1907 / 55 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

der Universitäten beitragen. Es haben sogar ausländische Studenten bei den Wahlen für die Sozialdemokraten agitiert. Von erschwerenden Aufnahmebestimmungen für die ausländischen Studenten müßten aber die Deutsch⸗Oesterreicher ausgenommen werden, denn diese sind deutschfreundlich und haben sich über den Ausfall der Wahlen ge⸗ Die Bestimmungen der Reichsangehörigkeit müssen jeden⸗ alls reformiert werden. Das Wahlergebnis fordert uns zur ortführung der sozialen Gesetzgebung, zu einer Vereinfachung dieser Gesetzgebung auf. Die Altersrenten müßten schon mit vollendetem 65. Lebensjahre gewährt werden. Auch die eege der Heimarbeit bedarf einer Regelung. Die Rechtsfähigkeit,, er Berufsvereine müßte anders geregelt werden, als es uns in der 7 lage vorgeschlagen war. Wir hätten ein solches Gesetz chon gehabt, wenn nicht von der Sozialdemokratie immer wie 1 eunruhigungen erzeugt würden. Diese hat sich immer enß Hindernis der Sozialreform erwiesen und so ist es erklärlich, 8 man mit der Verleihung der Rechtsfähigkeit der ne nicht der Sozialdemokratie in die Hände arbeiten wollte. 39 Partei will eine Partei der politischen Freiheit sein; sie berei 8 aber anderen, die anderer Ansicht sind, Schaden und bhrfstehh 2 In Meißen sagte der Abg. Fräßdorf vor den Stichwahlen, die rbeiter sollten sich die Handwerker und Geschäfte recht genels merken, die für einen nationalen Kandidaten eintreten. Als ich ihm vorhielt, das wäre der Boykott, erwiderte er, nein, das wäre 9 nicht, er wolle die Arbeiter bloß warnen. Der Abg. Fräßdorf heit bamn Vorträge in Sachsen, wie sich die Arbeiter in Sachsen nach dem Ausfa der Wahl als Konsumenten verhalten sollen. Dieses Thema allein sagt schon genügend. Trotzdem „berichtigt“ Fräßdorf in einem Dresdener Blatt, daß kein Boykott beabsichtigt sei, denn er sei unmoralisch; wenn man aber bei den Leuten, die sich in der Beschimpfung der Sozialdemokratie hervorgetan hätten, nicht kaufen wollte, dann kaufe man „bei sich selbst“, in den sozialdemokratischen Konsumvereinen. Diese Worte, auf ihren wahren Inhalt geprüft, zeigen die Partei⸗ moral von einer recht bedenklichen Seite. Die Thron⸗ rede gedenkt der sozialen Fürsorge in beredten Worten 15 aber wo bleibt der Mittelstand? Den erwähnt sie mit keiner Silbe. Und gerade der Mittelstand hat bei den Wahlen ein ausschlaggebendes Gewicht in die Wagschale geworfen. Aus der Zersetzung des Mittel⸗ standes hat immer und immer wieder die Sozialdemokratie ihre Anhänger gewonnen. Das seßhafte Bürgertum darf also nicht ohne Schutz gelassen werden. Dankenswerterweise hat der Kanzler diese Lücke der Thronrede ergänzt. Wir müssen aber auch wieder zu einer seßhaften Arbeiterschaft gelangen, um der sozialdemokratischen Agitation einen Riegel vorzuschieben. Die Sozialdemokratie hat ja stets gegen die Seßhaftmachung gearbeitet; brachte doch kürzlich die sozialdemokratische Bremer Bücgerzeitung einen Artikel: „Los von Grund und Boden“ müsse der Arbeiter. Bekämpft werden müssen vor allem auch die Vampyre, die am Blute des Mittelstandes saugen; das wird geschehen durch die mannigfachen Maßnahmen, welche besonders von unserer Seite seit Jahren vorgeschlagen sind. Nach den Flugblättern im letzten Wahlkampfe sind beinahe sämtliche Parteien für den Mittelstand eingetreten, sogar die Sozialdemokraten. Was ist denn das für eine Liebe zum Mittelstande? Das ist die Liebe des Hahns zum Regenwurm, den er verspeisen will. Praktische Mittelstandspolitik muß auch getrieben werden durch Aufbesserung der Beamtengehälter, da ja von dem großen industriellen Aufschwung die Beamten nichts abbekommen haben. Das Weingesetz muß durch eine staatliche Kellerkontrolle ergänzt werden. Das negative Wahlprogramm des Kanzlers genügt nicht, es muß ein positives nationales Programm hinzutreten. Das Volk hat dem nationalen Gedanken zum Siege verholfen, und zwar trotz mancher Enttäuschungen. Steuervorlagen wie die vorjährigen dürfen nicht wiederkehren; sind es doch diese Fehler der Regierun gen, die immer wieder Wasser auf die sozialdemokratischen Mühlen treiben. Wir brauchen eine Wehrsteuer, eine Vermögenssteuer, eine progressive Reichseinkommensteuer, der die Erbschaftssteuer den Weg ja doch geebnet hat. Die Regierung darf nicht stumm bleiben im Wahlkampf, aber gegen den Vorschlag des Abg. Liebermann von Sonnenberg, der Regierung einen Wahlfonds aus Reichsmitteln zur Verfügung zu stellen, muß ich schärfsten Widerspruch erheben, denn das wäre der Weg zur Korruption. Schon der Generalmajor Keim ist über den richtigen Weg und das Ziel weit hinausgegangen. Der alte Indifferentismus bei der Wählerschaft ist fast geschwunden. Gewiß hat auch die Sozialdemokratie noch gewonnen, aber in den meisten sächsischen Wahlkreisen hat sie verloren, am meisten in meinem Wahlkreise, nämlich über 2000 Stimmen. Es müssen also auch in den Arbeiterkreisen Bedenken über die sozialdemokratischen Theorien und ihre antinationale Spitze aufgestiegen sein. Wir sind verpflichtet, unermüdlich weiterzuarbeiten, wenn die Wahlen wirklich einen Wendepunkt in unserem Geschick und eine Erneuerung unseres politischen Lebens bedeuten sollen.

Abg. Payer (D. Volksp.): Am vierten Tage unserer Etats⸗ beratung sticht diesmal doch der Anblick des Hauses, seine starke Besetzung und die Aufmerksamkeit der Hörer vorteilhaft gegen früher ab; so daß dem Reichstage der Wahlkampf auch rein ußerlich sehr gut bekommen zu sein scheint. Am besten ist jedenfalls der Wahlkampf dem Reichskanzler bekommen. Seine Politik ge. winnt täglich zusehends mehr ein bestimmtes Gesicht. Früher stützte er sich bald auf die eine, bald auf die andere Partei; jetzt mahnt er zu festem Zusammenschluß. Er hat auch der liberalen Linken eine Reihe von Anerbietungen gemacht, die doch etwas mehr sind als Blumen, wie gestern behauptet wurde; er hat sogar eine Reform des Börsengesetzes angekündigt. Sies. Reform ist gerade diejenige, bei der ihm Folge zu leisten die rechte Hälfte der neuen Mehr⸗ heit am allerwenigsten geneigt sein wird. Er hat dann auf Ersparnisse durch Vereinfachung in der Armee hingewiesen. Diese Ankündigung, die meinem Standpunkte von jeher entspricht, begrüße ich aufs allerleb⸗ hafteste, obwohl ich mich wundere, daß gerade von seiner Seite dieser Vorschlag gekommen ist, denn bisher hat man eine derartige Absicht nicht gerade als das charakteristische Zeichen der Angehörigkeit zu einer nationalen Partei oder Mehrheit angesehen. Wenn der Reichskanzler auch nur das alles ausführen will, was er uns auf der Linken angekündigt hat, so wird er eine große Reihe schwie⸗ riger Widerstände auf seinem Wege treffen. Ich kann nicht hoffen, daß die konservativ⸗liberale Mehrheit ihm darin eine wesent⸗ liche Unterstützung sein wird. Die konservativ⸗liberale Paarung, wie

