1907 / 68 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 16 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

Oesterreich⸗Ungarn.

er ungarische Handelsminister Kossuth erklärte gestern, „W. T. B.“ zufolge, vor der Wählerschaft in Czegled in bezug auf die zollpolitischen Verhandlungen mit Oesterreich, infolge der bis 1917 abgeschlossenen Handels⸗ verträge mit dem Auslande sei es unmöglich, derzeit ein selbst⸗ ständiges Zollgebiet zu errichten. Für die Zeit nach 1917 könne Ungarn jedoch mit Oesterreich nur auf der Grundlage verhandeln, daß tatsächlich Zollschranken errichtet werden. Eine selbständige Bank sei mit der wirtschaftlichen Selbständigkeit eng verbunden; bezüglich der Gemeinsamkeit der Bank sei Ungarn nur bis zum Jahre 1910 verpflichtet. Die Erklä⸗ rungen Kossuths wurden mit lebhaftem Beifall aufgenommen.

Rußland.

Die gestrige Sitzung der Reichsduma, der der Minister⸗ präsident Stolypin und mehrere andere Minister beiwohnten, wurde im sogenannten Runden Saale des Taurischen Palastes abgehalten. Ueber den Verlauf der Sitzung berichtet das „W. T. B.“, wie folgt:

a viele Deputierte den Präsidenten nicht verstehen konnten, entstand große Unruhe. Die Fraktion der Kadetten beantragte, die Beratungen zu unterbrechen angesichts der Unmöglichkeit, unter solchen Verhältnissen zu arbeiten. Andere Deputierte unterstützten den An⸗ trag. Der sozialdemokratische Deputierte Alexinsky sagte, ihm scheine es, als ob die Mitglieder der Rechten ein Komplott organisiert hätten. Der Präsident rief Alexinsky zur Ordnung. Mehrere andere Deputierte traten dafür ein, daß die Beratungen unter⸗ brochen würden, bis sich ein neuer Raum für die Sitzungen gefunden habe. Unter großer Unruhe des Hauses brachte der Präsident den Antrag zur Abstimmung, daß die Beratungen unterbrochen würden und das Präsidialbureau der Reichsduma heauftragt werde, sich mit der Regierung ins Benehmen zu setzen, damit eine Stätte für die Fortführung der Beratungen hergerichtet werde.

Der Antrag wurde fast einstimmig angenommen und die Sitzung sodann geschlossen.

Nach Schluß der Dumasitzung lud der Ministerpräsident Stolypin den Dumapräsidenten Golowin in den Minister⸗ pavillon, wo auch mehrere Minister anwesend waren. Nach kurzer Beratung wurde beschlossen, den unbeschädigten Teil der Decke des Sitzungssaals der Reichsduma zu beseitigen und vorläufig eine Segeltuchdecke herzustellen, damit die Sitzungen am 20. März wieder aufgenommen werden können.

Der Antrag der Kadettenpartei auf Legalisierung der Partei ist von dem zuständigen Gerichtshof abermals abgelehnt worden. In der Begründung wird, nach einer Meldung der „St. Petersburger Telegraphenagentur“ ange⸗ führt, daß in dem Parteiprogramm nicht die Mittel angegeben eien, durch die man konstitutionell demokratische Ziele erreichen wolle. Infolgedessen Fü⸗ die Möglichkeit vor, daß diese Mittel ungesetzlich und die öffentliche Sicherheit gefährdend seien.

In den gestern in Finnland begonnenen ö wahlen gelangte, „W. T. B.“ zufolge, zum ersten Male das allgemeine Wahlrecht zur Anwendung.

In Beantwortung von Interpellationen über den Aethiopien betreffenden englisch⸗französisch⸗ italienischen Vertrag gab der Minister des Aeußern Tittoni gestern in der Deputiertenkammer einen ge⸗ schichtlichen Rückblick über die Verhandlungen, die zunächst wischen Italien und England und dann zwischen allen drei

Regierungen geführt worden seien und am 13. Dezember 1906 zu der Unterzeichnung des Vertrages geführt hätten. Der Minister führte dann, „W. T. B.“ zufolge, weiter aus:

Durch diesen Vertrag seien die Interrssen Italiens in den Punkten gesichert, die die meisten Einwendungen erfahren hätten. Italien sei vor die Wahl gestellt gewesen, entweder dem französisch⸗ englischen Einvernehmen beizutreten oder allein vorzugehen, denn wenn Italien es abgelehnt hätte, den Vertrag zu unter⸗ zeichnen, hätten Frankreich und England ihn allein unterzeichnet, und man hätte eine Wiederholung der peinlichen Episode vom 21. März 1899, dem Tage des Abschlusses des englisch⸗ französischen Einvernehmens bezüglich des tripolitanischen Hinter⸗ landes erlebt. Der Minister verlas dann eine dem Parlament noch nicht vorgelegte Erklärung bezüglich des Abschlusses der die Grenz⸗ frage betreffenden Verträge mit mehreren Sultanen und schloß: Der Vertrag werde fruchtbar oder unfruchtbar sein, je nachdem Italien tätig oder saumselig sein werde; wenn Italien geschickt vorgehe, könne es für die politische und kommerzielle Zukunft seiner beiden Kolonien vorsorgen.

Im weiteren Verlaufe der Sitzung nahm das Haus die Handelsverträge mit Serbien und mit Rumänien an.

Portugal.

Der König Friedrich August von Sachsen ist gestern, nach Verabschiedung von der Königlichen Familie, von Lissabon nach Batalha abgereist. Der König wird, wie das „W. T. B.“ meldet, ferner Alcobaca, Oporto und Bussaco besuchen und übermorgen von Entvoncamento nach Madrid weiterreisen.

Nach Angaben der türkischen Regierung ist, wie das „W. T. B.“ meldet, am 7. März in Domates, Bezirk Kastoria, eine unter dem Befehl des berüchtigten Banden⸗ führers Mitre stehende, zehn Mann starke bulgarische Bande umzingelt und nach kurzem Kampfe, in dem Mitre und drei Komitatschis fielen, in die Flucht geschlagen worden. Von den Truppen der Regierung wurden 30 Mann ver⸗ wundet. Im Zusammenhang mit den Kämpfen gegen eine serbische Bande im Bezirke von Kumanova sind etwa 100 Serben wegen Einverständnisses mit der Bande verhaftet worden. 811“ 18

Rumänien. 1

Die Deputiertenkammer hat, „W. T. B.“ zufolge, genehmigt, daß von dem 44 446 355 Löi betragenden Budget⸗ üͤberschuß des Jahres 1905/1906 17 731 251 Léi für Kanonen, 2 500 000 für Spitäler, 350 000 für Schulbauten, 1 000 000 für ein neues Gebäude für die Deputiertenkammer und der Rest für verschiedene soziale und kulturelle Zwecke verwendet werden.

