Dentscher Reichstag. 84. Sitzung vom 20. Januar 1908, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Buroau.)
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes, betreffkend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen.
Ueber den Anfang der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Scheidemann (Soz.) fortfahrend: Wenn der Abg. Lehmann ausführte, derjenige, der das Wort „Seuchenverdacht“ geprägt habe, müsse nicht nur gehängt, sondern auch noch gespießt werden, so weiß ich nicht, ob das national⸗ liberale Grausamkeit oder sächsische Gemütlichkeit ist. Aber in der Sache bin ich mit Ibnen der Meinung, daß es sich da um die allerschwersten Belästigungen handelt, daß es dahin kommen kann, daß die Bauern schließlich ihres Lebens nicht mehr froh werden, wenn die im Zusammenhang damit vorgeschlagenen schikanösen Be⸗ stimmungen Gesetzeskraft erlangen. Das gilt von den direkt unan⸗ nehmbaren §§ 9 (Kreis der anzeigepflichtigen Personen), 12 (Isolierung), 17 (Beaufsichtigung der Viehmärkte) und vor allem 17a, der in nicht weniger als 18 Unterabteilungen eine Unzahl der allerschikanösesten sogenannten Schutzmaßregeln gegen die ständige Gefährdung der Vieh⸗ bestände durch Viehseuchen vorschreibt, ein Paragraph, der mit Recht ein Allerweltsparagraph genannt worden ist. Bei aufmerksamer Prüfung aller dieser Bestimmungen erkennt man als Kern den Gedanken möglichster Unterbindung des Viehhandels, wogegen die eigentliche Aufgabe des Gesetzes, die Ermittlung und Isolierung des Seuchen⸗ herdes, gänzlich zurücktritt. Die Grenzsperren unter allen Umständen strictissime aufrecht erhalten, das ist der Zweck der Vorlage. In § 19 wird die Möglichkeit von Beschränkungen des Personen⸗ verkehrs statuiert; für verseuchte Orte oder Bezirke kann nach § 44a ein findiger Ortsvorsteher oder Bürgermeister jede ihm unbequeme Versammlung unmöglich machen. Es sind bis⸗ her schon Versammlungen verboten worden, weil die Maul⸗ und Klauenseuche in einem Orte ausgebrochen war. Die Kommission müßte Sicherheit schaffen dagegen, daß die Dorfbürgermeister diese Bestimmung mißbrauchen. Von größter e. ist die Ent⸗ schädigungsfrage. Wenn die Entschädigungspflicht in dem Maße aus⸗ gedehnt werden soll, wie es die Vorlage vorschreibt, so kommen ganz ungeheuerliche Summen in Betracht. Die Konsequenz der Vorlage wäre die Durchführung einer obligatorischen Reichs⸗ viehversicherung, wie wir sie immer gefordert haben. 6 be⸗ stimmt, daß die Einfuhr von Tieren, die an einer übertragbaren Seuche leiden, und von verdächtigen Tieren verboten ist usw. Durch § 6a kann der Verkehr mit Tieren von Grenzbezirken Be⸗ stimmungen unterworfen werden, die geeignet sind, im Falle der Ueberschleppung aus dem Auslande einer Weiterverbreitung der Seuche vorzubeugen. Dieselben Bestimmungen sind auch auf Erzeug⸗ nisse und Rohstoffe anzuwenden, die Träger von Ansteckungsstoffen sein können. Milch, Futtermittel, Kleie gehören schließlich auch zu den giftfangenden Gegenständen, und alle diese Bestimmungen würden eine Wünschelrute für die Agrarier sein, die niemals ver⸗ sagen werde. Wir haben doch nicht erst seit gestern Erfahrungen mit den Herren Agrariern und der Regierung gemacht. Nach den Erfahrungen beim Fleischbeschaugesetz können wir nicht einen Funken Vertrauen zu der Regierung haben. (Präsident Graf zu Stolberg: Ich bitte, die Saaltüren zu schließen!) Auch der Verkehr mit Eiern würde auf Grund dieses Gesetzes Schikanen aus esetzt sein. Und welche Gefährdung der Lederindustrie ist von diesen Gesetze zu be⸗ fürchten! Es wird nicht lange dauern, und man sperrt ohne weiteres die russische Grenze gegen Gänse und anderes Geflügel ab. In keinem anderen Gesetz gibt es ähnliche Kautschukbestimmungen. Man könnte höchstens den Grobenunfugparagraphen anführen. Man wird vielleicht später sagen: was man sonst von der Einfuhr nicht ausschließen kann, das spricht man als giftfangenden Gegen⸗ stand an. Was man von Tierärzten alles erwarten kann, beweist folgender Fall. Einer Kuh sind die Haare in steigendem Maße ausgefallen. Der Doktor wußte nicht, woran das liege. Schließlich kam er dahinter, daß ein Esel die Kuh beleckt und ihr die
aare ausgerissen hatte. Einige Paragraphen auch enthalten Be⸗ timmungen, daß die S einzelner Bestimmungen den Bundes⸗ staaten überlassen werde. Einer solchen Karikatur einer Volks⸗ vertretung wie dem preußischen Landtage, einem sogenannten Par⸗ lament, können wir die Ausführung eines solchen Gesetzes nicht anvertrauen. (Präsident Graf zu Stolberg: Es ist nicht zulässig, den preußischen Landtag die Karikatur einer Volksvertretung zu nennen, ich rufe Sie deshalb zur Ordnung.) Die schikanösen Be⸗ stimmungen müssen aus dem ⸗ entfernt werden.
