1906 / 98 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 26 Apr 1906 18:00:01 GMT) scan diff

8—

ür die etatsmäßige Finanzgebarung der Kolonieen geschaffen werden, eine Art politischer Behörde für die Finanzkontrolle der etatswidrigen Ausgaben, eine Behörde, bestehend aus Berufsbeamten nicht aus Parlamentariern. Die Rechnungskommission ist, je mehr der Etat wächst, desto weniger in der Lage, ihrer schweren Aufgabe gerecht zu werden, wir müssen also auf andere Weise Rat schaffen. 3 Abg. Erzberger (Zentr.): Es soll also künftig eine Uebersicht über die außeretatsmäßigen Ausgaben gegeben werden; wir können dafür nur dankbar sein. Noch mehr begrüße ich die Zusage der Verwaltung, die Uebersicht über die früheren zu vervollständigen. Mag auch dem Gouverneur ein Reservefonds überlassen bleiben, so ist es doch etwas anderes, wenn der Gouverneur Ersparnisse ohne weiteres diesem Fonds zufließen läßt und daraus Mehrausgaben ohne Zustimmung irgend einer anderen Behörde macht. Das ist eben die Hintertür. Außerdem mu mit der Rechnungs⸗ legung rascher vorangeschritten werden. Wenn jetzt erst die Rechnungen von 1896 geprüft werden, so ist das ein Unding; man sollte uns wenigstens an vorlegen, was nötig ist, wenn auch einmal über einige tausend Mark nicht genau F., gelegt werden kann. Das wäre immer noch besser, als wenn 10 Jahre lang mit der Rechnung gewartet werden muß. b 1

Damit schließt die Diskussion, die Uebersicht geht an die Rechnungskommission.

Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend Aenderung und Auslegung des Schutztruppengesetzes vom 7. Juli 1896.

1b Abg. Engelen (Zentr.): Nach dem Schuftruxpengeseh für Süd⸗ westafrika setzt sich die Schutztruppe aus Militärpersonen und Be⸗ amten des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine zusammen. Die hiem Art. 1 dasselbe auch für alle anderen Schutz⸗

Die Begründung der Vorlage weist lediglich

Notwendigkeit für das ostafrikani Bereits im Etat für 1906 war eine entspr

gestellt. In dieser Hinsicht ist dieser Vorlage ein besonderes Miß geschick passiert, denn der Reichstag hat am 17. März einstimmig die weiße Kompagnie für Ostafrika abgelehnt. Nachdem der Reichstag dieses Bedürfnis verneint hat, wird er auch diesen Artikel 1 der Vorlage ablehnen müssen. Es bleibt der Regierung nur überlassen, ei einem neuen Bedürfnis abermals an den Reichstag heranzutreten. Der zweite Artikel der Vorlage enthält eine authentische Inter⸗ ion. Nach dem § 7 des Schutztruppengesetzes werden hinsicht⸗

lich der Offiziere und Ingenieure des Soldatenstandes, der Deck⸗ offiziere und Beamten usw. als pensionsfähiges Diensteinkommen die Gebührnisse zu Grunde gelegt, die ihnen nach dem Dienstalter und ihrer Charge bei Fortsetzung ihres Dienstverhältnisses in der Heimat zugestanden hätten. Die Verwaltung stellt sich auf den Standpunkt, daß hiernach die Höhe der Pension zu berechnen sei nach den Gebühr⸗ nissen der Charge, die den Pensionären bei Fortsetzung des Dienst⸗ verhältnisses in der Heimat zugestanden hätten. Eine Reichsgerichts⸗ entscheidung hat dagegen ausgesprochen, daß diese Militärs und Be⸗ amten Pension nach der Charge verlangen können, die sie bei der Schutztruppe erlangt haben. Die Vorlage will nun die Anschauung der Verwaltung zur Geltung bringen. Die Begründung beruft sich auf die Anschauung des Reichstags, dieser hat gelegentlich einer Peüition die Frage zwar gestreift, aber nicht ex professo behandelt. Die Stellung des I ist also nicht festgelegt, er hat viel⸗ mehr jene Petition ohne Angabe von Motiven dem Reichskanzler lediglich als Material überwiesen. Auch eine konstante Handhabung dieser Verwaltungspraxis, wie die Begründung behauptet, liegt tat⸗ sächlich nicht vor. In der Kommission war damals die Hoffnung ausgesprochen, daß bei einer neueren Entscheidung das Reichsgericht ch der Anschauung der Verwaltung anschließen würde, aber im ebruar hat das Reichsgericht wieder ein Urteil im Sinne seines rüheren Urteils gefällt. Die authentische Interpretation in dieser Vporlage würde ferner verhältnismäßig kurze Dauer haben, nämlich nur bis zur Annahme der Militärpenstonsgesetze, und materiell würde sie nicht auf diejenigen zutreffen, die bereits ein rechtskräftiges Urteil erstritten haben. Es ist bedenklich, in diese zweifelhafte Frage der Rechtsprechung mit dieser Vorlage einzugreifen, zumal zurzeit mehrere Prezesse anhängig sind, auch vor Landgerichten und vor dem Kammer⸗ gericht. Der Artikel 2 der Vorlage würde aber zweckmäßig der Budget⸗

kommission zu überweisen sein, und ich beantrage dies.

Stellvertretender Direktor der Kolonialabteilung des Aus⸗ wärtigen Amts Erbprinz zu Hohenlohe⸗Langenburg: Meine Herren! Das, was der Herr Vorredner über Art. 1 bemerkt hat, ist richtig, daß nämlich der unmittelbare Grund, der die verbündeten Regierungen veranlaßte, diese Vorlage an das hohe

