94. Sitzung vom 4. Mai 1906, Nachmittags 1 Uhr.
b (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten Beratung des
ntwurfs eines Gesetzes, betreffend die Ordnung des Reichs⸗
haushalts und die Tilgung der Reichsschuld, und zwar „Besteuerung der Zigaretten“. BUMeber den Beginn der Verhandlungen ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Nach dem Abg. Dr. Jäger (Zentr.) nimmt das Wort der
Staatssekretär des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat an die verbündeten Regierungen das Ersuchen gerichtet, sie möchten bei der Aus⸗ arbeitung der Ausführungsbestimmungen zu dem seinerzeitigen Gesetze es doch nicht unterlassen, auch Sachverständige aus der Zigarettenindustrie einzuvernehmen. Meine Herren, ich kann hierauf wohl sofort, und zwar die Zustimmung der verbündeten Regierungen voraussetzend, die Antwort erteilen, daß ich dieses Verlangen als ein durchaus berechtigtes anerkenne. Ich nehme an, daß die verbündeten Regierungen und schon die Reichsschatzverwaltung der Ausgestaltung der Ausführungs⸗ bestimmungen nicht näher treten werden, ohne vorher Sachkundige aus dem betreffenden Industriezweige einvernommen zu haben. Vorausgesetzt muß dabei natürlich werden, daß die Sachverständigen, die wir um Auskunft und um Mitarbeit bitten, ihrerseits auch ge⸗ neigt sind, unserem Ersuchen Folge zu geben. Ich muß leider sagen, daß wir in der jüngsten Zeit in der Richtung schon etwas traurige Erfahrungen machen mußten und da und dort schon auf Widerstand stießen, wenn wir von Sachkundigen aus dem beteiligten Industrie⸗ zweige uns nähere Informationen verschaffen wollten. Indes soll uns das nicht abhalten, unsere Versuche nach dieser Richtung hin zu er⸗ neuern.
Weil ich nun gerade das Wort habe, möge es mir gestattet sein, über diese Vorlage und über ihren Werdegang seit der Ein⸗ bringung einiges zu bemerken.
Meine Herren, gerade dieser Teil der Reichsfinanzreformvorlage, der Zigarettensteuergesetzentwurf, ist wohl mit einer der Steuer⸗ vorschläge, welche in der Oeffentlichkeit und insbesondere auch in der Presse von Anfang an eine verhältnismäßig beifällige Beurteilung er⸗ fahren haben. Es ist allerdings auch dieser Teil der Reichsfinanz⸗ reformvorlage in der Oeffentlichkeit nicht gerade mit Jubel begrüßt worden. Aber auch sonst ist es ja nicht üblich, daß man Steuer⸗ vorlagen von seiten der Bevölkerung freudig aufnimmt, das darf uns deshalb auch hier nicht wundernehmen. Jedenfalls hat auch bei der Mehrheit der Kommission, die sich, wie ich anerkennen muß, mit ganz besonderer Gründlichkeit und mit besonderem Eifer der Be⸗ arbeitung der Vorlage gewidmet hat, gerade dieser Gesetzentwurf von Anfang an eine günstige Aufnahme gefunden. Selbst die be⸗ teiligte Industrie hat von Haus aus eigentlich einen prinzipiellen Widerstand gegen diesen Teil der Reichsfinanzreformvorlage nicht zu er⸗ kennen gegeben. Es ist vielmehr auch von Vertretern der Zigaretten⸗ industrie sowohl in der Presse als auch uns und Mitgliedern der Kommission gegenüber mehrfach ausdrücklich anerkannt worden, daß an sich die Zigarette einer höheren Besteuerung recht wohl fähig sei, daß sie eine höhere Besteuerung recht wohl würde tragen können.
Danach ist also die grundsätzliche Frage, ob die Zigaretten⸗ besteuerung an sich als zulässig und zweckmäßig erachtet werden könne, in der Oeffentlichkeit in bejahendem Sinne eigentlich schon entschieden.
Der Widerstreit der Meinungen sowohl in diesem hohen Hause als auch extra muros hat sich von Anfang an eigentlich nur gedreht um die zweckmäßigste Form der Besteuerung — abgesehen noch von ihrer Höhe. Nun hatten die verbündeten Regierungen bekanntlich die Besteuerung des zu den Zigaretten zu verwendenden Papiers in Vorschlag gebracht. Dagegen hat sich aber sofort aus dem beteiligten Industriezweige ein lebhafter Widerstand erhoben, der seinen Einfluß auch auf die Beratung in der Kommission und wohl auch in diesem hoben Hause selbst, jedenfalls aber auf die Beratung in der Kom⸗ mission geltend gemacht hat, deren Mehrheit demnächst auch ver⸗ schiedene Bedenken — wie ich anerkennen muß: auch recht beachtens⸗ werte Bedenken gegen diese Art der Besteuerung ins Feld führte.
Die Kommission ist nun nach mühevollen Arbeiten, nach 12 langdauernden Sitzungen, nach eingehenden ludien und Informationen, die sie sich über die Eigentümlichkeiten dieses Industriezweiges zu verschaffen suchte, zu dem Ergebnis gelangt, dem Banderollensystem den Vorzug zu geben, einem System, welches auch in verschiedenen anderen großen Staaten mit gutem Er⸗ folg angewendet wird und dort die Probe bestanden hat. Die ver⸗ bündeten Regierungen haben zwar ihrerseits zu diesem von der Kommission vorgeschlagenen neuen System formell noch nicht Stellung genommen; aber ich habe doch Grund zu der An⸗ nahme, daß sie geneigt sein dürften, ihrerseits dem von der Kommission vorgeschlagenen System, sofern auch das hohe Haus ihm zustimmen sollte, die Genehmigung zu erteilen. Die verbündeten Regierungen sind mit der Mehrheit der Kommission von Anfang an der Meinung gewesen, daß man die Steuerform unter allen Umständen möglichst den Bedürfnissen des betreffenden Industriezweiges anzu⸗ passen habe. Sie werden wohl auch die Auffassung teilen, daß gerade die Banderollensteuer geeigneter ist, sich den Bedürf⸗ nissen der Zigarettenindustrie anzupassen, als es die ursprünglich
von den Regierungen selbst ins Auge gefaßte Zigarettenpapiersteuer viel.
Ich kann nur wiederholen: auch die verbündeten sen wird diese ertrust in ankt..s g
Beanderollensystem ist die Selbstkontrolle des Rauchers nicht mehr
leicht gewesen wäre. Regierungen sind durchaus geneigt, jeden Vorschlag gerne zu akzep⸗ tieren, der gecignet ist, störende Eingriffe in die Industrie möglichst zu vermeiden und fernzuhalten. Sofern etwa im Laufe der Be⸗ ratungen in dieser Richtung noch weitere Wünsche hervortreten sollten,
nur in der Hauptsache der davon erwartete Steuerertrag nicht beein⸗ trächtigt wird, die verbündeten Regierungen solchen Erleichterungen auch ihrerseits gern näher zu treten geneigt sein werden. (Zurufe.)
