Sie werden aber auch ohne dies dazu bereit sein in ihrem eigenen Interesse, nachdem sie schon formell eine Erklärung abgegeben haben, die sie nach meiner Meinung moralisch bindet. Auf diese Erklärung hat schon mein Herr Vorredner Bezug genommen, nur, wie mir scheint, nicht in vollständig ausreichender Weise. Es war im Jahre 1903, als die Vereinigung der öffentlichen Feuerversicherungsanstalten in Deutschland zusammentrat, um den damals vorliegenden ersten Gesetz⸗ entwurf zu beraten, und in demselben Jahre war es, daß der Vorstand des Verbandes der öffentlichen Feuerversicherungsgesellschaften die gleichen Fragen in die Beratung zog. Bei dieser Gelegenheit haben die Verhandlungen der öffentlichen Feuerversicherungsanstalten der
Oeffentlichkeit und der Regierung gegenüber formell ausgesprochen, daß die öffentlichen Anstalten schon wegen des für sie bestehenden Wettbewerbes nicht umhin können würden, ehestens durch ihre Grundsätze und ihre Vorschriften den Versicherungsnehmern mindestens dasselbe zu gewähren, was die abänderungsfähigen Vorschriften des Gesetzentwurss enthalten. Also so weit gehen sie unbedingt. Die ahänderungsfähigen Vorschriften des Gesetzes, deren Annahme den Privatversicherungsgesellschaften gleichfalls freigegeben ist und von denen wir nicht wissen, wie weit die Privatgesellschaften sie sämtlich annehmen werden, wollen die öffentlichen Anstalten in vollem Umfange zur Grundlage ihrer neuen Organisation machen, freilich nicht unter Einbeziehung — und das wird jeder verstehen, der die Einrichtungen der öffentlichen Anstalten kennt — der zwingenden Vorschriften, die gegenüber den Privatversicherungsgesellschaften gelten sollen; die Organisation der öffentlichen Anstalten schließt das eben zum größten Teil aus. Ich glaube nicht, daß es von dem Herrn Vorredner richtig war, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Zusage der öffentlichen Feuerversicherungsanstalten so leicht zu nehmen, wie es anscheinend von seiner Seite geschehen sollte.
Der Herr Abg. Dove hat dann am Schluß seiner Ausführungen gesagt: mit diesen Bestimmungen, wie sie von seiten der Regierung, ich will nicht sagen, zu Gunsten der öffentlichen Versicherungsanstalten, ich will lieber sagen zu Gunsten der Versicherten bei den öffentlichen
Versicherungsanstalten, vorgeschlagen sind, könnte er den Entwurf nicht annehmen und er wolle dann lieber auf das Gesetz verzichten. In dieser Beziehung möchte ich mir nur eine Bemerkung gestatten. Der Umfang der Versicherungen innerhalb der öffentlichen Anstalten ist höchstens der zehnte Teil aller Versicherungen, deren Rechtsverhältnisse durch das Gesetz geregelt werden sollen. Wir stimmen überein, wie mir scheint, mit allen Seiten des hohen Hauses darin, daß der Entwurf eine erhebliche Anzahl Verbesserungen zu Gunsten der Versicherten enthält, soweit diese Versicherten außer⸗ halb des Kreises der öffentlichen Anstalten stehen, also zu Gunsten von wenigstens neun Zehntel aller in Deutschland versicherten Personen. Wir differieren nur in dem einen Punkte, ob auf das letzte Zehntel der Versicherten die zwingenden Bestimmungen des Ent⸗ wurfs, von denen die Herren dort drüben so viel erwarten, ausgedehnt werden soll oder nicht. Wollen Sie, meine Herren, einen Entwurf, welcher eine Erweiterung nach Ihren Wünschen nicht erfährt, ganz fallen lassen, was würde dann die Folge sein? Neun Zehntel des ganzen Kreises der Versicherten würde von der Wohltat einer reichs⸗ gesetzlichen Ordnung ausgeschlossen bleiben. Deshalb, weil entgegen Ihrer Auffassung eine kleine Minderzahl den zwingenden Bestim⸗ mungen nicht unterstellt wird, von denen Sie freilich glauben, daß sie allen Versicherten nützlich sein würden, bezüglich deren wir aber eine andere Ansicht haben, soll zum Nachteil der großen Mehrzahl der Versicherten die Vorlage scheitern? Was würden dann wohl die unter der Majorität befindlichen, in ihren Hoffnungen getäuschten Versicherten sagen? Sie, meine Herren, könnten Ihnen nur erwidern. Ihr müßt zunächst auf die Vorteile, die der Gesetzentwurf Euch bieten wollte, verzichten, denn wir müssen mit einem Gesetz bis dahin warten, daß auch der letzte Rest der Versicherten an den Vorteilen des Gesetzes teilnehmen kann. Ich glaube nicht, daß der einfache gesunde Verstand der interessierten Kreise eine solche Beruhigung anerkennen würde. Wenn Sie, meine Herren, bei der Gelegenheit auf eine Ihren Wünschen günstigere Zukunft verweisen wollten, so glaube ich: sollte dieser mit großer Mühe von uns und unter vielem Entgegenkommen der einzelnen Bundesregierungen aufgestellte Entwurf wirklich scheitern, dann würden wir für lange Zeit den Versuch einer gesetzlichen Regelung nicht wieder erleben.
