Er hat ferner gesagt, es hätten sich 20 polnische Rittergutsbesitzer in den Nachbarprovinzen wieder angesiedelt. Auch das ist unrichtig; auf Seite 40 würde er gefunden haben — ich habe das schon gestern dargelegt —, daß nur ein Gutsbesitzer, der ausgekauft ist, sich außer⸗ halb des Tätigkeitsgebiets der Ansiedlungskommision sich wieder an⸗ gesiedelt hat, und zwar in Ostpreußen. (Hört! hört!) Also die An⸗ gaben, die Herr Freiherr von Tschammer nach dieser Richtung ge⸗ macht hat, entsprechen nicht den Tatsachen. Dann hat Herr von Tschammer darauf hingewiesen, daß auch in Schlesien deutscher bäuer⸗ licher Besitz in steigendem Maße in polnische Hände übergehe, unnd er wollte auch dafür die Ansiedlungskommission verantwortlich
machen. Meine Herren, ganz zu Unrecht! Denn die An⸗ siedlungskommission kauft keinen kleinen bäuerlichen Besitz oder in geringem Umfang. Sie hat also keine ausgekauften Elemente über die Grenzen der Ansiedlungsprovinz und in Schlesien sich anzusiedeln veranlaßt, sondern ganz unabhängig von der Tätigkeit der Ansiedlungskommission hat sich in steigendem Maße die Einwanderung bäuerlicher polnischer Besitzer in mehreren schlesischen Kreisen rechts von der Oder vollzogen. Ich kann dem Herrn von Tschammer nur beistimmen, daß diese Ent⸗ wicklung als eine durchaus ernste zu betrachten ist, und ich kann hinzu⸗ fügen, daß sie der Aufmerksamkeit der Staatsregierung nicht entgangen ist. Die Staatsregierung beabsichtigt, um den Uebergang dieses ge⸗ fährdeten bäuerlichen Besitzes in polnische Hand zu verhüten, eine ähnliche Einrichtung zu treffen, wie sie in der Mittelstandskasse für Posen und in der Bauernbank in Danzig besteht. Mit wenigen Worten möchte ich diese Einrichtungen dahin charakterisieren: diese beiden Kassen haben den Zweck, den Uebergang bäuerlichen Besitzes in polnische Hand zu verhüten, indem sie die hochverzinslichen, nicht amortisierbaren Privathypotheken umwandeln in niedriger verzinsliche und amortisierbare, die in erster Linie die Landschaft und in weiter Linie die Ansiedlungskommission gibt. Es wird auf diesem Wege erreicht, daß der Grundbesitzer durch Zins⸗ und Amortisations⸗ ast künftig noch weniger belastet ist, als er es jetzt lediglich durch die Zinslast ist. Es wird ferner vor allem dadurch erreicht, daß der Be⸗ tzer so im Laufe einer Generation die Schuldenlast abtragen kann. Ich glaube also, ich kann Herrn Freiherrn von Tschammer beruhigen, aß wir nach dieser Richtung tun werden, was wir können, um Vor⸗ orge zu treffen.
Herr Freiherr von Tschammer hat sodann einen andern Vorschlag
gemacht, es solle der Kauf der Güter nur gegen Barzahlung gestattet
erden. Ich glaube, das würde gegen das Bürgerliche Gesetzbuch wenn uns gesagt
verstoßen und eine solche Einengung des Gütermarktes mit sich bringen, daß davon im Ernst nicht gesprochen werden kann. Vor allen Dingen aber berührt diese Angelegenheit nicht die entscheidende Frage. Wir würden dadurch nicht in den Besitz des Grund und Bodens kommen, den die Ansiedlungskommission haben muß, um ihre Tätigkeit fortzusetzen.
Dann hat Herr Freiherr von Tschammer eine Anregung gegeben⸗
preußischen Landesgesetzgebung liegt. Er hat gesagt, man solle alle
nationalpolnischen Vereine verbieten. Ich würde ihn bitten, bei der
Ausarbeitung des Gesetzes als Hilfsarbeiter in das Justizministerium einzutreten, um eine ganz sichere Definition dessen zu geben, was ein nationalpolnischer Verein ist. (Heiterkeit.)
ob Herr Freiherr von Tschammer so weit gehen will, selbst nationalpolnische Turn⸗ oder Gesangvereine zu verbieten. Wir in der Staatsregierung haben jedenfalls diese Absicht nicht, so weit zu gehen, und damit sind wir in diesem Punkte liberaler als Herr Freiherr von Tschammer. (Bravo!) Aber was nützt es überhaupt, uns auf den Reichstag zu verweisen? Das heißt doch, uns Steine statt Brot geben. Der Reichstag wird mit Recht sagen, was sollen wir für Preußen diese Sache regeln? Tua res
agitur. Setze du deine eigene Gesetzgebung in Kraft und verlange nicht von uns Maßnahmen, die nur für preußische Verhältnisse be⸗-
stimmt sind.
Dann hat Herr Freiherr von Tschammer uns ein Wort zuge⸗ rufen, das er von der Enteignung gebrauchte: öte-toi que je m'y mette. Darin können wir ihm folgen, aber wir wollen gerade ver⸗ hüten, daß der polnische Besitzer gegenüber dem deutschen Besitzer dieses Wort anwendet: 6te-toi! und daß der deutsche Besitz gegenüber dem polnischen zurückgeht. Ich habe in den letzten Tagen eine Zusammen⸗ stellung bekommen, wie in den letzten beiden Jahren wieder der deutsche Besitz zurückgegangen ist. Selbst vom Jahre 1906 bis 1907 ist im Regierungsbezirk Posen der deutsche Besitz um 8000 ha, im Regie⸗ rungsbezirk Bromberg sogar um 20 000 ha zurückgewichen, und, was das Charakteristische ist, wiederum leidet der bäuerliche Besitz in gleichem Maße wie der Großgrundbesitz. Im Regierungsbezirk Bromberg ist der deutsche Besitz von 282 000 auf 277 000, also um mehr als 5000 ha — das bedeutet ungefähr eine Quadratmeile — zurückgegangen, und in Westpreußen hat der deutsche bäuerliche Besitz eine Einbuße von nahezu 7000 ha erlitten. Meine Herren, ich glaube, das sind doch Dinge, so ernster Art, daß wir dazu nicht schweigen dürfen.
