1906 / 31 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 05 Feb 1906 18:00:01 GMT) scan diff

den Zeitpunkt der Einführung des zehnstündigen Arbeitstags handeln und um die Bedingungen, unter denen die Einführung erfolgt.

Nun, wie Sie wissen, ist ja diese Frage Gegenstand der Erörterung auf der internationalen Arbeiterschutzkonferenz in Bern gewesen, und man hat sich dort darüber geeinigt, inter⸗ national eine elfstündige Nachtruhzeit vorzuschlagen. Daraus würde allerdings folgen, daß immer noch eine dreizehnstündige Arbeitszeit möglich wäre. Da man aber auch in den Ländern, die in dieser Beziehung noch wesentlich größere Anforderungen an die Arbeitskraft der Frauen stellen als wir in Deutschland, den Frauen unter allen Umständen doch auch eine anderthalbstündige Ruhepause am Tage wird gewähren müssen, so wird in diesen meines Erachtens sozialpolitisch nicht sehr fortgeschrittenen Ländern nur eine elfeinhalbstündige Arbeitszeit übrig bleiben.

Belgien, meine Herren, hat gegenwärtig: 1) noch Nachtarbeit für alle Frauen über 21 Jahre. In der Textilindustrie ist sogar, wenn auch nur ausnahmsweise, einzelnen Betrieben die Beschäftigung von Frauen zwischen 16 und 21 Jahren gestattet worden. Die Zulässig⸗ keit der Nachtarbeit fällt beim Zustandekommen des Vertrages nach Ablauf der darin vorgesehenen Uebergangszeit völlig weg; 2) keine Beschränkung der täglichen Arbeitszeit für Frauen über 21 Jahre. Durch die Einführung der 11 stündigen Nachtruhe wird eine solche Beschränkung auf mindestens 11 ½8 Stunden herbei⸗ geführt werden. Italien hat gegenwärtig 1) noch Nachtarbeit für alle volljährigen Frauen. Das Verbot der Frauen nacht arbeit tritt auf Grund des Gesetzes von 1902 im Jahre 1907 in Kraft; 2) eine Beschränkung der Arbeitszeit für über 15 Jahre alte Frauen auf 12 Stunden täglich. Beim Zustandekommen der Berner Kon⸗ vention wird die italienische Industrie nicht mehr länger als etwa 11 Stunden arbeiten können, da nach dem Gesetze von 1902 bei mehr als 11 stündiger Beschäftigung 2 Stunden Pause gewährt werden müssen. Aus dem Mitgeteilten folgt, daß, wenn jene Verabredung auf der Berner Schutzkonferenz die Ratifikation der zuständigen Regierungen erhalten sollte, was bisher noch nicht der Fall ist, auch in anderen Staaten, die jetzt in weitergehendem Umfang Frauenarbeit zulassen, die Arbeitszeit nur eine 11 ½⸗ oder 11stündige werden würde. Dann würde aber unsere Industrie im Verhältnis zu den Zuständen, wie sie jetzt in den anderen Staaten noch bestehen, sich noch immer besser stehen wie gegenwärtig, wenn bei uns die Arbeitszeit auf 10 Stunden er⸗ mäßigt würde. Wie Sie wissen, haben sich auch die süddeutschen Textilindustriellen für eine Ermäßigung der Arbeitszeit der Frauen auf 10 Stunden ausgesprochen.

Ich glaube also, wenn dieses Berner Abkommen rattifiziert wird, wird kein Bedenken mehr bestehen, eine Aenderung der Gewerbe⸗ ordnung, vielleicht mit einigen Uebergangsbestimmungen für einige Jahre, herbeizuführen, eine Aenderung, die als Endziel die Er⸗ mäßigung der Arbeitszeit der Frauen auf 10 Stunden vorsieht.

Auch die Bauunfälle waren Gegenstand eingehender Er⸗ örterungen, namentlich auch seitens des Herrn Abg. Pauli. Ich muß anerkennen, daß die Berufsgenossenschaften im letzten Jahre bemüht gewesen sind, auf diesem Gebiete die Verhältnisse zu ver⸗ bessern. Es sind jetzt 75 technische Aufsichtsbeamte in den Berufs⸗ genossenschaften tätig, meines Erachtens und auch nach der Auffassung des Reichsversicherungsamtes allerdings noch keine ausreichende Zahl. Die Zahl muß noch wesentlich erhöht werden, nicht nur im humanitären Interesse, sondern auch im finanziellen Interesse der Mitglieder der Berufsgenossenschaften. Aber den Irrtum möchte ich doch widerlegen, als ob wir jemals eine solche Anzahl von Bauaufsichts⸗ beamten anstellen könnten, daß dieselben alle Bauten unmittelbar beaufsichtigten. Das ist vollkommen unausführbar. Wie vor kurzem an einer sachverständigen Stelle ausgeführt ist, können diese Bau⸗ aufsichtsbeamten nur den Zweck haben, das Aufsichtspersonal, das auf der Baustelle den Bau leitet, anzuleiten, wie man Bau⸗ unfälle verhütet; es ist da ein sehr treffendes Beispiel hierfür angeführt: auf Bauten sind sehr häufig die Leitern ziemlich senkrecht übereinander gestellt, auf denen die Ziegel und anderes Material beraufgereicht werden. Wenn nun von dem obersten Stockwerk ein Materialstück herabfällt, trifft es unter Umständen alle Leute, die unterhalb arbeiten. Es ist also eine wesentliche Vorsichtsmaßregel, die Leitern so anzustellen, daß ein herabfallendes Werkstück jedenfalls nicht Arbeiter in den übrigen Stockwerken verletzen kann. In dieser Weise also das Personal auf der Baustelle zu belehren, kann nur Aufgabe der Bauaufsichts⸗ beamten sein; aber eine unmittelbare Aufsicht auf jedem einzelnen Bau zu führen, meine Herren, das würde vollkommen unaus⸗ führbar sein.

Aber auch, wenn man diesem tatsächlichen Gesichtspunkt Rechnung trägt, muß man doch sagen, die Zahl der Bauaufsichtsbeamten ist noch nicht ausreichend, weil es ja nicht nur auf die Anzahl der Be⸗ triebe ankommt, sondern auch auf die Anzahl der einzelnen Betriebsstellen. Der einzelne Baubetrieb hat sehr häufig eine ganze Anzahl Betriebsstellen. Ein Bauunter⸗ nehmer läßt manchmal an 10, 15, 20 Stellen arbeiten. Das Bedürfnis nach Bauaufsicht ist mithin viel größer, als es an und für sich aus der Zahl der Betriebe sich ergibt. Ich hoffe deshalb,

die Bauberufsgenossenschaften es sich angelegen sein lassen, in ihrem eigensten Interesse die Zahl der technischen Bauaufseher noch wesentlich zu vermehren.