Haus zu bringen, weggefallen ist dadurch, daß die weiße Kom⸗ pagnie für Ostafrika nicht bewilligt worden ist. Ich glaube aber doch, daß es erwünscht wäre, den verbündeten Regierungen die Möglichkeit zu geben, falls es notwendig werden sollte, weiße Schutztruppen in anderen als im südwestafrikanischen Schutzgebiet zu stationieren. Dies könnte dann auf Grund des Bewilligungsrechts des Reichstages 8 schehen, unter Vermeidung der Weiterungen, die sich jetzt aus den be⸗ stehenden gesetzlichen Verhältnissen ergeben. Um die weiße Kompagnie im Etat fordern zu können, war es notwendig, den vorliegenden Gesetzentwurf beim Reichstage einzubringen. Es würde in Zukunft, falls einmal die Verhältnisse sich ändern, und wir das Bedürfnis empfinden sollten, in irgend einem anderen Schutzgebiete weiße Truppen zu verwenden, notwendig werden, einen derartigen Gesetz⸗ entwurf erneut einzubringen. Die verbündeten Regierungen haben es deshalb für richtig gehalten, das Gesetz in unveränderter Form trotz des ablehnenden Votums des Reichstags bezüglich der weißen Kom⸗ poagnie 15 Ostafrika vor dieses hohe Haus zu bringen, und ich möchte ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß dem Bewilligungsrecht des Reichstags, falls eine derartige Anforderung einmal kommen sollte, durch diesen Gesetzentwurf in keiner Weise präjudiziert wird. Es würde nur die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, um in den Etat die betreffende Forderung einzustellen. Natürlich stände es im einzelnen Falle diesem hohen Hause jederzeit frei, die Forderung an⸗ zunehmen oder abzulehnen. Es liegt mir daran, dies festzustellen, und wenn das hohe - dem Antrage nach, die Vorlage an eine Kommission verweist, so wird Gelegenheit sein, sich hierüber noch näher auseinandersetzen zu können. 1

Abg. Hagemann (nl.): Meine politischen Freunde sind nicht der Meinung, daß der Beschluß des Reichstages vom 17. März uns dazu veranlassen kann, den Art. 1 abzulehnen. Als die weiße Kom⸗ pagnie der Schutztruppe abgelehnt wurde, wurde in der Budget⸗ kommission darauf hingewiesen, daß die Notwendigkeit sehr leicht eintreten könnte, einnal Weiße einzustellen zur Bedienung der Maschinengewehre. Wenn wir deshalb dem Art. 1 sympathisch gegenüberstehen, so präjudizieren wir nach keiner Richtung hin etwa

unserer zukünftigen Entschließung über einen Antrag der verbündeten Regierungen. Was den Art. 2 anlangt, so müssen wir die Bedenken des Abg. Engelen nach einer gewissen Richtung hin teilen. Es erscheint uns bedenklich, jetzt, wo wir ziemlich unmittelbar vor dem Ab⸗ schluß der Militärpensionsberatung stehen, eine Verfügung zu treffen für eine ganz kurze Frist. Das lst uns um so bedenk⸗ licher, als eine Differenzierung zwischen einigen prozeßführenden Ee und solchen, die bereits ein rechtskräftiges Urteil erstritten aben, eintreten könnte. Diese Bedenken erfordern eine weitere Auseinandersetzung, und ich Fers⸗ mich deshalb namens meiner Partei dem Antrage auf Ueberweisung des Gesetzentwurfes an die Budgetkommission an.

Unterstaatssekretär Twele: Ich möchte trotz der Aussicht auf eine nähere Erörterung in der Kommission die erhobenen Bedenken gegen die Vorlage nicht unwidersprochen ins Land gehen lassen. Das eine kann ich ohne weiteres zugeben, daß die Frage eine sehr zweifel⸗ hafte ist. Wäͤre sie nicht zweifelhaft, wäre eine Meinungsverschieden⸗ heit zwischen der Anschauung der Reichsverwaltung und des Reichsgerichts nicht vorhanden, 2 wären wir nicht genötigt gewesen,

1“ 11“ 8 11““ W1“ 8 8 Richtung der reichsgerichtlichen Urteile bewegten. Die Reichs⸗ verwaltung ist aber nach lliltger Prüfung des gesamten Materials jetzt zu der Ueberzeugung gekommen, daß sie sich damals geirrt hat. Für eine Reichsverwaltung ist es ja leichter, einen derartigen Irrtum einzugestehen und zu einer Aenderung ibrer Auffaffung zu kommen, als für den höchsten erkennenden Gerichtshof. Wenn das Reichs⸗ gericht in seinem zweiten Erkenntnis denselben Standpunkt vertreten habe, wie in dem ersten, so ist das leicht daß derselbe Senat bei seiner früheren Auffassung verblieben ist. Das Reichsgericht kann in eine Revision erst eintreten, wenn die eesehgebegden Körper⸗ schaften es getan haben. Darum ist eine authentische Interpretation der fraglichen Vorschrift notwendig. Der Abg. Engelen hat ge⸗ meint, daß bis 99 auch die Reichsverwaltung die Auffassung vertreten habe, die dem Urteil des Reichsgerichts entspricht. Demgegenüber mache ich darauf aufmerksam, daß bereits in der Schutz⸗ truppenordnung vom 25. Juli 1898 die Bestimmung enthalten ist, daß die Deckoffiziere eine Klasse für sich bilden, und daß für ihre Pension die Pensionsansprüche in Betracht kommen, die der Charge entspricht, die sie in der Heimat haben würden. Im übrigen handelt es sich hier nicht bloß um eine Uebergangszeit bis zu dem Inkraft⸗ treten der Militärpensionsgesetze, sondern um eine generelle Regelung. Wir 8 bereit, in der Kommission noch weitere eingehende Auskünfte zu erteilen. 1 3 1

Die Vorlage wird der Budgetkommission überwiesen.

Es folgt die erste eeeng. Gesetzentwurfs, betreffend Aenderung des § 833 des ürgerlichen Gesetzbuchs. Dia Paragraph soll folgenden zweiten Satz erhalten.

„Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder der Schaden auch bei der Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.“

