11““ “ 16“ 8 1 85 E11“ verfassungsgesetzes, einer Strafprozeßordnung und eines zu beiden L gehörenden Einfuͤhrungsgesetzes sowie der Ueberweisung der Vorlage wegen des Erlasses von Bestim⸗ mungen über den Betrieb der Anlagen der Großindustrie und einiger anderer Vorlagen an die zuständigen Ausschüsse erklärte die Versammlung sich einverstanden. Demnächst wurde über die Besetzung von Ratsstellen beim Reichsgerichte, die Besetzung von Mitgliedstellen beim Reichsversicherungsamt, die Wahl eines Mitgliedes des Beirats für Arbeiterstatistik, die Wahl eines Mitgliedes der Disziplinarkammer für elsaß⸗ lothringische Landesbeamte in Straßburg, über die Festsetzung des Ruhe ehalts von Reichsbeamten und über verschiedene Ein⸗
aben Beschluß gefaßt
Das Königliche Staatsministerium trat heute zu iner Sitzung zusammen.
1u“
Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Niobe“ vorgestern in Amoy eingetroffen. .
S. M. S. „Charlotte“ ist am 6. Oktober in Prince
Ruperts⸗Bay auf Dominica (Kleine Antillen) eingetroffen und geht übermorgen von dort nach Santiago de Cuba in See.
“ 1“ E“
In der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ wird eine Zö“ Berichte von deutschen Fruchtmärkten für den Monat September 1908 veröffentlicht. 8
Oesterreich⸗Ungarn.
SGeestern sind die Delegationen in Budapest zusammen⸗ ggetreten und Nachmittags in der Ofener Hofburg durch den Kaiser und König feierlich empfangen worden. Der Prã⸗ sident der österreichischen Delegation Madeyski hob, „W. T. B.⸗ zufolge, in seiner Ansprache an den Kaiser hervor, daß die Delegation mit patriotischer Genugtuung den Aller⸗ höchsten Willensentschluß begrüße, die monarchischen Souveränitätsrechte auf Bosnien und die Herzegowina auszudehnen. Sie erblicke darin die Bürgschaft dafür, daß die dreißigjährige, mit schweren Opfern in diesen Gebieten geleistete Kulturarbeit diese Länder einer gedeih⸗ lichen Entwicklung zuführen und dadurch auch zur Kräftigung der Monarchie beitragen werde. Der Präsident gedachte alsdann des von der ganzen Kulturwelt gefeierten Jubiläums der glor⸗ reichen Regierung des Monarchen und betonte die Notwendig⸗ keit der Ausgestaltung der Armee, um der Monarchie im System der Staatenbündnisse diejenige achtunggebietende Stellung zu sichern, auf der eine der wesentlichsten Bürg⸗ schaften des Friedens beruhe. Er schloß mit dem Ausdruck der Huldigung und heißer Segenswünsche für den Monarchen.
n Erwiderung auf die Rede Madeyskis, die mit brausenden Hochrufen aufgenommen wurde, sagte der Kaiser: Die Versicherungen treuer Ergebenheit an meine Person, die Sie eben zum Ausdruck gebracht haben, erfüllen mich mit lebhafter Befriedigung und warmem Danke. Der Zusammentritt der Dele⸗ gationen erfolgt diesmal gleichzeitig mit einem Ereignisse, das die Sicherung des gegenwärtigen Besitzstandes der Monarchie bedeutet, indem das Band, das Bosnien und die Herzegowina seit dreißig Jahren mit ihr verbindet, zu einem unauflöslichen geworden ist. Die rastlosen und erfolgreichen Bemühungen meiner Regierung haben in diesen Ländern einen so erfreulichen kulturellen Fortschritt gezeitigt, daß die Bevölkerung nunmehr mit Nutzen zur Mitwirkung an den Landesangelegenheiten herangezogen und die Schaffung von ihren Bedürfnissen entsprechenden verfassungsmäßigen Einrichtungen in Angriff genommen werden kann. Dies ist jedoch nur möglich, wenn, entsprechend dem faktischen Zustande, eine klare und unzweideutige Rechtsstellung für beide Länder geschaffen wird. Nur so kann daselbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Stabilität ewährleistet werden, die als ein europäisches Interesse anerkannt ist. Purch die Zurückziehung meiner Truppen aus dem Sandschak Novi⸗ bazar wird zugleich der unumstößliche Beweis erbracht, daß unsere Politik keine territorialen Erwerbungen über den jetzigen Besitz hinaus anstrebt. Es ist zu hoffen, daß dieser zugunsten der Türkei erfolgende Verzicht in Konstantinopel in freundschaftlicher Weise gewürdigt werden und unseren künftigen Beziehungen zustatten kommen wird. Die weitere Entwicklung im Ottomanischen Reiche nach dem durchgreifenden Umschwung, der daselbst vor sich gegangen ist, ver⸗ folgen wir mit den besten Wünschen für die Konsolidterung und Fersstigung dieses Staates sowie für die dauernde Befriedung jener Gebiete, die in den letzten Jahren von Unruhen heimgesucht waren. Die Mächte, durchweg von friedlichen Absichten erfüllt, bestreben sich, die Schwierigkeiten, von denen die allgemeine europäische Situation no nicht frei ist, im gegenseitigen Einvernehmen zu mildern und zu beheben. Dank unseren Bündnissen mit Deutschland und Italien und unseren freundschaftlichen Beziehungen zu den übrigen Mächten vermag Oesterreich⸗Ungarn hervorragend an der Aufrechterhaltung des Friedens mitzuwirken. Diese Aufgabe, die der Lage der Monarchie in Europa und ihren Traditionen entspricht, kann sie nur dann wirksam er⸗ füllen, wenn sie mächtig und gerüstet ist. Vertrauend, daß Sie die Anforderungen meiner Wehrmacht zu Lande und zur See in diesem Geiste prüfen und von patriotischer Einsicht und Opferwilligkeit ge⸗ leitet sein werden, heiße ich Sie herzlich willkommen.
Graf Theodor Zichy richtete als Präsident der unga⸗ ischen Delegation bei dem Empfang in der Hofburg an den König eine Ansprache, in der er bezüglich Bosniens sagte:
Indem Bosnien und der Herzegowina die vecseenchmsfaine Autonomie gewährt wird, haben Eure Majestät aus Allerhöchstem Entschlusse mit Rücksicht auf die alten Bande, die Eurer Majestät glorreiche Vorfahren auf dem ungarischen Throne an diese Länder knüpften. Ihre Souveränität ausgedehnt. Wir fühlen und wissen, welche Verantwortung bei Feststellung der gemeinsamen Ausgaben unter den obwaltenden Umständen unfere Delegation trifft.