Auch die Frage der Sonntagsruhe wurde gestreift. Seinerzeit wurde gefordert das unbedingte Verbot der Sonntagsarbeit im andelsgewerbe, mit Ausnahme des auf drei Stunden zu be⸗ schränkenden Verkaufs von Nahrungs⸗ und Genußmitteln. Ich hoffe, daß es möglich sein wird, eine Vereinbarung der Bundesregierungen zunächst darüber herbeizuführen, daß die Anwendung der bestehenden einschränkenden Bestimmungen überall gleichmäßiger erfolge als bisher. Waas die Sonntagsruhe in den Glashütten betrifft, so ist auf Erund der Resolution des Reichstags vom 27. März 1905 eine eingehende Er⸗ hdebung über die Sonntagsruhe in solchen Betrieben angestellt. Es ist auch ein Entwurf ausgearbeitet, wonach die Ausnahmebestimmungen für die Sonntagsarbeit in Glashütten wesentlich eingeschränkt werden. Dieser Entwurf ist den verbündeten Regierungen vorgelegt worden und von ihnen bereits mit Gutachten zurückgekommen; es wird hier⸗ nach über die Einschränkung der onntagsarbeit in den Glashütten

dem Bundekrat eine Vorlagt in allernächster Zeit ingeben. Ebenso ist seinerzeit von dem Herrn Abg. Nacken der Wunsch ausgesprochen worden, die Sonntagsarbeit in Zinkhütten mehr einzuschränken beim. cine Einschränkung der bis jett zngelassenen Sonntageruhe herbeizufäbhren. Bei der in An⸗

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griff genomn ene gemeinen Revision der hinsichtlich der Sonntags⸗ ruhe vom Bundesrat zugelassenen Ausnahmen wird auch diese An⸗ regung eine eingehende Prüfung erfahren.

Auch die Tarifverträge sind Gegenstand der Erörterung in der letzten Sitzung gewesen. Ich stehe da auf dem Standpunkt, daß Tarifverträge und das hat auch der Herr Abg. Pauli ausdrücklich anerkannt unter den heutigen Verhältnissen eine sehr nütz⸗ liche Form der Vereinbarung sind und durchaus verdienen, weiter ausgebildet zu werden; aber eine Voraussetzung liegt dabei vor: daß derartige Tarifverträge auch von beiden Teilen für die verabredete Frist unbedingt gehalten werden. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.) Ich glaube, nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Arbeiter werden ihren Wünschen wesentlich dienen, wenn sie vertrags⸗ mäßige Verpflichtungen unbedingt und unter allen Bedingungen inne⸗ halten. (Sehr richtig!) Würde dieser Geist allgemein, dann könnten allerdings tarifmäßige Abmachungen für eine bestimmte Zeit außer⸗ ordentlich dazu beitragen, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichmäßig schädigenden Arbeitskämpfe einzuschränken.

Man hat darüber geklagt, daß in der Thronrede nichts gesagt sei über die Mittelstandsfrage. Ich möchte die Herren, die sich hierfür interessieren, doch dringend bitten, die Mittelstandsfrage mehr zu spezialisieren. Eine allgemeine Mittellstandsfrage in dem Sinne gibt es nicht, weil der Mittelstand aus viel zu hetero⸗ genen Elementen besteht: zu ihm gehört meines Erachtens der größte Teil der Privatbeamten (sehr richtig! links), zu ihm gehört der Handwerkerstand, der kleine und mittlere Kaufmannsstand. Aber die Fragen, wo diese Klassen der Schuh drückt, sind innerlich ganz ver⸗ schieden. (Sehr richtig! links.) Man kann von einer Handwerker⸗ frage sprechen, von einer Kaufmannsfrage, von einer Privatbeamten⸗ frage, aber nicht von einer allgemeinen Mittelstandsfrage. Dies ist, wenn Sie überhaupt weiterkommen wollen, eine viel zu allgemein gewählte Platt⸗ form, und deshalb konnte auch die Thronrede über eine allgemeine Mittel⸗ standsfrage nichts enthalten; das hätte nur eine vollkommen inhalts⸗ lose Betrachtung sein können.

Von vielen Parteien des hohen Hauses ist der Wunsch ausgesprochen worden, den sogenannten kleinen Befähigungs⸗ nachweis einzuführen. Unter dem kleinen Befähigungsnach⸗ weis verstehe ich, daß jeder, der Lehrlinge halten will, auch eine Meisterprüfung gemacht haben muß. (Sehr richtig!) Man hält diesem kleinen Befähigungsnachweis entgegen, daß es doch eigentlich innerlich absurd wäre, daß man einem Gewerbe⸗ treibenden, weil er z. B. die Meisterprüfung als Schuhmacher ab⸗ gelegt hat, auch das Recht zugestehen wollte, wenn er nachträglich Tischler wird, nun auch als Tischler Lehrlinge halten zu können. (Zurufe.) Solche Einwände kann man freilich überall bringen, um eine Sache zu persiflieren. Aber ich möchte fragen minima non curat praetor —: wie viel Fälle kommen im Deutschen Reich überhaupt vor, wo ein Handwerker einen anderen Beruf ergreift, wo ein Schuhmacher z. B. Tischler wird? Wenn diese Fälle vorkommen sollten, so spielen sie gegenüber der Gesamtfrage des kleinen Befähigungsnachweises gar keine Rolle. Man führt für diesen kleinen Be⸗ fähigungsnachweis auch einen sachlichen Grund an neben anderen. Man sagt: der Lehrherr soll den Lehrling auch sittlich, soll ihn zum Gehorsam erziehen, zu einem braven Staatsbürger heranbilden. Der⸗ jenige Handwerker, der eine Meisterprüfung bestanden hat, der selbst in dieser Beziehung erzogen ist, biete für eine solche moralische Erziehung eine größere Gewähr als eine Persönlichkeit, die eine solche Schule nicht durchgemacht und eine solche Prüfung nicht be⸗ standen hat. (Sehr richtig!) Ich kann selbst zu dieser Frage keine Stellung nehmen, es müßte denn sein, daß ich die preußischen Stimmen und die Stimmen der verbündeten Regierungen hinter mir hätte. Ich will aber hierüber, ohne mich irgendwie für die künftige Entscheidung festzulegen, erneut mit dem gegenwärtigen preußischen Handelsminister in Verbindung treten. (Bravo!)

