auch dem Bedürfnis ein Genüge geschehen, wenn man bedenkt, daß es sich nur um Witwen frühverstorbener Unterbeamten handelt, also in der Regel um junge Frauen, die noch arbeits⸗ und erwerbsfähig sind, und, wenn man weiter bedenkt, daß mit der Erhöhung der Be⸗ züge der Witwen auch die der Kinder Hand in Hand geht.
Meine Herren, wenn ich noch ein Wort hinzufügen darf, so möchte ich dem hohen Hause kurz darlegen, welche finanjiellen Wirkungen die Vorlage hat. Für 1907 würden die vorgeschlagenen Gesetze die Erhöhung der Pensionsaufwendungen um 1 250 000 ℳ bedingen. Dazu kommt, wie ich mir darzulegen erlaubt habe, daß ein entsprechender Unterstützungsfonds in Höhe von 1 200 000 ℳ in den Etat eingestellt werden soll; das ergibt insgesamt 2 450 000 ℳ für 1907. Dabei ist noch nicht eingerechnet, weil es an ziffernmäßigem Material fehlt, die rückwirkende Kraft für die Kriegsteilnehmer, die unzweifelhaft auch von erheblicher finanzieller Bedeutung sein wird. Wir gehen also nicht fehl, wenn wir annehmen, daß die Vorlage allein für das Jahr 1907 einen Mehraufwand von 3 bis 4 Millionen Mark mit sich bringen wird. Viel höher stellt sich naturgemäß die Mehrausgabe des Staats, wenn man den Beharrungs⸗ zustand ins Auge faßt, der bei den Pensionen in 10 Jahren, bei den Reliktenbezügen in 12 Jahren eintreten wird. Dann werden sich folgende finanziellen Konsequenzen ergeben. Die Erhöhung der Pensionen wird eine Mehrbelastung von 9 800 000 ℳ und die der Reliktenbezüge eine Mehrausgabe von 6 600 000 ℳ zur Folge haben, sodaß sich insgesamt als finanzielle Konsequenz der Vorlage eine Mehraufwendung von 16 400 000 ℳ
Nun wollen Sie mir, meine Herren, gestatten, einen Rückblick darauf zu werfen, in welchem Maße die Aufwendungen des Staates an Pensionen und Reliktenbezügen von Jahr zu Jahr wachsen. Im Jahre 1895 haben wir an Pension⸗ und Hinterbliebenenbezügen insgesamt 44 Millionen aufgewendet. Dieser Betrag wird im Jahre 1907 auf 91 Millionen steigen (hört! hört!) und wird nach etwa 10 Jahren, im Jahre 1918, auf — sage und schreibe — 196 Millionen anwachsen, darunter der Pensionsfonds mit 136 Millionen, der Reliktenfonds mit 60 Millionen. Natur⸗ gemäß ist diese eminente Steigerung nur zum kleinen Teil auf die Vorlage zurückzuführen, zum größten Teil auf die Steigerung der Zahl unserer etatsmäßigen Beamten. Die Zahl steigt fast in jedem Jahre, namentlich bei der Eisenbahnver⸗ waltung, um 8⸗ bis 10 000, und diese Steigerung bringt eine große Mehrbelastung an Pensions⸗ und Reliktenbezügen mit sich. Als Folge allein des vorliegenden Gesetzes tritt, wie erwähnt, auch ein Mehraufwand von 16 400 000 ℳ in die Erscheinung. Diese Daten, die ich mir Ihnen vorzutragen erlaubte, beweisen, in wie er⸗ heblichem Maße die Vorlage, um deren Beratung es sich hier handelt, eine bessere Fürsorge für die Beamten darstellt, in wie erheblichem Maße darin eine Wohltat für die Beamten zu erblicken ist. Ich glaube deshalb, daß wir den Beamten gern diese Wohltaten zuteil werden lassen, aber daß wir doch auch nicht darüber hinausgehen sollten, weil ein Bedürfnis dazu nicht vorliegt und die finanziellen Konsequenzen noch größer geworden wären, als sie schon jetzt sind. Ich möchte schließlich meinen Dank noch dafür aussprechen, daß trotz der kurzen Zeit, die seit der Vorlage dieser Entwürfe hier verflossen ist, sowohl die Kommission wie das Plenum sich mit Beschleunigung der Berafung der Vorlage unterzogen hat, und darf nur bitten, daß die Vorlage bald zur Verabschiedung gelangt. Das liegt im dringenden Interesse der Beamten selber, denen wir die Wohltaten der neuen Gesetze alsbald zuteil werden lassen wollen, und es liegt auch im sachlichen Interesse im Hinblick auf das notwendige Vorgehen im Reiche. Wie ich schon eingangs erwähnte, sollen auch im Reiche den Zivilbeamten ähnliche Wohltaten zuteil werden wie in Preußen. Es würde aber durchaus zweckwidrig gewesen sein, etwa gleich⸗
eitig eine solche Vorlage im Reiche und in Preußen einzubringen. Man würde dann voraussichtlich zu völlig divergierenden Beschlüssen gekommen sein, und kein Mensch hätte gewußt, wie er aus dieser Schwierigkeit wieder herauskommen sollte. Infolgedessen haben wir vorgeschlagen, den Weg zu wählen, daß die Vorlage zuerst in Preußen eingebracht werde und daß, wenn sich hier einigermaßen übersehen läßt, wie sich die Dinge gestalten, dann das Reich auch mit ent⸗ sprechenden Vorschlägen an den Reichstag herantritt. Es ist also nicht nur für die preußischen Beamten, sondern auch für das Vorgehen im Reiche, für die Reichsbeamten, von hohem Werte, daß die Vorlage hier alsbald zur Verabschiedung gelangt, und darum möchte ich Sie noch besonders bitten. (Bravo!)
Berichterstatter Graf von Königsmarck bittet namens der
Finanzkommission, den Gesetzentwürfen die verfassungsmäßige Zu⸗ stimmung zu erteilen.
DOberbürgermeister Dr. St n⸗Hildesheim dankt dem Finanzminister lebhaft, daß er dies F 9 gebracht babe, leider aber erst so spe s nicht einmal die physische Möglichkeit einer Durcharbeitung für den einzelnen bestanden habe. Wenn Gesetze schon zuerst an uns gelangen, meint der Redner, so muß das auch rechtzeitig geschehen. Sonst überhasten wir die Beratung. und das Abgeordnetenhaus stellt dann Schwierigkeiten eines Gesetzes fest, nimmt Aenderungen vor und zwingt uns, zu diesen Aenderungen Stellung zu nehmen. — In der Presse bat man die Zuständigkeit des Herrenhauses angezweifelt, derartige Vorlagen, die Geldausgaben bedingen, zuerst ju behandeln. Für mich ist die Zuständigkeit des Herrenhauses außer Zweifel. Schließlich hat selbst die Verlegung eines Amtsgerichts finanzielle Konsequenzen. Die Veränderung der Pensionsverhättnisse der Staatsbeamten wird nicht ohne Einfluß auf die Kommunen bleiben können. Auch diese Frage muß sorgfältig erwogen werden; event. muß eine Novelle zum Kommunal⸗ beamtengesetz geschaffen werden. Es wäre höchst unerwünscht, vom Abgeordnetenhause Belehrungen zu empfangen. Zur Prüfung aller damit zusammenhängenden Fragen beantrage ich Zurückverweisung an die verstärkte Finanzkommission.