In dem Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten der österreichischen Delegation, der gestern nachmittag zusammengetreten ist, nahm der Minister des Auswärtigen Freiherr von Aehrenthal das Wort 8 einem grzeeg in dessen Eingang er an die im Sommer d. J. in der Türkei ausgebrochene Bewegung zum Zweck der Wiedereinführung der Verfassung erinnerte, wodurch die Reformbestre⸗ bungen der ächte im ottomanischen Reich zu einem vorläͤufigen Abschluß gebracht worden seien. Der Minister führte dann, nach dem Bericht des „W. T. B.“, weiter aus:
In dieser Frchst konnte alsbald eine vollständige Ueberein⸗ stimmung aller Mächte in zwei Richtungen konstatiert werden: Erstens, daß vorsäufig alle weiteren Reformyvorschläge zurückzustellen seien, zweitens, daß gegenüber der künftigen Entwicklung der Dinge in der Türkei die Haltung wohlwollenden Abwartens einzunehmen sei. Mlan könnte in puncto Reformen
sprechen. muß
von einer Ruhepause
II“ ö1““ 111“ 8 eobachtet werden, wie sich di einführung der Verfassung im allgemeinen bewähren und auf die speziellen Verhältnisse der drei Wilajets zurückwirken wird. Bis dahin hielten wir es für zweckmäßig, unsere Reform⸗ offiziere iu beurlauben, und wir haben die Türkei hiervon unter Be⸗ tonung des Umstandes in Kenntnis gesetzt, daß diese Verfügung aus⸗ schließlich von denselben Gesinnungen eingegeben worden ist, die uns im allgemeinen dazu bestimmt haben, uns den neuen Verhältnissen gegenüber vnpeten zu verhalten. Dieses unser Verhalten gründet ch auf die bestimmte Hoffnung, daß die neue Aera in der Türkei eine erjüngung und Kräftigung dieses Staatswesens herbeiführen wird. Oesterreich⸗Ungarn als angrenzende und demnach in ihren Interessen am meisten berührte Macht wünscht dieses aufrichtig aus egoistischen Gründen. Eine Türkei mit einer besseren Verwaltung und stabileren Verhält⸗ nissen, als dies noch vor kurzem der Fall war, wäre für uns ein be⸗ quemerer Nachbar als die Türkei von gestern, wo ein jahrelanger Bürgerkrieg die Mächte zur Intervention genötigt hatte. Der bis⸗ herige Verlauf der Umwälzung berechtigt zu einer zuversichtlichen Beurteilung. Die führenden Elemente der neuen politischen Aera beweisen eine anerkennenswerte Mäßigung und Klugheit. Diese wird dem verjüngten Reiche umsomehr zugute kommen, als auch die neue Türkei auf das Wohlwollen und die freundschaftliche Unterstützung der Mächte angewiesen ist. Einer solchen wird se sich auch unserer⸗ seits um so sicherer zu erfreuen haben, je mehr sie eine freundschaft⸗ liche Haltung uns gegenüber an den Tag legen und unseren berechtigten Interessen Rechnung tragen wird.
Wir befinden uns im Einvernehmen nicht nur mit unseren Verbündeten, Deutschland und Italien, sondern auch mit anderen Mächten, in erster Anie mit Rußland, mit dem wir seit 1897 in fort⸗ gesetzter enger Verbindung bezüglich der Balkanangelegenheiten standen und auch heute noch stehen. Die in der öffentlichen Meinung Ruß.⸗ lands durch die Ankündigung unseres Schrittes in Konstantinopel behufs Anschlusses des bosnischen Eisenbahnnetzes an das türkische entstandene Erregung hat sich gelegt. Irrtüͤmlicher⸗ weise war dort der Glaube verbreitet — und dieser Glaube wurde von denjenigen Stellen, denen das Zusammengehen Oester⸗ reich⸗Ungarns und Rußlands ein Dorn im Auge ist, genährt —, daß wir unssum Erlangung eines verkehrspolitischen und allgemein wirt⸗ schaftlichen Monopols in der westlichen Hälfte der Balkanhalbinsel bewerben und diesbezüglich von der Regierung des Sultans Garantien verlangen. Das ist uns nie im Traum eingefallen. Tatsaͤchlich sind wir die nächsten Nachbarn dieser Länder. Wir werden dort von selbst den uns gebührenden Platz einnehmen. Eine Einschränkung der natürlichen Kon⸗ kurrenz durch ein Monopol herbeiführen zu wollen, wäre eine kurz⸗ sichtige Politik. Wir haben daher erklärt, daß wir jeder neuen Eisenbahn⸗ linie in jenen Gebieten sympathisch gegenüberstehen, weil jede einen Fortschritt in der Pacifizierung und Konsolidierung dieser wichtigen Provinzen des ottomanischen Reiches bedeuten wird. Wir sind der Meinung, daß die Frage neuer Eisenbahnen und neuer Anschlüsse an Linien der Nachbarländer eine Angelegenheit sei, die ausschließlich die Türkei und eben ihre Nachbarländer angeht. Die Tracierung der Sandschakbahn ist abgeschlossen und bedarf nun der Ueber⸗ prüfung, damit der Finanzierung nahegetreten werden kann. Wir rechnen auf das Entgegenkommen auch des neuen Regimes in Konstantinopel. Bezüglich dieses Eisenbahnbaues werden wir ihm unser volles Vertrauen zuwenden und sind überzeugt, daß die Durch⸗ führung der Bahn, welche gleichmäßig im Interesse Oesterreich⸗ Ungarns und der Türkei gelegen ist, nur eine Frage der Zeit sein kann. Auf ein gleiches freundschaftliches Uebereinkommen mit Monte⸗ negro rechnen wir bezüglich des Baues einer Anschlußlinie von Dal⸗ matien durch montenegrinisches Litorale in der Richtung auf die Türkei.