Die obligatorische Einführung der Gesellenprüfung steht damit in gewissem inneren Zusammenhange, und ich brauche daher darauf jetzt nicht einzugehen.

Es ist auch meines Erachtens mit Recht wieder dringend eine gesetzliche Unterscheidung zwischen den Begriffen Handwerk und Fabrik gefordert worden, um nicht all die Kompetenzstreitigkeiten weiter dauern zu lassen darüber, ob jemand zu den Innungsverbänden oder zur Handelskammer Beiträge zu zahlen hat. Diese Forderung ich muß das hier aussprechen einer scharfen gesetz⸗ lichen Unterscheidung zwischen den Begriffen Handwerk und Fabrik deckt allerdings eine andere Frage. Es gibt Kreise, die damit hoffen, den Begriff des Handwerks wesentlich zu erweitern und so der bestehenden Aufsicht der Fabrikgesetzgebung zu entgehen. Eine solche Bestrebung würde ich nicht bereit sein zu unterstützen. (Bravo!) Aber soweit diese Forderung auf finanziellem Gebiete liegt, ist sie, glaube ich, um so mehr berechtigt, als jetzt über die Streit⸗ frage, ob jemand zur Handelskammer Beiträge zu entrichten hat, das Verwaltungsstreitverfahren entscheidet, und darüber, ob jemand ju den Innungen Beiträge zu zahlen hat, die höhere Verwaltungsbehörde zu entscheiden hat. Infolgedessen gehen die Entscheidungen häufig auseinander. Es wird zwar ein allgemeines, für alle Fälle durchschlagendes Kriterium meines Erachtens wohl nicht zu finden sein. Aber die Frage lüßt sich vielleicht dadurch lösen, daß man für beide Streitfälle eine einheitliche Instanz schafft, das heißt sowohl für die Handelskammer⸗ wie die Innungsbeiträge, und daß diese ein⸗ heitliche Instanz von Fall zu Fall eine verständige Entscheidung nach Lage der Sache fällt. (Sehr richtig! in der Mitte.)

Meine Herren, die Handeleinspektoren, die von einer Anzahl von Herren des Reichstags gefordert werden, sind, wie Sie wissen, vom Bundesrat abgelehnt worden. Ich will nicht versäumen, hierfür die Gründe anzuführen. Zunächst ist der Bundesrat der Ansicht, daß es sehr bedenklich ist, für alle Erwerbszweige eine Art Aufsehertätigkeit einzuführen. (Sehr richtig! UHiaks.) Wir bekommen so eine Masse von Aufsichtspersonal, daß schließlich neben jedem Deutschen ein Aufseher stehen muß. (Sehr richtig!) Das geht nicht, die Verhältnisse des Handelsgewerdes liegen auch nach Auffassung des Bundesrats ganz anders wie die der Industrie In der handelt es sich auch um technische Fragen (sehr

1 Beaufsichtigung von

seine Rechte selbständig wahrnimmt. (Sehr richtig! links.) Man hat, gerade so wie bei den geforderten Weininspektoren, gesagt: wenn die Aufsichtsbeamten nicht die Polizeimütze trügen, würden sie sehr willkommen sein. Ob der Handelsinspektor, der in dem Kontor, dem Bureau, dem Laden des Kaufmanns nachforscht, willkommener sein würde als des Gewerbeinspektor oder der Polizeibeamte, das ist mir außerordentlich zweifelhaft. Bei den Gewerbeinspektoren macht man bisweilen die Erfahrung: je gewissenhafter, je selbständiger sie ihre Befugnisse wahrnehmen, desto unwillkommener sind sie. (Heiter⸗ keit und Sehr richtig!)

Ich habe mich mit den verbündeten Regierungen auch über die Mißstände im Ausverkaufswesen in Verbindung gesetzt. Eine Antwort ist mir noch nicht von allen Regierungen zuge⸗ kommen. Aber ich gewinne immer mehr den Eindruck, daß auf dem Gebiete des Ausverkaufswesens vielleicht doch eine Ver⸗ schärfung der Gesetzgebung notwendig ist (sehr richtig! re ts und bei den Nationalliberalen), vor allem in der Frage der Nach⸗ schübe. Ich habe mich der Rechtsauffassung nie anschließen können, daß es notwendig ist, wenn ein Ausverkauf stattfindet, Nachschübe zuzulassen, damit die übrigen Waren verkauft werden können. Wer „Ausverkauf“ auf seinen Laden schreibt, erweckt im Publikum doch die Vorstellung, daß der vorhandene Bestand ausverkauft wird. (Sehr richtig!) Wenn aber fortgesetzt Nachschübe stattfinden, so ist das nicht mehr der Ausverkauf eines Bestandes, sondern eines chroni⸗ schen Warenlagers. 8

Also ich bin gern bereit, mit den verbündeten Regierungen der Frage näher zu treten, ob hier nicht eine wesentliche Ver⸗ schärfung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen notwendig ist. Ich muß aber darauf hinweisen, daß, nachdem sich die Polizei⸗ und Gerichtsbehörden mit dieser Frage näher vertraut gemacht haben, jetzt den gröbsten Auswüchsen energischer entgegengetreten wird als bisher. Außerdem liegen ja entsprechende Anträge von den Herren Raab, Patzig, Graf Hompesch vor. Der Bundesrat wird also schon dieser⸗ halb Gelegenheit haben, sich mit der Sache näher zu beschäftigen.

Was die Beseitigung des Schmiergelderunwesens anlangt, die auch in der letzten Reichstagssitzung beraten wurde, so möchte ich bitten, hier⸗ auf vorläufig nicht zurückzukommen. (Sehr richtig! bei den National⸗ liberalen.) In kaufmännischen Kreisen ist man über die gesetzliche Regelung dieser Frage außerordentlich zweifelhaft und noch viel mehr darüber, ob sich diesem Unwesen überhaupt durch die Gesetzgebung beikommen läßt. Ich glaube, das beste Mittel dagegen ist die Ehren⸗ haftigkeit des Kaufmannsstandes selbst, daß man nicht versucht, durch heimliche Geschenke den Angestellten eines Kollegen, eines Konkurrenten von seiner Pflicht abwendig zu machen. (Sehr richtig!)

