mann (I Breslau), Vogt (Sprottau), Dr. Brucks (1 Hamburg), Dr. Sommerlat (Frankfurt a. M.), Dr. Huck (Stockach), Dr. Koch (Straßburg), Dr. Prein (1 Hamburg), Dr. Jakobs (Cöln), Dr. Frankenste in (Karlsruhe), Juckermann (III —n die Assist. Aerzte der Landw. 1. Aufgebots: Dr. Schmidt (Fra surt a M.), Dr. Gähtgens (Neutomischel), Dr. Kaselowsky 8 Berlin); zu Assist. Aerzten: die Unterärzte der Res.: Schroth Belgard), Dr. Wittneben (III Berlin), Findeisen (Bitterfeld), Gahmig (I Braunschweig), Dr. Heinrich, Dr. Eicke (I Breslau), Dr. ö (Bromberg), Dr. Bungart, Dr. Liebreich (Cöln), Dr. Moeller (Danzig), Dr. Westdickenberg (I Dortmund), Dr. Krüll (Dusseldorg Dr. Poser (Eisenach), Dr. Pietsch⸗ mann (Elberfeld), Hensell (Hanau), Dr. Hauser (Karlsruhe), Dr. Becker (Kiel), Dr. Assmann (Königsberg), Dr. Knierim, Hellmuth (Marburg), Dr. Wilhelm (Meiningen), Dr. Flas⸗ kamp (Münster), Dr. Kolbe (Naumburg a. S.), Schloßhauer (Potsdam), Komes (Preußisch⸗Stargard), Dr. Mathar (Rhevydt), Dr. Zachen (Schwerin), Dr Pigors (Swinemünde); die Unterärzte der Landw. 1. Aufgebots: Dr. Jaenisch (III Berlin), Dr. Abée (Hildesheim), Bierhoff Dr. Gottschalk, Oberarzt der Res. (Burg), für die Dauer seiner durch Dienstbeschädigung ver⸗ ursachten Dienstunfähigkeit die gesetzliche Pension bewilligt.
Der Abschied mit der Erlaubnis zum Tragen ihrer bisberigen Uniform bewilligt: den Stabsärzten der Res.: Dr. Dinkelacker (I Hamhurg) Dr. Borchard (Posen); den Stabsärzten der Landw. 1. Aufgebots: Dr. Heller (I1 Braunschweig), Dr. Thielemann eee. Dr. van Nes (Hannover), Dr. Troche (Hirschberg),
Strangmeier (Lingen), Dr. Ritter (Minden).
Der Abschied bewilligt: Dr. Lieven (Aachen), Stabsarzt der Res., Dr. Hager (Stettin), Stabsarzt der Landw. 2. Aufgebots, Dr. Pittius (Aschersleben), Dr. Krefft (III Berlin), Dr. Wingen⸗ roth (Mannheim). — Oberärzte der Landw. 1. Aufgebots, Dr. Goecke (Deutz), Oberarzt der Landw. 2. Aufgebots.
Dr. Havemann, Stabsarzt der Landw. a. D. in Neukloster in Mecklenburg, zuletzt von der Landw. 1. Aufgebots (Wismar), die Er⸗ laubnis zum Tragen der Uniform der Sanitätsoffiziere des Be⸗ urlaubtenstandes erteilt.
Evangelische Militärgeistliche.
12. Februar. Scheibe, Div. Pfarrer der 8. Div in Torgau, zur 10. Tiv. nach Posen, Backhaus, Div. Pfarrer der 21. Div. in Mainz, zur 8. Div. nach Torgau, Tiesmeyer, Div. Pfarrer der 33. Div. in Metz, zur 21. Div. nach Mainz, Hobohm, Millitär⸗ hilfsgeistlicher der 2. Gardediv. in Berlin, zur 33. Div. nach Metz, — jum 15 Februar d. J. versetzt. Streckenbach, Pfarrvikar in Jauer, als Militärhilfsgeistlicher unter Zuteilung zur 2. Gardediv. in Berlin angestellt.
XIII. (Königlich Württembergisches) Armeekorps.
HPDffiziere, Fähnriche usw. Ernennungen, Beförde⸗
rungen und Versetzungen. Im aktiven Heere. Stuttgart, 13. Februar. Huber, Major und Bats. Kommandeur im Inf. Rett. Kaiser Wilhelm, König von Preußen Nr. 120, beim Landw.
Bezirk Horb, Hölder, Rittm. und Komp. Chef im Trainbat. Nr. 13,
beim Landw. Bezirk Ulm, — zu Bezirksoffizieren ernannt unter Stellung zur Disp. mit der geseßlichen Pension. Häußler, Major beim Stabe des Ulan. Regts. König Karl Nr. 19, mit der gesetz⸗ lichen Pension und der Erlaubnis zum Tragen seiner bisherigen Uni⸗ orm zur Disp. gestellt und zum Pferdevormusterungskommissar in
avensburg ernannt.
Abschiedsbewilligungen. Im aktiven Heere. Stutt⸗ gart, 1. Februar. Frhr. v. Brusselle⸗Schaubeck, Oberlt. im Ulan. Regt. König Wilhelm I. Nr. 20, der Abschied bewilligt.
Stuttgart, 13. Februar. v. der Lühe, Oberstlt. z. D. und
ferdevormu verungskommissar in Ravensburg, auf sein Gesuch ven einer Dienststellung enthoben, mit der Erlaubnis zum ferneren Tragen der Uniform des Drag. Regts. König Nr. 26. Gramm, Oberlt. im 10. Inf. Regt. Nr. 180, Mörschel (Hans), Lt. im 9. Inf. Regt. Nr. 127, diesem mit der Iü. Pension, — der Abschied bewilligt.
3 Im Beurlaubtenstande. Stuttgart, 13. Februar. b (Ludwigsburg), Oberlt. der Landw. Kav. 2. Aufgebots, der
bschied bewilligt.
Im Sanitätskorps. Stuttgart, 13. Februar. Dr. ischer, Oberstabs⸗ und Regts. Arzt im Ulan. Regt. König ilhelm 1. Nr. 20, mit der gesetzlichen Pension und der Erlaubnis
zum Tragen der bisherigen Uniform der Abschied bewilligt.