man sie mit einem intimeren Ausdruck nach meinen Wahrnehmungen die merkwürdige Eigenschaft, daß sie zustande gekommen ist, ohne daß die dafür Interessierten dabei tätig gewesen sind; das war eine Fernwirkung. An einen längeren Bestand dieser Paarung glaube ich nicht. Das Un⸗ lück wird auch nicht so groß sein, denn wir werden auch ohne ein solches Kartell rechts und links zusammengehen, soweit wir zusammengehen können, und wir wollen hoffen, daß es sich dabei sehr häufig um sogenannte nationale Fragen handeln wird. Mich haben die warmen Worte, die der Reichskanzler dem Kartell gespendet hat, an eine Aeußerung des General⸗Feldmarschalls Grafen Molrk⸗ über den ewigen Frieden erinnert. Er sagte, dieser ewige Friede wäre ein Traum und nicht einmal ein schöner. Der Reichskanzler hat aber damit einen Wechsel an die gesamte liberale Richtung in Deutschland ausgestellt und er muß diesen auch einlösen. Aus der bisherigen Stagnation war die

ie des Zentrums und der Sozialdemokraten heraus⸗

jetzt zu benennen pflegt, hat

entrum zu lösen, daß ein liberalerer Gei er deutschen Te. ee ihe sind alle bisher fern gebliebenen Wähler ihm mit ihrem Stimmzettel zur Hilfe geeilt. Ein anderer Teil derjenigen, die in diesem Wahlkampf eine veränderte Stellun eingenommen haben, waren die sogenannten Mitläufer der Sozial⸗ demokratie, die glaubten, sich nicht passiv verhalten, sondern ihrer Unzufriedenheit durch die Unterstützung der allerradikalsten Richtung Ausdruck geben zu sollen. Diese sind im Laufe der Zeit allmählich doch zu der Einsicht gekommen, daß sie durch diese ihre Taktik Bestrebungen unterstützen, denen sie in ihrem Herzen eigentlich feindlich gegenüber stehen. Die nötige Belehrung haben sie wahrscheinlich aus den sozialdemokratischen Parteitagen ent⸗ nommen. So leicht haben es die Großen der Erde, daß, wenn sie nur ein wenig guten Willen dokumentieren, sie die Sympathie der Bevölkerung von allen Seiten im Augenblick für sich haben. Mit wenigen Worten gelingt es ihnen, ein großes Stück Pessimismus in der kürzesten Frist in ein ebenso großes Stück Optimismus zu ver⸗ wandeln. Mit wenigen Worten können sie eine große Zahl Unter⸗ gebener und eifriger Mitarbeiter um sich scharen. Aber eine Gefahr liegt darin: eine Enttäuschung darf, nachdem einmal dieser Appell er⸗ folgt ist, nicht mehr eintreten. Eine derartige Enttäuschung würde einen Rückschlag von unübersehbaren Folgen für unsere ganze Ent⸗ wicklung verursachen, uns wahrscheinlich auf Jahre hinaus in unserer inneren Entwicklung zurückbringen. Ich bin allerdings der Meinung, im gegenwärtigen Augenblick liegt nicht das geringste An⸗ zeichen dafür vor, daß eine solche Enttäuschung zu erwarten ist. Aber das muß jeder und auch der Reichskanzler einsehen: mit der Taktik, die er in den letzten Tagen eingeschlagen hat, hat er die Linke hinter sich gehabt. Auf seine Vergangenheit darf er nicht mehr zurückgreifen. Wenn er sich jetzt mehr auf die liberale Rich⸗ tung stützt, so ist das nicht sein ganz freier Wille, sondern ent⸗ spricht einer inneren Notwendigkeit der Situation, in die er sich, wie ich hoffe, mit freiem Willen und mit Bedacht hineinbegeben hat. Den Anforderungen, die wir an ein liberales Programm stellen, entspricht das, was der Reichskanzler sagte, noch nicht, und es ist außerordentlich bedauerlich, daß der Reichskanzler die Not⸗ wendigkeit seines liberalen Programmes nicht schon vor vielen Jahren eingesehen hat, sondern erst jetzt unter etwas veränderten Umständen. Er wird, ehe er dieses Programm durchgeführt hat, manche bittere Erfahrung machen müssen. Schon in seiner nächsten Umgebung wird er kaum eine Unterstützung, aber sehr viel Anfeindung und Gegnerschaft finden. Die Rechte, die gestern zwar durch den Abg. Gamp hat erklären lassen, daß sie für die Realisterung dieses Pro⸗ gramms wenigstens in einzelnen Richtungen einzutreten geneigt sein würde, wird sich bald auf die sogenannte Form des passiven Wider⸗ standes werfen, mit dem sie schon größere Erfolge in früheren Jahren erzielt hat, und wie ich die Gutmütigkeit des Zentrums einschätze, wird das Zentrum nicht einmal sich mit einem passiven Widerstand begnügen, sondern einen recht aktiven Widerstand dem Reichskanzler entgegenzustellen bemüht sein Es ist ausgeschlossen, daß der Reichskanzler alles, was er vorhat, mit seiner Person und mit der Unterstützung, die er in den Kreisen der Reichsregierung finden wird, durchsetzen kann. Er wird es nur durchhalten können, wenn er sich auf die Unterstützung der bürgerlichen Linken ganz anders verläßt als bisher und einsieht, daß er auf sie mehr angewiesen ist, als er im gegenwärtigen Augenblick sich vorstellen mag. Aber die Vertreter des deutschen Bürgertums trifft damit auch eine große Verantwortung. Wir müssen uns vollständig klar darüber sein, daß wir verpflichtet sind, nicht aus persönlichen Gründen, sondern aus sachlichen heraus diese liberale Politik des Reichskanzlers nach vollen Kräften zu unterstützen, und daß wir uns des größten Fehlers schuldig machen würden, wenn wir es an dieser Unterstützung fehlen ließen. Wir müssen uns klar sein, daß es unsere Aufgabe ist, das Programm des Kanzlers noch zu vertiefen, wie es unserem inneren Auge vorschwebt. Sie können doch nicht verlangen, daß wir nach dem Kartell unser Programm, unsere Bestrebungen einpacken werden. Wir sind gewiß dann un⸗ eigennützige Politiker, aber so uneigennützig sind wir denn doch nicht, unsere Bestrebungen aufzugeben. Mit unseren persönlichen Wahlsorgen will ich Sie nicht behelligen, obwohl ich versichern kann, daß auch die Deutsche Volkspartei für die Redlichkeit ihrer Wahltaktik und für die Verworfenheit ihrer Gegner Ihnen überzeugende Beweise geben könnte. Nicht bloß in Süddeutschland wird man sich einer Wahr⸗ nehmung nicht entzogen haben, des Zuströmens jüngerer Agitatoren in unsere Reihen und einer weitverbreiteten Neigung, die geheiligten Parteigrenzen nicht zu respektieren, sondern sich zusammenzufassen für die Freiheit und den Liberalismus. Die Jugend, welche die Universität verlassen hat und in den Kampf eingetreten ist, hat sich ganz anders entwickelt, als man in der letzten Zeit erwartet hat. Die politische Blasiertheit ist sehr im Schwinden begriffen. Unsere Jugend will Anteil haben am politischen Leben, sie wendet sich jetzt auch von der sozialdemokratischen Partei ab, wie Südekum in Nürnberg selbst zugegeben hat. Die Jugend paßt sich vielleicht nicht so sehr wie früher der Parteischablone an; sie verlangt eine durchaus entschiedene einheitliche großzügige demokratische Politik im Innern. Dagegen will sie auf dem Gebiete der Kolonial⸗ verwaltung mehr entgegenkommen, als wir es bisber getan haben. In der Kolonialpolitik aber z. B. werden wir eine andere Ver⸗ waltung fordern, daß der Herr Leutnant und Assessor in den Kolo⸗ nien auf das Niveau zurüͤckgeschraubt werden, wohin sie gehören. In der inneren Politik werden wir von dem alten Untertanen⸗ verstand nichts wissen wollen, wir werden auf eine Ein⸗ wirkung auf die Geschicke der Nation nicht verzichten wollen. Diese Gesichtspunkte haben uns zu einer Einigung der drei Gruppen veranlaßt. Damit geben wir auch der Sozialdemokratie Gelegenheit, an der Förderung demokratischer Bestrebungen mitzuwirken. Wenn der Reichskanzler die „nationale Mehrheit“ auf die Dauer hinter sich haben will, dann wird er den liberalen Friedens⸗ bestrebungen ganz anders entgegenkommen müssen. Unsere beklagens⸗ werte Isolierung ist unzweifelhaft mit berbeigeführt worden durch die Haltung unserer Delegierten auf der ersten Haager Konferenz. Bei gutem Willen kann auch dieser Kongreß viel erreichen, z. B. in der Frage des Schutzes des Privateigentums auf dem Lande im Falle eines Krieges. Die Inkongruenz zwischen dem Schutz des schwimmen⸗ den Eigentums auf der See und des Eigentums auf dem Festlande ist unbegreiflich. Daran wird der Kanzler, wenn er wirklich dem Liberalismus näher treten will, sich erinnern müssen, daß er auch preußischer Ministerpräsident ist. Die Reichsverdrossenheit resultiert aus dem Mangel an Uebereinstimmung in der inneren olitik des Deutschen Reiches und der inneren Politik des Königreichs 88 Man kann überhaupt nicht im Reiche und in 552 leichzeitig rückschrittlich regieren; noch weniger können das dieselben Heseen Die Zusagen im Reiche haben nur einen sehr bedingten Wert, wenn sie nicht gleichzeitig in Preußen wirken. Darum muß an eine Aenderung des Wahlrechts in Preußen herangegangen werden. Würde in Preußen und im Reiche konstitutionell regiert, so müßte die Re⸗ gierung das größte Gewicht auf die Volksvertretung legen, während heute eine Divergenz der Interessen vorhanden ist. Wir wollen ab⸗ warten, wie viel Jahre der jetzige Zustand noch dauern wird. Es ist bedenklich, wie Preußen im Wahlrecht zurückgeblieben ist hinter den mittleren und kleineren Staaten. Fast alle von diesen haben das all⸗ gemeine Wahlrecht eingeführt. Preußen aber konserviert mit der 8 ten Kaltblütigkeit ein Wahlsystem, das durchaus veraltet ist. über die Schulfrage lassen sich manche Worte sagen; ich will