Es sind dann auch Bestimmungen gefordert worden über den Dienstvertrag der Privatbeamten und über die Regelung ihrer Rechts⸗ verhältnisse. Es sollen also ähnliche Regelungen erfolgen, wie sie zum Teil schon in der Gewerbeordnung, im Handelsgesetzbuch und im Bürgerlichen Gesetzbuch bestehen. Die Enqueten über die Ver⸗ hältnisse der Privatbeamten sind abgeschlossen, das Material liegt jetzt dem reichestatistischen Amt zur Verarbeitung vor, und ich hoffe, daß es möglich sein wird, dem nächsten Reichstag eine eingehende Denkschrift über diese Enqueten vorzulegen. Dann werden wir ja in der Lage sein, gemeinsam weiter zu erörtern, was geschehen kann. Die Arbeitsseit der Anmältsgehilfen ist Gegenstand einer Ver⸗ handlung zwischen mir und dem preußischen Herrn Justizminister ge⸗ wesen. Ich habe die Stellung des preußischen Herrn Justizministers den übrigen Bundesregierungen mitgeteilt; aber ich möchte jetzt schon darauf hinweisen, daß auch nach der Auffassung des preußischen Justizministers solche Uebelstände hisber nicht festgestellt sind, die ein gesetzliches Einschreiten unbedingt notwendig machen, und wenn ich meine ganz persönliche Auffassung hinzufügen darf, so meine ich: sollte etwas geschehen, dann wäre der richtige Platz dafür die An⸗ waltsordnung.

Der Herr Abg. Trimborn hat auch befürwortet, daß die Beihilfe, die dem internationalen Arbeitsamt in Basel gewährt wird, von 8000 auf 10 000 erhöht wird. Das ist nicht nötig; denn mehr als 8000 Beitrag ist weder gefordert, noch ist ein höherer Beitrag nötig. Die Kosten, die das Arbeitsamt verursacht, sind vollkommen gedeckt.

Ich möchte noch bezüglich der Handwerkerenquete bemerken:

die Fragebogen sind jetzt eingegangen, aber das Material über die Organisation des Handwerks ist ein so ungeheueres, daß wahr⸗ scheinlich ein, vielleicht zwei Jahre für das Statistische Amt notwendig sein werden, um dieses Material zu bearbeiten. Sie dürfen also eine Denkschrift über das Material vor zwei Jahren unter keinen Um⸗ ständen erwarten.

Der Herr Abg. Fischer hat erklärt, es gäbe nicht einen Sozial⸗ demokraten, der nicht jeden sozialen Fortschritt mit Freuden begrüße. Ich habe mich über diese Aeußerung gefreut; aber ich hoffe, die Herren werden daraus eine Lehre ziehen: daß man erstens auch auf sozialem Gebiete nicht alles, was man wöünscht, was vielleicht auch nützlich ist, auf einmal erreichen kann, sondern daß der Gesetzgeber weise daran tut, Schritt vor Schritt vorzugehen, und daß man auch kleine Fortschritte unterstützen muß, um überhaupt fortzuschreiten. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte.)

Es ist auch darauf hingewiesen worden, daß freisprechende Erkenntnisse in Fragen des Arbeiterschutzes ergangen wären des⸗ halb, weil Lehrlinge und Gesellen freiwillig über die geset⸗ lich jugelassene Arbeitszeit georbeitet hätten. Meine Herren, diese Rechtsauffassung halte ich für vollkommen irrig. Die Arbeiterschutz⸗ bestimmungen sind öffentliches Recht, die durch einen privaten Pakt nicht geändert werden dürsen. Wenn also eine bestimmte Rubezeit vorgeschrieben ist, so dürfen die Arbeiter während dieser Zeit nicht beschäftigt werden, auch wenn sie es freiwillig tun wollen. Wenn wir uns darauf einlassen wollten, solche freiwilligen Vereinbarungen als von der Strafe befreiend zum⸗ lassen, dann würde allerdings die ganze Arbeiterschutzgesetzgebung ium

Mitte.)

(Schluß aus der Ersten Beilage.) 2 3

Es sind hier auch eine Reihe von Beschwerden vorgebracht worden über die Arbeiterverhältnisse Reichsdruckerei, den Eisenbahnwerkstätten, in den Werkstätten der Marine und auch im Kanalamt. Was die Beschwerden über die Eisenbahnwerkstätten, über die Marinewerkstätten und über die Reichs⸗ druckerei betrifft, so muß ich dringend bitten, diese Beschwerden bei den betreffenden Etatspositionen vorzutragen. Ich glaube, meine Herren, daß das Ressort des Reichsamts des Innern schon weit genug ist (sehr richtig!), als daß ich den Ehrgeiz haben könnte, mich noch in fremde Ver⸗ waltungen einzumischen. Aber eine Frage betrifft meine Verwaltung.

Der Herr Abg. Fischer hat gesagt, die Löhne bei der Kanalverwal⸗ tung würden nur alle vier Wochen bezahlt, obgleich, wenn ich ihn richtig verstanden habe, die Arbeiter um acht⸗ oder um vierzehntägige Löhnung gebeten hätten. Ich habe sofort telegraphisch das Ver⸗ hältnis feststellen lassen. Hiernach ist die Behauptung eine irrige, daß die Akkordarbeiter um eine kürzere Lohnfrist gebeten hätten. Richtig aber ist, daß die Akkordlöhne nur alle vier Wochen festgestellt und ausgezahlt werden. Ich würde aber sehr gern bereit sein, die Hand dazu zu bieten, wenn die Arbeiter bei der Kanal⸗ verwaltung den Wunsch haben, ihre Löhne öfter gezahlt zu erbalten.

Im übrigen muß ich bemerken, daß die im festen Monatslohn stehenden Arbeiter, das sogenannte Kanalarbeiterkorps, ihren Lohn monatlich postnumerando bekommen, daß aber die in Tagelohn stehenden Arbeiter wöchentlich ihren Lohn ausgezahlt erhalten. Es würde sich also nur um die Akkordarbeiter handeln, und da bin ich, wie gesagt, gern bereit, dahin entgegenzukommen, daß eine 14 tägige Lohnzahlung eingeführt wird.