Ich komme nun mit wenigen Worten auf die Aeußerung Seiner Eminenz des Herrn Fürstbischofs Kopp zu sprechen. Seine Eminenz hat zugegeben, daß das Privateigentum doch nicht ein völlig schranken⸗ loses sei, das Privateigentum sei nicht ein absolutes, sondern es höre da auf, wo die Staatsnotwendigkeit eintritt. Er glaubt aber, der Zweck, den wir intendieren, könne auch auf andere Weise erreicht werden. Ja, meine Herren, irgend ein anderer Weg, auf dem der Zweck zu erreichen wäre, ist aber auch von Seiner Eminenz nicht angegeben worden. Seine Eminenz hat ferner gesagt, daß eine Notwendigkeit oder eine Notwehr nicht vor⸗ liege, die uns berechtige, einen so weit gehenden gesetzlichen Eingriff zu machen. Ich frage, meine Herren, was versteht man unter Staats⸗ notwendigkeit oder Notwehr? Wollen wir es wirklich bis zum äußersten kommen lassen und warten, bis der vom Grafen Haeseler erwähnte Fall eintritt, daß die Polen sich mit bewaffneter Hand er⸗ heben und wir dann gezwungen sein würden, den Aufstand mit be⸗ waffneter Hand niederzudrücken. Ich glaube vielmehr, man muß vor⸗ beugen, das ist der erste Gesichtspunkt für eine wahrhaft staatserhaltende Politik; und wenn wir vorbeugen wollen, so müssen wir danach zu streben suchen, daß der deutsche Besitz die ihm gebührende Bedeutung
in den Ostmarken erhält und nicht allmählich dem Ansturm des Polen⸗ tums erliegt. Das halte ich für eine Staatsnotwendigkeit von so evidenter Art, daß aus diesem Grunde meiner Ansicht nach die Ent⸗ eignung nicht ebenso, sondern doppelt so berechtigt ist wie die Ent⸗
Wir haben wenigstens I1 eine solche Definition bisher noch nicht gefunden, und ich weiß nicht,
8 eignung, um eine Talsperre anzulegen oder eine Eisenbahn oder einen großen Schießplatz. Hier handelt es sich um gebieterische Aufgaben des Staats, und die rechtfertigen meiner Ansicht nach das Enteig⸗ nungsrecht. (Bravo!) Und wenn schließlich sowohl der Graf Schulenburg wie auch heute Herr Professor Schmoller von den Traditionen des Herrenhauses gesprochen haben, so fasse ich die Traditionen des Herrenhauses dahin auf, daß das Herrenhaus, wie auch bisher, den großen Staatsnotwendig⸗ keiten unseres öffentlichen Lebens seine Unterstützung nicht entziehe. Das Herrenhaus hat sich bisher immer als der Hort einer festen Staatsgesinnung gezeigt, immer als das Haus, in dem wir sicher sein konnten, Unterstützung zu finden, wenn es sich um die größten Auf⸗ gaben des Staats handelte. Wir vertrauen fest, daß das Herrenhaus uns auch jetzt in dem, was wir erbitten, nicht verläßt. (Lebhaftes
Bravo.)
Kronsyndikus Dr. Hamm⸗Bonn: Ich kenne ein Sev die Herrschaft im Osten, das nicht in unseren Händen und nicht in den Händen der Regierung ruht, wohl aber in denen des niederen Klerus, der katholischen Geistlichkeit im Osten. Dieser läßt uns im Stich, er mißbraucht die Religion, um uns zu be⸗ kämpfen; wir haben ja gelesen von der polnischen Mutter Gottes usw.! Selbst in der Rheinpropinz genügt es den dort an⸗ sässigen polnischen Arbeitern nicht, daß für sie polnische Gottesdienste eingerichtet werden, nein, der polnische Geistliche soll ein Pole sein. Dahin hat der niedere Klerus gedrängt, er hat weiter Aberglauben und Ketzerei mitten im Volke erweckt, und der Staat steht mit gebundenen Händen dabei! Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß das katholische Volk und der Klerus loyale preußische Bürger sein wollen; bis jetzt hat der niedere Klerus versagt.
Herr von Buch: Ich bin ein Gegner der Enteignung, darüber werden Sie nach meiner Vergangenheit und meiner Stellung, wenn es sich um die Erhaltung des angestammten Grund⸗ besitzes handelt, nicht im Zweifel sein. Wir erkennen durch⸗ aus an, daß die Ansiedlungskommission große Erfolge gehabt hat, wenn auch mehr wirtschaftlicher und nicht nationaler Natur. Wir geben auch zu, daß das Enteignungsrecht der Regierung neuen Boden für Ansiedlungen zur Verfügung stellen würde. Wenn wir aber trotzdem gegen die Enteignung stimmen, so liegt das daran, daß unseres Dafürhaltens die Vorteile der Enteignung weit überschätzt werden. Ich verstehe z. B. nicht, wie man glauben kann, daß durch die Enteignung die schwindel⸗ hafte Steigerung der Güterpreise wieder aufgehoben werden kann. Bei Enteignungen wird mit Recht der höchste Preis zu⸗ gebilligt, und ich möchte den preußischen Gerichtshof sehen, der das nicht im Osten täte. Wie kann man glauben, daß durch Enteignung von weiteren 60 000 Hektar die Polengefahr aus der Welt geschaft werde! Deshalb sind wir aus allgemeinem Staatsinteresse gegen die Veeh Es wäre ein harter Vorwurf, würde, wir ließen uns von Sonderinteressen als Grundbesitzer bestimmen. Die Aeußerung des Herrn Schmoller
konnte so gedeutet werden. Wir können unsern Standpunkt nicht nach außen hin verdrehen lassen. Diejenigen nun, welche gegen die Vorlage sind, sind darum hier andere Wege vorzuschlagen.
Grenzen
bricht, nicht deshalb annehmen, weil etwa der Reichstag versagt.
aber nicht, daß wir die Mittel kritisieren.
eine schwierige Lage gebracht.
Fipes. des Staatsministeriums, Reichskanzler Fürst von Bülow:
Meine Herren! In vorgerückter Stunde und nach zweitägiger De⸗
batte will ich mich möglichst kurz fassen. Ich möchte aber auf einige
Dinge eingehen, die im Kampfe gegen diese Vorlage eine besondere Rolle gespielt haben. Es ist auch heute gesagt worden, daß diese
Vorlage im Widerspruch stände mit Verfassung und Gesetz. Der Herr Justizminister hat diesen Vorwurf bereits in sachkundiger Weise damit
zurückgewiesen. Ich möchte aber meinerseits über diesen Punkt noch
das Nachstehende sagen: Das deutsche Volk hat sich immer hervor⸗ im Deutschen Reiche überall zukommt.
getan durch ein ausgesprochenes Rechtsgefühl. Das ist eine schöne
Eigenschaft, es ist eine der schönsten Eigenschaften des deutschen Aber, meine
Herren, die Kehrseite dieses lebendigen und warmen Rechtsgefühls, wohl erreichbar, erreichbar durch Zähigkeit, durch Energie, erreichbar
vor allem durch Steetigkeit.