Abg. Kaempf (frs. Volksp.): Ich freue mich außerordentlich der Wendung, welche die hier zur Verhandlung stehende Frage genommen hat; diese Wendung ist in der Hauptsache zu verdanken, daß das Reichsjustizamt es nicht verschmäht hat, vor 3 Jahren den Entwurf zu veröffentlichen und dann in einer Versammlung der Interessenten sich an der Erörterung des Entwurfs eingehend zu beteiligen. Es wäre nur zu wünschen, daß andere Ressorts auch so verführen; hätte das Reichsjustizamt die Steuervorlage auch der öffentlichen Kritik unterbreitet, anstatt Geheimniskrämerei zu treiben, so hätten wir ganz andere Vorlagen erhalten. Die Vorlage stellt ein zwischen den Forderungen der Versicherten und den Versicherungsge ellschaften dar, die weitestgehenden Forderungen beider sind abgelehnt worden. Das Verlangen besonderer Gesetze für jeden einzelnen Versicherungs⸗ zweig ist nicht erfüllt worden; ich finde, daß mit dem Entwurf und seinem logischen juristischen Aufbau auch die Gesellschaften sich ein⸗ verstanden erklären können. Eine Hauptsache ist, daß an einer be⸗ stimmten Stelle des Gesetzes die Vors riften zwingender Natur ver⸗ einigt sind, damit der Versicherungsnehmer sofort orientiert ist; es handelt sich um 35 Millionen Versicherungsverträge, die alle erneuert werden müssen. Wenn gar alle zwingenden Vorschriften rückwirkende Kraft haben sollen, was aus dem Einführungsgesetz nicht deutlich hervorgeht, so ist es doppelt nötig, diese Vereinigungen aller zwingenden Vorschriften an einer bestimmten Stelle vorzunehmen. Die Ausschließung der Haftpflichtversicherungen der Berufs⸗ genossenschaften und der eingeschriebenen Hilfskassen von dem Reichsrecht können wir nicht billigen. Eine dem Hause gemachte Vorlage sieht die Unterstellung der Hilfskassen unter die Aufsicht des “ vor; — die in der Begründung zu diesem
esetzentwurf gemachten Ausführungen, die gegen die Hilfskassen scharfe Vorwürfe erheben, macht die Unterstellung dieser Kassen unter das Reichsrecht zur unbedingten Notwendigkeit. Den Ausführungen des Staatssekretärs bezüglich der öffentlichen Anstalten und der Sozietäten kann ich nicht folgen; die schon erwähnte Zusage des Grafen Posadowsky ist durchaus klar und unzweideutig, sodaß nur die Annahme übrig bleibt, daß die verbündeten Regierungen jetzt anderer Ansicht geworden sind. Da haben wir also nach den Gründen zu fragen, warum diese Meinungsänderung ein⸗ getreten ist. Der Fürst Bismarck sagte einmal: grundsätzlich etwas zugeben, heißt praktisch etwas verneinen; und so verfährt die Regierung auch hier: grundsätzlich, heißt es in den Motiven, halte die Regierung an dieser Auffassung fest, aber tatsäch⸗ lich wird in allen wesentlichen Punkten das Gebiet der öffentlichen
Anstalten von dem Geltungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen. Tatsächlich ist jemand, der gezwungen ist, sich an einer bestimmten Stelle zu versichern, schlechter gestellt als derjenige, der sich die Ver⸗
sicherungsgesellschaft aussuchen kann. Die Reglements der Sozietät
enthalten vielfach weniger günstige Bestimmungen für die Ver⸗ Fe hinsichtlich der Höhe und der Frist der Entschädigung bei
ränden und hinsichtlich der Verjährung. Es kommt gerade darauf an, ob die öffentlichen Anstalten die zwingenden Vorschriften des Gesetzes, die den Versicherten günstig sind, ihren Interessenten auch zuteil werden lassen wollen.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Nieberding:
Die letzte Frage des geehrten Herrn Vorredners, warum die öffentlichen Versicherungsanstalten, statt eine Erklärung außerhalb des Rahmens der gesetzlichen Aktion abzugeben, nicht lieber bündig und formell sich unter das Gesetz stellen wollten, kann ich dahin be⸗ antworten, daß es eben nach der inneren Verfassung, nach der ganzen Organisation vieler Anstalten nicht möglich sein würde. Wollte man z. B. die bayerische Brand versicherungsanstalt unter die zwingenden Bestimmungen des Entwurfs stellen, so würde die Folge die sein, daß diese ganze, große, leistungsfähige Organisation einer vollständigen, ihr Wesen absolut ändernden Umgestaltung unterworfen werden müßte. Das ließe sich gar nicht erreichen, selbst wenn man es wollte, in der kurzen Zeit bis zum Eintritt der Geltung des voraussichtlichen Gesetzes.
Meine Herren, ich möchte noch einen Punkt berühren, den der Herr Abg. Kaempf soeben diskutiert hat im Anschluß an die Be⸗ merkungen, die gestern der Herr Abg. Heine machte: Das betrifft die rechtliche Stellung der eingeschriebenen Hilfskassen. Es kann ja auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen, daß wir in dem Entwurf über den Versicherungsvertrag den eingeschriebenen Hilfskassen eine besondere Behandlung haben zuteil werden lassen, die nicht im Einklang steht mit derjenigen, die in einem zweiten Gesetzentwurf über die zukünftige Organisation der Hilfskassen vorgeschlagen wird. Die Sache liegt aber doch einfach. Solange das Gesetz von 1876, welches die Verfassung, die Rechte und Pflichten der eingeschrieberen Hilfskassen regelt, besteht, müssen wir nach meiner Meinung bei unserer gesetzgeberischen Behandlung des Versicherungs⸗ rechts von dem geltenden Gesetz ausgehen. Dieses Gesetz berührt nicht nur die öffentlich rechtliche, sondern auch die privatrechtliche Seite des Hilfskassenwesens. Solange dieses Gesetz besteht, haben wir eben deshalb keine Veranlassung, in den gegenwärtigen Entwurf über den Versicherungsvertrag Bestimmungen privatrechtlicher Natur für die eingeschriebenen Hilfskassen aufzunehmen. Sobald aber der Gesetzentwurf über die Hilfskassen die Zustimmung des hohen Hauses gefunden haben wird und damit die privatrechtlichen Vorschriften des alten Gesetzes fallen, scheiden die eingeschriebenen Hilfskassen als solche überhaupt aus; sie werden dann Versicherungskassen allgemeiner Natur, und dann ist Raum gegeben für ihre Behandlung nach Maßgabe des allgemeinen Versicherungs⸗ rechts, für ihre privatrechtlichen Beziehungen gelangen sie dann von selbst unter das Gesetz über den Versicherungsvertrag. Die Bestimmung unseres Entwurfs über die eingeschriebenen Hilfskassen wird dann eben erledigt sein, ein inhaltleeres Wort, das die Stellung der Hilfskassen nicht mehr berührt. Ich glaube, eine solche Lösung liegt auch ganz im Sinne der Herren Abgeordneten, die diese Frage erörtert haben.
