1907 / 293 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 10 Dec 1907 18:00:01 GMT) scan diff

eit zu befürchten ist. Auch hier muß eine präzisere Fassung gefunden 2— Ueberwachung durch die Polizei besteht in allen Staaten, und es ist ein Fortschritt, daß die Auflösungen der Ver⸗ sammlungen nunmehr zunächst von dem Leiter derselben ge⸗ fordert werden sollen. Dadurch werden Reibungen vermieden. Was die aufgeführten Einzelfälle betrifft, in denen die Auflösung ver⸗ langt werden kann, so möchte ich bezweifeln, ob ein Polizeibeamter ein so feines juristisches Unterscheidungsvermögen hat, daß er zu ent⸗ 8 vermag, ob bei den Ausführungen eines Redners der Tat⸗ estand eines Verbrechens oder eines nicht nur auf Antrag zu verfolgenden Vergehens erreicht ist. Um auf die süddeutschen Vereins⸗ esetze zurückzukommen, so begegnet man meistens der Ansicht, als ob n. Württemberg das Gesetz von 1848 die einzige Quelle derselben sei. Diese Ansicht 1” falsch. ir haben das Polizeistrafgesetz von 1871 und 1879, ungeschriebenes Recht und Gewohnheitsrecht; alles das ist zusammenzunehmen. Es ist allerdings richtig, daß die Handhabung des Vereinsrechtes in Württemberg, Baden und Hessen durchaus liberal gewesen ist. In Württemberg sind aber in einzelnen Fällen auch schwere Konflikte entstanden, die bis in die höchsten Instanzen hinauf gegangen sind und auch ihre Entscheidung gefunden haben. Ich verweise auf Professor Mohl, eine Autorität auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts, der es als durchaus abhängig von dem Ermessen der zuständigen Polizeibehörden erklärt, bis zu welchem Umfange sie von dem ihnen zustehenden Rechte Gebrauch machen und Versamm⸗ lungen auflösen wollen oder nicht. Insbesondere können nach seiner Ansicht die in Ausübung dieser Befugnisse getroffenen Maßregeln der Verwaltungsbehörden weder von den öffentlichen noch von den Ver⸗ waltungsgerichten abgeändert werden. Andere Staatsrechtslehrer . der gleichen Auffassung. Wenn bisher unsere Regierungs⸗ und Ver⸗ waltungsbehörden von den ihnen formell zustehenden Kompetenzen keinen schikanösen Gebrauch gemacht haben, so haben sie den soztalen und politischen Verhältnissen unseres Landes Rechnung getragen. Um so mehr wünschen wir, daß die Freiheiten, die wir in der Praxis haben, auch in das Reichsvereinsgesetz tunlichst hineingearbeitet werden. Der Abg. Trimborn meinte, das Recht des Gebrauchs der Mutter⸗ sprache sei ein heiliges Recht. Dieses wird aber auch durch den § 7 gar nicht angegriffen. Wenn gesagt ist, ein Redner könnte wegen eines fremdsprachigen Zitats in seiner Rede zur Rechenschaft gezogen werden, so halte ich diese Gefahr für ausgeschlossen. Wir im Reichs⸗ tage, die wir uns der deutschen Sprache zu bedienen haben, nehmen uns ja auch einmal die Freiheit, ein fremdsprachiges Zitat anzuwenden. Wenn die Motive den Grundsatz aufstellen, daß von jedem Deutschen, der innerhalb des Reichsgebietes in einer öffentlichen Versammlung zu Reichsangehörigen redet, der Gebrauch der deutschen Sprache voraus⸗ zusetzen sei, so geht dieser Satz in seiner Allgemeinheit ganz entschieden u weit. Darin stimme ich den 111 des konservativen Riedners bei, daß den Litauern, Masuren und Wenden, die zu uns gehören, gegen deren Loyalität niemals Zweifel laut geworden sind, der weitere Gebrauch ihrer Muttersprache auch in öffentlichen Versammlungen durch Gesetz garantiert werden soll. Man soll alles tun, um diesen Grundsatz bei den Kommissions⸗ beratungen der Verwirklichung entgegen zu führen. Dasselbe gilt von den französisch redenden Lothringern, denen durch den § 5 des Ge⸗ setzes von 1905 garantiert ist, daß der Mitgebrauch der französischen Sprache für das französische Sprachgebiet gestattet ist. Soviel ich weiß, wird auch heute noch dort auf den Bezirkstagen die französische Sprache, wenigstens bei einem Teil der Reden, an⸗ „gewendet. Eine Aenderung hierin könnte nur die Entwicklung hemmen, die für die Fanze politische Gestaltung und Gesinnung dieses Bevölkerungsteiles wünschenswert ist. Der jetzige Annäherungsprozeß könnte nur eine Verzögerung und Hemmung erleiden. Diese Motive fallen aber fort, soweit die fremde Muttersprache zum Deckmantel deutschfeindlicher Abänderungsbestrebungen gemacht wird, wenn von manchen fremdsprachigen Elementen eine grundsätzliche Feindschaft gegen den preußischen und deutschen Staat gepflegt wird. (Zuruf von den Polen: Wo) Wo, müssen Sie sich selber fragen, nicht mich. Wo die Pflege der fremden Muttersprache nicht im Dienste der Erhaltung der nationalen Einheit steht, sondern im Dienste bestimmter politischer Zwecke, wo die Sprache zum Kampfmittel gegen den Staat wird, da glauben wir, daß der Deutsche Reichstag Grund hat, der Regierung Mittel an die Hand zu geben, um einen Kampf erfolgreich durchzuführen. Wir unterschreiben die Worte, die der Staatssekretär über die Sicherheit unseres nationalen Seins und Empfindens, von denen aus dieser Paragraph Fegfben sei, ausgesprochen hat. Wir werden versuchen, für die Wenden, Masuren und Litauer eine Sicherung im Gesetz zu treffen. Der Abg. Trimborn verwies auf andere Staaten, in denen das Deutschtum ähnlich behandelt werden könnte. Mir ist kein Staat bekannt, in dem nicht die deutschen Elemente, auch wenn sie an ihrer Muttersprache festgehalten haben, treu und loyal zu der betr. Regierung gestanden hätten. Der Staat soll die Verpflichtung haben, fremdsprachliche Beamte zu haben. Wollen Sie aber in Württemberg, Baden und Bayern verlangen, daß unsere Schultheißen und andere Polizeibeamte der polnischen Sprache mächtig seien? Ich glaube, daß über den § 7 eine Einigung in der Kom⸗ mission sich finden wird. Wir sind mit einer Kommissionsberatung in einer Kommission von 21 oder auch 28 Mitgliedern einverstanden. Wir werden uns in der Kommission bemühen, die Rechte der Staats⸗ bürger und die Befugnisse der Staatsbehörden Paragraph für Para⸗ graph genau festzusetzen und den Staaten, die eine liberale Gesetz⸗ gebung und Handhabung bereits haben, diese zu erhalten. So wird das Gesetz einen Fortschritt in einheitlicher und freiheitlicher Beziehung für das deutsche Volk bedeuten.