Abg. Dr. Höffel (Rp.): Es handelt sich hier nicht um Liebes⸗ gaben usw. für die Agrarier, sondern um den Schutz gegen Seuchen. Wir können die Grenzen nicht öffnen, wenn unser Viehbestand ge⸗
hrdet wird. Einzelne Seuchen sind in der letzten Zeit zurück⸗ gegangen, z. B. der n Wenn die Maul⸗ und Klauenseuchen nicht ebenfalls in dem aße zurückgegangen sind, so liegt dies der Vermehrung des Viehstandes usw. Deshalb sind ergänzende Bestimmungen notwendig geworden. Die Vorlage ist jedenfalls nach den praktischen und wissenschaftlichen Fesad nmneen der letzten 20 Jahre gemacht worden. Erwünscht wäre es, die Be⸗ stimmungen über die Einschleppung der Seuche aus dem Auslande zu präzisieren, ebenso die Bestimmung über die Anzeigepflicht. Die Entschädi ungsfrage bedarf einer eingehenden Prüfung in der Kommission. r wichtigste Punkt der ganzen Vorlage liegt in der Einbeziehung der Tuberkulose. Ich sehe darin einen Vorteil der Vorlage. Es steht fest, daß die Tuberkulose eine große Gefahr für Tier und Menschen ist, wie die Statistik zeigt, die wir seit Ein⸗ führung des Fleischbeschaugesetzes haben. Der vierte Teil aller Kühe stellte ein Jahr darauf sich als tuberkulös heraus. Dieser Prozentsatz bleibt vielleicht noch hinter der Wirklichkeit zurück. Der Zu⸗ sammenhang zwischen Tuberkulose bei Rindvieh und bei Menschen ist heute wissenschaftlich als sicher erwiesen. Ergebnisse der Untersuchung waren bisher nicht befriedigend. Es wird gut sein, daß das ReichsgesundheitZamt ein Meriblatt für das Publikum herausgibt, wie die Tuberkulose zu bekämpfen ist. Der Befähigungsnachweis der Bauern brauche nicht erst geführt zu werden. Der Befähigungsnachweis der Handwerker darf mit dem Befähigungsnachweis der Landwirte überhaupt nicht verglichen werden. Der Abg. Scheidemann sollte wissen, daß die Viehzucht in der Haupt ache in den Händen der Bauern lie t, nicht des Großgrund⸗ besitzes. Es ist auch nicht zu vergessen, daß die Zahl der Arbeits⸗ losen lange nicht mehr so groß ist wie früher. Die Fleischpreise sind in England ebenso hoch wie bei uns. Der Abg. Scheidemann sollte den Leuten sagen, daß es äußerst unklug ist, daß die Leute immer wieder in die großen Städte ziehen. Das würde auch ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit zugute kommen.
Abg. Dr. Mugdan (fr. Volksp.): Meine politischen Freunde schließen sich dem Antrag auf Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 28 Mitgliedern an. Wenn der Vorredner Scheidemann das Gesetz ein agrarisches, dem Großgrundbesitz dienendes genannt hat, so ist das entschieden übertrieben. Die Vorlage geht aller⸗ dings in einzelnen Punkten zu weit und bedarf der Verbesserung. Richtiger trüge der Entwurf an der Spitze nicht das Wort „Vieh⸗ seuchen“ sondern „Tierseuchen“. Die Wichtigkeit der Bekämpfung der Tierseuchen liegt in dem doppelten Umstand, daß die Tierseuchen auch auf die Menschen übergreifen, und daß in dem deutschen Viehbestand ein enormes Kapital investiert ist. Wir unterstützen alle Bestrebungen, die beabsichtigen, den Viehbestand zu sichern; der mittlere Grundbesitz ist ja auf die Viehzucht angewiesen. Das Objekt der Infektion muß erfaßt und ssoliert werden. Daß auch leblose Gegenstände die Infektion weiter verbreiten können, wird neuerdings bestritten; darauf nimmt aber die Vorlage gar keine Rücksicht. Die Erfafsung des Objektes ist sehr viel leichter
bei einem Einschleppungsfall; die Vorwürfe, die der seren Absperrungsmaßregeln macht, sind unbe cht wäre nur, wenn der ländli Aufklärung über die N Namentlich größte Aufmerksamkeit kann es in dieser seinem Bereich
Abg. Scheide⸗
ccee Bevölkerung etwas gründlichere atur der Infektionskrankheiten der Tiere gegeben verdient die sogenannte Inkubationszeit die ; erkrankt ein Schwein an Schweineseuche, so eit, ohne anscheinend krank zu sein, alle übrigen in efindlichen Schweine maßregeln gegen die Einschleppung sind also an si dringend gebotene Vorsichtsmaßregel. maßregeln, die heute bestehen, z. B. se Zulassung der Einbruchstellen.
muß reformiert werden. in den Abwehrma
frischen Fleisches
ch lediglich eine Aber gewisse Verwaltungs⸗ sind trotz alledem nicht zu billigen,
agrarpolitische können wir, regeln noch so streng sind, du Grenze größere f in dem Gesetz überhaupt nicht mit wissens mit wissenschaftlich festgestellten T orschlag der obligatorischen Viehreg platten Lande nicht verwirklichen e aber mehr schaden als wird unwirksam bleiben wegen des Mange wurf enthält auch eine große hebliche Erschwerung der Täti ärzte. Wir werden in der Kommis lichst auf Verbesserungen hinwirke Infektion nicht erfassen können, in dem Entwurf vorgeschla ich nicht Landwirt bin.
Bestimmun wenn wir au⸗ us der Zulassung reiheit gewähren. ftlichen Theorien, atsachen gearbeitet ister wird sich be⸗ lassen; eine falsche Die Stallkontrolle ls an Tierärzten. Der Ent⸗ Bevorzugung der beamteten und eine er⸗ der gewöhnlichen approbierten Tier⸗ sion in allen diesen Beziehungen tun⸗ n. Gerade, weil wir das Objekt der sehen wir die Fülle der Vorsichtsmaßregeln en, ich bin doch froh, daß ahre sind 1495 Polizei⸗ deren Befolgung dem Unsummen von Verordnungen trafen werden angedroht, und 8 weiter als eine neue gen, die jetzt rechtsgültig gemacht werden Teil diese Verordnungen als rechtsungülti Ich bin ein großer Freund der hne polizeiliche Beschränkungen; ab zeiverordnungen, da
sonders auf dem Ausführung würd
en. Da muß ich n einem einzige ierungsverordnungen erlassen worden, andmann zugemutet wird! Unsummen von S schließlich ist auch die Vorlage nicht aller jener Verordnun weil die Gerichte zum gehoben haben. geht nicht o so viele Poli können, wo sie absolut notwendi „Verdacht“? Kein Tierarzt, u wird am ersten Tage der E können, ob es sich um Schwei Unter Umständen können z. B. die Anzeigepflicht zu den größ Mägde können aus persönlichem Uebel schändlichsten Denunziationen anbringen. alte Gesetz zu verbessern und die Hygiene wir werden aber unter dem Vorgeben hygienisch bekommt, unter der schließli
Staatsminister, Stellvertreter des Reichskanzlers, Staats⸗ är des Innern Dr. von Bethmann Hollweg:
Meine Herren! Vor acht Tagen beklagte sich der Herr Ver⸗ treter der Zentrumspartei darüber, daß ich das Gesetz ohne ein Ge⸗ leitwort dem Reichstag vorgelegt hätte. Dieses Unterlassen einer Ein⸗ führung beruht nicht etwa auf einem mangelnden Interesse der ver⸗ bündeten Regierungen an dem Gesetz, ich habe mir vielmehr gesagt, daß die gedruckte Begründung des Gesetzes ziemlich reichhaltige Aus⸗ kunft über den Inhalt des Gesetzes gäbe, daß es sich bei dem neuen Gesetz nicht um die Aufstellung neuer Prinzipien handle, sondern daß das neue Gesetz grundsätzlich durchaus in den Bahnen des alten Ge⸗ setzes wandle, und daß es sich schließlich um eine große Fülle von Einzelbestimmungen handle, die der Erörterung im Plenum kaum zu⸗ gänglich sind, vielmehr der Kommissionsberatung vorbehalten werden müssen. Aus diesen Erwägungen habe ich geglaubt von einer Ein⸗ leitung absehen zu dürfen.
werden erlassen.