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Von seiten der Regierung ist vorgestern dem österreichisch⸗ ungarischen Gesandten eine Antwort auf die letzte Note der österreichisch⸗ungarischen Regierung überreicht worden. Nach einer Meldung des „W. T. B.“ besagt diese, daß die serbische Regierung von der Note mit Befriedigung Kenntnis genommen habe und auf die im Interesse beider Staaten liegende baldige Aufnahme der Verhandlungen hoffe.

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8 Gestern hat das feierliche Leichenbegängnis des ermordeten Ministerpräsidenten Petkom stattgefunden, an dem, „W. T. B.“ zufolge, Vertreter des Fürsten, die Minister, das diplomatische Korpz sowie zahlreiche Deputierte, Vereine und Deputationen teilnahmen. Auf dem Wege, den der Zug nahm, bildeten Truppen Spalier. In der Kirche hielt der Minister Genadiew eine Rede, in der er die her⸗ vorragenden Eigenschaften des Verblichenen hervorhob. Die Wsen verlief in vollster Ordnung.

eine Zusammenkunft, bei der die Minister erklärten, die Regierung sei entschlossen, im Geiste Petkows die Regierung Fekrahapent.. 1“ 8

Kampf, den die niederländischen Truppen mit den Ein⸗ geborenen hatten, 280 Eingeborene, darunter mehrere ve echag. gefallen, sowie 72 Männer und 200 Frauen ge⸗ angen genommen worden. Die Truppen hatten selbst nur unbedeutende Verluste. 1X“ 1

Bulgarien.

ie Anhänger der Regierung hatten nach dem Begräbnis

8 Asien. Laut amtlicher Meldung aus Celebes sind bei einem

und über die vorgestrige und die gestrige Sitzung des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten, Zweiten und Dritten Beilage.

welcher der Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posa⸗ dowsky⸗Wehner und der Staatssekretär des Reichsschatz⸗ amts Freiherr von Stengel beiwohnten, wurde der Gesetz⸗ entwurf, betreffend den Hinterbliebenenversicherungs⸗ fonds und den Reichsinvalidenfonds, ohne Diskussion unverändert definitiv genehmigt.

Gesetzentwurfs, betreffend die und Betriebszählung im Jahre 1907, auf Grund der Vorschläge der VI. Kommission.

vorliegenden Fragen auch die über die Religion eingeschaltet; von den Abgg. Dove und Dr. Doormann ist beantragt, diese Einschaltung wieder zu beseitigen. Die Kommission schlägt ferner folgende Resolutionen vor:

nossen ist folgender Antrag eingebracht⸗

Kommission und empfahl die Annahme der Kommissionsbeschlüsse und Re solutionen.

die Wiederherstellung der Regierungsvorlage, also die Beseitigung der

aber um die Frage nicht herumkommen können, ob die Frage nach der Religion wesentlich ist und ob die Opfer, die mit dieser Fragestellung verbunden sind, durch den Erfolg gerechtfertigt werden können. Es mag vielleicht von statistischem Interesse sein, die Zahl der Angehörigen einer bestimmten Religionsgemein⸗ schaft festzustellen. He bei der Berufs⸗ und Betriebs⸗ zählung handelt es si 1

was von wirtschaftlichem und sozialpolitischem Interesse ist. In dieser Beziehung kann aus der Zugehörigkeit zu einer Religions⸗ genossenschaft krinerlei Schluß gezogen werden in bezug auf die Betätigung im wirischaftlichen Leben. Auf dem Gebiete der Sozial⸗ politik muß doch auch der erste Grundsatz der Religion sein die Betätigung des barmherzigen Samariters. Für etwaige gesetz⸗ geberische Maßnahmen darf lediglich das soziale Bedürfnis und die

zurückzukommen.

Parlamentarische Nachrichten. Die Berichte über die gestrige Sitzung des Reichstags

In der heutigen (20.) Sitzung des Reichstags,

Darauf wandte sich das 185 zur zweiten Lesung des ornahme einer Berufs⸗

In Paragraph 3 des Gesetzes hat die Kommission in die

a. den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, Vorkehrungen zu treffen, daß für die Folge die Berufs⸗ und Betriebszählung nach Ablauf von höchstens 10 Jahren vorgenommen werde;

b. den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, in dem Gewerbeformular und Gewerbebogen bei Angabe des Lebensalters zu unterscheiden zwischen solchen, welche weniger als 14 Jahre und solchen, welche 14— 16 Jahre alt sind;

c. den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, Erhebungen über die Eigentumsverteilung der land⸗ und forstwirtschaftlich benutzten Bodenflächen im Deutschen Reiche unter Berücksichtigung der Art der öö“ der Zahl und Größe der Betriebe usw. zu veranstalten.

Von den sozialdemokratischen Abgg. Albrecht und Ge⸗

Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, bei der Berufs⸗ und Betriebszählung im Jahre 1907 folgendes feststellen zu lassen:

a. Bei der Berufszählung: Ob die Befragten eine fachgemäße Ausbildung durchgemacht haben und in welchem Beruf;

b. Bei der landwirtschaftlichen Betriebszählung: Wer Eigen⸗ tümer der landwirtschaftlich ausgenutzten Grundstücke ist; 8

c. Bei der gewerblichen Betriebszählung: 1) wie groß die Zahl der Arbeiter ist, die im Haushalt ihres Arbeitgehers Kost und Logis haben; 2) wie groß die Zahl der regelmäßigen Arbeitsstunden pro Woche in den gewerblichen Betrieben ist.