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf begreift zwar nur wenige Zeilen; desungeachtet hat er eine politische und wirt⸗ schaftliche Bedeutung, die es in den Augen des hohen Hauses vielleicht rechtfertigen wird, wenn ich einige Worte zu seiner Einführung sage⸗ Die Entstehung verdankt der Gesetzentwurf dem Reichs⸗ tage. Es ist ungefähr ein Jahr her, daß der Reichs⸗ tag mit großer Mehrheit das Ersuchen an die verbün⸗ deten Regierungen richtete, die Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, welche die Verpflichtung zum Schadensersatz bei Schäden, die durch Tiere verursacht sind, regelt, in einer Weise abzuändern, die den Verhältnissen derjenigen Personen, die die Tiere halten, mehr entgegenkommt. Der vorliegende Entwurf stellt sich in allem Wesent⸗ lichen auf den Standpunkt, den der Reichstag im vorigen Jahre nach eingehenden Beratungen in einer Kommission eingenommen hat. Meine Herren, die Bestimmung des bürgerlichen Rechtes, die hier zur Abänderung steht, hat eine eigenartige Geschichte. Als das Bürgerliche Gesetzbuch dem Reichstage von den verbündeten Re⸗ gierungen im Entwurf vorgelegt wurde, lautete die Vorschrift, die hier in Frage steht, dahin, daß der Tierhalter, wenn ein Haustier Schaden anrichtet, nur dann haften soll, wenn den Halter des Tieres ein Ver⸗ schulden trifft. In der Oeffentlichkeit hatte dieser Grundsatz, der dem früheren deutschen Recht im wesentlichen entsprach, erhebliche Anfechtungen nicht erfahren. Im Reichstage dagegen erhob sich bei der zweiten Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzhuchs ein lebhafter Widerspruch. Man fand, daß in dieser Bestimmung des Entwurfs zwar die Rücksichten auf die Tierhalter mehr als ge⸗ nügend gewahrt seien, daß dagegen die Interessen des Publikums dabei zu schlecht wegkämen; und in der zweiten Lesung beschloß in Anlehnung an diese Auffassung, die abweichend vom deutschen Recht wesentlich französischen Rechtsanschauungen entspricht, der Reichstag, die Bestimmung zu ändern und die Tierhalter in allen Fällen haften zu lassen, auch dort, wo sie kein Verschulden trifft, einfach auf Grund der Tatsache, daß sie eben ein Tier halten, das Schaden an⸗ richten kann, und insbesondere auch dann, wenn dieses Tier ein Haus⸗ tier ist, und hierbei auch dann, wenn es nicht einem Luxusbedürfnis dient, sondern zu gewerblichen und anderen wirtschaftlichen Diensten von der betreffenden Person gehalten wird.

Dieser, meine Herren, in der zweiten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durchgedrungene Standpunkt fand in der dritten Lesung erhebliche Anfechtung. Man glaubte, daß nunmehr wieder das Interesse des Publikums zu weitgehend berücksichtigt sei zum Nachteil derjenigen Interessenten, die nun einmal genötigt sind, für ihre Lebens⸗ haltung, für ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse Tiere zu halten, und man kam auf Grund dessen zu dem vermittelnden Vorschlag, daß in denjenigen Fällen, in denen ein Tier gehalten wird für die wirt⸗ schaftlichen Bedürfnisse des Besitzers, der Grundsatz des Entwurfs aufrecht erhalten werden soll, daß also in diesem Fall nur gehaftet werden soll für Verschulden, daß dagegen dem Haustier gegenüber, das nur zum Luxus gehalten wird, der Grundsatz Platz greifen soll, den der Reichstag in der zweiten Lesung für alle Haustiere ange⸗ nommen hatte.

Nun wollte es der Zufall, meine Herren, daß dieser vermittelnde Vorschlag, der in der dritten Lesung bei der Mehrheit des Reichstags Anerkennung fand, noch einmal zur Abstimmung gebracht werden mußte, weil er für die Mitglieder des Hauses zur Beratung in dritter Lesung zu spät vorgelegen hatte. Bei der wiederholten Abstimmung, meine Herren, verwandelte sich die Mehrheit der dritten Lesung in eine Minderheit. Man verwarf den ersten Beschluß, man kehrte zurück zu dem Beschluß, der in zweiter Lesung von dem Reichstage gefaßt worden war, dem Beschluß, der Gesetz geworden ist, und um dessen Abänderung es sich gegenwärtig handelt.

Meine Herren, den verbündeten Regierungen ist es damals sehr

es ist eben nur geschehen, weil man nicht anders konnte, da man doch das Schicksal des Bürgerlichen Gesetzbuchs an die Entscheidung dieser verhältnismäßig unbedeutenden Frage nicht knüpfen konnte. Die verbündeten Regierungen, meine Herren, mußten sich bei der Erwägung dieser Beschlußfassung doch erinnern, daß in den überwiegenden Teilen des Deutschen Reichs der Grundsatz, der vom Reichstag in Anlehnung an die französische Rechtsauffassung adoptiert worden war, der Volksanschauung nicht entsprach, und sie mußten sich erinnern, daß in ganz Deutschland, solange in Deutsch⸗ land geschriebenes Recht bestand, wenn nicht der entgegengesetzte, so doch wenigstens ein viel milderer Grundsatz für die Haftung bei Tier⸗ schäden gegolten hatte. Die weitergehende Haftung, meine Herren, die das moderne französische Recht aufgestellt hat, und das Bürgerliche Gesetzbuch im Anschluß an das französische Recht angenommen hat, hat schon in dem römischen Recht nicht bestanden, insofern als das

schwer geworden, der Beschlußfassung des Reichstags beizutreten, und

sehr geringen Buße, wenn ich so sagen soll, sich von dem Schaden abzukaufen. Der Tierbesitzer, der verantwortlich war, brauchte nur dag Tier dem Geschädigten zu überlassen, dann war er frei; ein

ersatz, der in vielen Fällen in der Praxis rein zum Spotte wurde Aber Tatsache war, das römische Recht hat die weitgehende Haftung des neuen Rechts nicht gekannt. Die deutschen Volksrechte haben s ebensowenig gekannt. Das gemeine Recht, das sich in Deutschland auf Grund der Vermischung des alten germanischen und des römischen Rechts gebildet hat, steht dem französischen Standpunkt ebenfallz fern. Auch die modernen Partikularrechte in Deutschland kennen den französichen Standpunkt nicht. Das preußische Landrecht steht ungefähr auf dem Standpunkt, den wir Ihnen jetzt vorschlagen. Das bayerische Recht, das sächsische Recht haben nicht anerkannt, daß der Tierhalter so weit zu haften habe, nie es das französische Recht und das Bürgerliche Gesetzbuch statuieren Das österreichische Recht steht gleichfalls auch auf einem milderen Standpunkt. Als man in Baden den französischen Code akjeptiere hat man ihn gerade in diesem Punkt abgeändert zu Gunsten de deutschen Rechtsauffassung. Die Schweiz hat, als sie ihr modernes Obligationenrecht schuf, ebenfalls den Grundsatz des franzöͤssschen Rechts nicht übernommen. Im Rechte Englands ist er auch niht bekannt. So kann man wohl sagen, daß in den von germanischen Rechtsauffassungen beherrschten Gebieten Europas der Grundsatz unsereg Gesetzbuchs, daß der Tierhalter unbedingt zu haften habe für de Schaden, den sein Tier anrichtet, nicht bekannt ist, in Ueber⸗ einstimmung mit der Auffassung, die nach unserer Meinung in der weitaus meisten Kreisen des deutschen Volkes gegolten hat und noch gilt. Aber, trotz alledem, die verbündeten Regierungen mußten sich dem Beschluß des Reichstags fügen, und wir haben uns darauf be⸗ schränken müssen, abzuwarten, wie sich praktisch die Verhältnisse m der Hand des neuen Rechts gestalten, und wieweit auf Grund der a die neue Bestimmung sich knüpfenden Rechtsprechung das deutsce Volk sich mit dem neuen Rechtsgrundsatz befreunden würde.