Abg. Heine (Soz): In der Vorlage ist uns die Gesetzgebung der Bundesstaaten und auch des Auslands mitgeteilt. Die Regierung zeigt uns, wie viele Freiheiten in anderen europäischen Staaten vor⸗ handen sind, und mutet uns ein Gesetz zu, das zwar etliche Fort⸗ schritte enthält, aber bei weitem nicht genügt. Das Gesetz enthält eine Menge Verschlechterungen nicht nur für die süddeutschen Staaten, sondern auch für Preußen und Sachsen, und das will viel sagen. Verzichtet haben die verbündeten Regierungen auf die polizeilichen Befugnisse, die für die Polizei selbst eine Quälerei sind, wie die Mitgliederlisten. Der öö in Bochum hat alle Woche

anze Ballen Papier mit Mitgliederlisten bei der Polizei eingereicht.

erzichtet hat die Regierung auf die lächerlichen Bestimmungen legen die Teilnahme der Frauen. Der preußische Minister v. Hammer⸗ stän hatte angeordnet, die Frauen dürften zwar an Versammlungen teilnehmen, müßten aber hinter einem Bindfädchen oder einer Latte

Auch das Recht der Minderjährigen in politischen Ver⸗

tzen. feene muß die Regierung jetzt anerkennen, nachdem in der Wahl⸗

nacht Fürst Bülow und der Kaiser selbst vor einer Schar junger

Burschen Reden gehalten haben. Jawohl, ich kenne eine ganze Anzahl der jungen Leute, die in der Wahlnacht das reife deutsche Kartell⸗ volk gemimt haben. Aber der Staatssekretär blickt schon mit Sehn⸗ sucht diesen Bestimmungen nach, die vielleicht mit Hilfe des kon⸗

servativen Flügels des Blocks wieder in das Gesetz hineinkommen. Die Konservativen werden der Linken noch etwas konzedieren, und

die Linke wird dafür der Rechten diese Bestimmungen zugestehen. Abgesehen von diesen kleinen Konzessionen zeigt der Entwurf den alten

23255ö22 denn beibehalten werden die Ueberwachung, die unklaren

schwankenden Begriffsbestimmungen und die Befugnisse der Polizei, aus dem allgemeinen landespolizeilichen Rechte heraus in Versamm⸗ lungen und Vereine einzugreifen. Diese drei Dinge haben unser Ver⸗ sammlungswesen zum Spott für andere Nationen und zu einer K tte von Quälereien für die Deutschen gemacht. Aber auch selbst in Nordbayern ist die ae⸗ bereits so, als ob es schon ein Teil von Preußen wäre. Wir fordern volle Freiheit der Vereinsbildung, der Versammlungen und freies Koalitionsrecht. Hätten wir ein Geser wie in Württem⸗ berg, dann würden wir in Preußen und Sachsen in wenigen Jahren oder Monaten genau dieselben Schuhriegeleien auf dem Verwaltungs⸗ wege haben wie bisher. Wir verlangen also nicht weniger Be⸗ stimmungen, sondern mehr klarstellende Bestimmungen. Der Vorredner sagte, in Süddeutschland würde die Bestimmung über Verelne und Ver⸗ sammlungen vernünftig gehandhabt, da hätte man vernünftige Re⸗ gierungen. Nun, denken Sie einmal diesen Satz zu Ende. Bei uns in Preußen haben sich die Behörden der ihnen ver⸗