Abg. Dr. Dröscher berichtete über die Verhandlungen der

Abg. Dove (frs. Vgg.): Unser Antrag zum § 3 beabsichtigt

rage nach der Religion. Eine Tendenz, wie man in der Presse efürchtet hat, verfolgt unser Antrag in keiner Weise. Wir werden

doch aber lediglich darum, festzustellen,

Hilfsbedürftigkeit maßgebend sein. Es ist deshalb nicht anzunehmen, daß die Frage nach der Religion irgend welches sozialpolitisch ver⸗ wertbares Material liefert. Dazu kommt, daß durch diese Frage das ganze Zählungsgeschäft verzögert werden kann. Auch der finanzielle Gesichtspunkt fällt ins Gewicht, denn in der Kommission ist uns von der Regierung vorgerechnet worden, daß die Stellung dieser Frage und ihre Verarbeitung die Kosten um etwa 95 000 erhöhen würden. Eine Verzögerung des Zählungsgeschäfts müßte in jedem Falle beklagt werden. Ich hoffe, daß auch das Zentrum für unsern Antrag stimmen wird, denn es hat in seinem wieder⸗ gestellten Toleranzantrag die Bestimmung vorgeschlagen, daß staat⸗ liche und kommunale Behörden nach der Religion nur fragen dürfen, wenn es sich um die Geltendmachung rechtlicher Verpflichtungen und Befugnisse handelt, die von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religtonsgemeinschaft abhängt. Hier aber werden staatliche und kommunale Behörden ausdrücklich aufgefordert, solche Nachforschungen anzustellen. Ich bitte daher, unseren Antrag anzunehmen.

Gegen die Stimmen des Zentrums und der Polen wurden im § 3 die Worte „und der Religion“ nach dem Antrage Dove gestrichen und im übrigen der Paragraph angenommen. Auf Widersprüche von der rechten Seite, wo man die Fragestellung nicht verstanden hatte, stellte der Präsident Graf zu Stolberg anheim, eventuell bei der dritten Lesung darauf

Im übrigen wurde die Vorlage unverändert angenommen.

Die Resolutionen der Kommission wurden gesondert ver⸗ handelt. Die Resolution a wurde ohne Debatte angenommen, ebenso die Resolution b. Die Diskussion über die Resolution e wurde mit der Resolution b (Albrecht und Genossen) sub b gemeinsam debattiert. 1

Abg. Scheidemann (Soz.) befürwortete die Annahme der Resolution Albrecht. Erschöpfende Aufklärung über die Eigentums⸗ verteilung der land⸗ und forstwirtschaftlich benutzten Bodenflächen

können. Nur auf diesem Wege würde auch festgestellt werden koͤnnen

wie es mit der Aufsaugung des kleinbäuerlichen Besitzes . Großkapital stehe. Die Landwirtschaftskammern bxeftb ja düch dee Tatsäche eine Fülle von Material geliefert, und ein Antrag der L ese bündler, der im preußischen Abgeordnetenhause vorliege, gehe 89, selben Voraussetzung aus. Da müsse die Frage nach dem Eigentüner⸗ gestellt werden, um wenigstens einige Klarheit in diese Verhält 5 zu bangen . Will⸗Straßburg (Zentr): Wi 8 g. Dr. „Straßburg (Zentr.): r gehen j Punkte noch weiter, als der Antrag der 2. er gehen. nildiesem möchten auch die Besitzer der forstwirtschaftlichen Grundstücke f gestellt wissen. Der Fragebogen würde dann aber zu sehr belastet werden, und eine absolute Garantte für richtige Angabe wäre do nicht bor banhan ocit vertreten 8gesc der Anftedec einer besonderen Erhebung im ganzen Deutschen Reiche über sonen der Eigentümer. ü die Per⸗

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen (35.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister der geistlichen z0

Angelegenheiten Dr. von Studt beiwohnte, teilte der

Präsident von Kröcher zunächst mit, daß der Justizminister dem Hause das Urteil des Gerichts in Erfurt, das gegen sozial⸗ demokratische Redakteure wegen Beleidigung des Abgeordneten⸗ hauses Bee hezasrafen verhängte, mitgeteilt hat. Auf Vor⸗ schlag des Präsidenten wurde das Schreiben der Geschäfts⸗ ordnungskommission überwiesen zur Vorberatung der Frage

ob von der Ermächtigung, das Urteil öffentlich bekanntmachen zu lassen, Gebrauch gemacht werden soll.

Sodann wurde die Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und v“ fortgesetzt, und zwar zunächst die Besprechung des Antrags der Abgg. Hobrecht (nl.), Freiherr von Bedlit und Neukirch (fr. kons.), Fischbe (fr. Volksp.) und Broemel (fr. Vgg.):

„die Regierung zu ersuchen, im Volksschulwesen auf die allgemeine Einführung der fachmännischen Schulaufsicht Bedacht zu nehmen.“

Abg. Funck (fr. Volksp.): Der Antrag bringt nichts Neues, er enthält eine alte liberale Forderung und erscheint nur in dem neuen Gewande eines Antrages der konservativ liberalen Paarung. Ich hätte nichts dagegen, wenn alle Erzeugnisse dieser Paarung sich in einer solchen Richtung bewegten. Nach der Ordnung des Gesetzes von 1872 hat die Kirche kein Recht zur Ausübung der Schulaufsicht. Diese beruht nicht

auf Gesetz, sondern nur auf einer Verwaltungsmaßnahme. Zwar hat

der frühere Kultusminister von Goßler, dem man sicherlich nicht vor⸗ werfen kann, daß er in der Fürsorge für die Kirche hinter irgend einem anderen Kultusminister zurückgeblieben wäre, am 21. September 1890 einen Erlaß gegeben, wonach bei der An⸗ stellung der Schulinspektoren in erster Linie das Augenmerk auf Lehrer an den Lehrerbildungsanstalten und an den großen Volks⸗ und Mittelschulen gerichtet werden soll. In der letzten Zeit hat sich aber die Regierung von dem Geist dieses Erlasses immer weiter entfernt. Wenn der Minister Objektivität in der Besetzung der Schulinspektoren⸗ stellen für sich in Anspruch nimmt, so entspricht die tatsächliche Be⸗ setzung nicht einer Objektivität in unserem Sinne; wir meinen viel⸗ mehr, daß die Besetzung durchaus einseitig ist. Eine Zeitungs⸗ meldung weist nach, daß seit 1887 in Hessen⸗Nassau die Sache eine Entwicklung genommen hat, daß jetzt nur noch drei welt⸗ liche Schulinspektoren vorhanden sind. Die Tendenz geht jeden⸗ falls im Ministerium jetzt dahin, lediglich geistliche Schulin⸗ spektoren anzustellen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß

die ] Schulaufsicht ein Anachronismus ist und daß sie

die Entfaltung der Volksschule, wie wir sie wünschen, hindert.

