichen Behörde erhalten, es gehört indessen dazu auch der ericht des Landrats; aber es ist nicht notwendig, daß die unteren Verwaltungsorgane über die Pfarrer zu Gericht sitzen und berichten. Solche Berichte werden doch auch von der ganzen Unterbeamten⸗ 1.9 2858. die zu 85 -— des g-., * rt. erner mu teer Geistliche vorher gehört und ihm legenheit gegeben werden, sich gegen etwaige Vorwürfe oder Anschul⸗ Uhangen zu verteidigen. Etwas ganz Anderes und für das ganze katho⸗ ische Volk höchlichst Verletzendes ist die von mir vorhin geschilderte Ge⸗ heimkontrolle. Ich nehme an, eine allgemeine Verfügung, auf die sich dieses Föenne Kontrollsystem gründet, besteht nicht; ich nehme en, der Minister wird es weit von sich weisen, zu einer solchen Spionage sehre Hand zu bieten; ich nehme an, daß auch nicht einzelne Regierungen solche Kontrolle allgemein angeordnet haben. Ich glaube, dieses System 9 von einzelnen Beamten als trauriger Rest aus der Zeit des Kultur⸗ ampfes in die jetzige Zeit hinübergerettet und beibehalten worden. 88 den Regierungsbezirken Trier und Koblenz hat es sich aber tat⸗ süclich LE n seegeberner. sodeß es . 8* er en in der Kulturkampfze eben, in der die berüchtigte Föniterei allgemeine Entrüstung hervorrief, bis der Urheber dieses e- wärtigen Systems, der Dr. Konitzer, schließlich zu einer bürenden Strafe verurteilt wurde und das System damit ein vorläufiges vlle 682 Ich bitte den Minister, die höheren Beamten anzuweisen, beebe che Angebereien als das, was sie in Wirklichkeit sind, zu be⸗ urd stnatchen Beggen sceh, desemceneeen aniscen, geigtichei il t . nd das ist aufs tiefste zu bedauern; ein erfolgreiches Bekämpfen des g. vehes ist nur möglich beim Nachgeben von Staat und Kirche, nn ie Grundlage eines solchen Zusammengehens ist das Vertrauen. 9 katholischen Geistlichen haben ja die Lebensaufgabe, die göttliche 8 von Gott gesetzte weltliche Autorität hochzuhalten. „„Hierauf nimmt der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten Dr. Stud 8 . t das Wort. . (Schluß des Blattes.) 8 Laut amtlicher Meldung wurden bei der am 17. d. M. egehabten Reichstagsersatzwahl im Wahlkreise Bonn⸗ han 5 (4. Reg⸗Bez. Cöln) insgesamt 17 236 Stimmen gegeben. Davon entsielen auf den Oberlandesgerichtspräsi⸗

entrum) 15 662, auf den Re⸗

Spah Kiel 8 Der

dakteur Dr. Erdmann in Cöln (Ssz.) 1533 Stimmen. Dr. Spahn ist, wie bereits mitgeteilt, gewählt.

Bei der im Kreise Fulda am 20. d. M. erfolgten Ersatzwahl eines Mitglieds des Hauses der Abgeord⸗ neten wurde, wie „W. T. B.“ berichtet, der Oberlandes⸗ gerichtspräsident Dr. Spahn (BZentr.) einstimmig wieder⸗ gewählt. Ein Gegenkandidat war nicht aufgestellt worden.

Kunst und Wissenschaft.

v. A. Keller und Reiner baben in der alten Hochschule für Musik in der Potsdamer Straße eine Meunier⸗Ausstellung ver⸗ anstaltet, die uns das gesamte Lebenswerk des Künstlers in einheitlichen, großen Zügen vorführt. Seine letzte Zusammenfassung und Krönung bildet das große Denkmal der Arbeit, an dem Meunier die letzten Jahre seines Lebens hindurch mit rastloser Liebe gearbeitet hat und zu dem eine große Zahl seiner früheren Plastiken und Reliefs, ja, selbst seine Bilder nur wie eine Vorbereitung erscheinen. Aus der Fülle seiner Einzelarbeiten ist ihm jedoch der Gedanke zu dem großen Werk erst emporgewachsen, die Empfindung der siegreichen Kraft und heiligen Größe der Arbeit erst entstanden.

