1907 / 71 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 20 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

Luftdruck an einer der Lampen entzündete. Die Explosion tötete die auf der 417 m⸗Sohle arbeitenden Bergleute sogleich und giftige Nach⸗ setzten das Vernichtungswerk auf der 347 m⸗Sohle fort. Die ergbehörde habe 1902 nach dem Muster der westfälischen Berg⸗ ordnung eine entsprechende Verordnung gegen Schlagwettergefahr er⸗ lassen und diese ““ sei stets auf den de Wendelschen Gruben befolgt worden. Durch die Fürsorge des Hauses de Wendel sei für die Hinterbliebenen der Toten und für die Verletzten fürs erste ausreichend gesorgt; dann träten die gut dotierte Knappschaftskasse und die staatliche Versicherung ein. Sollten außerordentliche staatliche nötig werden, so würde die Regierung mit einem solchen nsuchen an das Haus herantreten in der Erwartung, daß es ihr seine Hilfe nicht versagen werde.

Wie die „Neue Freie Presse“ aus Budapest meldet, haben Verhandlungen zwischen den österreichischen und ungarischen Ministern über einen langfristigen Aus⸗ gleich ein negatives Ergebnis gehabt und sind als ge⸗ cheitert zu betrachten.

Großbritannien und Irland.

Der Präsident des Handelsamts Lloyd George brachte gestern im Unterhause eine Novelle zu dem gegen⸗ wärtigen Patentgesetz ein.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ erklärte er, daß es der Haupt⸗ zweck des vorgelegten Gesetzentwurfs sei, zu verhüten, daß die gesetz⸗ lichen Bestimmungen über den Patentschutz zu einem Hindernis für die industrielle Entwicklung Großbritanniens ausgenützt würden. Von den

4 700 im letzten Jahre erteilten Patenten seien 6500 an Ausländer erliehen worden. Dagegen wolle er nichts einwenden, aber viele dieser Patente seien genommen worden, um die Anwendung der Patente in England zu verhindern. Dies sei ein Mißbraua, der durch das britische Gesetz zugestandenen Vorrechte. Die Novelle sehe deshalb vor, daß ein beliebiger Antragsteller nach drei Jahren ie Nichtigkeitserklärung eines Patents verlangen könne, wenn es in England nicht in angemessener Weise ausgeübt worden ist. Ein anderer Weg, auf dem große ausländische Syndikate britische In⸗ dustrien zerstörten, sei der, daß sie um Patente einkämen, die sie in unklen, unbestimmten Ausdrücken beschrieben und die jede Erfindung deckten, die möglicherweise in England gemacht werden könne. Diese Patente seien im Auslande nicht in Anwendung; aber wenn ein englischer Erfinder bona fide eine Entdeckung gemacht habe und sich das atent dafür sichere, würde von diesen mächtigen Gesellschaften ein Zerfahren wegen Patentverletzung angestrengt. Er, der Minister, chlage vor, dem zu begegnen, indem man eine obligatorische Maß⸗ ahme treffe und diese mächtigen Syndikate zwinge, Muster zu depo⸗ nieren. Für den Fall, daß keine Muster hinterlegt würden, sollten die Patente verweigert werden. Nach seiner Meiuung diene die Bill den Interessen des Freihandels und er fürchte den Wettbewerb des Aus⸗ ands so lange nicht, als der beitische Handel frei sei, um ihn zu be⸗ ämpfen. Im weiteren Verlaufe der Sitzung gab der Staatssekretär für Indien John Morley in Beantwortung einer Anfrage, etreffend die Opiumfrage, folgende Erklärung ab:

Der Meinungsaustausch, zu dem die chinesische Regierung im Hinblick auf die beabsichtigte Einschränkung der Einfuhr ausländischen Opiums eingeladen habe, werde mit aller Beschleunigung eingeleitet

erden und werde, wie er hoffe, ein befriedigendes Uebereinkommen als Ergebnis haben.

Frankreich.

Der Ministerrat hat gestern beschlossen, den verstorbenen hemiker Marcellin Berthelot auf Staatskosten zu beerdigen und dem Parlament eine entsprechende Kredit⸗ forderung zu unterbreiten. Die Leichenfeier wird gemäß dem Wunsche des Verstorbenen rein zivilen Charakter tragen. er Ministerrat hat, „W. T. B.“ zufolge, ferner be⸗ den angekündigten Antrag des Deputierten es, betreffend die Bildung einer parla⸗ mentarischen Untersuchungskommission, der die CFapiere des Msgr. Montagnini zu unterbreiten wären, in der Kammer nicht zu bekämpfen. Gleichwohl hielt er es für unnötig, die Kommission sofort einzusetzen, da die Japiere vor Beendigung des schwebenden Prozesses Jouin nicht mitgeteilt werden können. Der Marineminister. Lhomson teilte die ersten Ergebnisse der Untersuchung über die „Jéna“⸗Katastrophe mit und gab bekannt, in welchem Sinne er die hierauf bezüglichen Anfragen in der Kammer und im Senat beantworten würde. Der Ministerrat er⸗ mächtigte zum Schluß den Kriegsminister Picquart, der ammer einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, der die Straf⸗ kompagnien abschaffen und sie durch Besserungs⸗ abteilungen ersetzen will, die auf den im Bereich der heimischen Gewässer liegenden Inseln, wie z. B. Oléron, stationiert werden. In der Deputiertenkammer brachte gestern der Kultusminister Briand laut Beschluß des Ministerrats eine Vorlage ein, durch die 20 000 Fr. für die Bei⸗ setzung Berthelots aus Staatskosten gefordert werden. as Haus nahm diese mit 485 gegen 7 Stimmen an. Der Präsident Brisson feierte dann Berthelot als großen Gelehrten und Bürger und schlug vor, um Zeichen der Trauer die Sitzung aufzuheben. Ein Antrag, nach drei Stunden die Sitzung wieder aufzunehmen, wurde mit 382 gegen 137 Stimmen abgelehnt und es wurde mit 539 gegen 15 Stimmen beschlossen, heute eine außerordent⸗ liche Sitzung abzuhalten. Der Senat, in dessen gestriger Sitzung der Präsident Dubost gleichfalls der Trauer Ausdruck gab, in die Frank⸗ eich und die Menschheit durch den Tod Berthelots versetzt ien, bewilligte den Kredit von 20 000 Fr. zur Beisetzung erthelots auf Staatskosten und beschloß einstimmig, die ung zum Zeichen der Trauer zu schließen. 38

Rußland.