Eines, meine Herren, möchte ich aber doch hervorzuheben nicht unkerlassen. Eine ganz eigentümliche Wandlung hat sich im Laufe der
Mponate innerhalb der Kreise der Zigarettenindustrie selbst allmählich
vollzogen. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Während anfänglich eine Reihe von Vertretera aus der Zigerettenindustrie selbst grundsätzlich geneigt schien, der Banderollen⸗ steuer einen gewissen Vorzug einzuräumen vor der Zigaretten⸗
Heute aber bildet
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papiersteuer, wie sie von seiten der Regierung in Aussicht genommen war, so wandte sich das Blatt plötzlich in dem Augenblick, als die Kommission sich ihrerseits für das Banderollen⸗ system entschieden hatte. Von dem Augenblick wurde aus der Industrie selbst und — ich glaube, nicht zu irren — teilweise auch von denselben Vertretern, die die Banderollensteuer empfohlen hatten, gerade dieses System auf das heftigste angegriffen und nun plötzlich wiederum die von den verbündeten Regierungen vorgeschlagene Papiersteuer zur Annahme empfohlen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen; Zurufe links.) Jetzt werden auch sonst wieder vielfach Stimmen laut, welche gerade der Papier⸗ steuer unter allen Umständen gegenüber der Banderollen⸗ steuer den Vorzug einzuräumen geneigt sind, weil sie sich gerade von dieser Steuerform eine ganz besondere Rücksichtnahme auf die Interessen der Zigarettenindustrie versprechen. Und anderseits ist dagegen in der jüngsten Zeit noch ein weiterer Gedanke, ein neuer Vorschlag zu Tage getreten, nämlich der: einen Zuschlag zum Rohtabakzoll einzuführen. Die Kommission hat geglaubt, diesen Vorschlag ablehnen zu sollen, weil sie meinte, daß bei einem solchen Systeme die gebotene Rücksichtnahme auf die Steuerkraft der Konsumenten nicht genügend zu ihrem Rechte komme. Auch ich glaube, daß ein Zuschlag zum Rohtabakzoll ebensowenig, wie ich das ja auch bezüglich der Zigarettenpapiersteuer zu⸗ geben muß, geeignet sein wird, die gleiche sozialpolitische Rücksicht auf die Steuerträger zu üben, wie die Banderollen⸗ steuer vermöge ihrer Staffelungsfähigkeit. Wir hegen außerdem gegen den Gedanken eines Zollzuschlags hier auch noch das weitere Bedenken, daß die Kontrolle sich sehr schwierig gestalten würde, nament⸗ lich um deswillen, weil — das ist wenigstens die Auffassung der Kommission gewesen — die Kontrolle in diesem Falle doch jedenfalls be⸗ schränkt bleiben müßte auf das engere Gebiet des zu der Zigarette zu verwendenden Tabaks.
Anders läge die Sache, wenn die Ueberwachung sich aus⸗ zudehnen hätte auf alle übrigen Teile der Tabakindustrie. Das würde aber doch unter allen Umständen zu weit gehen, würde zu ganz ungerechtfertigten Belästigungen der Tabakindustrie über⸗ haupt führen; das wurde auch bei den Beratungen in der Kom⸗ mission, wie ich glaube, von allen Seiten auf das lebhafteste perhorresziert. Hätte übrigens die Kommission jenen Gedanken sich angeeignet und in ihren Gesetzentwurf das System des Zuschlags zum Rohtabakzoll aufgenommen, so würde jedenfalls sofort auch dieses System in der Presse und sonst in der Oeffentlichkeit von den Vertretern der beteiligten Industriekreise wiederum auf das lebhafteste bekämpft worden sein. (Sehr richtig! Zurufe von den Sozialdemokraten.) Ich möchte glauben, daß nach den eingehenden Vorarbeiten, die Ihre Kommission hier geleistet hat, es dem hohen Hause nicht schwer werden wird, der sehr gründlich durch⸗ gearbeiteten und sehr sorgfältig vorbereiteten Vorlage nunmehr seine Zu⸗ stimmung zu erteilen, und meinerseits nur den Wunsch aussprechen, daß das auch recht bald geschehen möge, namentlich um deswillen, da⸗ mit der erregte Kampf der Meinungen innerhalb der betelligten In⸗ dustrie endlich einmal zur Ruhe kommt, — cin Kampf, der sich seit Monaten schon fortspielt. Aber auch noch um deswillen möchte ich das wünschen, damit der Zigarettenindustrie möglichst bald auch die nötige Zeit gewährt werde, sich auf die neuen Verhältnisse ihrerseits entsprechend einzurichten. Ich darf nun zum Schluß noch hervorheben: wenn auch der Vorschlag der Kommission mehrfach abweicht von dem ur⸗ sprünglichen Vorschlag der verbündeten Regierungen, so muß ich für meine Person gleichwohl unumwunden anerkennen, daß vom steuer⸗ lichen und vom sozialpolitischen Standpunkt aus betrachtet das Banderollensystem vor dem ursprünglichen Vorschlag der verbündeten Regierungen ohne Zweifel noch den Vorzug verdient.
Abg. v. Elm (Soz.): Die Kommission hat den Regierungs⸗ vorschlag abgelehat und aus sich heraus ein völlig neues System, das der Banderollensteuer, vorgeschlagen. Dieser Vorschlag ist recht auf⸗ fallend und bedenklich; es fehlt an jeder Unterlage für dieses neue System, es fehlt jede Ertragsberechnung, alles ist unklar, und man merkt dem Entwurf der Kommission diese Unklarheit heute noch an. Fartsch und praktisch ist die Vorlage undurchführbar. Manche Einzel⸗ eit hat man mangels der Möglichkeit einer positiven Lösung einfach der Steuerbehörde zur Ausführung überlassen. Der Staatesekretär spricht davon, daß sich das Banderollensystem schon anderswo bewährt habe. Ich möchte wissen, wo das der Fall gewesen sein soll. In Amerika wurde diese Steuer 1866 eingeführt und schon im nächsten Jahre als undurchführbar wieder aufgehoben. Die Mehrheit der Kommission ist aber geradezu in diese progressive Staffelung ver⸗ liebt gewesen; man hat durchaus der Vorlage ein sozialpolitisches Mäntelchen umhängen wollen. Gerade diese Staffelung aber ist der Fluch der Vorlage. Jede progressive Staffelung muß dazu führen, daß bei den höheren Preislagen die Qualität herabgemindert wird. In Zukunft werden die Leute, welche 4 ₰ für eine Zigarette zahlen, keine bessere bekommen als diejenigen, die 2 ₰ zahlen. Patriotisch mag es ja sein, auf diese Art dem Reiche eine Steuer zu bezahlen, aber praktisch ist es nicht, denn die besseren Qualitäten werden verschwinden. Nun hat man auch nach höherem Schutz⸗ zoll geschrien; die Regierung ist aber nicht sehr dafür, weil sie zu sehr die Verminderung der Zollerträge befürchten muß. Man spricht ferner von dem Bedürfnis der Industrie; es müsse ein Steuersystem geschaffen werden, das deren Bedürfnis angepaßt sei. Der Kommissionsvorschlag vollzieht diese Anpassung in der Weise, daß die Kleinindustrie vollständig vernichtet wird, daß nur die Groß⸗ industrie Vorteile hat. Dec Vorgang in Amerika liefert dafür den bündigsten Beweis. Die Stundung der Steuer hat für den kleinen Fabrikanten nicht die mindeste Bedeutung. Ferner be⸗ seitigt die Voclage die Handarbeit in der Zigarettenindustrie voll⸗ ständig und will die Maschinenarbeit durchweg an ihre Stelle setzen. die Handarbeit noch den größeren Teil der Die amerikanische Vertrustung ist in Deutschland auch bestehen zwei solcher Fabriken
Das Banderollen⸗ günstigen. Beim
Fabrikation. 1 bereits stark fortgeschritten, schon 1b in Berlin und Dresden mit etwa 1000 Arbeitern.