Herr von Dziembowski beantragt, die Mindestpension von 300 ℳ für Witwen mit rückwirkender Kraft festzusetzen.
Graf Botho zu Eulenburg: Ich bin mit dem Vorrednet der Meinung, daß das Herrenhaus durchaus zuständig zur vorberigen Be⸗ ratung dieser Gesetze vor dem Abgeordnetenhause ist. Ich bin auch damit einverstanden, daß die Gesetze in der Kommission nochmals gründlich durchberaten werden. Eine Verstärkung der Kommission halte ich aber nicht für notwendig, da zur Besprechung der Kommunal⸗ beamtenverhältnisse in Verbindung hiermit bereits 5 Vertreter der Städte in der Kommission sitzen.
1 Erösident Fürst zu Inn⸗ und Knyphausen schlägt vor, um die Erlediaung dieser Gesetze trotz der erneuten Kommissionsberatung nicht aufzuhalten, am 21. und 22. d. M. eine Sitzung des Plenums
zu veranstalten, gleichzeitig dabei das † b. 8 ordnung zu setzen. ich g Berggesetz auf die Tages
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben
Meine Herren! Ich bin durchaus dankbar für die Bereitwillig⸗ keit des hohen Hauses, in diese Beratung noch vor Ostern einzutreten. Dann haben wir die Möglichkeit, die Vorlage noch vor Ostern oder gleich nach Ostern an das Abgeordnetenhaus gelangen zu lassen, und es wird das vermieden, was ich so sehr befürchtete: daß das hohe Haus erst Ende April, wenn der Etat hier beraten wird, in eine Be⸗ ratung dieser Vorlage eintritt und dann sechs Wochen, die unwieder⸗ bringlich sind, verloren gehen. Wenn die Sache an die Kommission zurückverwiesen wird, um schriftlichen Bericht zu erstatten, möchte ich auf all die Einzelpunkte nicht eingehen, die der Herr Oberbürger⸗ meister Struckmann berührt hat. Ich glaube, sie bedürfen in der Tat mehr einer Prüfung in der Kommission als hier im hohen Hause. (Sehr richtig!)
Nur zu zwei Punkten möchte ich mich wenden, die auch von den Herren Vorrednern berührt worden sind. .
Das ist zunächst die Frage, ob wir innerhalb der Verfassung gehandelt haben, als wir die Vorlage zunächst dem Herrenhause unterbreiteten. Meine Herren, es versteht sich von selber, daß wir diese Frage bei uns eingehend geprüft haben. Ganz in Ueber⸗ einstimmung mit Exzellenz Graf Eulenburg sind wir zu der Auf⸗ fassung gekommen, daß es durchaus verfassungsmäßig zulässig ist, diese Vorlage dem Herrenhause zuerst zu unterbreiten. Bekanntlich sollen Finanzgesetze zunächst dem Abgeordnetenhause vorgelegt werden. Aber unter Finanzgesetzen hat man in konstanter Prarxis solche Gesetze ver⸗ standen, bei denen der finanzielle Gesichtspunkt im Vordergrund stand, bei denen es sich in erster Linie um eine finanzielle Frage handelte, wie beispielsweise die Etatsgesetze, die Gesetze über Einkommensteuer und dergl. Hier aber handelt es sich um Gesetze, die bezwecken, die Fürsorge für die pensionierten Beamten und deren Hinterbliebenen zu regeln. Das ist der erste Gesichtspunkt für diese Gesetze; die finanzielle Wirkung steht erst in zweiter Linie. Dieselbe Frage ist schon im Jahre 1882 akut geworden. Damals ist eine Abänderung des Pensionsgesetzes und ein ganz neues Reliktengesetz vorgelegt worden, die naturgemäß auch mit erbheblichen finanziellen Aufwendungen für die Staatskasse verbunden waren. Diese beiden Vorlagen wurden dem Herrenhause unterbreitet, und es hat nachher im Abgeordnetenhause eine sehr eingehende Prüfung nach dieser Richtung stattgefunden, welche ebenfalls nicht ergeben hat, daß irgendwie gegen verfassungsmäßige Bestimmungen verstoßen worden sei.
Die zweite Frage, zu der ich mich noch äußern will, ist die Rück⸗ wirkung auf die Kommunen. Nach dem § 12 des Kommunalbeamten⸗ gesetzes sollen allerdings, wie der Herr Oberbürgermeister Struckmann schon erwähnte, die Pensionsverhältnisse der Kommunalbeamten analog den Pensionsverhältnissen der Staatsbeamten geregelt werden, sofern nicht mit Genehmigung des Bezirksausschusses ein anderes festgesetzt ist. Also Ausnahmen sind zulässig. Aber ich glaube, darin hat der Herr Oberbürgermeister recht, daß im allgemeinen die Kommunen sich kaum dem werden entziehen können, ähnlich vorzugehen wie der Staat Und gerade darum, meine Herren, kann ich nur dringend warnen, in der Fürsorge für die Beamten über das notwendige Maß hinauszugehen; denn die Konsequenzen für die Städte, und namentlich auch für die kleinen Städte, werden eintreten.
Ich möchte noch eins hinzufügen. Auch bei der Frage der Min⸗ destbemessung des Witwengeldes von 300 ℳ sind Anträge hervor⸗ getreten, noch erheblich weiter zu gehen. Ich habe diese Anträge be⸗ kämpft, und das Staatsministerium ist mir beigetreten. Man wolle doch unsere ganze soziale Struktur bei dieser Sache nicht übersehen, wolle auch berücksichtigen, daß es sich um Witwen von Unterbeamten handelt, die vielfach in ländlichen Verhältnissen wohnen und die man nicht über den naturgemäßen Rahmen, aus dem sie stammen, heraus⸗ heben darf.
Also die Rückwirkung auf die Städte kann meiner Ansicht nach auch nur dahin führen, zwar den Beamten das zu gönnen und gern zu geben, was ihnen zukommt, aber sich doch auch nicht über das richtige Maß hinausdrängen zu lassen.
Nach einigen weiteren Bemerkungen der Herren Ehlers und Struckmann werden die Gesetzentwürfe an die Finanz⸗ kommission zurückverwiesen.
Der Bericht über den Betrieb der preußischen Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung für 1905 wird durch Kenntnisnahme für erledigt erklärt.