““ liehenen Freiheit nicht würdig erwiesen; man muß die Kette legen, muß sie an bestimmte Grenzen binden. Wir sagen: Fort mit der Ueberwachung der Vereine und Versammlungen! Was hat diese Ueberwachung überhaupt für einen Zweck? Man kann einen Staat nicht mit einem Male hinterrücks umstürzen, ohne daß es einer merkt. Diese Bestimmungen dienen nicht dazu, den Staat zu schützen, sondern dazu, Leute, die zur Opposition nicht nur politisch, sondern dewex gehören, zu drangsalieren und zu schikanieren. Wir haben in dem Prozeß im Saargebiet fest⸗ estellt, in welcher Weise sozialdemokratische und Zentrums⸗ Fe Feter von der nationalliberalen Clique drangsaliert und der Prozeß aus Recklinghausen hat gezeigt, wie Arbeiter von der Zentrumsclique drangsaliert wurden. In einem sich daran knüpfenden Beleidigungsprozesse zu Bochum wurde festgestellt, daß Angehörige des Bergarbeiterverbandes von Bergbeamten denunziert und zum Austritt gezwungen wurden. In einer Broschüre über diese Angelegenheit wird darauf hingewiesen, daß einem Manne auf der Feche gekündigt wurde ohne Grund, auf einer neuen Zeche wurde ihm wieder gekündigt und ge⸗ sagt, die Polizei wäre hinter ihm und so noch einmal. Die rau des Arbeiters war ihrer Niederkunft nahe. Der olizeiinspektor sagte ihr: Sorgen Sie erst für eine andere Gesinnung Ihres Mannes, dann wird er wieder Arbeit bekommen. Der Mann war übrigens kein Sozial⸗ demokrat, sondern nur Mitglied des Bergwerksverbandes. Was ist eine „öffentliche Angelegenheit“? In Berlin hielt ein Arzt einen Vortrag hygienischen Inhalts über Erholungsstätten. Die Ver⸗ sammlung wurde natürlich nicht angemeldet, und es erfolgte Ver⸗ urteilung. Das Gericht meinte zwar, die Erholungsstätten wären zwar keine öffentliche Angelegenheit, wohl aber die Anleitung zur sparsamen Arzneibeschaffung. In der Nähe von Berlin sagte ein Redner: Solche Schulzustände sind unhaltbar. Das wurde für eine politische Angelegenheit angesehen! Auch das Radeln wird dazu ge⸗ rechnet! Radlervereine sollen auf öffentliche Angelegenheiten einwirken, weil sie in einem sozialdemokratischen Verein einen Reigen gefahren sind. Das Turnen wird jetzt allgemein in 1 Sachsen und anderen Bundeestaaten als politische Angelegenheit angegeben, nämlich seitdem es Arbeiter⸗Turnvereine gibt; die Politik des zwanzigsten Jahr⸗ hunderts kommt hier auf die Politik der Anfänge des 19. Jahr⸗ hunderts zurück, wo man dem Turnvater Jahn den politischen Prozeß machte. Das Singen wird jetzt als öffentliche, politische An⸗ gelegenheit angesehen, weil manche Liederbücher politischen Inhalt haben; mit demselben Rechte könnte man jeden Studentenverein auf Grund seiner Kommersbücher für politisch erklären und der polizeilichen Ueberwachung ausliefern. Wir haben ferner Fälle gehabt, wo Versammlungen, in denen keiner ein politisches Wort gesprochen hat, für politisch erklärt wurden, weil die Gerichte der Meinung waren, es hätte daselbst etwas Politisches gesprochen werden sollen. So ging es z. B. bei einem dänischen Tanzkränzchen, auf dem üherhaupt noch kein Wort gesprochen worden war. Was ein Verein, was eine Versammlung ist, muß im Gesetz selbst be⸗ stimmt werden. Wahlkomitees, Agitationskomitees, Kommissionen von drei Mitgliedern, ja auch von zwei Mitgliedern, sind bereits als Vereine erklärt worden. Das Verlangen, daß jeder Verein eine Satzung haben soll, scheint mir ganz überflüssig und nur eine Quelle von Schikanen. Von einer Vereinsfiliale verlangte die Polizei ein besonderes Statut, und es bedurfte fünf Instanzen, um endlich zu einer Freisprechung zu kommen. Von dem katholischen Windthorst⸗ bunde ist nicht nur verlangt worden, sämtliche Mitglieder am Sitze des Zentralvorstandes anzumelden, sondern auch die Anmeldung sämtlicher Mitglieder an sämtlichen Vereinsorten! Solcher offenkundige Unsinn muß doch beseitigt werden. Aber es soll auch in dieser Beziehung alles beim alten bleiben. Was ist eine Versammlung? Schon sind Biertischgespräche als Versammlungen erklärt worden und Verurteilung wegen nicht an⸗ gemeldeter öffentlicher Versammlung erfolgt. Hierüber hat sich ja auch die nichtsozialdemokratische Presse sehr scharf ausgesprochen Nichts⸗ destoweniger soll alles das in das neue deutsche Recht übertragen werden! Genau so strittig ist der Begriff einer öffentlichen bezw. einer geschlossenen Versammlung; in der Begründung der Vorlage wird diese Unklarheit nur noch gesteigert. In einem Falle hat das Oberverwaltungsgericht eine Festlichkeit, an der 800 Personen teil⸗ nahmen, als geschlossene, in einem anderen Falle eine Vereinigung mit ebenso viel Teilnehmern als öffentliche Versammlung erklärt. In der Praxis läuft es darauf hinaus, daß die Versamm⸗ lungen der Arbeitervereine immer als öffentliche, die der anderen als geschlossene angesehen werden. An einer Krieger⸗ vereinsfestlichkeit in Recklinghausen nahmen 400 Personen teil, dennoch war es eine geschlossene Versammlung; die 30 Mitglieder des Bergarbeitervereins, die in demselben Lokal tagen wollten, galten der Polizei aber für eine öffent⸗ liche Versammlung, für die das Lokal hinsichtlich der Sicher⸗ heit usw. nicht ausreichte! Die Anmeldung kann in Württem⸗ berg durch die öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden; das sollen die Württemberger behalten. Warum soll nicht auch uns anderen diese Extrawurst gebraten werden? Auch hinsichtlich der Versamm⸗ lungen unter freiem Himmel und der Veranstaltung öffentlicher Aufzüge soll es beim Bestehenden verbleiben. Das Hintereinanderfahren von fünf Kremsern bei einem Fabrikausfluge hat man in Berlin als öffent⸗ lichen Aufzug, als Versammlung unter freiem Himmel charaklerisiert! Unzählig sind die Fälle, daß Parteigenossen von mir, die Spazier⸗ gänge machten, wegen Versammlungen unter freiem Himmel oder wegen öffentlichen Aufzuges unter Anklage gestellt und verurteilt wurden. Oeffentliche Versammlungen unter freiem Himmel soll die Behörde zu verbieten das Recht haben, wenn die öffentliche Ruhe und Sicher⸗ heit gefährdet wird. Das ist gleichfalls ein schwammiger Begriff, mit dem man alles machen kann. Nach § 5 soll jede Versammlung einen Leiter haben. Da beinahe jedes Gespräch als Versammlun aufgefaßt wird, ü9 wird man späterhin in solchen g auch no sagen, die Betreffenden hätten einen Leiter haben müssen. Das Mit⸗ nehmen von Waffen soll verboten sein. Es ist doch vorgekommen, daß Gendarme und Schutzleute Stöcke und Schirme als Waffen be⸗ zeichnet und ihr Mitnehmen in eine Versammlung untersagt haben. Den überwachenden Polizeibeamten soll ein angemessener Platz ange⸗ wiesen werden. Das ist eine unerhörte Schkane. Wie mir mein raktionsgenosse Molkenbuhr erzählte, ist es in ganzen Dörfern Schleswig Holsteins nicht möglich gewesen, ein Versammlungslokal zu finden, weil für die hochwohlgeborenen Beine und sonstigen Körper⸗ teile der Herren Gendarmen kein Lokal gut genug war. Wozu soll dieser Rest einer mittelalterlichen Zeit in die Morgenröte der neuen libe⸗ ralen Politik hinüber genommen werden? In ihrer Gefahr noch nicht genügend gewürdigt ist die Bestimmung, daß Rednern das Wort ent⸗ sogen werden muß, deren Ausführungen den Tatbestand eines Ver⸗ rechens oder eines nicht nur auf Antrag zu verfolgenden Vergehens enthalten. Bisher war die Auflösung der Versammlung vorgesehen, wenn Anträge oder Vorschläge erörtert wurden, die eine Aufreizung zu einer strafbaren Handlung enthielten. Ob ein Antrag oder Vorschlag vorliegt, ist leicht zu entscheiden, aber ob eine Aeußerung den Tatbestand einer strafbaren Handlung enthält, wird immer streitig sein. Der Paragraph hätte heißen müssen: Die Versammlung wird aufgelöst, wenn von dem überwachenden Polizei⸗ beamten behauptet wird, daß die Aeußerungen des Redners den Tatbestand einer strafbaren Handlung usw. enthalten. Denn wenn der Beamte letzteres annimmt, so wird dem Leiter der Versammlung nichts übrig bleiben, als dem Redner das Wort zu ent⸗ ziehen, denn sonst wird die Versammlung einfach aufgelöst. Das ist eine Versächselung des Reichs⸗ und Versammlungzrechts, ein einfach skandalöser Zustand, daß jeder Gendarm dazwischen reden kann. Der aus dem preußischen Gesetz übernommene § 10 schreibt vor, daß, wenn die Auflösung erfolgt, sofort jerder die Versammlung verlassen muß. sch weiß nicht, ob es der Oeffentlich⸗ keit bekannt ist, daß diese Bestimmung dahin ausgelegt wurde, daß, auch wenn die Versammtung aus noch so rechtswidrigen Gründen aufgelöst wurde, diese Bestimmung auch trotzdem Platz greift. § 12, der die durch Gesetz oder die zuständigen Behörden an⸗

eder an

wurden,

geordneten Versammlungen ausnimmt, geht nicht weit g. i breßen Mangel des Gesetzes sehe ich darin, daß es ke chtsweg vorsieht. Ich gebe zu, daß es schwer ist, bei der verschiedenartigen Organisation der Behörden in den einzelnen Staaten eine Ein⸗ heitlichkeit zu schaffen, immerhin haben wir aber eine solche in der Gewerbeordnung bei dem gewerblichen Konzessionswesen. Warum ist hier nicht ein ähnlicher Versuch gemacht? Daß wir de § 7 nicht zustimmen können, ist selbstverständlich. Man mu damit rechnen, daß die Polizei präsumtiv jede Dummhei macht, die nur möglich ist. Das Sprachverbot richtet sich gegen die gewerkschaftlichen Organisationen, namentlich in Westfale Die ganze Bestimmung soll in den Entwurf überhaupt erst auf Ve anlassung der Großindustriellen in Westfalen hineingekommen sein. Ich kann das nicht kontrollieren, jedenfalls wird die Bestimmung nur den e nützen. Sie haben eine große Vorliebe für polnische Arbeiter, soweit diese rechtlos sind, soweit sie kein Koalitions⸗ recht haben. Die Bestimmung würde die Folge haben, daß diese Arbeiter kein Koalitionsrecht haben. Wie steht es denn mit dem nationalen Wesen auf der roten Erde? Sie ist schon halb polnisch geworden. Die polnischen Arbeiter sollen sich nicht mehr zu Lohndrückereien hergeben, und nun soll ihnen das Koalitions⸗ recht entzogen werden. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich ein Deutscher bin, deutsch fühle, daß mir deutsche Wesensart am Herzen liegt, wie irgend einem von Ihnen drüben. Aber wie kann man die Ehre der Nation durch derartige Ungerechtigkeiten beflecken!. Wenn die Polen wirklich eine ungerechte Politik treiben, so ist das kein Grund für uns, auch ungerechte Politik zu treiben. Wer einem die Muttersprache nehmen will, nennt sich bloß national. Hinter diesem Kampf steht nicht eine nationale, sondern eine polizeiliche Tendenz, der Geist der Unduldsamkeit, die sich bald gegen Katholiken, bald gegen Elsässer, bald gegen Polen richtet. Was der Vorredner sagte, waren keine nationalen Worte; ich würde mich schämen, wenn das der Grund⸗ satz des deutschen Volkes wäre. Die Politik der neuen liberalen Aera geht darauf hinaus: Nur nicht vorwärts! Nach den Motiven des Gesetzes sollen aufrecht erhalten bleiben sämtliche allgemeinen polizei⸗ lichen Befugnisse, auch den Vereinen und Versammlungen Die meisten Drangsalierungen sind nun mit Hilfe dieser allgemeinen polizeilichen Befugnisse geschehen, z. B. durch die Bestimmungen über die Baupolizei, wie es in Recklinghausen passierte gegenüber der dortigen Gewerkschaft. Eine Versammlung wurde ver⸗ hindert, weil der Saal mit Petroleum statt mit Kerzen e leuchtet war! In Oberschlesien hat ein Amtsvorsteher eine Ver⸗ sammlung wegen der Maul⸗ und Klauenseuche verhindert. Der meiste Mißbrauch wird mittels der Gewerbepolizeivorschriften ge⸗ trieben. In Potsdam hat die Schulbehörde eine Versammlung, in der ein wissenschaftlicher Vortrag gehalten werden sollte, verboten, weil das ein Unterrichtsbetrieb sei, da Jugendliche daran teilnahmen. Gegen solche Entscheidung gibt es keine Berufungsinstanz. Die Schul⸗ behörden können sich in 5 alles erlauben, so erklären sie dann auch solche Versammlungen als Schulbetrieb. Der Verzicht auf Be⸗ stimmungen gegen Jugendliche ist nur ein scheinbarer. Die preußische