Nun sind schon seit einer Reihe von Jahren hier im hohen Hause unzweifelhafte Beweise dafür hervorgetreten, daß die Bestimmung in der Anwendung, die namentlich die Judikatur des Reichsgericht ihr hat zuteil werden lassen, in Deutschland viel Mißbehagen und das Gefühl der Unbilligkeit und Ungerechtigkeit hervorgerufen het. Gleichwohl würden die Regierungen, getreu dem Standpunkt, den sie bei der Beschlußfassung über das Bürgerliche Gesetzbuch eingenomme hatten, jetzt zum Vorschlage einer Abänderung noch nicht gekommen sein, wenn nicht der Reichstag die Initiative ergriffen hätte.

Nachdem das aber geschehen ist, mußten wir uns aller der Erwägungen wieder erinnern, die gegen den zur Zeit geltenden Grundsatz sprechen der Erwägung, daß die Arschauung des deutschen Volkes sich mit diesem Grundsatz niemals befreundet hat und voraussichtlich nie be⸗ freunden wird, der Erwägung, daß das deutsche Recht zu allen Zeiten seiner Entwicklung auf dem Standpunkt des jetzigen Rechts nicht ge⸗ standen hat, sondern einer Auffassung zuneigt, die dem entspricht, wal⸗ früher im preußischen Landrecht und in anderen Partikularrechten galt der Erwägung aber auch, daß im Laufe der letzten Jahre die Aut⸗ legung der geltenden Vorschrift durch die Rechtsprechung des Reicht⸗ gerichts zu vielen Härten geführt hat, die im Volke nicht verstanda werden, und für die voraussichtlich in der weiteren Entwicklung der Judikatur eine befriedigende Abhilfe nicht zu erwarten ist. Liegt 4 aber so und kommt außerdem hinzu, daß nach den gemachten Er⸗ fahrungen, nach den regierungsseitig angestellten Erhebungen, dern Ergebnisse ja der Vorlage beigegeben sind, unter dem jetzigen Recht im wesentlichen der kleine Mann zu leiden hat, so konnte es den der⸗ bündeten Regierungen nicht schwer werden, dem Vorschlage 8 Reichstags vom vorigen Jahre beizutreten und ihn zur jetzigen Vorlagt zu verkörpern. 1

Nach den angestellten Ermittelungen darf man in der Tat sazen: gerade der kleine Mann ist es, der unter der jetzigen Bestimmung an schlechtesten wegkommt. Man hat gegen diese Meinung, bei der Diskussion des § 833 des Gesetzbuchs in der Oeffentlichkeit, einge⸗ wendet, daß der kleine Mann sich ja versichern könne gegen alle Ee⸗ fahren, die ihm aus § 833 drohen. Formell kann er das gewiß. Ir der große Besitzer, der den Stall voll Pferde hat oder seine Herda auf die Weide gehen läßt, kann sich ohne erhebliche Mühe versichen, die Ausgaben dafür, selbst wenn sie empfindlich berühren treffen ihn vielleicht nicht zu hart. Aber der kleirt Mann, der mit seinem Pferdchen in die Stadt sthan um sein Gemüse zu verkaufen, die Frau, die mit dem Hundekarren un die Stadt kommt, zum Transport der dürftigen Sachen, mit denn sie handelt, der Handelsmann, der auf dem Lande mit einem Csc oder einem Pferde herumzieht, der kleine Ackersmann, der einige Stil Kühe sich hält, um die Milch zu verkaufen, alle diese kleina Leute können sich vielleicht versichern, aber sie werden es dennoch nich tun. Innerlich entzieht es sich ihrem Verständnis, äußerlich sprecha alle Verhältnisse des Lebens dagegen; die Leute werden immer ber⸗ ziehen, die Gefahr zu laufen, was man auch versuchen mag, um sie der der Notwendigkeit der Vorsicht zu überzeugen. Wenn sie dann en Unfall trifft, und die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Anwendung kommen, dann sind sie diejenigen, die, oft in schwerster Wes mit Gefahr für ihre Lebensexistenz, unter dem Schaden zu leida haben, während ein vermögender Mann durch die Versicherung, die a rechtzeitig hat nehmen können und genommen hat, gegen solche fährdungen gesichert ist.

Das, meine Herren, ist der Widerspruch, in dem die starre ve⸗ stimmung unseres bürgerlichen Rechts mit den sozialpolitischen hältnissen fleht, und ich glaube, es entspricht dem Volkeintereft wenn der geltende Grundsatz abgeändert wird. Die verbündeta Regierungen, so schwer es ihnen wird, sich mit einer Abänderung Bürgerlichen Gesetzbuchs zu befreunden, verlassen jedenfalls ihren alia Standpunkt nicht, indem sie unter den veränderten Verhältnissa empfehlen, in Gemäßheit des Beschlusses, den der Reichstag 9 vorigen Jahre gefaßt hat, die einschlägigen Vorschriften des Bürge⸗ lichen Gesetzbuchs abzuändern. Sie bitten, der Vorlage Ihre stimmung zu erteilen. (Bravo! rechts.)