Eine Petition des Gemeindevertreters zu Fürstenberg in Westfalen um den Bau einer Bahn Corbach — Marsberg mit Fortsetzung nach Paderborn wird nach dem Antrage des Verichterstatters, Oberbürgermeisters Müller⸗Cassel der Re⸗ gierung als Material überwiesen.
Schluß gegen 3 ½ Uhr. Nächste Sitzung am Donners⸗ tag, 21. März. (Penstonsgesetze.)
Statistik und Volkswirtschaft.
Zur Arbeiterbewegung.
Der Lohnkampf im Berliner Tapezierergewerbe wird vor⸗ aussichtlich schon in wenigen Tagen ein friedliches Ende finden. Eine Konferenz der Vorstände sämtlicher Berliner Arbeitgeberorganisationen des Tapezierergewerbes, zu der auch die Verbandsleitung der Gehilfen erschienen war, beschloß, der „Voss. Ztg.“ zufolge, am heutigen Freitag in Einigungsverhandlungen auf der Grundlage der herabgesetzten Gehilfenforderungen zu treten. Bei den Verhandlungen werden die beiden Organisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch je 14 Sprecher vertreten sein. In der Arbeitgeberkommission sind neben dem Innungsvorstand auch die Großfirmen des Tapezierer⸗ “ Das Gewerbegericht hat mit den Verhandlungen nichts zu tun.
Der Ausstand der Gärtner in Frankfurt a. M. greift weiter um sich. Außer den Eschersheimer Gärtnern sind, nach der „Köln. Zig.“, auch die Gärtner mehrerer Frankfurter Geschäfte ausständig. — Die Bäckergehilfen verlangen ebenfalls eine Lohnerhöhung, und zwar 3 ℳ wöchentlich. Die Meister wollen 1 ℳ bewilligen.
In Düsseldorf haben, nach demselben Blatte, die Dekora⸗ tionsmaler und Anstreicher den neuen Lohntarif der Arbeit⸗ geber abgelehnt. Bisher sind 700 Mann ausständig.
Zwischen der Großfirma Gottlieb Hammesfahr in Solingen⸗Foche und ihren Arbeitern ist e; wegen der Einfüh⸗ rung der Nachtschicht zu Meinungsverschiedenbeiten gekommen, infolge⸗ dessen, der „Köln. Ztg“ zufolge, gestern vom Deutschen Metallarbeiter⸗ verband die Sperre über die Firma verhängt worden ist. Wenn Hammesfahr, der über 8.00 Arbeiter beschäftigt, die Nachtschicht nicht aufhebt, dürfte es zum Ausstand kommen.
Falls die 200 Weber der München⸗Gladbacher Woll⸗ industrie vorm. Josten, die ihre Kündigung eingereicht haben,
diese nicht bis heute zurückziehen, werden, wie die „Löln. Ztg.“ 8 teilt, nach einem Beschlusse des Vereins der Texiilindustriedng. mit⸗ 8. II“ Die cNheäns erre würde annähern 5 arbeiter betreffen. Meme In Nordhausen sind, demselben Blatte zufolge, die Kuts⸗ und Transportarbeiter in den Ausstand getreten. scher Die Mannheimer Schneidergesellen sind, laut Mitteil der Köln. Itg.⸗, 89 Sehnbenegang 1.94 Die Gehüüseg in Bruchsal erreichten eine Lohnerhöhung von 5 und die eine solche von 15 %.. Tagschneide Es ist, wie „W. T. B.“ meldet, den ausständigen Hamhur Schauerleuten gelungen, etwa 50 von den 1500 englischen Haß arbeitern zur Verweigerung der Arbeit zu veranlassen; biese 50 Men⸗ w Eöö“] sessdefordent 89382 ann . Wien beschlossen, einer Lokalkorrespondenz zuf Bäckergehilfen in den Ausstand zu treten, da lir Lolan, de rungen nicht erfüllt wurden. Bei dem Ausstand kommen etwa 6000 Bäckergehilfen in Betracht, die in 700 Betriebsstätten beschäftigt sind Der Ausbruch des Ausstandes kam für die Meister ganz unerwartet. „In Paris hielten über tausend Mitglieder des Syndikats der Bäckergehilfen gestern nachmittag in der Arbeitsbörse eine Ver⸗ sammlung ab, in der sie, dem „W. T. B.“ zufolge, erklärten, daß si im Falle einer Abänderung des Gesetzes über die Wochentagsruhe in den Ausstand treten werden. — Zum Ausstand der Arbeiter der Zuckerfabrik in Belgrad wird dem „W. T. B.“ telegraphiert: Als gestern früh die von aus. wärts eiagetroffenen Bauern (bvgl. Nr. 65 d. Bl.) behufs Arf⸗ nahme der Arbeit den Versuch erneuerten, in die Zuckerfabrik zu gelangen, wurden sie von der Streikwache mit Revolver⸗ schuͤssen empfangen. Die Gendarmerie schritt ein. Es kam zu einem Kampf, bei dem drei Arbeiter getötet und fürf verwundet wurden. Ein Haufen Ausständiger mit einem Leichenwagen, in dem sich der Leichnam eines bei dem Zusammenstoß mit der Gendarmerie ge⸗ töteten streikenden Arbeiters befand, vor die Skupschtina und veranstaltete dort eine Kundgebung gegen den radikalen N. geordneten Minitsch, auf dessen Veranlassung arbeitswillige Bauern zum Ersatz der ausständigen Arbeiter vom Lande herangtezogen worden sind. Der sozialdemokratische Abgeordnete Laprevit bewog die Ausständigen, von der Skupschtina abzuziehen. Die Streikenden wollten darauf mit dem Leichenwagen vor das Königliche Palais ziehen, sie ließen sich jedoch von einem Sozialisten bewegen davon abzustehen, und brachten die Leiche nach dem Spital. — Unter den ausständigen Arbeitern kam es zu Streitigkeiten. Die Tarifkommission des sozialdemokratischen Arbeitersyndikats hatte auf Grund eines am Mittwochabend erzielten Einvernehmens mit dem Direktor der Fabrik vorgeschlagen, den Ausstand einzustellen, da der Direktor einwilligte, 150 von den Ausständigen wieder aufzunehmen. Ein Teil der Ausständigen stimmte dieser Lösung zu, der andere Teil tat für die Fortsetzung des Ausstandes ein. Unter den Arbeitern ist eine starke Mißstimmung gegen die Fübrer bemerkbar. — Einer von den gestern früh schwer verletzten Arbeitern ist gestern nachmittag ge⸗ storben und wurde Abends beerdigt.
Kunst und Wissenschaft.