Die Reichsduma hat gestern im Saale der Adels⸗ versammlung eine Sitzung abgehalten, in der der Minister⸗ präsident Stolypin die ministerielle Erklärung verlas. In dieser Erklärung gibt der Ministerpräsident zunächst ein allgemeines Bild der von der Regierung ausgearbeiteten Gesetzesvorlagen und weist dann darauf hin, daß in den Staaten, die seit langem ein repräsentatives Re⸗ gierungssystem besitzen, neue Gesetze nur die Ergeb⸗ nisse normaler Notwendigkeit seien und daß die Regie⸗ rung in solchen Staaten keine große Mühe habe, die Annahme der Gesetze zu erreichen. In einem Lande aber, das sich im Zustande der Wiedergeburt und Neubildung befinde, liege die Sache anders. In einem solchen Lande spiegele jedes neue Gesetz das ganze Leben des Landes wider und es sei not⸗ wendig, daß alle Vorlagen der Regierung durch denselben all⸗ emeinen Gedanken verbunden seien, der die Grundlage der

Umbildung des Staats bilde verteidigt werde. und daß dann dieser Gedanke

Die Regierung, heißt es nach dem Bericht des „W. T. W.“ in der Erklärung weiter, hält es für notwendig, die vom Leben selbst auferlegten Forderungen späterer Erwägung vorzubehalten und daher die Gesetze und Gesetzesvorlagen abzuändern. Die Regierung hat deshalb alle der Duma vorgelegten Gesetze auf derselben allgemeinen Idee aufgebaut, nämlich materielle q zu schaffen, in denen die neuen, aus den jüngsten Reformen sich ergebenden Rechts⸗ verhältnisse verkörpert sein sollen. Unser Vaterland muß in einen konstitutionellen Staat umgewandelt werden. Es müssen wirkliche Grundlagen geschaffen werden, um die Rechte des Staats und der Einzelpersonen zu bestimmen und festzusetzen und die Wider⸗ sprüche der alten gegen die neuen Gesetze zu beseitigen sowie deren völlig willkürliche Auslegungen durch Pripatpersonen und Beamte zu verhindern. Deshalb hielt es die Regierung für notwendig, eine Reihe von Gesetzentwürfen vorzulegen, die unter dem neuen Regime in Rußland entstanden sind.

Die Erklärung führt sodann die Gesetze auf, die wegen ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit bereits vor dem Zusammen⸗ tritt der Duma verkündet worden sind und nun der Duma zur Beratung überwiesen werden. Der Kabinettschef erklärt, es nicht erforderlich sei, auf der Dringlichkeit der Gesetze zu bestehen, die die bürgerliche Gleichstellung aller Bevölkerungs⸗ klassen festsetzen sollen. Er weist dann auf die Notwendigkeit einer bäuerlichen Gesetzgebung hin, um der Landnot ein Ende zu machen, unter der der größte Teil der Nation leide.

Die Regierung habe, führt Stolypin aus, die moralische Pflicht, den Bauern Pfe mäßige Wege zu weisen, um aus dieser Not heraus⸗ zukommen. Deshalb seien Gesetze eelassen, nach denen den Bauern Kaiserliche und Staatsdomänen überlassen und andere Maßregeln ergriffen werden, um eine Reorganisation des Loses der Bauern sicher zu stellen. Auch für die Emanzipation der Bauern und Gemeinden habe die Regierung Maßregeln getroffen.

Außer der bäuerlichen Gesetzgebung hat die Regierung eine Reihe von Vorlagen vorbereitet, die die Verwirklichun der in dem Manifest vom 30. Oktober niedergelegten, aber 1 nicht durch Gesetz sanktionierten Grundsätze bezwecken.

Die Gewissensfreiheit, die Freiheit des Brief⸗ wechsels, die Unverletzlichkeit der Person seien noch nicht durch die russische Gesetzgebung geregelt. Um die reli⸗ giöse Toleranz zu sichern, habe die Regierung eine Re⸗ vision der Gesetzgebung für notwendig gehalten, damit fest⸗ gestellt werde, welchen Abänderungen die Gesetzgebung im Hinblick auf das Manifest vom 30. Oktober 1905 zu unterziehen sei. Vorher aber habe die Regierung mit Festigkeit als Grundsatz aufstellen müssen, daß das Prinzip des christlichen Staats, in dem die orthodoxe Religion die privilegierte sei, die Grundlage aller legis⸗ lativen Anforderungen sein müsse. Die Regierung halte es für ihre Pflicht, die Freiheit der orthodoxen Kirche in besonderem zu schützen, denn die russische Nation sei stets von der orthodoxen Religion durch⸗ drungen, die den Ruhm und die Macht Rußlands bilde. Die Rechte der orthodoxen Religion sollten aber die Rechte der übrigen Religionen nicht beeinträchtigen. Die Regierung werde eine Reihe von Gesetzen einbringen, betreffend den Uebertritt zu einer anderen Religion, die Abhaltung von Gottesdiensten ꝛc.

Das Gesetz über die Unverletzlichkeit der Person sei auf den allgemeinen Grundsätzen aufgebaut, die in den konstitutionellen Staaten gälten. Alle Eingriffe in dieses persönliche Recht seien der richterlichen Gewalt vorbehalten. Die Ausnahmegesetze, von denen es jetzt drei verschiedene Arten gebe, würden wesentlich abgeändert werden; so habe die Regierung z. B. beschlossen, die administrative Verbannung abzuschaffen.

In der Erklärung heißt es sodann weiter:

Die Regierung schenke besondere Aufmerksamkeit den Gesetzen über die Selbstverwaltung der Semstwos, der Städte und der Körperschaften der Lokalverwaltung, die völlig umgestaltet werden sollen. Der Entwurf sieht in dieser Absicht den „Wolost“ als kleinste administrative und soziale Einheit vor, die sich selbst verwaltet, ohne daß irgend welche Klagen unterschieden werden.