Der Berliner Vertrag hat der Monarchie gegenüber der Türkei zwei Spezialinteressen, eigentlich Spezialsituationen, zuerkannt: Das Mandat der unbekaöfcheten Verwaltung Bosniens und der und das Recht, im Sandschak von Novibazar
arnisonen zu halten, gewisse administrative Befugnisse aus⸗ zuüben und in jenem Gebiete militärische und kommerzielle Straßen zu besetzen. In dreißigjähriger, rastloser Arbeit ist unsere Verwaltung der ihr gestellten Aufgabe gerecht geworden und hat in diesem gefährlichen Wetterwinkel Ruhe und Ordnung erhalten, das kulturelle und wirt⸗ schaftliche Niveau der Bevölkerung gehoben und ein modern denkendes Geschlecht herangezogen. Nun ist der Moment gekommen, aus diesen Ergebnissen unserer administrativen Tätigkeit die Konsequenzen zu ziehen, die Einwohnerschaft an der Verwaltung teilnehmen ju lassen und die Gewährung von entsprechenden, verfassungsmäßigen Einrichtungen für die beiden Provinzen ins Auge zu fassen. Diese würden für Bosnien und die Herzegowina einen Landtag vorsehen, der das Landesbudget zu bestimmen und die Ver⸗ waltung des Landes zu kontrollieren hätte. Die mit bezug auf die staatsrechtlichen Verhältnisse der beiden Provinzen herrschende und von außen genährte Verwirrung in den Köpfen müßte aber höchst bedenklich erscheinen lassen, eine solche Neuerung einzuführen, bevor wir jeden Zweifel an der vollen Souveränität über das okkupierte Gebiet beseitigten. Wir haben uns daher entschlossen, in Konstantinopel zu erklären, daß die Voraussetzungen der Konvention vom Jahre 1874, betreffend das Sandschak von Novibalar, nicht mehr in allen Stücken zu Recht bestehen, und wir uns veranlaßt sehen, diese zu kündigen. Wir haben mit dieser Kündigung zum Ausdruck gebracht, daß wir angesihts der neuen Verhältnisse in der Türkei gesonnen sind, unsere Garnisons⸗ und sonstigen Rechte im Sandschak⸗ gebiete fallen zu lassen, indem wir uns der Heen hingeben, daß das verjüngte ottomanische Reich die Sicherung von Ruhe und Ord⸗ nung im Sandschak nunmehr aus eigener Kraft zu verbürgen imstande sei. Gleichzeitig aber hat uns die unerläßlich gewordene Einführung verfassungsmäßiger Einrichtungen in Bosnien in die Zwangslage ver⸗ setzt, die definitive Klärung der Frage der Zugehörigkeit Bos⸗ niens und der Herzegowina in Angriff zu nehmen und das endgültige Aufgeben unserer aus Artikel 25 des Berliner Vertrages fließenden Rechte im Sandschak mit der formellen Annexion der beiden Provinzen auszugleichen.
Indem wir dem Diktate eines durch die Ereignisse der letzten Monate hervorgerufenen kategorischen Imperativs folgen, verlassen wir jedoch keineswegs den Boden des Berliner Vertrages. In den letzten verlfig Jahren sind wiederholte und A“ an den Bestimmungen dieses Vertrages sowohl ausdrücklich als still⸗ schweigend vorgenommen worden. Der wesentliche Zweck des Artikels 25 dieses Vertrages war, kurz gesagt, der, stabile Zustände in Bosnien und der Herzegowina zu schaffen, und zwar mit Hilfe einer Macht, die stark genug ist, um jede Auf⸗ lehnung im Keime zu ersticken. Dies waren die Beweggründe, welche die englischen Staatsmänner Beaconsfield und Salisbury leiteten, als sie in Berlin das Okkupationsmandat für Oesterreich⸗Ungarn bean⸗ tragten. Durch dieses Mandat ist ein Endpunkt des österreichisch⸗ ungarischen Verwaltungsrechts weder direkt noch indirekt bezeichnet und konnte auch logischerweise deshalb nicht bezeichnet werden, weil mit dem Mandate eben etwas Dauerhaftes geschaffen werden sollte. Die Otkupation war bloß das Mittel, auf die Verwaltung durch den okkupierenden Staat wurde das Hauptgewicht gelegt. Gewiß lag eine weise Mäßligung darin, daß wir die natür⸗ liche Ausgestaltung dieses durch den Berliner Vertrag geschaffenen Verhältnisses erst jetzt — dreißig Jahre nach seinem Abschlusse und bloß unter dem Druck zwingender Umstände — in die Hand ge⸗ nommen haben. endlich Klarheit zu schaffen, um die positive kulturelle und wirtschaft⸗ liche Arbeit unter der Teilnahme der Bevölkerung fruchtbringend fort⸗ zusetzen. Es war aber auch dringend geboten, Klarheit zu schaffen in unserem Verhältnisse zur Türkei sowohl was die Okkupationsländer als was den Sandschak betrifft. Clara pacta boni amici! Die gemeinsamen Garnisonen im Sandschak hatten ihre Aufgabe erfüllt, und wir hatten der Türkei durch dreißig Jahre geholfen, ihre terri⸗ toriale Integrität in jenen Gegenden zu erhalten. Da wir aber, wie gesagt, nunmehr überzeugt sind, daß die Türkei diese Sorge allein zu tragen im Stande ist, mußte sich die Frage auf⸗ drängen, was für einen anderen Zweck unsere Garni⸗ sonen am Lim sonst haben könnten?
“ “ 11““
8
der Legende
Nunmehr ist es aber nachgerade unerläßlich geworden,
Höchstens den,
immer wieder neue Nahrung zuzuführen. Wenn aber jetzt die öster⸗ reichisch ungarischen Truppen den Sandschak endgültig verlassen, ist dies eine Tatsache, die auch Klarheit darüber verbreitet, wie wenig egoistisch die Ziele unserer Orientpolitik sind. Sie führt den Balkanstaaten neuerdings drastisch vor Augen, daß die österreichisch⸗ungarische über das hinaus, was sie besitzt, keinen Territorialerwerb anstrebt.