DSDeutscher Reichstag. 105. Sitzung vom 19. Februar 1908, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Zur zweiten Beratung steht der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die 2e. des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1908, und zwar: „Etat für die Reichs⸗ justizverwaltung“. Abg. v. (Soz.): Der Abg. Heinze sagte gestern, wenigstens auf dem Gebiete der Zivilrechtspflege sei von Klassenjustiz nicht die Rede. Ich kann das nicht zugeben. In den letzten Jahren ist eine ganze Reihe von Urteilen gefällt worden, welche den Arbeitern ihre Rechte verkürzen, namentlich ihr Koalitionsrecht. Ein Fall be⸗ sonders spricht Bände. Er zeigt, wie man durch eine Hintertür den Arbeitern das Koalitionsrecht beschränkt. Klassenjustiz muß heutzutage herrschen, solange gelehrte Richter die Rechtsprechung in der Hand haben. Fr Hamburg ist das Niveau am tiefsten gesunken. Der Hamburger Hafenarbeiterverband hatte, gestützt auf sein durch die Gewerbeordnung garantiertes Recht, vor dem Zuzug von Arbeitern gewarnt. Als diese Warnung erschien, klagte der Unternehmerverband gegen jenen Verband. Dann erging das ungeheuerliche Urteil, daß der Verband bei Vermeidung einer Haftstrafe von 4 Wochen es zu unterlassen habe, den Zuzug von Hafenarbeitern nach Hamburg zu hintertreiben. Dies Zivilurteil verstößt in krassester Weise gegen die Bestimmungen des B.⸗G.⸗B. und gegen die Bestimmungen über das Koalitionsrecht. Solche Urteile können nicht aufrecht erhalten werden, werden sie aber aufrecht erhalten, so haben wir ein Recht, zu sagen, daß die Klassenjustiz auch in die Zivilrechtspflege ein⸗ gedrungen ist. Früher schon schrieb ein Referent an den Rand eines Schriftstückes, als der eine der beiden Kontrahenten als
Sozialdemokrat bezeichnet war: aha! Die Richter sind gar nicht in der Lage, da, wo es sich um Arbeiter handelt, objektiv zu urteilen.
Im Hau⸗Prozeß und in anderen Prozessen hat man die Presse zu beeinflussen gesucht. Worauf war der Tumult bei diesem Prozeß zurückzuführen? Nicht auf die Sozialdemokratie, sondern auf die Sensation, die eine gewisse Presse hervorruft. Die Menge bestand aus jener Masse Zeitgenossen, die Schundromane, Diebsstücke usw. verschlingt, je blöder, um so besser. Daß wir eine Klassenjustiz haben, ist auch bereits von badischen und bayerischen Richtern zugegeben worden. Es hat mich gefreut, daß gestern der Abg. Heinze das Bestehen einer Klassenjustiz anerkannt hat. In der Tat kommt der Richter höchst selten dazu, die Sozialdemokratie in ihrer wahren Natur kennen zu lernen; seine einseitig kapitalistische Erziehung macht ihm das unmöglich. Ein guter Teil dieser Weltfremdheit beruht auch darauf, daß unsere Gesetz⸗ gebung von antis Geiste erfüllt ist bis auf wenige geringe . ätze zum eren. Solange die Richter nicht aus allen Teilen des Volkes gewählt werden, ist an eine erung nicht zu denken. Die meisten Richter können allerdings gar nicht begreifen, man es Hrr möglich hält, daß sie nicht gerecht urteilen, wenn es um Arbeiter handelt. Oft fragt 7 „wie ein studierter st über⸗ haupt Urteile fällen kann, die wir als drakonisch bezeichnen müssen. Ein Arbeiter in Elbing hatte ein Flugblatt verbreitet, in dem er für
die Unfälle in der Seöicenschen Fabrik den Unternehmer verantwort⸗
8 2
lich 8
Als er sich in der Verhandlung auf das Reichsarbeits⸗ blatt bezog, sagte der Staatsanwalt, dies sei kein amtliches Blatt. Der Vershende vertrat die eigentümliche Ansicht, Schutzvorrichtungen müßten erst angebracht werden, wenn ein Unfall passiert wäre! Derselbe Vorsitzende meinte, wenn die Arbeiter mit den niedrigen Löhnen, die wahrhaftig Hungerlöhne waren, nicht zufrieden seien, so wären sie 8 frei! Natürlich wurde der betreffende gewerk⸗ schaftliche eamte wegen Beleidigung verurteilt, aber zu welchem Strafmaß? Zu sechs Monaten Gefängnis! Er hatte eben die Majestät der Firma Schichau beleidigt. An demselben Tage wurde in Berlin gegen einen Schutzmann verhandelt, der zu einer anständigen Frau sagte: „Du Sau, was stehst du hier herum“, und schlug sie mit dem Säbel. Ein Assistenzarzt wollte als Zeuge vernommen werden. Es wurde ihm der Eingang zur Polizei ver⸗ wehrt, er wurde beschimpft und in eine Arrestzelle gesteckt. Er wurde dann vom Polizeihauptmann befreit. Das Gericht hat angenommen, der Schutzmann sei betrunken sen usw., und die Strafe? 100 ℳ Geldstrafe! Hier handelt es ja nur um eine Frau, nur um eine Schamlosigkeit gegen diese! Und in Elbing sechs Monate gegen einen Arbeiter, der in 87 Weise die Interessen der Arbeiter vertritt! Aber auch gegen der werden geradezu horrende Urteile gefällt. So wurden zwei Kinder von 12 und 13 Jahren wegen Ge⸗ fährdung eines Eisenbahnzuges in Beuthen zu je einem Jahr Ge⸗ fängnis verurteilt. (Zuruf rechts: Schon ein Jahr her!) Deshalb bleibt die Tatsache doch bestehen. Es freut mich, daß Sie aus den vorjährigen Verhandlungen wenigstens etwas behalten haben. Der Redakteur Braun von der inzwischen eingegangenen Neuen Gesellschaft druckte einen Artikel aus dem sozialdemokratischen Blatt in Frankfurt a. O. ab, der sich über diesen Fall und das richterliche Urteil verbreitete; er wurde angeklagt und in erster Instanz ver⸗ urteilt. Das Reichsgericht hat durch sein Revisionsurteil in diesem sich selbst eine klatschende Obrfeige versetzt, indem es seinen rüheren Standpunkt, daß ein richterliches Urteil eine wissenschaftliche Leistung sei, verließ, um der öffentlichen Kritik solcher Urteile die Bahn zu verlegen. Die Stellung vollends, die das preuß sche Abgeordneten⸗ haus in dieser Frage einnahm, will ich weiter nicht charakterisieren, es war einfach eine Beleidigung des Richterstandes. Aus allen Teilen der Bevölkerung müssen die Richter genommen werden, und zwar auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts, wenn wir zu wirklicher, diesen Namen verdienender Rechtsprechung kommen sollen. Daß richterliche Urteile nicht mehr kritisiert werden dürfen, ist ein Tiefstand des Rechtsbewußtseins, wie er tiefer nicht gedacht werden kann, wie er in keinem anderen Kulturlande denkbar ist. Wo hohe Geld⸗ und Gefängnisstrafen gegen Arbeiter er⸗ kannt werden, kann man annehmen, daß der Richter auch sonst durch ein hobes Maß von Unkenntnis sich aueszeichnet. Einen Arbeiter, der gegen einen Strafbefehl von 5 Tagen Ge⸗ fängnis, weil er Zettel verteilt hatte, Einspruch erhoben hatte, herrschte der Richter an: „Nehmen Sie die Berufung zurück, sonst gibt es das Doppelte.