Volkes; eine Eigenschaft, die wir alle hochhalten.
das unser Volk auszeichnet, ist seine, politisch oft gefährliche, Neigung, sich in abstrakten Formalismus zu verirren, ist der uns Deutschen seit jeher eigene Trieb, auch öffentliche Fragen, große politische Fragen lediglich vom Standpunkte des Privatrechts zu beurteilen. Damit
kommt man in großen politischen Existenzfragen nicht durch. (Sehr I richtig!) Die erste, die oberste und vornehmste Pflicht des Staates 1 ist, sich selbst zu behaupten.
wenn wir es nicht ebenso machen, so kommen wir unter die Räder.
So machen es alle anderen Völker, und
(Sehr richtig!) Ich habe gestern gesagt, ich wäre überzeugt, daß, wenn Fürst Bismarck noch unter den Lebenden weilte, er sich unter den Anhängern dieser Vorlage befinden würde. Zur Begründung dieser Behauptung und in Vervollständigung dessen, was ich eben ausgeführt habe, möchte ich einige Sätze aus einer Rede verlesen, die in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 29. Januar 1886 Fürst Bismarck gehalten hat. Fürst Bismarck sagte damals: „Dann sagt der Herr Abgeordnete weiter in bezug auf die
die ich mich aussprach: Wo bleibt denn da die Rechts⸗ sicherheit in Deutschland und in Preußen? Die ist ja noch in keiner Weise beeinträchtigt. Ja, wenn wir einfach konfiszieren wollten, wie man das in anderen Ländern wohl tut, wenn man die Güter unentgeltlich einzöge! Das ist ja viel, viel wohlfeiler. Ich sehe nicht ein, wie der Vorredner darauf kommt. Es ist dies ein Akt der Notwendigkeit, in dem der preußische Staat sich befindet dem polnischen Adel gegenüber. Im Kriege geschieht auch manches, wobei man die Gleichheit vor dem Gesetz vollständig aus den Augen verliert. Ein Staat, der um seine Existenz kämpft, ist schließlich im Kriege und im Frieden nicht immer in der Lage, sich in den gewohnten Gleisen zu halten; darin, daß er das nicht ist, besteht gerade die Rechtssicherheit. Wenn wir das anders auffassen wollten,
Staatsmann vor etwa 20 Jahren mit den Worten schilderte: c'est la légalité qui nous tue! — Wir halten an dem Gesetz fest, und wenn wir darüber zu Grunde gehen. Dieses „La lIégalité qui nous tue“ hat eben sein Gegengewicht in dem Notwehrrecht des Staates, sobald seine Existenz gefährdet ist und in Zweifel gerät.“ Also, meine Herren, auf die Autorität des Fürsten Bismarck kann man sich gegenüber dieser Vorlage nicht berufen.
richtig!)
nicht verpflichtet, Es gibt Mittel gegen die national- polnischen Zeftesbnngene sie egen aict n er Reichstag kann Mittel schaffen, aber wir können eine auch in dieser Beziehung Herr Graf Botho Eulenburg gesagt, das - „die mit den Grundsätzen des preußischen Staates 8 1 die ebenfalls auf dem Gebiete der Reichsgesetzgebung, nicht aber der solche Vorlage Grundsätz preußisch Wir hilligen die Polenpolitik der Regierung, ihren Zweck, das hindert Die Anhänger der
Monarchie und ihrer starken Autorität werden durch die Vorlage in
wäre, wie er sich, glaube ich, ausdrückte, eine tolle Idee.
Möglichkeit der Expropriation des gesamten polnischen Adels, über
dann würden wir in die Lage kommen, wie sie ein französischer
(Sehr
Man hat weiter gesagt, die Politik, die zu dieser Vorlage ge⸗ führt habe, sei eine harte, eine allzu harte. Ich kann nur wieder⸗ holen, daß wir die Wahl zwischen zwei Eventualitäten haben: Ent⸗ weder Sie gewähren uns die Möglichkeit der Anwendung der Ent⸗ eignung. — Ich sage ausdrücklich: die Möglichkeit der Anwendung der Enteignung. Ich teile die soeben ausgesprochene Hoffnung, daß im Falle der Annahme des Antrags Adickes die Enteignung so selten wie möglich zur Anwendung gelangen wird. Aber, meine Herren, wenn uns diese Möglichkeit der Anwendung der Enteignung versagt wird, so gelangt unsere Ostmarkenpolitik, die Ansiedlungspolitik, die wir seit 20 Jahren führen, die wir führen als eine große staatliche Notwendigkeit, die wir treiben mit einem Erfolge, den zu meiner großen Befriedigung soeben der hochverehrte Graf Botho Eulenburg ausdrücklich anerkannt hat, — so gelangt diese unsere Ansiedlungs⸗ politik auf den toten Strang.
Ein Mittel, uns aus diesem Dilemma herauszuhelfen ohne die Möglichkeit der Enteignung, ist mir in allen Reden gegen diese Vor⸗ lage nicht angegeben worden. (Sehr richtig!) Jedesmal, wenn ein Redner sich erhob, um gegen die Vorlage zu sprechen, sagte ich mir: nun kommt's! (Heiterkeit) nun werde ich hören, wie ich durch ein konkretes, praktisches Mittel um die Enteignung herumkomme. Es kam aber nie. (Erneute Heiterkeit.)