Das Zurückziehen unserer Truppen aus dem Sandschak schafft endlich die wünschenswerte Klarheit in den Verhältnissen Oesterreich⸗ Ungarns zu den anderen Mächten. Die der Monarchie übertragene Spezialkommission, Wache zu stehen in Gegenden, wo nationale und religiöse Gegensätze eine gewitterschwangere Atmosphäre schaffen, war keine leichte und keine angenehme. Wir sind ihr jedoch gerecht geworden, weil wir sie mit äußerster Diskretion aufgefaßt und durchgeführt haben. Trotzdem hat diese der Monarchse eingeräumte besondere Situation uns viel Neid und Miß⸗ trauen eingetragen, denen wir uns künftighin nicht mehr aussetzen wollten. Wir haben das ungeklärte staatsrechtliche Verhältnis der beiden Provinzen zur Türkei und unsere Sonderstellung im Sandschak durch dreißig Jahre wie zwei Gewichte an unserer orientalischen Politik mstgeschleppt. Nun wollen wir nach deren Entfernung dem ottomanischen Reiche gegenüber in die gleiche Linie wie die anderen Mächte einrücken, im Vereine mit diesen die Entwicklung der Türkei wohlwollend und freundschaftlich beobachten und uns an dem allmählichen Erstarken des neuen Regimes erfreuen. Wir werden mit einem Worte in unserer Orientpolitik weiterhin den europäischen Standpunkt einnehmen und jur Erhaltung des Einvernehmens zwischen den Mächten mit allen Kräften beizutragen suchen. Falls dieses aber wider Erwarten auf die Dauer nicht erzielt werden könnte, würde es uns nunmehr möglich sein, uns, wenn auch not⸗ gedrungen, auf unseren spezifisch österreichisch⸗ungarischen Stand⸗ punkt zurückzuziehen. Wir hegen die Zuversicht, daß unseren Entschließungen in der Türkei der von uns beabsichtigte Sinn beigelegt werden wird, daß wir die Ursachen möglicher Reibungen rechtzeitig beseitigen, und daß die Kabinette die zwingenden Umstände, die unser Vorgehen bestimmt haben, ebenso wenig verkennen werden wie die weise Mäßigung, von der sich unser Monarch hat leiten lassen, als er seine braven Truppen aus den Gegenden zurückberief, in denen
e auf Grund eines guten Rechtes eine für die Erhaltung der Ruhe m Orient so wichtige und erfolgreiche Rolle gespielt haben. Die Monarchie, die seit Jahren anerkanntermaßen als einer der Grundpfeiler der europäischen Friedenspolitik gilt, hat Anspruch darauf, daß die von ihr ergriffene Initiative keine Mißdeutung erfahre. Mit der Annexion und mit der Räumung des Sandschaks verfolgen wir lediglich zwei sehr naheliegende Ziele, nämlich Schutz unserer Inter⸗ essen und Abwendung der Gefahr, in die türkischen Angelegenheiten hineingezogen und von unserer Politik freundlichen Wohlwollens und der Beobachtung striktester Nichtintervention abgedrängt zu werden.
kann mit Befriedigung konstatieren, daß unsere Be⸗ ziehungen zu allen Mächten die besten sind. Indem wir fest zu unseren, Verbündeten, Deutschland und Italien, stehen, tragen wir unentwegt zur Erhaltung des so notwendigen Friedens und des Gleichgewichts in Eurova bei. Was insbesondere unser Verhältnis zu Italien betrifft, so setze ich, von meinem italienischen Kollegen loyal unterstützt, mit Erfolg meine Bemühungen fort, die Intimität unserer Beziehungen zu pflegen, die sich erfreulicherweise stets wärmer gestalten. Ich hatte auch in diesem Jahre Gelegenheit, mich mit dem Minister Tittoni freundschaftlich auszusprechen, wobei wir in der Lage waren, festzustellen, daß wir mit Genugtuung auf das bereits Erreichte zurück⸗ blicken und daraus Ermutigung schöpfen können, bei unserer Methode vertrauensvollen Zusammengehens zu beharren. Das bereits bestehende Einvernehmen mit Italien ist in bezug auf den Balkan in ähnlicher Weise ausgestaltet worden, wie das Einvernehmen mit Rußland, sodaß man wohl von einer gleichen Auffassung der drei Mächte über die dortige Lage zu sprechen berechtigt ist. Gleichzeitig unterhalten wir freundschaftliche Beziehungen zu den andern Maͤchten. Ich habe bereits hervorgehoben, daß wir die im Vereine mit Rußland seit mehreren Jahren glücklich inaugurierte Politik fortsetzen, in bezug auf Fragen des nahen Orients eine übereinstimmende Weise des Vor⸗ gehens einzuhalten. Wir sind mit Rußland insbesondere auch darüber einig, daß wir das lebhafteste Interesse daran haben, das europälsche Konzert zu erhalten und zu befestigen. Auch mit England und Frankreich unterhalten wir die freundschaftlichsten Be⸗ ziehungen und sind aufrichtig bestrebt, mit beiden Mächten im möglichsten Einvernehmen vorzugehen. Die Behandlung der marokkanischen Angelegenheiten kann als Prüfstein für die friedlichen Gesinnungen der Kabinette betrachtet werden. Die Mächte dürften demnächst zu einer vollständigen Einigung bezüglich der An⸗ erkennung des neuen Sultans gelangen und durch Regelung der mit dem Regierungswechsel in Marokko zusammenhängenden Fragen die Grundlage für stabile Verhältnisse im scherifischen Reiche schaffen. Auch hier erblicken wir unsere vornehmste Aufgabe darin, allenfalls noch auftauchende Differenzen, die jedoch keineswegs erbeblich sein dürften, auszugleichen und so das Konzert der Signatar⸗ mächte der Algecirasakte ungestört zu erhalten. Vor wenigen Tagen erfolgte die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens; sie war bekanntlich unmittelbar veranlaßt durch den vielbesprochenen diplo⸗ matischen Zwischenfall in Konstantinopel. Man kann nicht anders sagen, als daß diese Modifikation tatsächlich der Stellung entspricht, die sich Bulgarien, unterstützt von dem Wohlwollen aller
Großmächte, seit langem zu verschaffen gewußt hat. Die Monarchie hat diese aufsteigende Entwicklung Bulgariens immer mit ympathischem Interesse verfolgt und ihm zahlreiche Beweise des
ohlwollens gegeben. Ich bin bereits mit einigen Kabinetten in Fühlung getreten bezüglich der Anerkennung des neuen Zustandes und der Wiederherstellung normaler freundschaftlicher Beziehungen zwischen Bulgarien und der Türkei, was mir im Interesse der Febeltang e
Friedens auf dem Balkan, ein Interesse, das ich immer im Auge habe, dringend erwünscht erscheint.
Nach dieser mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Rede erklärte der Berichterstatter Graf Bacquehem, die in dem Exposé ausgeführten zwingenden Gründe für die Annexion Bosniens und der Herzegowina hätten die Wirkung, den Um⸗ trieben der großserbischen Elemente den Boden zu entziehen, welche die formelle Souverönität des Sultans zum Anlaß nähmen, die Beständigkeit der Okkupation in Zweifel zu ziehen.