Hygiene, und diese eer wir haben schon ß wir neue nur brauchen und billigen g sind. Was soll es mit dem bloßen g er auch noch so berühmt sein, rkrankung eines Schweines erkennen neseuche oder Lungenentzündung handelt. auch die neuen Bestimmungen über chikanen führen; Knechte und
Wir sind sehr auf dem Lande damit zu mitwirken, olizei eine Gewalt
auch dahin er Maßregeln die das ganze Land seu
den Ausführungen Wort ergriffen zugehen, daß sämtliche Parteien bereit sind, an der Schaffung neuen Gesetzes
bisher das
mitzuarbeiten, Scheidemann. Denn indem er den Grundsatz aufgestellt hat, daß es die Aufgabe sei, jede Seuche möglichst schnell zu konstatieren und dann zu lokalisieren, hat er sich doch den Grundsatz zu eigen gemacht, auf dem das ganze Gesetz beruht. Wenn der Herr Abgeordnete Scheidemann im übrigen bei dieser Gelegenheit polemisiert hat gegen die Junker, gegen das preußische Landtagswahlrecht, wenn er auf der anderen Seite die bäuerlichen Besitzer seines Wohlwollens versichert hat und in dem gleichen Sinne auch gegenüber den Tierär glaube ich, sind das Ranken gewesen, Gesetz — nicht zu seinen einzelnen Bestimmungen — verdecken sollen.
Die Einwände, welche gegen das Gesetz erhoben worden sind, beruhen im wesentlichen darauf, daß seine Bestimmungen zu scharf seien und die Bevölkerung, nicht nur den Tierhalter, sondern auch Handel und Verkehr belästigen würden. Regierungen
zten gesprochen hat, so, die seine Zustimmung zu dem
unbeteiligter Menschen, Meine Herren, was sollten die verbündeten haben ein Viehseuchengesetz, unzweifelhaft Gutes gewirkt hat; denn wir sind Gott sei Dank in den letzten Jahren weniger von Seuchen heimgesucht worden, als es früher wohl der Fall gewesen ist, und man kann diesen Zustand zum Teil auf die Wirkungen des bestehenden Gesetzes zurückführen. Nun hat sich aber gezeigt, daß das bestehende Gesetz mit dem gegenwärtigen Stande der biologischen und veterinären Forschung, mit den Erfah⸗ rungen, die bei der praktischen Handhabung des Gesetzes gemacht worden sind, nicht mehr voll im Einklang steht. Große Organi⸗ sationen und Körperschaften der Landwirtschaft selbst haben wiederholt angeregt, daß das Gesetz einer Revision unterzogen werde. Alle diese Momente haben die verbündeten Regierungen gewürdigt, als sie an die Revision des Gesetzes herangetreten sind, und sie haben bei der Ausarbeitung der Einzelbestimmungen des Gesetzes kein anderes Ziel im Auge gehabt, als das Gesetz in Einklang zu bringen mit dem Stande der Forschung und mit den Anforderungen der Praxis.
Der Herr Abg. Mugdan kritisterte allerdings soeben bezüglich der Bekämpfung der Seuchen im Inlande, daß das Gesetz auf Theorien aufgebaut sei, deren absolute Richtigkeit noch nicht verbürgt sei. Das mag im einzelnen zutreffen, aber wir sind auch bei der Be⸗ kämpfung mancher menschlichen Krankheiten noch heute auf Theorien angewiesen, deren Richtigkeit noch nicht konstatiert ist, und wir werden doch nichts anderes tun können, als entweder jede Seuchenbekämpfung aufzugeben — davon kann keine Rede sein —, oder die Maßregeln zur Bekämpfung der Seuche anzupassen dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft, ob dieser Stand nun Theorie oder bereits voll⸗ kommen begründete Wahrheit ist.
Auch ich beklage es, daß die Folge eines solchen Gesetzes aller⸗ dings eine weitgehende Belästigung des Tierhalters sein kann; mit anderen Worten: auch ich beklage die Schärfe mancher Bestim⸗ mungen. Ich halte aber dafür, daß nicht
ergische, schwache Be⸗
stimmungen viel unangenehmer für den Tierhalter und für die Bevölkerung sind als scharfe; denn die nicht scharf eingreifenden und infolgedessen auch nicht scharf wirkenden Maßregeln belästigen den Tierhalter genau in der gleichen Weise wie die schärferen Maßregeln und eigentlich noch viel schlimmer, weil sie einen Erfolg nicht erzielen und infolge dessen die Quarantänezeit, der der Tierhalter ausgesetzt ist, in der Regel weit verlängern. Wir haben bei der Bekämpfung aller Seuchen bisher die Erfahrung gemacht, daß wenn es nicht gleich im ersten Moment glückt, die Seuche zu erfassen, nu lokalisieren und mit scharfen Maßregeln zu bekämpfen, sie dann eine Ausbreitung gewinnt, deren man schließlich nicht mehr Herr werden kann. Insofern soll man vor den Maßregeln von einer gewissen Schärfe nicht zurück weichen.
Vor acht Tagen hat einer der Herren Redner bereits bemängelt, daß man der Hygiene zu sehr nachgäbe. Es mag ein Fehler sein, nicht nur bei der Bekämpfung tierischer, sondern auch menschlicher Krankheiten, daß man die hygienischen Maßregeln vielleicht hier und da etwas übertreibt, und es ist schon darauf hingewiesen worden, daß wir in der Bekämpfung der Tierseuchen einen wesentlichen Fortschritt erzielen würden, wenn man hei der Haltung der Tiere wieder zu etwas natürlicheren Verhältnissen zurückkehren würde, und wenn wir von solchen Maßnahmen, welche auf einen möglichst großen Ertrag z. B. an Milch usw. berechnet sind, wieder abkommen und zu natürlicheren Verhältnissen zurückkehren würden.