Abg. von Treuenfels (dkons.): Wir danken den verbündech Regierungen für die Vorlage, wenn sie auch nicht allen uns Wuͤnschen entspricht. Auch die Linke gegen fallen lassen; denn es handelt sich nicht um eine agr Vorloge, wie ein Blick in die beigegebene Statistik beweist. a

Abg. Dasbach (Zentr.) spricht sich gleichfalls für Annahme Vorlage aus.

sr der Enltscheidung der gesetzgebenden Körperschaften zu unterbreiten. g ist ferner lichtig daß in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes einzelne Entscheidungen der Reichsverwaltung sich nach der

römische Recht gestattete, mit einer in den meisten Fällen verhältnismäßig

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

8

gegeben werden,

diesen Entwurf“.

könnte ihren Widerspruch

eutschen Neichsanz

9

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Abg. Stolle (Soz.): Die fortgesetzte Agitation gegen den § 833 hat nun also doch einen Erfolg zu verzeichnen; es liegt heute ein An⸗ trag der verbündeten Regierungen vor, der den Wünschen des früheren Antrages v. Treuenfels entgegenkommt. Es handelt sich um nichts weiter als um ein agrarisches Gesetz, für welches die Initiative zu ergreifen der Staatssekretär ja schon im vorigen Jahre versprach. Gleichzeitig forderte damals ein Antrag Müller⸗Meiningen eingehende statistische Erhebungen; auch diese Resolution fand Annahme. Die Vorlage wird jetzt hauptsächlich damit begründet, daß die preußischen Landwirtschaftskammern sämtlich eine entsprechende Aenderung ge⸗ fsahe hätten. Das sind also die Quellen für die Regierung. Ge⸗ tützt auf das Urteil eines der Meistbeteiligten, nämlich der deutschen Landwirtschaft, schreitet sie hier schon jetzt zur Abänderung des erst seit wenigen Jahren in Kraft bestehenden Bürgerlichen Gesetz⸗ buches! Es handelt sich doch nicht hloß um den Schaden, der den Tierhalter trifft, sondern auch um die vielen Tausende von Leuten, hauptsächlich von armen Leuten, die durch die Tiere geschädigt werden. Das Interesse der Tierhalter aber erscheint der Regierung als das weitaus beachtenswertere; ob ein anderer wirtschaftlich zu Grunde gerichtet wird durch den von den Tieren eines anderen angerichteten Schaden, das soll jetzt Nebensache sein und in den Hintergrund treten. Es ist unrichtig, wenn man den Weg der Versicherung als ungangbar bezeichnet. Wenn die Leute aus Saumseligkeit keine Ver⸗ sicherung abschließen, geschieht ihnen nur recht, wenn sie für den an⸗ gerichteten Schaden haften müssen; so gut wie die Feuerversicherung auf dem Lande obligatorisch ist, kann sich auch der kleine Land⸗ wirt gegen diese Haftung versichern. Die Möglichkeit ist also diesen Leuten an die Hand gegeben; wie will man es da ver⸗ antworten, das Prinzip des Bürgerlichen Gesetzbuches zu durch⸗ brechen? Hat man auch die Konsequenzen bedacht? Reicht die frei⸗ willige Versicherung nicht aus, so soll man sie zwangsweise statuieren. Bei der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches hat gerade ein Zentrumsredner ssch lebhaft für diese Bestimmung des Code Napoléon ausgesprochen und ausdrücklich erklärt, daß die Rücksicht auf die bäuerliche Bevölkerung um so weniger ausschlaggebend sein könne, als der Code im ganzen Rheinland gelte, und die bäuerliche Bevölkerung dort durchaus damit zufrieden sei. Die Begründung nimmt Bezug darauf, daß eine große Anzahl der entstandenen Pro⸗ zesse durch Vergleich erledigt worden ist. Das beweist doch nur, daß die uns vorgelegte Statistik unvollständig ist und zu völlig falschen Schlüssen führen muß. Die neue Fassung hebt ür den Tierhalter jede Verpflichtung auf, sich auf einen Ver⸗ leich einzulassen und eine Entschädigung zu leisten, gleichviel, wie chwer der Betroffene durch den angerichteten Schaden zu leiden hat. Und wo bleibt das Zentrum, wo bleibt die Rechte mit dem Pro⸗ grammpunkt des Schutzes für den kleinen Mann, für den wirtschaft⸗ ich Schwachen? Der kleine Handwerker, der ländliche Arbeiter, die um ihr täglich Brot zu kämpfen haben, werden durch diese Aenderung schutzios gemacht; denn jetzt werden z. B. auch die Hunde des Grund⸗ besitzers, die er zu seinem Vergnügen hält, einfach als Haustiere aus⸗ die zur Bewachung nötig sind. Im Interesse der Gerechtigkeit und Billigkeit lehnen wir den Gesetzentwurf ab und warnen die anderen Parteien, ihn anzunehmen. 8

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:ch Es liegt mir daran, dem Vorwurf der Einseitigkeit entgegenzu⸗

8 treten, den der Herr Abgeordnete, der eben gesprochen hat, gegen die

Erhebungen geltend gemacht hat, die dem gegenwärtigen Gesetzentwurf zu Grunde liegen. Der Herr Abgeordnete hat behauptet, es wären

nur agrarische Interessen dabei maßgebend gewesen. Er hat allerdings ein eigenartiges Verfahren eingeschlagen, um dieses dem Hause plau⸗

sibel zu machen. Auf Seite 3 der Motive ich bitte Sie, die Motive zu vergleichen ist dargelegt, welche Erhebungen an⸗ gestellt worden sind, um sich Ueberzeugung zu verschaffen von den Wirkungen, die infolge der Bestimmungen des Gesetzes einge⸗ treten sind. Da fängt nun ein Satz an, den der Herr Abgeordnete in der ersten Hälfte vorgelesen hat: Die preußischen Landwirtschaftskammern haben sämtlich eine Aenderung des § 833 im Sinne der Reichstassbeschlüsse be⸗ fürwortet.

8 Hier hört der Herr Abgeordnete auf und sagt nun: „also sieht man

hieraus, nur die agrarischen Interessen sind maßgebend gewesen für Was folgt aber nun in dem Satze weiter? In dem zweiten Teil dieses Satzes, den der Herr Abgeordnete uns nicht vorgelesen hat, heißt es:

Es hat sich die erhebliche Mehrzahl der von den preußischen Handelskammern eingegangenen Aeußerungen für eine Milderung der Haftpflicht ausgesprochen.

(Hört! hört! rechts.) Wenn der Herr Abgeordnete den Erhebungen der verbündeten Regierungen einen Vorwurf machen will, ich habe nichts dagegen; ich werde mich verteidigen, so gut wie es geht. Den Anspruch aber kann ich erheben, daß er wenigstens die Motive so zitiert, wie sie lauten, und nicht in einer Weise, die dazu führen müßte, das Haus über den Sinn der Motive irrezuführen. (Sehr richtig! rechts.)