Meunier besitzt einen lebhaften und starken Wirklichkeitssinn. Wer die Ausstellungsräume durchschreitet, wird sich des Gefühls nicht erwehren können, daß hier eine Welt voller Wahrheitsgehalt Gestalt gewonnen hat; diese Wesen sind nicht blutlose Schemen, in denen der Künstler irgend einen Gedanken zu verkörpern sucht, sondern Menschen von Fleisch und Blut, die er gesehen, deren Leben er mitgelebt hat. Aber während den Menschen in ihm das Einzelleid fesselt, während er von Liebe und Mitleid bewegt, den Daseinsbedingungen der Ringenden nachgebt, sieht der Künstler in ihm weiter und tiefer. Die unbewußte Größe, die dieser stillen Schar rastlos Tätiger innewohnt, geht ihm wie in einer Offenbarung auf. Sein Mitleid schlägt in Bewunderung um, die Arbeit ist nicht mehr Fluch, sondern Segen. Sie adelt ihre Kinder, stellt sie in einen großen Zusammenhang der Dinge, in dem jeder einzelne eine besondere Würde und Hoheit erhält. Jede Handreichung, not⸗ wendig im Ganzen, ist wie ein feierlicher Dienst für die Gesamtheit. Das Individuelle tritt zurück. Die Arbeit schafft einen Typus, bildet eine Gemeinschaft, erzwingt jenen großen Rhythmus, der befreiend und erlösend für den einzelnen wird. Und der Künstler schafft das große Denkmal, in dem er die Heiligkeit und Kraft der Arbeit, wie er se erkannt hat, zu schildern versucht.

Meuniers Entwicklungsgang schien ihn auf andere Wege zu weisen. Seine ersten plastischen Versuche hielten sich streng an antike Vorbilder. Da sie ihn nicht befriedigten, wandte er sich der Malerei zu und wählte seine Stoffe nun aus dem modernen Leben. Ein gärendes, soziales Empfinden trieb ihn in die Schilderung krasser Not und tiefen Elends. Dann ging er für längere Zeit nach Spanien, wo das bunte Volksleben sein Malcrauge fesselte. Aus dieser Schaffens⸗ periode bringt die gegenwärtige Ausstellung eine Reihe von Bildern, die den Künstler ver allem mit Licht⸗ und Farben⸗ problemen beschäftigt zeigen und ein bedeutendes malerisches Vermögen verraten. Schließlich kam ein Wendepunkt in Meuniers Leben, als er zum ersten Male die Koblen⸗ und Industriebezirke seines Vater⸗ landes kennen lernte. Als Mensch ergriff ihn das Schicksal dieser Tausende, die unter so anderen Bedingungen lebten als ihre Mit⸗ menschen, als Künstler fesselte ihn die noch unentdeckte Poesie dieser Distrikte, die in ihrer Oede und Unfruchtbarkeit eine sellsame Groß⸗ artigkeit besaßen.

Aus seinen Bildern tritt uns das Erlebnis des Künstlers ent⸗ gegen, vor allem in seinen farbenreichen Pastellzeichnungen. Rauchende Fabrikschlote, von Menschenhand aufgetürmte kahle Hügel in unab⸗ sehbarer Reihe, ödes, graues Gestein, das ist das Land der Arbeit, dessen schwermütigen Zauber Meunier findet. In seinen großen Oelgerzälden geht er weiter und schildert die Menschen, die hier mit den Kräften der Erde ringen. Die Bergleute, die Morgens zur Ein⸗ fahrt antreten, sehen wir in ruhigem, gleichmäßigem Schritt den Hügel hinansteigen in der selbstverständlichen Pflichterfüllung, die jeden Morgen neu wird. Wir sehen sie mit lässigen, müden Schritten am Abend heimkehren, die großen Silhouetten scharf gegen den

immel gestellt. Ihre farblose Arbeitstracht fügt sich ein in das

rau des Landes. An den Hochöfen sind die Puddler beschäftigt, mächtige Stücke glühenden Eisens zu wenden oder mühsam der Gewalt des Feuers zu entziehen. Von den Schiffen schreiten die Lastträger mit den schweren Ballen hin und wieder, ein kühnes Riesengeschlecht, das an seiner Last gewachsen und stark geworden ist.