dieselbe wie früher; der Raucher muß den geschlossenen Kasten kaufen und sehen, wo er bleibt. Der amerikanische Trust arbeitet mit einem ungeheueren Kapital, mit dem die deutschen Zigarettenfabrikanten auch
in ihrer Gesamtheit nicht rechnen können; was liegt diesen Ameri⸗
glaube ich schon im voraus in Aussicht stellen zu können, daß, wenn kanern daran, zunächst vielleicht auch einige Millionen zu verlieren?
Zunächst
wird kolossale Reklame gemacht, den Abnehmern werden Geschenke gemacht, so goldene Uhren; es gibt in Berlin eine ganze Anzahl Leute, die Uhren vom Zigarettentrust in der Tasche tragen. Es wird auch eine sogenannte Gewirnbeteiligung eingeführt. So dirigiert der Trust seine Leute allmählich auf ein engeres Ziel; schließlich wird die Schlinge zugezogen, die Leute sind gefangen und müssen sich den Anforderungen des Trusts fügen. Die Mehrbelastung durch dieses System zwingt die Fabrikanten, zu kapitulieren und zur Maschinenarbeit überzugehen. Die Maschine liefert 70 Mille Zigaretten pro Tag, wenn ouch viel Ausschuß dabei ist. Ein Maschinenführer kann 4 Maschinen bedienen; dazu kommen eine Auflegerin und eine Abnehmerin. Per Mille kommen danach
höchstens 10 ₰ Herstellungskosten heraus.
uns ist der Sesber der Kommission nicht annehmbar.
Dem bisherigen Arbeitslohn von 6 ½ Mill. Mark stehen dann nur ¼ Million an Unkosten gegen⸗ über; den Arbeitern werden also jährlich 6 Millionen Arbeitslohn genommen. Die Annahme der Vorlage bedeutet die Brotlosmachung von 6 bis 7000 Handarbeitern. Auch die sicedueen, die Kartonnagen⸗ und Blechwarenindustrie sowie zahlreiche Personen werden an ihrem bisherigen Erwerbe geschädigt werden. In der Kommission wurde einfach bestritten, daß Leute brotlos gemacht werden, und man hat die Entschädigung der Brotloswerdenden abgelehnt. Diese Leugner haben die Pflicht, unsere Behauptung rechnerisch zurückzu⸗ weisen, den Beweis zu führen, daß es möglich ist, die Handarbeiter weiter zu beschäftigen. Dann hieß es, wenn wirklich einige brotlos werden, so fänden sie ja leicht ein Unterkommen als Dienstmädchen und Mägde auf dem Lande, was ihrer Gesundheit sehr zuträglich dar würde. Diese Allgemeinheiten stehen nicht auf besonderer geist
Höhe. Die Agrarier werden ihren Mägden pro Woche 15 — 16 ℳ zu zahlen sich schön bedanken. Sobald diese Mädchen aus der Industrie herausgerissen sind, nützen sie der Familie nichts mehr. Es wird schließlich nichts anderes übrig bleiben, als in der Stadt zu bleiben, weil sie zur Landarbeit nicht tauglich sind, und bei der Ueber⸗ füllung der übrigen Branchen wird ein großer Teil von ihnen in die
Arme der Prostitution getrieben werden. Diejenigen, die das Gesetz
annehmen, übernehmen damit eine sehr schwerwiegende moralische Ver⸗
antwortung. Die Steuer ist ein direkter darum hat man in Amerika die Banderollensteuer schon binnen
Jahresfrist abgeschafft. Auch in Deutschland wird ein Sturm
der Entrüstung gegen dieses System erhoben. Nähme man eine andere 1
Staffel, z. B. eine 10prozentige Steuer, so würde die Einpfennig⸗ zigarette ganz aus dem Handel verschwinden. Die Zweipfennig⸗ zigarette würde 11,55 ₰ Besteuerung kosten. Da sie mit 12 ℳ pro Mille verkauft werden soll, so bleibt dem Unternehmer nur ein Ge⸗ winn von 45 ₰ pro Mille. Damit kann er nicht auskommen. Er
muß mindestens 1.25 ℳ verdienen, und die Folge wird sein, daß er Die Herstellung wird vollständig
die Differenz am Lohn akzieht. d ndig in die Heimarbeit gedrängt werden. Wie man aber hier die Kon⸗ trolle durchführen will, ist eine andere Frage. Durch einen Streik könnte man in diesem Falle die Löhne nicht aufrecht erhalten, weil die Heimarbeiter durchweg nicht organisiert sind. Es wird dasselbe eintreten wie 1879. Die Fabrikanten werden ihre Fabriken auf das flache Land verlegen, weil sie dort billigere Arbeiter finden. Warum bleibt man nicht lieber bei dem alten Gewichtssystem? Die Regierung hat erklärt, cs komme ihr auf das System nicht an, sondern nur darauf, möglichst viel Geld herauszuschlagen. Für die Industrie ist die Erhöhung des Gewichtssystems immer noch das ge⸗ ringere Uebel. Das Banderollensystem erheischt einen sehr kostspieligen ungeheueren Kontrollapparat für die zahlreichen Betriebe. Die Händler haben heute noch gar keine Ahnung, was ihnen bevorsteht. Wüßten sie, welche Kontrolle ihnen droht, so würden sie sich wie ein Mann gegen diese Vorlage erheben. Der kleine Händler bestimmte bisher den Verkaufspreis seiner Ware selbst, entsprechend den Spesen, die er hatte. Für die Folge hört das auf; der Bestimmende wird der Fabrikant sein und sein müssen. Jeder Kunde weiß auch, wie hoch die Preise sind. Die Trusts und einige Großfabrikanten werden die Preise bestimmen und die Kleinhändler sich dienstbar machen. Der Kleinhändler muß unter Umständen die Kontrollkosten selbst bezahlen. Die Folge wird eine Defraudation in großem Maße sein. Die unreellen Händler werden die Schachteln öffnen und nachfüllen, und die reellen Händler werden mitmachen oder die Konkurrenz überhaupt aufgeben. Schließlich wird die Regierung genötigt sein, den Einzel⸗ verkauf aufzuheben und damit den Händler und das Pablikum schwer schädigen. Das Gesetz wird sehr schwer durchführbar sein, und sein Ertrag von 12 Millionen ist mir mehr als fraglich. Ich bitte Sie deshalb, die Vorlage abzulehnen. .