“ Als der Arbeiter das ablehnte, steigerte der Richter in seiner Erregung seine Androhung bis zu vier Wochen Gefängnis. Der un⸗ parteiische hochgebildete Richter leistete sich auch im weiteren Verlauf der Verhandlung die Ansprache an den Arbeiter: „Halten Sie das Maul!“, als der Mann gegen einen der vorgeschlagenen Zeugen Ein⸗ spruch erh⸗ben wollte. Die Richter haben das Bewußtsein ihrer Strafbarkeit gar nicht, weil sie eben Arbeiter nicht als gleichwertig ansehen. Soll das aber zulässig sein, warum setzt man dann nicht sofort unzurechnungsfähige Personen auf die Richter⸗ stühle? Sind das keine Beispiele von Klassenjustiz? Für schwere Beleidigung und Beschimpfung eines Beamten durch einen adligen Nichtstuer erkennt der Richter auf ganze 20 ℳ Geldstrafe! Ein Amtsanwalt verhängt über einen Arbeiter, der in der Verhand⸗ lung auf die Frage des Amtsanwalts, mit wem er verheiratet sei, ent⸗ gegnet hatte: „Ich verstehe das nicht, ich weiß nicht, was Sie meinen“, eine dreitä ige Paftstrafe wegen Ungebühr, und der Richter sagte ihm nachher: „Sehen Sie, Sie würden hier nicht sitzen, wenn Sie sich nicht hätten verhetzen lassen!“ Drei Tage Haft wurde verhängt und das Urteil wurde vollstreckt; es kann 8 auf Geldstrafe erkannt werden, aber drei Tage mußten es sein. das keine Klassenjustiz? Russische Geheimpolizisten läßt man in die preußischen Gefängnisse hinein üeeeh hs⸗ wo kommt es vor, daß sich ein Justizminister derart in seinen amtlichen Wirkungskreis hineinpfuschen läßt? Ein Arbeiter, der ein kleines Scherzwort gegen einen Kameraden ge⸗ braucht, das diesem mißfallen, wird zu 14 Tagen Gefängnis ver⸗ urteilt, ein jüngerer Herr aus der vornehmen Gesellschaft, der seine eigene Mutter verprügelt, kommt mit 50 ℳ davon. Wenn Horden von randalierenden Studenten den Verkehr stören, so hat das nichts auf sich, ergehen sie sich in Beamtenbeleidigungen, wie: Sie Dreck⸗ haufen! Stecken Sie Ihre schmutzige Nase nicht in alles hinein!, so werden sie mit 5 ℳ bestraft. Gehen Arbeiter harmlos spazieren und rufen: Wahlrecht! so schreitet die Schutzmannschaft mit der Waffe ein, und der Prozeß wird den Leuten wegen Auf⸗ ruhrs usw. gemacht. Das heißt doch Prämien auf die Roheit setzen; nennen Sie mir einen Fall, wo ein Arbeiter, der sich solche Roheiten hat zuschulden kommen lase. mit 5 ℳ Geld⸗ strafe davongekommen wäre! Aber die vornehmen Rowdys sind für Polizei und Gerichte beinahe ein noli me tangere. Wir verlangen gleiches Recht für beide Teile. (Zuruf.) Sie können doch von mir nicht verlangen, daß ich alle Fälle, die mir zur Verfügung stehen, hier vortrage; ich müßte ja dann die ganze Session hindurch sprechen! In Berlin versetzte ein randalierender Student einer Dame auf der Straße eine Ohrfeige und beschimpfte sie auf das gemeinste; er wurde von dem Schöffengerichte zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, das Reichsgericht aber setzte die Strafe auf 300 ℳ herab, der klarste Beweiz, daß Roheits⸗ delikte, wenn sie von Angehörigen der besitzenden Klasse begangen werden, anders bemessen werden als diejenigen von Arbeitern. Vor kurzer Zeit standen ein Ingenieur, ein Kaufmann, ein Student und ein Schriftsteller unter der Anklage schamlosester Beleidigungen gegen Frauen und Mädchen auf offener Straße. Die Angeklagten ätten für irrsinnig erklärt und in einer Anstalt untergebracht werden müssen. Diese gröblichen Beleidigungen wurden aber mit 100 ℳ Geldstrafe geahndet. Diejenigen, die dieselben politischen Ansichten vertreten wie diese Herren, schreien dann im Abgeordnetenhause, daß solche Schamlosigkeiten schärfer bestraft werden müßten. (Zurufe: Insinuiert!) Das ist nicht insinuiert, wenn ich Tatsachen anführe. Wenn Sie durchweg in ganz Deutschland, besonders in Preußen und Sachsen, weniger in Süddeutschland, finden, daß die Wohlhabenden milder bestraft werden wie die Arbeiter, dann ist das kein Zufall mehr. In einem anderen Falle erklärte der Richter angeklagten Arbeitern, daß sie kein Recht hätten, Streikposten zu stehen, bestritt ihnen also das ihnen ausdrücklich gewährleistete Recht. Die Arbeiter wurden, weil durch ihr Verhalten die Aufrechterhaltung der Ordnung gefährdet sei, zu zwei Tagen Haft verurteilt, nur weil sie auf Aufforderung nicht weitergegangen waren. Ein Student, der einen Auflauf ver⸗ ursacht hatte, wurde zu einer Geldstrafe von 200 ℳ verurteilt, nachdem er ausdrücklich erklärt hatte, daß er nicht betrunken gewesen sei. Das Berufungsgericht setzte die Strafe auf 15 ℳ herab, indem es annahm, daß, wenn der Student auch selbst gesagt habe, er sei nicht betrunken gewesen, das Heszecserzhe dies boch auf Wunsch des Studenten vorausgesetzt habe. Auf Roheiten von Beamten und Polizisten werden geradezu Prämien ausgesetzt. Ein Polizist, der einem Bergarbeiter mit der Faust mehrmals ins Gesicht und auf den Hinterkopf geschlagen hatte, wurde mit 75 ℳ Geldstrafe belegt. Noch krasser ist der Unterschied, wenn es sich um die Strafvollstreckung handelt. In einem Fall, wo es sich um den Verwandten eines Sggee handelt, ist die Strafe seit 4 Jahren nicht voll⸗ „ umgekehrt steht es, wenn es sich um Sozialdemokraten und rbeiter handelt. Das ist eine geradezu demoralisierende Justiz. Ich möchte Ihnen nunmehr unsere Anträge zur Annahme empfehlen. Der Antrag wegen Einrichtung von Schiedsgerichten will in erster Linie die ländlichen Arbeiter und das Gesinde aus ihrem Hörigkeitsverhältnis befreien. Sie sind bisher eigentlich rechtlos und schutzlos; sie müssen die Möglichkeit haben, sich an schte zu wenden, zu denen sie Ver⸗