Die Köaigliche Akademie der Wissenschaften hielt am 28. Februar unter dem Vorsitz ihres Sekretars Henn Vahlen eine Gesamtsitzung. In ihr las Herr Schwarz über verschiedene Beweise eines Hilfssatzes, mittelz dessen der Hauptsatz der synthetischen Geometrie reingeometrisch bewiesen werden kann. Wenn irgend drei Gerade a, b, c gegeben sind, von denen keine zwei in derselben Ebene liegen, und es werden irgend vier Gerade e, f, g h konstruiert, von denen jede die Gerade a, die Gerade b und die Gerade c schneidet, so gibt es unendlich viele Gerade d, welche nit den Geraden a, b, c die Eigenschaft gemeinsam haben, don den drei Geraden e, f und g geschnitten zu werden. Für jede solcht Gerade d gibt es eine Ebene, welche diese Gerade und die Gerade h, enthält, sodaß also, allgemein zu reden, jede der vier Geraden a, b c, d voa jeder der vier Geraden e, f, g, h geschnitten wird. Es wird gezeigt, wie dieser bekannte Satz auf mehrfache Art rei⸗ geometrisch so bewiesen werden kann, daß es möglich ist, mit Be⸗ nutzung desselben den Beweis des Hauptsatzes der svynthetischen Geometrie reingeometrisch za führen.
Folgende Druckschriften wurden vorgelegt: Band 6, Hälfte 1 der von der Akademie unternommenen Ausgabe der Gesammelten Schriften Wilhelm von Humboldts. Berlin 1907; Ergebniffe der Planktonexpedition der Humboldt⸗Stiftung. Bd. 3. Lfs: A. Popofsky, Acantharia. Teil 2: Acanthophracta. Kiel und Leipzig 1906; von unterstützten Werken: E. Sachau, Sprische Rechtsbücher. Band 1. erlin 1907; J. Kromayer, Antike Schlachtfelder in Griechenland. Band 1. 2. Berlin 1903. ; Cl. Hartlaub, Craspedote Medusen. Teil 1. Lief. 1. Codoniden und Cladonemiden. Sep.⸗Abdr. aus: Nordisches Plankton. Hrkg. von K. Brandt und C. Apstein. Kiel und Leipzig 1907.
Die Akademie hat in der Sitzung am 14. Februar zu korrespen⸗ dierenden Mitgliedern der pbilosophisch⸗distorischen Klasse gewählt den ordentlichen Professor der Geschichte an der Universität Bonn, Ee⸗ heimen Regierungsrat Dr. Friedrich von Bezold, den Professor am Collège de France zu Paris Arthur Chuquet, Mitglied des Institut de France, in Villemomble (Seine), das Mitglied des Institut de France Gabriel Monod in Versailles und den ordent⸗ lichen Professor der Geschichte an der Universität Bonn, Geheimen Regierungsrat Dr. Moriz Ritter.
Die Akademie hat das ordentliche Mitglied der physikalisch⸗mathe⸗ matischen Klasse Wilhelm von Bezold und das korrespondierende Mitzlied der philosophisch historischen Klasse Ferdinand Justi m Marburg, beide am 17. Februar, das korrespondierende Mitglied der physikalisch⸗-mathematischen Klasse Henri Moissan in Paris am 20. Februar durch den Tod verloren.
In der am 7. März unter dem Vorsitz ihres Sekretars Hermn Waldeyer statgefundenen Sitzung der physikalisch⸗mathema⸗ tischen Klasse las Herr Warburg über die Oxydation des Stickstoffs bei der Wirkung der stillen Entladung⸗ auf atmosphärische Luft, nach gemeinsam mit dem Dr. G.) Leit⸗ häuser gemachten Versuchen. Das nitrose Gas, welches bei . Wirkung der stillen Entladung auf trockene atmosphärische Luft als Nebenprodukt des Ozons entsteht, ist der Hauptsache nach Salpetersäure⸗ anhydrit. Durch Reaktion zwischen diesem und dem Ozon entsteht eine kleine Menge einer neuen Stickstoffsauerstoffverbindung, welche dur ihre Lichtabsorption besonders im Rot scharf charakterisiert ist und zuerst von Hautefeuille und Chappuis durch elektrische Entladung erhalte wurde. — Herr Zimmermann überreichte eine Mitteilung: Der gerade Stab auf elastischen Einzelstützen mit Helastanf durch laäͤngsgerichtete Kräfte. Es handelt sich um einen Te der Untersuchungen über die Biegung eines geraden Stabes, der A- einzelnen Punkten in der Querrichtung elastisch gestützt und in S Längsrichtung durch Kräfte belastet ist. Dieser erste 8 betrifft den Fall daß die Längskräfte nicht in der 2 8 des Stabes angreifen. Der zweite Teil, der 5 die Wirkung von Kräften bezieht, die in die 8. fallen, soll später vorgelegt werden. Das gefundene Rechmungs. verfahren ermöglicht die genaue Ermittlung des Verhaltens der Dru gurte oben offener Brücken. — Herr Klein legte eine Mitteiluas von Professor Dr. Gustav Klemm in Darmstadt vor: über Untersuchungen an den sogenannten „Gneißen“ und den be morphen Schiefern der Tessiner Alpen. IV. Der Verfasser behan * den sehr n. 895 12 in Kürze wiederzugebenden Auf des von ihm untersuchten Gebiets.
Vorgelegt wurden Heft 27 des akademischen Unternehmas „Das Pflanzenreich“, enthaltend die Polemoniachae von A. Berchen Leipzig 1907, und Fortsetzungen der von der Akademie unterstu
P. Ascherson und P. Graebner, Synopsis der mittel⸗ schen Flora. Lief. 44 — 46. Leipzig 1906, und O. Schmiede⸗ Opuscula Ichneumonologica. Fasc. 15. Blankenburg
35 — der am 7. d. M. unter dem Vorsitz ihres Sekretars Herrn Vahlen abgehaltenen Sitzung der philosophisch⸗historischen Klasse las Herr Kekule von Stradonitz über das Bildnis des Sokrates. Er erörterte die verschiedenen erhaltenen Porträt⸗
typen un
d die Frage nach ihrer Authentizitäat. 8
Wohlfahrtspflege.
Arbeiterurlaub.
Das Kriegsministerium bestimmte, daß die Betriebe der deutschen Heeresverwaltung, u. a. also die Proviantämter, die Armeekonservenfabrik, die Bekleidungsämter und die Garnison⸗ und Lazarettverwaltungen, den bei ihnen dauernd beschäftigten Arbeitern künftig unter Fortzahlung des Lohnes jährlich einen Erholungsurlaub bewilligen sollen. Als Berechtigte gelten sieben Jahre beschäftigte Arbeiter mit 4 Kagen, alle über 10 Jahre beschäftigten Arbeiter mit 7 Tagen. Gute Führeng und befriedigende Leistungen gelten als Vorbedingung für die Urlaubsgewährung. — Der Besitzer der Völklinger Eisenwerke Saargebiet), Kommerzienrat Karl Röchling, be⸗ stimmte anläßlich seines 80. Geburtstages u. a., daß für alle Arbeiter, die länger als 15 Jahre im Dienste der Firma stehen, ein Sommer⸗ urlaub von einer Woche mit einer Urlaubsunterstützung von je 25 ℳ
eingeführt werde.