Abg. Held (nl.): Wenn die Befürchtungen des Vorredners begründet wären, würden wir uns hüten, die Vorlage anzunehmen. Es ist ganz unrichtig, daß wir die Vorlage aus dem Handgelenk gemacht haben.
verständige gehört. Es Mitarbeit des
ist schade, das wir die
kenntnisreichen Vorredners in der Kommission nicht gehabt haben;
das würde uns die Arbeit in der Kommission zum Teil erleichtert haben. Ich glaube, daß die neue Form der Steuer sich bewähren
wird. ausgesprochen; sie war außerdem schwer durchführbar.
nicht. Anderseits ist die Zigarette ein
Sinne des Wortes und kann eine
und die übrigen
wie möglich geschont Wir haben uns gesagt, der, der eine Etnpfennig⸗
stärker herangezogen.
zigarette raucht, kann unter Umständen ein dringendes Bedürfnis be⸗
friedigen; anders liegt es bei den teureren Zigaretten. Dazu kam, daß die Zigarette mit der Zeit der Zigarre eine sehr schwere Konkurrenz macht. Es ist Gefahr, daß die Zigarette für die
das wird, was die Zigarre seinerzeit für den Taba Kein Arbeiter beschwert sich darüber, daß
schäftigung der Arbeiter beschränkt? Wir glauben nein. Die Zunahme der Maschinenarbeit wird mit oder ohne Banderollensteuer fortschreiten.
Das System der Banderolle ist nicht meine Erfindung, wie man be⸗ .
hauptet hat, es ist zunächst durch einen Herrn aus der Zigaretten⸗ industrie selbst in die Erörterung geworfen worden. Wir haben eine Besprechung veranstoltet; von 10 Teilnehmern an dieser Besprechung sprachen sich nur zwei für die Banderolle aus, und trotzdem war diese
der tertius gaudens. Sie gestattet uns, eine progressive Steuer ein⸗
zuführen und die billigsten Zigaretten ganz frei zu lassen. Es ist gesagt, diese Steuer wäre ein gefundenes Fressen für die Trustherren, ich habe mit solchen nicht verhandelt, sondern nur mit Deutschen. Die Trusts, die der Abg. von Elm als so schlimm hingestellt hat, scheinen mir gar nicht so gefährlich zu sein. Ob wir eine Banderolle haben oder nicht, spielt für sie gar keine Rolle. Ich weiß nicht, warum sie nicht schon jetzt in der Lage sein sollten, alles aufzubieten, um das Geschäft an sich zu reißen. Der Trust wirkt ja schon jetzt in geradezu unlauterer Weise auf die Händler durch Prämien und Geschenke. Schlimmer, als es ist, kann es nicht werden. Daß man allmählich dazu übergehen wird, die 65 % Einpfennig⸗ zigaretten mit der Maschine herzustellen, davon bin ich überzeugt. Aber die 35 % besseren Zigaretten werden auch später durch “ hergestellt werden. Ein Mangel an Arbeitern für die
andarbeit in der Zigarettenindustrie ist heute tatsächlich vorhanden. Die billige Zigarette wird wenig erhöht, die 8S kann doch selbstverständlich eine höhere Steuer tragen. Niemand, der Zigarettenraucher ist, wird seinen Zigarettenverbrauch wegen einer so geringen Preiserhöhung einschränken. Und wenn eine Stagnation einträte, so wäre das gar nicht so unerwünscht. Ich bin über⸗ zeugt, daß die Zigarrenindustrie davon den Vorteil hätte. Wir haben uns bemüht, alle Härten aus dem Gesetz herauszubringen. Ich wünschte, der Bundesrat gäbe eine authentische Erklärung darüber ab, was unter einer Zigarette zu verstehen ist. Der Begriff Zigarette gibt in manchen Kreisen zu Zweifeln Veranlassung. In Amerika hat man eine genaue Definition dafür. Die sogenannten Zigarillos sollten nach unserer Ansicht nicht unter die Bestimmungen dieses Gesetzes fallen. Wir haben die Ueberzeugung, der Konsument wird die Steuer tragen, und Industrie und Handel werden sich ganz wohl dabei fühlen. Gewisse Schwierigkeiten werden sich, wie stets bei neuen Gesetzen, ee aber es wird sich doch zeigen, daß die hier vorgebrachten Klagen keine Berechtigung haben.
„Abg. Dr. Wiemer (fr. Volksp.): Ich kann die gesetzgeberische Leistung, an der der Abg. Held als Berichterstatter wesentlich mit⸗ gewirkt hat, nicht als ein „Heldenstück“ ansehen Bezeichnend ist, daß der Abg. Held den Bundesrat auffordert, einmal festzustellen, was denn eigentlich eine Zigarette ist. Es fehlt ihm also an einer klaren Vorstellung dessen, was besteuert werden 19 T2
r sehen
ihn als bedenklich in hohem Grade, als nachteilig für Kousumtion
ufreiz zur Lohnherabsetzung, G
Wir haben sie sehr gründlich beraten und Sach⸗
Gegen die Papiersteuer hat sich die Industrie sehr lebhaft Wir haben uns eine Fabrik in Berlin angesehen, und da war in der Tat eine so große Verwüstung in Papier, daß wir uns sagten, nein, die Sache geht Genußmitttel im wahren solche Steuer sehr wohl tragen. Wir haben aber differeziert und die Einpfennigzigarette so viel kostspieligen Zigaretten
igarre einmal geworden ist. die Zigarette höher besteuert wird. Es fragt sich, wird durch die neue Sieuer die Be⸗
d Produktion an. Man könnte die Frage aufwerfen, ob denn über⸗ aupt eine Sonderbesteuerung der Zigarette gerechtfertigt ist. Der Vor⸗ aduer hat es mit einigen Worten begründet, seine Ausführungen sind ber nicht stichhaltig. In der Tatsache, daß ein Artikel sich steigender peliebtheit erfreut und sein Konsum zunimmt, liegt kein Grund, ihn 1 besteuern. Die Konsumzunahme liegt im Zuge der Zeit, er utspricht einem Bedürfnis der Bevölkerung, und auch in den Arbeiter⸗ veisen hat sich der Konsum in den letzten Jahren erheblich vermehrt.