Der Geistliche hat nicht die fachmännische Uebung, um die

Aufsicht auszuführen; er ist garnicht in der Lage, an Keeer⸗

versammlungen teilzunehmen, sich in der fachmännischen Literatur

auf dem Laufenden zu erhalten usw. Der Minister meint, daß de

Geistlichen auf der Universität die nötige Vorbildung erhalten, und

weist darauf hin, daß in der höheren Instanz sogar Jurssten die Aufsicht

üben. Das ist nicht richtig, die Juristen haben aber eber Gelegenheit, sich in diese Materie hineinzuarbeiten, als gerade die Geistlichen. Wir and der Ansicht, daß gerade auf dem Lande die Abhängigkeit des Lehrers von Geistlichen dem Lehrer in seinem Ansehen schädlich ist. Bei dem Uebergewicht des Geistlichen über den Lehrer wagt der Lehrer gar nicht, seine abweichende Meinung im Schulvorstand geltend zu machen. Herr Glattfelter sagt, man möge dem Lehrer einen gewissen Spielraum gewähren; nein, man soll ihm diesen Spielraum gewähren. Es verletzt den Stolz des Lehrers, es entstehen die peinlichsten Szenen, wenn der geistliche Schulinspektor den Lehrer vor den Kindern rektifiziert. Der Minister führte den Mangel an Lehrern auf einen Mangel an Lehrervorbereitungsanstalten zurück. So sieht es an der Oberfläche aus. Wenn der Minister sich genauer informierte, würde er zu ganz anderen Ergebnissen gelangen. Daß die Geistlichen den besten Willen haben, bezweifle ich gar nicht; aber die Geistlichen empfinden jetzt selbst das Peinliche ihrer Situation, und aus evangelischen Kreisen der Geistlichen wird selbst die Aufhebung der Schulaufsicht gewünscht. Die Schulen müssen dem Kinde das lehren, was der Kampf ums Dasein verlangt; durch die geistliche Schulaufsicht wird aber der Schwerpunkt auf die religi‚öse Bildung gelegt. Herr Schiffer hat gestern einen sehr wichtigen Punkt nur gestreift, doch hat sein Parteifreund Dr. Fried⸗ berg bei der ersten Etatsberatung sich schon über die Besetzung der Lehrstühle an den Universitäten beschwert. Es hängt dies auch mit einer Reihe sogenannter Fälle zusammen: der Fall Cesar, der Fall Römer, der Fall Jatho. Diese Dinge lassen erkennen, daß im preußischen Kultusministerium die Auffassung über kirchliche Gesichts⸗ punkte sich in orthodoxer Richtung bewegt. Und doch wird die Theologie sich bald in irgend einer Weise mit der Wissenschast abfinden müssen. Auch in der geistlichen Schulaufsicht macht sich diese orthodoxe Richtung geltend. Die Väter des Vostsschulunterhaltunog. esetzes haben als Kompensation der Beteiligung des kirchli

Elemente an der Schulverwaltung die Einführung der fachmännischen Schulaufsicht erwartet. Aber das Bedenkliche an diesem Gesetz ist, daß es geradezu zu einer weiteren Verstärkung dieses Elements auffordert. Die meisten Lehrer teilen unsere Anst Der Minister hat gestern eine Erklärung abgegeben, die unser größtes Erstaunen erregt bat. Er sagte, daß die Regierung jetzt mit so roßen Aufgaben beschäftigt sei, daß sie den Zeitpunkt nicht angeben Ge wo an die Regelung dieser Materie gegangen werden könne. Wir meinen, daß nicht gewartet werden kann, bis sich die Wirkungen des neuen Volksschulgesetzes und der bevorstehenden Regelung der Lehrerbesoldung übersehen lassen; es muß im Gegenteil so schnell wie möglich die Schulaufsicht neu geregelt werden. Wir sind mit 3 Verschiebung ad Kalendas Graecas nicht einverstanden. Wenn 0-

alsbald etwas erfolgt, werden wir mit diesem Antrage wiederkommen, 28 Reichskanzler hat im Sylvesterbriefe von dem wachsenden Verständnis 5 Liberalen für nationale Fragen gesprochen. Das i kein Kompliment füů uns, und es zeigt keine Kenntnis der Dinge. Nationale Fragen liegen nach unserer Auffassung nicht allein auf dem Gebiete der -. Marine, Kolonien usw., sondern nationate Fragen besteben 2uc dem kulturellen Gebiete. Bei dem Zedlitzschen Schulgesetentveee, bei der lex Heinze und bei dem vorjährigen schulgesetz entstand die größte Bewegung im Volke; bn zeigte, daß das Volk am meisten in Bewegung kommt, wo es si P. die geistige Freiheit handelt. Es handelte sich bei den letzten Sehs nicht ausschließlich um Kolonialfragen; sondern das Bürgertum 88 88 daß jeßt eine Zeit der Freiheit, namentlich in Preußen, kommen mücsen Das Wort, daß „Preußen voran gehe“, ist nicht wahr, aber wir -. ves dafür sorgen, daß es wahr werde. Der Reichskarzler hat vorge 5 im Landwirtschaftsrat gesagt, sein Vertrauensverhältniß zur preubisch be

würden nur durch die Feststellung des Besitzers gewonnen werden

Landwirtschaft werde keinen Wandel erfahren, selbst wenn er Wünf

bürgerlichen Linken erfülle; ein führender und verantwortlicher dei atsmann solle nicht zögern, unzeitgemäße Zustände durch sachgemäße Fharmen zu ändern. Wir werden uns also jetzt an den Minister⸗ Föiventen in Preußen wenden und Reformen nach liberalen Wünschen verlangen. Der Reichskanzler sagte weiter, es sei eine oße Weisheit der englischen Aristokratie gewesen, notwendige onzessionen rechtzeitig zu machen. Das geht auf Sie (zur Rechten) und auf das Herrenhaus. Bieten Sie uns also die Hand. Zm Volke sind jetzt gewisse Erwartungen erweckt worden. Man sann deshalb die Ablehnung der bescheidenen Forderung dieses Antrags ücht verstehen. Ich brauche zur Verteidigung dieses Antrags, der ein 3 Versuch ist, eine Reform praktisch ins Werk zu setzen, nichts weiter zu sagen. Herr von Payer hat im Reichstage treffend esagt, es würde für die preußische Regierun g klich sein, berechtigte Hoffnungen jetzt nicht zu erfüllen. J den Appell an das preußische Parlament und auch an die Regierung: Verhalten Sie sich gegen diesen Antrag nicht ablehnend, sondern beweisen Sie, daß Sie Verständnis haben für die Forde⸗

(Schluß des Blattes.)