Praxis hat sich so entwickelt: Die Schulbehörde hat die Grenze der

Aufsicht, die ihr über die Volksschulkinder unbestritten zusteht, bis zum 16., dann bis zum 18. Jahre, ja bis zur Großjährigkeit gezogen. Das ist ein Fingerzeig für den Weg, auf dem jene Bestimmung bpöllig illusorisch gemacht werden kann. Man wird einfach jede Versamm⸗ lung als einen Unterrichtsbetrieb erklären und verbieten, daß Minderjährige daran teilnehmen. In Sachsen⸗Weimar hat man kein eigentliches Vereinsrecht. Die Polizei hat dort sich angemaßt, zu er⸗ klären, sozialdemokratische Versammlungen, namentlich auf dem Lande, sind immer gegen die öffentliche Ordnung, und hat sie verboten. In Weimar sind die Gerichte nicht befugt, zu prüfen, ob die Anwendung der verwaltungsrechtlichen Bestimmungen richtig gewesen ist. Dies wird in dem Entwurf aufrecht erhalten. Die preußischen Behörden haben versucht, ein Präventivverbot der Versammlungen einzuführen. daran festgehalten, daß die Polizei Das Gericht folgert dies daraus, daß das vepuhlch. Vereinsgesetz die Materie erschöpfend regelt und der Polizei diese Befugnis nicht gibt. In dem Moment, wo das preußische Vereinsgesetz be⸗ seitigt wird, dehnen sich die Befugnisse der preußischen Polizei wieder aus, denn

Polizeibefugnis nicht, Preußen Präventiv⸗

dann werden auch in

verbote von Versammlungen möglich werden! Das ist keine Schwarz’

seherei; wenn einer in diesem Saale, dann habe ich auf diesem Gebiete Erfahrungen. Denn wir Juristen sind gewöhnt, daß etwas ganz anderes aus dem Gesetze herausgelesen wird, als was das Volk sich dabei gedacht hat. Und dieses Gesetz führt ja tatsächlich in vielen Punkten neue Unfreiheiten ein. Wer ernsthaft eine weitere

Befreiung des Vereins⸗ und Versammlungsrechtes heint muß durch

ganz klare Vorschriften solche Auslegungen und Mißbräuche aus⸗ schließen. Es soll jetzt auf die Mitgliederliste verzichtet werden; in Preußen und anderen Staaten aber hat man unter Berufung auf die allgemeinen Polizeibefugnisse „Auskunft“ von den Vereinen, auch von Vergnügungsvereinen usw. verlangt; auf diesem Umwege können auch Mitgliederlisten eingefordert werden, ohne daß eine esetzliche Verpflichtung der Vereine besteht. Das Gesetz hat auch onst noch viele Lücken. An die Regelung des Koalitionsrechts muß herangegangen werden. Der Vorredner meinte, dann würde das Gesetz ein Monstrum. Aber was für Monstra sind schon aus diesem Hause hervorgegangen, z. B. das Zolltarifgesetz! Es kommt schließlich wirklich nicht auf den Wortlaut der Gesetze, sondern auf die Praxis der Behörden an! Das beste Gesetz kann miserabel angewendet werden. Darum sind wir bereit, an dem Gesetz mitzuarbeiten; wir gehen daran mit der Ueberzeugung, daß sich die Zustände in Deutschland erst ändern werden, wenn es gelingt, den spezifisch norddeutschen Geist der Unduldsamkeit und politischen Gehässigkeit zu überwinden. In der heutigen Zeit des Reichsverbandes und der Blockpolttik, die sich im Kampfe gegen Schwarz und Rot erschöpft, muß man sagen: wir Deutsche haben noch recht gründlich an uns zu arbeiten, ehe unsere Mehrheiten, unsere Regierungen auf das Maß politischer Duld⸗ samkeit, politischen Verständnisses kommen, das die Voraussetzung für das politische Gedeihen der Nation ist.

Hierauf wird um 6 ½ Uhr die Fortsetung der Beratung auf Dienstag 1 Uhr vertagt; vorher kleinere Vorlagen, nachher erste Lesung der Börsengesetznovelle.

Das Oberverwaltungsgericht hat aber immer konstant dieses Recht nicht hat.

das Reichsgesetz beschränkt die preußische

Koloniales.

Der Staatssekretär des Reichskolonialamts Dernburg hielt gestern in Oldenburg vor der dortigen Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft in Anwesenheit Ihrer Königlichen Hoheiten des Großherzogs und der Großherzogin, des Erbgroßherzogs und sämtlicher Behörden einen einstündigen Vortrag über seinen Besuch in Ostafrika. Wie „W. T. B.“ berichtet, dankte er zunächst dem

Großherzog dafür, daß Seine Königliche Hoheit durch die Einladung

ihm Gelegenheit gegeben habe, auch an der Waterkant für die Sache zu wirken, die ihm 9. sehr am Herzen liege, und fuhr dann fort: Ich glaube nicht richtig zu tun, hier ein umfangreiches kolonial⸗ politisches Programm zu entwickeln. Will man dies, so würde die Zeit und Gelegenheit nicht zureichen, auch würden mit Recht Reichstag und Bundesrat, die einen ersten Anspruch haben, unzufrieden sein können. Ich bitte daher, mir zu gestatten, lieber in mehr berichtender Weise vortragen und dabei von Zeit zu Zeit solche Ausblicke und Erwägungen einflechten zu dürfen, wie sie der Gegenstand darbietet. Als wichtigste Episode meiner Reise kann ich ohne weiteres den Marsch ins Innere bezeichnen, einmal deshalb, weil die Fragen der

Beschaffung von Arbeitern, die die Weißen an der Küste bewegen, nur aus einer Kenntnis der Verhältnisse in denjenigen Gebieten be⸗

urteilt werden können, aus denen die Arbeiter herangezogen werden müssen; dann deshalb, weil, wenn man Bahnen und Wege ins

Innere bauen will, wo weder weiße Ansiedler noch Plantagen

1“ unter weißer Leitung be ehen, man die Basis für eine Rentabilität und ohne eine solche darf man Bahnen nicht bauen nur im Innern finden kann, wobei alles darauf ankommt, daß man die Entwicklungsfähigkeit von Eingeborenen und deren Kulturen richtig und vorsichtig einschätzt; drittens, weil ein sicheres Bild über die Zustände selbst im größten Teil des Schutz⸗ gebiets an der Küste überhaupt nicht erhältlich war. Es ist doch eigentümlich, daß die wenigsten Weißen, die in Ostafrika ihr Geschäft treiben, das Land kennen, daß noch nie ein aktiver Gouver⸗ neur im Zentrum von Deutsch⸗Ostafrika geweilt hat, daß keiner derjenigen Beamten, welche in Daressalam die Zentralverwaltung bilden und mit dem Gouverneur die Verantwortung teilen, jemals über den Küstensaum hinausgekommen ist. Deshalb erschien es mir als unumgänglich, ehe ich auf die Wünsche von Pflanzern und An⸗ siedlern an der Küste eine entscheidende Antwort geben, ehe ich dem 8 Volk einen Vorschlag über den Bau von Bahnen ins Innere machen, ehe ich mir ein Urteil über die weitere Entwicklung unseres Schutzgebiets zutrauen wollte, selbst mit nicht unerheblichem Zeit⸗ aufwand in das Herz des Landes zu marschieren.