Mehr und mehr gelangt Meunier dahin, das Individuelle zurück⸗ zudrängen, es kommt ihm immer weniger auf Beredsamkeit des Aus⸗ drucks, als auf Beredsamkeit der Bewegung an. Die Arbeit des einzelnen, das Zusammenarbeiten der vielen soll möglichst eindring⸗ lich, möglichst deutlich gezeigt werden. Seine malerischen Mittel genügen ihm nicht, wie von selbst kehrt der Alternde zur Plastik zurück, und nun entsteht ihm in einem Alter, in dem andere zu feiern beginnen, eine untunterbrochene Reihe von Meister⸗ werken in Einzelplastiken und Reliefs. Alle Hantierungen des modernen Arbeiters zieht er in das Bereich seiner Darstellung, gibt Lastträger, Bergleute, Glasbläser, Hammermeister, Puddler, Auslader. Und schließlich erweitert er sein Gebiet, indem er auch den Land⸗ arbeiter mit in diesen großen Zusammenklang menschlichen Schaffens bringt: den Mäher, den Pflüger, die Garbenbinder. Immer geht er in seiner Darstellung auf höchste Verein⸗ fachung aus. Um das ausdrucksvolle Spiel der Muskeln möglichst ungehindert zeigen zu können, gibt er seinen Ge⸗ stalten als Bekleidung nur ein loses, weites Beinkleid, der Oberkörper bleibt entblößt. Und nun zeigt sich, daß der Jüngling nicht umsonst die Antike studiert hat. Besonders in der ruhigen Deutlichkeit seiner Reliefs verrät sich die Schulung, die er durch⸗ gemacht hat, und in Meuniers Vermögen, einen lebensvollen Typus zu schaffen, zeigt er eine tiefere Verwandtschaft mit dem Geist jener alten Meister, als alle Künstler des Klassizismus mit der edlen Frbirdensprache und dem schönen Faltenwurf ihrer Gestalten besessen aben.

Dennoch verleugnet sich nirgends, daß Meunier den Umweg über die Malerei zur Plastik genommen hat; besonders in seinen Reliefs lebt ein ungewöhnlich starkes, malerisches Empfinden, das mit den ge⸗ ringsten Mitteln, mit dem Spiel von Schatten und Licht die Stim⸗ mung der Landschaft, der Jahreszeit, der Tagesstunde vermittelt. Die Garbenbinder arbeiten in brütender Hitze, die Bergleute kehren in lichterfüllten Tag zurück, um die Pflüger dehnt sich die flache, braune Scholle. Mit größter Meisterschaft bietet der Künstler in dem spröden Material der Phantasie die Anregungen, die sie braucht, um das Bild, das er nur andeutet, zu ergänzen.

Das Denkmal der Arbeit ist der letzte Ausdruck alles dessen, was Meunier uns zu sagen fand. Noch einmal faßt er alles zusammen. In vier großen Hochreliefs schildert er den Bergbau, die Ernte, den Hafen und die Industrie. In der Mitte, ein wenig erhöht, steht die große Gestalt eines Säemanns, der mit weiter Gebärde den frucht⸗ tragenden Samen in die Welt wirft. Drei große Arbeiterstandbilder und die Gruppe „Mutterschaft“ verbinden die Reliefs und schließen das Denkmal nach außen ab. Ein festgefügter, architektonischer Zusammenhang fehlt, sodaß eine Wirkung im Frete auf weitem Platz bezweifelt werden darf. Im geschlossenen Raum, der die einzelnen Glieder zu⸗ sammenfaßt, ist diese Wirkung aber groß und tief. In den vier Reliefs ist noch eindringlicher als je vorher mit ganz wundervollen Einzelheiten der hinreißende Rhythmus der Arbeit geschildert. Die Entfaltung der Kräfte an den widerstrebenden Aufgaben kommt vollendet zum Ausdruck, die Körper sind individualisiert nur nach Art der Beschäftigung: athletisch der Lastträger, hager der Berg⸗ mann, schlank und geschmeidig der Garbenbinder. Die Arbeiterstand⸗ Ibilder sind Gestalten von ruhiger Vollendung, gereift und geprüft.