Meine Herren, ein wichtiger Zweck dieser Vorlage ist, jeden Zweifel an der Stetigkeit unserer Ostmarkenpolitik zu jerstreuen. Als ich vor einigen Jahren in Posen war, sagten mir alle Deutschen, mit denen ich mich über die Lage unterhielt: über fast alle Maßnahmen, die im Osten getroffen sind, kann man verschiedener Meinung sein; über die Ansiedlungspolitik, über die Schulpolitik.“Man kann finden, daß dieses oder jenes Mittel mehr oder weniger glücklich ist; man kann finden, daß dieser oder jener Weg richtiger ist oder nicht, besser zum Ziele führt oder nicht. Aber eins ist — sagten mir alle Deutschen —, was uns vor allem nottut, das ist Stetigkeit, um Gottes willen Stetigkeit (Sehr richtig!); nur nicht wieder ein Hin⸗ und Herschwanken, keinen Zickzackkurs! Ein Hauptzweck dieser Vorlage ist — auch darin stimme ich ganz mit dem Herrn Grafen Eulenburg überein —, jeden Zweifel zu zerstreuen an der Sicherheit, an der Stetigkeit, an dem vollen Ernst unserer Ostmarkenpolitik.
Uebrigens, meine Herren, glaube ich, daß im letzten Ende eine sichere, stetige und feste Ostmarkenpolitik auch weniger grausam ist — und damit komme ich zu einem weiteren Vorwurf, der gegen unsere Ostmarkenpolitik und speziell gegen diese Vorlage erhoben worden ist —, als halbe und schwächliche Maßnahmen. Solche halben und schwächlichen Maßnahmen sind noch immer mißglückt, und sie mußten mißglücken. Durch halbe Maßregeln, schwächliche Versöhnungsversuche, Illusionen und Phantasiegebilde wird der Kampf nur in die Länge gezogen. Wir
wollen diesem Kampf, der sich in unserer Ostmark abspielt, durch
wirksame Maßregeln möglichst bald ein Ende bereiten. Wir denken nicht daran, die Polen ausrotten zu wollen. Mit großem Recht hat
Ja, das wäre eine hirnverbrannte Idee, und das wäre eine Barbarei. Ich habe wiederholt, namentlich in dem anderen Hause des Landtages, an der Hand eines reichhaltigen Materials nachgewiesen, daß der Deutsche im
Osten mehr und mehr in die Defensive gedrängt worden ist, daß der
Kampf, den wir im Osten führen, lediglich ein Verteidigungskampf ist. Wir wollen, ich wiederhole es, die Polen weder vertreiben, noch verdrängen, wir wollen nur verhindern, daß die Deutschen von den Polen aufgesogen und verdrängt werden. Diese Maßnahme, die wir fordern — ich habe das vom ersten Tage an betont —, ist eine Aus⸗ nahmemaßregel, ihren Ausnahmecharakter habe ich von vornherein scharf in den Vordergrund gestellt. Wir fordern diese Maß⸗ nahme als eine exzeptionelle Maßnahme, wir fordern sie, das Deutschtum auch in der Ostmark diejenige ge⸗ sicherte Stellung einnimmt, die ihm in der preußischen Monarchie und Das ist das Ziel, dem wir mit dieser Vorlage zustreben. Gewiß, meine Herren, das Ziel liegt nicht vor unseren Füßen. Das ist uns wohl bewußt. Aber nach der festen Ueberzeugung der Königlichen Staatsregierung ist dieses Ziel
Dazu soll uns auch diese Vorlage dienen. Helfen Sie uns, dieses Ziel zu erreichen durch Annahme des Antrages Adickes. (Lebhafter Beifall.)
Landeshauptmann der Provinz Posen Dr. von Dziembowski geht im einzelnen auf die Zahlen der Denkschrift der Regie⸗ rung 20 Jahre deutscher Kulturarbeit“ ein. Nach den Kom⸗ missionsbeschlüssen bleibe der Regieruug noch ein Areal von 170 000 Hektar für die Enteignung übrig. Die Haupt, sache sei die Abrundung der bestehenden Ansiedlungen. Eine Beruhi⸗ gung auf dem Gütermarkt werde durch die Enteignung nicht ein⸗ treten. Die Enteignung solle nach den Erklärungen der Regierung nur im Ausnahmefall angewendet werden, sie werde aber doch nach Bedarf stattfinden, je nach dem Ermessen der Ansiedlungskommission. (Der Präsident Freiherr von Manteuffel bittet wiederholt um Ruhe, da er den Redner nicht verstehen könne.) Er habe die Zuversicht, 9 das Abgeordnetenhaus die grundsätzlichen Bedenken des Herrenhauses anerkennen und die Sache noch einmal zu prüfen bereit sein werde. Oberbürgermeister Körte⸗Königsberg beantragt Schließung der Debatte. Wenn es auch bei dieser wichtigen Frage bedenklich sei, jemandem das Wort abzuschneiden, so sei doch die Frage geklärt, und es könne niemand mehr etwas Neues beibringen.
Der Antrag auf Schließung der Debatte wird mit sehr
großer Mehrheit angenommen.
Berichterstatter Herr Dr. von Burgsdorff bemerkt in seinem Schlußwort, daß er auch nichts Neues mehr sagen könne, die Kommission habe die Vorlage wie eine Zitrone ausgepreßt, es komme nun nichts mehr aus der Zitrone heraus; selbst die stundenlangen Ausführungen des Grafen Oppersdorff hätten nichts Neues beibringen können. Er empfehle, die Vorlage in der Fassung der Kommission anzunehmen.
In namentlicher Abstimmung wird darauf der Antrag Adickes (Wiederherstellung der Fassung des Abgeordneten⸗ hauses, d. h. Zulassung der Enteignung bis zu 70 000 ha, mit Hinzufügung genauer Definition der von der Fregeisnaß ausgeschlossenen kirchlichen und Stiftungsgrundstücke) mit 1 gegen 111 Stimmen angenommen.
Damit sind die Kommissionsbeschlüsse zu §§ 13 und 132 gefallen und der Antrag von Wedel zu § 132 erledigt. Die übrigen Teile des Gesetzes und das Gesetz im ganzen werden ohne weitere Debatte angenommen. Auf Vorschlag der Kommission faßt das Haus noch folgende Resolution: 1 „die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, möglichst bald ein Organ zur Umgestaltung der Königlichen Ansiedlungskommission für die Provi stpreußen und Pos
in die Wege zu leiten und
bierbei den Einfluß der beteiligten Oberpräsidenten zu verstärk sowie eine Mitwirkung der Organe der Eülbfntewat de shürken
stellen.“ Die eingegangenen Petitionen werden für erledigt erklärt. Nächste Sitzung unbestimmt.
Schluß 6 ¼ Uhr. sichtlich Ende Racmh Voraus⸗
—
Haus der Abgeordneten.