Daß die Zigarettenindustrie einen so lebhaften Aufschwung genommen
ar, liegt daran, daß sie eine junge Industrie ist. Ich muß be⸗ irriten, daß diese Entwicklung einen gefahrdrohenden Charakter für ie Zigarrenindustrie annimmt. Der Vorredner übersieht die Tat⸗ iche, daß in der gleichen Zeit, in der die Zigarettenindustrie vor⸗ vits gekommen ist, auch eine sehr erhebliche Zunahme des Ver⸗ irauches an Zigarren eingetreten ist Zurem kann es nicht Aufgabe Gesetzgebers sein, die Konkurrenz durch eine Steuer auszugleichen. bas die behauptete Gesundheitsschädlichkeit der Zigarette betrifft, p mag ein Uebermaß selbstverständlich schädlich sein, das trifft ber ebenso gut auf den Genuß von Zigarren und andere Genuß⸗ uittel zu. Wenn Sie aber die Zigarette für gesundheitsgefährlich alten, dann müßten Sie doch versuchen, ihren Verbrauch einzudämmen einer ergiebigen Steuerquelle zu machen. lein mit dem Gedanken, wir müssen Geld schaffen, kommt maa itt durch; eine Steuer, die sich von diesem Grundsatz leiten läßt, ird immer irre gehen. Es kommt darauf an, ob die einzuführende keuer wirtschaftlich gerechtfertigt und technisch durchführbar ist, und 6 sie Produktion und Konsumtion nicht ungebührlich belastet. gsere Bedenken gegen das Gesetz werden noch erbeblich verstärkt irch das gewählte System. Der Reicheschatzsekretär hat heute bst zugestehen müssen, daß die Papiersteuer auf erhebliche Fcwierigkeiten gestoßen wäre. Dabei hat es monatelanger übeiten der Regierung bedurft, statistischer Erhebungen über die ickung der Steuer usw. Nichts von alledem in der Kommission, fir hat die Idee der Banderollensteuer 8 aufgegriffen. Sie ot als solche Sachverständige nicht gehört. aß die Vertretung organisierten Zigarettenindustrie sich so geäußert hätte, se (s der Abgeordnete Held darstellt, ist mir nicht bekannt. ber Staatssekretär sagt, er würde vor Erlaß der Ausführungs⸗ timmungen Sachverständige zu Rate ziehen. Das bätte nur vorher scehen sollen, dann brauchte man nicht die Hauptschärfe in die utführungsbestimmungen zu legen. Die Einführung der Banderolle deutet nichts mehr und nichts weniger als eine durchgreifende mwälzung auf dem Gebiete der Produktion und des Handels mit otchen Zigaretten. Es wird sich ein Entwicklungsprozeß voll⸗ hen, der nicht als ein Segen angesehen werden kann. Die ttleren und keeineren Betriebe werden vollständig ausgeschaltet erꝛen. Wir stehen diesem nicht gleichgültig gegenüber, wir be das ernste Bestreben, Maßnahmen zu vereiteln, die geeignet d. den Mittelstand in seiner Entwicklung zu stören und seinen Erwerbsbedingungen schlechter zu stellen. Die deutsche nustrie wird benachteiligt werden. Sie muß die Steuer größten Teile aufbringen. Der amerikanische Zigaretten⸗ uast dagegen arbeitet mit Riesenkapitalien. Er wird die Steuer ahlen und trotzdem seine Fabrikate billiger vertreiben können. kist zweifellot, daß hier der deutschen Industrie eine überaus schwere ffabr droht, wenn wirklich der Reichstag diese Banderollensteuer scließen sollte. Eine Besteuerung mit solcher Wirkung ist doch das aye Gegenteil einer nationalen Wirtschaftspolitik. Tausende von lständigen Existenzen werden ausgeschaltet werden. Es tritt hinzu Verpackungs wang mit allen seinen Scherereien für die Fabrikanten, t Händler und das kaufende Publikum. Letzteres wird ge⸗ ungen werden, die Katze im Sack zu kaufen, während heute gerade billigsten Sorten auch lose verkauft werden. Weiter ver⸗ inft werden unsere Bedenken durch die schikanöse Kontrolle. In ser Beziehung liegt es bei uns nicht so einfach wie in zland, wo es sich nur um wenige Fabriken handelt; der ganze darat steht in augenscheinlichem Mißverhältnis zu den relativ igen Einnahmen, die aus dieser Steuer der Reichskasse zufließen ler. Die Wirkung der Steuersätze wird sich ja erst in der aris erproben lassen. Daneben wird der Zoll wesentlich erhöht, v eine Verringerung der Einfuhr zur Folge haben wird. Beides amuß dahin wirken, das Verhältnis der ausländischen zur in⸗ dichen Zigarette zu Ungunsten Deutschlands zu verschieben. Die ffelung ist für das gesamte Gewerbe nicht nützlich, sondern dezu nachteilig; sie wird eine Verschlechterung der deutschen ikate zur Folge haben. Leider ist der Vorschlag, für die nette eine Robtabakzuschlagssteuer einzuführen, in der Unter⸗ naission fallen gelassen worden; wir sind zwar Gegner jeder Tabak⸗ tererhöhung, aber eventuell verdient unzweifelhaft diese Zu⸗ gesteuer vor der Banderollensteuer den Vorzug. Wir wünschen, dieser Gedanke noch nicht definitiv abgetan sein möchte. der Banderollensteuer steckt unzweifelhaft auch der Keim zu einem ich tabakmonopol. Wenn es dem Staatssekretär um die Ruhe der Tabakindustrie zu tun wäre, hätte er solcher Steuer rhaupt nicht zustimmen dürfen. Die Ruhe wird nicht eintreien, Kampf wird weitergehen, die Banderolle wird man auszudehnen schen auf die Zigarre, und die Folge wird eine noch viel weiter nde Beunruhigung sein. Staatssekretär des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel: Meine Herren! Auf eine Anregung des Herrn Abg. Held bezüglich der hrrillos möchte ich mir gestatten, das Folgende zu bemerken: Zigarillos, dit sie dissen Namen mit Recht führen, würden nach unserer Auf⸗ ung der Zigarettensteuer nicht unterworfen sein. Zigarillos sind nnicht Zigaretten, und ihre Befretung von der Zigarettensteuer ergibt danach von selbst. gestellt werden sollte, bezüglich deren Zugehörigkeit zu der einen wanderen Gattung, zu der Gattung der Zigarillos oder der detten, Zweifel auftauchen sollten, werden wir unter Zuziehung Sachverständigen, die bereits vorhin von mir in Aussicht gestellt von Sachverständigen, die wir uns wählen werden aus den kligten Industriezweigen, über die Steuerpflichtigkeit Entscheidung n. Meine Herren, ähnliche Zweifel, wie sie hier auftauchen mögen, gen auch bekanntlich