Manche Bestimmungen des Gesetzes sind in ihrer Bedeutung übertrieben worden. Es sind namentlich die §§ 6 und 6a von ver⸗ schiedenen Seiten scharf kritisiert worden. Allerdings hat der Herr Abg. Dr. Mugdan meines Erachtens sehr zutreffend ausgeführt, daß man eigentlich nur bei dem Uebertritt der Tiere über die Grenze die Möglichkeit habe, die Objekte der Ansteckung zu erfassen und zu iso⸗ lieren, und daß deshalb gerade die Abwehr von Seuchen vom Aus⸗ lande her mit besonderer Energie betrieben werden müsse. Ich möchte aber doch darauf hinweisen, daß, wenn nach § 6 die Tiere und Gegenstände, welche mit den Tieren zusammenhängen, schon im Verdachtsfalle vom Ausland ferngehalten werden sollen, ja nicht beabsichtigt ist, ganze Kategorien von Tieren ohne weiteres auf unbegründeten Verdacht hin abzusperren — diese Besorgnis hatte namentlich Herr Abg. Scheide⸗ mann —, sondern daß Tatsachen vorhanden sein müssen, welche den Verdacht der Ansteckung absolut rechtfertigen. Nun gebe ich gern zu, daß ja auch gerade der Handel — der Lederhandel ist vor Tagen er⸗ wähnt worden — belästigt werden kann. Wenn Herr Dr. Mugdan gesagt hat, es sei bisher noch niemals erwiesen worden, daß Leder einen Ansteckungsstoff bilden könnte, so bin ich von meinem Herrn Sachverständigen doch dahin belehrt worden, daß allerdings bei der Uebertragung von Milzbrand Fälle konstatiert worden sind, wo gerade durch die zu Leder zu verarbeitenden Häute ein derartiger Stoff weitergetragen worden ist. Aber auch das sind alles Spezialfragen, die nur in der Kommission erörtert werden können, und deren Be⸗ sprechung im Plenum kaum von Nutzen sein würde. (Sehr richtig!) Ich will deshalb auch bei meinen eigenen Ausführungen nur auf einige allgemeine Gesichtspunkte aufmerksam machen. Ueber die Ent⸗ schädigungsfrage ist heute und vor acht Tagen gesprochen worden. Ich möchte bitten, die Entschädigungsfrage außerordentlich vor⸗ sichtig zu behandeln. Nach dem bisherigen Rechtszustande liegt die Sache so, daß im Reichsgesetz Verfügungen darüber getroffken werden, wann und wie hoch Entschädigung zu bewilligen ist, daß es aber der landesgesetzlichen Regelung über, lassen ist, zu bestimmen, wer die Entschädigung aufzubringen hat, und in welcher Weise sie festzustellen ist. Das entspricht den allge⸗ meinen staatsrechtlichen Grundsätzen, und es sind diese Grundsätze auch in der Konstruktion des Fleischbeschaugesetzes sowie bei dem Gesetz zur Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten beachtet worden. Diesen Grundsatz gegenwärtig nicht zu verlassen, ist um so notwendiger, weil wir durch die Ausdehnung der Entschädigung auf die Fälle von Schweinekrankheiten, von Tuberkulose usw. der ganzen Frage der Entschädigung eine sehr viel größere finanzielle Bedeutung gegeben haben, als sie bisher besitzt. Ich möchte daher dringend bitten, an der grundsätzlichen Konstruktion nichts zu ändern⸗ und ich hoffe, wir werden uns in der Kommission auch daͤrüber verständigen können, daß die Höhe der Ent⸗ schädigung, wie sie für verschiedene Krankheiten mit des Wertes usw. festgesetzt worden ist, die zu⸗ zutreffende ist, und die gebührende Rücksicht einmal auf die Ent⸗ schädigungsberechtigten, andererseits auf die Entschädigungspflichtigen nimmt, deren beiderseitige Interessen von dem Gesetz wahrgenommen werden müssen.
Der Herr Abg. Mugdan hat einen allerdings sehr wichtigen Punkt noch aus dem Gesetz herausgegriffen, nämlich die Stellung der Tierärzte. Er hat beklagt, daß zuviel Funktionen des Gesetzes dem beamteten Tierarzt zugewiesen seien, während der frei praktizierende Tierarzt nicht herangezogen, infolge dessen in seinem Fortkommen ein⸗ geschränkt werde, und die schließliche Folge sei die, daß der bisber bestehende und beklagte Mangel an Tierärzten überhaupt durch das Gesetz eher verschärft als gemildert werde. In gewisser Beziehung gebe ich dem Herrn Abg. Mugdan recht; aber ich möchte bitten, zu bedenken, meine Herren, daß dem Tierarzt — darauf hat bereits einer der Herren vor 8 Tagen hingewiesen — in dem bestehenden Gesetz eine Reihe sehr eingreifender, für den Tierhalter unbequemer und lästiger Funktionen zugewiesen worden ist, daß diese Eingriffe des Tierarztes, wenn sie Erfolg haben sollen, schnell durchgeführt werden müssen. Lag es da nicht für die verbündeten Regierungen nahe, solche Fnnktionen demjenigen Tierarzt zu überweisen, den sie als ihren Vertrauenstierarzt in den betreffenden Bezirken schon jetzt haben und zu beschäftigen haben? Ich glaube nicht, daß man es gut hätte anders machen können. Ich verweise auf die Parallele, die wir auch bei den Menschenärzten, bei den beamteten Kreisärzten haben. (Zuruf links.) Ich weiß, meine Herren, auch in der Beziehung werden Klagen laut; aber, wenn Sie sich auf die Seite der Bevölkerung stellen, die sich diese Eingriffe von Aerzten, sei es von Menschen⸗, sei es von Tierärzten, gefallen lassen muß, so werden Sie begreifen, daß auch die Bevölkerung den Wunsch hat: ja, wenn uns da mit so ein⸗ greifenden Maßregeln gegenübergetreten wird, so wollen wir eine Persönlichkeit haben, die kraft ihrer Amtsfunktion auch eine höhere Verantwortung uns gegenüber zu tragen hat als der freie Arzt.