39. Sitzung vom 27. Februar 1908, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der die zweite Be⸗ ratung des Staatshaushaltsetats für das Rechnungs⸗ jahr 1908 bei dem Spezialetat des Ministeriums des Innern fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. 1
Bei dem ersten Titel der dauernden Ausgaben, „Gehalt des Ministers“, findet, wie üblich, eine allgemeine Diskussion statt.
Mit zur Beratung gestellt werden die im Etat der Bau⸗ verwaltung enthaltenen, bei dessen zweiter Lesung an die Budgetkommission zurückverwiesenen Forderungen die Er⸗ richtung neuer Regierungsgebäude in Allenstein, Münster i. W. und Cöln a. Rh.
Abz. Strosser (kons.): Schon bei Beratung des Etats des Justizministeriums ist auf die Verbreitung obszöner Bilder und Schriften bingewiesen worden; die Empörung über dieses Unwesen war allgemein. Es ist bedauerlich, daß die Polizei diesem Unwesen ziemlich machtlos gegenübersteht, weil sie so oft von dem Gerichte desavouiert wird. Der Minister sollte sich aber dadurch nicht davon abhalten lassen, die unteren Polizeiorgane zu veranlassen, in ihrem Eifer nicht zu erlahmen. Es werden jetzt so viele unsittliche Theaterstücke auf⸗ geführt, daß jeder anständige Familienvater gar nicht mehr recht weiß, ob er seine Kinder ins Theater schicken kann. Die Ge⸗ richtsurteile in diesen Fragen stützen sich auf die Gutachten von Sachverständigen, deren Wert sattsam bekannt ist. Bei der Be⸗ urteilung dieser Stücke muß die Frage maßgebend sein: wickt das Stück in sittlicher Beziehung Verderbnis erregend oder nicht? Ueber das schamlose Treiben auf den Straßen in Berlin ist schon oft geklaat worden. Zu ee Stunden kann eine Dame sich allein nicht auf die Straße wagen. Das sind Zustände, die unhaltbar sind. Das Nacht⸗ leben gereicht Berlin nicht zur Ehre. In fremden Haupt⸗ ftädten herrscht eine solche Unsittlichkeit vor der Oeffentlichkeit nicht. Das Detektivwesen ist in Berlin unzureichend geregelt. Heute liegt die Sache so, daß jeder anständige Mensch durch Spione verfolgt werden kann. Ein Mann wurde vier Wochen auf Schritt und Tritt verfolgt. In einem anderen Falle wurden die Familienverhältnisse in der detailliertesten Weise Der Minister sollte für eine bessere Ueberwachung der Detektiv⸗ bureaus und dafür sorgen, daß eine Ueberwachung nicht ohne zwingende Gründe stattfinden darf. Noch einmal muß ich die Auswüchse des Automobilwesens zur Sprache bringen, über die wir neulich bei unserer Interpellation schon verhandelt haben. Wir wünschen, daß vor allem die Behörden die bestehenden Vorschriften auch wirklich anwenden. Die Ausbildung der Chauffeure läßt viel zu wünschen übrig. Diese unsere Behauptung ist glänzend gerechtfertigt worden durch eine Eingabe der Berliner Chauffeure, in der eine staatliche Beaufsichtigung der Cbauffeurschulen und eine Verbesserung der Prüfungen gefordert wird. In der Eingabe wird angegeben, daß in einem Jahre 6000 Fahr⸗ ceine von einem einzigen Prüfungskommissar erteilt worden sind und es vorgekommen ist, daß in einer Stunde 20 und mehr Chauffeure geprüft worden sind; manche sollen dabei bloß gefragt worden sein, ob sie Automobil fahren könnten. Daß unter diesen Umständen eine ordentliche Prüfung der Chauffeure nicht möglich ist, ist selbstverständlich. Der Straßenlärm der Automobile ist merträglich, es kümmert kein Mensch darum, daß die Automobile die Nachtruhe der Bewohner stören. Die Regelung des Verkehrs auf dem Potsdamer Platz hat sich bewährt; das ist eine Einrichtung, die man in Frankreich und England schon jahre⸗ lang hat. Es wird aber zu überlegen sein, ob nicht an solchen V rkehrspunkten der Verkehr der Automobile überhaupt verboten werden kann. Für die Automobile macht es nicht viel aus, wenn sie einen kleinen Umweg machen. In der automobilfreundlichen Presse wurden heftig diejenigen angegriffen, die hier gegen die Auswüchse ausgetreten sind. Sogar in dem Organ des Kaiserlichen Automobil⸗ llubs. der „Allgemeinen Deutschen Äutomobilzeitung“, wurden wir Abgeordnete angegriffen; das wird uns natürlich nicht davon abhalten, auch ferner die Auswüchse zu tadeln. Auf dem Kurfürstendamm kann man Erfahrungen machen, wie die Automobile fahren, fast keines rcchtet sich dort nach den polizeilichen Bestimmungen. Auch in der freisinnigen Presse z. B. der „Frankfurter Zeitung“, die die Auswüchse des Automo bilismus öfter in rächster Nähe zu sehen Gelegenheit hat, wird gegen die „wahnwitzige Automobilfexerei“ geschrieben. Be⸗ sonders auf den Landstraßen sollten die untergeordneten Organe
Polizei energisch gegen die Automobilfahrer vorgehen, und der Minister sollte sie dahin anweisen. Ueber die Touren⸗ fahrten hat sich die Empörung des Volkes besonders geltend gemacht. Ein Teilnehmer einer Tonrenfahr schreibt in der.Frankfurter Zeitung“, daß die Tourenfahrten zu Straßenrennen unter der falschen Flagge der Zuverlässigkeitsfahrten geworden seien. Die Tourenfahrten auf den Landstraßen müssen unter allen Umständen verboten werden. Ich michte nach dem Projekt der Autorennbahn fragen, die im Taunus an⸗ gelegt werden soll. Es sind drei Projekte erörtert worden, eines davon in der Lüneburger Heide. Durch das Projekt der Taunusbahn würden behrere hundert Morgen fiskalischen Waldes an die Gesellschaft ver⸗ kauft werden, der Limes würde auf eine große Strecke zerstört werden. ‚ie städtischen Vertretungen von Homburg u. a. haben energisch gegen rises Projekt protestiert, weil es die landschaftliche Schönheit eines 8 chönsten Punkte unseres Vaterlandes beeinträchtigen würde. Die
meinden sollen sogar zu den Kosten herangezogen werden, und sie
rehre — Rccht. sich dagegen auch, nach meiner Auffaffung Seegag vollem
Minister des Innern von Moltke:
. Meine Herren! Herr Abg. Strosser hat in seiner Rede eine ganze Reihe von polizeilichen Angelegenheiten gestreift, die mich wienstlich beschäftigen und, wie ich gleich hinzufügen will, der Gegen⸗ e8 meiner dauernden Sorge sind. Es sind lauter Gebiete, die von v Standpunkt des Publikums aus für mich einen leicht ver⸗ vrechü⸗ Punkt geben, aber Gebiete, in denen zu wirken und hilfe zu schaffen meine ernste Sorge sein wird. Herr Abgeordnete hat zunächst von der verwerflichen, 49 tlichen Literatur gesprochen, die sich breit macht. Die ernste vn die für weite Volkskreise in der pornographischen Literatur * tht, namentlich hinsichtlich unserer heranwachsenden Jugend, hat it wie meinem Herrn Vorgänger wiederholt den Anlaß gegeben, Polizeiverwaltungen ihre Bekämpfung auf das ernstlichste zur 4 iu machen. Meine Herren, wenn auch die Erfolge nicht mer sofert zutage treten oder greifbar sind, — die Bemühungen der lrlbeibehörden auf diesem Gebiete ruhen und rasten nicht. Es sind ein in Berlin in den letzten Jahren 98 Beschlagnahmen unzüchtiger aceiften durchgesetzt, wobei die einzelnen Anordnungen häufig eine ije Gruppe von Schriften betrafen; es sind fast 900 Bilder zur
umbinnen,
ausspioniert. dauernd von 11 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens festgesetzt, und jede
daß in bezug auf die Polizeistunde an der Norm festgehalten werden
zu rechtfertigen, sondern es soll der Nachweis eines unverkennbaren
ℳ
195 Drucksachen vom Straßenhandel ausgeschlossen. Die dauernde Aufmerksamkeit und Verfolgung durch die Polizei hat es erreicht, daß 22 sogenannte „Witzblätter“ ihr Erscheinen gänzlich eingestellt haben. (Lebhaftes Bravo).
Mit besonderem Nachdruck gehen wir hierbei darauf aus, die letzten Verbreitungsstellen dieser gemeingefährlichen Erzeilgnisse und damit die gewerbsmäßigen Unternehmer zu treffen. Es werden des⸗ halb die Inserate in den Zeitungen aufmerksam beobachtet, von denen 72 aus den Spalten der Berliner Blätter ausgemerzt werden konnten. Dabei hat sich herausgestellt, daß der Ursprung dieser verwerflichen Bilder und Schriften meist im Auslande zu suchen ist, und das hat uns dazu geführt, ein enges Zusammenarbeiten mit den Zollbehörden herbeizuführen und bei einzelnen Staatsanwaltschaften Sammelstellen, die nach Ländern geordnet sind, einzurichten.
Die größten Schwierigkeiten bieten vor allem die Roheiten und die häßlichen Bilder und Worte, die, ohne daß sie den juristischen Tatbestand einer strafbaren Handlung ganz erfüllen, doch auf jeden anständigen Menschen abstoßend und abschreckend wirken müssen. Es ist ja die Grenze der Strafbarkeit häufig sehr schwer zu finden. In über 200 Fällen wurde den Strafanzeigen des hiesigen Polizeipräsidiums von den hiesigen Staatsanwaltschaften oder den Gerichten nicht statt⸗ gegeben. (Hört! hört!) Aber diesen Umstand erwähne ich nicht, um einen Vorwurf gegen eine andere Behörde zu erheben, sondern nur, um daran die Bemerkung zu knüpfen, daß wir nicht müde werden, auf dem Wege fortzufahren, den ich bezeichnet habe. (Lebhaftes Bravo.)
Dann hat der Herr Abgeordnete die Zensur der Theaterstücke be⸗ rührt. Meine Herren, der künstlerische Wert der Stücke, welche der Zensur unterbreitet werden, wird durch Sachverständige festgestellt, es wird das Urteil von literarischen Sachverständigen, von Schrift⸗ stellern, von Professoren der hiesigen Univexsität gehört, die in die Prüfung eingetreten sind und ihre Gutachten abgegeben haben. Das Abwägen zwischen dem künstlerischen Wert und dem sittlichen Unwert ist Sache der Polizei, in höherer Stelle Sache des Ministers des Innern, und ich kann Sie versichern, daß das gewissenhaft geschieht. Wir haben gewisse Merkmale und Richtpunkte bekommen und gewinnen sie weiter durch die Stellung, welche im Klagefall das Oberverwaltungs⸗ gericht einnimmt, und in diesem Rahmen fällt die Entschließung der Polizeibehörde aus.
Es ist dann weiter das Berliner Nachtleben berührt worden, auch ein Gebiet, das ja schon häufig, wie ich aus den stenographischen Be⸗ richten gesehen habe, auch noch im vorigen Jahre hier im Hause be⸗ handelt worden ist. Meine Herren, die Polizeistunde ist in Berlin
Ausnahme bedarf der poltzeilichen Genehmigung. Es muß ja selbst⸗ verständlich in einer Millionenstadt wie Berlin hierbei auf besondere Forderungen des großstädtischen Lebens, des internationalen Verkehrs und des Verkehrs mit den Vororten Bedacht genommen werden. Aber ich habe den Polizeipräsidenten angewiesen, jeder übermäßigen Ver⸗ längerung des Nachtlebens entschieden entgegenzutreten. Die Polizei⸗ behörde ist darauf ausdrücklich von mir wiederholt hingewiesen worden,
und nicht die bloße Tatsache einer einwandfreien Geschäftsführung und eines einwandfreien Verkehrs genügen soll, um ihre Verlängerung
Bedürfnisses verlangt werden. In letzterem Fall kann die Verlängerung bis 12 und 1 Uhr, ausnahmsweise bis 2 Uhr und darüber hinaus erfolgen. Im einzelnen ist bestimmt, daß die Ausdehnung öffentlicher Tanzlustbarkeiten über 2 Uhr hinaus nicht mehr gestattet wird, und daß für die sogenannten Bars die Genehmigung in Zukunft über 1 Uhr hinaus nicht mehr erteilt wird. (Sehr gut!) Die eigentlichen Animierkneipen sind auf jede gesetzlich zulässige Weise zu beschränken. Eine Ausdehnung der Polizeistunde findet bei ihnen grundsätzlich über⸗ haupt nicht statt. Nicht gleichmäßig können die Cafés behandelt werden. Da ist auf den Familienverkehr, den Reiseverkehr und den Fremdenverkehr Rücksicht zu nehmen; aber die Verkürzung der Polizei⸗ stunde ist auch hier in Aussicht genommen und wird, wie ich hoffe, allmählich durchgeführt werden können. Auf diesem Wege ist innerhalb des verflossenen Jahres bereits eine gewisse Besserung erzielt worden. Da mir Optimismus auf diesem Gebiet vorgeworfen ist, so erlaube ich mir, ausdrücklich auf folgendes hinzuweisen: Während die Anzahl der vorhandenen Schankwirtschaften wiederum eine Vermehrung erfahren hat, ist die Anzahl derjenigen Wirtschaften, welche überhaupt eine Verlängerung der Polizeistunde genießen, in diesem einen Jahre von 61 % auf 58,5 %, also um 2 % zurückgegangen. Zur Zeit haben rund 34 % der Wirtschaften Polizeistunde um 12. Uhr, 14,5 % um 1 Uhr und 6 % um 2 Uhr, sodaß 96 % aller Lokale um 2 Uhr ge⸗ schlossen sein müssen. Ich werde auf diesem Wege unter weitgehendster Schonung berechtigter Ansprüche und Interessen fortfahren.