Ich glaube, damit alle Fragen berührt zu haben, die bisher von den Herren Vorrednern angeschnitten worden sind. Im übrigen werden Sie daraus ersehen, daß die sozialpolitische Arbeit nicht ruht, sondern daß wir im Reichsamt des Innern eifrig bemüht sind, die Forderungen, die hier von der Mehrheit des Hauses gestellt werden, in den möglichen Grenzen zu erfüllen.é Aber ich muß das hohe Haus bitten, bei der ungeheuren Arbeitslast, die mir jetzt gerade mit der Vereinheitlichung der großen Versicherungsgesetzgebung obliegt, einige Geduld zu haben. (Bravo!)

Abg. Dr. Mugdan (fr. Volk⸗p.): Im allgemeinen kann man mit der Wirksamkeit unserer Invalidenversicherung zufrieden sein, zu tadeln ist aber, daß zahlreiche Landesversicherungsanstalten im letzten Jahie sehr stark in der Richtung der Wiederentziehung der Renten tätig gewesen sind. In der Unfallversicherung sollte die Zusammen⸗ stellung der Jahresergebnisse zeitiger kewirkt werden. Ueber den § 25 des Gewerbe⸗Unfallversicherun setzes, durch den tatsächlich gegen den Willen des Gesetzgebers viele ankenkassen geschädigt werden, sollte der Staalssekretär eine authentische Erklärung abgeben. Od es möglich ist, die Mißstände, die sich ergeben haben, durch eine authentische Interpretation der verbündeten Regierungen aus

der Welt zu schaffen, weiß ich nicht. jedenfalls kann nicht geleugnet

Willen des Gesetzgebers die Paragraphen oft geschädigt werden. Die Unfälle haben entschieden zugenommen. Man kann nicht aus⸗ schließlich die Arbeitgeber dafür verantwortlich machen. Ich glaube, ein gutes Mittel, die Arbeitnehmer sowohl wie die Arbeit⸗ geber zu noch größerer Vorsicht und zur Vermeidung von Unfällen zu erziehen, ist die Ausstellung in Charlottenburg. Die verbündeten Regierungen könnten sich ein großes Verdienst erwerben, wenn sie öfter solche Ausstellungen veranstalteten, denn die praktische Anschauung ist das beste Mittel. Die Löhne und die Beiträge der Arbeitgeber für die Versicherungen der Arbeiter sind ebenfalls sehr hoch gestiegen. Die Löhne haben von 1896 bis 1902 von 950 bis 1150 zu⸗ genommen. Die Versicherungsbeiträge der Arbeitgeber in derselben Zeit von 38,44 auf 50,40 Man kann also nicht behaupten, daß für die Arbeiter nichts geschehen wäre, und die Arbeitgeber nichts für sie täten. Der Abg. Stadthagen hat mich neulich in einer Rede angegriffen, die ich nicht gehört habe; als ich sie am anderen Tage im „Vorwärts“ las, habe ich sie nicht verstanden. Er hat auf Aeußerungen des Bergmeisters Engel über die Münchener Orts⸗ krankenkafse zurückgegriffen, hinsichtlich deren sich der Bergmeister Engel auf den Reichskanzler gestützt habe, der sich seinerseits wieder aaf meine Person bezogen hätte. Er hat dann in der blumenreichen Sprache, die wir an ihm kennen, gesagt: Alles, was Engel angegeben habe, sei eine erstunkene Lüge. Zunächst hat der Reichskanzler mit kainem Worte meine 5 erwähnt und an keiner Stelle von der Münchener Ortskrankenkasse gesprochen. Das war auch gar nicht möglich, denn ich habe kein Wort über diese Kasse gesagt. Sie wurde vielmehr von einem Parteigenossen des Abg. Stadthagen, dem Abg. Fräßdorf, erwähnt, dessen Ausführungen wiederum von einem Parteigenossen zurückgewiesen wurden, dem Abg. Lipinski, der es auf Wunsch des Abg. von Vollmar tat. Also der Abg. Stadthagen läßt sich doch recht viele Irrtümer zuschulden kommen. Es ist doch geradezu ein krankhafter Zustand des Geistes, wenn ein Mensch sich herausnimmt, gegen die politischen Gegner das Schlimmste zu sagen, was nur möglich ist, und dann verlangt, daß, wenn nur das geringste gegen seine on gesagt wird, dies gewisser⸗ maßen schon eine Majestätsbeleidigung sein soll. Von dem, was ich über die sozialdemokratische Verwaltung der Krankenkassen vorgetragen habe, kann ich kein Wort zurücknehmen. Wir wollen die Frage fals ausschließen, ob diese Verwaltung Mißstände erzeugt, oerae chlechter oder besser ist als andere Verwaltungen. erster Linie kommt es darauf an, daß die Sozialdemokraten dort, wo sie können, sich der Verwaltung der Krankenkassen bemächtigen, daß die Folge davon ist, daß die Vorstände der Ortskrankenkassen, der Innungs⸗, der Betriebskassen usw. fast alle der Sozialdemokratie angehören. Durch die Bestimmungen der gegenwärtigen Gese gebung ist es der Soztal⸗ demokratie möglich, 4 s 5000 Stellen dieser Art zu besetzen. Weiter führt dies dahmn, daß die Kassen sich natürlich hüten, eine antisozial⸗ demokratische Stimmung zur Schau zu tragen, daß die sozialdemo⸗ kratischen Druckereien und Zeitungen einen -n Gewinn erzielen usw. Auf diesen Einfluß ist ein großer Teil der ozialpolitischen Erfolge zurückzuführen bei öffentlichen Wahlen und dergleichen mehr.