— Der gestern den Delegationen unterbreitete Voranschlag der gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen für 1909 weist, „W. T. B.“ zufolge, ein Gesamterfordernis von 406 840 098 Kronen auf. Hiervon entfallen auf das Ministerium des Aeußern 13 666 584 Kronen (400 037 Kronen mehr als im Vorjahre). Das ordentliche Erfordernis für das Heer beträgt 312 478415 Kronen (14 046 762 Kronen mehr als im Vorjahre), das außerordentliche Erfordernis 12 366 730 Kronen (1 011 999 Kronen weniger als im Vorjahre); das Gesamterfordernis des Heeres beträgt demnach 324 845 145 Kronen (13 034 763 Kronen mehr als im Vorjahre). Für die Kriegsmarine beträgt das ordentliche Erfordernis 58 987 310 Kronen (5 464 200 Kronen mehr als im Vorjabre), das außerordentliche Erfordernis 4450550 Kronen (973 660 Kronen mehr als im Vorjahre), mithin das Gesamterfordernis 63 437 860 Kronen (6 437 860 Kronen mehr als im Vorjahre). Der Okkupationskredit beträgt 8 047 000 Kronen (259 000 Kronen mehr als im Vorjahre). Der reine Ueberschuß der Zollgefälle ist veranschlagt auf 151 338 520 Kronen. Von dem Efscwan anngs ent⸗ fallen nach Abzug des Zollüberschusses 162 498 948 Kronen auf Oesterreich und 93 002 571 Kronen auf Ungarn.
— Das Armeeverordnungsblatt veröffentlicht ein Kaiser⸗ liches Befehlsschreiben, in dem angeordnet wird, daß die
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n ugsegem Vormarsche noch dem Aegäͤischen Mene
e g nun an den im Dienstreglement für das zherzegmwin
na v arische Heer vorgeschriebenen Eid zu leisten und die Seshh;
erzego⸗ LPinischen Truppen wie die sonstigen militärischen Organisationen dieser Länder fortan die Bezeichnung Kaiserlich und Königlich zu führen haben
“ Frankreich.
Geestern vormittag hatte der Minister des Aeußern Pichon
mit dem russischen Minister Iswolski eine Unterredung, in
der, nach einer Meldung der „Agence Havas“, die Fragen erörtert wurden, die Gegenstand einer internationalen Kon⸗ ferenz über die Orientangelegenheiten bilden könnten. Eine Entscheidung wird erst nach der demnächstigen Zusammen⸗ kunft Islowskis mit dem englischen Ministerpräsidenten Asquith und dem Minister des Aeußern Grey getroffen werden.
Darauf empfing der Minister Pichon den spanischen Botschafter Del Muni und konferierte mit ihm über die Marokko betreffende französisch⸗spanische Note. Am Sonnabend wird Pichon in einer Unterredung mit dem spanischen Minister des Aeußern Allendesalazar die Um⸗ risse dieser Note endgültig festsetzen. Der „Agence Havas“ zufolge besteht zwischen beiden Mächten vollkommene Ueber⸗ einstimmung.
— Der Ministerpräsident Clémenceau hat gestern im De⸗ partement Var eine Rede gehalten, in der er, „W. T. B.“ ufolge, ausführte:
ie Militärgewalt Frankreichs habe einzig und allein das Ziel, dem Lande in schwierigen Zeiten einen wirksamen Schutz zu gewähren. Die Notwendigkeit eines solchen zeige sich augenfällig in einer Stunde, die offenbare, eine wie schwache Garantie internationale Verträge gegen die Wiederkehr unvermuteter Angriffe bilden. Völker und Re⸗ gierungen wichen zuweilen einem auf die Spitze getriebenen Egoismus, der trotz des allgemeinen Wunsches nach Wahrung des Friedens die Welt nur allzu häufig vor blutige Konflikte zu stellen scheine. Frankreich werde daher in den gegenwärtigen Gefahren aus allen Kräften dazu beitragen, mit Hilfe seiner Verbündeten und Freunde so viele einander widerstrebende Interessen zu vereinigen, und werde fortfahren, dem für seine freiheitlichen Einrichtungen kämpfenden Volke energische Sympathie zu bekunden.
8 Italien. “
Einer Meldung der „Agenzia Stefani“ zufolge machte der türkische Botschafter dem Minister des Aeußern Tittoni Mit⸗ teilung davon, daß seine Regierung gegen die Unabhängig⸗ keitserklärung Bulgariens Einspruch erhebe und die Signatarmächte des Berliner Vertrages auffordere, eine Kon⸗ ferenz einzuberufen, um den die türkischen Interessen ga tierenden Verträgen Achtung zu verschaffen. 5
* Der gestern unter dem Vorsitz des Großwesirs abgehaltene Ministerrat galt der Abfassung einer Note zur Beantwortung der vom österreichischen Botschafter überreichten Note, betreffend die Angliederung Bosniens.
— Der Großwesir hat, dem „K. K. Telegraphen⸗Korrespon⸗ denzbureau“ zufolge an alle Wilajets telegraphiert, daß die Pforte alle nötigen Maßregeln gegen die ungesetzmäßige Pro⸗ klamierung Bulgariens zum Königreich ergriffen habe. Die Bevölkerung brauche sich nicht zu beunruhigen; die Behörden möchten eine Erregung verhindern.
— Nach Meldungen des „W. T. B.“ hat das kretische Exékutivkomitee dem augenblicklich die Regentschaft führenden Kronprinzen Konstantin von Griechenland von dem Anschluß Kretas an Griechenland Mitteilung gemacht, ebenso dem König Georg, der zur Zeit in Kopenhagen weilt und von dem Komitee gebeten wurde, seine Souveränität auf die Insel auszudehnen. Die kretische Regierung hat vor dem Metropo⸗ liten Kretas den Treueid für den König Georg abgelegt.
Serbien.
In Belgrad haben gestern vor dem Ministerium des Aeußern Kundgebungen stattgefunden, weil der Protest gegen die Annexion Bosniens für zu schwach befunden wird. Gegen Abend zogen, wie das „K. K. Telegraphen⸗Kor⸗ respondenzbureau“ meldet, größere Gruppen von Manifestanten unter Hochrufen auf den König, den Kronprinzen und die Armee und unter Abzugsrufen gegen Oesterreich⸗Ungarn durch die Stadt. Vor dem Königlichen Palais sammelte sich eine große Volksmenge, die das Erscheinen des Königs verlangte. Der König und der Kronprinz erschienen auf dem Balkon und wurden lebhaft begrüßt. Der König hielt folgende Ansprache:
Brüder! Ich bin tief erariffen von den Ovationen, die mir bereitet worden sind. Seid überzeugt, daß ich mit der Regierung “ voll erfüllen werde. Jetzt bitte ich, ruhig auseinander u gehen.
Die Menge brach in langanhaltende Ziviorufe aus. Kachdem der König sich zurückgezogen hatte, zerstreuten sich die Manifestanten ruhig. “
Bulgarien. .