Es ist schließlich — ich glaube, es war der Herr Redner der konservativen Fraktion — noch auf die Frage des Abbdeckereiwesens eingegangen worden, die ja mit diesem Gesetz nicht unmit
menhängt, über die ich aber doch einige ganz kurze Bemerkungen eser Gelegenheit machen möchte. Es wird namentlich in Preußen über den Zustand geklagt, der an die bestehenden Abdeckereiprivilegien angeknüpft hat, und es ist wiederholt gefordert worden, daß durch ein Reichsgesetz diese Privilegien abgelöst werden müßten. Meine Herren, ich bin der Meinung, daß 8 in Reichsgesetz dies schwer tun könnte; das wird Sache der Landes⸗ gesetzgebung sein. Dagegen glaube ich allerdings, daß in anderer Be⸗ siebung die Reichsgesetzgebung Veranlassung hat, sich mit dem Ab⸗ decereiwesen zu beschäftigen. Im vorigen Frühjahr hat der Herr Abg. Fischbeck diese Frage Ich halte dafür, daß ein Reichsgesetz Bestimmungen aufzustellen hätte, welche für die unschädliche Beseitigung der Kadaver efallener Tiere gewisse Mindestforderungen sanitäts⸗ und veterinär⸗ polizeilicher Art für das ganze Reich festsetzen, und in bezug auf die Abdeckereiprivilegien würde dieses Reichsgesetz die Möglichkeit schaffen nüssen, daß ähnlich, wie wir es bei den Schornsteinfegerkehrbezirken, wie wir es bei dem Schlachthausbetriebe haben, unter Einschränkung der Bestimmungen der Gewerbeordnung gewisse Bezirke für die ein⸗ heitliche Ausübung des Abdeckereigewerbes in denjenigen Fällen fest⸗ gelegt werden, wo Kommunalverbände das Abdeckereiwesen in einer sanitär und veterinärpolizeilich absolut einwandsfreien Weise in die
Hand nehmen. Ein Reichsgesetz, das in diesen beiden Beziehungen entsprechende
Vorschriften enthält, ist ausgearbeitet, es ist vom Reichsgesundheits⸗ amt begutachtet worden, und ich denke, ich werde in kürzester Zeit in der Lage sein, wegen dieses Gesetzes mit den übrigen Bundesregierungen in Verbindung zu treten. Ich bitte, aus dieser meiner Mitteilung nur er⸗ seben zu wollen, daß diese Frage auch von mir weiter im Auge be⸗
halten wird. Meine Herren, ich kann zum Schluß nur die Hoffnung aus⸗ sprechen, daß es uns in der Kommission gelingen möge, Bedenken, wie sie bei der großen Zahl von Spezialbestimmungen dieses Gesetzes naturgemäß hervortreten müssen, zu beseitigen, und ich möchte daran die Bitte knüpfen, daß wir in der weiteren Diskussion vielleicht auf diese Einzelheiten hier im hohen Hause nicht eingehen. (Sehr richtig! rcchts.) Aus dieser Bitte entnehme ich für mich die Rechtfertigung, daß ich in den wenigen Worten, die ich gesagt habe, nicht auf die Epezialien eingegangen bin, die zum Teil von den Herren Vorrednern erörtert worden sind.
Abg. Bindewald (d. Rfp.): Man hat in den Kreisen der Viehzüchter und Tierhalter dem Gesetz mit einer gewissen
Spannung Die Landwirtschaft wird von dem Gese⸗
etz zunächst dwirtschaft, ar nicht die gezeigt, daß sie noch über Um so mehr vor allem gegen die Einschleppung Das scharfe Gesetz gegen die Deutschland so ziemlich zum Erlöschen aß die Regierung nicht gewillt ist, die ekämpfung der Vieh⸗ bwehrmaßregeln gegen n der Kommission von Was den Seuchenverdacht eine Menge einschneidender Maßnahmen vor⸗ im einzelnen noch sehr der Notwendigkeit bedürfen. enthaltenen Maßregeln, von Molkereien, Verbot des Umherziehens mit Regelung der Einrichtungen n, Viehmärkten, Viehhöf Kreis der anzeigepflichtigen Seuchen i ß auch genauer Erwägung ändigt werden sollte er durch die man auch der Biene als einem sehr nütz⸗ ebührenden Schutz versagen soll. Ausdehnung der Be⸗ Wenn schließlich die Tötung so ist das doch eigentlich die „Ach Gott, wie ist dem V g. Lehmann hat in seiner neulichen trefflichen R lichen Vorschlag gemacht, chaffen werden soll. angeordnete Massenimpfungen verschaffen; ifen. Von der neuen Ents von der Geflügelcholera be getötet oder geimpft wurde,
entgegengesehen. r und am meisten betroffen, von einem Geschenk an die Lan von einer Liebesgabe an die Agrarier kann ganz und g Rede sein. Die deutsche Landwirtschaft hat
den Bedarf des Landes an Vieh produktion bedarf sie des Schutzes vor Seuchen, der Seuchen aus dem Auslande. Rinderpest hat diese Seuche in Wir freuen uns, d Bahn zu verlassen, seuche beschritten hat; besonders betüglich der A die ausländische Einschleppung sollte sie sich i ihren Forderungen nichts abhandeln lassen.
nsfähig ist.
geschlagen worden, doch wohl Nachprüfung auf ihre absolute ehören insbesondere ein Teil der in § 17 a
egelung der Einrichtung und des Betri Verbot der Abgabe von Magermilch, Zuchthengsten zum Decken von Stuten, und des Betriebes von Viehausstellunge Schlachthöfen usw. § 10 richtig gezogen ist, Kommission unterliegen; vervollst Faulbrut der Bienen, da lichen Haustier nicht den Nicht besonders wohlgefällig i fugnisse des beamteten Tierarztes.