trauen haben. Es gibt heute Verträge mit ländlichen Arbeitern, in
denen diese auf gerichtliche .2 ten. Sind die Kaufmanns⸗ te nützlich, warum soll dieser Vo n zuteil werden? Die Vorenthaltung des Rechtsweges muß doch auch in Ihrem Sinn die Landflucht befördern. Der Abg. Spahn verlangte eine Instanz, die darüber zu wachen habe, daß die Landesgesetzgebung nicht in die Reichsgesetzgebung übergreift. Zu diesem Uebergriff gehört die Verfügung des preußischen Ministers des Innern über die Zulassung der ausländischen Arbeiter und die Lösung einer Legitimationskarte. Sie greift aufs allertiefste in das Reichs⸗ recht ein. Wie kommt der Minister dazu, eine Anordnung über das Paßwesen zu treffen für ganz Deutschland? Seit wann ist der preußische Minister Minister für Deutschland? Die Erfaban der Legitimationskarte für die ausländischen russischen und öster⸗ reichischen ländlichen Arbeiter ist ungesetzlich; der Ausländer hat verfassungsmäßig dasselbe Recht wie der Inländer. Die Fremden⸗ und das Paßrecht ist Reichssache. Spitzbuben wird die usweisung nicht angedroht, aber Arbeitern. Das ist eine Beleidigung der Arbeiter. Widergesetzlich ist auch, daß an die Stelle des Gerichts die Entscheidung des Landrats bei Aus⸗ weisung treten soll; diese Bestimmung verstößt aber auch gegen den Handelsvertrag. Die ausländis Arbeiter werden mit einer Steuer von je 2 ℳ belegt, das ist ebenfalls ungesetzlich. Ausländer können nach dem Reichsgesetz nur ausgewiesen werden wenn bestimmte strafbare ndlungen vorliegen. Preußen maßt sich ute das Recht an, die Ausländer auszuweisen entgegen den Be⸗ mmungen der Handelsverträge, die den Angehörigen des betreffenden Staates das Recht einräumen, sich in dem anderen Staate auf⸗ zuhalten. Eine Ausnahme ist ausdrücklich in dem Vertrage mit Kolumbien gemacht worden. Die Ausweisungen sind geradezu ein Ver⸗ tragsbruch, und es ist eine Aufforderung zum Vertragsbruch, wenn der preußische Minister des Innern anmaßt, für ganz Deutschland eine solche Verfügung zu erlassen. Will sich West⸗ und Süddeutschland ein solches Vorgehen des preußischen Polizei⸗ ministers gefallen lassen? Die preußische Verfügung peitscht zum Vertragsbruch an. (Lachen rechts.) Sie lachen, denn Sie wissen, Exekutionen können wir in Preußen nicht vornehmen. Eine Exekution verlange ich auch nicht; aber ich frage, wie man ein solches verfassunge⸗ widriges Vorgehen gestatten kann. Der Arbeiter soll rechtlos und wehrlos gemacht werden. Eine solche Justiz ist Klassenjustiz in der verwerflichsten Form. Ihre Gesellschaftsordnung macht Bankrott, und sie ist nicht in der Lage, dem Gerechtigkeit zu geben, der recht hat, dem Arbeiter.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Was die Frage des Herrn Vorredners betrifft wegen der Legitimationsverhältnisse fremdländischer Arbeiter, so be⸗ daure ich, daß der Herr Vorredner sich mir gegenüber so sehr bemüht hat. Das Reichsjustizamt ist für die Frage, die er hier aufgeworfen hat, nicht zuständig. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Wie immer!) Was heißt das: wie immer? In den Fragen, in denen ich keine Legitimation habe, hier im Hause zu sprechen, spreche ich nicht; ich spreche nur in den Fragen, die meinem Ressort zustehen. Diese Frage gehört in das Ressort des Reichsamts des Innern, und wenn der Herr Vorredner und mit ihm das hohe Haus eine Aufklärung in dieser Frage haben will, so ist die Gelegenheit gegeben, beim Etat des Reichsamts des Innern sich mit diesem Gegenstande noch zu be⸗ schäftigen.
Zu den übrigen Ausführungen des Herrn Vorredners glaube ich mich mit einigen Bemerkungen begnügen zu sollen. Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Vorredners sind nicht neu. (Sehr richtig! rechts. — Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ich hatte schon öfter das Vergnügen, sie zu hören. Ich habe es meistens vorgezogen, nicht zu antworten; aber heute fiel mir bei seinen Ausführungen eine Bemerkung ein, die ich mir zurückgelegt hatte aus der Lektüre des sozialdemokratischen Berichts über den Parteitag, der 1905 in Jena stattgefunden hat. Auf dem Parteitag in Jena wurde auch die Frage der Klassenjustiz angeschnitten, und dort er⸗ klärte ein angesehenes Mitglied der sozialdemokratischen Partei das Folgende:
Es ist nötig, einmal das ganze Problem der Klassenjustiz auf dem Parteitag zu erörtern; ich bin überzeugt, daß eine solche Verhandlung sowohl praktische Früchte tragen, als auch vor allen Dingen eine ungeheure agitatorische Wirkung üben wird.
(Hört, hört! rechts)
Abgesehen von den Militärmißhandlungen, ist es die Klassen⸗
justiz, die die Massen aufpeitscht und aufregt. (Hört, hört! rechts. — Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Nun, meine vemeager.h. nicht, daß die Ausführungen des Herrn Vorredner sehr aufregender Natur waren. (Heiter⸗ keit und sehr richtig! — Lärm und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Aber, meine Herren, es geht mit derartigen Ausführungen im Hause wie so oft: sie werden nachher in die Parteipresse übernommen und sie bekommen dort eine andere Färbung, und dann sind sie, wenn sie es auch hier nicht waren, draußen ein willkommenes Agitationsmittel, deswegen möchte ich einige Worte dazu sagen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Glauben Sie dadurch haben2) Ich meine nur: das ist der einzige Grund, weshalb ich noch einige Worte sage. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.)
Das ist der Grund, weshalb ich noch einige Worte sage, sonst würde ich — wie in früheren Jahren, die Rede dem Urteile des Hauses überlassen.