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Die „Mutterschaft“ ist eine Gruppe voll Hoheit und Ernst. Neue Geschlechter folgen und setzen den Kreislauf des Lebens, dessen Schönstes und Höchstes die Arbeit ist, fort. So klingt Meuniers Bekenntnis in die Carlyleschen Worte aus: „Alle wahre Arbeit ist heilig. In aller wahren Arbeit, wäre es auch nur wahre Handarbeit, liegt etwas Göttliches.“

A. F. Die erste Sitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie im neuen Jahre begann am letzten Sonnaben mit der Wahl des aus 9 Mitgliedern bestehenden Ausschusses ee Glückwunschadressen sind, wie der Vorsitzende, Professor

. Lissauer, mitteilte, dieser Tage nach Breslau abgegangen: die eine an den Geheimen Bergrat Gottlieb Beer zu seinem 70., die andere an den Altmeister der schlesischen anthropologischen Forschung, Geheimrat Grempler zu sei 80. Geburtstage. Ein dritter Schlesier, Dr. Lehmann⸗Nitsche, ist auf den von Argentinien neu gegründeten Lehrstuhl für Anthropologie an der Universität Buenos Ayres berufen worden. Eine Meldung aus St. Gallen seitens des Leiters des dortigen naturhistorischen Museums gibt Kunde von erfolgreichen Ausgrabungen, die in der berühmten Höhle am Säntis vorgenommen worden sind, wo Scheffel seinen Ekkehard das Walthari⸗Lied dichten läßt. ü Generationen riesiger Höhlenbären bedecken den Boden der klassischen Stätte. So hoch im Gebirge ist man bisher noch nirgends in den Alpen auf Tierreste gestoßen.

Den Vortrag des Abends hielt Dr. Theodor Koch⸗ Grünberg überDie Indianerstämme des oberen Rio Negro und Yapurä.“ bildern begleiteten Vortrags deckt sich im wesentlichen mit den Schilderungen seiner Reise, die Dr. Koch am 2. Dezember v. J. in der Gesellschaft für Erdkunde gegeben hat und worüber an dieser Stelle in Nr. 285 eingebend berichtet worden ist. Nur betonte der Vortragende die anthropologische und ethnographische Seite seiner Forschungen etwas mehr, als früher. Es ist nach seinen Mitteilungen eine ethnographische Merkwürdigkeit, daß sich so ver⸗ hältnismäßig dicht nebeneinander wohnende Indianerstämme auf so be⸗ deutend verschiedenem Kulturniveau finden, wie einerseits die zwischen Papura und unterem Rio Negro auf ausgedehntem Gebiet sitzenden Maku, die noch nicht einmal den Gebrauch des kennen, und andererseits die an zahlreichen rechten Nebenflüssen des oberen Rio Negro recht dicht angesiedelten verschiedenen Stämme, denen Intelligenz, Betriebsamkeit und ein wohlgeord⸗ netes Gemeindeleben nachzurühmen ist. Dr. Koch hält dafür, daß die Maku die Ureinwohner des Landes sind, wodurch sich auch die Mißachtung erklärt, die jene höher zivilisierten Stämme als die Sieger über Besiegte für sie haben. Wo diese mit den Maku zu⸗ sammenwohnen, erscheint das Verhältnis des Herrn zum Diener stets als das naturgemäß gegebene.

Es sprach zum Schluß noch Dr. O. Messing über den „Ge⸗ brauch des Opiums bei den Chinesen“. Die Sitte des Opium⸗ rauchens hat sich erst als eine Folge des Tabakrauchens in China ein⸗ gebürgert, wenn auch nachweislich Opium schon im 11. Jahrbundert her⸗ gestellt worden ist. Erst durch die Gewohnheit des Rauchens ist das Opium zudem bedenklichen Volksvergiftungsmittel geworden, als das es jetzt mit Recht gilt. Wiederholt sind einsichtige Herrscher dagegen eingeschritten, am energischsten der letzte Kaiser der Ming⸗Dynastie Hwai Tsung, 1628 1644, mit den strengsten Verboten des Rauchens in jeder Ge⸗ stalt, dann der große Kaiser Kao⸗Tsung der Mandschu⸗Dynastie, der 1729 den Opiumgenuß für das größte Uebel erklärte und ihn streng untersagte. Freilich blieb auch er der schon allgemein verbreiteten und zur Volkseigentümlichkeit der Chinesen gewordenen Sitte gegenüber ohnmächtig. Bei dem außerordentlich schädlichen Einfluß des Opiumrauchens auf Gesundheit und Charakter es versetzt den Gewohnheitsraucher in einen Zustand der Begierde und erzeugt nach dem Rausch eine Schlaffheit und vollständige Unfähigkeit zu anstrengender Arbeit ist es zu verwundern, daß die Wirkung auf die Volksgesundheit noch nicht stärker in die Erscheinung tritt, als es der Fall ist, zumal die üble Einwirkung auf die nächste Generation fraglos ist, im Falle Vater und Mutter dem Laster des Opiumrauchens frönen, ja, auch wenn die Mutter allein Gewohnheits⸗ raucherin ist. Die Erklärung dafür, daß trotz alledem die Volks⸗ gesundheit in China noch befriedigen darf, liegt teils darin, daß vom Vater allein sich üble Wirkungen des Opiumrauchens auf die Kinder nicht vererben, zum allergrößten Teil aber darin, daß in China sehr jung geheiratet wird und die Periode der Kinderzeugung in den Ehen meist abgeschlossen ist, wenn sich die Eltern dem Opiumrauchen ergeben. Nichtsdestoweniger zehrt die Unsitte langsam, aber sicher am Mark des Volkes, und der Kampf gegen das Opium muß aufgenommen werden, wenn China nicht in ein soziales Elend ohnegleichen hineintreiben will. Das sehen chinesische Patrioten auch vollständig ein und weisen auf die Erfolge Japans auf diesem Gebiet hin, wo es nicht nur keine Opiumraucher gibt, sondern mit aller Schärfe auch die im Lande wohnenden Chinesen daran verhindert werden, sich jenem Laster zu ergeben, wie es u. a. mit vollem Erfolge auch auf dessen vor 12 Jahren erfolgter Abtretung an Japan geschehen ist.