Sodann folgen die Reformen der Verwaltung der Stadt⸗ gemeinden, der Semstwos, der Polizei und der ad⸗ ministrativen Bezirke des Reichs. Der Plan der Organisation einer nationalen Vertretung der Semstwos soll sich gründen auf das Prinzip der Besteuerung unter Beteiligung der Grundbesitzer als einer für die Kulturentwicklung wichtigen Klasse. Die Reformen der Ver⸗ waltungsbezirke zielen auf eine Vereinheitlichung aller Zivilgewalt in den Kreisen, Gouvernements, Provinzen usw. ab.

Weiter folgt die Justizreform, bei welcher die Wahl von Friedensrichtern durch die Ortsbevölkerung die Grundlage bildet. Von dem Justizminister wird eine Reihe von Reformen auf dem Gebiete des Zivil⸗ und Strafprozeßverfahrens eingebracht werden, die auf den Grundsätzen aufgebaut sind, die in anderen Staaten bereits Geltung haben, so zum Beispiel die Zulassung von Advokaten und Verteidigern bei der von einem Untersuchungsrichter zu führenden Voruntersuchung. Der Minister wird eine neue Kodifizierung des gesamten Strafrechts, des Hypothekenrechts und des jetzigen Grundeigentumsrechts vorschlagen.

„Die Ackerbauverwaltung wird höchst wichtige Gesetze vorlegen, die die bäuerliche Bevölkerung betreffen, die jetzt in ein neues, mit der übrigen Bevölkerung gemeinschaftliches Leben eintritt, in wirtschaftlicher Beziehung aber noch schwach ist und sich nicht selbst eine solide Existenz sichern kann. Die Ackerbauverwaltung wird es deshalb ihre Sorge sein lassen, den Landbesitz der Bauern zu ver⸗ mehren. Um die örtlichen Agrarkommissionen, von denen die Wohl⸗ fahrt der Bauern abhängt, enger mit der Bevölkerung zu verbinden, 1.-A Zahl ihrer von den Bauern zu wählenden Mitglieder erhöht werden.

In betreff der Arbeiterfrage ist die Regierung von der abso⸗ luten Notwendigkeit der Beteiligung des Staats an der Gestaltung der Lage der Arbeiter überzeugt. Da die Regierung der Ansicht ist, daß die Arbeiterbewegung eine Besserung der Lage der Arbeiter be⸗ zweckt, wird die Regierung von allen Maßregeln absehen, die eine künstliche Nährung dieser Bewegung in sich schließen, aber auch von allen Maßregeln, die geeignet sind, die Bewegung einzudämmen. Die Regierung wird auch die Interessen der Gesellschaft wahren müssen, um sie gegen Ausschreitungen zu schützen. Sie wird den be⸗ teiligten Parteien sowohl Unternehmern als Arbeitern vollkommene Aktionsfreiheit sichern, einschließlich des Rechts zu wirtschaftlichen Streiks. Als positive Maßnahmen plant die Regierung Invaliden⸗ und Krankenversicherung der Arbeiter, das Verbot der Arbeit bei Nacht und unter Tage für Frauen und Kinder sowie Herabsetzung der Zahl der Arbeitsstunden für alle Arbeiter.

Das Verkehrsministerium ist mit der Weiterentwicklung der Eisenbahnen beschäftigt, die gegenwärtig eine Schienenlänge von 61 725 Weist besitzen. Geplant ist auch der Bau einer Amur⸗Eisenbahn, die von einer Station der Transbaikalbahn bis nach Chabarowsk geführt werden soll, um einen durchlaufenden Schienenweg zwischen dem europäischen Rußland und dem fernen Osten herzustellen, der nur durch russisches Gebiet führen wird und für die Lebensinteressen des Reiches not⸗ wendig ist. Weitere Maßnahmen bezwecken die Ver⸗ besserung der russischen Eisenbahnen in Europa, der Wasserstraßen usw., eine Abänderung der Gesetze über die Enteignung von Privatbesitz in besonderen Fällen usw.

Die Regierung ist der Ueberzeugung, daß alle aufgezählten Maß⸗ nahmen sich nicht verwirklichen lassen ohne eine radikale Reform des öffentlichen Unterrichts. Die Regierung wird die Teil⸗ nahme am Unterricht zunächst eine freiwillige sein lassen, sie dann aber, was die Elementarschulen anbetrifft, obligatorisch machen.

Die Regierung ersucht sodann die Duma, die Beratung des Budgets unverzüglich zu beginnen, da die Budgetfragen um so dringender seien, als einerseits die Lage Rußlands

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Sparsamkeit erfordere, erheischten.

ie Budgeteinnahmen sind, so wird in der Erklärung ausgeführt niedriger geworden wegen der Aufhebung der Ablösungszahlungen welche die Bauern für ihre Ländereien zu zahlen hatten, und ee der Zunahme der Zinszahlungen für im Auslande aufgenommene en leihen. Die Entwickelung eines Staats kennt ebenso wie die Ent. wickelung der Tätigkeit von Privatpersonen Perioden verstärkter Aut. breitung. Die radikale Aenderung unseres Systems im Jah 1905 hat eine solche Periode eröffnet und neue Forde⸗ rungen für das Staatsleben geschaffen. Der unglücklich verlaufen⸗ Krieg macht, so groß auch der Wunsch auf Erhaltung des Friedens und so notwendig die Beruhigung des Landes sein mag, neue Aus⸗ gaben notwendig. Wenn wir aber unsere militärische Machtstellan und die Würde unseres Vaterlandes wahren, wenn wir nicht unsere Zustimmung dazu geben wollen, daß wir unseren Platz unter den Groß. mächten verlieren, dann dürfen wir nicht vor der Notwendigkeit der Ausgaben zurückschrecken, die uns die große Vergangenheit ußlandz auferlegt. Der außerordentliche Charakter dieser Anforderungen zwingt zu der Oeffnung außerordentlicher Einnahmequellen. Finanzminister wird infolgedessen neue Steuern beantragen, darunter eine Einkommensteuer und Abänderungen der Erbschaftz⸗ steuern. Die Regierung will auch den Organen der Seltstverwaltun einen Teil der Staatseinkünfte überlassen, denn wenn die Befugriße der Semstwos und der Städte ausgedehnt werden, muß die Regierung bbnen auch die Möglichkeit gewähren, ihre neuen Veripflichtungen nu erfüllen.