auf anderen Gebieten der Gesetzgebung, bloß auf dem Gebiete der Steuergesetzgebung auf. Zur Zeit llaube ich, wird es zweckmäßig sein, erst einmal abzuwarten, zweifel der von dem Herrn Abg. Held angedeuteten Art sich über⸗ dj ergeben werden. dbg. Zimmermann (d. Reformp.): Die Ausführungen nbg. Held haben mich richt davon überzeugen können, daß Vorschlag der Kommission der empfehlenswerteste und gang⸗ für uns ist; im Gegenteil bringt dieser viele soziale und nale Bedenken mit sich. Es wird hier ein tief ein⸗ nender Eingriff in unsere Industrie⸗, Handels und Arbeiter⸗ atnisse geplant. Die Kreise der Händler, namentlich der igen und kleinen, werden durch die Banderollensteuer in die 85 Empörung versetzt werden. Die Maschinenarbeit wird an Stelle der Handarbeit treten und zahlreiche Entlassungen Arbeitern und Arbeiterinnen die Folge sein. Also charak⸗ el sich dieses System als durchaus mittelstandsfeindlich. die Großindustrie wird durch das neue System bedroht insofern, er amerikanische Trust in Deutschland die Oberhand gewinnen swie es in England und Japan bereits sei längerer Zeit der nt. Die Mittel des Trustes und die Art, wie er arbeiter, zeigen Fecte Gefahr, die von ihm ausgeht; ich erinnere nur an die geine der Jasmatzi⸗Fabrik in Dresden. Wer so skrupellos st, wird auch von der Banderollensteuer die Konsequenzen ziehen; Trust rechnet ja gerade damit, die mittleren und kleinen e zunächst in seine Hand zu bekommen, die seiner Kapitalgewalt
0 3 tie
Soweit indessen jetzt oder später eine Ware
sich bald werden fügen müssen. Die ausländischen Zigaretten werden obendrein nach der neuen Vorlage gewissermaßen beverzugt. Wir wollen nicht auf Kosten unserer A Heiter den amerikanischen Trust bei uns großziehen helfen. Das Banderollensystem eröffnet auch der Defraudation ein weites Tor. In Rußland und Oesterreich kann man diesen Defraudationen trotz schärfster Kontrolle nicht wirksam be⸗ gegnen. Fürst Bismarck hat sich s. Z. auch gegen solche Systeme ausgesprochen, weil unsere Beamten schließlich jeden zweiten deutschen Untertan zu revidieren hätten und unsere Beamtenschaft dazu nicht ausreichen würde. Furcht vor der lästigen Kontrolle besteht jetzt schon in den Händlerkreisen wie bei den Fabrikanten; schon jetzt sind Arbeiter⸗ entlassungen vorgenommen worden. Art und Höhe der Steuer veranlaßt uns somit gleichmäßig, eine ablehnende Haltung einzunehmen. Nach der Denkschrift des Verbandes und des Vereins deutscher Zigarettenfabrikanten, die 90 % der gesamten Industrie repräsen⸗ tieren; besteht in der Industrie selbst die schärfste Gegnerschaft gegen diese Banderollensteuer. Selbst Roosevelt warnt doch sein Volk vor der Uebermacht des Großkapitals!
Abg. Graf Mielzynski (Pole): Von dem ganzen uns dar⸗ “] Steuerhukett wird die Zigarettensteuer die schlimmste
zirkung haben. Wegen der paar lumpigen Millionen trägt man keine Bedenken, gegen den Willen der ganzen Industrie, denn 90 % haben sich dagegen erklärt, eine Abgabe vorzuschlagen, die †½ der gesamten Produktion beträgt. Der Kleinbetrieb wird durch die Bande⸗ rollensteuer ruiniert, Tausende von Arbeitern werden brotlos gemacht und dem Trustsysten Tür und Tor geöffnet. Gerade die die sich für die Banderollensteuer erklärt haben, tehen unter dem Verdacht, im Bunde mit den Trusts zu stehen. Man hat wirklich das Gefühl, als ob das Kontrollsystem davon ausginge, nicht ehrliche Leute, Lengern Verbrecher hinter sich zu haben. Die Handarbeit wird durch die Maschinenarbeit ver⸗ drängt werden, und da die kleinen Leute dazu nicht übergehen können, so werden sie den Betrieb aufgeben müssen. Die Banderolle wird von den Trusts als Reklame benutzt werden. Der Abg. Held empfahl dem kleinen Mann, schlechtere Sorten zu rauchen. Ich glaube, auch der kleine Mann hat ein Recht, bessere Sorten zu rauchen. Uebrigens war das Gesetz längst beschlossene Sache, es wurde nur darüber diskutiert, welche Form man wählen sollte. Daß die Herren im Innern doch nicht ganz sicher sind, beweist, daß Proteste gegen die Steuer von oben unmöglich gemacht werden. Der Polizeipräsident von Posen hat einen Händler in Strafe genommen, weil er in seinem Schaufenster einen Protest gegen die Zigarettensteuer ausgelegt hatte. Wir werden bei den einzelnen Paragraphen unseren ablehnenden Standpunkt noch zu vertreten haben. Einstweilen bitte ich Sie, meinen Antrag zu § 3 anzunehmen, wonach die Form, Art und An⸗ bringungsweise der Steuerzeichen die weitere Verwendungsmöglichkeit der bisberigen Packung erhalten muß, andernfalls für die nicht mehr verwendbaren Vorräte von Packungen, Etiketten usw. entsprechende Entschädigung zu gewähren. Ich kann mir nicht denken, daß der Reichstag eine solche Steuer annehmen kann.
Abg. Potthoff (fr. Vgg.): Das große Schweigen im Zentrum und auf der Rechten zeigt mir, daß diese Herren diese Steuer recht bald einheimsen möchten, und insoweit trifft der Opti⸗ mismus des Vorredners, daß es möglich sei, daß der Reichstag diese Steuer nicht annehmen kann, nicht zu. Die Tabaksteuer ist allerdings glatt abgelehnt worden, so glatt, 8h unter unseren Regierungs⸗ verhältnissen diese Ablehnung ohne Rückwirkung auf die Regierung bleiben konnte. Nichts ist fehlerhafter, als von der zunehmenden Ent⸗ wicklung des Zigarettenkonsums eine ernsthafte Gefahr für die Zigarren zu erblicken. Seitdem die Tabaksteuer gefallen in, liegt nicht der geringste Grund mehr vor, die Zigarettenindustrie durch eine Sondersteuer auf Zigaretten besonders zu schüten. Alles, was damals gegen die Tabaksteuer vorgebracht worden ist, gilt, wenn auch in etwas abgeschwächtem Maße, fuͤr eine Ablebnung der Zigaretten⸗ steuer. Diese wird zur Verschlechterung der Qualität der Zigaretten und zu Arbeiterentlassungen führen, namentlich unter der Wirkung
beschäftigt, die sonst keine andere Beschäftigung finden können.