Eine Zentralstelle für Eö“
mit dem Wirkungsgebiete für ganz Oesterreich ist am 25. Februar 1907 in Wien gegründet worden. Zur konstituierenden Versammlung hatten sich der Minister des Innern und viele Vertreter staatlicher und gemeindlicher Behörden sowie die Leiter zahlreicher Stiftungen und Vereine eingefunden. Der mit großer Umsicht und praktischen Erfolgen auf dem gemeinnützigen Gebiete wirkende Professor Dr. Rauchberg (Prag) legte in längerer Eröffnungsrede die Ziele der neuen Ver⸗ einigung dar, ausgehend von den unzuträglichen Wohnungs⸗ verhältnissen, wie sie sich besonders in den Großstädten und vor allem in Wien seit längerer Zeit geltend machen. 592 134 Menschen, das
d 43 % der Bevölkerung Wiens nach der Zählung von 1900,
„von der Küche abgesehen, einen einzigen Raum zur Verfügung, und 23 397 der allerkleinsten Wohnungen waren übervölkert, indem sie von sechs und nehi Ferlonen besetzt waren. Aehnliche, oft noch schlimmere Zahlen ließen sich für fast alle aufstrebenden Industrie⸗ städte Oesterreichs aufstellen. Unter solchen Wohnverhältnissen müßten auch alle sonstigen Fürsorgebestrebungen, z. B. diejenigen gegen die Tuberkulose, erfolglos bleiben; und wie sehr würden Prostitution und Geschlechtskrankheiten durch solche Zustände gefördert! An diesem Notstand sei nicht so sehr der absolute Mangel an Wohnungen, nicht ungenügende Bautätigkeit, als vielmehr der Umstand schuld, daß der Zins für die meisten der kleinen Mieter unerschwinglich sei. Die Wohnungsfrage sei aber nicht nur eine Frage der Arbeiterklasse und der Unbemittelten, sie sei eine ganz allgemeine Kulturangelegenheit, deren Lösung für alle zu erstreben sei.
Der Professor Rauchberg entwickelte nun die wichtigsten Punkte des Reformprogrammes der Zentralstelle. Zunächst, sagte er nach dem „Oesterr. Oekonomist“, fordern wir Dezentralisation des Ansiedelungs⸗ wesens und im damit möglichste Weiträumigkeit der Stadtanlage. ir hoffen dadurch besser und billiger zu wohnen. Neue Anlagen solcher Industrien, die mit ihrem Standorte nicht auf die Stadt angewiesen sind, gehören aufs flache Land. „Landindustrie“ lautet die
arole. Von noch größerer Wichtigkeit ist die planmäßige Ausgestaltung,
rweiterung und Verjüngung der bestehenden und rasch wachsenden Städte. Hier gilt es vor allem, das Außengelände planmäßig der Bebauung zu erschließen und es durch rasche und wohlfeile Kommunikation an das Innere der Stadt anzugliedern. Hierzu müßten ein modernes Expropriationsgesetz sowie moderne Bauordnungen und auch ein Wohnungsgesetz nach dem Muster der westlichen Kulturstaaten ge⸗ schaffen werden. Auch die Besteuerung der Wohnungen müßte einer durchgreifenden Reform unterzogen werden. Sie trifft gerade die Schwächsten am härtesten. Die österreichische Mietsteuer in ihren verschiedenen Formen kann als eine Besteuerung der öffentlichen Ge⸗ sundheit bezeichnet werden. Den entscheidenden Schritt muß man von der Betätigung des Privatinteresses und von der Selbsthilfe er⸗ warten. Es handelt sich um die Organisation einer gemeinnützigen Bautätigkeit auf gesunder wirtschaftlicher Grundlage: Genossenschaften, Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Stif⸗ tungen, Staat, Gemeinden, größere Arbeitgeber, ja selbst private Kapitalisten könnten da eingreifen und einen gesunden Einfluß auf den Wohnungsmarkt üben. Der gesetzliche Schutz der Bauhandwerker ist eine wichtige, maßgebende Forderung. Das wichtigste Problem ist aber die Kreditbeschaffung. Die Wohnungsfrage ist eine Keeditfrage. Ihre Lösung wird in der Richtung zu suchen sein, daß sich zwischen Bauführer und eSF8. Zwischenstellen einschieben, die für eine zkonomische und sozialpolitische Verwendung der Gelder Sorge tragen. Als solche Zwischenstellen der gesamten Kreditorganisation kommen die Träger der gemeinnützigen Bautätigkeit in Betracht. Die Zentralstelle soll nun ein klares Programm für die Wohnungs⸗ reform aufstellen, auf die Gesetzgebung und Verwaltung einwirken, aber auch durch Agitation und Belehrung in der Bevölkerung
Verständnis für die angestrebten Maßnahmen erwecken. Die Zentralstelle soll ferner Musterbeispiele für Organi⸗ satien und Kreditbeschaffung der öffentlichen Bautätigkeit schefen und den Interessenten zur Verfügung stellen. Die zu errichtenden Zweigvereine sollen die örtlichen Interessen organisieren, mit der Zentralstelle in Verbindung setzen und so ein Netz gemeinnützig wirkender Bau⸗ und Kreditveranstaltungen schaffen. Der Redner schloß: Die Wohnungsreform ist nicht Parteisache, sie verletzt keine berechtigten Interessen, sie dient der allgemeinen Wohl⸗ ”8 S fordern wir auch alle Bevölkerungskreise zur Mit⸗
rkung auf.
Der Minister des Innern sprach zu diesen Grundsätzen seige volle Zustimmung aus und sicherte dem neuen Verein eine staatli Säbvention von 2000 Kron. zu. Der Fürst Karl Auersperg legte als Präsident des Kuratoriums der Kaiser⸗Franz⸗Josef⸗Stiftung für Volks⸗ vohnungen und Wohlfahrtseinrichtungen in großen Umrissen die Tätig⸗ eit dieser mit 2 ½⅞ Mill Kron. ausgestatteten Stiftung dar. Der Kaiser⸗ lihe Rat Johann Auspitzer sicherte als Vertreter der Industrie deren rückhaltlose Unterstützung der Zentralstelle zu und regte namentlich eine nachhaltige Unterstützung der Unfallversicherungsanstalten für die ohnungsreform an. Von vielen anderen Seiten wurde die Unter⸗ süßung und Förderung der Zentralstelle in warmen Ausdrücken zuge⸗ schert sodaß diese mit den günstigsten Aussichten ihre segensreiche
rbeit ins Werk fetzen kann.
Bauwesen.