Meine Herren, die Klassenjustiz wird im Volke nicht so ver⸗ standen, wie das Wort hier im Hause gemeint ist. Das Volk ver⸗ steht unter Klassenjustiz ein Verfahren, wo der Richter mit Bewußt⸗ sein eine Partei, die einer bestimmten Klasse angehört, gegenüber anderen Parteien, die anderen Bevölkerungsschichten angehören, zurück⸗ setzt. Hier im Hause wird diese Volksauffassung sehr vorsichtig um⸗ gangen; hier im Hause heißt es immer: wir wissen ja, unsere Richter sind durchaus unbefangen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Nicht immer!) — Meistens, wollen wir also sagen. Aber sie verstehen die Arbeiterverhältnisse nicht, sie wissen die Verhältnisse nicht zu würdigen, unter denen die Arbeiter leben und tätig sind, und deshalb urteilen sie falsch. Meine Herren, wenn das richtig wäre (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Es ist richtig!), dann würde daraus folgen, daß in Fragen, die die Arbeiter⸗ interessen berühren, nur Mitglieder der⸗sozialdemokratischen Partei als Richter urteilen sollten. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Andere Leute sind ja angeblich nicht da, die die Verhältnisse des Arbeiterstandes richtig zu würdigen vermögen. (Zuruf bei den Sozial⸗ demokraten: Abgeordneter Heinze hat doch dasselbe geäußert!)
cht auch den ländlichen Ar⸗
““
demokratischen Partei mit einiger Aufmerksamkeit, und da ist es mir
etwas widerlegt zu,
ge
8
nzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Berlin, Donnerstag, den 20. Februar
Run, meine Herren, verfolge ich die Lebensäußerungen der sozial⸗
immer aufgefallen, daß, wenn es Interessengegensätze und Interessen⸗ streitigkeiten innerhalb der sozialdemokratischen Partei gab und hier ein Organ der Partei in irgend eine Vertrauensstelle berufen wurde⸗ jber diese Interessenstreitigkeiten zu urteilen, niemand mehr als die Genossen dabei waren, diese Stelle in ihrer entscheidenden Tätigkeit zu verurteilen als ungerecht und einseitig. Also Meinungen in der Partei selbst gehen dahin, daß die Genossen die Arbeiterinteressen nicht unbefangen zu beurteilen wissen. (Lebhafte Unruhe bei den Sozial⸗ demokraten.) — Meine Herren, Ihre eigenen Blätter haben das oft genug erkennen lassen. Und da, meine Herren, tritt ein Mitglied der sostaldemokratischen Partei hier auf und trägt in der Weise, wie wir es bei dem Herrn Vorredner gewohnt sind, die Vorwürfe vor, die er glaubt den bürgerlichen Gerichten machen zu können. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Heinze!) — Der Abgeordnete Heinze wird sich schon selbst äußern. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Er hat sich ja schon gestern geäußert. Glocke des Präsidenten.) Das habe ich ja⸗ gehört! (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Was haben Sie dazu zu sagen.) Darauf habe ich gar nichts zu sagen. Das berührt mich nicht. (Unruhe bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten.) Lassen Sie mich doch einmal sprechen; Sie können ja nachher Ihre Bemerkungen machen. Also, meine Herren, ich sage nur: in dieser Weise, wie wir es gehört, wagt es ein Mitglied der Partei, in welcher es zahlreiche Elemente gibt, die in Streitfällen mit den Ent⸗ scheidungen, die von ihren eigenen Genossen ausgehen, nicht zufrieden sind, die Richter des bürgerlichen Staates zu verunglimpfen.
Nun hat ja der Herr Vorredner eine Anzahl von Einzelfällen gebracht, die das beweisen sollen, was er hier zur Beschuldigung der Richter vorgebracht hat. Meine Herren, dieses Mittel in seinen Händen kenne ich auch aus früheren Zeiten. Wenn ich dann, nachdem die Verhandlungen des Reichstags vorüber waren, und ich nicht mehr zum Worte kommen konnte, festzustellen in der Lage war, wie die Dinge sich verhielten, verhielten sie sich gewöhnlich nicht so, wie sie hier im Hause vorgetragen wurden. Aber sie waren hier in der Oeffentlichkeit vorgetragen, ohne daß eine Berichtigung erfolgen konnte. Ich will aber ausdrücklich zugeben, und habe öfter Gelegenheit gehabt, das zu erklären, daß Vorgänge auch in der Justiz unseres Landes vor⸗ kommen, die tadelnswert sind (sehr richtig!) und im Interesse der Würde unserer Rechtspflege nicht vorkommen sollten. Damit kann aber das nicht bewiesen werden, was der Herr Vorredner hier zu be⸗ weisen unternahm, solche Vorgänge bleiben unter allen Fällen Aus⸗ nahmen (Widerspruch bei den Sozialdemokraten. Sehr richtig! rechts), damit wird der deutschen Justiz niemals der Stempel der Klassen⸗ justiz aufgedrückt, und das war die Absicht, die der Herr Vorredner verfolgte. Diese Absicht kann er mit solchen Fällen niemals er⸗ reichen.
Wenn der Herr Vorredner bei den Beispielen, die er hier an⸗ geführt hat, unter anderem einen Fall, ich glaube aus einem schlesischen Städtchen, anführte, in dem der Richter gesagt haben soll: Wenn Sie den Weg der Berufung beschreiten, bekommen Sie das Doppelte der Strafe, — wenn eine solche Drohung in der Tat gefallen sein sollte, so würde ich das aufs tiefste bedauern, das er⸗ scheint nach meiner Meinung nicht würdig des Richters. Ich glaube aber, die Dinge werden da auch wieder etwas anders liegen, und die Farbe, die der Sache hier gegeben wird, wird nicht Stich halten, sobald wir einmal den Dingen auf den Grund gehen. Immer⸗ hin wäre ein solcher Vorgang bedauerlich, aber nie und nimmer ge⸗ eignet, das wiederhole ich, den Vorwurf zu rechtfertigen, den der Herr Vorredner erhoben hat, als sei die deutsche Justiz eine Klassen⸗ justiz. (Sehr richtig! rechts.) Der Herr Vorredner hat dann einen anderen Fall erwähnt aus einem kleinen märkischen Städtchen, wo eine Lokalzeitung, wie ich glaube, sich eine strafrechtliche Verfolgung zugezogen hat, weil von ihr die Mitteilungen, die er hier auf der Tribüne des Reichstags über das Gebahren eines Richters gegeben hat, ebenfalls gebracht worden waren. Der Fall ist mir so weit be⸗ kannt, daß ich sagen kann, er ist Gegenstand der Prüfung seitens der preußischen Justizverwaltung gewesen, und auf Antrag des zuständigen Landgerichtspräsidenten, der die Verhältnisse doch kennen gelernt hat, ist gegen das betreffende Blatt, das die ehrenrührigen Mitteilungen veröffentlicht hatte, eine Verfolgung eingeleitet worden. Meine Herren, nachdem eine gerichtliche Prüfung des Sachverhaltes statt⸗ gefunden hatte, nachdem auf Antrag des uständigen Land⸗ gerichtspräsidenten gegen dieses Blatt eine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet worden war, bringt dennoch der Herr Vorredner diesen vorläufig noch nicht gerichtlich klargestellten Fall hier vor, um damit einen Eindruck auf das Haus zu erzeugen zu Ungunsten des Richters. (Sehr richtig! rechts.) Das ist meiner Meinung nach unzulässig. Damit gehe ich über die einzelnen Fälle, die der Herr Vorredner vorgebracht hat, hinweg. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Der Fall Rohmen) — Der Fall Rohmen fällt dier nicht hinein, und die Art und Weise, wie der Herr Abgeordnete über diese ganz außerhalb des Reichsjustizressorts liegenden Verhält⸗ nisse gesprochen hat, enthebt mich der Notwendigkeit, sie zu berühren; ich halte es nicht für angemessen, darauf weiter einzugehen. (Sehr richtig! Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.)