. Dann führen die Motive weiter aus, daß nicht bloß in Preußen, wie der Herr Abgeordnete meinte, sondern in allen größeren deutschen Bundesstaaten und sie sind hier aufgeführt —, in Preußen, in Bayern, in Sachsen, in Württemberg, in Baden, in Hessen, in Mecklenburg⸗Schwerin und in Elsaß⸗Lothringen in der Weise Er⸗ hebungen angestellt sind, daß sämtliche Prozesse, die bei den Land⸗ gerichten und Oberlandesgerichten aus Anlaß dieser Gesetzesbestimmung während der letzten Jahre geführt worden sind, perlustriert wurden, um fest⸗ zustellen, welche Wirkungen an diese Bestimmungen des Gesetzes sich knüpfen.

Das ist doch auch eine Erhebung, die für die Sache in Betracht kommt,

die gerade deshalb, weil es sich um gerichtliche Feststellungen handelt, ein besonders zuverlässiges Bild von den Verhältnissen bieten kann, die nach meiner Meinung der Herr Abgeordnete nicht übergehen darf, wenn er dem Hause die Verhältnisse vortragen will, wie sie wirklich liegen. Auf Seite 4 ist ausdrücklich in mehreren Sätzen ausgeführt, daß auch die Verhältnisse der Gewerbetreibenden Gegenstand der Untersuchung gewesen sind, und es wird dabei ganz besonders hin⸗ gewiesen auf Gewerbebetriebe, die für die Beurteilung dieser Bestim⸗ mung eine besondere Rolle spielen, die Lohnfuhrunternehmer; ausführ⸗ lich wird dargelegt, welche Verhältnisse für diese Betriebe in Betracht kommen, auch das hat der Herr Abgeordnete nicht erwähnt.

Die Erhebungen, die von uns angestellt worden sind, sind

Berlin, Donnerstag, den 26. April

angestellt worden niemand zur Last und niemand zur Liebe. Hätten sie zu einem anderen Resultat geführt, die verbündeten Regierungen würden sich nicht entschlossen haben, den Gesetzentwurf aufzustellen; uns aber zu unterstellen, daß der Gesetzentwurf in ein⸗ seitigem Interesse entworfen worden sei, während hier in den Motiven ausdrücklich dargelegt wird, daß wir sämtliche in Betracht kommenden Verhältnisse geprüft haben, das geht mir doch über den Verstand. (Bravo! rechts.)

„Abg. Held (nl.): Wenn sich Härten in einem Gesetz zeigen, müssen sie so bald wie möglich beseitigt werden. Ich danke im Namen der großen Mehrheit meiner Freunde dem Staatssekretär, daß er so bald dem Beschluß des Reschstags gefolgt ist. Die Vorlage ent⸗ spricht fast wörtlich dem Beschluß des Reichstags. Die Haftung des Tierhalters fällt vollkommen aus den übrigen gesetzlichen Be⸗ stimmungen über die Haftpflicht heraus; denn überall sonst ist an der Verschuldung festgehalten, nur beim Tierhalter nicht. Daß ein Gesetz für die Agrarier gemacht werde, hören wir sehr häufig, ohne daß eine solche Behauptung stichhaltig ist. Der Abg. Stolle erwähnte die Befürwortung der Landwirtschaftskammern, die Handelskammern ließ er aber vollständig aus, und das ist ein großes Zeichen der Schwäche. Wir haben eine außerordentlich eingehende Statistik über diese Frage. „In Preußen sind von 537 Bestrafungen 133 auf Land⸗ wirte und 199 auf andere Gewerbetreibende entfallen. Die kleinen Gewerbetreibenden, Händler und Fuhrleute, können durch einen solchen Fall in ihrer ganzen Existenz gefährdet werden; es sind also auch die Gewerbetreibenden hervorragend interessiert. Gerade die 537 gericht⸗ lichen Verhandlungen haben uns gezeigt, wo der Schuh drückt. Ge⸗ wiß könnten sich die Tierhalter versichern, aber es gibt auch viele kleine Gewerbetreibende, die davon keine Ahnung haßen. Es gibt auch sonst viele Fälle, wo man eine Schädigung erfährt und keinen Schadensersatz bekommt, z. B. wenn man über einen Steg geht und ins Wasser faällt. Neulich passierte ein Fall, wo ein Hund eine Katze verfolgte, eine Kuh dadurch wild wurde und ein Mädchen verletzt wurde. Wer ist nun haftbar, der Besitzer des Hundes oder der Kuh oder der Katze? Ich hoffe, daß wir das Gesetz schnell verabschieden werden, um eine große Härte zu beseitigen.

. Abg. Schrader (fr. Vgg.) spricht sich gegen die Vorlage aus. Wenn man das Gesetz ändern wolle, müsse man es allgemein ändern und nicht nur für den Tierhalter. Durch die Vorlage werde der Schaden dem zugewiesen, der durch das Tier geschädigt werde. sei lediglich ein juristischer, aber kein sozialpolitischer Gesichts⸗ unkt.

Abg. Bockelmann (Rp.): Im Auftrage meiner Freunde möchte ich mich für den Entwurf aussprechen. Er scheint uns aber nicht ausreichend, um die materiellen und sittlichen Schäden, die der § 833 geschaffen hat, zu beseitigen. Im Reichstage ist man sich darin einig, daß der gegenwärtige Zustand ein unbefriedigender ist. Nach der Entscheidung des Reichsgerichts mußte der Besitzer eines Fuhrwerks, der aus Gefälligkeit einen Unbekannten auf⸗ nahm, die Frau und Kinder des Verunglückten gewissermaßen zum Lohn auf Lebenszeit unterhalten. Dieser Fall zeigt, daß der § 833 zu unerhörten Härten führt. Es wird dadurch die Menschenfreundlichkeit zurückgedrängt. Würde der § 833 in seiner bisherigen Fassung fortbestehen, so würde der barmherzige Samariter überhaupt nicht vorkommen oder wegen übermäßigen Leichtsinns unter Kuratel gestellt werden. Der gegenwärtige Zustand ist also unsittlich, da er die Menschenfreundlichkeit unter Strafe stellt. Die Bestimmung wird noch dahin auszubauen sein, daß jemand, in dessen eigenem Interesse der Schaden entstanden ist, nicht be⸗ rechtigt ist, einen Anspruch zu erheben. Wir behalten uns vor, für die zweite Lesung einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Abg. Burlage (Zentr.): Das Gefährdungsprinzip, das im modernen Rechtsleben eine große Rolle spielt und in Zukunft vielleicht eine noch größere spielen wird, darf nicht verallgemeinert werden. Es darf nur unter der Voraussetzung maßgebend sein, daß eine au ergewöhnliche Gefährdung in Betracht kommt, und eine solche, die schon in dem bisherigen Verkehr hergebracht war. Beim Automobilverkehr zum Beispiel handelt es sich um eine neue große Gefährdung, die in unser Verkehrs⸗ leben hineingetragen ist. Außerdem handelt es sich fast durchweg um leistungsfähige Besitzer. Sie können diese Haftung als ein Passivum ihres heöen Betriebes in Rechnung stellen. Dasselbe gilt von den Eisenbahnen. Wenn der Abg. Stolle auf die