Abg. von D amm (wirtsch. Vgg.): Auch ich bin der Meinung, daß der Entwurf weitgehende Anerkennung verdient. Schwierig ist, an einzelnen Stellen zu unterscheiden, ob eine Bestimmung zwingendes Recht ist oder nicht. „Es wird sich vielleicht empfehlen, am Schlusse einen Paragraphen einzufügen, in dem die Vorschriften zwingenden Rechtes zusammengefaßt sind. Entgegen dem Abg. Trimborn, der der Vorschrift des § 166 wegen des Selbstmordes zwingende Kraft bei⸗ legen will, gebe ich der Fassung der Vorlage den Vorzug. Die Er⸗ klärungen des Staatssekretärs über die Hilfskassen werden wohl allseitig befriedigt haben; dagegen kann ich keinen Grund sehen, weshalb die von den Berufsgenossenschaften gegründeten Haftpflichtversicherungen nicht dem Gesetze unterstellt werden sollen, und noch weniger, wes⸗ halb die Regierung diesem Wunsch einen so hartnäckigen Widerstand entgegensetzt. Alles übrige wird der Kommissionsberatung vorbe⸗ halten sein.
Abg. Osel (Zentr.): Eine Anzahl von Rednern haben versucht, sigmüber den Interessen der Versicherten die Interessen der Gesell⸗ chaften möglichst zu wahren und die öffentlichen Anstalten als so⸗ zusagen minderwertig hinzustellen. Diese letzteren sind aber doch im Interesse der Versicherungsnehmer begründet. Sehen wir die Gewinnziffern der Aktiengesellschaften an, beobachten wir, was der Abg. Beumer mit größerer Offenheit als die anderen ausgesprochen hat, daß die Aktiengesellschaften Anspruch auf Verzinsung ihres Kapitals haben, so tritt der Gegensatz deutlich hervor. Nach meiner Meinung ist in dem Entwurf nicht genügend berücksichtigt, daß die meisten Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen gar nicht verstehen. Die Privat⸗ versicherungen haben es heute in der Hand, die schlechten Risiken von sich abzuschieben und die guten zu behalten. Die öffentlichen Ver⸗ sicherungsanstalten werden in der Regel erst dann ins Leben gerufen, wenn die privaten versagt haben. Die öffentlichen Anstalten können kaum hinter den privaten zurückbleiben, selbst dann nicht, wenn sie Monopolanstalten sind. Ich kann den Ausführungen des Staats⸗ sekretärs des Reichsjustizamts über den Ausschluß der öffentlichen Anstalten nur beitreten. § 189 muß aufrechterhalten bleiben.
Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Mir würde die Aufrecht⸗ erhaltung des § 189 das Gesetz unannehmbar machen. Die Ver⸗ staͤatlichung der Versicherung würde uns immer mehr in den Sozialis⸗ mus hineinbringen und eine ganze Menge neuer abhängiger Existenzen schaffen. In Preußen haben sich die öffentlichen Anstalten längst überlebt. In Preußen will man sich allerdings schwer ent⸗ schließen, die Macht des Staates irgendwie einschränken zu lassen. Es ist nicht richtig, daß Graf Posadowsky sein Versprechen ein⸗ gelöst hat. Die Sprache des Entwurfs ist gut und präzise und unterscheidet sich vorteilhaft von der der bisherigen Gesetze. Auf Einzelheiten gehe ich nicht ein. Eine präzise Feststellung der Befugnisse der Agenten wäre erwünscht. Viele Agenten, namentlich viele Versicherungsagenten, schwindeln den Versicherungsnehmern etwas vor. Es muß Vorsorge getroffen werden, daß die Versicherten davor geschüft werden, übers Ohr gehauen zu werden.
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fr. Volksp.): Ich muß dagegen Verwahrung einlegen, daß ich dem Staatssekretär Grafen Posadowsky falsche Pläne in den Mund gelegt habe. Der Wortlaut jener Rede gibt mir recht. (Redner zitiert die betreffende Stelle.)
Der Gesetzentwurf geht an eine Kommission von 21 Mit⸗ gliedern.
Es folgt die erste⸗ Lesung des Entwurfs und Gewichtsordnung.
Abg. Dr. Porzig (kons.): Dieser Entwurf hat schon dem vorigen Reichstag vorgelegen und konnte nicht verabschiedet werden. In dem vorliegenden Entwurfe sind die damals geäußerten Wünsche im wesent⸗ lichen berücksichtigt worden. Die Verstaatlichung der Eichämter bringt allerdings für eine ganze Reihe von Kommunen Nachteile mit sich, und es wird Sache der Kommission sein, den Weg zu finden, die beiden entgegenstehenden Interessen auszugleichen, nämlich die Be⸗ seitigung der im Eichwesen unleugbar vorhandenen Mißstände und die Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Kommunen. Auf den Wunsch, viertel und achtel Pfunde im Interesse des Kleinhandels zuzulassen, ist die Regierung leider nicht eingegangen,
einer Maß⸗
Die Begründung der Regierung ist sehr mangelhaft.
JI im vorigen Jahre gesagt, da ch habe scho
die ablehnende Stellung der Regierun mich an die Haltung eines Parvenus erinnert, der absolut an sein Vergangenheit nicht erinnert sein will, indem sie einen Vorschlag ab. lehnt, der mit dem Dezimalsystem gar nichts zu tun hat. Cs ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, in die natürlichen Grundlagen des Verkehrz durch solche einseitigen reglementarischen Bestimmungen einzugreifen Man braucht nicht zu einem Fanatiker des dekadischen Systems . werden. Ich hoffe, daß, wenn das Haus seinen Beschluß wiederholt die Regierung endlich ihren Widerstand gegen jenen Vorschlag aufgibt.