Kunst und Wissenschaft.

v. A. Der französische Plakatmaler und Lithograph Henri de Toulouse,Lautree war in Deutschland bisher nicht allzu bekannt. Kurz vor seinem Tode, im Winter 1902,03 brachte die Berliner Sezession in einer ihrer Schwarz⸗Weiß⸗Ausstellungen eine Anzahl siner Zeichnungen und Lithographien, und auch das Berliner Kupfer⸗

chkabinett hat mehrere seiner Arbeiten erworben, unter anderem

sitzt es seine Illustrationen zu Geoffroys Pvette Guilbert, die in ihrer grotesken Uebertreibung und Verzerrung besonders bezeichnend für seine tsind. Jetzt hat der Gurlittsche Kunstsalon hier die erste wirklich umfassende Ausstellung der Arbeiten von Toulouse⸗Lautrec eröffnet, die außer den Lithographien auch noch eine Reihe von Zeichnungen, Pastellen und Oelgemälden enthält. Toulouse⸗Lautrec ist sicher eine der eigentümlichsten Erscheinungen aus dem Pariser Kunstleben. Er gehört zu der Gruppe der Steinlen und Voͤber, ist wie jene ein Sittenschilderer, der nicht vom Pariser Straßenpflaster fortkommt, cber alle Erscheinungen des Lebens, an die er herantritt, sind ihm eigentlich nur der Grundstoff für dekorative, phantastische Spielereien.

Es kommt ihm nirgends auf das Bild des wirklichen gebens an, sondern auf das Gestalten seiner oft grausigen und verworrenen Eindrücke, die wild phantastisch und ver⸗ errt an uns vorüberziehen. Es ist ein wunderliches Gefühl fast des Schwindels, das einen überkommt, wenn man diese entweder unförmigen oder übertrieben hageren Geschöpfe betrachtet, mit höhnisch läßlichem Ausdruck, wild betonter Gebärde, seelisch und geistig so absolut abstoßend, technisch mit einem Raffinement, ja mitunter mit einer zarten Erlesenheit gegeben, die zuweilen das Widerwärtige ver⸗ gessen läßt und zu rein künstlerischer Bewunderung zwingt. Es ist aber so, als ob Toulouse⸗Lautrec Sinn und Blick nur für das Häß⸗ lich, Entartete, Beleidigende hätte. Mitunter möchte man ihn mit Käte Kollwitz vergleichen, die auch zu den Naturen gehört, die nicht von dem erhöhten, sondern von dem erniedrigten Leben angezogen werden. Aber in ihr ist es der Sinn für menschliches Erleben, was sie in diese Dinge führt; durch die Häßlichkeit und Verzerrung der Formen leuchtet doch noch immer seelisches Leben. Toulouse⸗Lautrec schildert mit einer geradezu teuflischen Freude gerade die seelische Ver⸗ derbnis, und er ist unendlich reich an Variationen und Nuancen, um immer neuen Ausdruck dafür zu finden. Die Bilder legen sich wie ein atemraubender Alp auf den Beschauer, so merkwürdig kommen

Bosheit und Hohn darin zum Ausdruck. Ganz besonders interessant sind die Bläfter, in denen der Künstler das Auftreten der Pvette Guilbert schildert. Hier ereignet sich das seltene Zusammentreffen, daß dem Zeichner im Leben die Erscheinung entgegentritt, die lebendig

ewordener Ausdruck seiner Kunst scheint, und daß eine so markante heiaice wie Yvette Guilbert einen Künstler findet, der ihrer Eigenart voll gerecht zu werden und sie in ihrer ganzen sprühenden Veränderlichkeit und merkwürdigen Ausdrucksfähigkeit fest⸗ juhalten vermag. Man merkt, welch ein Fest es ihm ist, dem blitz⸗ schnellen Wechsel ihres Ausdrucks zu folgen, dies Gassenbubengesicht bald als höhnische Fratze, bald von tragischer Bitterkeit erfüllt zu keichnen, die eckige Gestalt mit ihren abrupten Bewegungen mit kecken Strichen zu umreißen. Technisch verleugnet Toulouse⸗Lautrec nirgends den Einfluß der Japaner. Geistreich behandelte Fläche, wenig aber ausdrucksvoll gegebene Linien, sparsam aufgetragene Farbenflecken, die aber an ihrer Stelle von größter Wirkung sind. Bei allem zwiespältigen Empfinden, das er einflößt, muß man seine dechnik doch unbedingt anerkennen. Sein eigentliches Gebiet ist die Lthographie, die er mit zauberhafter Leichtigkeit behandelt; in seinen Gemälden ringt er mehr mit dem Material und findet nicht immer so restlosen Ausdruck.

„In einem recht eigentümlichen Gegensatz zu diesem französischen Künstler, der nicht müde wird, mit schrillen Dissonanzen zu wirken, und desto mehr in seinem Element scheint, je greller sie sind, steht der zweite Künstler, von dem der Gurlittsche Kunstsalon eine Kollektiv⸗ ausstellung bringt. Das ist Paul Thiem, der am Starnberger See lebt und in sanften, klaren Bildern den Zauber süd⸗ deutscher Natur schildert. Paul Thiem ist keine Ratur von ungewöhnlich starkem Gepräge, aber er beschränkt sich auf ein Gebiet, das er beherrscht, und er durchdringt die Bilder, die er

t, mit innigem und weichem Gefühl. Hier und da erinnert er un schottische Künstler in seinen weichen und gedämpften Farben, doch scheent hier auch der Einfluß von Dill mitzuwirken. In den Natur⸗ fimmungen, die er gibt, fehlt es ihm nicht an einem großen Zug, o ist immer besonders schön die Behandlung der Wolken und Bäume. Sein Bestes aber gibt er doch in der Schilderung kleiner, malerisch gelegener Städte, menschenerfüllter Straßen, eng und malerisch zusammengedrängter Häuser. Ein wohltuender Frieden geht her den Bildern aus. an fühlt, wie empfänglich der Maler für lhn Reiz warmer und stiller Stimmungen ist, und aus dem fried⸗ ichen Grundton, der ihn erfüllt, geht ein wenig auch auf den Be⸗ sbauer über. In seinen wenigen Bildnissen ist Paul Thiem sehr chlicht und fachlich. Man merkt ihm das Bemühen an, sich treu und ar dem Gegenstand unterzuordnen und ihn rein wiederzugeben.