roße Zahl der Unfälle hingewiesen hat, so wird bei allen diesen ällen nicht bedacht, 8 immer auf der einen Seite steht der, der den Schaden ausgleichen soll, und auf der anderen Seite der, der den Vorteil dieser Ausgleichung genießt. Eine Schadenersatzpflicht kann im allgemeinen nur anerkannt werden, wo eine Schuld vor⸗ liegt. Denken Sie doch an den berühmten Fall: Ein Pferd steht auf der Straße, es ist sehr fromm und hat niemandem etwas Uebles getan; plö lich wird es von einer Fliege gestochen, schlägt aus, und ein Familienvater liegt erschlagen da. Wer kann dafür? Man kann doch nicht sagen, daß der, dem das Pferd gehört, den Schaden tragen soll. Man denkt immer an die Großgrundbesitzer, denen der Gesetzentwurf zugute kommen soll. Aber gerade diese 90 % haben sich versichert, die kleinen Grund⸗ besitzer, die Bauern versichern sich nicht. Das ergibt auch die Statistik, die die Begründung aufführt. Man mag die Bauern belehren, so viel man will, sie werden sich nicht belehren lassen, sondern sich durch den einfachen Gedankengang leiten lassen es werde ihnen nichts passieren, sie brauchten auf eine so fern liegende Gefahr, die alle 50 Jahre eintrete, keine Rücksicht zu nehmen. Der Entwurf wird die Tierhalter ver⸗ anlassen, noch vorsichtiger im Verkehr zu sein, wenn sie den Nachweis führen müssen, daß sie kein Verschulden trifft. Das fran⸗ zösische Recht kann hier nicht herangezogen werden. Insbesondere nach der Entscheidung des höchsten französischen Gerichtshofes besteht dort ein Zustand, der ungefähr dem entspricht, den wir jetzt schaffen wollen. Das Bürgerliche Gesetzbuch schon nach kurzer Zeit zu ändern, brauchen wir keine Scheu zu tragen, denn es handelt sich hier nicht um die Aenderung eines Prinzips, sondern nur um die Beseitigung einer Ausnahmebestimmung. Wenn nicht nur die preußischen Land⸗ wirtschaftskammern, sondern auch die Mehrheit der preußischen Handelskammern für die Aenderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein⸗ getreten sind, so kann man wohl sagen, daß hier ein allgemein empfundenes Bedürfnis in Frage steht.

Abg. Molkenbuhr (Soz.): Der Abg. von Treuenfels bat be⸗ stritten, daß wir es hier mit einem afsees Gesetz zu tun haben. Der Hinweis auf die Statistik ist nicht stichhaltig, weil man über⸗ sieht, daß die in der Landwirtschaft Geschädigten Leute sind, die auf Grund des landwirtschaftlichen Unfallgesetzes bereits eine Rente be⸗ kommen, also sonst keinen Schadenersatzanspruch haben. Es ist eigen⸗ tümlich, daß die Regierung so plötzlich auf einen Initiativantrag eingeht. Beim Jesuitengesetz und bei verschiedenen Arbeiterschutzanträgen war sie nicht so schnell bei der Hand. Den Agrariern zu Gefallen tut die Regierung alles, krempelt sie selbst das Bürgerliche Gesetzbuch um. Nach der Statistik von 1905 wurden durch Tiere verletzt 10 266 Per⸗ sonen, davon fallen 9773 auf die landwirtschaftlichen Berufsgenossen⸗ schaften. Die Schäden werden durch Pferde verursacht, der

eiger und Königlich Preußischen

die Prämien bezahlen brauchen, das war in Wirklichkeit das treibende Element. Die Interessen der Geschädigten hat weder die Begrün⸗ dung, noch der Staatssekretär genügend in Betracht gezogen. Dieser bezog sich auf das Rechtsbewußisein des Volkes. Das Rechtsbewußt⸗ sein des Volkes wird aber in viel höherem Maße verletzt durch die Straf⸗ bestimmungen wegen Erpressung, durch den „Groben Unfug“⸗Para⸗ graphen, durch das Zeugniszwangsverfahren, durch die Gesindeordnung usw. Wollte der Staatssekretär konsequent sein, so müßte er diesen Grund⸗ satz auch auf den Fall ausdehnen, wo ein Hausierer, der beim Be⸗ treten eines Grundstückes, das mit der Aufschrift „Bissige Hunde“ versehen war, von einem Hunde gebissen und mit seiner Schadens⸗ ersatzklage in letzter Instanz, nämlich vom Reichsgericht, abgewiesen wurde, weil hier ein Verschulden seinerseits vorlag. In § 833 hatte das Bürgerliche Gesetzbuch einmal einen Schritt vorwärts ge⸗ macht, aber schnell muß wieder im Interesse der Herren Agrarier auf den alten engherzigen preußischen Standpunkt zurückgehopst werden. Es geht hier gerade so wie mit den Renten, die auf Grund der Unfallgesetze an Kinder gezahlt werden; diese Renten sind natürlich für die Herren Rückschrittler etwas Entsetzliches, und die Forderung ihrer Beseitigung wird immer eifriger erhoben. Auch hier ist es nicht der Haß gegen die Kinder, der zu diesem Verlangen führt; man will vielmehr bloß ein paar Pfennige sparen. Wir ver⸗ langen Verweisung der Vorlage an eine Kommission, um mindestens die Möglichkeit einer Entschädigung des Verletzten sicherzustellen. Preußen in Deutschland voran, Deutschland in der Welt voran! sagte der preußische Ministerpräsident einmal im Herrenhause; diese Vorlage zeigt aber so recht, wie das Deutsche Reich so sozial ist, daß es die Großgrundbesitzer sogar durch die Pfennige der Krüppel zu bereichern beflissen ist. 18

Abg. Hilpert (b. k. F.) befürwortet den Entwurf. Ein agrarisches Gesetz sei es nicht, denn es werde gerade in Bayern, wo man den Großgrundbesitz nur dem Namen nach kennt, als ein Be⸗ dürfnis empfunden. Unter den Landwirten gebe es doch auch Schwache und Bedrängte genug. Im Falle der geringsten Fahrlässigkeit müsse der Tierhalter ja doch den ganzen Schaden tragen.