Abg. Stolle (Soz.): Ich bedauere sehr, daß die Wünsche des Arbeiterstandes in diesem Gesez nicht berücksichtigt worden sind. Die Bergarbeiter vermissen in § G eine Bestimmung, wonach auch die Förderwagen geeicht werden müssen, denn die Löhne werden im all⸗ gemeinen nach den Förderwagen bemessen. Das neue preußische Berg⸗ gesetz schützt in dieser Beziehung die Bergarbeiter nicht vor der Ueber⸗ vorteilung. In der Textilindustrie sind die Gemäße so verschieden daß die Arbeiter um Tausende betrogen werden; aber nur an die Wünsche der Unternehmer, nicht an die der Arbeiter Wo bleibt da die „Fürsorge für den armen Mann?“ Wer ist hier im Hause nicht für die Einheitlichkeit! Es ist nicht bewiesen, daß die Kommunaleichungsbeamten schlechter seien als die Staatsbeamten. Viele Kommunen haben Tausende dafür aufgewendet, Eichungsämter zu schaffen. Es ist ihnen nur eine kleine karge Frist im Gesetz ge⸗ währt worden. Die Rechte der Gemeinden könnten gewahrt werden ohne die Rechte des Staats und die Einheitlichkeit zu gefährden, Wie tief die beabsichtigte Verstaatlichung der Eichämter in die kommunalen Interessen eingreift, zeigt das Beispiel der Stadt Frei⸗ berg in Sachsen. Durch das Eingehen des Bergbaues, namentlich des Silberbergbaues dort, sind Tausende von Arbeitern brotlos geworden, und die Gemeindeverwaltung war in der Zwangslage, andere Gewerbe und Industrieen heranzuziehen, um den Arbeitern Brot zu schaffen. Aus denselben Gründen wurde auch ein städtisches Eichungsamt gegründet, und dies soll nun der Gemeinde genommen werden. Besonders bedenklich erscheint uns, daß dem Bundesrat die Befugnis vorbehalten sein sol— die Eichungsgebühren festzusetzen. Der Staatssekretär hat zwar ge⸗ sagt, die Eichgebühren sollten keine Einnahmequelle für den Staat sein, aber wir müssen doch nach den Erfahrungen der letzten Zeit vor⸗ sichtig sein. Die Gebühren dürfen die Selbstkosten nicht übersteigen, und es wild nicht schwer sein, die betreffenden Vorschriften zu finden. Ich beantrage, die Vorlage einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen.
Abg. Engelen (Zentr.): Die Forderung der Arbeiter, die Förderwagen dem Eichzwange zu unterwerfen, hätte sehr wohl berücksichtigt werden können. Dem Antrag des Vorredners, die Vorlage einer Kommission zu überweisen, schließen wir uns an⸗ Einperstanden sind wir damit, daß der Gebührentarif möglichst ein⸗ heitlich geregelt und die periodische zwangsweise Nacheichung ein⸗ geführt wird. Von der Notwendigkeit der Verstaatlichung der Eich⸗ ämter habe ich mich bisher nicht überzeugen können. Es ist hin⸗ gewiesen worden auf die Ueberschüsse, die viele Gemeinden aus ihren Eichungeämtern erzielt haben. Diese Gemeinden werden also durch die Verstaatlichung geschädigt werden. Graf Posadowsky hat demgegenüber in Anspruch genommen, daß diese Kommunen ihre Eichämter nur errichten konnten auf Grund der Uebertragung eines staatlichen Rechts, das der Staat jederzeit zurückziehen könne. Aber trotzdem ist der Wunsch der betreffenden Kommunen, entschädigt zu werden, nicht beiseite zu stellen; das preußische Gesetz bezeichnet die Eichämter ausdrücklich als Gemeindeanstalten; die Genehmigung kann Geo⸗ meinden, die über die erforderlichen Räume und Persönlichkeiten verfügen, nicht vorenthalten werden. Es ist auch nicht zu verstehen, weshalb gerade das Reich diese Verstaatlichung vornehmen muß; es wäre denn, daß nachher den Kommunen erklärt würde, das Reich habe die Verstaatlichung beschlossen, die Einzelstaaten seien zu keiner Entschädigung verpflichtet. Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß sich in der Kommission eine befriedigende Lösung auch in dieser Frage wird herbeiführen lassen.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich habe mich über die Stellung der verbündeten Regierungen zu diesem Gesetzentwurf sowohl im Plenum des hohen Hauses wie in der Kommission in der vorigen Tagung schon eingehend geäußert. Ich glaube, ich kann mich deshalb heute auf einzelne ganz kurze Bemerkungen beschränken, ohne irgendwie der Sache Zwang anzutun.
Es ist moniert worden, daß die Fördergefäße in den Berg⸗ werken nicht dem allgemeinen Eichzwange unterliegen sollen, und es ist dabei behauptet, daß in der Kommission des vorigen Jahres ein dahingehender Abänderungsantrag zum Gesetzentwurf an⸗ genommen worden sei. Letzteres beruht auf einem Irrtum; ein solcher Antrag ist in der Kommission nicht angenommen worden. Die verbündeten Regierungen glauben, soweit Preußen in Frage kommt, daß die Bestimmungen des § 80 k des preußischen Berggesetzes schon auereichende Vorsorge zum Schutze der Ar⸗ beiter treffen; denn dort ist ausdrücklich vorgeschrieben, daß da, wo nach dem Inhalt der Gefäße die Ablohnung der Bergleute er⸗ folgt, die Fördergefäße mit der Bezeichnung des Rauminhalts zu ver⸗ sehen sind, und daß die Bergbehörden darauf zu achten haben, deß diese Vorschrift durchgeführt wird. Ich kann noch hinzufügen, daß nach der Auskunft der preußischen Bergbehörde der Eichzwang für alle Fördergefäße so ungeheure Bestände an Reservegefäßen er⸗ fordern würde, daß damit ganz unverhältnismäßige Kosten verbunden wären.