Am Schluß der Erklärung heißt es:

Die Beruhigung und die Wiedergeburt des großen Rußland ist nur möglich auf dem Wege der Verwirklichung der neuen Prinzipien Die Regierung ist bereit, die größten Anstrengungen zu machen; ihre Arbeitskraft, ihr guter Wille und ihre Erfahrung siehen zur Ver⸗ fügung der Duma, die als Mitarbeitrr eine Regierung haben wird die es für ihre Pflicht erklärt, die geschichtlichen Forderungen Ruß⸗ lands zu wahren und die Ordnung und Ruhe im Lande wiederherzu⸗ stellen, das heißt: eine feste und eine rein russische Regierung, wie es die Regierung Seiner Majestät sein soll und sein wird.

Die vom Ministerpräsidenten abgegebene Erklärung wurde von der großen Mehrheit der Duma mit Schweigen und nur von der Rechten mit Beifall aufgenommen. Sodann hielt der sozialdemokratische Abgeordnete Zereteli eine Rede gegen die Regierung, in der er in heftigen Ausdrücken die Politik des Kabinetts Stolypin nach der Auflösung der Duma kritssierte.

Der Redner warf dem Ministerpraͤsidenten die Einführung der Feldgerichte vor, Knebelung der Presse und die sogenannte Verbesse⸗ rung des Loses der Bauern, deren wahrer Zweck nur sei, den Appetit der Grundbesitzer zu befriedigen. (Lärm. Rufe: Genug! Hinaus! auf der Rechten.) Der 5 dent hatte große Mühe, den Lärm zu unterdrücken, der sich noch verschiedentlich wiederholt und besonders stark wurde, als Zereteli die Worte des Atbg. Nabokow wiederholte, die dieser im Jahre 1906 nach der Er⸗ klärung des damaligen Ministerpräsidenten Goremykin äußerte, daß die Exekutivgewalt sich der gesetzgebenden Gewalt unterzuordnen habe. Zereteli meinte, er zweifle, daß diese Hoffnung sich erfülken werde; aber dessen sei er gewiß, daß die ganze Nation sich gegen die Unterdrücker und die Veranstalter der Pogrome erheben werde. Die Duma wisse bereits, daß die Regierung sich dem Willen des Velkes nur unterwerfen werde, wenn sie dazu gezwungen werde; folglich müße das Volk organisiert werden, um sich die Exekutivgewalt gewaltsam zu unterwerfen. (Lärm auf der rechten Seite. Rufe: Wir können nicht mit anhören, daß die Duma zur Erhebung mit den Waffen aufgefordert wird.) Zereteli erwiderte, nicht er bereite eine bewaffnete Erhebung vor, sondern die Regierung, die das Volk zum äußersten treibe. Er verlas sodann namens der sozialdemokratischen Partei eine Erklärung, die besagt, daß die Partei als einziges Ziel anstrebe, dem Volke die Augen über die wahren Absichten der Regie⸗ rung zu öffnen, um es für den Entscheidungskampf gegen das Willkür⸗ system zu organisieren.

Der Präsident Golowin verlas hierauf einen von 35 Deputierten eingebrachten Antrag auf Schluß der Debatte; der Antrag wurde abgelehnt, da mehr als 50 Deputierte da⸗ gegen stimmten. Der Fürst Dolgorukow verlas einen An⸗ trag auf Uebergang zur einfachen Tagesordnung, der von den Kadetten eingebracht war.

Zahlreiche Redner der Rechten, wie Graf Bobrinsky, Kruschewan, Purischkewitsch, der Bischof Platon von Kiew, forderten die Duma auf, mit dem Kabinett Stolypin zu arbeiten und von den revolutionären Ideen abzulassen, andernfalls würden Unterdrückungsmaßregeln von neuem unerläßlich sein. Ein Mitglied der Rechten, der Deputierte für Bessarabien Sinadino, sagte, man müßte 48 Stunden sprechen, um die Duma von der Notwendigkeit der gesetzgeberischen Arbeit zu überzeugen. Der Bischof Platon beklagte sich über die Verleumdungen, die von den Blättern der Linken verbreitet würden. Der Graf Bobrinskvy schlug eine Tagesordnung vor, die das Vertrauen zur Regierung und den Willen der Duma ausdrückt, mit ihr zu arbeiten, und die erste Duma tadelt. Der Präaͤsident bemerkte, daß eine Kritik der ersten Duma in de unzulässig sei. (Lebhafter Beifall auf der Linken und im

entrum

Ein Antrag, die Redezeit auf 5 Minuten zu beschränken, wurde einstimmig angenommen. 11“

Zahlreiche Redner der Rechten befürworteten weiter die Ausfuͤhrungen der Regierungserklärung und griffen gleichzeitig die Redner der Linken aufs heftiaste an. Die Verhandlung nahm den Charakter eines Duells zwischen den Sozialdemokraten einerseits und der Rechten andererseits an, während das Zentrum und die übrigen Parteien der Linken im Schweigen verharrten. 8

Der Bischof Eulogius versuchte die Meinungsverschiedenbeiten auszugleichen. Er erklärte, die Müalisher der Rechten seien keine Feinde des Volkes, sie hätten aber die Ueberzeugung, daß eine Wieder⸗ geburt Rußlands nur auf friedlichem Wege möglich sei. Hierauf 8 griff der Ministerpräsident Stolypin nochmals das Wort und wandte sich an das Zentrum und die Linke, indem er ausführte, daß die Regierung niemals solche Töne des Hasses anschlogen werde wie die äußerste Linke. Die Regierung halte es für nötig zu erklären, daß nach dem Gesetze die Duma nicht aus Richtern und die Ministerbank nicht aus Angeklagten bestehe, letztere sei vielmehr im Besitze der Macht. Die gegenwärtige Regierung habe ihr Amt über nommen, als die Flammen der Revolution im ganzen Lande wüteten, sie wußte, welche große Verantwortlichkeit sie übernahm, welchen An⸗ griffen sie ausgesetzt sein werde, aber sie sei bereit, für die Beruhigung des Landes zu arbeiten. Die Regierung wisse auch, daß 5 hörden bisweilen geneigt sind, ihre Macht zu mißbrauchen, und e werde sich freuen, wenn die Duma solche Uebergriffe aufdecke. Regierung fliehe die Verantwortlichkeit nicht; wenn man aber 8 Absichten und ihren Willen lähmen wolle und ihr zurufe „Hände hoch“, so sage sie: „Sie können uns keine Furcht einjagen“. 88

Hierauf wurde mit großer Mehrheit beschlossen, zur fachen Tagesordnung überzugehen, und die nächste Sitzung au heute angesetzt.