Wenn aber, abgesehen von diesen einzelnen Fällen, der Herr Ab⸗ geordnete behauptet hat, daß die deutschen Richter überhaupt nicht im stande seien, die Verhältnisse der Arbeiterwelt, denen sie doch zum Teil sehr nahe stehen, zu würdigen und richtig zu beurteilen, und wenn er ferner gesagt hat, regelmäßig, oder ich glaube sogar, er sagte, in allen Fällen, würden, wenn es sich um Arbeiter handele, drakonische Urteile gefällt (sehr richtig! bei den Polen), wenn es sich aber um Leute aus anderen als Arbeiterkreisen handele, Urteile viel milderer Art, so weise ich das als eine Beschimpfung des
deutschen Richter in Frage stellt, hiermit zurück! (Zustimmung rechts. — Unruhe bei den Soztaldemokraten.) Meine Herren, wir haben in unserem deutschen Strafgesetzbuch eine Bestimmung, wonach ein Beamter, auch ein Richter, der sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache vorsätzlich zu Gunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft wird. Handlungen wie die, die hier in Frage stehen, würden eine Beugung des Rechtes darstellen. Es handelt sich in der Meinung des Herrn Vorredners vielleicht nicht um vorsätzliche Versündigungen der Gerichte, aber dieser Spruch steht über dem Hause, in dem die deutsche Justiz ihres Amtes waltet, in seinem Geiste soll sie sich verhalten, auch wenn eine strafrechtliche Schuld nicht in Frage ist. Und wenn auch die Strafe, die das Strafgesetz⸗ buch verhängt, nur vorsätzliche⸗Pflichtverletzungen trifft, so bin ich doch überzeugt, daß überall, wo es sich zufolge eines leichtsinnigen oder frivolen oder sonst tadelhaften Verhaltens eines Richters um eine Rechtsbeugung auch nur kleinster Art zum Nachteil eines Mannes aus den Arbeiterkreisen handeln sollte, dies verurteilt werden würde von den Justizverwaltungen wie vom Reichstag und von der ganzen öffentlichen Meinung! Ueberall, auch in den Richterkreisen, würde eine solche Rechtsbeugung auf Ver⸗ achtung stoßen. Wie kann der Herr Abgeordnete es unter diesen Um⸗ ständen wagen, zu sagen, die deutsche Justiz sei eine Klassenjustiz? (Zuruf von den Sozialdemokraten: Der Richter Heinze hat es auch gesagt!) — Wenn der Herr Abg. Heinze es gesagt haben sollte, so bin ich anderer Meinung. Ich bin der Meinung, daß in der deutschen Justiz — wie in jeder Rechtspflege — auch Irrtümer vorkommen und Mängel sich zeigen; aber ich kann es niemals zugeben, daß des⸗ halb der deutschen Justiz der Vorwurf der Klassenjustiz gemacht wird! (Zuruf von den Sozialdemokraten: Heinze ist selber Richter!) — Meine Herren, wenn hier im Hause von Klassenjustiz gesprochen wird, dann ist es etwas anderes wie draußen im Lande. Hier im Hause werden die Einzelbeschwerden darunter zusammengefaßt; draußen im Lande versteht man etwas ganz anderes darunter. Draußen im Lande versteht man unter Klassenjustiz — und es gibt Kreise, die dahin wirken, daß diese Auffassung bleibt und gekräftigt wird — das absichtliche ungerechte Verhalten der Richter der bürgerlichen Kreise gegenüber den Arbeitern. Das ist es, was ich bekämpfen muß; eine Verbreitung und Stärkung dieser Auffassung würde allerdings dazu beitragen, das Vertrauen in die deutsche Justiz zu erschüttern, und weil diese Gefahr durch Reden, wie wir sie gehört haben, leicht er⸗ zeugt und weitergefördert werden kann, deshalb halte ich es für meine Pflicht, dagegen zu protestieren. Es gibt keine Klassenjustiz in Deutschland! (Bravo! rechts. — Lachen bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Gröber (Zentr.): Der Abg. Stadthagen sprach von Klassenjustiz und brachte eine Reihe von Einzelfällen vor, die wir nicht nachprüfen können. Er führte sogar einen Fall an, wo der Staatsanwalt eine Geldstrafe beantragt hatte, das Ge⸗ richt aber auf 2 Monate Gefängnis erkannte. Dieser Fall ist doch nicht geeignet, zu erhärten, daß Klassenjustiz bei uns herrscht. Wenn Studenten nach der Meinung des Abg. Stadthagen außer⸗ ordentlich schonend behandelt wurden, so können wir das den Richtern doch nicht so sehr zum Vorwurf machen. Nach meiner Meinung würden auch jugendliche Arbeiter in gleicher Lage nicht hart angefaßt werden. Es fällt mir gar nicht ein, zu bestreiten, daß manche strafrechtlichen Urteile anfechtbar sind, daß sie sehr ver⸗ chieden ausfallen. Bei der Strafabmessung kommen doch auch ver⸗ schiedene Momente in Betracht, ob der Betreffende vorbestraft ist usw. 8 vorkommen, schwere Fehler vorkommen, ist un⸗ bestreitbar. er ich bestreite, daß es sich um eine parteiische Justiz, eine Klassenjustiz handelt. Man kann nicht sagen, daß der ganze deutsche Richterstand eine parteiische Justiz übe, weil einzelne solcher Fälle vorkommen. Wir wissen, daß die Strafbemessung bei Be⸗ leidigungen oft viel zu niedrig ist. Es herrscht darüber große Un⸗ zufriedenheit. Die Gerichte werden allmählich abgestumpft, sodaß auch in schweren Fällen ein mildes Urteil gefällt wird. Das ist aber menschlich, es wird auch vorkommen, wenn sämtliche Richter aus sozial⸗ demokratischen Kreisen entnommen sind. (Zwischenrufe bei den Sozial⸗ demokraten: Versuchen Sie es doch!) Wir wollen es lieber nicht ver⸗ suchen. Auch bei Roheitsdelikten kommen die Angeklagten oft viel zu leicht weg. Wir klagen ferner und haben hier wiederholt im Hause darüber Auseinandersetzungen gehabt, daß die Verfehlungen gegen