Die preußische Bergbehörde ist deshalb der Ansicht, daß, wenn der allgemeine Eichzwang der Fördergefäße eingeführt werden sollte, das Gesetz nicht durchführbar und deshalb abzulehnen sei. Ich muß mich bei so schwierigen technischen Fragen selbstverständlich auf die maßgebendste technische Behörde in dieser Beziehung verlassen, und das ist hier die preußische Bergbehörde. Aber abgesehen davon ist mir rein sachlich eingewandt worden, daß Kohlen ein so sperriges Gut seien, daß die geringen Abweichungen des Rauminhalts, die etwa durch den Gebrauch der Fördergefäße im Laufe der Zeit entstehen, in der Tat für die Ablohnung ohne jede wesentliche Bedeutung wären. Ergänzend möchte ich noch hinzufügen, daß, wie mir mitgeteilt wird, jetzt nach den meisten Arbeitsordnungen in West⸗ falen die Minder⸗ oder Mehrfüllung eines Gefäßes nicht mehr ein Grund des Nullens sein soll. Wir werden uns ja über diese Frage in der Kommission noch des näheren unterhalten.
Der Herr Vorredner hat auch wieder die kommunalen Eichämter angeschnitten. Ich muß auch heute noch die Ansicht festhalten, daß die Städte ein gesetzliches Recht auf die Eichämter nicht haben, daß es sich hier vielmehr lediglich um ein vom Staat übertragenes Hoheitsrecht handelt, das der Staat jederzeit selbst wieder für sich in Anspruch nehmen kann. Wenn ich speziell auf die Verhältnisse der Stadt Osnabrück eingehen darf, so soll dieselbe fast die Hälfte ihrer kommunalen Einnahmen aus Eichgebühren ziehen, und zwar aus der Eichung von Gasmessern⸗ Die Eichung von Gasmessern ist aber unzweifelhaft auf die Kom⸗ munen nur delegiert worden.
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obwohl das ganze Haus bis auf die Sozialdemokraten einig war. 1“ 1p“ 1“ L“ “ 8 “ 8 11“
8
8 (Schluß in der Zweiten Beilage.
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die Vorlage denkt
schafft oder eine gewisse Entschädigung gewährt, darüber läßt sich
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preu
Berlin, Mittwoch, den 24. Januar
Meine Herren, ich glaube nicht, daß das Interesse der Städte an der Beibehaltung ihrer Eichämter so sehr aus dem allgemeinen Bedarf an Selbstverwaltung hervorgeht, sondern daß überwiegend finanzielle Gründe maßgebend sind. Sie haben aber selbst in den Gesetzentwurf der vorigen Tagung eine Bestimmung aufgenommen, meines Er⸗ achtens mit Recht, daß die Gebühren der Eichung nicht höher sein sollen als ihre Kosten. Hierdurch würden aber sofort die großen Ueberschüsse, die einzelne Kommunen aus den Eich⸗ gebühren ziehen, fortfallen. Ich glaube in der Tat, wenn die Eichämter in Zukunft ohne diese Mitgift bestehen sollten, würde auch die Liebe der Städte zu ihren eigenen Eichämtern schnell erkalten. Die fortdauernde finanzielle Einnahme für die Stadtkasse ist aber unvereinbar mit dem Grundsatz, daß die Eichgebühren nichts darstellen sollen als die Selbstkosten. Wenn dieser Beschluß buchstaͤblich durchgeführt werden soll, muß man natürlich von Zeit zu Zeit den Eichtarif nachpruͤfen, und wenn hierbei jener Grundsatz des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Ausgaben auf jede Gemeinde oder für den Durchschnitt der Einnahmen und Aus⸗ gaben an Eichgebühren in den Einzelstaaten oder im ganzen Reich durchgeführt wird, dann dürfte der Hauptgrund fortfallen, aus dem sich die Gemeinden gegen die Verstaatlichung ihrer Eichämter aus⸗ sprechen, nämlich die bisherigen Mehreinnahmen für ihre Kassen.
Ob man, um den Gemeinden den Uebergang zu den neuen Ver⸗ hältnissen zu erleichtern, eine geräumige gesetzliche Uebergangsfrist
vielleicht ii der Kommission eine Einigung erzielen.
Ich wünschte dringend, meine Herren, daß es uns möglich wäre, über dieses Gesetz, das schon so lange Gegenstand der Wünsche des hohen Hauses gewesen ist und welches bereits in der vorigen Kommission so gründlich erörtert ist, recht bald zu verhandeln, damit eine schleunige Einigung stattfindet.
Wenn sich der Herr Vorredner auf ein Reskript des Herrn Handelsministers berufen hat, so möchte ich doch daran erinnern, daß in dieser Frage der Gebühren auch der preußische Herr Finanzminister ein sehr gewichtiges und entscheidendes Wort mitzusprechen hat. Für mich und für die Reichsregierung, die finanziell an den Erträgen dieses Gesetzes gar nicht beteiligt ist, wäre es ja sehr leicht, den bon prince zu spielen und zu sagen: gewiß, wir wollen uns finanziell einigen, wir wollen eine ausreichende Entschädigung feststellen für die Gemeinden. Aber das entscheidende Wort in dieser Frage haben die Re⸗ gierungen und haben namentlich die Finanzminister der Einzel⸗ staaten. Wenn deshalb bei den Beratungen der Kommission eine Einigung gefunden werden soll, die den Interessen der Gemeinden für die Uebergangszeit Rechnung trägt, so kann ich Sie nur bitten, diese Anträge so zu fassen, daß auch einige Aussicht ist, daß sie die Zustimmung der verbündeten Regierungen im Bundesrate und vor allem der hier entscheidenden Herren Finanzminister er⸗ langen.
Darauf wird die Vertagung beschlossen.
Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch, 1 Uhr. (Dritte Beratung des Diätenantrags, erste Beratung des Toleranzantrages, erste eventuell zweite Beratung des sozial⸗ demokratischen Antrages, betreffend die Volksvertretungen in den Bundesstaaten und in Elsaß⸗Lothringen.)
1““
Herrenhaus. 8
4. Sitzung vom 23. Januar 1906, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Der Präsident Fürst zu Inn⸗ und Knyphausen er⸗ öͤffnet die Sitzung mit folgenden Worten;
Ich eröffne die erste Sitzung im neuen Jahre mit den besten Wünschen für unser aller Wohlergehen und hoffe, daß es Ihnen allen ein reich gesegnetes Jahr sein möge. — Der Präsident gibt sodann Kenntnis von den Audienzen, die er als Präsident des Hauses bei Ihren Majestäten gehabt hat, und von der Einladung der Berliner Handelekammer zur deutsch⸗englischen Freundschaftskundgebung, der er Folge geleistet habe.
Zu Ehren der seit der letzten Sitzung verstorbenen Mit⸗ glieder Graf Finck von Finckenstein und Bischof von Hildesheim Dr. Sommerwerck sowie des verstorhenen Staats⸗ Vinisters Freiherrn von Richthofen erheben sich die Mit⸗ glieder von den Plätzen.
Neu ein e. ge sind die Herren⸗ Professor, Geheimer Dustirxat Dr. Ferne een und Oberbürgermeister Dr. Tetten⸗
orn⸗Altona.
Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die Beratung und Beschlußfassung über den Entwurf eines Gesetzes, etreffend Anlegung von Sparkassenbeständen in Inhaberpapieren. .
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben: “
Meine Herren! Die Vorlage, die die Staatsregierung die Ehre gehabt hat, dem hohen Hause zu unterbreiten, wird durch die Rücksicht auf die Sparkassen und auf den Staatskredit gebieterisch diktiert, zwei Rücksichten, die genau auf derselben Linie sich bewegen. Wenn Sie die Entwicklung der Sparkassen in den letzten Jahren und Jahrzehnten verfolgen, so ist im allgemeinen die Entwicklung nur eine durchaus erfreuliche zu nennen. In erster Linie steht die außerordentliche Zu⸗ nahme der Einlagen in die Sparkassen, und zwar gerade auch der Einlagen des kleinen Mannes, der minder bemittelten Stände. Während im Jahre 1875 die Einlagen der preußischen Spar⸗ kassen sich auf die Summe von rund einer Millarde Mark beliefen, sind die Einlagen seit 1903 auf nicht weniger
sieben Milliarden Mark gestiegen; in der Periode von 1875 bis 1903 hat sich also eine Vermehrung des Vermögens der
on eben anführte, haben daran namentlich auch die kleineren und e S ihren großen Anteil gehabt. Die Zahl der Bücher bis 60 ℳ, die im Jahre 1875 530 000 betrug, hat sich im Jahre 1903 auf 2 727 000 ℳ gehoben, in dieser Periode also mehr als ver⸗ fünffacht, und die Bücher über mittlere Beträge, zwischen 600 und 3000 ℳ Einlage, beliefen sich im Jahre 1875 auf 443 000 Stück und stiegen im Jahre 1903 auf 2 421 000 ℳ, haben sich also mehr als verfünffacht. Diese außerordentliche Entwicklung unserer Spar⸗ kassen und namentlich die Zunahme der kleinen und mittleren Ein⸗ lagen ist der beredteste Beweis, was es auf sich hat mit der Be⸗ hauptung von der Verelendung des kleinen Mannes; diese außer⸗ ordentliche Zunahme der Sparkasseneinlagen bildet vielmehr den besten Beweis für die steigende Wohlhabenheit, die steigenden Lohnverhältnisse der Arbeiterbevölkerung. In ganz derselben Richtung ist beweiskräftig die Entwicklung unserer Ein⸗ kommensteuer. Auch bei unserer Einkommensteuer sehen wir er⸗ freulicherweise die unteren Stufen in ganz besonderem Mafe steigen. Auch dort ergibt sich, daß aus dem Gros der bisher nicht einkommen⸗ steuerpflichtigen Kreise unserer Bevölkerung in jedem Jahre neue Elemente emporsteigen in die Kreise der Einkommensteuerpflichtigen. Auch da ergibt sich eine Zunahme der Wohlhabenheit, eine Zunahme der ganzen Lebenshaltung; auch dies ist ein Beweis für die auf⸗ steigende Richtung in der ganzen Lebenshaltung unserer arbeitenden Klassen. Aber, meine Herren, wenn man so viel Licht auf der einen Seite zu konstatieren hat, darf auch ein gewisser Schatten auf der anderen Seite nicht geleugnet werden. Und dieser Schatten liegt in der Art der Anlage der Sparkassenbestände. In dieser Richtung läßt das Sparkassenreglement den Sparkassen ziemlich freie Hand, und es hat sich die Entwicklung der Sparkassen außerordentlich verschieden gestaltet. Während in einzelnen Teilen unserer Monarchie das Ver⸗ hältnis der liquiden Anlagen, also des baren Geldes und der Inhaber⸗ papiere, zu den nichtliquiden Anlagen, also zu den Anlagen in Hypo⸗ theken, ein durchaus richtiges ist, kann man dies von anderen Teilen unseres Vaterlandes oder von einem anderen Teile unserer Sparkassen nicht sagen. Im Gegentell, sie haben die Rücksicht auf ihre Liquidität hintangesetzt gegenüber den Rücksichten auf Erzielung eines etwas höheren Gewinnes, wie dies durch Anlegung in Hypotheken möglich ist. Bei der ganzen Frage der Anlage der Sparkassenbestände muß meines Erachtens in allererster Linie stehen die Rücksicht der Liquidität; denn der Einleger, namentlich der kleine Mann, hat einen gerechten Anspruch darauf, daß er die Einlage, die er gemacht hat, jederzeit zurück⸗ bekommen kann, wenn er sie zurückhaben will. Der zweite Gesichts⸗ punkt ist zwar auch noch von großer Bedeutung: daß nämlich die Sparkassen dazu beitragen sollen, den Hypothekarkredit in Stadt und Land, namentlich auch auf dem Lande, zu befriedigen. Aber er tritt hinter dem ersten zurück. Ich komme auf diesen fundamentalen
Gesichtspunkt der Hypotheken noch zurück.