e Reform der Krankenversicherung ist aber auch aus anderen Gründen notwendig. Eine Vereinheitlichung der Arbeiterversicherung ist in absehbarer Zeit nicht durchzuführen, sie verlangt eben den Verzicht auf erworbene Rechte. Die Klagen über die Invaliden⸗ und Krankenversicherung können auch auf dem Wege der Spenialgesebgebung Seer. werden. Notwendig ist dann die Aus⸗ dehnung Krankenversicherung auf die Dienstboten und landwirt⸗ schaftlichen Arbeiter, wogegen auch die Konservativen nach den h e v Erklärungen des Abg. Brockhausen nichts einzuwenden zu haben scheinen. Ebenso notwendig wie die Gleichmachung versicherungspflicht mit der Invaliden erung ist die

werden, daß nicht nach dem Krankenkassen auf Grund dieses

der Kranken⸗ Ein⸗

V 18. 8 A11AA“

zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Montag, den 5. Februar

in den Reichswerkstätten, der

führung einer fünften Lohnklasse. Es ist ein Mangel, daß das Krankengeld verschieden in den einzelnen Gegenden bemessen ist. Jede Lohnklasse muß in Deutschland dasselbe Krankengeld erheben. Frauen und Kinder müßten in die Krankenversicherung einbezogen werden. Deutschland leidet an einer Zersplitterung des Krankenkassenwesens, die zu einer Vergeudung der Verwaltungsaus⸗ gaben führt. Die Zweigkassen vermindern auch die Leistungen der Kassen. Für jeden Stadtkreis und für jeden Landkreis muß eine einzige Ortskrankenkasse gebildet und alle übrigen aufgehoben werden. Die Arbeitgeber müßten zu höheren Leistungen herangezogen werden. Sie zahlen jetzt nur ½ und haben infolgedessen in den Vorständen fast nichts zu sagen. In Arbeitgeberkreisen selbst ist der Wunsch laut geworden, die Hälfte der Beiträge zu zahlen. Daraus würde natürlich folgen, daß im Vorstande ebenso viele Arbeitgeber wie Arbeitnehmer sitzen. Der Vorsitzendenposten müßte eingenommen werden von einer amtlichen Person der Kom⸗ mune oder Städte, die diesen 1 sieht. Das Schlagwort der Sozialdemokratie, daß durch eine solche Organisation die Selbstverwaltung leiden würde, entbehrt jeder Berech⸗ tigung. Die Verwaltung, wie sie jetzt in den Ortskrankenkassen geübt wird, ist eigentlich keine Selbstverwaltung, sondern eine schlechte Verwaltung. Von einer Gefährdung der Selbstverwaltung, wie es der Abg. Fräßdorf in einem Fragebogen behauptet hat, kann bei diesem Vorschlage nicht die Rede sein. Der Abg. Fräßdorf hat gefragt, ob sozialdemokratische Vorstands⸗ mitglieder Kassenmittel volitischen Zwecken diensthar gemacht haben. Diese Frage würde ich natürlich auch mit Nein beantworten, oder mit einer anderen Frage umgehen. Sie wollen nur Sand in die Augen streuen. Ein weiteres Gespenst hat man heraufbeschworen, indem man be⸗ hauptet, die Krankenkassen sollten unter die Bureaukratie gestellt werden. Vergleicht man die Literatur, so findet man, daß gerade die Bureaukraten die Kenntnis der sozialen Gese gebung vermittelt haben. Die bureaukratisch geleiteten eeh ungsanstalten haben die Bekämpfung der Tuberkulose in die Hand genommen und wesentlich gefördert. Die Beamten der Selbstverwaltung sind unter Umständen weit schlimmere Bureaukraten als die staat⸗ lichen und kommunalen Bureaukraten. Auch die sozial⸗ demokratischen Vorstandsleiter führen ihre Geschäfte rein bureaukratisch. Den Landesversicherungsanstalten die Krankenversicherung zu übergeben, halte ich für falsch. Dagegen würde vielleicht den großen zentralen Krankenkassen später die Invalidenversicherung übergeben werden können. Auf dem Gebiete des Handwerks habe ich einen leicht zu er⸗ füllenden Wunsch: die Herausgabe eines Handwerkerblattes nach Analogie des Reichsarbeitsblattes. Aus den Berichten der Hand⸗ werkskammern geht hervor, daß die inkarnierte Zünftelei, wie sie der Abg. Raab vertritt, nur von einem sehr geringen Teile der Handwerker vertreten wird. Das Handwerk und Kleingewerbe leidet zweifellos unter dem Borgsystem. Und in demselben Moment legen uns die verbündeten Regierungen eine Quittungssteuer vor! Diese Quittungssteuer würde das Borgsystem noch steigern. Die Gefahr einer Fahrkartensteuer scheint nicht ganz beseitigt; jeden⸗ falls würde sie den Mittelstand, der dritte Klasse fährt, unbedingt belasten. Die Fahrkartensteuer steht in dieser Mittelstandsfeindlichkeit hinter der Quittungssteuer nicht zurück. Der Abg. Trimborn hat sich in seiner Rede öfter an uns Freisinnige gewendet. Wir koͤnnen darauf stolz sein, daß wir das Handwerk auf den Weg der Selbsthilfe, der Gründung von Genossenschaften, zuerst hingewiesen haben. Besonders wichtig ist die Einführung des kleinen Motors im Kleingewerbe. Es muß Aufgabe der Kommunen sein, durch billige Zahlungsbedingungen dem kleinen Gewerbetreibenden die Beschaffung der elektrischen Kraft zu er⸗ leichtern. Von den Kommunen ist in dieser Beziehungsehrwenig bisher getan worden; der frühere preußische Handelsminister ist da eifriger gewesen, indem er eine Ausstellung solcher Maschinen in die Wege leitete und sehr dankenswerte Anordnungen traf, um die beteiligten Hand⸗ werkerkreise aufzuklären. Ebenso senbie kann man die Forderung der Meisterkurse begrüßen, desgleichen die Bestrebungen auf dem Gebiete