wachsen. Hunderttausende von Wählern hat die Energielosigkeit der egierung in der inneren Politik mit einer solchen Resignation erfaßt, daß sie an jedem bürgerlichen Fortschritt vollständig verzweifelten und daß sie es seit vielen Ibhren nicht mehr für nötig erachteten, den Weg zur Wahlurne anzutreten. Aus dem Teile der Wahlparole der Regierung, der sich gegen das Zentrum richtete, glaubten sie aber die Berechtigung entnehmen zu dürfen, Morgenluft zu wittern. Sie faßten die Hoffnung, daß das, was ihnen seit langem als unerträgliche. Druck erschienen ist, die Freundschaft zwischen Reichs⸗ kanzler und Zentrum, durch eine bessere Gestaltung der Dinge ab⸗ gelöst werden würde, und in dem Augenblick, als der Reichskanzler klamiert hatte, daß er beabsichtige, dieses Band zwischen sich und

nur bemerken, ich halte es für unmöglich, daß der Kanzler auf die Dauer eine wirklich liberale Politik im Reiche mit uns auf der Linken treiben kann, wenn er gleichzeitig einem preußischen Staats⸗ ministerium vorsitzt, dem Dr. von Studt angehört, dessen Politik das Gegenstück von einem gesunden und vernünftigen Forlschritt ist. Es wäre auch vielleicht an der Zeit, von der zweijährigen Dienstzeit bei den berittenen Waffengattungen zu reden. Es wird sich ja zeigen, wie weit der Kanzler Wert auf die Mitwirkung des Liberalismus legt. Die Fäctn der Zeit, wie er sie selbst uns ausgelegt hat, wird er hoffentlich verstehen und . handeln. Wir werden unser⸗ seits bemüht sein, ihm unsere Mitwirkung nach besten Kräften zur Verfügung zu stellen. Wir bilden uns dabei kein

ein wirklich demokratischer Zug durch die Reichsregierung hindurch⸗ gehen wird; wir wissen aber auch, daß es im Deutschen Reiche länger nicht so fortgehen konnte und daß diesem Satz noch ein zweiter Satz angefügt werden muß: folglich muß es im Deutschen Reiche anders werden! Daß die Nation mit einer Entwicklung nach rechts befriedigt würde, wird wohl niemand glauben: die Entwicklung muß nach links gehen. Nur diese Entwicklung kann uns vor einem Reöcfal in das Elend retten, dem zu entrinnen wir eben erst begonnen aben.

Abg. Gröber (Zentr.): In dem Fortgang der Debatte ist es jetzt wichtiger, statt auf die Einzelheiten des Etats auf die großen Ge⸗ sichtspunkte einzugehen, welche die Erörterung über die Wahlen guf⸗ geworfen hat. Der Reichskanzler hat hingewiesen auf eine vertrauliche Besprechung, welche am 10. November zwischen ihm, dem Kolonial⸗ direktor, dem Abg. Spahn und mir stattgefunden hat. Dabei erwähnte der Kolonialdirektor das Vorhandensein innerer Zerwürfnisse mit der Mission in Togo. Das - den Kollegen Spahn zu der Frage⸗ ob ihm Einsicht in die Akten gestattet sein würde. Der Reichskanzler gestattete dies; und der Kanzler sandte ihm einige Tage später einen Aktenauszug ein, in dem war gerade über den betreffenden Punkt ein Aufschluß nicht vorhanden. Als der Abg. Spahn darauf zurückkam, wurde ihm ein Protokoll entgegengehalten, wonach das ursprüngliche Abkommen über den strittigen Punkt durch ein späteres Abkommen aufgehoben worden war. Auf diesen Punkt allein beschränkt sich die Beschwerde des Reichskanzlers; denn er selbst hatte bei den damaligen Debatten die Haltung zweier Redner der Fraktion anerkannt und er kannte auch die Aufnahme der Eisenbahnforderung in der Budget⸗ kommission. Diese Tatsachen zeigen, daß die Fraktion lediglich nach sachlichen Gesichtspunkten Stellung genommen hat. Die Bahn nach Keetmanshoop wurde 1906 im Frühjahr abgelehnt, weil sie lediglich mit militärischen Gesichtspunkten begründet war und der Reichstag sich sagte, daß der Bau einer Bahn lediglich damit nicht begründet werden könnte, denn sie sollte erst 8b werden im November und der Bau sollte mindestens zwei Jahre dauern, die Bahn konnte also für den Feldzug praktisch gar nicht mehr in Betracht kommen. Deshalb wurde damals die Bahn abgelehnt. Der Kolonialdirektor Dernburg hat im November 1906 selb anerkannt, daß jene Begründung eine unzulängliche gewesen ist. Er hat deshalb eine ganz neue, mit wirt⸗ scheftlichen Nachweisungen 8 Begründung gegeben, die uns zur Bewilligung veranlaßte; wir haben sie bewilligt am Mittag desselben Tages, an dessen Abend der Reichstag aufgelöst wurde. Der Antrag Hompesch war von uns eingebracht; derselbe enthält keinen Termin für die Verringerung der Schutztruppe und damit auch keinen Ein⸗ griff in die Kommandogewalt, er verlangte nur für den Rest des Etatsjahres Vorbereitung für die Verringerung; ich will die Gründe für die Ersparnis zahlreicher Millionen, für die Ersetzung von Schutz⸗ truppen durch billigere Polizeitruppen nicht wiederholen. Der Kanzler behauptet, das Zentrum habe gemeinsam mit der Sozial⸗ demokratie vor Einstellung der Operation, vor Beendigung des Auf⸗ standes nur 2500 Mann dort belassen wollen. Aber tatsächlich hat die Sozialdemokratie nicht mit uns, sondern gegen uns gestimmt, und im Plenum kam es nur deshalb nicht zur Abstimmung, weil es der Kanzler mit der Auflösung so eilig hatte, daß er eine Abstimmung ar nicht mehr abwartete. Der Reichskanzler möge uns doch den