Der dritte Gesichtspunkt ist der der Erzielung eines mäßigen Ueberschusses namentlich da, wo die Sparkassen von den Gemeinden und Kreisen betrieben werden. Aber ich meine, der erste und not⸗ wendigste Gesichtspunkt ist und bleibt die Rücksicht auf die Liquidität. In dieser Beziehung hat sich nun, wie ich eben angedeutet habe, schon ergeben, daß ein Teil unserer Sparkassen seine Bestände allzusehr in Hypotheken festgelegt hat. Und dabei hat sich wiederum auch die merkwürdige Erscheinung ergeben, daß nicht etwa die länd⸗ lichen Hypotheken zugenommen haben, sondern daß auch ein Teil der ländlichen Sparkassen in immer steigendem Maße seine Bestände in städtischen Hypotheken angelegt hat. Sie finden in dieser Beziehung einige Daten in der Begründung angegeben. Ich darf nur kurz daraus rekapitulieren, daß während die städtischen Hypotheken im Jahre 1891 noch 28 % der Anlage der Sparkassen ausmachten, sie gestiegen sind im Jahre 1903 auf 35 % daß dagegen die ländlichen Hypotheken, die im Jahre 1891 noch 27 % ausmachten, im Jahre 1903 auf 23 % gefallen sind. Ins⸗ gesamt machen die ländlichen und städtischen Hypotheken nahezu 60 % der ganzen Anlage aus, genau 58 % und etwas. Meine Herren, namentlich dieses Aufsuchen von städtischen Hypotheken in weit ent⸗ fernten Städten, wo die betreffenden Sparkassen gar nicht in der Lage sind, die Kreditwürdigkeit des einzelnen Gebäudes auf die Dauer zu beobachten und zu kontrollieren, halte ich für eine nicht glück⸗ liche und für eine Entwicklung, der entgegengetreten werden muß. Es wurde bei der Beratung einer ähnlichen Frage im anderen Hause sogar mitgeteilt, daß einzelne Sparkassen geradezu Agenten herumreisen lassen, um sich in ganz weit entfernten Städten städtische Hypotheken zu beschaffen, obgleich sie doch gar nicht in der Lage sind, die wirkliche Kreditwürdigkeit dieser Hypotheken zu kontrollieren.
Dagegen ist, wie ich eben schon erwähnte, die Anlegung in In⸗ haberpapieren, in liquiden Mitteln in einzelnen Sparkassen meiner Ansicht nach in einer durchaus unerwünschten⸗Weise zurückgeblieben. Es ist dahin gekommen, daß 5 % unserer Sparkassen überhaupt gar keine Inhaberpapiere besitzen und fast ein Drittel unserer ganzen Sparkassen nur bis 10 % ihrer Bestände in Inhaberpapieren an⸗ gelegt haben, und wenn man davon ausgeht, daß alle Sparkassen um sich liquide zu erhalten, etwa ein Drittel ihrer Anlagen in In⸗ haberpapieren anlegen müssen, so entsprechen 77 % unserer ganzen Sparkassen dieser Forderung der Liquidität nicht, bleiben viel⸗ mehr zum Teil sehr wesentlich dahinter zurück. Ein solcher Minder⸗ besitz an liquiden Mitteln muß meines Erachtens auf die Dauer — oder kann wenigstens — für die betreffenden Sparkassen zu einer sehr ernsten Störung führen. An liquiden Mitteln, an Barmitteln hatten die Sparkassen nach der Statistik im Jahre 1903 nur etwa 100 Millionen Mark gleich 1,44 % ihrer gesamten Anlagen; sie waren überwiegend angewiesen auf die Hypotheken. Nun ist über⸗ haupt eine Hypothek im Fall eines Runs auf die Sparkassen nicht oder nur außerordentlich schwer realisierbar, wie ich das hier nicht näher auszuführen brauche. Zunächst muß die Kündigungsfrist inne⸗
Sparkassen um nahezu sechs Milliarden Mark ergeben, und, wie ich
gehalten werden. Aber abgesehen davon würde eine rücksichtslose
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Einziehung von Hypotheken gerade im Falle eines wirtschaftlichen Niedergangs die wirtschaftliche Krisis aufs äußerste verschärfen und viele Leute in die größte Notlage bringen. Sind dagegen die Spar⸗ kassen mit Inhaberpapieren in der nötigen Höhe ausgestattet, so sind
„sie in der Lage, diese Inhaberpapiere, namentlich die siets sicheren Reichs⸗ und Staatspaplere, entweder zu verkaufen oder — was sich
in höherem Maße empfiehlt — zu lombardieren. Nun sind bisher — das muß ich zugeben — Erscheinungen bedenklicher Art nur ganz ver⸗ einzelt hervorgetreten; im allgemeinen sind bei den Sparkassen schwere Mißstände noch nicht akut geworden. Aber, meine Herren, wir haben uns auch gottlob einer durchaus günstigen wirtschaftlichen Entwicklung zu erfreuen gehabt; unser Vaterland ist von jeder ernsten Krisis eine Reihe von Jahrzehnten bewahrt geblieben, und als vorsichtige und vorausschauende Leute müssen wir doch auch einmal mit der Möglichkeit rechnen, daß minder günstige Jahre kommen, daß auch einmal sehr schwere Anforderungen an die Sparkassen gestellt werden, und dann würden die Sparkassen diesen Anforderungen zum Teil zu genügen außerstande sein. Haben sie nur Hypotheken, die sie nicht liquidieren können, entbehren sie der nöligen Inhaberpapiere, die sie
„lombardieren können, so sind sie einfach nicht in der Lage, den An⸗
forderungen der Einleger, die auf sie anstürmen, zu genügen, und das würde zum schwersten Schaden der Sparkassen, zum schwersten Schaden der Einleger selbst führen. Ich meine daher, im Interesse der Gesund⸗ erhaltung unserer Sparkassen muß entscheidender Wert darauf gelegt werden, daß die Sparkassen in dem Maße liquide Mittel haben, daß sie auch bei ungünstigen wirtschaftlichen Zeiten alsbald die Mittel liquide machen können, alsbald die Anforderungen der Ein⸗ leger befriedigen können, und dazu bedarf es eben der Vorschrift, daß die Sparkassen einen bestimmten Prozentsatz in Inhaberpapieren an⸗ legen müssen.