Ein erstes und graßg⸗ Stück kann man mit der Bahn fahren, allerdings mit keiner deutschen. Denn selbst die jetzt beendete Moro⸗ gorobahn reicht mit ihren 220 km nicht weiter als bis zu knapp ½ der Querausdehnung unseres Schutzgebiets. Dagegen haben die Eng⸗ länder, wie ja wohl bekannt, vom Fafen Mombassa bis nach Kisumu am Viktoria⸗Nyansa eine Eisenbahn gebaut, und mit Hilfe der⸗ selben und der von ihnen asgecteen Schiffahrt auf dem Viktoria⸗Nyansa kann man das Zentrum unseres Schutz⸗ gebiets leichter erreichen als auf dem Marsche von der Küste, ein Marsch, der heute noch 30 Tage in Anspruch nimmt. Mombassa liegt unter dem 4. Grad südlicher Breite und der End⸗

unkt der englischen Bahn am Viktoria⸗Nyansa genau auf dem

equator; Tabora liegt auf dem 5. Grad südlicher Breite. Das ganze Schutzgebiet ist nicht nur tropisch, sondern es liegt nahezu direkt unter dem Aequator, und das ist bei allen Erwägungen über die Zenugs nicht zu vergessen. Die englische Bahn ist 584 englische Meilen gleich 940 km lang, d. i. ungefähr die Distanz von Oldenburg nach Wien. Sie ist auf 1 m Spur gebaut und hat in runder Summe 110 Millionen Mark gekostet. Die Bahn ist 5 aus Gründen der Sicherheit entstanden, um England die Möglichkeit zu geben, den Besitz des ost⸗ afrikanischen Protektorats östlich vom Nyansa, des Ugandaprotektorats westlich vom Nyansa und der oberen Nilländer nördlich vom Nyansa ohne zu großen Aufwand zu halten. Das Land selbst, durch das die Bahn fährt, ist zum großen Teil nahezu unproduktiv. Wenn man den herrlichen Palmenbestand und den in aller tropischen Ueppigkeit glänzenden Küstengürtel überwunden hat, folgen mindestens 400 km, aus denen die Bahn nahezu keinerlei Frachten ziehen kann, unendliche Ebenen durchaus menschenleer, weil sehr wasserarm. Hier nun hat sich die Gelegenheit gegeben, in einer geistreichen Ausnutzung der natürlichen Umstände dem Reisenden Bilder zu bieten, wie sie schöner und romantischer nicht ausgedacht werden können. Die ganze Strecke nämlich ist zu einem Wildreservat erklärt worden, und auf ihr tummeln sich in Herden von Tausenden Zebras und Gnus, große und kleine Antilopen, Gazellen und Strauße. Hier und da kann man zunächst wie große kahle Bäume aussehende Giraffen zu 2 und 3 zu⸗ sammenstehen sehen, und diese Tierwelt weiß⸗ daß sie abfolut geschützt ist, sie kommt bis auf 10 15 m an den vorbeifahrenden Zug heran. Auch an Raubzeug fehlt es nicht. Während des Baues ist eine große Menge indischer und einheimischer Arbeiter, sind auch mehrere Weiße von Löwen zerrissen worden, und am Tage vor meiner Durchreise war auf der Station Sultan Mahmud eeine schwarze Frau wenige 100 m vom Stationsgebäude fortgeschleppt worden; ja, eine Station trägt direkt den Namen „Löwe“ (Simba). Durch diese wunder⸗ bare Tierwelt fährt man nun nahezu einen ganzen Tag. Die afrikanischen Bahnen haben keine Schnellzugsgeschwindig⸗ keit, 46 Stunden dauert die Fahrt, zwei Nächte, und wenn sie auch interessant ist, so ist sie nicht sehr bequem, denn Schlafwagen gibt es natürlich nicht. Die Mahlzeiten müssen in bestimmten, mit Speisehäusern verbundenen Bahnhöfen einge⸗ nommen werden, wo dann der Zug 6 oder ¾ Stunde hält. Wenn es auch nicht rußt wie auf unseren Eisenbahnen, weil die Feuerung mit Holz erfolgt, so dringt doch ein feuerroter Staub ständig durch alle Ritzen und Spalten ein, und wenn man seine Reise absolviert hat, sieht man eher wie ein Indianer als wie ein Bleichgesicht aus.

Die pesige Hauptstadt Nairobi teilt die Bahn in zwei etwa gleiche Teile; sie liegt ziemlich hoch und ist deshalb von vielen Euro⸗ päern dauernd bewohnt. Auch sind zahlreiche europäische Ansiede⸗ lungen, besonders von Engländern und Buren, die aus Südafrika ausgewandert sind, um Naitrobi gruppiert, und es hatte eine Zeitlang den Anschein, als ob dort eine große weiße Stadt entstehen könne. So wurde sie denn in prächtiger, extravaganter Weise mit breiten Avenuen an⸗ selegt; Baustellen stiegen auf fabelhafte Preise, und die Stadt, die ursprüng⸗ ich nur entstanden war, um ein Bauzentrum für die Bahn zu bilden, wuchs an den verschiedensten Stellen rapid auf. Aber es zeigte sich, 8 auch das Höhenklima nicht vor Seuchen und Malaria schützt und daß ferner selbst eine hohe und dünne Luft europäische Arbeit sehr erschwert, weil die tropische Sonne dabei täglich 9 bis 10 Stunden dem Arbeiter über dem Scheitel steht. Und so sind denn jene weißen Ansiedelungen um Nairobi, insbesondere da ein Absatz für die Pro⸗ dukte fehlte, wieder sehr stark im Rückgang begriffen, und ein ehr unzufriedenes Element hat sich dort gebildet. De Bauspekulation

total zusammengebrochen; Bauplätze, die vor vier Jahren für 400 zu haben waren, inzwischen aber auf 4000 gestiegen waren, ’* heute zum Ursprungspreis kaum mehr anzubringen. So ist denn

airobi vorläufig noch eine Stadt aus Wellblech, und wenn sie auch einen langsamen Fortschritt verspricht mit der Hebung von Handel und Wandel, so sind doch die extravaganten Erwartungen für eine weiße Ansiedlung bisher unerfüllt geblieben.