ermin bezeichnen, den wir vorgeschlagen haben! Nicht einmal für das Etatsjahr 1907 war die Herabsetzung auf 2500 Mann formell gefordert; über die wirkliche Herabsetzung hätte frühestens das Etats⸗ esetz für 1907 die Entscheidung treffen können. In unserer Fraktions⸗ tzung soll ein lebhafter Streit entstanden sein und die alten Parlamentarier seien in der Minderheit geblieben, so meinte der Abg. Gamp. Das ist eitel Geflunker, gelogen und erfunden von Anfang bis zu Ende. Der Abg. Gamp ist das Opfer falscher Berichte ge⸗ worden. Wir haben in aller Ruhe über die Sache debattiert, ein Grund zur Differenz war gar nicht vorhanden und der Beschluß ist einstimmig gefaßt. Der Reichskanzler nimmt sogar an, die Rede des Abg. Roeren über die Behandlung der Eingeborenen in Afrika sei ein Akt der Feindseligkeit gegen ihn gewesen und der Grund für die Ab⸗ lehnung eines Teils des Nachtragsetats durch die Zentrumsfraktion. Der Chef der Reichskanzlei, Geheimrat Loebell, der rechts vom

edner steht, ruft diesem einige Worte zu, der Redner protestiert eifrig hiergegen und wird dabei von seinen Fraktionsgenossen unterstützt, während ihm von der Rechten widersprochen wird; er sagt unter anderem: Fv2 Schutz des Präsidenten nicht bekomme, so

ütze ich mich selber. 1 sc e ich müch Dr. Paasche: Der Geheimrat von Loebell hat so leise gesprochen, daß es mir absolut nicht möglich war, seine Worte zu hören. Der Zuruf war auch nicht so laut, daß ein anderer von den Herren ihn hätte hören können. Der Redner hat es gehört, weil es zu ihm direkt gesagt war. Der Vorwurf gegen den Präsidenten, daß er nicht seiner Pflicht genügt hätte, ist ungerecht. .

Abg. Gröber (fortfahrend): Der Reichskanzler hat die Ablehnung für eine Strafe wegen der Behandlung des Abg. Roeren durch den Kolonialdirektor gehalten; die Zentrumsfraktion habe die Absicht 8 habt, die Regierung zu ducken, und das könne eine Regierung ch nicht gefallen lassen. Es muß sich hierbei um eine fortlaufende Kette von Irrtümern des Reichskaänzlers handeln, durch die er zu falschen Schluͤssen bezüglich derjenigen Vertreter der Zentrumsfraktion, welchen er bisher sein Vertrauen geschenkt hatte, gelangt ist. Vielleicht hat

die Vorgänge in Fgs Diese enthält nichts persönlich gegen den Kolonialdirektor, denn sie behandelte Vorgänge, die gar nicht in seine Amtsführung fallen. Dagegen war die erste Entgegnung des Kolonialdirektors persönlich zugespitzt und in recht uahöflichen Formen gehalten. Die Annahme des eichskanzlers, die Zentrums⸗ fraktion habe ihn durch die Ablehnung des Nachtragsetats für Süd⸗ westafrika strafen wollen für die Behandlung Roerens, können wir schlagend widerlegen durch den Hinweis darauf, daß schon mehrere

offiziellen Fraktionsredner der Partei eine Beschleunigung in der Rücksendung der Schutztruppen ausdrücklich und ganz entschieden ver⸗ langt haben. Zuerst der Abg. Schaedler am 28. November und am 30. November gleichfalls namens der Fraktion der Abg. Erz⸗ berger. Das, was mehrere Tage danach passierte, hat auf die Ent⸗ chließungen des Zentrums also gar keine 8, gehabt. D usführungen des Reichskanzlers zeigen aber, mit wie p chi

er einen Abgeordneten des Zentrums und der liberalen Parteien behandelt. Man bedenke nur die Rede des Abg. Müller⸗Meiningen, die dieher über die Kolonialskandale in eben diesen Tagen gehalten hat.

will ihm keinen Vorwurf machen, sondern nur die Tatsache konstatieren, daß er am 4. Dezember nicht nur die schwersten Vorwürfe gegen die Kolonialverwaltung, sondern auch gegen die Person des Reichskanzlers erhoben hat. Er hat dafür weder bei dem Reichskanzler noch bei dem Kolonialdirektor ein Wort des Tadels gefunden. (Zurufe links. Glocke des Präsidenten. Vizepräsident Dr. Paasche: Ich habe den Abgeordneten Zwischenrufe zu schützen und bitte deswegen, keine Zwis 1g zu machen.) Der Abg. Dr. Müller⸗Meiningen stellte sogar Aussicht, daß bei dem Etat noch viel tollere Dinge vorgetragen werden würden. Nun, es gibt ja in dieser Session auch einen Etat und der Abg. Müller⸗ Meiningen ist wieder Mitglied des Hauses, wir wollen also ab⸗ warten. Gegen den Reichskanzler speziell richtete Dr. Müller⸗ Meimningen den schweren Vorwurf, er, der Reichskanzler, habe gewußt, welche schlimme Wirtschaft im Kolonialamte bestehe, und habe trotzdem nichts getan. Dagegen sagt weder der Reichskanzler noch der Kolonial⸗ direktor ein Wort, während man über den Abg. Roeren her⸗ gefallen ist. Gewiß besteht dieser Gegensatz in der Behandlung, wir be⸗ zweifeln nicht, daß er einem wohldurchdachten Plane entspricht. Ich wollte aber nur zeigen, wie das gemacht wird. Dasselbe trifft für die Anträge Heen. . und Ablaß bezüglich der vec. für die Ver⸗ ringerung der Schutztruppe zu. Der Antrag Hompesch soll einen Ein⸗ griff in die Kommandogewalt bedeutet haben, der Antrag Ablaß aber nicht. Beide verlangten doch, daß im Etatsgesetz eine Verminderung der Stärke der Schutztruppe vorgesehen werden sollte. Sie unter⸗ scheiden sich nur insofern, als der Antrag Ablaß sich auf die

Forderung beschränkte, es sollten Vorbereitungen zu einer 9 1

der Reichskanzler auch die erste Rede des Abg. Roeren Mlese 1.8 erle

Tage vor dem Zwischenfall Roeren⸗Dernburg, am 3. Dezember die

iedenem Maß

8

gesetzt, ohne daß man dies für ein staatsgefährliches Unternehmen und

8 8

ddeer sagte, das

man sich nicht wundern über das, was erst in Versammlungen, Flug⸗

Siedehitze von Haß und Wut gegen das böse Zentrum auf⸗

Wahl auch Marinesoldaten beansprucht hat?