„Abg. Stolle (Soz.): In der Begründung ist nur gesagt, daß der „größte Teil“ der preußischen Handelskammern sich für eine „Milde⸗ rung“ des § 833 ausgesprochen habe. Hat denn die preußische Re⸗ ierung auch die Gewerbekammern gefragt? Die mitgeteilte Statistik eschränkt sich darauf, anzugeben, welchen Ständen die ver⸗ urteilten Tierhalter angehören; aber darüber, wer die Ver⸗ leßten und Geschädigten dem Stande oder Berufe nach gewesen sind, erfahren wir nichts. Was heute der Abg. Burlage ausführte, kon⸗ trastiert in der schärfsten Weise mit dem, was 1896 der Abg. Gröber zu derselben Frage ausgeführt hat. Die Notwendigkeit einer Revision ist gegenüber anderen gesetzlichen Bestimmungen viel ein⸗ dringlicher zu Tage getreten, ohne daß sich bei den verbündeten Regie⸗ rungen eine Hand rührt, so z. B. bei der Seemannsordnung; anders hier, wo es sich um die Interessen der Agrarier handelt, da wird die Vorlage sofort apportiert.

Abg. Burlage (Zentr.) weist die ihm von den sozialdemokratischen Rednern Molkenbuhr und Stolle gemachten Einwände zurück; man sehe, mit wie schlechten Gründen die Vorlage angegriffen werde.

Abg. Storz (d. Volksp.) tritt dem Abg. Burlage entgegen. Die angeblich schlechtere wirtschaftliche Lage vieler Tierhalter be-⸗ rechtige nicht, sie gesetzlich besser zu behandeln. Auch brauche man ja nur auf die heute ebenfalls auf der Tagesordnung stehende Automobilvorlage hinzuweisen, die die Haftung des Unternehmers ganz außerordentlich verschärfe. Tatsache sei aber, daß bei den kleinen Viehzüchtern große Beunruhigung und Unzufriedenheit über den § 833 bestehe. Die Deutsche Volkspartei stehe daher dem Entwurf in der Tendenz freundlich gegenüber, könne aber Bedenken gegen die Fassung nicht unterdrücken; sie hoffe, daß das Haupt⸗ edenken, daß einzelne Stände zu Ungunsten anderer bevorzugt werden 83 6 der Kommission bezw. in der zweiten Lesung beseitigt werden wird.

Damit schließt die erste Beratung. Da Kommissions⸗ e. von keiner Seite ausdrücklich beantragt ist, wird die zweite Lesung demnächst im Plenum stattfinden.

Hierauf wird die Vertagung beschlossen.

Schluß nach 5 ½ Uhr. Nächste Sitzun 1 Uhr. (Erste Lesung der Diätenvorlage, Vogelschutznovelle, Wahlprüfungen.)

Donnerstag, utomobilgesetz,

Nr. 24 des „Zentralblatts für das Deutsche Reich“, herausgegeben im Reichsamt des Innern, vom 20. d. M., hat folgenden Inhalt: 1) Konsulatwesen: Exequaturerteilung. 2) Militärwesen: Berichtigung des Verzeichnisses der Zivilvorsitzenden der im Deutschen Reiche bestehenden Ersatzkommissionen. 3) olizeiwesen: Ausweisung von Ausländern aus dem Reichsgebiet.

Nr. 34 des „Zentralblatts der Bauverwaltung“, heraus⸗ gegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 25. d. M. hat folgenden Inhalt: Die neue städtische Gasanstalt in Tegel bei Berlin. (Fortsetzung.) Vermischtes: Kanalbaudirektionen in Essen und Hannover und Hauptbauamt in Potsdam. Wettbewerb um Ent⸗ würfe für ein Geschäftshaus der Oberrheinischen Versicherungsgesell⸗ schaft in Mannheim. Wettbewerb um Entwürfe für die Verbindung der Schloßbrunnen. und Marktbrunnenkolonnade mit der Mühlbrunnen⸗ kolonnade in Karlsbad. Güter.⸗, Floß⸗ und Schiffsverkehr auf dem kanalisierten Main im Jahre 1905. Schornsteinaufsatz. Inhalt der Zeitschrift für Bauwesen.

Verdingungen im Auslande.

1u“ Oesterreich⸗Ungarn. .“ 4. Mai 1906, 12 Uhr. Direktion der K. K. priv. österr. Nord⸗ westbahn Wien: Lieferung des Jahresbedarfs an Petroleum. Näheres bei der genannten Direktion und beim „Reichsanzeiger’“.

Rumänien.

10. Mai 1906, 10 Uhr. Kriegsministerium (7. Intendantur⸗ direktion) in Bukarest: Zum dritten Male Ausschreibung der Liefe⸗ rung von 33 894 wollenen Unterhemden, desgleichen von 34 811 Paar Wollbandschuhen. Zur Lizitation werden auch Fabrikanten und Industrielle des Auslandes zugelassen.

Bulgarien.

11. Mai 1906. Bezirksfinanzverwaltung in Sofia: Lieferung von 2 Drehscheiben von je 16 m Derceeser für die Eisenbahn⸗ fteltonen Kostenetz⸗Banja und Bela, ein Eleßlich Aufstellung, An⸗ strich und allem Zubehör. Ungefährer Wert 40 000 Fr. Kaution 5 %. 81e iree . 8 nur solche Fabriken, welche Drehscheiben oder andere Eisenkonstruktionen an die bulgarischen Staatsbahnen oder an fremde Eisenbahnverwaltungen geliefert haben. Leumunds⸗ und Befähigungszeugnisse sind nicht nötig. Nähere Bedingungen,

1 8 W

weitaus größte Teil der Pferde ist aber in dem Besitz der Groß⸗ grundbesitzer. Was diese Herren erreichen wollen, ist, 8 sie vc.

eichnungen usw. sind bei der Generaldirektion der bulgari t nen sür 3 Fr erhälilch. schen Staats⸗