der Lehrlingsausbildung, wie sie die E sich angelegen

sein lassen. Ein Examen ist doch nur ein Beweis dafür, daß jemand in einem gewissen Momente ein gewisses Maß von Bildung hat; er soll doch nicht nur kurze Zeit nach der Ablegung dieses Examens Lehrlinge anlernen, sondern dauernd dieses Recht und diese Befugnis haben; ich erwarte, daß in nicht zu langer eit die Handwerker auch von der Forderung dieses kleinen Be⸗ äbigungsnachweises sich abwenden werden, wie sie dem großen Befäbigungsnachweie den Abschied gegeben haben. Kleinliche Maß⸗ regeln wie die Warenhaussteuer haben dem Handwerkerstand gar nichts genützt; es bleibt ihm eben nur der Weg, der Selbsthilfe übrig, und da ist es besonders erfreulich, daß auch das Zentrum sich zu bekehren beginnt, wie es wenigstens aus, einigen seiner Organe und aus einem Flugblatt des Volksvereins für das katholische Deutschland mit Beziehung auf die Kaufleute ersichtlich ist. Der Staatssekretär hat ja heute auch erfreulicherweise ausgesprochen, 8 der Mittelstand sich keineswegs bloß aus selbständigen Existenzen zusammensetzt, sondern daß das große Heer der Privatbeamten dazu gezählt werden muß. Die segensreiche Institution der Kaufmanns⸗ gerichte ist leider dadurch beeinträchtigt, daß die Bildung von Aus⸗ schüssen dieser Gerichte dem Kommunalstatut überlassen ist, und daß nur sehr wenige Kommunen davon Gebrauch gemacht haben. Die Forderung des reichsgesetzlichen Einschreitens gegen das Schmier⸗ gelderunwesen ist übertrieben. Einmal ist das Bestehen eines solchen Unwesens noch lange nicht bewiesen; anderseits aber reichen die Be⸗ stimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Bekämpfung vollständig aus. Im Punkte der Handelsinspektoren sieht der Staatssekretär zu schwarz. Schon heute werden ja die Kaufleute, wenn man will, polizeilich beaufsichtigt; die Ueberwachung der Geschäftsräume und die schärfere Beobachtung der Vorschriften, welche die Lehrlingszüchterei verhindern sollen, können durch solche Spezialinspektoren, die die Vertrauensmänner beider Parteien, der Arbeitgeber und der Arbeit⸗ nehmer, sein sollen, nur ge⸗ ördert werden. Die Gewerbe⸗ aufsicht behen noch immer einer umfangreichen Zuführung weiblicher Aufsichtsbeamten, die schon wegen des dem Weibe innewohnenden Schamgefühles in den Betrieben, die allein oder vorwiegend mit Arbeiterinnen zu tun haben, eine Not⸗ wendigkeit sind. Das Kinderschubgese ist so segenzreich, 8 man die Uebergangsbestimmungen nicht is 1908 in Geltung lassen, sondern tunlichst verkürzen sollte. Die Heimarbeiterfrage kann am besten da⸗ durch ihrer Lösung näher ebracht werden, daß das Publikum, wie in Amerika, darauf achtet, bc bei Bestellung der Ware, die es einkauft, ein gewisser Mindestlohn gezahlt worden ist. Die Unterdräckung der Heimarbeit ist unmöglich. Will man den Schutz der Heimar eiter verstärken, so muß bezüglich der Aeltesten dieser Arbeiter, die sich anderen Erwerbészweigen nicht mehr zuwenden können, besondere Ruͤck⸗ sicht genommen werden. Im übrigen stellt sich das Bild, das die Gewerberäte von den Zuständen in den Fabriken geben, nicht so grau in grau dar, wie es der Abg. Fischer⸗Berlin uns varsteikt Die Wohlfahrtzeinrichtungen seitens der Arbeitgeber find in mannigfaltiger Weise vermehrt worden. Auch der Leiter der Buchhandlung „Vorwärts“, der Abg. Fischer, wird doch nicht das Mehr an Gehalt, was er gegenüber dem letzten Hausdiener dieser Buchhandlung erhält, zu Wohlfahrtseinrichtuüngen hergeben; das wäre auch ganz verkehrt. Aber von dem Arbeitgeber herlangen das die Herren Sozialdemokraten! Der Abg. Fischer und früher der Abg. Bebel 81 sich dabei auf Katserliche Worte, guch auf Viemarck, aber natürlich nur dann, wenn sie ihnen in den Kram passen. So

Vorsitz als eine Lebensaufgabe an⸗ große St 8 müssen sich auf diese Weise der jetzigen Methode des Guerillakrieges,

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1906.

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fruktifizieren sie das Wort: „Schwerste Strafe, dem, der einen andere

an der Arbeit bindern will.“ Die Aussperrung für ein unerlaubtes Mittel der Arbeitgeber zu erklären, ist ganz falsch; es ist ein Mittel dessen Anwendung ich tief bedauere, aber gegen seine Anwendbarkeit ist nichts zu sagen. Tatsache ist, daß auch die Streiks sich vermehrt haben. Die Verhältnisse zwischen Arbeitern und Arbeitgebern haben sich eben sehr geändert. Frühber versetzte der freie Arbeitsvertrag den Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber in Nach⸗ teil und antwortete ihn dessen Gnade oder Ungnade aus. Dann kam die sozialpolitische Gesetzgedung und die Organisierung der Arbeiter⸗ schaft; jetzt organisieren sich die Arbeitgeber in außerordentlich starken Verbänden. Dann darf man sich auch nicht darüber wundern, daß die Arbeitgeber sich derselben Mittel wie die Arbeiter bedienen. Sie werden zu den Aussperrungen direkt gezwungen, die Unternehmer müssen zu diesem betrübenden Mittel greifen, ihren ganzen Betrieb stillstehen zu lassen. In den nächsten Jahren werden deshalb weit bg. große Streiks als große Aussperrungen entstehen. Die Arbeitgeber