eines Tieres von ihm angeordnet wird, Kur des Doktor Eisenbart:
st mir die
ieh so wohl.“ ede den sehr daß hier eine höhere Instanz ge⸗ ß auch verhindert werden, daß durch
chädigung soll in dem neuen fallene Geflügel, wenn es deswegen ausgenommen sein; ich vermag nicht vorgesehenen Strafen falls werden sich erheb⸗ hlen, und es bietet sich es Arbeitsfeld. Auch die Schaf⸗ ollte genauer erforscht werden; ung, so der landwirtschaftliche chung der Schafräude aus der
Prüfen wir das neue Gesetz daß ein Gesetz d sichert und alle Garantien
Jaworski (Pole): Das Gesetz ist kein agraris⸗ chaft eine ganz erhebliche neue neuen Schutzvorschriften findet in Was aber immer noch nicht genügt, ist streckten Ostgrenzen gegen die Einschleppung
sheim (wirtsch. Vgg.) steht dem Entwurf trotz sch überwiegend sympathisch gegenüber. Ueber Kommission zu reden sein, so über den gen Krankheiten und der anzeigepflichtigen wie weit der Verkehr mit ls Träger einer Seuche verdächtig seien, fe, auch über die Einfuhr von Häute 1 gen, die als notwendig erwiesen seien, würde sich ne Landwirt gern unterwerfen. 1
Vgg.): Gegen die Vorlage sind hier im dieselben Bedenken erhoben worden wie von Hauses; ob es geboten erscheint, die Schweine⸗ e anzeigepflichtigen Seuchen aufzunehmen, möchte auch Vorsichtsmaßregeln muß Verbot der Abgabe von Magermilch genau uberkulinprobe hat sich tatsächlich überlebt, und sollte endli
er Nähe der dänischen Grenze, b, den der Abg. Lehmann damit Rindvieh führen wollte, geht aber daneben. h kommt überhaupt gar nicht in Berührung Außerdem ist es viel weniger von der In den Schlachthäusern, ch deshalb so viele Tuberkulosefälle, schärfer ist, als in den kleinen gefährlich, bei der Maul⸗ und
ir im allgemeinen recht hart; jeden che Herabsetzungen in einzelnen Fällen empfe r der Kommission ein ergiebi räude, die jetzt anzei landwirtschaftliche Kre
erein zu Fritzlar, fordern die Strei
he der anzeigepflichtigen Seuchen. Kommission und sorgen wir dafür, ommt, das unseren Viehbestan die das deutsche Volk verlangen
epflichtig ist, se 88 Bedeut
eingehend in der
bedeutet viel-mehr für die Landwirts Eine große Anzahl der hre Begründung. er Schutz unserer lan der Seuchen aus dem Vogt⸗Crail Bedenken do die Einzelheiten wird in der
der anzeigepflichti
ständen, die a schränkt werde Beschränkun
polizeilich be⸗ n und Fellen.
othein (fr. der Rechten Seiten des
den allgemeinen ers das eventuelle
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holsteinschen. betroffen wie reslau, zeige rsuchung dar halte es für sehr
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Klauenseuche solche rigorosen Bestimmungen einzuführen, wie es die Vorlage vbe gache Has Verbot des Treibens von Vieh haben wir schon im Osten, z. B. in Schlesien. Ich hoffe, daß wir infolge dieses Gesetzes wenigstens mit den vielen veeehen verschont bleiben. Die Ausdehnung der Anzeigepflicht auch auf den Schweizer usw. ist deshalb bedenklich, weil diese Leute ja gar nicht imstande sind, die Seuche zu erkennen. Es sind damit unerträgliche Schikanen verbunden, und jedermann wird sich berufen fühlen, die Seuche zu erkennen und vor Gericht zu bekräftigen. In einem stimme ich dem Abg. Lehmann zu, in den Bedenken gegen die Kompetenz der einzelstaatlichen Behörden. Die allgemeinen Grundsätze für die Handhabung der grfetzlichen Be⸗ stimmungen müssen beim Reiche verbleiben; alle Beziehungen zum Auslande vor allem müssen vom Reiche ressortieren, nicht von den einzelstaatlichen Organen. Jedes untergeordnete Organ, jeder Regierungspräsident kann heute die Sperre verhängen oder aufheben, womit es zu einer verschiedenen Handhabung, z. B. in Straßburg und Metz gegen Frankreich gekommen ist. Den Einzelstaaten liegt an dieser Befugnis sehr wenig, denn der Bundesrat hat ihnen einzelne Kompetenzen auf diesem Gebiete entzogen. Offiziös ist eine Klärung der Zuständigkeitsverhältnisse in Aussicht gestellt worden. Ich hatte nun erwartet, daß diese Klärung und Neuordnung eintreffen würde. Darin hat mich der Reichskanzler enttäuscht. Für mich war die Kompetenzangelegenheit schon in dem alten Gesetz geregelt. Der Reichskanzler hat sich nur als Briefkasten für die einzelstaatlichen Forderungen betrachtet, aber e 2. er nach § 4 des bisherigen Gesetzes ein Ueberwachungsrecht hat. Be tand für ihn und den Land⸗ wirtschaftsminister hierüber eine Unklarheit, dann mußte er diesem Gesetz die Klarheit schaffen, die Zuständigkeit des Reichs festlegen. Auch sachliche Gründe lassen es wünschenswert erscheinen, daß das Reich die Sache überwacht, denn es regelt die Handelsbeziehungen mit dem Auslande. Bei uns in Preußen ist Mißtrauen gegen die Be⸗ hörden von A bis Z sehr am Platze. Man hat erlebt, daß man die Einfuhr amerikanischer Rinder verboten hat aus Furcht vor irgend einem Fieber usw., obwohl es sich um eine haltlose Theorie handelte. Wir müssen verlangen, daß die Kompetenz des Reichsgesundheitsamts in diesem Gesetze festgelegt wird. Die Zuständigkeit des Reichs⸗ kanzlers aber muß so festgelegt werden, daß nicht einmal der Reichs⸗ kanzler und der preußische Landwirtschaftsminister daran zweifeln. Der Abg. Siebenbürger ist ein großer Optimist, aber schlechter Statistiker, wenn er glaubt, daß wir die Bevölkerung selbst ernähren können. Ich erinnere namentlich daran, für welche geoße Summe wir Fleisch und Schmalz einführen müssen. Bedenken Sie auch das Wachsen der Bevölkerung und den Uebergang vom landwirtschaftlichen zum Industriestaat. Der Abg. von Gamp hat ein Manko in Rindvieh selber zugegeben und die Schlachtung russischen Rindviehs an der russischen Grenze empfohlen.⸗Die Schlachtungen sind in der Tat in erheblichem Maße zurückgegangen, auch in bezug auf das Gewicht der Tiere nicht nur bei Schweinen, sondern auch beim Rindvieh, auch in meiner Vaterstadt Breslau. Ich denke also nicht so optimistisch über die Fähigkeit der deutschen Landwirtschaft, unseren Fleischbedarf zu decken. Die Sperrung der Grenze ist ein großer Schaden auch für unsere Landwirtschaft, weil diese Sperrung ein v. Schwanken der Preise zur Folge hat. Durch die Handelsverträge haben wir die Einfuhr ausländischen Viehes aus Oesterreich und der Schweiz erlaubt. Warum sollte man die Ein⸗ fuhr nicht aus Dänemark und Holland erlauben? Es ist eigen⸗ tümlich, daß Preußen niemals eine Sperre gegen Holland und Dänemark aufgehoben hat, obwohl selbst die Deutsche Tageszeitung die Aufrechterhaltung der Sperre gegen Holland und Dänemark nicht für nötig erklärte. Es muß im Gesetz unbedingt Klarheit geschaffen werden, daß die Sperre aufgehoben werden muß, wenn der ausländische Viehbestand keine Gefahr für unseren Viehbestand mehr hat. Die Befürchtungen des Abg. Scheide⸗ mann hinsichtlich eines Mißbrauchs des Gesetzes nach Analogie des Vereinsgesetzes entbehren nicht einer gewissen Die schwersten Bedenken habe ich, daß man die Bestimmung über die Ein⸗ fuhr auf alle möglichen Gegenstände ausdehnen will. Es wird hier eine Blankettvollmacht den Einzelstaaten gegeben, zu denen wir ein begründetes Mißtrauen haben. Wenn allerdings, wie der Staats⸗ sekretär sagte, auch bei Menschenkrankheiten der beamtete Arzt fest⸗ zustellen hat, was alles geschehen ist im Falle einer ansteckenden Krankheit, so ist dies Mißtrauen gegen den nichtbeamtelen Arzt schlimm genug. Jedenfalls haben wir alle Veranlassung, eine solche überflüssige Bestimmung nicht auch in dieses Gesetz einzuführen. Eine wirksame Bekämpfung der Tierseuchen kann nicht durch die beamteten Tierärzte allein btben, dazu braucht man die tatkräftige Mitwirkung aller Privatärzte. Das Mißtrauen gegen die letzteren ist total ungerechtferligt. Der Tierhalter kann ja an das Votum des beamteten Tierarztes appellieren, wenn ihm das des privaten Arztes nicht genügt. Das Gesetz wird ja in der Kommission ver⸗ bessert werden im Interesse der inländischen Tierhalter, aber die Gerechtigkeit verlangt, daß dann auch die Bestimmungen hinsichtlich des Auslandes entsprechend reformiert werden.