Weiter hat der Herr Abgeordnete das Gebiet betreten, welches die Gemüter, wie er auch selbst hervorhob, augenblicklich am meisten beschäftigt, nämlich das Gebiet des Automobilwesens. Meine Herren, ich bin leider verhindert gewesen, bei der Interpellation aus dem Hohen Hause hier persönlich anwesend zu sein; aber ich habe mich wohl verständigt mit meinem Kollegen, dem Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten, und die Erklärungen, die er hier abgegeben hat, hat er auch ausdrücklich gleichzeitig in meinem Namen, glaube ich, abgegeben. Wir sind mit ihm durchaus darin einverstanden, daß wir all⸗ Auswüchse des Automobilwesens auf das energischste zu be⸗ kämpfen haben. Ich erkenne die Verpflichtung, mit allen gesetzlichen und polizeilichen Vorschriften und durch eine strenge Handhabung der⸗ selben den Gefahren des Automobilwesens vorzubeugen, durchaus an. (Hört, hört! rechts.) Wir kämpfen gegen die Auswüchse — wenn ich so sagen darf — gegen das Parvenuwesen im Automobilismus. Von ihm gehen die ganzen Rücksichtslosigkeiten aus, und um den Schwierig⸗ keiten abzuhelfen, die daraus entstehen, sind, wie der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten Ihnen mitgeteilt hat, in der verschiedensten Weise Mittel in Aussicht genommen und in Vorbereitung. Es hat sich herausgestellt, daß die Bestrafungsmöglichkeit, die Grenze der zulässigen Strafen, zu gering bemessen ist. 60 Mark Strafe bilden keinen Gegenstand, der einen unvorsichtigen oder ungeschickten Fahrer abhält, Polizeiverordnungen zu übertreten (sehr richtig! rechts), umso⸗ weniger, als er leider, wie die Erfahrung jeigt, in häufigen Fällen davon Gebrauch macht, sich der Ergreifung und Bestrafung durch die Flucht zu entziehen. (Sehr richtig! rechts.) 8 Es ist darauf hingewiesen worden, daß die Ausbildung der Chauffeure und ihre Prüfung augenblicklich nicht in dem erwünschten Maße ausgeübt wird. Auch hierfür sind Maßregeln in Vorbereitung.
nnieh ng gelangt, die Anstoß zu erregen geeignet waren. Es sind 2
Reichsgesetzgebung, und ich glaube, es wird nä er Tage n 8 Oeffentlichkeit bekannt gegeben werden —, -.ska. ügrAgc⸗ die es ermöglichen, dem Chauffeur, auch dem Selbstfahrer die Er⸗ laubnis zum Fahren zu entziehen, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Erlaubnis erteilt ist, bei ihm nicht mehr zutreffen. Es
befinden sich diese Bestimmungen in dem Haftpflichtgesetz, welches nächstens im Reichstag zur Beratung kommen ag
— die Einrichtung eines Schnelligkeitsmessers. Erst wenn wir einen
Konkurrenzausschreiben für Schnelligkeitsmesser ergangen, und das Ergebnis wird demnächst geprüft werden.
soll die Bahn errichtet werden, für die man augenblicklich das Augen⸗ merk auf den Taunus geworfen hat. Es wird beabsichtigt, eine Chaussee in doppelter Breite herzustellen, welche keine Niveau⸗
was ausdrücklich ausgesprochen ist, jedes Denkmal, auch den Limes, nach Möglichkeit schonen und nicht beschädigen soll.
Gast auf den Straßen sein, sondern seiner Bestimmung mehr ent⸗ gegengeführt wird, Lasten zu befördern und Hindernisse, wie sie auch auf der Autobahn vorgesehen sind, große Steigungen und Gefälle, zu überwinden, und daß wir auf diese Weise uns mit dem neuen Gast auf unseren Straßen aussöhnen können. (Bravo!)
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.) beantr
zur Geschäftsordnung, die seinerzeit an die 122 wiesenen Titel aus dem Etat der Bauverwaltung vorweg zur Ab⸗ stimmung zu bringen, damit die Kommissare der Bauverwaltung nicht bis zum Abschluß der allgemeinen Debatte anwesend zu sein “ 1
z Die Abgg. Freiherr von Erffa (kons.) und Schmedding (Zentr. schließen sich diesem Vorschlage an. 5 8 .“
weiterungsbauten der Regierungsgebäude in Gumbinnen, Allen⸗ stein, Muͤnster und Cöln nach dem Antrage der Budgetkommission ohne Debatte bewilligt und sodann die unterbrochene Debatte fortgesetzt.