1 Die Grabstätte Kants am Dom in Kenigsberg i. Pr. 868 wie die „K. H. Z.“ erfährt und wie gestern schon kurz 8 geteilt wurde, voraussichtlich in kurzem nicht mehr sein; sünigstens nicht mehr in der altersgrauen Form, in der drei Ge⸗ h echter sie kannten und ehrten. Die Stoa Kantiana wird, nachdem vzüglich ihrer Erhaltung verschiedene Pläne erwogen, aber immer g verworfen worden sind, der geplanten Erneuerung des Doms nan Hpfer fallen. Die Gebeine des größten Sohnes der Stadt, dem önigsberg seinen weltbekannten Beinamen verdankt, werden in ge⸗

veihte Erde übergeführt werden. Die irdischen Reste Kants sollen im

Dome selbst, an der Ostseite des hohen Chores, beigesetzt werden in der Nähe. der weltlichen Machthaber des Preußenherzogtums, die dort h Steinsärgen der Auferstehung entgegenschlummern. Die Grabstätte soll be⸗ eicher Weise wie die Herzogskatafalke mit Epitaphien geschmückt Meüen. Es wird dies eine künstlerische Aufgabe sein, wert eines großen 8. isters der auch die geistige Bedeutung der Persönlichkeit und des debenswerkes Kants, aere perennius, in den Stein zu meißeln nancg. Dem Vernehmen nach sind größere Mittel zu diesem Zwecke groß endig und gesichert, sodaß man imsfande sein wird, eine wirklich eschöpferische Kraft mit dem Werke zu betrauen.

Das Wiener Operateurinstitut beging, wie „W. T. B.“ meldet, gestern die Feier seines hundertjährigen Bestehens, verbunden mit der Feier des achtzigsten Geburtstages des Begründers der modernen Chirurgie Sir Joseph Lister.

Land⸗ und Forftwirtschaft.

XXXV. Plenarversammlung des Deutschen Landwirtschaftsrats.

In der gestrigen, vierten und letzten Sitzung gelangten als erster Gegenstand der Beratung Maßnahmen zur weiteren Steige⸗ rung der deutschen Vieh⸗ und Fleischproduktion und zur Verbilligung der städtischen Fleischversorgung zur Er⸗ örterung. Es lagen dazu die folgenden sechs Anträge der Referenten vor.

Betreffs der volkswirtschaftlichen Lage der deutschen Fleischversorgung stellte der Berichterstatter, Professor Dr. Oldenberg⸗Greifswald die nachstehenden Leitsätze auf: 1¹) Es ist Pflicht der deutschen Landwirtschaft, in den Grenzen des Möglichen die Volksernährung vom Auslande unabhängig zu machen. 2) Obwohl die deutsche Fleischproduktion im 19. Jahr⸗ hundert der Bevölkerungszunahme weit vorauseilte, ist in den letzten Jahrzehnten zur Deckung des deutschen Fleischbedarfs immerhin noch eine mäßige Einfuhr von Vieh und Viehprodukten und besonders von Futterstoffen erforderlich gemwesen 3) Bei fortschreitender Industrialisierung einer Volkswirtschaft wächst der Fleisch⸗ bedarf infolge der veränderten Lebensweise des Industriearbeiters, auch ohne daß der Ernährungszustand sich verbessert. 4) Im 19. Jahr⸗ hundert wurde die Vermehrung der Fleischproduktion international durch verschiedene Umstände erleichtert und dadurch eine internationale

leischteuerung, die bei fernerem Vordringen der Industrie zu efürchten steht, noch hintangehalten. 5) In Zukunft ist deshalb mit allen Mitteln nicht nur eine Verstärkung der Fleisch⸗ produktion aus deutschem Futter zu erstreben, sondern auch größere Unabhängigkeit der Fleischlieferung und der Fleischpreise von den Schwankungen der Futterernte. 6) Zur Erreichung dieser Ziele müssen die Fortschritte der Landwirtschaft, der Industrie (z. B. Kartoffel⸗ 1S.s und der organischen Chemie zusammenwirken. 7) Das Reich hat diese Fortschritte planmäßig zu fördern.“

Hinsichtlich der technischen Mittel zur Steigerung der

deutschen Vieh⸗ und Fleischproduktion beantragte der Referent Domänenrat Brödermann⸗Knegendorf die folgende Resolution: „Der Deutsche Landwirtschaftsrat hat die feste Ueberzeugung, daß die deutsche Landwirtschaft den Fleischbedarf der deutschen Bevölkerung voll zu decken vermag. Derselbe empfiehlt zur Erreichung dieses Zieles 1) die Ausdehnung der leistungsfähigsten Rassen unter schärfster Beachtung der relativ leistungsfähigsten Individuen solcher Rassen, 2) das volle Beachten der Gesundheit, Kraft, Lebensfrische und dauernden Leistungs⸗ fähigkeit der Zuchtindividuen, 3) das Beachten der wertvollsten Fleisch⸗ formen bei saͤmtlichen Tieren, 4) die kräftigste Ernährung des jungen Viehes, um Frühreife und Größe zu fördern, 5) die ständige gute Ernährung der Viehstapel, damit jedes Ausschußtier noch wertvolles Fleisch dem Markte zuführt, 6) das junge Vieh nicht zu früh zu Zuchtzwecken zu gebrauchen, damit die volle Größenentwickelung nicht gestört wird, 7) das Auslegen guter Jungviehkoppeln, besonders auch in Dorfgemeinden, 8) die Ausdeh⸗ nung des Kohlrübenanbaues (Wruke), da diese Hackfrucht die ge⸗ ringsten Arbeitskräfte beansprucht, 9) die Beachtung der rentablen Mast der Wiederkäuer durch rohe Kartoffel. Der Deutsche Landwirt⸗ schaftsrat warnt vor einer zu einseitigen Zuchtrichtung, die der Ge⸗ sundheit nachteilig werden kann und die Leistungsfähigkeit für den Fleischmarkt herabzudrücken vermag.“ Ueber denselben Gegen⸗ stand berichtete noch der Landesinspektor für Tierzucht Dr. Attinger⸗München, der folgenden Antrag stellte: „Der Deutsche Landwirtschaftsrat befürwortet: 1) das Züchtervereinigungswesen als bewährte Einrichtung zur Förderung der landwirtschaftlichen Tierzucht nach jeder Richtung zu unterstützen; 2) Körgesetze zu erlassen oder etwa bestehende Gesetze dahin abzuändern, daß alle öffentlich zur Zucht verwendeten Bullen, Eber und Ziegenböcke einer staatlichen Körung zu unterstellen sind, und die Kosten dieser Körung auf den Staat zu übernehmen; 3) die Verbesserung und Vermehrung des Futterbaues durch billige Bereitstellung von Sämereien in be⸗ dürftigen Gegenden und durch weiteren Ausbau des kulturtechnischen Dienstes zu unterstützen; 4) die Gründung von Molkereien und Käsereien nur in solchen Gegenden zu fördern, in denen eine Schädigung der Viehzucht und namentlich eine Ein⸗ schränkung der Nachzucht nicht zu befürchten ist; zu diesem Zwecke sollen die zuständigen landwirtschaftlichen oder Züchtervereinigungen sowie die Tierzuchtinspektoren vorher einvernommen werden; 5) den Verkauf von Viehpulvern überhaupt zu verbieten; 6) die Anlage genossenschaftlicher Kartoffeltrocknereien und, wo angezeigt (niedere . S auch von Strohaufschließungseinrichtungen zu unter⸗ ützen.“