„Das vor einigen Monaten eröffnete Neue Breslauer Schau⸗ vielhaus entspricht in technischer und baupolizeilicher Hinsicht den modernsten Forderungen. Besonders bemerkenswert ist die Konstruktion Er Ränge, die von der Lolat⸗Eisenbetongesellschaft als Konsolen ohne je fisen in das Zuschauerhaus vorgestreckt sind. Durch das Fehlen 8. cher Säulen sst einmal der freie Blick von allen Sitzen gesichert, wan ererseits gibt diese Ingenieurleistung dem Zuschauerraum eine zerordentliche Weit äumigkeit. sein Das nach zweijähriger Bautätigkeit gegen Ende vorigen 8 er Bestimmung ühergebene neue Staatsarchiv in Breslau 1.. Stil der „Goldenen Krone“, eines vor etwa 2 Jahren ab⸗ 1 rochenen alten Patrizierhauses, aufgeführt. Bei dem Bau sind bekrö⸗ das kunstvolle Sandsteinportal und die eigenartige Zinnen⸗ dem Auig der „Goldenen Krone“ verwendet worden, welche Teile bei erworh bruch des Gebäudes durch den Konservator für Denkmalspflege vorben und bisher im Museum für schlesische Altertümer auf⸗
geften waren. Das alte Portal ist, vollständig sachgemäß wieder⸗ Ferbeh. dem Neubau als Eingang des Verwaltungsgebäudes ein⸗ gefügt.
Land⸗ und Forstwirtschaft.
XXXV. Plenarversammlung des Deutschen Landwirtschaftsrats.
In der gestrigen, dritten Sitzung bildete die Bekämpfung der Rindertuberkulose mit Bovovaccin und Tauruman auf Grund der in Mecklenburg⸗Strelitz gemachten Er⸗ fahrungen den wichtigsten Gegenstand der Beratung. Vor Beginn der Verhandlungen hierüber nahm der Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner zu einer das Wort. Ich habe, so etwa führte er nach einem ericht der „Post“ aus, stets auf die Tätigkeit des Deutschen Landwirtschaftsrats einen hohen Wert gelegt, weil er es sich besonders angelegen sein läßt, die technische Seite der deutschen Landwirtschaft zu fördern. Ich glaube mit dem Deutschen Landwirtschaftsrat, daß die Produktionskraft der deutschen Landwirt⸗ schaft Hand in Hand mit der fortschreitenden Erkenntnis der deutschen Wissenschaft noch wesentlich zu steigern sein wird. Die Frage, die heute auf der Tagesordnung steht (Bekämpfung der Rindertuberkulose) und die uns lebhaft beschäftigt, ist besonders wichtig. Ich hoffe, daß es mit Hilfe des im Herbst dem Reichstage vorzulegenden deutschen Viehseuchen⸗ EEn und gestützt auf die fortschreitende Erkenntnis der deutschen Wissenschaft möglich sein wird, die Rindertuberkulose ebenso wirksam zu bekämpfen, wie die Lungenseuche und andere Viehkrankheiten mit Erfolg niedergekämpft sind. Auch mein Ressort hat sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt, und ich kann an dieser Stelle nur die Versicherung abgeben, daß alle meinem Ressort zur Verfügung stehenden Hilfsmittel angewendet werden, um die technischen Be⸗ strebungen des Deutschen Landwirtschaftsrats stets wirksam zu
unterstützen.
Alsdann erstatteten Graf von Schwerin⸗Göhren und Wirklicher Geheimer Rat, Professor Dr. von Behring eingehende Referate über das eingangs genannte Thema. Nach einer an diese sich an⸗ schließenden längeren Diskussion, an der sich auch der Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamts Bumm und der Geheime Regierungsrat, Preeesho Dr. Dammann beteiligten, faßte die Versammlung folgenden
eschluß:
„Der Deutsche Landwirtschaftsrat bittet den Herrn Reichskanzler, baldigst dafür zu sorgen, daß die Forschungen des Wirklichen Geheimen Rats, Professors Dr. von Behring von seiten des Deutschen Reichs in der umfassendsten u“ unterstützt und daß namentlich ähnliche Versuche, wie sie jetzt in Argentinien in Aussicht stehen, auch bei uns vorgenommen werden.“
Im weiteren Verlaufe der Sitzung beschäftigte sich der Land⸗ wirtschaftsrat mit der Frage einer Abänderung des Börsen⸗ gesetzes, über die von Arnim⸗Güterberg referierte. Es wurde der nachstehende Antrag des Berichterstatters zum Beschluß erhoben:
„Der Deutsche Landwirtschaftsrat spricht die Erwartung und das zuversichtliche Vertrauen zur hohen Reichsregierung aus, daß keines⸗ falls eine Abschwächung des Verbots des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide und Mühlenfabrikaten erfolgt, auch nicht durch Aufhebung des Börsenregisters.“
Auf Antrag des Landeskulturrats für das Königreich Sachsen und der Landwirtschaftskammer für Waldeck⸗Pyrmont verhandelte der Landwirtschaftsrat ferner über Maßnahmen gegen den Kontrakt⸗ bruch landwirtschaftlicher Arbeiter. Bie Referenten, Ge⸗ heimer Oekonomierat Steiger⸗Leutewitz und von Stockhausen⸗Abgunst, hatten dazu Anträge gestellt, von denen der des erstgenannten Bericht⸗ erstatters lautete:
„Der Deutsche Landwirtschaftsrat erklärt: 1) Es wird als un⸗ bedingt notwendig erachtet, daß Maßnahmen getroffen werden, welche geeignet sind, den Kontraktbruch ausländischer landwirtschaftlicher Saisonarbeiter zu verhindern. Die Einführung von Inlandspässen und zwar seitens aller Bundesstaaten für ausländische landwirtschaftliche Saisonarbeiter wird hierzu als dringend notwendige Einrichtung angesehen. 2) Es sind alle Bestrebungen zu unterstützen und zu fördern, welche den Zweck haben, den landwirtschaftlichen Arbeiterstand zu heben; ebenso ist aber auch allen Bestrebungen entgegenzutreten, welche auf die Schmälerung der landwirtschaftlichen Erträgnisse hinzielen und damit die Möglichkeit einer besseren Löhnung der landwirtschaftlichen Arbeiter verhindern.“ 1
Der zweite Referent von Stockhausen beantragte:
„Der Deutsche Landwirtschaftsrat hält es für dringend ge⸗ boten, daß die verbündeten Regierungen durch entsprechende Maßnahmen der sich stets steigernden Neigungen der aus⸗ ländischen Arbeiter zum Kontraktbuch entgegentreten. Zu dem Zweck empfiehlt es sich: 1) einen Inlandsnachweis zunächst für alle Arbeiter aus den östlich und südöstlich Deutschlands gelegenen Ländern einzufübren, auf Grund dessen der betreffende Inhaber als Arbeiter für eine bestimmt bezeichnete Arbeitsstelle zugelassen ist; 2) Ausländer, die auf Grund eines derartigen Nachweises im Deutschen Reich als Arbeiter zugelassen sind, einer steten Kontrolle zu unterziehen; im Fall des Kontraktbruchs sind dieselben sofort auszuweisen und bei Mittellosigkeit auf Kosten des Reichs über die Grenze zurückzube⸗ fördern; 3) über Arbeitgeber, welche derartige Arbeiter, die nicht im Besitz dieses Inlandsausweises sind, beschäftigen, eine angemessene Polizeistrafe zu verhängen.“
Nach längerer Diskussion, an der sich auch der Geheime Re⸗ gserungsrat Freiherr von Falkenhausen als Vertreter des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten beteiligte, beschloß die Ver⸗ sammlung, die Beschlußfassung über die Anträge der Referenten bis zur nächsten Tagung zu vertagen, und nahm nur den folgenden Antrag des Grafen zu Rantzau an: 3
„In Erwägung, daß inländische Arbeitervermittlungsagenten Arbeitertrupps aus Russisch⸗Polen und Galizien mit den hierfür be⸗ stehenden Fahrpreisermäßigungen von der russischen resp. österreichischen Grenze über Lübeck nach Dänemark transportiert haben sollen, wird der Vorstand des Landwirtschaftsrats ersucht, bei zuständiger Stelle dafür einzutreten, daß ein derartiger Mißbrauch der zu Gunsten der deutschen Arbeitgeber getroffenen Einrichtung künftig unmöglich gemacht werde.“ 1t ““
Zum Schluß berichtete der Oberlandesgerichtsrat Schneider⸗Stettin über die reichsgesetzliche Regelung des Privatversicherungs⸗ wesens. Anträge waren hierzu nicht gestellt, und es wurden infolge⸗ dessen auch keine Beschlüsse darüber gefaßt.