Im Reichsrat wurde die Regierungserklärung gestern abend ebenfalls durch Stolypin verlesen und hier mm Zeichen des Beifalls aufgenommen. Von drei von der Rechten, vom Zentrum und von der Linken gestellten Anträgen auf Uebergang zur Tagesordnung wurde der des Zentrums großer Mehrheit angenommen. Er hat, nach dem Bericht W. T. B.“, folgenden Wortlaut:

andererseits die Reformen Ausgaben

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m der dh den nc gibt er seiner vollen Bereitwilligkeit Ausdruck,

zunin isierung der Pläne und Maßnahmen der Regierung mit⸗ m 8. 8. Verwirklichung * Entschlüsse der höchsten bncht welche ein neues Leben in das Land rief, das Wohlergehen Nacolkes und die Beruhigung des Landes als Ziel haben werden, 8 geht zur Tagesordnung über. Spanien.

er König von Sachsen ist gestern mittag in Madrid madoffen und, „W. T. B.“ zufolge, auf dem 9 von vm König Alfons, dem Prinzen Karl, den Infanten erdinand und Rainer sowie den Spitzen der Behörden anpfangen worden. Unter militärischer Eskorte begaben sich jie beiden Monarchen nach dem Königlichen Schlosse, wo roßer Empfang und danach ein Frühstück stattfanden, bei dem grinkfprüche ausgetauscht wurden. Am Abend trat der zönig von Sachsen über Paris und Cöln die Rückreise nach Dresden an. 8 .

h1X“X“

Die Pairskammer hat gestern, wie das „W. T. B.“ neldet, den Gesetzentwurf üͤber die Presse, der von der Minorität als der Gedankenfreiheit und der Preßfreiheit zu⸗ nider heftig bekämpft wurde, mit 131 gegen 38 Stimmen

ungenommen.

Rumänien.

Infolge der seit einiger Zeit in den Bessarabien benach⸗ barten Gebteten der Obermoldau betriebenen Agitation ver⸗ püsteten, nach einer Meldung der „Agence Roumaine“, vor⸗ gestern mehrere hundert Bauern aus der Umgegend von Botusani eine Anzahl Fäuser und Geschäfte der Siadt, darunter mehrerer großer jüdischer Firmen. Die gegen nie Aufrührer entsandte Militärabteilung wurde mit Revolvern und Steinen angegriffen. Nach wiederholten Aufforderungen machte das Militär schließlich von der Waffe Gebrauch. Die lufrührer räumten dann den Platz und ließen vier Tote und geun Verwundete zurück. 8 8

Das weitere Ergebnis der Untersuchung in der Angelegen⸗ jeit der Ermordung des Ministerpräsidenten bestätigt, P. T. B.“ zufolge, die Annahme von der Existenz eines peitverzweigten anarchistischen Erdrückende zeweise liegen gegen den Buͤchsenmacher des Militär⸗ üsenals in Sofia Blaskow vor, von dem sich heraus⸗ sellt, daß er einer der Hauptanarchisten ist. Blaskow war auch Mitarbeiter des von dem Bandenchef Gerdschikom serausgegebenen geheimen anarchistischen Blattes „Freie

sellschaft“. Hahlreiche neue Verhaftungen sind vorgenommen worden. Die Regierung beabsichtigt, eine Gesetzesvorlage ein⸗ ubringen, nach der künftighin Leute, die Mordanschläge gegen Uhmnister ausführen, standrechtlich verurteilt werden

““

Das Landsthing hat gestern, nach einer Meldung des K. T. B.“, in dritter Lesung die Regierungsvorlage, be⸗ refend Einführung des metrischen Systems, an⸗ gmommen. Damit ist das Gesetz endgültig vom Reichstage genehmigt.

Amerika.

Die chilenische Regierung hat, „W. T. B.“ zufolge, beschlossen, eine Aenderung im Flottenprogramm vor⸗ mnehmen und den Bau von großen e zu Gunsten e. Schiffe zu verschieben. Sie beabsichtigt ferner in Talcahuano ein Dock zu bauen, das Schiffe bis zu 18 000 Tons aufzunehmen imstande sein soll.

Asien.

Nach Meldungen des „Reuterschen Bureaus“ sind, wie bereits gestern amtlich von russischer Seite erklärt worden ist, die beunruhigenden Gerüchte über Ankunft russi⸗ scher Truppen in Teheran grundlos. Es sind dreißig Kosaken ohne Pferde angekommen, um die Schutzmannschaften der Konsulate in Kerman, Kermanschah und Ispahan ab⸗ zulösen. Wie das genannte Bureau erfährt, sind England und Rußland entschlossen, in Persien nicht u intervenieren; denn eine Intervention würde i fremdenfeindlichen Elementen in Persien nur den Anlaß zu Angriffen auf die Fremden geben. Sollte eine Intervention schließlich notwendig werden, so werden England und Rußland, bevor sie einschreiten, sich untereinander verständigen; bisher ist eine solche Notwendigkeit nicht eingetreten. England hat leine Verstärkung seiner Konsulatswachen in Persien herbei⸗ geführt; die Meldungen über die Abreise indischer Truppen nach Persien beziehen sich auf die regulären Mannschafts⸗ ablösungen.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Zweiten und Dritten Beilage.