Verfügung gestellt habe. mandiert werden? Der Reichskanzler sieht das Unrecht nur auf der anderen Seite; was bei ihm bei seinem Flottenverein, geschieht, das

erheblichen Verminderung getroffen werden, während der Antrag des Zentrums die Vorbereirungen einer Verminderung der Schutztruppe auf 2500 Mann verlangte. Im Prinzip sind beide Anträge Reich. Beide Anträge bringen zum Ausdruck, daß dem

ichstag das Recht zustehe, zu verlangen, im Etat festzu⸗ legen, daß die Schutztruppe vermindert werden soll; darum handelt es sich. Es können nur beide Anträge rechtlich entweder zu⸗ lässig oder unzulässig sein. Enthielt der Zentrumsantrag einen Ein⸗ griff in die Kommandogewalt, so enthielt einen solchen auch der An⸗ trag Ablaß. Es ist nur ein quantitativer Unterschied, das scheint auch die Kolonialverwaltung gefühlt zu haben, denn der Kolonialdirektor er⸗ klärte am 13. Dezember: Die verbündeten Regierungen stehen dem Antrag Ablaß insofern freundlich gegenüber, daß, wenn die Regierungs⸗ vorlage abgelehnt wird, sie diesen Antrag dahin interpretieren, daß die Einsetzung der einschränkenden Bedingung in das Dispositiv irgend einen Eingriff in die Kommandogewalt nicht bedeuten soll. Es sollte also nur auf die subjektive Auslegung ankommen. Bei den uten Herren vom Freisinn vermutet man nur die gute, beim bösen Fertamn nur die böse Absicht. Der Reichskanzler hat sodann die

usführung des Abg. Spahn mit einem gewissen Hohn beantwortet, zu diesem Hohn hat die Zentrumspartei keinen Anlaß gegeben. Ihr ist es niemals eingefallen, das Recht des Bundesrats zu bestreiten. Wir sehen aber allerdings darin eine Verletzung der Ehre der Nation, wenn man aus der Ablehnung von 8 bis 9 Millionen bei einem Etat, der in der Ausgabe eine Milliarde überschreitet, eine hochwichtige große nationale Frage macht und dem Zentrum wegen der Ablehnung von 8 bis 9 Millionen Mangel an nationaler Gesinnung vorwirft. Im Frühjahr 1906 mitten während des Feldzugs sind 15 Millionen ohne die geringste Beanstandung seitens der verbündeten Regierungen ab⸗

einen Eingriff in die Kommandogewalt erklärte. Der Abg. Bassermann hat einen merkwürdigen Einwand gefunden; er meinte, der Abstrich der 15 Millionen sei ja von der Regierung akzeptiert worden. Damit ei festgestellt, daß keineswegs ungenügende Mittel bewilligt worden eien, also mit anderen Worten, daß zu viel gefordert ist. Zulässige tatsabstriche können wir doch nicht davon abhängig machen, ob die Regierung es genehmigt oder nicht, ob der Reichskanzler seinen Segen dazu gibt. Wir halten eine solche subalterne Auffassung für unwürdig eines freien Parlaments. Bei solcher Auffassung soll man lieber die Reichstagsbude schließen und es dem hohen Bundesrat überlassen, die Entscheidung zu treffen, da er ja wohl über den be⸗ schränkten Untertanenverstand erhaben ist. Der Reichskanzler hat dem Zentrum ein großes Loblied singen müssen gegen seinen Willen; er sprach von dem Ausbau der Flotte, dem Zolltarif, der Zuckerkonvention, den Handelsverträgen. Noch weiter ging der Abg. Bassermann, was mich überrascht hat (Zuruf: Gerührt ?), gerührt nicht, darüber bin ich hinaus, . Zentrum habe sich ein großes Verdienst beim Buüͤrger⸗

lichen Gesetzbuch, beim Zolltarif und bei großen Teilen der sozialen Gesetzgebung erworben. Dies Lob wird auch nicht abgeschwächt durch den Hinweis auf die Haltung des Zentrums gegenüber der Friedens⸗ präsenzstärke von 87 und 93. Damals 1887 wurde jeder für einen Reichs⸗ feind erklaͤrt, der sich nicht davon überzeugen wollte, daß die Friedens⸗ präsenzstärke absolut auf 7 Jahre festzustellen sei. Später aber kamen die verbündeten Regierungen selbst und sagten, ach was, fünf Jahre tun es ebenso. Da waren denn die verbündeten Regierungen in der Sprechweise des Wahlkampfes von 1887 auf einmal zu Reichsfeinden eworden. Später forderte die Regierung eine Vermehrung der Friedenspräsenzstärke um 84 000 Mann. Die Nationalliberalen waren 8 antinational und verlangten, daß die Summe auf 49 000 Mann erabgesetzt würde. Noch antinationaler war der Freisinn; er wollte nur 25 000 Mann. Schließlich gelangte ein Antrag zur An⸗ nahme, wonach 70 000 Mann angenommen wurden, und dafür haben, erschrecken Sie nicht, sogar die Konservativen gestimmt. So haben sich die Dinge geändert. Jetzt auf einmal wegen einer solchen Differenz in der Summe dem Zentrum den Patriotismus abzusprechen, das ist ein Unrecht und bleibt ein Unrecht. Wer hat denn schließlich darüber zu entscheiden, was eine nationale Frage ist? Hat der Reichskanzler allein das Recht, darüber zu entscheiden, oder der Bundesrat, entscheidet darüber der Abg. Bassermann oder Dr. Arendt? Hierin hat jede Partei und jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen zu entscheiden. In diesem häufigen Hinweis auf das Nationale liegt eine ernste politische Gefahr. Es verliert dann schließlich der nationale Gesichtspunkt jede Bedeutung. Sind wir denn etwa allein in der Opposition gewesen? Wer hat denn in bei der Kanalvorlage Opposition gemacht? 21 Konservative haben sie abgelehnt und wurden deshalb zur Disposition gestellt, 2 Regierungspräsidenten, 18 Landräte und 1 Professor, Hilfsarbeiter im Kultusministerium. Und die Kanal⸗ vorlage war doch unendlich wichtiger als diese Differenz. Die An⸗ erkennung, die der Abg. Bassermann für die patriotische Haltung des Zentrums gezollt hat, beleuchtet um so greller die Mißhandlung des Zentrums bei der Auflösung des Reichstags. Und wenn man im Wahlkampf in heuchlerischer Weise uns vorgeworfen hat, wir seien Feinde von Kaiser und Reich, so ist das eine bodenlose Verleumdung, die wir mit Entrüstung zurückweisen. Ich habe ein Schreiben des Zentralvorstandes der nattonalliberalen Partei vom Januar gelesen, das nach Amerika war und den r hatte, Geldmittel zu erbetteln für die Parteikasse. Dieses Geld wird gefordert zum Kampf gegen Zentrum und Sozialdemokratie als den stillen und offenen Feinden von Kaiser und Reich. Das Schreiben trägt die Unter⸗ schrift: Erster Vorsitzender Bassermann und Zweiter Vorsitzender Dr. Friedberg, Mitglied des . n Der Abg. Bassermann bezeichnet also als stille Feinde von Kaiser und Reich eine Partei, von der er hier im Reichstage anerkannt hat, daß sie sich große Verdienste um das Deutsche Reich erworben habe. Derselbe Herr, mit dem wir bis zuletzt Schulter an Schulter in manchen Fragen zusammengearbeitet haben, schreibt nach Amerika: Schickt uns Geld, denn es gilt den Kampf für Kaiser und Reich gegen offene und stille Feinde! Wenn das von der Zentral⸗ leitung der nationalliberalen Partei geschieht, dann kann