Nach einer Meldung des „K. K. Telegraphen⸗Korrespondenz⸗
buraus“ ist die Zahlung der vorgestern fälligen, an die Dette
bublique zu entrichtenden Septemberrate des Tributs
ür Ostrumelien auf Verfügung des Finanzministeriums istiert worden.
“
Montenegro.
Ein fürstlicher Ukas verfügt die Einberufung der Skupschtina zu einer außerordentlichen Session für nächsten
ontag.
Vorgestern hat in Cetinje eine große Protestversamm⸗ lung gegen die Angliederung Bosniens und der Herzegowina stattgefunden, in der, dem „K. K. Telegraphen⸗ Korrespondenzbureau“ zufolge, eine Resolution angenommen wurde, welche die Regierung auffordert, Beleidigungen zu ver⸗ gessen und sich mit Serbien zur Verteidigung der Inter⸗ essen des Serbentums zu verbinden. Nach der Versamm⸗ lung veranstaltete die Menge vor dem Palais des Fürsten und vor der russischen Gesandtschaft Sympathiekundgebungen.
Amerika.
Die chilenischen Kammern sind, einer Meldung des T. B.“* zufolge, für den 14. Oktober einberufen worden.
Koloniales.
Die vor einigen Monaten gemeldete eiseitzsbepresusg den zentral⸗ostafrikanischen Landschaften Turu und Iraku ist, wie „W. T. B.“ berichtet, nach soeben an amtlicher Stelle Berlin eingetroffenen Nachrichten ohne weitere Störungen zum
chluß gelangt. Die Ruhe ist ü⸗ Ul wie rgestellt. De⸗ monstrationszug des Hauptmanns Charisius durch Turu ist bis auf wenige Schüsse einer Patrouille vollständig friedlich „verlaufen. Die Anstifter der Bewegung sind sämtlich verhaftet, der Akide Mausa ist zum Tode verurteilt. Der genannte Truppenführer ist nach Aruscha zurückgekehrt, wo die Expedition aufgelöst wurde. Eine Abteilung Askari unter Oberleutnant von Trotha wird noch kurze Zeit in den beruhigten Landschaften verbleiben. Es ist dann beabsichtigt, da⸗ selbst einen ständigen Militärposten einzurichten.
Der Anteil der deutschen Bevölkerung am Besuch der deutschen Universitäten.
Der neueste Band der preußischen Universitätsstatistik (Heft 204 der fenbilchan Statistik“) bringt über die Beteiligung der deutschen Bevölkerung am Besuch der deutschen Universitäten unter anderen folgende Zahlenreihen und Ausführungen:
Es entfielen auf je 10 000 männliche Einwohner Studierende
J. in Preußen: 1892/93 1895/96 1899/1900 1905/06
1) Provinz Ostpreußen „ 8,24 8,1 9,18 9,86 2 „ Westpreußen 7,96 6,92 7,10 7,38 3) Stadtkreis Berlin 19,94 20,42 20,95 22,66 4) Provinz Brandenburg 7,38 7,22 8,68 10,46 5) „ Pommern 9,59 9,58 9,23 9,28 6) Posen 7,41 6,74 7,31 8,38 7) “ 8,44 8,45 9,21 9,88 5 Sachsen. 610,00 10,98 11,90 9 Schleswig⸗Holstein 7,53 6,94 6,87 8,30 10) Hannover 10,46 10,37 11,64 13,55 11) Westfalen 9,67 9,63 9,82 11,51 12) Hessen⸗Nassau. 11,65 13,14 14,51 16,05 1 „ RMheinland “ 8,37 ’8,96 9,97 12,56 14) Hohenzollern 6,99 10,23 14,38 11,01 in Preußen zusammen 9,61 9,65 10,47 12,04,
II. in den übrigen deutschen Staaten: 1) Bayern 2) Sachsen 3) Württemberg... 4) Baden.. 5) Hessen. — 6) Mecklenburg⸗Schwerin.. 7) Sachsen⸗Weimak.. 8) Mecklenburg⸗Strelitz 9) Oldenburg 10) Braunschweig 11) Sachsen⸗Meiningen.. 12) Sachsen⸗Altenburg .. 13) Sachsen⸗Coburg⸗Gotha 14) Anhalt. 15) Schwarzb.⸗Sondershausen 16) Schwarzburg⸗Rudolstadt. 17) Waldeck.. 18) Reuß älterer Linie 19) Reuß jüngerer Linie... 20) Schaumburg⸗Lippe 21) Lippe 22) Lübeck. 23) Bremen 24) Hamburg. 25) Elsaß⸗Lothringen . .. in den übrigen deutschen Staaten zusammen 12,00 11,43 11,98 13,67, im Deutschen Reich 10,55 10,34 11,06 12,67.
Die starke Zunahme des Zudranges zu den Universitäten in der Zeit von 1892/93 bis 1905/06 zeigt sich hiernach — an der Be⸗ völkerung gemessen — bei 12 preußischen Provinzen und bei 20 andern deutschen Staaten. In Westpreußen und Pommern tritt eine Abnahme bervor, desgleichen in Mecklenburg⸗Strelitz, Sachsen⸗ Coburg⸗Gotha, Schwarzburg⸗Sondershausen, Bremen und Hamburg. Der Durchschnitt ist für Preußen um 2,43 und für die übrigen Staaten um 1,67 gestiegen. Für das Deutsche Reich hat die Be⸗ teiligung der Bevölkerung am Universitätsstudium von 10,55 auf 12,67 für je 10 000 männliche Bewohner von 1892/93 bis 1905/06 zugenommen. 8 .
Sieht man von der politischen Einteilung ab und faßt man die einzelnen deutschen Gebiete in drei größere Zonen zusammen, die in gewisser Weise auch dem besonderen Charakter der Bevölkerung nach Stammesart und Lebensweise entsprechen, so ändern sich die oben mit⸗ geteilten Verhältniszahlen folgendermaßen:
Es entfielen auf je 10 000 männliche Einwohner
1892/93 1895/96 1899/1900 1905/06
1) Provinz Ostpreußen 8,24 8,13 9,18 9,86 2) „ Westpreußen „ . 6,92 7,10 7,38 3) 6,74 7,31 8,38 4) S 2 8,45 9,21 9,88 5) „ Pommern 9,58 9,23 9,28 6) beide Mecklenburg 8 12,93 13,18 15,20 7) Provinz Schleswig⸗Holstein
ü 7,27 7,27 8,80
und Lübeck 8,66 8,78 9,36
D6
9) Provinz Brandenburg und 12,03 13,24 14,89 9,18 9,86 10,90,
12,95 11,72 12,32 15,04 14,71 13,12 13,17 13,85 12,09 11,75 8,58 8.43 13,16 11,68 10,10 8,13, 11,32 10,71 11,33 10,51 11,86 10,54 12,54 10,27 8,18 883 6,93 97331 7,54 7,92 778 843 10,29 6,77 6,83 468 13,61 12,66 15,20 11,74 10,24 8766 6,07 8,17
11,82 11,19 11,84 13,82 14,93 13,13
12,43 11,00 12,34 13,75 15,69 12,72 14,66 15,92 11,47 13,37
9,51
9,64 10,55 13,92
8,63
9,76
14,43 12,40 12,62 15,83 18,84 15,98 14,73 10,59 10,38 13,76 10,15 11,73 10,66 12,91 11,34 10,58 15,03 11,12 9,53 8,91 7,66 9,22 9,32 12,03 7,15 11,73 13,18 16,18 13,05 14,12 8,78 9,36 9,49 11,04
in der I. Zone:
7,88 10,24 12,12
9,44
wJbEe1—“— zusammen.. in der II. Zone:
1) Provinz Hannover und beide Lippe
2) Oldenburg
ö6.