Auf der Tagesordnung der heutigen (23.) Sitzung des Reichstags, welcher der Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner, der Staats⸗ sekrettr des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel und der stellvertretende Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts Dernburg beiwohnten, stand als erfter Gegenstand die Wahl des Präsidenten und der izepräsidenten für die Dauer der Session. Nach der Leaq geencrsereg; werden die drei Präsidenten bei eginn einer neuen Legislaturperiode zuerst für die Dauer von vier Wochen, danach für die übrige Dauer der Session

gewählt.) Der Vizepräsident Dr. fe leitete den Wahlgang ahl erfolgte durch Namens⸗

für den Präͤsidenten. Die aufruf und Stimmzettelabgabe. Es wurden 325 Stimm⸗

sötte abgegeben, davon sind 131 unbeschrieben, also ungültig. on den gültigen 194 Stimmen entfielen auf den Abg. Dr. rafen zu Stolberg⸗Wernigerode 192, daneben je eine Stimme auf die Abgg. Schwabach und Ortel. Wabn ”g. Dr. Graf zu Stolberg⸗Wernigerode: Ich nehme die deh an. (Den Präsidialsitz einnehmend): Ich danke Ihnen für B. ertrauen, welches Sie mir abermals erwiesen haben, und nehme ezug auf das, was ich vor 4 Wochen an dieser Stelle gesagt habe. n hun Ersten Vizepräsidenten wurde der Abg. Dr. aasche (nl.) mit 191 von 199 abgegebenen gültigen Stimmen

Reichsrat die Mitteilung der Regierung zur

16—, I1 ; zersplittert waren 8 Stimmen, unbeschrieben ettel. Abg. Dr. Paasche nahm die Wahl mit kurzen Dankes⸗ worten an. Darauf schritt das Haus zur Wahl des Zweiten Vize⸗ präsidenten. 8 (Schluß des Blattes.)

In der heutigen (38.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Studt und der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben beiwohnten, gelangte zunächst der von Mitgliedern aller Parteien unterstützte Antrag des Abg. Dr. von Erffa zur Beratung, in dem Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Feststellung des Staatshaus⸗ haltsetats für das Rechnungsjahr 1907, folgenden § 3a einzuschieben:

„Die bis zur gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsetats und der Anlage dazu innerhalb der Grenzen derselben geleisteten Ausgaben werden hiermit nachträglich genehmigt.“

Abg. Dr. Freiherr von Erffa (kons.): Leider ist es nicht möglich geworden, die Beratung des Etats so zu beschleunigen, daß er, wie wir alle gewünscht haben, noch rechtzeitg fertig würde. Ich habe deshalb mit den anderen Parteien einen Antrag eingebracht, der die Regierung aus der Notlage befreien soll. Ich darf dabei voraussetzen, daß die Regierung sich zu neuen Ausgaben nur dann für ermächtigt benbeet wenn es sich um dringende und notwendige Leistungen

andelt.

inanzminister Freiherr von Rheinbaben: Der Abg. Freiherr

von Erffa hat seinen großen Verdiensten als Vorsitzender der Budget⸗ kommission um die Gestaltung des Etats ein neues hinzu⸗ gefügt, indem er uns einen Ausweg aus der Situation bietet, die sich daraus ergibt, daß sich eine rechtzeitige Verab⸗ schiedung des Etats nicht erreichen läßt. Durch die uns erteilte Ermächtigung wird uns ja ein großes Maß von Verantwortung auferlegt. Die laufenden Ausgaben im Rahmen des Etats von 1906 zu leisten, werden wir uns für ermächtigt halten. Zu neuen Ausgaben werden wir uns nur dann für ermächtigt erachten, wenn es sich um dringende und notwendige Leistungen handelt und wir an⸗ nehmen können, daß das Haus seine dazu geben wird. Das ist bei einer sehr großen Anzahl von Positionen schon der Fall, die bereits die zweite Lesung passiert haben. Nur ein Teil des Kultusetats steht noch aus, und wir werden uns zur Leistung der betreffenden Ausgaben nur für ermächtigt erachten, wenn die betreffenden Positionen in der Budgetkommission nicht angefochten sind. Es handelt sich dabei vor allen Dingen um die Besetzung neuer Stellen, die Gewährung von Gehaltezulagen und die Vorbereitung von Bauten. Es würde ein ganzes Jahr verloren gehen, wenn man mit der Vorbereitung dieser Bauten, mit den Verdingungen nicht alsbald begönne. Feste Regeln, wie man im einzelnen verfahren wird, lassen sich naturgemäß nicht aufstellen, wir werden aber die Geschäfte des Landes ordnungs⸗ mäßig weiterführen und anderseits die Intentionen des Hauses, wie sie sich in der Budgetkommission kundgegeben haben, nach Möglichkeit berücksichtigen.

Abg. Dr. Dahlem (Zentr.): Bei der Beratung des Etat⸗ notgesetzes im Reichstage hat der Reichsschatzsekretär im Namen des Reichskanzlers erklärt, daß im Wege des Ergänzungsetats den unteren bezw. mittleren Beamten Zulagen von 100 bezw. 150 gewährt werden sollen, und daß für 1908 diese Zu⸗ lage bereits in den ordentlichen Etat eingesetzt werden soll. Ich benutze die Beratung dieses Notgesetzes für Preußen, um die Frage an den zu richten, ob er dem Vorgange des Reichs in beiden Beziehungen auch für Preußen zu folgen gedenkt. (Präsident von Kröcher: Das gehört doch eigentlich nicht hierher!) Solche Zemneaerngen wären doch auch für die preußischen Beamten sehr er⸗ wünscht.

Damit schließt die Diskussion, der Antrag des Abg. Frei⸗ herrn von Erffa wird der Budgetkommission überwiesen.

in dritter Beratung werden darauf die Gesetzentwürfe, betreffend Erweiterung des Stadtkreises Hanau (Ein⸗ gemeindung von Kesselstadt) und des Stadtkreises Danzig (Eingemeindung von Troyl), endgültig ohne Debatte genehmigt.

Sodann wirddie Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗ angelegenheiten im Kapitel „Elementarunterrichts⸗ wesen“ bei den Forderungen für die Präparanden⸗ anstalten fortgesetzt.

Abg. Ernst (frs. Vgg.), der bei der herrschenden Unruhe kaum zu verstehen ist, scheint die Umwandlung der Präparandenanstalten in Realschulen zweiter Klasse zu befürworten.