In bezug auf Maßnahmen zur Verbilligungder städtischen leischversorgung beantragte der Landesinspektor für Tierzucht r. Attinger⸗München: „Der Deutsche Landwirtschaftsrat empfiehlt:

1) nach dem Vorbilde Bayerns und der Provinz Schleswig⸗Holstein a. die Einrichtung von landwirtschaftlichen Schlachtviehverkaufs⸗ stellen in den Städten zu fördern, b. alle zur Förderung der Land⸗ wirtschaft berufenen Organe (Regierungen, Landratsoberämter, Bezirks⸗ ämter, Bezirkshauptmannschaften, amtliche Tierärzte, landwirtschaft⸗ liche Staatsbeamte ꝛc.) anzuweisen, für die Organisation der zIASL. auf dem Lande tätig zu sein, c. auch die landwirtschaftlichen Körperschaften (Landwirtschaftskammern, landwirtschaftlichen Vereine, Züchtervereinigungen) sowie die Zucht⸗ inspektoren ꝛc. zu ersuchen, im gleichen Sinne zu wirken; 2) Ver⸗ ordnungen zu erlassen (soweit nicht schon geschehen), wonach es verboten ist, in einer Person Viehkommissionär und Händler zu sein (Verweigerung des Handelspatents an Vieh⸗ kommissionäre).“ Landesökonomierat Johannssen⸗Hannover, der ebenfalls ein Referat über Maßnahmen zur Verbilligung der städtischen Fleischversorgung erstattete, stellte nachstehende Leit⸗ sätze auf: „Es ist I. zu erstreben: zur Beseitigung der Auswüchse des Zwischenhandels im Vieh⸗ und Fleischverkehr eine umfassende genossenschaftliche Organisation der Produzenten einerseits und der Konsumenten andererseits, II. zu fordern: a. rasche und vollständige Beseitigung der städtischen Schlachtsteuern, b. Ermäßigung der Schlachthausgebühren, c. Uebernahme der Kosten der Fleischbeschau, wenigstens teilweise, auf die Staatskasse, d. die all⸗ gemeine obligatorische Schlachtviehversicherung mit Staatsunterstützung, e. Beseitigung aller die Freizügigkeit des Fleisches beschränkenden Maßnahmen und f. eine klare, die Marktlage erfassende Preisnotierung für Schlachtvieh.“ 8

Ein sechster Antrag, von dem Referenten Professor Dr. Ostertag⸗ Berlin gestellt, betraf die veterinären Maßnahmen zur Sicherung und Vermehrung des deutschen Viehstandes und lautete, wie folgt: „Zur Sicherung und Vermehrung des deutschen Viehstandes sind erforderlich: 1) strenge Durch⸗ führung der bestehenden veterinärpolizeilichen Anordnungen im Inland und gegenüber dem Auslande, 2) baldigste Er⸗ weiterung der Bestimmungen des Reichsviehseuchengesetzes durch die in dem Entwurf einer Novelle zu diesem Gesetze vor⸗ gesehene Ausdehnung der Anzeigepflicht auf die Tuberkulose (gefährliche Formen) und die Schweineseuchen, 3) Förderung der Tierforschung in den Bundesstaaten durch enne in die Etats eingestellte Mittel nach dem Vorgang im Königreich Preußen, 4) Schaffung einer Abteilung für Tierseuchenforschung mit tierärztlicher Leitung im Kaiserlichen Gesundheitsamt, 5) gemeinfaßliche Belehrungen über die Verhütbarkeit von Seuchen und Fafestzech Feeseein gbie⸗ zu Fleischbeanstandungen führen, durch eeignete hygienische Maßnahmen.“ 8 B IRach Ungerer Diskussion über diese 8. Anträge beschloß der Landwirtschaftsrat, „von den vorgelegten Leitsätzen und Anträgen Kenntnis zu nehmen und sie dem Reichskanzler und den verbündeten Regierungen als Material und mit dem Ersuchen zu überweisen, jeden⸗

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falls für die wissenschaftliche Seuchenforschung und planmäßige Seuchen⸗ tilgung größere Mittel als bisher in den Etat des Fermäiße aeushen

Hierauf berichtete Professor Dr. Dade⸗Berlin über die Lebens⸗ mittelpreise in England und Deutschland. Einem Antrage desselben gemäß faßte die Versammlung den nachstehenden Beschluß: „Der Deutsche Landwärtschaftsrat erklärt: 1) Die bisherige Ent⸗ wicklung der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion und die 7e für landwirtschaftliche und industrielle Erzeugnisse

aben ergeben, daß die Wissenschaft als praktische Wirtschafts⸗ politik bisher die Produktivität der Landwirtschaft unterschätzt und die der Industrie überschätzt habe. Der Grund hierfür liegt in der wohl vielfachen Ignorierung der beispiellosen Fortschritte in der landwirt⸗ Produktionstechnik, in der Agrikulturchemie und Tierzucht

eitens der nationalökonomischen Wissenschaft. 2) Die enorme Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion in Deutschland während der Schutzzollära hat es rene⸗ gebracht, daß trotz der starken Volks⸗ vermehrung die einheimische Landwirtschaft heute noch fast denselben hohen Anteil am gesamten Nahrungsbedarf deckt wie früher, während England durch die Preisgabe der Landwirtschaft in der Ernährung der Bevölke⸗ rung fast ganz abhängig vom Auslande geworden ist, wobei bemerkens⸗ wert ist, daß die englischen Kolonien nur einen sehr kleinen Teil der erforderlichen Nahrungsmittel decken. 3) Die große Produktivität der deutschen Landwirtschaft hat weiter bewirkt, daß die Lebens⸗ mittelpreise in Deutschland in ihrer Gesamtheit nicht oder nur unerheblich höher sind als in England, daß vielmehr ver⸗ are. wichtige Lebensmittel in Deutschland sehr beträchtlich niedriger m Preise stehen als in England, insbesondere gilt dies für die Pictigfte Nahrung der Kinder, die Milch. 4) Jedenfalls scheint es Tatsache zu sein, daß der Preisunterschied zwischen den Nahrungsmitteln in Deutschland und England bedeutend niedriger ist als zwischen den industriellen Erzeugnissen beider Länder, ein Umstand, der wie kein anderes Moment zu Gunsten der landwirtschaftlichen Pro⸗ duktion in Deutschland gegenüber der Industrie sprechen würde. 5) FEngland ist übrigens nichts weniger als ein absolutes HH Die ölle auf Genußmittel, wie auf Zucker, Wein, Branntwein, Tabak, Kakao, Kaffee ꝛc., so hoch, daß die gesamte Zollbelastung pro Kopf des englischen Volkes noch um fast 6 höher ist als in Deutschland. Der Deutsche Landwirtschaftsrat richtet deshalb an alle landwirtschaftlichen Interessenvertretungen die dringende Aufforderung, die weitesten Kreise, insbesondere auch die Arbeiterbevölkerung auf dem Lande über den wahren Zusammenhang in dieser politischen Streitfrage aufzuklären.“