blättern und Zeitungsartikeln der kleinen und großen Parteiblätter alles geschrieben wird, wenn schließlich die Bevölkerung in eine

gestachelt wird. Ich habe ja auch Bilder vor mir, die diesen Zweck erreichen sollen. (Der Redner hält diese Bilder hoch.) Der Reichskanzler hat für sich das Recht in Anspruch genommen, daß er bei den Wahlen befugt gewesen wäre, das deutsche Volk über die wahren Ab⸗ sichten der Regierung aufzuklären. Er verwies dabei auf parlamentarisch regierte Länder, nur vergaß er, daß wir kein parlamentarisch regiertes Land sind. Das 1” so eine Kleinigkeit, aber das macht dem Reichskanzler nichts. In parlamentarisch regierten Ländern snd die Minister Bugleich Abgeordnete und lassen die Wähler über sich ent⸗ scheiden. Wir bestreiten gar nicht dem gvE. Anr das Recht, im Wahlkampf das Volk über die Absichten der Regierung aufzuklären, wir meinen sogar, er hätte es noch viel klarer darlegen sollen. Seine wirklichen Absichten hat er auch im Reichstage nicht mitgeteilt. Wenn von der konservativen Seite sein Verhalten gebilligt worden ist, so überrascht mich das nicht. Die Herren sind so gewöhnt an die Hilfe der Regierung, daß sie sich das gar nicht anders vorstellen können. Wenn aber der Abg. von Liebermann der Regierung einen Fonds zur Verfügung stellen will, so wäre das ein Wahl⸗ korruptionsfonds erster Güte. Allerdings sagte der Abgeordnete, er würde es nicht für zulässig halten, daß die Regierung zur Einlieferung von Geldern aufforderte. Wenn man das der Regierung gestattete, 5 würde damit einfach jeder amtlichen Wahlbeeinflussung Tür und or geöffnet. Ist es richtig, daß der Flottenverein während der Es sollen von Mitte Januar ab Marinesoldaten und Kanzleidiener des Reichs⸗ marineamts und des Admiralstabs beim Flottenverein be⸗ schäftigt gewesen sein. Es ist auch bekannt geworden, daß der sevimamm Salzer erklärt hat, daß er sich nur auf Veranlassung des Oberkommandos dem Flottenverein zur Darf denn ein Offizier einfach so kom⸗