4) Provinz Sachsen, Braun⸗ schweig, Anhalt
5) Königreich Sachsen...
6) 8 thüringische Staaten ...
7) Provinz Hessen⸗Nassau und Waldeck.
8) Provinz Westfalen
9) „ Rheinland .
zusammen.. in der III. Zone:
1) Hessen ...
2) Elsaß⸗Lothringen
8 Baden.
4) Württemberg u. Hohenzollern
5) Bayern..
10,27 8,58 15,20
10,84 11,72 10,92
11,78 9,67 8,37
10,26
10,03 8,43 11,74
10,26 11,19 10,50
13,02 9,63 8,96
10,22
11,38 11,47 13,05
11,55 11,00 10,80
14,52 9,82 9,97
11,00
13,44 10,28 14,12
12,23 12,40 11,59
15,91 11,51 12,56 12,63,
18,84 11,04 15,83 12,57 14,43
14,71 14,93 6,07 8,17 15,04 13,82 12,16 I 12,95 11,82
zusammen . 12,30 11,86 12,50 14,25, im Deutschen Reich 10,55 10,34 11,06 12,67.
Diese Ergebnisse sind im ganzen wie im einzelnen recht bemerkens⸗ wert. Geht man vom Jahre 1892/93 aus, so zeigt sich in der Mitte und im Westen und in noch weit höherem Grade im Süden eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung am Universitätsstudium als im Nordosten. Es entfielen damals auf 10 000 männliche Bewohner im Nordosten 9,44, in der Mitte und im Westen 10,26 und im Süden 12,30 Studierende. Drei Jahre darauf machte sich in allen drei Zonen im Vergleich mit der Zunahme der Bevölkerung eine geringe Abnahme bemerkbar, die im Süden am stärksten und im mittleren und westlichen Deutschland am geringsten hervortritt. Bis zur Wende des Jahr⸗ hunderts erhöhen sich dann wieder die entsprechenden Anteilsziffern.
15,69
9,49 13,75 12,40 12,43
und zwar ziemlich gleicmaßth für alle drei Zonen. Diese Bewegung nach oben setzt sich auch in den folgenden Jahren bis zum Jahre
E1“ “ “ 1“ — 8 “ 1“ 905/06 fort, aber wiederum stärker in den südlichen und mittleren bezw. westlichen Gebietsteilen als in den waen sacache Von 1892/93 bis 1905/06 hat sich der Anteil der Bevölkerung am Universitäts⸗ studium — auf 10 000 männliche Bewohner berechnet — im mittleren und westlichen Deutschland um 2,37 bis auf 12,63, im südlichen um 1,95 bis auf 14,25 und im nordöstlichen um 1,46 bis auf 10,90 ge⸗ hoben. Die Verhältniszahlen für den eigentlichen Nordosten ohne 1“ Brandenburgs mit Berlin wüͤrden noch erheblich geringer ein.
Faßt man die Zahlen ins Auge, Staaten und Provinzen im letzten der hier berücksichtigten Studien⸗ jahre ergeben, so entsenden unter den Landesteilen der östlichen Zone die beiden Mecklenburg im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Studierenden auf die Univpersitäten. Erst auf Mecklenburg folgt Brandenburg und Berlin mit 1489 Studierenden auf je eine Million männlicher Einwohner, während Berlin für sich allein genommen git 2266 Studierenden auf 1 Million männlicher Einwohner dem ganzen übrigen Reich beträchtlich voranstehen würde. Die wenigsten Studie⸗ renden kommen aus den Provinzen Westpreußen (738), Posen (838) und Schleswig⸗Holstein mit Lübeck (880). — Von den Gebieten des westlichen und mittleren Deutschland zeigt Hessen⸗Nassau mit Waldeck (1591) die stärkste Beteiligung, die zweitstärkste die freie Hansestadt Bremen (1412). Die übrigen Länder und Länderver⸗ bindungen halten sich dem Durchschnitt der zweiten Zone (1263) nahe; nur Oldenburg steht ihm erheblicher nach. — In der südlichen Zone nimmt Hessen eine Sonderstellung ein, indem es mit 1884 Studierenden auf 1 Million männliche Bewohner sämtliche Gebiete nicht nur des Südens, sondern aller drei Zonen ein gut Teil hinter sich läßt. Der nächstfolgende Staat Baden (1583) weist zwar 300 weniger, aber damit ungefähr immer noch ebensoviel Studierende auf, wie die beiden am stärksten beteiligten Länder der ersten und zweiten Fene. Auch Bayern mit 1443 Studierenden überschreitet noch den
ohen Durchschnitt der dritten — südlichen — Zone (1425). Württem⸗ berg mit Hohenzollern (1257) und Elsaß⸗Lothringen (1104) erreichen ihn zwar nicht mehr, übertreffen aber immer noch den Durchschnitt der ersten Zone und bleiben nicht weit hinter dem der zweiten zurück.
8
die sich für die einzelnen
Zur Arbeiterbewegung.