die Be⸗ stimmungen der Arbeiterschutzgesetzgebung so gering geahndet werden; wenn da die Richter zum Teil die hohe soziale Bedeutung dieser Be⸗ stimmungen nicht genügend erkennen, so muß man das bedauern, kann es aber verstehen, denn der Richter sucht in der Gewerbeordnung vielleicht nicht so sehr einen Strafkodex, wie er es gegebenenfalls müßte. Daraus kann man aber kein allgemein abfälliges Urteil gegen den Richterstand ableiten, und das kann man auch nicht aus den paar Dutzend Fällen, die der Abg. h anführte und die noch vermehrt werden könnten, denn sie fallen kaum ins Gewicht gegenüber den Hunderttausenden von Urteilen, die jahraus, jahrein gefällt werden. Die Vorführung dieser Aus⸗ nahmefälle aber ist geeignet, Unruhe und Besorgnis in das ganze Volk zu tragen. Die Ausführungen des Abg. Heinze waren großen⸗ teils sehr interessant und seine Anregungen nachahmenswert. Es läßt sich nicht leugnen, daß unsere Rechtspflege hinter der modernen Entwicklung zurückgeblieben ist. Wir tasten nach Reform, haben aber immer noch keinen befriedigenden Ausweg gefunden. Warum sind wir zu Gewerbe⸗ und Kaufmannsgerichten gekommen, warum hat die amtsgerichtliche Praxis nicht genügt? Sie war nicht volks⸗ tümlich; die Richter waren nicht imstande, diese Fälle volks⸗ tümlich zu behandeln. Von ihrer ersten Vorhildungs⸗ und Aus⸗ bildungszeit bleiben die Richter in einer gewissen Abgeschlossenheit und in einem den Erscheinungen des Erwerbslebens gegenüber zu engen Gesichtskreis. Das ist nicht etwa eine Schuld der Richter, sondern der Verhältnisse. Der sonderbare Vorschlag, die Referendare durch Deutschland herumzuwürfeln, erscheint mir nicht ganz zweckmäßig; ob die aus dem Norden dem Süden willkommen wären, und umgekehrt, wäre noch zu untersuchen. Besserung kann nur kommen, wenn man den Juristenrichtern Laien an die Seite setzt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Leitung der Verhandlungen muß in der Hand eines Fachmannes bleiben, die Juristenrichter sind besser als ihr Ruf, und als Gesetzeskenner braucht man die Juristen. Die praktische Erfahrung des Lebens, das Rechts⸗ bewußtsein des Volkes soll aber mitreden, und darum gehören in die Gerichte die Laien hinein. Kommen wir einmal zu dieser Zusammen⸗ setzung der Gerichte, wie wir sie bei den Kaufmanns⸗ und Gewerbe⸗ gerichten jetzt haben, so brauchen wir keine Sondergerichte mehr. ur diesmaligen Debatte liegt eine solche Flut von Resolutionen vor, daß man sich kaum noch darin zurecht
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deutschen Richterstandes, die das Pflicht⸗ und Rechtsbewußtsein der
und Strafvollzuges; dieser stimmen wir zu.
Stadthagen
Daß der außerordentlich wichtige Antrag Bassermann wegen der Jugendlichen in dieser Masse der Anträge verschwinden muß und nicht gesonderter Behandlung unterworfen werden kann, müssen wir sehr bedauern. Unsere Straf⸗ gesetzgebung nimmt keine Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse des jugendlichen Arbeiters. Hoffentlich wird bei der Revision der Straf⸗ prozeßordnung oder schon vorher durch Spezialgesetz hier ein be⸗ friedigender Fortschritt gemacht. Der Antrag von Liebert wirft das Thema der Deportation auf. Wir können uns auch heute nicht für diese Art der Strafvollstreckung, auch nicht in der vorgeschlagenen erwärmen. Unser Antrag wegen der Selbstbeköstigung und eelbstbeschäftigung hat schon früher dem Hause vorgelegen. Man hat ein det, der Antrag schaffe zweierlei Recht. Das trifft nicht zu; schon das bestehende Gesetz gibt hier gewisse Befugnisse. Diese Bestimmungen sehen wir lieber durch genaue positive Normen ersetzt, insbesondere hinsichtlich der EI“ Die Resolutionen Albrecht und Ablaß wegen der Gewährung von Diäten an Schöffen und Geschworene weichen darin von einander ab, 8 der Antra Albrecht auch von Reisekosten spricht, während der Antrag Ablas diesen Fehler vermeidet; wir werden für den letzteren stimmen. Die Anträge, welche die Immunität der Reichstagsabgeordneten usw. betreffen, haben ihre Hauptbedeutung nicht auf projessualischem Gebiete; ihre politische Bedeutung käme bei dem Etat des Reichstags entschieden mehr zur Geltung. Die Resolution Albrecht wegen Errichtung von Sondergerichten für die Streitig⸗ keiten von Bureaugehilfen, ländlichen Arbeitern und Gesinde mit ihren Arbeitgebern können wir nicht annehmen. Wir wären ein⸗ verstanden, daß die Kompetenz der Gewerbegerichte entsprechend aus⸗ gedehnt wird, aber wir sind gegen die Schaffung weiterer Sonder⸗ gerichte. Die Resolution wegen des Zeugnisverweigerungsrechtes aller an Zeitungen beschäftigten Personen geht uns in solcher Allgemeinheit zu weit. Warum sollen übrigens die Zeitschriften nicht auch diese Freiheit erhalten? Der Resolution Ablaß wegen der Beseitigung der Härten bezüglich der vorehelichen Kinder stimmen wir zu. Unser Initiativantrag zum Etat des Reichsamts des Innern wegen der Tarifverträge ist jetzt, weil ein gleich⸗ artiger Antrag Junck vorliegt, mit zur Verhandlung gestellt. Wir sehen heute in Deutschland mehrere tausend Tarifverträge zwischen Arbeitgeber⸗ und Arbeitnehmerorganisationen in Gültigkeit., Weder das B. G.