Abg. Dr. Ricklin 881 begrüßt die Vorlage, weil sie an die Stelle mancher bisherigen wiefpäfth keit in der Handhabung der einzelstaatlichen Veterinärpolizei einheitliche reichsgesetzliche Vor⸗ schriften setze. Das Gesinde anzeigepflichtig zu machen gehe nicht an. Was die allgemeinen Vorsichtsmaßregeln betreffe, so sollten diese tunlichst milde gekaßt und nichts vorgeschrieben werden, was die Lederfabriken, die Gerbereien und dergleichen in ihren Betrieben schädigen oder beeinträchtigen. könnte. Die besondere Bevor⸗ zugung der beamteten Veterinäre bedeute eine ungerechtfertigte Zurücksetzung der gewöhnlichen Tierärzte. Bloß um den Schmuggel zu bekämpfen, dürfe man auch nicht so schikanöse Bestimmungen vorschreiben, wie sie in den neuen allgemeinen Kontrollmaßregeln vor⸗ liegen.
g Abg. Wehl (nl.): Ich muß einigen Ausführungen der Abgg. Scheidemann und Gothein entgegentreten. Die Herren haben einer eventuellen Oeffnung der östlichen Grenzen das Wort ge⸗ redet. Der Abg. Scheidemann sprach von Seuchenfällen, die sich in Rußland 10 000 Meilen von der Grenze ereigneten, und um derentwillen man doch nicht zur Grenzsperre zu greifen brauche. Er wolle sich daran erinnern lassen, daß sich solche Seuchenfälle in Rußland doch nicht selten auch an unserer Grenze ereignet haben und ereignen. Dagegen könnten die Bestimmungen hinsichtlich der Kontrolle von eingeführten Gegenständen doch leicht zu einer schweren Beeinträchtigung der esamten deutschen Lederindustrie und der ihr verwandten Induftrien, der Schuhwarenindustrie und anderer führen, wenn hier ohne Grund rigoros verfahren würde. Die Allgemeinheit würde au erordentlichen Schaden erleiden, wenn z. B. die Häuteeinfuhr aus rgentinien wegen eines dortigen Seuchenfalles untersagt würde. Der jetzige Wortlaut des 85 läßt eine solche Eventualität durchaus zu; es ist also bedenklich, den § 7 unverändert zu lassen, denn sein Wortlaut „Wenn in dem Ausland eine übertragbare Seuche der Tiere in einem für den inländischen Viehbestand bedrohlichen Umfange herrscht oder ausbricht, so kann die Einfuhr lebender und toter Tiere, tierischer Erzeugnisse oder Rohstoffe, sowie von Gegenständen, welche Träger des Ansteckungsstoffes sein können, aus dem von der Seuche heimgesuchten Auslande allgemein oder für bestimmte Grenzstrecken verboten oder Beschränkungen unter⸗ worfen werden, die die Gefahr einer Einschleppung ausschließen oder vermindern“ ist offenbar viel zu dehnbar und unbestimmt. Die erwähnten deutschen Gewerbebetriebe und die ganze Handelspolitik könnten auf diese Weise in eine sehr unangenehme Mitleidenschaft gezogen werden. Von Lamm⸗ und Ziegenfellen kann die deutsche Industrie nur 5 pCt. ihres Bedarfes im Inlande decken; alles übrige ist aus dem Aus⸗ lande zu beziehen, und zwar hauptsächlich aus dem Orient, aus Italien und Spanien. Ein ganz erhebliches Quantum an Häuten und Fenes wird aus den Vereinigten Staaten, Brasilien und Argentinien ezogen. Vielfach sind diese Sendungen monatelang, bevor der Ausbruch der Seuche konstatiert wird, versendungsbereit gemacht oder schon unterwegs. Was soll aus unseren handelspolitischen Beziehungen werden, wenn plötzlich solche Verbote und Be⸗ schränkungen angeordnet werden? Es müßte doch auch gesagt werden, welche Gegenstände als Träger von Krankheitsstoffen geeignet
oder festgestellt sind. Ebenfalls geht zu wein die unter den allgemeinen Versicherungsmaßregeln aufgenommene Befugnis zur Regelung der Beseitigung oder der Reinigung von Abwässern und Abfällen in Gerbereien, Felle⸗ und Häutehandlungen. Kein Gesetz wird einen lichtscheuen Handel vereiteln, darum sind auch die Beschränkungen in der Benutzung, der Verwertung oder des Transportes kranker und verdächtiger Tiere, ihrer Kadaver usw. gegenüber einem legitimen Handel nicht nötig. Bei der Umarbeitung der betreffenden Bestimmungen die Gutachten der Sachverständigen berücksichtigt werden. as Gesetz legt der Industrie so große Opfer auf, da dieser Wunsch wohl nicht unbescheiden sein dürfte. Die Gerbereiindustrie beschäftigt eine große Zahl“ von Arbeitern, ihre Existenz darf nicht in Froß⸗ eestellt werden, nachdem sie schon durch die Gerbstoffzölle even belastet worden ist. Eine gesetzliche Aenderung dieser Zoll⸗ bestimmungen wäre sehr erwünscht. J hoffe, daß die Kommission meine Bedenken wohlwollend prüfen und berücksichtigen werde, damit ein Ausgleich zwischen den Interessen der Industrie und der Land⸗
wirtschaft eintritt.