Die Steuer wird entweder vom Fabrikanten oder Händler getragen, dann ist sie eine ungerechtfertigte Gewerbesteuer, oder vom Arbeiter, dann ist sie erst recht falsch, oder vom Publikum, dann ist sie eine Konsumsteuer. Ich leugne absolut, daß die Zigarette ein größerer Luxus ist als die Zigarre, sie ist nur eine Art des Rauchens. Für viele ist die Zigarre ein zu schwerer, zu massiver Genuß. Meine politischen Freunde halten an dem Pro⸗ gramme des § 6 des Flottengesetzes fest, daß keine neuen Steuern auf den Massenverbrauch gelegt werden sollten. Warum setzt man gerade bei einer Industrie, oder vielmehr bei einem Teil einer Industrie, mit dieser gestaffelten Wertsteuer ein? Die Belastung wird ganz un⸗ gleichmäßig wirken, und zwar oben niedriger als unten, sowohl bei den Zigaretten selbst wie beim direkien Tabak. Man sollte die Zigaretten bis zu einem Pfennig ganz steuerfrei lassen. Wenn etwa die Umhüllung mitzubezahlen ist, so ist vorauszusehen, daß die Einfuhr fremder Zigaretten in geschlossenen Kästen überhaupt unter⸗ bleibt. Lanfti werden nur noch die großen Firmen den Markt beherrschen. Die kleineren Existenzen werden vernichtet werden. Das ist eine sonderbare Mittelstandspolitik! Ob ein amerikanischer Trust oder ein deutscher Trust oder ein Kartell oder ein amerikanischer und ein deutscher Trust die Sache machen, kommt auf dasselbe heraus. Die Kosten haben auf jeden Fall die kleinen Händler zu tragen. Zu der Verschiebung in der 8 wird dann noch ein Rückgang des Konsums hinzutreten. Das große Publikum wird sich das Papier kaufen und sich seine Zigaretten selber wickeln. Heute steht ja garnicht fest, was eine Zigarette ist. Es fehlt an einer festen Grenze zwischen Zigarette und Zigarre. Der Staatssekretär hat zwar vorher gesagt, die Zigarillos seien keine Zigaretten und fallen nicht unter dies Gesct er hat uns aber nicht verraten, warum. Ich würde ihm dankbar sein, wenn er uns genau sagte, was „Tabakerzeugnisse von der Art und Form der Zigarette“ sind. In den Kreisen der Zigarrensabrikanten und ⸗Händler berrscht in dieser Beziehung große Besorgnis. Am liebsten würde ich die ganze Vorlage an die Kommission zurückverweisen. Wenn die Fabrikanten zu 90 pCt. gegen die Banderollensteuer sind, so sollten wir das nicht unbeachtet lassen. Vielleicht überkegen Sie sich noch, ob nicht in der Kommission die ungleichmäßige Art der Staffelung, die Ungleichheit zwischen Zoll und Steuer usw. beseitigt werden sollte. Meine Freunde werden sich bemühen, die Steuer so zu ge⸗ stalten, daß sie fuͤr die Industrie leichter ertragbar ist.
Direktor im Reichsschatzamt Kühn: Der Antrag des Grafen Mielzynski bewegt sich durchaus auf dem Boden der Intentionen der Verwaltung, und es wird ihm nicht schwer zu entsprechen sein.
Abg. Molkenbuhr (Soz.): Die Parteien haben sich nicht gefragt, ob ihren ein so antisoziales Gesetz nicht bei den nächsten Wahlkämpfen schaden könnte. Eine ähnliche Erscheinung haben wir in der deutschen Gesetzgebung noch nicht gehabt, nämlich, daß ein Gesetz beraten wird, das im Plenum keine erste Lesung passiert hat. Eine eigentliche Begründung ist für diesen Vorschlag auch nicht gegeben worden, denn es war unmöglich, sie zu geben. Man hat sich auf unendlich viele Sitzungen bezogen, die man mit Sachverständigen abgehalten habe; warum wird das Resultat dieser vielen Sitzungen nicht mit⸗ geteilt? Wir waren an diesen Sitzungen nicht beteiligt, sollen nun aber auf den Boden dieser Vorschläge treten. Die Kommission hat dem Berichterstatter seinen Bericht zurückgegeben, weil von Motiven für diese Vorschläge nichts darin zu finden war; wir haben einen längeren Bericht bekommen, aber von den Motiven fand sich auch jetzt nichts vor. Es muß Geld geschafft werden, denn bern und Flotte sind zu bezahlen, das ist die ganze Argumentation ür diese Vorlage. Und warum ist die Vorlage gerade so und nicht anders gestaltet worden? „Geheimnievoll, am bellen, lichten Tage läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben, und was sie dir nicht offenbaren mag, das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit
des neuen Zolltarifs. In der Heimindustrie werden vielfach Leute 8 1 1 a Viele Mädchen würden gar nicht als Dienstmädchen angenommen werden.
Mittel betrachtet, den Verkehr zu heben und zu wecken. Kleinliche
Dunkelheit beigetrogen. ie Banderolle ist ein Strick nicht nur für
Schrauben.“ Auch der b Held hat heute nichts zur Aufklärung dieser
die Zigar⸗ttenfabrikanten, sondern für die ganze Tabakindu Staatssekretär fogt zwar, die Zigarillos vA; wir E“ aber was wird in der Zukunft gesch hen? In letzterer Linie ent⸗ scheiden auch nicht die Sachverständigen, sondern das Reichsgericht. Die Bestimmung, daß die Tabakerzeugniffe von der Art und Form der Zigarette, bei denen das Papierdeckblatt fehlt oder durch eine andere Decke ersetzt ist, der gleichen Steuer unterworfen werden sollen, ist die Tür, durch welche die Steuer auch in die Zigarrenindustrie hineinkommt. Das Gesetz ist schlimmer als irgend eine Vorlage die jemals gemacht ist. Das Bismarcksche ö von 1882 hätte nicht so unheilvoll wirken können, wie dieses aus dem Hand⸗ gelenk geschüttelte Gesetz, das ein Zigarettensteuergesetz sein soll, aber, wie ich bebaupte, ein Erdrosselungsgesetz auch für die Tabak⸗ und Zigarrenindustrie ist. Der Trust hat in Amerika und England das Mittel angewendet, dem Händler die Pfenaig⸗ zigarette ohne Entrichtung der darauf entfallenden Steuer zu liefern, ihm jedoch die Verpflichtung aufzuerlegen, cine bestimmte Menge teurerer Zigaretten zu nehmen. Das Gesetz ist eine Prämie auf Lohnabzüge. Statt der Landwirtschaft Arbeiter zuzuführen, wie Sie glauben, werden Sie es erleben, daß sich solche noch von der Landwirtschaft abwenden. Die Zigarettenarbeiterinnen haben meist schon als Kinder in Zigarettenfabriken gearbeitet, sie haben weiter nichts gelernt. In dem Augenblick, wo man ihnen d urch die Stever ihre Beschäftigung nimmt, raubt man ihnen jede Existenz, und die Not ist der beste Kuppler; und der Verachtetste ist der, der dem Kuppler Handlangerdienste leistet. Den Zigarrenmachern wird erade die lästige Konkurrenz aus der Zigaretkenindustrie auf den als geschickt. Auch die christlichen Arbeiter werden ein solches . gutheißen wollen. Die Banderolle werden wir bald für alle Zigarrensorten erleben; dann wird auch keine Aussicht mehr auf irgend welche Lohnerhöhung sein, selest wenn die Zigarrenarbeiter sich auf den Kopf stellen. Ein so arbeiterfeindliches, so anti⸗ soziales Gesetz hat kaum je den Reichstag beschäftigt; da begreift man auch das Wunderbare, daß Zentrum und Rechie schweigen. Sie haben die Panzerschiffe bewilligt; aber um die Kosten für ein halbes Panzerschiff aufzubringen, werden Zehntausende von Arbeitern in Not und Elend versetzt! Weil das System durch und durch kultu feindlich ist, verwerfen wir die Vorlage!