Auch ein wesentlicher Plantagenbau besteht in Britisch⸗Ostafrika nicht. Er scheitert an der dünnen Besiedelung mit Schwarzen und an der Ueberzeugung der Regierung, daß das Land in der Eingeborenen⸗ kultur eine sicherere Basis finden werde, als in der Erzeugung von den Schwankungen des Weltmarkts stark unterworfenen Plantagen⸗ rodukten. Die Dünne der Bevölkerungen erklärt auch die

strebungen, aus dem viel volkreicheren Deutsch⸗Ostafrika beständig Arbeiter in großen Massen zur Auswanderung zu bewegen, eine Tendenz, der nur durch große Vorsicht und angemessene Be⸗ andlung unserer Eingeborenen entgegengewirkt werden kann. Denn einen Zwang auf sie auszuüben, ist bei einer nahezu 1000 km langen Grenze und den nur verhältnismäßig kleinen Machtmitteln, die wir aus verständlichen Gründen in der Kolonie halten, ganz unmöglich.

Die englische Verwaltung hat uns den liebenswürdigsten Empfang bereitet und uns einen Einblick in viele Verhältnisse gestattet, die vorbildlich für unser eigenes Schutzgebiet sein können. Fon Nairobi an steigt die Bahn nun bald stark an. Auch hier ist die Bevölkerun nicht dicht, und es kommt wenig genug Verkehr heraus. Schon na wenigen Stunden beginnt ein dichter, wunderbarer, tropischer Urwald. Einen solchen Urwald müssen Sie sih nun nicht etwa vorstellen ähn⸗ lich wie einen deutschen Forst oder selbst wie die amerikanischen Berg⸗ wälder. Dichtes Unterholz, nansbcge Lianen, Felsen und Schluchten machen ihn nahezu unpassierbar. Auch besteht er nicht aus einer oder mehreren Baumarten in geschlossenen Beständen, sondern Laub⸗ und Kadelholz steht durcheinander, wertvolles und wertloses Seite ei Seite. Der Einblick in die Felsschluchten, den man von den vielen Brücken genießt, ist sehr grotesk. Die ab⸗ sfstorbenen Baumriesen, die teils ihre baren Arme in 8* Luft strecken, teils am Boden schwere Hindernisse ilden, haben die wunderbarsten Formen. So wertvoll manche der

ölzer sein werden, so schwer ist es, sie zu gewinnen, weil von einem vorstmäßigen Abtrieb und Umtrieb nach dem Geschilderten nicht die ede sein kann. Deswegen sind auch die Rechnungen, die über den ungeheuren Wert dieser Hölzer gemacht werden, mehr oder weniger rreleitend, weil vermullich die Gewinnungs⸗ und Transportkosten gleichfalls ganz außerordentliche sein werden. Ein Anblick von überwältigender Schönheit eröffnet sich, wenn ie Bahn den großen zentralafrikanischen Graben erreicht: ein steiler

Tage und zwei

W S Absturz von etwa 6000 Fuß mit der wunderbarsten Natur, der schönsten Fernsicht und den Ffssag Farben. Hier ist nun die Bahn ein ö allerersten Ranges und hat selbst⸗ verständlich, besonders da sie nahezu 5 ganz umgebaut werden mußte, große Summen verschlungen. Hinter dem Graben bei Mau erreicht die Bahn die Höhe von 8000 Fuß. Es wird dort in der Nacht bitter kalt, und hier sind auch einige Großfarmbetriebe mit Viehzucht, die anscheinend viel versprechen. Dann kommt ein schneller Abstieg in einen ebenen Streifen, der den Viktoriasee umsäumt, und hier 82 t der Endpunkt der Bahn, Port Florence auf englisch, Kisumu in der Sprache des Landes. Es liegt an einer Bucht und macht einen sehr nüchternen und geschäftsmäßigen Eindruck. Denn im Kampfe mit den Seuchen, der Schlafkrankheit und der Malaria hat man nahezu jeden Busch und Strauch, die Herbergen der Fliegen und ihrer Brut, in der Umgegend der Stadt niedergelegt, und die Sorge geht so weit, daß den einzelnen Europäern, meistens Beamten, selbst die Hecken um ihre Gärten abrasiert wurden. So ist denn Kisumu ein großer Bahnhof, auf der Höhe umsäumt von Beamten⸗ häusern und b mit einer großen indischen Basar⸗ straße und einem Eingeborenenmarkt, der zu den merk⸗ würdigsten Anblicken, die man überhaupt haben kann, 1 Dorthin nämlich kommen täglich die Umwohner des abirondo⸗Stammes, Menschen von wunderbarem Körperbau und nicht unsympathischen Gesichtszügen, die eine unüberwindliche Ab⸗ neigung gegen jede Art von Kleidung haben, die über einige messingene Armringe oder einige Perlenschnüre um den Hals hinausgeht. Ein europälscher Bildhauer würde in den wunder⸗ baren Gestalten, die sich mit vollkommener Freiheit und Anmut bewegen, und deren herrliche Muskulatur noch durch das Farbenspiel einer sammetweichen, nabezu schwarzen Haut gehoben wird, ein unermeßliches Studienmaterial finden. Auf diesem Einge⸗ borenenmarkt habe ich Frauen sitzen sehen, die in ihrer ungezwungenen Pose den Vergleich mit Michelangelos Frauengestalten an den Gräbern der Mediceer zu St. Lorenzo nicht zu scheuen hätten. Das Volk ist futmäͤtig, nicht sehr intelligent. Es ist verhältnismäßig wahrheits⸗ iebend und sehr sittenrein.

In den See hinaus streckt sich ein Pier, an dessen Seite jetzt ein zweiter errichtet wird, und eine Werftanlage, die bei aller Ein⸗ fachheit großartige Leistungen vollbringt. Denn nicht weniger als vier große eiserne Schiffe vermitteln den Verkehr auf dem Nyansa, drei Passogier⸗ und Frachtdampfer und einer, der nur zur Frachtbeförderung bestimmt ist. Diese Schiffe sind Stück für Stück in ihren einzelnen Teilen von England mit Dampfer nach Mombassa und von dort auf der Bahn gebracht und werden in Kisumu lediglich zusammengesetzt. Sie werden hier verstehen, was das heißt, wenn ich Ihnen sage, daß der große Frachtdampfer 1500 Bruttoregistertonnen hat. Die Einrichtung der Passagierdampfer ist die eleganteste, man kommt sich in dem Fühtetnn von Afrika unter dem Aequator, 1000 km von der

üste, wie in einem erstklassigen europäischen Hotel vor. Englische Reinlichkeit, europäischer Komfort und nur der Mangel an Eis, die tiefbraunen goanesischen Stewards und die in weiße, lange Hemden gekleideten Kabirondojungen, die die Bedienung der Gäste besorgen, erinnern daran, daß man im Mittelpunkt des schwarzen Kontinents ist. Die Goanesen sind portugiesische Mischlinge aus Indien und werden überall in kleineren Stellen, besonders auch als Regierungsbeamte, verwandt. Die Vorarbeiter auf der Werft sind Inder; die ganze technische Bedienung des Schiffes besorgen Schwarze. Da der Viktoria⸗Nyansa in seiner Mitte noch unbekannt und an Fen Küsten nicht befeuert ist, fahren die Schiffe nur bei Tage. Es ist ein merkwürdiger Kontrast: F vollendete Behaglichkeit, mit der man über die tiefblauen Fluten ieses Binnenmeeres von der Größe Bayerns fährt, und die zum Teil kahlen, ganz menschenlosen Inseln und Küsten, die die Schlafkrankheit in dem letzten Jahrzehnt entvölkert hat, so entvölkert, daß man nahezu in Kisumu keinen Fisch mehr erhalten kann, weil die Fischer ausgestorben sind. Die Größe der Aufgaben und die Gefahr des wirken so mächtig, daß man nur mit Bewunderung und

ank der deutschen Gelebrten gedenkt, besonders des Geheimrats Koch, die im Ferefe der Menschlichkeit und Zivilisation unter großen Seleeer efahren diesem furchtbaren Feinde sich entgegengestellt aben.