Abg. Dr. Arendt (freikons.): Ich kann mich diesem Wunsche nicht anschließen, der eine völlige Umgestaltung unseres Lehrer⸗ bildungswesens bedeuten würde. Auch halte ich es für not⸗ wendig, daß gerade den kleinen Städten diese Präparanden⸗ anstalten erhalten bleiben. Dagegen stimme ich in dem andern Wunsch dem Vorredner bei, die Vorsteher der Präparandenanstalten besserzustellen. Ihr Einkommen darf nicht hinter dem Einkommen der Seminaroberlehrer zurückstehen; eine Gleichstellung beider würde die Leistungen unserer Präparandenanstalten entschieden erhöhen. Ich bitte die Unterrichtsverwaltung, diesem Wunsche näherzutreten, denn auf den Präparandenanstalten baut sich die ganze Ausbildung unseres Volksschullehrerstandes auf.

Damit schließt die Besprechung. Die Ausgaben für die Präparandenanstalten werden bewilligt.

Bei den Ausgaben für die „Schulaufsicht“, und zwar bei den Besoldungen für die Kreisschulinspektoren, geht

Abg. Dr. Dahlem auf die gestern von den Abgg. Dr. Lotichius und Wolff⸗Biebrich vorgebrachte Beschwerde über einen katholischen Kreisschulinspektor in Hessen⸗Nassau näher ein. Der betreffende Schulinspektor sei in Kamberg durchaus korrekt verfahren. Sehr erfreulich sei die Erklärung der Verwaltung, daß sie die An⸗ gelegenheit nicht im Schoße der Sokalaufsicht erledigen lassen, sondern Kommissare von der Zentralstelle aus dorthin entsenden wolle. Gerade im Interesse des konfessionellen Friedens müsse festgestellt werden, daß gegen die Korrektheit des Verhaltens des Betreffenden nichts einzuwenden sei. Was das FSe konfessioneller Schulen in Nassau angehe, so habe nicht die geringste Veranlassung vorgelegen, diesen „Fall“ zu erörtern. Es sei ganz gleichgültig, ob man dabei ein altes nassauisches Gesetz auf seiner Seite habe. Es handle sich gar nicht um ein solches; das betreffende Gesetz sei ohne Genehmigung der nassauischen Stände Flassen worden. Auf ein solches Intoleranzgesetz solle man sich nicht stützen. Es komme nicht hierauf, sondern darauf an, daß mit dem bestehenden Zustande in den drei Orten, namentlich in Eppstein, die ganze Bevölkerung einschließlich der Lehrerkollegien durchaus zufrieden gewesen sei. Im Eppsteiner Falle sei man ja bis an das Oberverwaltungsgericht ge⸗ gangen. Hiermit seien hoffentlich die gestrigen Ausführungen auf ihren wahren Wert zurückgeführt.

Abg. Eickhoff (frs. Volksp.) lenkt die Aufmerksamkeit des Hauses und der auf die Unzulänglichkeit der Pensions⸗ und Reliktenversorgung der Kreisschulinspektoren. Es fehle hierfür an jeder rechtlichen Grundlage. Ein Ministerialerlaß von 1891 besage aus⸗ drücklich, daß die Festsetzung der Dienstjahre erst bei der Pensionierung zu erfolgen habe; der Beamte bleibe also bis zur Beendigung seiner Dienst⸗ zeit im Ungewissen über die Höhe seiner Pension. Sterbe er während der Dienstzeit, so schwebe bezüglich der et acbersefgnn alles in der Luft. Eine Neuregelung sei also unbedingt hets iese Beamten⸗ kategorie könne dieselbe Rechtssicherheit verlangen wie jede andere.

Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat von Bremen: Die Schwierigkeiten, deren Vorhandensein die Verwaltung anerkennt, sollen 5 bald wie möglich weggeräumt werden.

Abg. Wolff⸗Biebrich (nl.) tritt den Ausführungen des Abg. Dr. Dahlem entgegen. Der Schulinspektor sei verpflichtet, nach den Vorschriften des Gesetzes zu handeln und dürfe davon nicht eigen⸗ vschh abweichen.

Abg. Dr. Dahlem: Es wundert mich, wie der Vorredner mit dieser Sicherheit behaupten kann, es handle sich in Nassau um ein Gesetz, zumal nachdem er gehört hat, daß eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in dieser Sache noch ergehen werde. Solange die Frage nicht einwandsfrei geklärt ist, können Sie nicht verlangen, daß der Freiheit in religiösen Dingen ent⸗ gegen gehandelt werde. Jenes Gesetz ist nur als Verwaltungs⸗ maßregel vor bald 100 Jahren, ergangen. In Eppstein sind einige Heißsporne, denen der bisherige allgemein befriedigende Zustand nicht mehr gefällt und die nun eine Vergewaltigung, gestützt auf das erwähnte Edikt, versuchen. Ich bleibe dabei, daß der Schul⸗ inspektor Dr. Bertram durchaus korrekt gehandelt hat.

Abg. Dr. Lotichius er). Wenn der Vorredner behauptete, der Kultusminister von Mühler habe seinerzeit erklärt, daß jenes Edikt von 1817 nicht zu Recht bestehe, so befindet er sich im Irrtum.

(Schluß des Blattes.)

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die schon einmal abgebrochenen Verhandlungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Berliner Tapezierergewerbes haben, wie die „Voss. Ztg.“ erfährt, auch bei ihrer Wiederaufnahme am Montag keine Verständigung herbeigeführt. Die Gehilfenvertreter er⸗ klärten, daß die Mehrzahl der anfangs ausgesperrten Mit⸗ lieder jetzt schon zu den neuen Bedingungen arbeiten, sodaß bein Grund zum Nachgeben vorliege. Sie würden nur Frieden schließen, wenn alle Forderungen bewilligt werden und späfestens am 1. September d. J. in Wirksamkeit treten. Der Ver⸗ trag müßte aber am 1. März und nicht nach den Wünschen der Arbeitgeber am 15. Februar ablaufen. Die Arbeitgebervertreter lehnten diese Forderung ab. Erst gestern ist, nach demselben Blatt, in Berlin der Friede im Automobildroschkenwesen auf der ganzen Linie wiederhergestellt worden. Während die Einigungs⸗ verhandlungen bei den übrigen Kraftdroschkenbetrieben zur Verständigung führten, wurde bei der „Bedag⸗Gesellschaft weiter gestreikt. In einer Versammlung der Führer, die Montagabend stattfand, wurde mit 55 gegen 38 Stimmen beschlossen, die Arbeit wieder aufzunehmen, weil eine Fortsetzung des Kampfes zwecklos erscheine. Die organi⸗ sierten Bäckergesellen Berlins und der Umgegend waren gestern versammelt, um zu einem von ihren Vertrauensmännern auf⸗ gestellten Lohntarif Stellung zu nehmen. Die drei Hauptforderun en: „Vollständige Beseitigung des Kost⸗ und Logiswesens; Errichtung eines freien unabhängigen paritätischen Arbeitsnachweises; ein wöchentlicher Ruhetag oder ein freier Sonntag“, hatte bereits eine frühere Ver⸗ sammlung angenommen. Die Versammelten erklärten sich mit diesem Tarif auch in allen Einzelheiten einverstanden. Er soll den Arbeit⸗ gebern sofort unterbreitet werden.