ist alles gut und unschuldig. Das persönliche Regiment soll „in letzter Zeit“, wie er vorsichtig sagt, nicht bervorgetreten sein. ie viel Zeit ist das? (Zwischenruf links: 24 Stunden). Noch weniger vielleicht. Es sind ganz andere Männer gewesen als wir, die sich gegen das persönliche Regiment aufs schärfste ausgesprochen haben. Am 15. November hat ein Kollege sich darüber ausführlich ausgelassen: Persönliche Antipathien und Sympathien machten sich geltend, die mit rauher Hand ein⸗ griffen; Verstimmungen würden erzeugt durch Reden und Depeschen, die dann durch Liebenswürdigkeit nicht wieder ausgeglichen werden könnten, weder durch Statuen noch durch Ehrensäbel usw. Das alles erzeuge im Auslande Unbehagen und das Resultat sei eine Minderung des Respekts usw. Wie unpatriotisch, wie mangel⸗ haft national hat dieser Redner vor dem Auslande diese deut⸗ liche Spitze gegen den Träger der Kaiserkrone ausgedrückt. Es war der Abg. Bassermann und noch dazu war die Sache mit dem Reichskanzler vorher verabredet worden! Es wurde im Wahlkampf mit der Behauptung operiert, die Religion sei in Gefahr. Hier hat der Kanzler sich dadurch aus der Affäre gezogen, daß er Dinge als behauptet hinstellt, die niemand behauptet hat, und die widerlegt er dann gründlich! Niemand hat behauptet, daß die Re⸗ gierung so operiert habe, aber die Liberalen haben im Wahlkampf damit operiert. Auf die von Spahn dargelegten Fälle religiöser Verhetzung ist der Kanzler mit keinem Wort eingegangen; da hilft uns keine Erklärung des Reichskanzlers, sondern nur ein Akt der Gesetzgebung gegen die intolerante Haltung der betreffenden verbündeten Regierungen. Und wenn dies bisher nicht geschehen ist, so ist das sehr bedauerlich, und wir hoffen, daß durch die erweiterten liberalen Gesinnungen des Reichskanzlers alle diese Mängel beseitigt werden. Dafür, daß eine stärkere liberale Partei nicht wieder einen neuen Kulturkaämpf alsbald inszeniert, kann der Kanzler sich nicht ver⸗ bürgen, sagt sogar die „Kreuzzeitung“, und der Kulturkämpfer gelte den Konservativen als Feind ebenso wie den Ultramontanen. Wollte ich nun den Liberalen mein ganzes Material in diesem Punkte mitteilen, so kämen wir noch um Mitternacht nicht zu Ende; ich will nur einen Auszug vortragen, ich will es gnädig machen. Kurz nach der Auflösung des Reichstags erschien eine Zusammenstellung von Aeußerungen der Parteiführer über die Auflösung. Da ist von dem Abg. Bassermann angegeben, er begrüße die Auflösung; es werde eine frische fröhliche Kampagne geben mit der Parole: Los von Rom! So ist es zu lesen in der „Münchener Allgemeinen Zeitung“ vom 15. Dezember. Der Redner zitiert weiter Aeußerungen aus anderen Blättern; ähnliche fänden sich auch im „Wüstegiersdorfer Grenzboten“ und ähnliches habe auch der Professor Thummel aus Jena ausgeführt: „Nicht mehr solle der römische Priester mit seinen Trabanten in Deutschland gebieten“; besonders haben sich auch die „Vossische Zeitung“, die Dortmunder ng“, die „Magdeburgische hervorgetan. Also Sie wo den Hafanapf wie in rankreich! Ich danke Ih für das Zugeständnis. Natürlich empfängt nach diesen Stimmen das Zentrum seine Order lediglich aus dem Vatikan. Sie rufen⸗ Sebr richtig! und wollen bestreiten, daß Sie Kulturkämpfer sind! Wenn Sie dabei bleiben, brauche ich ja keine weiteren Beweise vorjulesen. Der Bund der Landwirte hatte mit dem Zentrum eine Verständigung gesucht; dies war natürlich in den Augen der Nationalliberalen ein nationales Verbrechen; es wurde als ein „unsittliches“ Bündnis gebrandmarkt. Mit der Wahl eines ultramontanen Präsidenten, heißt es anderswo, habe sich der Reichstag ein Brandmal aufgedrückt. (Pfuirufe, Vizepräsident Paasche: Das Pfuirufen ist im Deutschen Reichstage nicht Sitte!) Hat nicht der neue Präsident am 20. Februar seine volle An⸗ erkennung für den Grafen Ballestrem zum Ausdruck gebracht? Ein hervorragendes Organ der Nationalliberalen, die „Kölnische Zeitung“, hat am 17. Januar allen Ernstes vorgeschlagen, die Schenkungen an Kirchen und fromme Anstalten, sogar diejenigen für Seelenmessen usw., der staatlichen Genehmigung zu unterwerfen; ein sehr liberales Vorgehen! Die Herren ahnen gar nicht, wie sehr sie damit in das Gewissen, ins Innerste des katholischen Herzens eingreifen. Die „Dresdener Nachrichten“ forderten die Heranbildungt eines von Rom unabhängigen nationalen Klerus! Dann die „Hamburger Nachrichten“, die verlangen einen Reichsverband gegen den römischen Beicht⸗ stuhl. Daß das Zentrum Beichtstühle aufstellt, erfahre ich erst aus diesem Blatte. Wohin hat also diese Ausschlachtung der konfessionellen Gegensätze geführt! Nach den Stichwahlen sind eine Reihe von katholischen Gewerbetreibenden wirtschaftlich geschädigt worden wegen ihrer Stellungnahme zur Wahl. Der Redner führt dafür Fälle an aus Gelnhausen, Duisburg, Gütersloh u. a. m., wonach die Nationalliberalen die Parole ausgegeben haben: Es wird bei keinem Katholiken mehr gekauft! Die „Kreuzzeitung“ sagt darüber: Das ist der Anfang des Bürgerkriegs und des Religionskriegs! Mit besonderer Ausführlichkeit, mit dem Ton, den Dr. Müller⸗Meiningen den Pastoralton nennt, hat der Reichskanzler hervorgehoben, was für böse Leute wir seien, wie er in dem Topf der Sozialdemokratie plötzlich das Zentrum gefunden habe. Hatse er etwas weiter hinuntergegriffen, so hätte er auch die Freisinnige Partei darin gefunden. Aber das wollte er nicht, denn das sind ja seine neuen Freunde. Solange wir ein Wahlsystem haben, welches die Stichwahlen zuläßt, ist es allerdings sehr schwer zu entscheiden, welcher der Gegner minder efährlich ist. Um ein größeres Uebel zu verhindern, muß man auch ür den Gegner stimmen. Das ist etwas Unangenehmes, daß das Gesetz die Wähler dazu zwingt. Solange aber ein solches Stichwahl⸗ system besteht, nimmt es sich sonderbar aus, wenn die Regierung die Konsequenzen des Stichwahlsystems den einzelnen Wählern oder einer Partei zum Vorwurf macht. Ich las einmal, bei den Stichwahlen käme es lediglich auf die Taktik an. Daß manche Wähler aus Unmut gegen die Regierung einem sozialistischen Kandidaten ihre Stimme geben, ist begreiflich. Ein konservativer schlesischer Rittergutsbesitzer schlug sogar öffentlich vor, für einen Sozialdemokraten zu stimmen, und zwar aus bloßem Unmut gegen die Regierung. 1892 machte die Kölnische Zeitung“ ihrem Unmut gegen die Schulvorlage in den Worten Luft: Wir müssen unsere nationale Gesinnung revidieren. In dem Briefe des Generals Keim finden wir den Satz, daß das Zentrum viel gefähr⸗ licher sei als die Sozialdemokratie! Als Landrichter Stern vor⸗ schlug, ein Wahlbündnis mit der Sozialdemokratie zu suchen, hatte der General Keim nichts dagegen einzuwenden. Daß so etwas Erbitterung in den Zentrumskreisen hervorruft, ist begreiflich. Der Graf Ballestrem erwähnte im Abgeordnetenhause, daß die Regierung Zettel verschickt habe mit der Weisung, für keinen Sozialdemokraten zu stimmen, aber auf keinen Fall für einen Zentrumsmann. Daß Anweisungen überhaupt ergangen sind, hat der Minister nicht bestreiten können. Wenn von unserer Seite für Sozialdemokraten egen Liberale gestimmt wurde, so geschah das, weil der offene eind dem verkappten vorzuziehen ist. Grundsätzlich unterscheiden wir uns im Einverständnis mit unseren Wählern von den Sozial⸗ demokraten. Daraus folgt aber nicht, daß wir einem Gegner der Sozialdemokratie unter allen Umständen die Stimme geben müssen. Der Wahlkampf ist in erster Linie gegen das Zentrum geführt worden. Daß wir trotzdem im Ernste für Liberale stimmen wollten, konnte niemand von uns verlangen. Der Reichskanzler darf uns am wenigsten einen Vorwurf machen, der durch die Auflösung des Reichs⸗ tags eine solche Lage geschaffen hat, noch weniger die Parteien, die Wahlbündnisse mit den Sozialdemokraten abgeschlossen haben oder abzuschließen versucht haben. Sollte es nicht auch einem Nationalliberalen die nationale und monarchische Gesinnung verbieten, ein Wahlbündnis mit den Sozialdemokraten abzuschließen 2 Wir machen Ihnen keinen Vorwurf, aber man soll auch uns keinen Vorwurf machen, und ich erkläre es für ein Stück politischer Heuchelei, wenn jemand allein dem Zentrum einen Vorwurf daraus machen will, was andere Parteien auch getan haben. Präsident Graf zu Stolberg: Herr Abgeordneter, ich habe erst in diesem Augenblicke den Vorsitz übernommen und Ihre Worte so auf⸗ gefaßt, als ob Sie dem Reichskanzler den Vorwurf der Heuchelei

dem Zentrum allein einen Vorwurf zu machen, daß es mit sder Sozialdemokratie ein Bündnis eingegangen sei; den Reichskanzler habe ich gar nicht genannt.

Präsident Graf zu Stolberg: Dann habe ich natürlich keinen Grund, einzuschreiten.

Abg. Gröber (fortfahrend): Schon 1874, später 1881, 84, 90 und auch nachher sind Wahlen sozialdemokratischer Abgeordneten mit Hilfe von Nationalliberalen in einer unendlichen Reihe von Fällen erfolgt. 1903 forderte ein Pfarrer öffentlich auf, lieber den Teufel als einen Zentrumsmann zu wählen. O, es ist ungemein interessant, diese alten Schätze auszugraben. Für die Wahl des Sozialdemokraten ist besonders in Cöln die nationalliberale Presse, die „Kölnische Zeitung“ wiederholt eingetreten. „Wählt Mann für Mann den Sozialdemokraten!“ So kann man in nationalliberalen Blättern aus solchen Anlässen oft lesen. Ich habe hier das sehr interessante badische Handbuch der liberalen Partei, das wollen wir doch auch dem Reichstagsprotokoll einverleiben. Da finden wir ausführlich die Anweisung des nationalliberalen Parteivorstandes, für die Sozial⸗ demokraten zu stimmen, um die Zentrumsmehrheit zu verhindern. Diese Anweisungen ergingen auch an die Mitglieder der Militär⸗ vereine! In Freiburg wurde der Sozialdemokrat Kräuter gewählt und das nationalliberale dortige Blatt begrüßte die Wahl, begrüßte es, daß die Freiheitsfahne über Freiburg wehe. In diesem Wahl⸗ kampf sollte schließlich ein echtelmechtel mit der Sozial⸗ demokratie gemacht werden, in Baden. „An der Verständnis⸗ losigkeit der Sozialdemokratie das Zentrum in Baden zu schwächen“, seien die Verhandlungen gescheitert, heißt es darüber. Von der konservativen Presse ist das Drängen der Lehrerschaft auf ein Bündnis mit den Sozialdemokraten in Baden zugegeben worden. Wie es in Mainz 1903 zugegangen ist, wissen Sie. Daß auch bei den letzten Wahlen ein großer Teil der Nationalliberalen für den sozialdemokratischen Kandidaten gestimmt hat, ist sicher. So ist es auch in Mühlhausen i. Els. gewesen. Nun die Wirkung des Wahl⸗ kampfes! Gewonnen ist eine neue Mehrheit im Reichstage, aber nicht eine neue Mehrheit im deutschen Volke. Die Blockparteien