Die Dampfer bringen nun den größten Teil der Fracht für die Ugandabahn in Kisumu zusammen. Sie besteht aus Baumwolle, die in Britisch⸗Uganda von Eingeborenen gezogen und dort Volkskultur eworden ist, auch aus Gummi, der auf diesem als dem nächsten

ege vom östlichen Congostaat kommt, aus Rinderhäuten, Ziegen- und Willdfellen, die aus dem deutschen Gebiet kommen, aus Wachs, das in Deutsch⸗Ostafrika gesammelt wird, aus Elfenbein und Erdnüssen, aus Reis und Mais, die in den deutschen Häfen eingehandelt werden. Es ist sehr interessant, hier eine kurze SFrerugege Erwägung anzustellen. 110 Millionen Mark hat die Bahn gekostet, 4 Millionen Mark wird die jährliche Verzinsung erfordern, 800 000 beträgt zur Zeit der reelle Ueberschuß, d. h. um über 3 Millionen Mark bleibt diese Bahn heute hinter ihrer Verzinsung zurück. Nichtsdestoweniger ist sie eine Kulturtat ersten Ranges, die wirtschaftlich allerdings zunächst uns Deutschen zugute kommt. habe bereits gesagt, daß sie ein ungeheures Kolonialreich sichert. Sie wissen alle selbst, was Kolonialtruppen kosten. In Ostafrika beträgt das Kapitel 2 des Etats, „die Militärverwaltung“, heute noch nahezu 3 ½ Millionen Mark, in Südwestafrika gar noch beinahe 24 Millionen Mark. 55 % der gesamten Frachten der Ugandabahn kommen aus dem deutschen Gebiet. Bukoba, Muansa und Shirati sind die Häfen. 1 800 000 macht der deutsche Anteil aus, Wum den die Güter auf der Ugandabahn billiger befördert werden, als eine mäßige 7.e. verlangen würde. Aber welche Wirkung hat die Bahn auf die Entw v, unseres Schutzgebiets gehabt! 9 Millionen Mark Handel, und zwar ausschließlich Eingeborenenhandel, hat sie für das Jahr 1907 in diesen 3 Häfen möglich gemacht. 600 000 Zölle haben wir bei diesem Handel eingenommen, über 1 Million Ein⸗ geborene sind in das Produktionsstadium eingetreten, nahezu 1 Million Hüttensteuern sind wir infolge dieser Produktionsfähigkeit einzuheben in der Lage. Aber auch der englische Verkehr, das Aufblühen von Mombassa ist eine Folge dieser Bahn. Daraus können wir zunächst zweierlei lernen: erstens, daß der Nutzen einer Eisen⸗ bahn nicht bemesseu werden kann nach dem, was sie selbst aufbringt, sondern daß die allgemeine Hebung des Landes und die daraus entstehenden fiskalischen Gefälle die nächste Wirkung zu bilden pflegen, und daß die Einnahmen, die die Landes verwaltung hat, genügende Summen liefern, um eine Bahn auch rentabel zu bauen; zweitens aber, da Seheeeguoöbahnen für fremde Länder durch eigene nicht produktlonsf hige Gebiete kein Geschäft .821 das sich lohnt. Das müssen sich diejenigen überlegen, die mit ücksi t auf den Verkehr, der aus Britisch⸗Zentralafrika und dem Congo⸗

staat über den Nyassa⸗See zu holen wäre, den Bau einer Südbahn in

Ostafrika zunächst befürwortet haben. Die Folgen müssen absolut identisch sein mit denen, die bei der Ugandabahn eingetreten sind. Man würde diese beiden genannten srecgden Länder wirtschaftlich und skalisch entwickeln und, weil diese Einnahmen Fremden zufließen, ür die eigene Bahn keine oder nur eine sehr bescheidene Rente er⸗ warten dürfen.

Macht man die nördliche Rundfahrt um den See, so ist der erste deutsche Landungsplatz Bukoba. Es ist eine offene Reede mit starkem Seegang und deshalb sehr ungeeignet, sodaß die Verlegung der Station, trotz vielem, was da Gutes geschaffen ist, in eine der besser geeigneten nahen Buchten ins Auge gefaßt werden muß. Der Bukobabezirk ist eine sogenannte Residentur, d. h. man hat klugerweise dort eine ausgedehnte deutsche Verwaltungstätigkeit nicht vorgenommen, sondern herrscht mit den und durch die eingeborenen Fuüͤrsten, was um so leichter ist, als es deren nicht sehr viele gibt, jeder ein ver⸗ hältnismäßig sehr großes Volk befehligt und die Herrschaft eine sehr absolute ist. Denn dem herrschenden Recht nach gehören Grund und Boden, und was darauf wächst, Menschen, und was sie besitzen, dem Fürsten absolut und ohne Einschränkung. Die deutsche Verwaltung hat

sich mit Erfolg bemüht, diesen sehr barbarischen Rechtszustand d einen besseren zu ersetzen, 9* dem an die Stelle des Ei 1e0, 2 Verpflichtung zu einer Abgabe tritt und Rechtspflege durch Weiße nach und nach verbreitet wird. Die Bevölkerung ist ein schöner Menschenschlag, der sich im wesentlichen von Bananen nährt. Die Banane ist eine einjährige Pflanze, aber sie erneuert sich beständig aus Wurzelschößlingen und wächst bei geringer Pflege und einiger Düngung viele Jahre auf derselben Stelle. So ist denn jede Eingeborenenhütte mit Bananen umgeben, und hier ist der erste Ansatz zu einer Düngungswirtschaft. Der Eingeborene erhält im wesentlichen Kleinvieh (Ziegen) für diesen Zweck, sehr im egensatz zu anderen Teilen Ostafrikas, wo diese Nutzbarmachung der tierischen Exkremente unbekannt ist. Die Exportprodukte sind demnach im wesentlichen fene Kleinviehfelle und in steigendem Maße der Kaffee. Es ist interessant, hier eine Vergleichung der Eingeborenen- und der Plantagenwirtschaft gerade bei diesem Artikel anzustellen. Bekanntlich ist in Usambara, wo eine gute Qualität Kaffee erzeugt wird, die Plantagenwirtschaft in 1 E nicht mehr rentabel. Alle Plantagen setzen jedes Jahr Geld zu und versuchen nach und nach andere, besser rentierende Gewächse zu ziehen. In Bukoba steigt die Kaffeeproduktion von Jahr zu Jahr, und die Qualität ist derart, daß der Export zum großen Teil nach Arabien se wo er, mit dem dortigen Kaffee vermischt, als Mokkakaffee n den Handel kommt. So stehen denn um jede Hütte 10, 20 und 30 Kaffeebäume zwischen den Bananen. Es erscheint auf den ersten Blick als wunderbar, daß ein mit europäischer Intelligenz betriebener, mit reichen Geldmitteln an 1 und mit maschinellen Einrichtungen zum Teil komplizierter Art für Enthülsung und Trocknung ausgestatteter Betrieb nicht mehr konkurrenzfähig ist. Aber gerade darin liegt zum Teil der Mißerfolg. Eine Kaffeeplantage ist belastet mit den Kosten von Grund und Boden. Den Eingeborenen gehört der Boden frei. Sie ist belastet mit den Kosten der Rodung; Plantagen können ja nur da angelegt werden, wo kein Eingeborenenbesitz vorhanden ist. Diese Kosten sind sehr hoch. Der Eingeborene zieht den Kaffee als Zwis chenkultur. Eine Plantage ist belastet mit den Kosten eines europäischen Aufsichtsrats, einer europäischen Leitung, weißen, sehr teuren Angestellten im Schutzgebiet und vor allem mit Fases auf Kapital und Arbeit für 5 bis 6 Jahre, nämlich die Zeit zwischen Anlage und Ertragsfähigkeit. Nehmen Sie nun die Kosten des Hektars blos auf 3 Rp. an, s müssen Sie doch mindestens 50 Rp. für den Hektar für die Rodung und 10 Rp. für die Pflanzung rechnen, so haben Sie 63 Rp. Kosten. Auch so lange der Kaffee nicht ertragsfähig ist, muß dieses Land rein gehalten, müssen Abzugs⸗ gräben, Wasserlöcher ꝛc. gemacht werden. Dazu gehört mindestens 1 Mann für je 2 ha, d. h. für 6 Jahre für den Hektar ½ Mann. Dies ergibt 3 Arbeitskräfte zu je 150 Rp., zusammen 450 Rp., zu jenen 63 hinzu, im ganzen also zunächst 513 Rp. Dazu kommen mindestens 30 600 für das Jahr Generalunkosten der Weißen, und wenn Sie dies auf 500 ha anschlagen, so macht das 60 per Jahr oder 360 ℳ, bis die Plantage träg und das sind 270 Rp., zusammen 782 Rp. Wir haben also nicraͤgte 800 Rp. auf den Hektar Unkosten oder 1 Rp. per Kaffee⸗ bäumchen, 1000 auf den Hektar gerechnet. Sie müssen also, wenn Sie nur 15 % Zinsen rechnen, 4 Heller = 5 ½ von vornherein Unkosten rechnen. Nun kommt die Zeit der Ernte und da brauchen Sie mindestens 1 Mann auf den Hektar, d H. für das Bäumchen im Jahr, so haben Sie schon 25 ½ ₰. Trägt nun ein Baum 2 Pfund Kaffee, wovon ¼ dem Gewicht der reinen Bohne entspricht, so haben Sie 200 gr Kaffee. Wenn Sie nun nichts für ihre Anlage und den Betrieb rechnen, so ist es klar, daß be affeepreisen von höchstens 50 für das Pfund 200 gr nur 20 wert sind, und Sie deshalb 5 —6 zu jedem Pfund beizulegen haben. Das ist eine sehr bescheidene Rechnung, die nichts für Erneuerung des Bestandes, für Ausfall infolge Absterbens und Pflanzenkrankheiten ansetzt, und eine b— die mit einem sehr hohen Ertrag rechnet. Diese 26 Unkosten hat der Eingeborene nicht, er hat gar keine Unkosten. Er macht die Sache nebenbei, er lebt von seiner Banane, er hat also jene 20 rein, wo die Plantage 6 msetzt. Diese Wahrheit, daß in vielen Fällen die Eingeborenen- kultur unglaublich viel billiger produziert als Plantagenkultur, ist für manche Leute nicht sehr erbaulich, aber sie muß im Interesse unserer Kolonien und ihrer Entwicklung ausgesprochen werden.