Wir haben vorgeschlagen, daß die Sparkassen nur von ihrem künftigen Zuwachse zwei Fünftel, also noch nicht die Kälfte, in Inhaberpapieren anlegen sollen und davon ein Fünftel in Papieren des Deutschen Reichs beziehentlich des preußischen Staats. Mit der Notwendigkeit der Herstellung einer größeren Liquidität bei den Spar⸗ kassen geht also vollkommen parallel die Rücksicht auf die Hebung des Staatskredits, die darin liegen würde, daß die Sparkassen einen wenn auch nur bescheidenen Teil ihrer Anlagen in Papieren des Deutschen Reichs beziehentlich des preußischen Staats investieren müßten. Meine Herren, der meiner Ansicht nach völlig unbefriedigende Zustand des Kredits und des Kurswerts unserer Staatspapiere ist vom Tage meines Amtsantritts an Gegenstand meiner besonderen Sorge und nach vielen Richtungen darf ich sagen Fürsorge gewesen. Unsere Staatspapiere erfreuen sich nicht entfernt in dem Maße — wenn ich so sagen soll — der öffentlichen Wertschätzung, nicht des Kursstandes, der ihnen nach ihrem inneren Werte absolut zukommt. Während beispiels veise die dreiprozentige Reichs⸗ anleihe im Jahre 1896 noch auf 99,22 stand, ist sie im Jahre 1900 auf 86,77 gefallen. In der kurzen Periode von 1896 bis 1900 ist also die Reichsanleihe um fast 13 % gefallen, ohne daß wir einen Krieg gehabt haben, ohne daß wir eine wirt⸗ schaftliche Krisis gehabt haben, im Gegenteil, wir haben Frieden ge⸗ habt und im allgemeinen glückliche wirtschaftliche Zustände. Es ist bei früheren Erörterungen in diesem hohen Hause darauf hingewiesen worden, daß die ausländischen Papiere auch sehr großen Schwankungen nach unten unterworfen gewesen sind. Das ist vollkommen zuzugeben, aber in England ist ein zweimaliges Herabsetzen des Zinsfußes von 3 % auf 2 ½ % und von 2¾ % auf 2 ½ % einer der Gründe gewesen und vor allem der Burenkrieg, der die englischen Mittel in außer⸗ ordentlichem Maße in Anspruch genommen hat. Von alledem ist bei uns nichts der Fall gewesen, und trotzdem sanken die Staatspapiere um nicht weniger als 13 %. Abgesehen von diesen Schwankungen ist weiter zu konstatieren, daß unsere Papiere im Durchschnitt weit hinter den gleichwertigen englischen und französischen Papieren zurückstehen. Die 3 % ige Reichsanleihe pendelt um 90 % herum, dagegen hat die 3 % ige französische Rente sich um 100 gehalten, steht also ungefähr um 10 % höher als die deutsche Reichzanleihe, und selbst die 2 ½ % igen englischen Konsols stehen noch 88, obwohl sie 12 % weniger geben als die 3 % igen Papiere des
Deutschen Reichs.
Nun, meine Herren, wie ist in dieser Beziehung Besserung zu schaffen? Es ist vor einiger Zeit von dem hohen Hause ein Gesetz⸗ entwurf akzeptiert worden, der darauf hinzielte, das Staatsschuldbuch noch in höherem Maße bequem benutzbar zu machen, als es bisher der Fall ist. Es gibt ja keine sicherere und bequemere Anlage als die Benutzung des Staatsschuldbuchs. Losgelöst von jeder Gefahr, daß die Papiere verbrennen oder gestohlen werden, erhält der Inhaber die Zinsen an den Ort zugeschickt, den er bestimmt hat; aber noch mit mannigfachen Schwierigkeiten und Weiterungen verknüpft. Es ist jetzt ein neuer Gesetzentwurf in der Ausarbeitung begriffen, der demnächst dem hohen Hause zugehen wird. Derselbe soll die Möglichkeit schaffen, Zahlungen in barem Gelde direkt eintragen zu lassen und nicht erst den Umweg zu machen, daß Konsols anzuschaffen und in das Schuldbuch einzutragen sind. Es ist auch auf die Erhöhung des Kapitals der Seehandlung hin⸗ gewiesen worden. Aber wie ich schon damals ausgesprochen habe, ist es ganz unmöglich, für eine noch so hoch dotierte Staatsbank gewisser⸗ maßen willkürlich und maßgebend in das Gesetz von Angebot und Nachfrage einzugreifen. Die Seehandlung kann nur willkürlichen Störungen des Kurses Einhalt tun, und das hat sie nach Möglichkeit getan. Die Seehandlung hat im Jahre 1905 nicht weniger als 50 Millionen Konsols aufgenommen; sonst wäre der Kurs noch weiter gewichen, als es tatsächlich der Fall ge⸗ wesen ist. Die Hauptgründe des unbefriedigenden Standes unserer Staatspapiere sind einmal die Ueberlastung des Markts mit alljährlichen Anleihen. Das Reich und die Bundesstaaten treten alljährlich mit Forderungen an den Geldmarkt heran, und ist die eine
Anleihe untergebracht, so tritt eine neue Anleihe an den Markt und