eine Million Stimmen weniger als die Gegner und mit welchen Mitteln? Wie hat der Kanzler Geld sammeln müssen, um den liberalen Bürgerlichen zu Hilfe zu kommen. Der Kanzler scheint der neuen Koalition nicht recht zu trauen, sonst würde er nicht gesagt haben, bei den nächsten Wahlen würde er noch ganz anders vorgehen. Und nun das neue Programm! Als der Kanzler von dem neuen Börsengesetz sprach, war die Rechte sehr still. Wie die Sozial⸗ politik des Blocks auf dem Gebiete der Handwerker aussehen wird, ist auch sehr interessant. 8987. der Großindustrie und des Hand⸗ werks verträgt sich nicht. ine gute Mittelstandspolitik kann von liberaler Seite überhaupt nicht gemacht werden. Für eine konservativ gerichtete Wirtschaftspolitik haben wir eine große, eine größere Mehrheit im Reichstage, merken Sie sich das von der Linken, die Sie mit den Sozialdemokraten in dieser Frage nur 149 Stimmen haben. Wie die Liberalen auf eine liberale Wirtschaftspolitik rechnen können (Zurufe links: Tun wir ja gar nicht!), das verstehe ich nicht. Der Abg. Wiemer stellte in Aussicht eine Ver⸗ mögenssteuer und die Abschaffung der Liebesgaben. arüber haben Sie (nach rechts) wohl noch keine Vereinbarung getroffen. Es scheint wohl noch an der Morgengabe des Kanzlers für die konservativ⸗ liberale Paarung zu fehlen. Sein Programm ist aber mehr ein Peogramm in Worten als der Sache nach. Ich wundere mich, daß der Abg. Payer damit zufrieden war. Viele L des Kanzlers hat das böse Zentrum schon seit vielen ahren vertreten, und wenn er gemeint hat, uns damit ärgern zu wollen, so irrt er. Nach welchen Geundsätzen soll denn dieses Wortprogramm durchgeführt werden? Mit dem Zauberwort Paarung des liberalen und konserpativen Geistes soll alles er⸗ reicht werden. Wer's glaubt, bekommt einen Taler. Das „Deutsche Adelsblatt“ hat schon seine Bedenken gegen diese Paarung ausgesprochen, gesprochen von -einer Grundsatzlosigkeit, von einem politischen Selbstmord, den man den Konservativen zu⸗ mutete. Der Reichskanzler hofft die Sozialdemokratie durch den Liberalismus zu überwinden. Die Sczialdemokraten sind aber doch aus dem Liberalismus hervorgegangen. Der gestrige und der heutige Tag hat uns Zentrumsmitglieder sehr viele Freude gemacht, denn jede Partei hat erklärt, daß sie aus dem Wortprogramm des Kanzlers ihr Programm herauserkenne. Der 2b. Schrader sprach heute aus, wir drei Parteien, jede mit ihren Anschauungen, bleiben, was wir gewesen sind. Von anderer Seite

wurde gesagt, man wolle alles das bewilligen, dessen Notwendigkeit

nachgewiesen werde. Dasselbe wollen wir auch. Es waren wenigstens sechs kaudinische Jochs, die wir in diesen Tagen gesehen haben. Ueberrascht hat mich, daß der Abg. Wiemer schwere Be⸗ denken gegen die Thesaurierung der Witwen⸗ und Waisen⸗ gelder geltend gemacht hat. Ich mußte annehmen, daß er diese Thesaurierung beseitigen wolle; das wäre kein Fortschritt in sozial⸗ politischer Beziehung. Wer weiß denn, was uns der Block bringen wird? In Kolonialfragen tappen wir im dunkeln. Jedenfalls haben einzelne der Blockparteien eine wunderbare Entwicklung durchgemacht. Die Deutsche Volkspartei erkenne ich nicht wieder. Seit der Kolonial-] reise des Abg. Storz ist der Kolonialenthusiasmus dieser Partei höher gewachsen als die bekannten Dattelbäume. Noch vor nicht langer Zeit hat der Abg. Payer gesagt, die Kolonien dienten nur dazu, Angehörigen hochangesehener Familien eine standesgemäße Unterkunft etwas abseits zu verschaffen. Am besten wäre es schon, die Kolonien aufzugeben. Was das Zentrum anbetrifft, so ist unsere Lage nach den Wahlen nach innen und außen wesentlich gekräftigt und gestärkt. In den bisherigen Debatten war es nur der Reichs⸗ kanzler, der uns angegriffen hat. Keine Partei aus dem Hause ist dem Beispiele des Reichskanzlers gefolgt. Es sind sogar gegen das Zentrum gestern und heute manche freundliche Aeußerungen gefallen. „Wir werden uns schon wieder zusammenfinden“, hieß es. Der Reichs⸗ kanzler scheint in seinem Feldzug gegen unsere Fraktion auf eine ge⸗ wisse Uneinigkeit unter den Katholiken Deutschlands zu spekulieren. Möge er sich sagen lassen, daß diese Spekulation verfehlt ist. Unsere Wählerschaft steht fester und treuer als je zu uns und die Bewegung der sog. nationalen Katholiken hat uns nur genützt, nichts geschadet. Der Hauptkern der Zentrumswähler, das katholische Volk, hat sich durch keinerlei Mittel täuschen und beirren lassen. An seiner Festigkeit und Treue sind alle Kniffe und Pfiffe der Feinde und alle Wahlgaunereien der Zentrumshasser wirkungslos abgeprallt. Die geheimen Versuche einer Sprengung des Zentrums sind in Zukunft noch aussichtsloser als jetzt. Dagegen hat der Wahlkampf eine andere, und zwar sehr beklagenswerte Folge gehabt: die konfessionelle Erregung hat wesentlich zugenommen und die Kluft zwischen den Konfessionen ist leider bedeutend erweitert. Schon waren die Erinnerungen an die unglück⸗ seligen Zeiten des alten Kulturkampfs etwas verblaßt. Die Katholiken hatten sich mit vielfach sogar zu weit gehender Vertrauensseligkeit in die Hoffnung hineingelebt, daß die alte Zurücksetzung verschwinden werde, daß die Gleichberechtigung der Katholiken von dem Papier der Verfassung und der Gesetze nach und nach in das praktische Leben übergeführt würde. Die natürliche Entwicklung der politischen Verhältnisse und keines⸗ wegs listige Umtriebe und erkünstelte Mehrheitsbildungen haben die Zentrumspartei seinerzeit an die Spitze des Reichstags gestellt. genügte ein einziger Abstrich von wenigen Millionen an der Pauschal⸗ summe eines Nachtragsetats, um mit einem Male alles zu dergessen, was die Abgeordneten des katholischen Volkes in jahrelanger,

voller und verantwortungsreicher Mitarbeit zum Wohle des

landes geleistet hatten! Wegen einer Lappalie, üder

verschiedener Ansicht sein konnte und derschiedener Auf

mußte, hat der Bundesrat den Reichstag aufgelöst und der

kanzler hat uns den underdienten Vorwurf

mangelnder Gesinnung ins Gesicht geschlendert, bat noch in

machen wollten. Ist das der Fall oder nicht?

Abg. Gröber (fortfahrend): Herr Präsident, ich habe den all. gemeinen Satz ausgesprochen, daß es ein Stück politischer Heuchelei

Silvesterdrief ausdrücklich dervorgehoben, daß unsere Partei schließlich aus Katholiken bestehe, während doch anh gesinnte Abgeordnete edangelischen Bekenntnisses in

gewesen sind. Feinde von Kaiser und Reich dat man