In der sich anschließenden Diskussion erklärte Dr. Strauch den Alkohol für noch gefährlicher als das Opium. Denn, wenn es auch richtig sei, daß der Opiumgenuß den Charakter verderbe und in ganz merk⸗ würdiger Weise auf die Wahrheitsliebe des Rauchers wirke, sodaß Opiumraucher stets auch Lügner seien, so fehle diesem Narkotikum doch gänzlich die Erweckung des gewalttätigen Instinkts, die den Alkohol⸗ rausch so überaus gefährlich mache. An Zerrüttung des Nervensystems aber leisteten beide das gleiche. ““ 8

11“ Verkehrsanstalten. 8

Laut Telegramm aus Cöln vom 22. Januar hat die dritte englische Post über Ostende vom 21. d. M. in Cöln den Anschluß an Zug 13 nach Berlin über Hannover nicht erreicht. Grund: Schlechtes Wetter auf See.

Theater und Mufik.

3 Koönigliches Opernhaus.

1“ v1ö1.““ Im Königlichen Opernhause wurde am Sonnabend der Mozart⸗ Snes mit einer Neueinstudierung von „Figaros Hochzeit“ ortgesetzt. Fräulein Destinn sang zum ersten Male die Gräfin. Mit ihrer schönen, bis in die Höhe klangvollen und sicheren Stimme führte sie die Partie gesanglich meisterhaft und auch im Spiel ansprechend durch. Die übrigen Rollen der Oper waren ja auch bisher gut besetzt und bei ihren bewährten Vertretern geblieben: Herr Hoffmann sang den Grafen, Herr Knüpfer den Figaro, Frau Herzog die Susanne und Fräulein Rothauser den Cherubin in ihrer Art alles Muster⸗ leistungen. Das Orchester unter Dr. Strauß feinfühliger und straffer gab sein Bestes. Die szenische Ausstattung und die neuen Kostüme boten geschmackvolle Bilder ohne Ueberladung. Die Vorstellung, der die Kaiserlichen Majestäten bis zum Schluß beiwohnten, fand reichen und wohlverdienten Beifall. Im letzten Akt war die Arie der Marzelline gestrichen, dafür sang Herr Lieban die bei den Aufführungen im Opernhaus meist fortgelassene Arie des Basilio. Herr Lieban sang sie mit guter Komik. Der Kontrast zwischen ihr und der unmittelbar an sie sich anschließenden Arie der Susanne ist aber so gewaltsam, daß man das Einschiebsel vielleicht besser fallen läßt.

Im Königlichen Opernhause wird morgen, Dienstag, als dritte Vorstellung im Mozart⸗Zyklus „Don Juan“, Oper in zwei Akten, gegeben. ir Berger singt die Titelrolle, Fiau Herzog die Donna Anna, Fräulein Rothauser die Elvira, Fräulein Dietrich die Zerline, Herr Nebe den Leporello, Herr Philipp den Don Octavio, Herr Griswold den Komthur und Herr Krasa den Masetto. 2

Die Gebeine vieler

Der Inhalt des von vielen anschaulichen Licht⸗

Kanus

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