Bei dem gestrigen Festmahl des Deutschen Landwirtschaftsrats hielt, nachdem der Präsident des Landwirtschaftsrats Graf von Schwerin⸗Löwitz ein begeistert aufgenommenes Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König ausgebracht und der zweite stellver⸗ tretende Vorsitzende Mehnert die Gäste begrüßt hatte, der Reichs⸗ kanzler Fürst von Bülow, wie „W. T. B.“ berichtet, folgende Rede:
„Meine Herren, ich danke den Herren Vorrednern für ihre freundliche Begrüßung. Ich danke Ihnen allen, meine Herren, für die Zustimmung, die diese Worte bei Ihnen gefunden haben. Nach einem für das Land und für mich bewegten Jahr stehe ich wieder vor dem Deutschen Landwirtschaftsrat. Ein ernster und schwerer politischer Kampf liegt hinter uns, der viel Auf⸗ regung hervorgerufen, aber auch gesunden Sinn, kräftiges National⸗ gefüht im deutschen Volk von neuem hat hervortreten lassen. Denn der Kampf ist der Vater aller Dinge. Ein Band ist in diesem Kampfe erfreulicherweise nicht gelockert, sondern, wie ich hoffe, noch gefestigt worden: Das Vertrauen zwischen dem deutschen Reichs⸗ kanzler und der deutschen Landwirtschaft. Dieses Vertrauensverhältnis wird auch keinen Wandel erfahren, dessen bin ich sicher, wenn ich mich anschicke, Wünsche zu erfüllen, die bereits seit langer Zeit von den Parteien der bürgerlichen Linken Phegt werden. Wenn ich im Reichs⸗ tage unter anderem meine Bereitwilligkeit erklärt habe, eine Reform des Vereins⸗ und Versammlungsrechts, des Strafrichts und der Strafprozeßordnung durchzuführen, o leitet mich dabei die Ueberzeugung, daß ein führender und ver⸗
antwortlicher Staatsmann nicht zögern soll, unzeitgemäße Zustände durch sachgemäße Reformen zu ändern. Ich gehöre nicht zu denen, die alles Fremde, weil es fremd ist, bewundern. Aber es war, wie mir scheint, eine große Weisheit der englischen Aristokratie, notwendige Konzessionen rechtzeitig zu machen. Als eine segensreiche Folge dieser Weisheit sehe ich es an, daß England seit mehr als 200 Jahren von revolutionären Erschütterungen verschont geblieben ist, die namentlich die romanischen Länder in diesem Zeitraum so oft heimge⸗ sucht haben. Ich sehe hierin auch den Grund, daß in England die große Menge in den Städten, die kleinen Leute in Stadt und Land hans überwiegend staatserhaltend gesonnen sind. Auch über die im
eichstag von mir angekündigte Reform des Bedehe will ich mich hier ganz offen aussprechen. Wir werden bei dieser notwendigen und dringenden Reform nichts was die Interessen der Landwirtschaft schädigen könnte. Ich erwarte deshalb auch, a die Vertreter der Land⸗ wirtschaft im Reichstage den Entwurf vorurteilslos prüfen werden. Die Landwirtschaft hat kein Interesse daran, daß durch die Börsengesetzgebung Treu und Glauben im Geschäftsverkehr erschüttert werden. Auch die Landwirtschaft hat ein Interesse daran, daß unsere Börse gegenüber den Börsen des Auslands nicht in den Zustand der Inferiorität gerät, daß der hohe Bankdiskont, der mit eine Folge unserer Börsengesetzgebung ist, erniedrigt wird. Auch die Landwirt⸗ schaft hat kein Interesse daran, daß die Börsen von Paris und London die Berliner Börse ganz überflügeln, kein Interesse, daß das deutsche Kapital in das Ausland wandert, kein Interesse, daß die kleinen Banken ganz aufgesogen werden durch die großen. Auch die Landwirtschaft hat ein Interesse daran, daß die Börse als hochwichtiges Wirtschaftsinstrument erhalten und leistungsfähig erhalten wird. Wir haben in Deutschland noch zu viel Vorurteile, in allen Lagern, bei allen Parteien, in allen Schichten der Bevölkerung. Wir haben zu viele vorgefaßte Meinungen, die als Scheuklappen den Blick einengen. Vor Jahren sagte mir einmal ein liberaler 5* fessor, ein ganz verständiger Mann: „Wie können Sie, Herr Reichskanzler, eine agrarische Politik machen, wo Sie doch so ge⸗ bildet sind!“ Als ob man nicht ganz gebildet und dabei ein Stock⸗ agrarier sein könnte. Ich kenne aber auch Konservative und Agrarier, welche in Handel und Börse, wenn nicht ein unsittliches, so jedenfalls ein verderbliches Element sehen. Das sind Scheuklappen, die wir ablegen müssen, Einseitigkeiten, die man in anderen Ländern nicht kennt, wo das Gefühl der Solidarität der verschiedenen Seiten des vielseitigen Wirtschaftslebens und ihrer notwendigen Vereinigung im höheren Interesse des Ganzen stärker entwickelt ist, als dies bei uns bisher der Fall war.