Damit schließt die Diskussion. Nach einer persönlichen Bemerkung des Abg. Sieben⸗
1 ürger (dkons.) gegen den Abg. Gothein, worin er bestreitet,
in bezug auf die Möglichkeit der Volksernährung durch die deutsche Landwirtschaft auch vom Brotgetreide gesprochen zu haben, und nach einer Erwiderung des Abg. Gothein wird die Vorlage einer Kommission von 28 Mitgliedern überwiesen.
Hierauf vertagt sich das Haus.
Schluß 6 ½ Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr. (Novelle zum Reichstelegraphengesetz; zweite Lesung des Ge⸗ setzes, betreffend die Bestrafung der Majestätsbeleidigungen Fchecgesetz.) 8 v
. 2
Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. ““ 14. Sitzung vom 20. Januar 1908, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. Das Haus setzt die Beratung des Etats der land⸗ wirtschaftlichen Verwaltung fort. Zum Kapitel der Generalkommissionen bemerkt auf
die Ausführungen der Abgg. Gyßling (fr. Volksp.), von Bockel⸗ berg (kons.) und Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) der
Minister für Landwirtschaft ꝛc. von Arnim:
Meine Herren! Ich kann erklären, daß ich es ebenso wie die Herren Vorredner bedauere, daß wir nicht in der Lage sind, ein Gesetz über die Aenderung der Generalkommissionen vorzulegen. Es ist ja, wie Sie wissen, dieses Gesetz ausgearbeitet worden, es hat alle Instanzen passiert, den Oberpräsidenten, die Generalkommissionen, und ist mit einer großen Anzahl von Abänderungsvorschlägen an das Ministerium zurückgegangen. Es ist dann, wie ich im vorigen Jahre erklärte, an die übrigen Ressorts gegangen, und ich erklärte schon im vorigen Jahre, daß ich nicht in Pussicht stellen könnte, daß das Gesetz in diesem Jahre fertig werden würde; denn es würden wahrscheinlich noch so viel weitere Anstände in den übrigen Ressorts zu ecledigen sein, daß es nicht möglich sein würde, das Gesetz bis heute fertig zustellen.
Nun hat, wie Sie ja aus den Erklärungen des Herrn
Ministers des Innern wissen, die Sache ein ganz neues Gesicht dadurch bekommen, daß seitens des Ministers des Innern beabsichtigt wird, eine Gesamtreorganisation der innern Verwaltung vorzunehmen und der Herr Minister des Innern hat sich entschieden dagegen erklärt, daß eine Sonderregelung des Gesetzes über die Generalkommissionen stattfindet, weil er befürchtet, daß das eine organische Reorganisation der übrigen Verwaltungen behindert.
Nun ist hier vorgeschlagen worden, doch wenigstens einigen 8
Unzuträglichkeiten auf dem Wege der Zwischengesetzgebung abzuhelfen. Meine Herren, ich habe schon in der Kommission erklärt, daß dies, soweit es auf dem Wege der Verwaltung geschehen kann, schon in Aussicht genommen worden ist. Es ist beabsichtigt, einem der Haupt⸗ wünsche, die Stellung der Spezialkommissare selbständiger zu gestalten, dadurch Rechnung zu tragen, daß einmal bei der Gehaltsreorganisation die Stellung der Spezialkommissare wesentlich gebessert und somit zu einer Lebensstellung gemacht wird. Es soll ferner auf dem Verwaltungswege den Spezialkommissaren ein möglichst großes Maß von Selbständigkeit gewährt werden. Um dies zu erreichen, ist im Etat vorgesehen, ein besser organisiertes Bureau und einen selbständigen Bureauvorsteher zu geben, der in der Lage ist, auch alle die kleinen Arbeiten, die den Spezialkommissar jetzt unnütz belaften, vorzunehmen und ihn so fähig zu machen, selbständig die wichtigeren, größeren Arbeiten zu erledigen, die vielfach in den Generalkommissionen selber ihre Erledigung finden müssen.
Ferner teile ich den Wunsch, der hier ausgesprochen worden ist, das vielleicht, soweit es nicht möglich ist, auf dem Verwaltungswege dringend nötige Aenderungen vorzunehmen, dies durch ein Zwischen⸗ gesetz zu ermöglichen. Ich kann aber nicht sagen, wieweit ich bei den übrigen Ressorts, insbesondere bei dem Herrn Minister des Innern, 8 Gegenliebe finden werde; ich habe über diese Frage mit ihm noch nicht verhandelt, glaube aber, daß bei einer Aufhebung einer der Generalkommissionen im Osten, die nächstens nötig werden wird und die im Wege des Gesetzes wird stattfinden müssen, sich vielleicht die Gelegenheit finden wird, nun auch einzelne Aenderungen in der Gesetz⸗ gebung vorzunehmen.
Meine Herren, ich möchte noch eins bemerken. Es ist in der Presse die Ansicht verbreitet worden, daß die ganze Angelegenheit in meinem Ministerium nicht genügend betrieben worden wäre. Ich muß dem entgegentreten und kann nur sagen, daß diese außerordentlich schwierige Materie mit dem größten Eifer im landwirtschaftlichen Ministerium bearbeitet worden ist, und daß es nicht Schuld meiner Verwaltung ist, wenn wir nicht weiter vorwärts gekommen sind, sondern daß andere Umstände die Schuld tragen. 8
Es ist dann von dem Herrn Abg. Gyßling der Wunsch ausge⸗ sprochen worden, daß für Vermessungsbeamte das Abiturientenexamen gefordert werde. Meine Herren, die landwirtschaftliche Verwaltung
steht auf dem Standpunkt, daß dafür ein Bedürfnis nicht vorliegt. 1
Die Forderung ist ja ganz erklärlich; die Vermessungsbeamten haben den Wunsch, höhere Beamte zu werden und in bessere Gehaltsstellen einzurücken. Ich kann verstehen, daß sie dahin drängen, ihre
Stellungen nach dieser Richtung hin zu heben, aber von meinem 8 Ressort aus habe ich keine Veranlassung, diesem Wunsche Rechnung
zu tragen, weil ein tatsächliches Bedürfnis für eine höhere Vor⸗
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