„Im weiteren Verlaufe der Sitzung gelangte die Erhöhung des Einfuhrzolles auf kondensierte Milch in der Heieta en Kapkolonie zur Erörterung, und die Versammlung nahm folgenden Antrag des Grafen Rantzau an: „Der Landwirtschaftsrat richtet an die Reichsregierung die Bitte, zu prüfen, ob die plötzlich und un⸗ erwartet eingetretene Erhöhung des Einfuhrzolles auf kondensierte Milch in der Kapkolonie den zur Zeit zwischen dem Deutschen Reiche und Großbritannien bestehenden zollpolitischen Abmachungen ent⸗ spreche. Bejahendenfalls möge die Reichsregierung dafür Sorge tragen, daß derartige den Export kondensierter Milch aus Deutschland nach dem Kapland geradezu unmöglich machende Maßregeln rückgängig gemacht und künftig nicht von neuem getroffen werden.“

Endlich berichtete der Geheime Regierungsrat, Professor Dr. Orth⸗ Berlin noch über die Frage einer Vereinfachung bezw. Ver⸗ legung der militärischen Kontrollversammlungen für die ländliche Bevölkerung. Ein von ihm gestellter Antrag wurde indessen abgelehnt.

Alsdann schloß der Präsident Graf von Schwerin⸗Löwitz die 35. Plenarversammlung mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser, die hohen Bundesfürsten und die freien Städte, in das die Mitglieder begeistert einstimmten. Geheimer Regierungsrat, Professor Dr. Orth dankte namens der Versammlung dem Präsidenten und Vorstande für die Leitung.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.

Niederländisch⸗Indien.

Durch Verordnung des Generalgouverneurs von Niederländisch⸗ Indien vom 1. Februar d. J. ist wegen Ausbruchs der Pest die Quarantäne gegen Sydney verhängt worden. Die gegen Kobe (Japan) berfügte Quarantäne wurde wieder aufgehoben. (Vergl. „R.⸗Anz.“ vom 30. Dezember 1905, Nr. 306.)

8 esterreich⸗Ungarn. Oesterre ich⸗U 4. April 1907. K. K. Staatsbahndirektion Wien: Lieferung und Montierung je einer Lokomotivdrehscheibe für die Stationen Amstetten und Gmünd. Näheres bei der Abteilung 3 für Bahn⸗ und Bau, XV, Mariahilferstraße 132, und beim „Reichs⸗ anzeiger“.

„5. April 1907, 12 Uhr. K. K. priv. Südbahngesellschaft in Wien: Lieferung von 900 M.⸗Ztr. prima Kupfervitriol für Im⸗ prägnierungszwecke und Telegraphenzwecke. Näheres bei der Material⸗ verwaltung, Südbahnhof, Administrationsgebäude, Stiege 4, parterre, Tür 27, und beim „Reichsanzeiger“.

Italien.

I. Ministerium der öffentlichen Arbeiten in Rom und gleich⸗ zeitig die Finanzdirektion in Asmara: 15. Juni 1907, 11 Uhr Vor⸗ mittags bezw. 12 ¾ Uhr Nachmittags. Bau der Eisenbahnlinien Ghinda-— Nefasit und Nefasit —-Asmara in der Kolonie Eritrea. Vorläufige Sicherheitsleistung 400 000 Lire. Zeugnisse sind bis 15. Mai 1907 einzureichen.

II. Ministerium der öffentlichen Arbeiten in Rom und gleich⸗ zeitig das Commissariato Civile per la Basilicata in Potenza: 6. April 1907, 10 Uhr Vorm. Bau der Landstraße zwischen Ripacandida und Venosa. 115 250 Lire. Vorläufige Sicherheitsleistung 6000 Lire. Zeugnisse sind bis 29. d. M. einzureichen.

Aegypten.

Administration des Chemins de fer de l'Etat: Lieferung von 35 000 kurzen Eisenbahnschwellen aus Tannenholz. Angebote bis spätestens 8. April 1907, 12 Uhr Mittags, zulässig. Lastenheft beim „Reichsanzeiger“.

Theater und Musik.

Im Königlichen Opernhause geht morgen, Sonntag, „Der Freischätz. von C. M. von Weber in Szene. Herr Kraus singt den Max, Herr Wittekopf den Kaspar, Herr Hoffmann den Ottokar, smr Nebe den Cuno, Herr Griswold den Eremiten, Herr Krasa den

ilian, Frau Knüpfer⸗Egli als Gast die Agathe, Fräulein Dietrich das Aennchen. Dirigent ist der Kapellmeister Blech. Am Montag wird „Figaros Hochzeit“, in den Hauptrollen durch die Damen Plaichinger, Herzog, Rothauser, von Scheele⸗Müller sowie durch die Herren Hoffmann, Knüpfer, Lieban, Nebe und Krasa besetzt, auf⸗ geführt. Dirigent ist der Kapellmeister Dr. Strauß

Im Köntglichen Schausptelhause geht morgen Shakespeares „Hamlet“, mit Herrn Matkowsky in der Titelrolle und den Herren Molenar, Vollmer, Staegemann, Geisendörfer, Kraußneck und den Damen Lindner und Wachner in den anderen Hauptrollen, in Szene.

Am Montag wird „Die Welt, in der man sich langweilt“, in der bekannten Besetzung wiederholt.

Im Deutschen Theater wird am naächsten Dienstag „Der Gott der Rache“, Schauspiel in drei Akten von Schalom Asch, zum

ersten Male aufgeführt. Am Donnerstag, Freitag und nächsten Sonntag finden die ersten Wiederbolungen dieses Stückes statt. Morgen sowie am Mittwoch und Sonnabend geht

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