⸗B. noch die Gewerbeordnung beschäftigt sich mit den Tarifverträgen, und es ist. mißlich, sich auf eine Auslegung der be⸗ treffenden Bestimmungen zu verlassen. Die Judikatur des Reichs⸗ gerichts und anderer Gerichte stehen mit einander in Widerspruch. Der Tarifvertrag ist keine Kampf⸗, sondern eine Friedensorganisation, nicht eine Verabredung über künftig zu erlangende bessere Bedingungen, sondern er enthält diese Bedingungen selbst. Es handelt sich auch nicht um die Erlangung künftiger erer Lohnbedingungen, sondern oft um ihre Erhaltung. Einzelne Gerichte haben den Tarifvertrag als einen Arbeitsvertrag erklärt, andere als eine Offerte für einen künftigen Arbeitsvertrag. Beides ist ein Irrtum. Der Arbeitgeber ist nicht verhindert, sein Geschäft aufzugeben, der Arbeiter nicht, sich anderweit eine Arbeit auszusuchen. Welche rechtliche Wirkung geht nun aus dem Tarifvertrag hervor? Er ist ein recht⸗ lich verpflichtender Vertrag. Daraus folgt, daß die Arbeitsordnung nicht Bestimmungen enthalten darf, die dem Tarifvertrag zuwider⸗ laufen. Ein Arbeiter aber, der aus der Organisation ausscheidet, wird während der Dauer des Vertrages an diesen gebunden sein. Die Kündigungsbedingungen müßten gesetzlich geregelt werden. weiter zu gehen, würde bei der Flüssigkeit dieser ganzen Bewegung bedenklich sein. Die Frage der Sicherung der Innehaltung der Tarifverträge müßte Hand in Hand gehen mit der Rechts⸗ fähigkeit der Berufsvereine, mit der Koalitionsfreiheit der Arbeiter. Vor allem aber handelt es sich darum, die Tarifverträge auf eine geseblich rechtliche Grundlage zu stellen; alles andere wird der Zu⸗
unft zu überlassen sein.
Abg. Dr. Ablaß (fr. Volksp.): Ueber die einzelnen gestellten Resolutionen wird unser Parteigenosse Dr. Müller⸗Meiningen sprechen. Die von der nationalliberalen Partei angeregte Frage der Behandlung der jugendlichen Verbrecher ist nach meiner Meinung spruchreif. Die Statistik zeigt eine bedauerliche Zunahme der jugendlichen Uebel⸗ täter; ihre Zahl ist in 23 Jahren von 30 600 auf 55 000 gestiegen. Die Jugend ist unser Stolz, unsere Zukunft; befindet sie sich auf ab⸗ schüssiger Bahn, so hat der Staat die Aufgabe, zunächst dafür zu sorgen, daß die Jugend so lange wie möglich im Hause gehalten wird. Dazu gehört eine gesetzliche Einschränkung der Kinder⸗ und Frauenarbeit. Es müssen die Löhne erhöht werden, damit die Eltern nicht auf die Mithilfe der Kinder angewiesen sind. Wollen wir das sittliche Niveau der Jugend erhöhen, dann müssen wir sie abhalten von dem allzu frühen Umgang mit der Prostitution. Ich bin zwar nicht für Kasernierung, wohl aber für eine gewisse Lokalisierung der ftagfete⸗ damit die Kinder nicht mit ihr in Berührung kommen.
or allem ist dringend erforderlich, die geistige Ausbildung des Volkes so viel wie möglich zu heben durch eine möglichst gründliche Propagierung der Volksbildung. Darum erachte ich gerade die Maßregel der Lieg⸗ nitzer Regierung für ungemein beklagenswert. Es kann hundertmal ein preußischer Minister auftreten und der Maßregel sein Placet geben, die Maßregel bleibt tief bedauerlich. Die Bestimmungen üͤber die Strafbarkeit jugendlicher Personen sind mangelhaft. In erster Linie ist notwendig die Hinaufsetzung des strafmündigen Alters von 12 auf 14 Jahre. Weiter wird zu prüfen sein, ob man nicht überhaupt das Augenmerk richten soll auf besondere neue Erziehungsstrafen. Ein Kind, das noch die Schule besucht, sollte nicht dem Strafrichter überwiesen werden. Die Erziehungs⸗ strafen brauchen ja nicht milder zu sein als die ebigen esetzlichen Strafmittel; ich denke da z. B. an die Zwangserziehung. Wenn man ein Kind bestrafen will, so muß man das Milieu berücksichtigen, in dem es lebt, das schlechte Beispiel, das ihm gegeben wird, usw. Oesterreich, Holland sind uns auf diesem Gebiete schon voran⸗ gegangen. Auf dem Gebiete des Strafprozesses sollte auch vor dem Schöffengerichte den Jugendlichen unter 16 Jahren ein Verteidiger gegeben werden. Das Kind steht doch immer noch unter der Zucht⸗ ewalt der Eltern und des Staates. Das Kind sollte unter allen mständen vertreten werden durch seinen gesetzlichen Vertreter oder durch andere Personen. Ob sich eine inschränkung der Oeffentlichkeit in solchen Prozessen empfiehlt, möchte ich zur Zeit weder bejahen, n verneinen. Vielleicht wäre es richtig, auch den Vormundschaftsrichter zuzuziehen. Wieweit Jugend⸗ erichte sich bewähren werden, bleibt abzuwarten. Unter keinen slmstaͤnden nd wir für eine Zersplitterung der Justiz und für Sonder⸗ erichte. esondere Gefängnisse für Jugendliche haben wir nicht.
s Kind darf aber unter keinen Umständen mit Verbrechern zu⸗ sammengesperrt werden, die eine längere Freiheitsstrafe verbüßen. Das Geld muß vorhanden sein, um die Jugendlichen in besonderen Gefängnissen unterzubringen. Einen , zur Beurteilung des Fürsorgegesetzes hat der schauderhafte Fa geliefert, der sich vor dem Schwurgericht in Hirschberg abgespielt hat. Drei Fürsorgezöglinge wurden wegen Ermordung teils zum Tode, teils zu Gefängnis, teils zu Zuchthaus verurteilt. Der Vor⸗ sitzende und die Richter waren sich einig, daf ein Zeugen⸗ material, wie es in diesem Prozeß aufgetreten war, im 8 der Rechtspflege vor Gericht nicht wieder erscheinen dürfe. Auch die
findet. Da ist auch die Resolution wegen des Strafverfahrens
Kreissynode in Hirsch hat it den Zuständen in dem Rettungs⸗ haus en. 2,8 12g als 1.b bezeichnet, daß nicht schon