Aus London wird der „Köln. Ztg.“ gemeldet: Die Korresponden des „Reuterschen Bureaus“ behauptet, daß augenblicklich Hoffnung 8 Beilegung des Baumwollweberstreites in Lancashire vor⸗ handen sei. Herr Churchill, der Präsident des Handelsamts, hat die Führer der beiden Parteien aufgefordert, ihn bei einem Be⸗ suche zu treffen, den er demnächst Manchester abstatte. Einer der Vorschläge geht dahin, das Brooklands⸗Abkommen, das den Streit veranlaßt hat, wieder durch die gleitende Lohnskala zu ersetzen. Das Brooklands⸗Abkommen, dem Unternehmer und Arbeiter zuge⸗ stimmt hatten, schreibt für den Betrag, um den Löhne steigen oder sinken dürfen, gewisse Grenzen vor und bestimmt ferner eine Zeit⸗ grenze nach jeder eingetretenen Aenderung, während der keine weitere Aenderung getroffen werden darf. Dieses Abkommen hat sich für die Arbeiter als ungünstig erwiesen, und Nachfragen bei Arbeitgebern und Arbeitern haben gezeigt, daß beide Teile geneigt sind, der gleitenden Lohnskala wiederum den Vorzug zu geben. Wird sie angenommen, so würde damit der Ausstand sofort aufhören und die Angestellten könnten zu den alten Bedingungen die Arbeit wieder auf⸗ nehmen, bis die Lohnskala in Kraft getreten ist, während die Unter⸗ nehmer, die ihren Ueberschuß an Vorräten loswerden wollten, dazu nahezu drei Wochen Zeit gehabt haben. Die Bergwerke und Eisen⸗ bahnen leiden unterdessen gewaltig unter dem Ausschlaß. Von den Webern werden täglich etwa tausens arbeitslos.
In Neapel haben, demselben Blatte zufolge, die Metall⸗ arbeiter den allgemeinen Ausstand erklärt.
Kunst und Wissenschaft.
1“ 11u1“ v1“ Der Ursprung des Schießpulvers. Man stößt häufig auf die Annahme, daß das Schießpulver zu Kriegszwecken zuerst 1164 von dem chinesischen Feldherrn Weisching eingeführt und 1232 von den Chinesen gegen die mongolischen Belagerer der Stadt Pienking oder Kaifungfu angewandt worden sei. Solche Ueberlieferungen sind, wie Professor Dr. Edm. von Lippmann in einem Aufsatz „Chemisches bei Marco Polo“ in der „Zeitschrift für angewandte Chemie“ ausführt, mit Vorsicht aufzunehmen, schon weil der ein⸗ schlägige Fachausdruck „Pao“ nach chinesischen Quellen ur⸗ sprünglich nicht „Feuerwaffen“ bezeichnet, sondern „Maschinen zum Steinschleudern“, die allerdings durch die Reibung ihrer Hollteile einen Lärm, „gewaltig wie Donner, hervorbrachten“. Des weiteren berichteten jene Quellen, daß man zu Beginn der Puen⸗Dynastie Kriegs⸗Paos kommen ließ und deren Feuer zum ersten Male bei der Belagerung von Tsai⸗Tschau benutzte, doch habe sich die Kunst, sie anzufertigen, nicht erhalten und ihr Gebrauch sei daher auch später selten geblieben, sodaß man sie noch bei der Eroberung Cochinchinas (1403) „donnernde Paos von über⸗ natürlicher Kraft“ nannte. Der Schriftsteller Niusun sowie das Buch Verzeichnis der Jahrhunderte“ versichern, zur Zeit der mongolischen Dynastie hätten einige Leute solche Paos auch gelegentlich der Be⸗ lagerung von SiangVang hergestellt, „und die Gestalt dieser Paos war die nämliche wie noch jetzt, nämlich die von Röhren aus Eisen oder Kupfer, deren Inneres mit einem Pulver und runden Steinchen Füsn und deren Oeffnung verschlossen war, die an einer Seite eine Zündung besaßen und mittels euers abgeschossen wurden“. Aber auch diese Erzählungen sind keineswegs ohne weiteres wörtlich zu nehmen, denn sie stammen zum Teil aus sehr späten, ja erst im 18. Jahrhundert gedruckten Werken und bringen offenbar An⸗ gaben durcheinander, die ganz verschiedene Zeitalter betreffen. Be⸗ züglich der Belagerung der sehr wichtigen Festung Siang⸗Yang (1268 — 73) meldet aber Polo ausdrücklich, sein Vater und sein Oheim hätten für Kublai⸗Khan ganz neuartige Wurfmaschinen für Steine von drei Zentner Gewicht erbaut, welche die endliche Uebergabe der Stadt herbeiführten. Auch die „Kriegs Paos aus estasien“ scheinen nur zündende Geschosse geschleudert iu haben, denn die chinesischen Annalen führen ausdrücklich an, daß Hulaga⸗Khan im Jahre 1253 von dort nach Turkestan und China tausend Leute kommen ließ, geübt in der Bedienung der Maschinen zum Schleudern von Steinen, Wurfgeschossen und brennender Naphtha, und daß man sich 1273 durch Belegen der Dächer mit Reisstrohmatten, auf die Ton gestrichen war, gegen die Feuer⸗ pfeile und Feuerpaos der Mongolen schützte. Eecoft 50 Jahre nach Polo bedienten sich die chinesischen Schiffe noch aus⸗ schließlich brennender Naphtha gegen indische und arabische Seeräͤuber. Diesen negativen Nachrichten stehen aber auch einige merkwürdige positive gegenüber. Als z. B. Kublai⸗Khan 1287 wider seinen rebellischen Vetter zu Felde zog, bewirkten, wie die chinesischen Reichsannalen erzählen, zehn Soldaten die Entscheidung: „sie schlichen sich Nachts in das Lager Nayaus, unerschrocken und entschlossen Feuer⸗ waffen (pao ho phao) tragend, deren Detonationen die Feinde in so furchtbaren Schrecken setzten, daß sie sofort nach allen Seiten auseinander⸗ liefen“. Diese Angaben beweisen, daß betreffs der Urgeschichte des Schießpulvers noch vieles aufzuklären ist. Sicher bleibt aber jeden⸗ falls, daß Polo das Schießpulver weder kennt noch nennt und daß dessen Gebrauch, insoweit man ihn überhaupt annehmen darf, zu seiner Zeit noch sehr neu, in China nicht verbreitet, und vermutlich Zunft⸗ geheimnis war.
Literatur. 8
Vpon der in Breslau monatlich zweimal erscheinenden Zeitschrift für allgemeine Rechtskunde „Gesetz und Recht“, die dem Fach⸗
mann wie dem gebildeten Staatsbürger überhaupt ein anschauliches Bild deutscher Rechtsentwicklung in der Gegenwart bietet (Preis vierteljährlich 2 ℳ), liegt jetzt das erste Heft ihres zehnten Jahrgangs
vor, dessen vielseitiger Inhalt zeigt, wie die Schriftleitung und ihre Mit⸗ arbeiter es verstehen, den Benürfnissen des praktischen Wirtschaftslebensß