Abg. Schmedding (Zentr.) weist auf die hohe Belastung der Ge⸗ meinden mit Steuern hin und wünscht eine Verteilung der allgemeinen Lasten auf größere Zweckverbände, um die Gemeinden davon zu ent⸗ lasten. Dann werden, bemerkt er weiter, größere Mittel für die Armenpflege zur Verfügung gestellt werden, und das wird mit dazu dienen, die Landflucht einzuschränken, denn in den Städten ist meist die Armenpflege besser als auf dem Lande. Das administrative Zwangsverfahren gegen Trunkenbolde und der⸗ gleichen muß eingeführt werden, wie es Hamburg bereits in einem neuen Gesetz bestimmt hat. Hamburg hat auch die Frage geprüft, ob das administrative Zwangsverfahren gegen die Reichsgesetzgebung verstößt, und festgestellt, daß das nicht der Fall ist. Dasselke Ver⸗ fahren besteht in Württemberg, und was in Württemberg und Hamburg möglich ist, das müßte auch in Preußen möglich sein. — Der Redner empfiehlt ferner besondere Fürsorge für die schwach⸗ sinnigen Kinder und deren Unterricht und erklärt sich gegen die Unbilligkeit, daß die von der Armenpflege Unterstützten, auch wenn sie unverschuldet in Armut geraten seien, kein Wahlrecht haben. Ueber Beschwerden gegen die Armenverwaltungen entschieden auf dem Lande die Kreisausschüsse, in den Städten die Bezirksausschüsse. Bei den Hunderten von Kreisausschüssen ergingen die verschiedensten Entscheidungen zumal über die Entziehung des „Erziehungsrechts. Es müsse auf diesem Ge⸗ biete eine Rechtseinheit geschaffen werden. Besonders not tue eine einheitliche Entscheidung über die Pflicht der Landarmenverbände zur Unterbringung der irren Verbrecher. Das beste wäre, wenn der Staat selbst die Fürsorge für die geisteskranken Verbrecher über⸗ nähme. Die Unterbringung dieser Verbrecher mit den anderen zusammen empfehle sich nicht. Unter den Einrichtungen, die für die irren Verbrecher getroffen werden müssen, litten die anderen Kranken in den Anstalten. Die Schuldenlast der Pro⸗ vinzen sei nicht zuletzt auf die Kosten der Unterbringung der irren Verbrecher zurückzuführen. Von neuem müsse die Frage der Feuerlöscheinrichtungen und der Regelung der Brand⸗ schäden geprüft werden. Es kämen Ueberversicherungen bis zu 48 % äüber die Taxe vor. Was die Verwaltungsorganisation be⸗ treffe, so entspreche sie den modernen Verhältnissen nicht mehr. Früher habe die Verwaltung überwiegend aus Juristen bestanden, die technischen Räte seien ganz in den Hintergrund getreten. Die Verhältnisse des Lebens seien damals viel einfacher gewesen. Die modernen Verhältnisse erforerten aber eine Dezentralisation der Ver⸗ waltung und besondersdie Hervorhebung des technischen Elementes. Für die höhere Beamtenkarriere sollten nicht nur Männer aus den reichen Kreisen genommen werden, sondern auch möglichst Männer, die die Be⸗ dürfnisse des Volkes aus eigener Anschauung kennen. Sonst könne man sich nicht wundern, wenn der Luxus unter den Beamten immer mehr zunehme. Mit Ersparnissen in der Verwaltung nehme es die Zentrumspartei ernst, und sie werde event. im nächsten Jahre mit An⸗ trägen hervortreten, denn es dürfe nicht heißen, daß China die Ver waltungszöpfe leichter abzuschneiden vermöge als Preußen.
Abg. Fritsch (nl.): Auch ich halte eine Dezentralisation der Verwaltung für wesentlich, nur dadurch können die Bedürfnisse der Bevölkerung genügend konstatiert und eine engere Fühlung mit den Organen der Selbstverwaltung genommen werden. Mit dem Abg. Strosser halte ich die Erscheinungen des Nachtlebens in Berlin für beklagenswert, bin aber der Meinung, daß die Beschränkung der Polizeistunde allein kein ausreichendes Mittel ist. Die Polizei⸗ bverordnung kann nur wenig nützen; es muß die Sitte des Volkes selbst zu Hilfe kommen. In den Großstädten sind die Wohnungs⸗ verhältnisse mit schuld, da die Geschlechter in denselben Räumen miteinander Unterkunft finden. Ein Wohnungsgesetz ist vor einigen Jahren in Aussicht gestellt worden. In Berlin wohnen 48 % der arbeitenden Klassen in unzulänglichen Räumen, in Rixdorf
%, in Breslau 40 %. In einem heizbaren Zimmer wohnen oft 6 und mehr Personen, Erwachsene und Kinder mit den Schlafburschen zusammen. Ich möchte den Minister n dem Schicksal des Wohnungsgesetzentwurfes fragen. Der Rear⸗ wa ferner auf die zunehmende Verschuldung der Gemeinden und auf die Kursverluste bei den Sparkassen hin. Was die Verwaltung von Berlin betreffe, so würde wohl die Dezentralisation in einem „Groß. Berlin“ sehr viel Schwierigkeiten mit sich bringen, dagegen werde sich h,. SFn erreichen g.
g. Freiherr von Zedlitz und eukirch (freikons.): Ich teile die Auffassung von der Notwendigkeit ’ 1 8 gemäßen Ordnung der Wohnungsverhältnisse nicht nur im teresse der Gesundheit, sondern auch weil darin ein Mittel liegt, den Zuzug in die Großstädte zu mindern. Zu der Frage der Dezentralisatton der Verwaltung möchte ich 8 einige Anregungen geben. Nachdem der Minister erklärt hat, daß die 3 Instanzen: Oberpräsident, Regierungspräsident, Landrat erhalten werden sollen, ist mit einer Ausschaltung der 2. Instanz nicht mehr
Es wird beabsichtigt — das Gesetz bewegt sich auf dem Gebiete der
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zu rechnen. Es muß deshalb die Dezentralisation an einer anderen
b . „ Für sehr wichtig halte ich auch — es ist darüber eine Konkurrenz ausgeschrieben
Schnelligkeitsmesser haben, der genau anzeigt, ob und wie in einem bestimmten Orte und zu einer bestimmten Zeit der Autofahrer das
zuläͤssige Maß überschritten hat, wird es möglich sein, ihn in der richtigen Weise zur Strafe zu ziehen. Es ist, wie gesagt, ein
Die notwendige Ergänzung für diese Maßregel ist aber die Her⸗ b stellung einer Bahn, auf welcher die Uebungen und Prüfungen statt⸗ ffinden können, und zu dem Zweck, nicht, um Rennen zu veranstalten,
kreuzungen mit Bahnen oder öffentlichen Wegen besitzt, und welche, 8
Ich hoffe, daß durch alle diese Mittel erreicht werden wird, daß das Auto mit der Zeit sich einlebt und uns kein unwillkommener
Es werden darauf die Titel der Neubauten oder Er⸗ 8
in den Großstädten
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