Wenn ich jene Reformen in Aussicht stelle, so bleibt unangetastet das Wirtschaftsprogramm, das ich seit bald sieben Jahren vertrete und durchführe: Schutz der nationalen Arbeit, Schutz unserer Pro⸗ duktion, Schutz und Fürfsrge insbesondere für die Landwirtschaft. Ich habe vor Ihnen einmal gesagt, daß ich die Bezeichnung als Agrarier als Ehrentitel ansehe, als rühmliche Anerkennung. Und wenn ich mich einmal aus dem öffentlichen Leben zurück⸗ ziehe — der Augenblick wird ja einmal kommen, wenn auch vielleicht nicht so bald, wie das Dieser oder Jener zu wünschen scheint —, so mag man nur auf meinen politischen Leichenstein schreiben: „Dieser ist ein agrarischer Reichskanzler gewesen.“ Und warum, meine Herren, war ich das und bin es und werde es bleiben? Weil eine vernünftige, agrarische Politik meiner vollen Ueberzeugung entspricht, weil sie sich wirtschaftlich und politisch wohl bewährt hat. Ich sage „politisch“ auch im Rückblick auf die Wahlen. Mit Recht hat mein Freund, Herr von Oldenburg, darauf hingewiesen, daß wir dem braven Schwein Dank schulden. Gar manchen Abgeordneten hat es durch den reißenden Wahlstrom getragen. Schon darum gebe ich es nicht Preis, sondern schütze es vor Pestilenz. Daß aber diese meine Politik sich auch wirtschaftlich bewährt hat, beweist die gegenwärtige wirt⸗ schaftliche Lage. Die Landwirtschaft fängt an, sich endlich zu erholen, die Industrie blüht. Das Gedeihen des einen Erwerbszweiges ist aber kein Schaden für den anderen. Die Industrie kann um so ge⸗ wisser auf eine ruhige und stetige Entwicklung rechnen, je mehr sie sich den inneren Markt sichert. Die Landwirtschaft kann eine blühende Industrie vertragen, denn sie hat in der Industrie einen hervorragenden Konsumenten. Ich weiß wohl, meine Herren, daß eine industrielle Hochkonjunktur Nachteile für die Land⸗ wirtschaft mit sich bringt infolge des Arbeitermangels. Da ist es die Aufgabe der Staatskunst und der berufenen Organe der Landwirt⸗ schaft, durch planmäßige Ansiedlungen und Seßhaftmachung der Ar⸗ beiter Wandel zu schaffen. Ich vertraue, daß mein verehrter Kollege, der neue Landwirtschaftsminister, den Spuren seines vortrefflichen Vorgängers folgend, auch diese Frage, wie das Problem, das große Problem der Entschuldung, zu einem günstigen Abschluß führen wird. An meiner Hilfe wird es ihm nicht fehlen.
UMõ—nd nun noch eins. Ich will dankbar anerkennen, daß mich die Landwirtschaft und daß mich insbesondere der Bund der Landwirte nicht im Stich gelassen haben, vor allem nicht in meinem Kampfe gegen die Soztaldemokratie. Mein Verhältnis zum Bunde der Land⸗ wirte war ja anfänglich etwas stürmisch. So geht es gerade in guten Ehen, daß man sich zunächst kabbelt und zankt, bis man sich kennen gelernt und aneinander gewöhnt und in einander gefunden hat. Dann geht es um so besser. Ich halte es trotzdem nicht für ausgeschlossen, daß auch in Zukunft gelegentlich Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und dem Bund der Landwirte vorkommen werden, Denn für mich als Reichs⸗ kanzler kann es nur eine einzige Richtschnur geben, das wohlerwogene Gesamtinteresse des Landes; darum kann ich mich nie einer Partei, einer Richtung ganz zu eigen geben. Und der Bund der Land⸗ wirte ist seinerseits kein offizielles oder offiziöses Organ, er steht auf eigenen Füßen. Wohl möglich, daß die „Deutsche Tageszeitung“, deren Haltung ich neulich verdiente Anerkennung gezollt habe, einmal wieder mit mir ins Gericht gehen wird. Ich werde aber trotzdem dem Bunde der Landwirte stets Gerechtigkeit widerfahren lassen, und ich hoffe, daß er fortfahren wird, tapfer, aber auch klug, mit Entschledenheit, aber auch mit politischem Geschick, unter Anerkennung der berechtigten Forderungen anderer Erwerbsstände für die Landwirtschaft einzutreten.
Die Landwirtschaft aber möge überzeugt sein, daß ihre wirtschaft⸗ liche, sozialpolitische und politische Bedeutung von den verbündeten Regierungen verstanden und gewürdigt wird. Sie wird auch an der⸗ jenigen Stelle gewürdigt, deren Ihr verehrter Vorsitzender Graf Schwerin soeben in so schönen und beredten Worten gedacht hat. Als ich vor einigen Jahren die Söhne unseres Kaisers in Plön besuchte, führten sie mich nach einer Insel im Plöner See, wo ihnen ein kleiner land⸗ wirtschaftlicher Betrieb eingerichtet worden war. Auf dem Häuschen, das in diesem Betriebe lag, standen die Worte: „Nihil melius, nihil homine libero dignius quam agricultura.“ „Nichts Besseres gibt es, nichts, was des freien Mannes würdiger wäre, als die Land⸗ wirtschaft.“ In dieser Gesinnung erzieht unser Kaiser Seine Söhne, solche 1. hegt Er selbst. Wir aber, meine Herren, vereinige uns auch heute in dem Rufe und in dem Wunsche: Die deutsche Landwirtschaft, sie blühe und gedeihe! Der Deutsche Landwirtschaftsrat lebe hoch!“* 1 Saatenstand und Getreidehandel in Rumänien.
Der Kaiserliche Generalkonsul in Galatz berichtet unterm
d. M.: In Rumänien hielt die Kälte während des ganzen Monats ebruar an. Die Wintersaaten haben durch den anhaltenden Frost seiinen Schaden gelitten, da sie durch Schnee genügend geschützt waren.
Die Getreideausfuhr über Sulina wurde durch einen Eis⸗ ürtel, der sich vor die Mündungen der Donau gelegt hatte, eine kurze eit unterbrochen.
Im Februar d. J. wurden über Sulina ausgeführt
90 775 t Weizen 15 766 t Gerste 23 078 „Roggen 5 635 „ Hafer 12 903 „Mais 2 089 „ Bohnen.
Die Getreidevorräte in Sulina sind infolge der beträcht⸗ lichen Ausfuhr in den Wintermonaten bereits stark zusammengeschmolzen. Dem Aufschwung der Preise zu Beginn des Monats Februar folgte
bringen,
bald ein Rückschlag für Weizen, während Roggen und Gerste sich