Abg. Schmalfeldt (Soz.) sucht in eingehender Ausführung darzulegen, wie durch das Banderollensystem und speziell durch die Vorschrift des Verkaufs in verschlossenen Kästchen die Händler wie die Käufer bezw. Konsumenten durch minderwertige Qualität geschädigt werden müssen, ohne irgendwie zu einer Schadloshaltung gelangen zu können. Ebenso würden ungeheure Lohnreduktionen eintreten, genau wie nach der Tabaksteuererhöhung von 1879; damals hätten die Tabak⸗ arbeiter haufenweise auswandern müssen; ein großer Teil sei nach Amerika und Australien gegangen. Ein schlechtes Vaterland, das nicht einmal Raum für seine eigenen Kinder habe. Wie damals, werde 8 jetzt der größte deutsche Tabakplatz, Bremen, sehr hart betroffen
erden.
Damit schließt die Diskussion über die §§ 2 und 3.
Persönlich verwahrt sich der Abg. Held dagegen, daß ihm von mehreren Seiten die
Aeußerung unterstellt sei, es sei ihm ganz egal, ob der Mittelstand zu Grunde gehe; er habe nur gesprochen von dem unaufhaltsamen Fortschritt.
Nachdem der Referent Abg. Held im Schlußwort noch darauf hingewiesen, daß der sogenannte „schwarze Krause“ von der Zigarettensteuer ausgeschlossen bleiben soll, teilt der Präsident Graf von Ballestrem mit, daß die namentliche Abstimmung über § 2 erst am Dienstag zu Beginn der Sitzung stattfinden wird. .
Nach 61 ½ Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf Sonnabend 1 Uhr vertagt. Danach zweite Lesung der Novelle zum Reichsstempelgesetz.
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— Preußzischer Landtag. 1““ Haus der Abgeordneten. 59. Sitzung vom 4. Mai 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Auf der Tagesordnung steht die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung, Vervoll⸗ ständigung und bessere Ausrüstung des Staats⸗
Feisenbahnnetzes und die Beteiligung des Staats
an dem Bau von Kleinbahnen.
Ueber den Beginn der Verhandlungen ist in der gestrige Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Macco (nl.): Ich schließe mich den Worten der Traue um den Minister an; er hat die Eisenbahn in erster Linie als ein bureaukratische Bedenken lagen ihm fern, und ich glaube, er hat einen neuen Geist der Pflicht in die Verwaltung hineingebracht ich hoffe, daß dieser Geist erhalten bleibt, ihm zu Ehren und zum Andenken, der Verwaltung zum Nutzen. — Die Nebenbahnvorlage 8 beansprucht ein sehr großes, allgemeines Interesse, sie ist uns in diesem Jahre in weit größerem Umfange als bisher vorgelegt worden. Die Eisenbahnverwaltung hat damft anerkannt, daß die Bautätigkeit energischer als bisber vor sich gehen solle.é Besonders begrüße ich mit lebhafter Freude, daß für Bet iebsmittel hundert Millionen eingestellt sind von den 271 Millionen, die insgesamt ausgeworfen sind. Für neue Bahnen von 632 km sind 89 Millionen eingestellt. Meine Freunde erklären sich mit den Gründen einverstanden, die zu einer stärkeren Berücksichtigung des Eisenbahnbaues im Osten geführt haben; wir möchten doch aber bitten, daß neben diesen maßgebenden sozialen und politischen Gründen auch die wirtschaftlichen Gründe nicht zurückgestellt werden, die der Westen mehr für sich geltend machen kann. In die Vorlage sind auch Posten ein⸗ gestellt für den Ausbau zweigleisiger Nebenbahnen. Schon 1904 besaßen wir an solchen zweigleisigen Nebenbahnen 262 km. Der zweigleisige Ausbau mußte vorgenemmen werden, weil auf diesen Linien 44 bis 63 Züge täglich verkehren. 11879 hat man bei der Einrichtung der sogenannten Nebenbahnen diese als reine Lokal⸗ bahnen schaffen wollen; der Ausbau zweiter Gleise beweist aber, daß die Nebenbahnen diesen Charakter zum Teil ver⸗ loren haben und Vollbahnen geworden . ohne daß sie den damit erwachsenden Aufgaben als Vollbahnen immer entsprechen können. Es muß ferner eine größere Zuggeschwindigkeit auf den Nebenbahnen erreicht werden, was auch die Eisenbahnverwaltung bereits anerkannt hat. Die Gütertarifierung ist eines der wichtigsten Momente für die Entwicklung der Nebenbahren. Darin soll jetzt eine Aenderung von der Verwaltung beabsichtigt sein dabin, daß nicht mehr nach dem kürzesten Wege gerechnet werden soll; dieser Punkt muß jedenfalls in der Kommission klargestellt werden. Die Nebenbahnen sind ein wichtiges Glied innerhalb der Hauptbahn⸗ linien, für die sie die Zubringer sind. Es ist daher ein Unrecht, wenn man für die Nebenbahnen zu hohe Opfer von den Interessenten in bezug auf den Grunderwerb verlangt. Der Bau der Nebenbahnen beruht im wesentlichen auf dem Drängen der Interessenten, in olge dessen dann erst die Projekte von der Eisenbahn⸗ und der Finanz⸗ verwaltung 8 rüft werden. Diese Art der Entstehung unserer neuen Eisenbahnen bedingt, daß zu sehr die lokalen Interessen hineinspielen und daß kein großtügiges Verkehrsprojekt entsteht. Die Eisenbahndirektionen beschäftigen sich daher zu sehr mit den lokalen Interessen. Die Eisenbahnverwaltung müßte selbst auf Grund der Statistik die Güterbewegung beobachten und feststellen, wo eine Verkehrsbewegung zurückbleibt und wo eine Abhilfe durch neue Projekte notwendig ist. Ich will den Herren im Ministerium keinen Vorwurf machen, aber die jetzige Organisation ist fehlerhaft. Es