mit dem die Arbeiterschaft sie klein kriegen möchte, erwehren. Man stellt es so dar, als ob bei dem Berliner Elektrizitäts⸗ streik den Arbeitern das größte Unrecht geschehen ist. Die Metall⸗ arbeiterzeitung hat aber diesen Streik direkt verworfen, weil er auf einer Ueberschätzung der eigenen Kraft beruhte. Die Gewerkschaften werden .. von der Parteileitung und ihren offiziellen Organen sehr schlecht behandelt. Die Gewerkschaften haben sich löblich unterworfen, ihre Leiter sind eben Sozialdemokraten und von der Parteileitung abhängig. Sie bleiben in ihren Aemtern, weil sie fürchten, daß, wenn ihre Stellen durch waschechte Sozialdemokraten ersetzt werden, die Gewerkschaften in kurzer Zeit ruiniert sein würden. Man verlangt ja jetzt schon von den Gewerkschaften, daß sie sich der sozialdemokratischen Partei anschließen. Die Berliner Maifeiern unterscheiden sich heute in nichts von den kleinen bürgerlichen Festlichkeiten, die die klein⸗ bürgerlichen Kreise seit jeher begehen. Sie werden durch Turn⸗ vorstellungen, usw. schmackhaft gemacht. Die Gewerk⸗ schaftssekretäre haben diese Feiern drastisch einen faulen Zauber genannt. Das Spielen der Sozialdemokratie mit dem Massen⸗ streik und der russischen Revolution ist das Arbeiterfeindlichste, was jemals in einer Partei und in einem Lande gemacht worden ist. Dieselbe Meinung haben ja auch Mit lieder der sozialdemokratischen Partei selbst. Welcher Unsinn ist über den Massenstreik in der sozialdemokratischen Presse geschrieben worden! Die Schreiber führen eine Sprache, die niemand versteht, und sie glauben daher, daß die Leser das, was sie schreiben, für Weisheit halten. Die Abgg. Elm, Lesche und Frohme haben durch ihre Erklärungen gegen die Jenaͤer Haltung über den Massenstreik den Zorn des Vor⸗ wärts erregt. Die russische Revolution hat eben den Sozialdemo⸗ kraten die Köpfe verdreht. Der „Vorwärts“ schrieb, die Erlösung des russischen Volkes, unsere Selbsterlösung hat begonnen. Die rote Fahne führt siegreich den ersten Sturmlauf. Die „Leipziger Volkszeitung“ ging noch weiter. Sie schrieb zu Weih⸗ nachten: Revolution auf Erden und den Unterdrückten ein Wohlgefallen. Eine internationale Kundgebung, niedergeschrieben von den Abgg. Bebel und Singer, verlangte, daß am 22. Januar das gesamte Proletariat zu Gunsten der russischen Revolution demonstriere. Der Tag war also in erster Linie gewidmet der russischen Revolution, nicht dem Wahlrecht. In der „Neuen Zeit“ hat Kautsky den Zusammenhang zwischen der russischen und deutschen Sozialdemokratie gar nicht geleugnet. Die deutsche Sozialdemokratie konnte zwar sprechen von der „Hinrichtung“ irgend eines Groß⸗ fürsten, aber nicht einer großen Menge anständiger Leute, die einfach gemordet worden sind. Die Sozialdemokraten unterschieden freilich zwischen zielbewußten Sozialdemokraten und der schwarzen Bande, dem Mob, dem Lumpenproletariat. Das begreife ich nicht. Die Sozial⸗ demokraten sagen doch sonst, alle Menschen sind gleich. Sie dürfen auch einen solchen Unterschied nicht machen, denn der Mob wählt meist sozialdemokratisch. Die großen Massen lassen sich von Ihnen nicht kommandieren. Aus einer kleinen Keilerei entwickelt sich eine große Keilerei. Es ist nicht das Verdienst der Sozialdemokratie, daß am 21. Januar nichts passiert ist. In der „Gleichheit“ hat sich der Abg. Bebel für Straßenkämpfe auf das allerhöchste begeistert. Er be⸗ zeichnet die Straßenkämpfe als eine typische Erscheinung der Zukunft. Die Beteiligung der Frau an den Straßenkämpfen ist ein Faktor von weltgeschichtlicher Bedeutung. Er lobt die russischen Frauen, daß sie auf den Barrikaden und in den Straßen gekämpft haben, und glaubt, daß diese typische Erscheinung in der Zukunft wiederkehren wird. Mehring brachte über den 21. Januar einen Artikel in seiner „Leipziger Volkszeitung“, den ich mich fast schäme, vorzulesen. Er sagt z. B.: „Diese Zeitungebestien können gar nicht aufhören, sich vor lauter Wollust die Lippen zu lecken bei der Phantasie daß Arbeiterblut in Strömen hätte durch die Straßen fließen sollen.“ ie Sozialdemokratie spielt mit ihrer Taktsk, die sie bei dem Massenstreik und der russischen Revolution ver⸗ olgt, indem sie fortwährend nicht nur die russische Revolution ver⸗ errlicht, sondern darauf hinweist, daß ein Lichtstrahl dieser Revolution au nach dem Westen weitergehen würde, direkt mit dem Feuer. Hat doch der Artikelschreiber des „Vorwärts“ sogar einen Leitartikel mit den Worten geschlossen: alter der Revolution leben. aar nicht ausbleiben könnte, 88b auch nach dem Westen flute. bürgerliche Freiheit auf das allerschärfste bedroht. Die Herren von der Rechten müßten eigentlich dafür sorgen, da Sozialdemokraten gewählt werden, denn besser könnten die Wünsche, die Sie (rechts) in bezug auf das Wahlrecht usw. haben, nicht gefördert werden. Tatsächlich werden durch die Agitation dieser Herren alle die frei⸗ sinnigen Bestrebungen, die wir baben, gestört. Aus diesem Grunde glaube ich, ist es Pflicht des Liberalismus, so bald als moͤglich der Gefahr, die durch das unsinnige Verhalten der offiziellen Sozial demokratie herbeigeführt wird, zu begegnen. Den einen Vorteil aber at dies Verhalten der Sozialdemokratie, daß nämlich die christlichen zewerkschaften, die Hirsch⸗Dunckerschen Vereine, die leider jahrelang hinter ihr herliefen, sich allmählich von ihr abwenden, aber sie werden dafür auch beschimpft in der allerschlinmsten Weise. Sie werden Arbeiterverräter genannt, die Vertreter der Hersch chen Vereine ehr geschmackoll „brünstige Hirsche“, sie, die doch ebensd Arbeiter nd, und nur das große Verbrechen begehen, in politischen Hingen anders zu denken. Aber weil die christlichen Gewerk⸗ schaften in so scharfem Gegensatze zu den soztaldemokratischen tehen, deswegen bedaure ich die heutige Erklärung des Staatssekretärs über die Berufsvereine. Das Verhältnis der Arbeitgeher zu den Arbeitern hat sich dahin geändert, daß die Organisationen der ersteren es nicht mehr ablehnen, mit den Organisattonen der Arbeiter zu ver⸗ handeln. Es ist von den Tarifverträgen gesprochen worden, die Tarifgemeinschaften aber haben zur Vorbedingung die Berufsvereine. Diese Tarifgemeinschaften, die dem Ardeiter lahrelang sein Einkommen sichsen und den Arbeitgeber davor bewahren, von einer Schund onkurrenz gedrüͤckt zu werden, halte sch in der Tat fuüͤr etwad, was nicht schnell genug gekördert werden kann. Ich habe die Ueberzeuqung⸗ daß man der Sozlaldemokratie nicht mit Ausnahmegesetzen zu Leibe seng kann. Das einzige Mittel, das Uberbhaupt imstande ist, die

Es ist eine Lust zu leben, weil wir in dem Zeit⸗ Wird doch fort und fort gesagt, daß es daß die revolutionäre Welle von Ruß⸗ Dadurch wird zweifellos die

ozlaldemokratische Gesabr z beschwoͤren ist, daß der Staat die strebungen derlenigen Arheiter untersäht. die sich mit Muühe und Not, und von den GSozialdemokraten unterdrücki, diesen vollständig serngebalten