In Barmen wurde, der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ zufolge, am Montag in einer Arbeitgeberversammlung beschlossen, sämtliche organisierten Schreinergesellen auszusperren.

In Leipzig sind, wie die „Post' erfährt, die Damenschneider und Schneiderinnen in den Ausstand getreten, da weder die Ver⸗ handlungen mit den Arbeitgebern, noch mit dem Gewerbegericht als Einigungsamt ein die Gehilfen befriedigendes Ergebnis hatten. Die Arbeitgeber wollten unter allen Umständen an der 10 stündigen Arbeitszeit festgehalten wissen, erklärten auch die Festlegung eines allgemeinen einheitlichen Mindestlohnes für unmöglich. Die Leipziger Möbeltransportarbeiter sind, nach der „Lpz. Ztg.“, in eine Lohnbewegung eingetreten. 1 8

Unter dem Konflikt im Hamburger Hafen leidet, wie „W.T. B.“ berichtet, die Abfertigung der Schiffe ganz erheblich; die Anzahl der auf Entlöschung oder Beladung wartenden Schiffe nimmt täglich zu. Am Montag lagen 202 Dampfer und 52 Segelschiffe im Hafen; gestern war ihre Zahl auf 212 beziehungsweise 54 ge⸗ stiegen. In der gestrigen Sitzung des Hafenbetriebs⸗ vereins unter dem Vorsitz des Generaldirektors der Hamburg⸗ Amerika⸗Linie Ballin erklärte gegenüber perschiedenen Klagen über ungenügende Herbeischaffung von Ersatzkräften an Stelle der ent⸗ lossenen Schauerleute der Generaldirektor Ballin, daß völliger Ersatz von auswärts in der kurzen Zeit nicht möglich war, G aber zum Schluß der zweiten Woche einigermaßen eschafft werden könnte. Es wurde beschlossen, auf dem be⸗ schrittenen Wege zu beharren. Der Hafenbetriebsverein gibt heute bekannt, daß 2000 Arbeiter für die Arbeit auf den Schiffen im Hamburger Hafen gesucht werden. Die Arbeiter werden auf ein Jahr fest angenommen. Der Wochenlohn beträgt 30 ℳ, Ueberstunden und Sonntagsarbeit werden mit einer Mark für die Arbeits⸗ stunde bezahlt. Diejenigen Arbeiter, die in Hamburg keine Wohnung haben, können bis auf weiteres Logis und Ver⸗ pflegung an Bord von Schiffen im Hafen unentgeltlich er⸗ halten. Der Arbeitgeberverband im T1115 dem etwa 70 Betriebe angehören, wendet sich, wie „W. T. B.“ ferner meldet, in einer Bekanntmachung an die Kundschaft, in der er wegen des Ausstandes der Gehilfen bei nicht pünktlichen Lieferungen um Rücksicht bittet. Die Zahl der Ausständigen beträgt etwa 1200; diejenigen Betriebe, die dem Verbande nicht angehören und die etwa 2000 Arbeiter beschäftigen, sind von dem Ausstande nicht betroffen. 4

In Wien haben dem „W. T. B.“ zufolge die Stückmeister der Damenkundenschneider den Beschluß gefaßt, sich dem Aus⸗ stand der Schneidergehilfen und ⸗Gehilfinnen anzuschließen. Der Ausstand der Bäcker weist keine wesentliche .. auf, die Zahl der Ausständigen hat eher zugenommen. Etwa 50 Bäckerei⸗ betriebe haben die Forderungen der Gehilfen bewilligt. In⸗ folge von Zufuhren von außen ist der Mangel an Gebäck nicht besonders fühlbar. 1

Gestern ist, wie „W. T. B.“ erfährt, die Arbeiterschaft von weiteren sechs großen Tuchfabriken in Reichenberg i. B. und Umgegend wegen Lohnstreitigkeiten in den Ausstand getreten. Die Zahl der Ausständigen beläuft sich jetzt auf 2000 Mann.

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Kunst und Wissenschaft.

Freiluft⸗Museum in Bremen. Ein für unsere nord⸗ deutsche Heimatkunst verheißungsvoller, vom Verein für Nieder⸗ sächsisches Volkstum angeregter Plan zu einem gceaee, Uöei. für niedersächsische Volkskunst in Bremen wird seit längerer Zeit in den interessierten Kreisen erwogen und hat jetzt insofern feste Gestalt ge⸗ wonnen, als der Direktor des Bremer Gewerbemuseums, Högg, auf Grund einer vorläufigen Verständigung mit der städtischen Be⸗ hörde einen in der Kunsthalle ausgestellten Museumsentwurf aus⸗ gearbeltet hat. Dieser Entwurf sieht, wie der „Köln. Ztg.“ berichtet wird, eine etwa 16 ha große Fläche auf dem linken Weserufer, dem sogenannten Werder (bisher Viehweide) für einen Museumspark vor, der mit den charakteristischen Bauernhäusern aus dem eigentlichen niedersächsischen Gebiet zwischen der Elbe und Ems und von der Nordküste bis südlich zum Bückeburger Land bebaut werden soll. Fur dies Gebiet Nordwestdeutschlands darf Bremen ja als der geographische und geistige Mittelpunkt gelten. Das Parkmuseum würde sich zunächst auf die folgenden sechs typischen Bauernhäuser Niedersachsens beschränken können: je ein Vierlander, ein Altenlander, eins aus der Lüneburger Heide, eins aus der Oldenburger Geest, ein friesisches Marschenhaus und ein Bückeburger Bauernhaus. Diese Bauernhäuser würden, mit ihren Gärten und Nebenbauten zu einer