Das Bild ändert sich natürlich sofort, wo es sich um sehr hoch⸗ wertige Produkte handelt, die nur mit großen maschinellen Anlagen, wie Sisal, und mit großen Geldaufwendungen, wie Baumwolle bei

der Bewässerung, 2 werden können; denn der Eingeborene kann

weder Maschinen bestreiten, noch Kapital schaffen. Aber es ist doch ein anderes, was ernsthaft ins Auge gefaßt werden muß. Der Kaffee⸗ bau war rentabel, solange nicht die ungeheuere brasilianische Ueber⸗ produktion eintrat, d. h. die Plantage ist mehr oder weniger abhängig von der Weltkonjunktur. Ob sie bestehen kann oder nicht, hängt von Faktoren ab, über die man keine Gewalt hat, und das ist der Grund, weshalb man dafür sorgen muß, 8* ein Schutzgebiet nicht vom Plantagenbau abhängig wird, damit bei sehr schlechten Konjunkturen nicht das ganze Schutzgebiet, Leben und Nahrung der Eingeborenen in Gefahr kommt. Da der Eingeborene im Vergleich mit der Plantage eben keine Vorkosten und Zinsen hat, so kann der Preis unendlich tief heruntergehen; alles, was die Sache bringt, ist noch Nutzen Es ist vielleicht nicht genug, um zu dem Anbau zu reizen, er wird sich nicht ausdehnen; aber daß er ganz erlischt, dagegen schüͤtzt die Notwendigkeit, gewisse fiskalische Abgaben zu zahlen und dafür entsprechende Exportkultur zu pflegen. Es ist deshalb mein Bestreben gewesen, im Schutzgebiet einen genauen Einblick in die Wirtschaftsweise zu bekommen, damit alle Erwerbsstände in gleicher Weise zu ihrem Recht kommen und nicht nur die Plantagen einerseits geschützt werden, sondern auch andererseits das Sensoese vor einer Entwicklung bewahrt wird, die große Gefahren in sich bergen kann. Ich bin mir der großen Verantwortung wohl bewußt, die darin liegt, diese Dinge offen darzulegen, aber i weiß, daß ich diese Verantwortung nicht nur deutschem Kapital gegen⸗ über, das in den Kolonien angelegt ist, trage, sondern auch den vielen Millionen Menschen gegenüber, die st beherbergen.

Um die Station Bukoba hat sich schnell eine Ansiedlung von ändlern, meistens Indern, etabliert, obschon auch mehrere e andelsbäuser, und zwar 2 deutsche, 1 amerikanisches und 1 italieni⸗

sches, sich dort v,eeest haben, um einen direkten Export der für Handschuhleder unentbehrlichen Felle in die betreffenden Konsumländer zu leiten. Die europätschen Häuser treiben Großhandel, aber auch sie bedürfen der deutschen Tauschprodukte. Der Inder betreibt im wesentlichen Kleinhandel, aber auch er steht nicht etwa direkt zwischen dem Großhändler und dem Eingeborenen, sondern auch er rüstet wieder andere mit Tauschwaren aus, damit sie in das Land ziehen, die Exportwaren aussuchen und sie auf dem Tauschwege erwerben. Ich will hier auf die Inderfrage nicht eingehen, nur das will ich sagen, daß die Konstruktion des ostafrikanischen Handels eine ziemlich feine und komplizierte ist, in die man nicht mit rauher Hand eingreifen darf. Derjenige, der mit den Eingeborenen direkt verkehrt, ist gewöhnlich ein Suaheli oder Wanjema von der Küste oder ein Wanjamwesi aus dem Innern, denn auch dieses Volk hat erhebliche Erwerbsinstinkte. So geht denn die Ware vom Ein⸗ geborenen auf den Eingeborenenhändler, von ihm auf den indischen oder deutschen Grossisten über und von da in den Weltverkehr. Der Tauschwaren sind mancherlei, hauptsächlich baumwollene Tücher, die aus Indien und Holland oder in ihren besseren Qualitäten aus Amerika kommen, Perlen und Draht, daneben aber viele nützliche a; rune. aus Email, Blech und Eisen, das nach und nach seiner rößeren Haltbarkeit und leichteren Reinigung halber die eingeborenen on⸗ und Kürbisgefäße zu verdrängen sucht. Die kostbarsten aber und vom Eingeborenen begehrtesten Handelsartikel sind, mit Ihrer Er⸗ laubnis, alte Hosen und Röcke, die ihren eg von der großen Friedrichstraße bis nach Bukoba finden, in großen Lagern dort auf⸗ estapelt sind, und für die die Eingeborenen exorbitante Preise zahlen, n der dem Neger überall eigenen Nachahmungssucht. Ich versage es mir, hier des näheren auf die Besuche einzugehen, die ich in der Bukobaer Gegend bei den dortigen eifrigen und ver⸗ dienstvollen Missionaren gemacht habe, und auf die schwere, ent⸗