8 achtrag zur Tages ordnung “ für die 55. Sitzung des Bezirkseisenbahnrats für di Eisenbahndirektionsbezirke Hannover und Münster am 8. Januar 1909 in Hannover (im östlichen Flügel des Empfangsgebäudes).
8 8 17. Einlegung eines Zugpaares auf der Strecke Wesel — ocholt. Jetzige Ziff. 17, 18 und 19 sind in Ziff. 18, 19 und 20 zu ändern. nnover, den 23. Dezember 1908. Königliche Eisenbahndirektion. Wesener.
Personalveränderungen.
Königlich Preußische Armee.
Offiziere, Fähnriche usw. Neues Palais, 24. Dezember. v. Beneckendorff u. v. Hindenburg, Gen. der Inf. und kom⸗ mandierender General des IV. Armeekorps, à la suite des 3. Garde⸗ regts. 1. F. gestellt. Linde, Gen. der Inf. à 1a suite der Armee und Präsident des Reichsmilitärgerichts, à la suite des Füs. Regts. General⸗Feldmarschall Graf Blumenthal (Magdeburg.) Nr. 36 gestellt. v. Woyrsch, Gen. der Inf. und kommandierender General des VI. Armeekorps, à la suite des 1. Garderegts. z. F. gestellt. Frhr. v. Holzing⸗Berstett, Major von der Armee, unter Enthebung von dem Kommando zur Dienstleistung beim Marstall Seiner Majestät des Kaisers und Königs, zum diensttuenden Flügeladjutanten Seiner Majestät ernannt. Gr. v. Kageneck, Rittm. und Flügeladjutant Seiner Majestät des Kaisers und Königs, Militärattachs bei der Botschaft in Wien, zum Major befördert.
Beamte der Militärverwaltung.
Durch Allerhöchste Bestallungen. 10. Dezember. Busse, Berendt, Intend. Assessoren, Vorstände der Intendanturen der Großherzogl. Hess. (25.) Div. bzw. der 7. Div., zu Militärintend. Räten ernannt. 11
Durch Allerhöchste Patente. 10. Dezember. Stach, Siemers, Oberintend. Räte von den Intendanturen des XVII. bzw. III. Armeekorps, der Charakter als Geheimer Kriegsrat, Kuhse, Militärbauinsp, technisch r Hilfsarbeiter bei der Intend. des VI. Armee⸗ korps, der Charakter als Baurat mit dem persönlichen Range der Räte vierter Klosse, Geißler, Nehring, Buchbalter bei der Gen. Militärkasse, Reichelt, Krüger, Registratoren, Georgi, expedierender Se⸗ kretär beim Großen Generalstabe, Hoffmann, Registrator beim “.“ der Vermessungen, Grützmacher, Lamprecht,
opographen, Liesegang, Registrator bei der Landesaufnahme, Wesemann, Rendant beim Bekleidungsamt des VIII. Armeekorps, Utermark, Hoffmann, Hauft, Torkel, Lemke, Garn. Verwalt. Direktoren in Dt. Eylau bzw. Düsseldorf, Mörchingen, Saarburg und Diedenhofen, Bohnert, Lazarettoberinsp. in Straßburg i. Els., Teßner, Rendant der Unteroff. Vorschule in Bartenstein, Jünke, Wucke, Festungsoberbauwarte von den Fortifikationen Geestemünde bzw. Graudenz, — der Charakter als Rechnungsrat, — verliehen.
Durch Verfügung des Kriegsministeriums. 5. De⸗ zember. Heine, Unterzahlmstr, zum Zahlmstr. beim Gardekorps ernannt.
7. Dezember. Mochel, Zahlmstr. vom II. Bat. 4. Unter⸗ elsäss Inf. Regts. Nr. 143, zum XIV. Armeekorps versetzt.
8. Dezember. Schmidt (III Berlin), Giebler (Halle a. S.), Dannemann (Sangerhausen), Frings (Cöln), Kremser (Ratibor), Böhm (Breslau), Krugmann (Rostock), Unterapotheker des Beurlaubtenstandes, zu Oberapothekern befördert. Dr. Dobrin (III Berlin), Brüsch (Solingen), Feuth (Düsseldorf), Meyer (Lingen), Oberapotheker des Beurlaubtenstandes, der Abschied bewilligt.
11. Dezember. Haack, Kanlleidiätar von der Intend. des VIII. Armeekorps, zum Intend. Kanzlisten ernannt.
12. Dezember. Versetzt: Gardin, Eultgem, Lazarett⸗ oberinspektoren in Metz II (Montign y) bzw. Glogau, gegenseit Sauer, Winckler, Lazarettinspektoren in Darmstadt bzw. Frank⸗ furt a. M., gegenseitig.
Versetzt zum 1. März 1909: Macionga, Lazarettinsp. in Jüterbog, nach Breslau, Horrmann, Lazarettinsp. in Thorn, nach Jüterbog.
MNichtamtliches.
Deutsches Reich. 8 Preußen. Berlin, 28. Dezember.
Seine Maäjestät der Kaiser und König hörten
heute vormittag im Neuen Palais bei Potsdam den Vortrag
— Chefs des Zivilkabinetts, Wirklichen Geheimen Rats von alentini.
Oesterreich⸗Ungarn.
Infolge der Beschwerdenote der bulgarischen Regierung wegen der türkischen Thronrede und infolge der Erregung, die sich deswegen in Bulgarien bemerkbar gemacht hat, hat sich
das Wiener Kabinett, wie das „K. K. Telegraphen⸗
Korrespondenzbureau“ meldet, veranlaßt gesehen, die Mächte
auf das Anormale der Beziehungen zwischen der Türkei und
Bulgarien aufmerksam zu machen und in Konstantinopel
den Wunsch auszusprechen, Bulgarien gegenüber in den
schwebenden Verhandlungen möglichst Entgegen kommen zu “
Auf den Präsidenten Fallières ist am ersten Weihnachtsfeiertage ein Ueberfall verübt worden. Wie das „W. T. B.“ meldet, wurde der Präsident, als er Vor⸗ mittags in Begleitung des Generalsekretärs Ramondou und seines Adjutanten, Obersten Lasson spazieren ging, auf der Place de l'Etoile von einem Kellner namens Jean Mathis angesprochen.
Mathis ergriff plötzlich den Präsidenten beim Hals und versuchte, ihm den Bart auszureißen, wurde aber sofort von Ramondou und Lasson festgenommen. Der Ueberfall war so heftig, daß der Stock Fallières entzweibrach, doch verlor der Prcsiden⸗ keinen Augenblick seine Ruhe und Kaltblütigkeit und setzte seinen Spaziergang fort. Beim Verhör erklärte Mathis, er habe den Angriff auf den Präsidenten nach vorheriger Ueber⸗ legung ausgeführt; er bedaure die Tat nicht und habe das Bewußtsein, eine Pflicht erfüllt zu haben.
Sämtliche Minister, das Präsidium der Kammer sowie die meisten Botschafter, Gesandten und Geschäftsträger begaben sich nach dem Elysée, um dem Präsidenten Fallières ihre Ent⸗ rüstung über den Ueberfall ausz sprechen.
— Der Ministerrat hat, „W. T. B.“ zufolge, vor⸗ gestern den Maßnahmen für den Uebergang der Westbahn in den Besitz des Staats vom 1. Januar n. J. ab zugestimmt.
— Der Ministerpräsident Clemenceau, der Minister des Aeußern Pichon und der Kriegsminister Picquart hatten vorgestern mit dem französischen Gesandten in Tanger
“ “ 8
Regnault eine Besprechung über die in Hinsicht auf die allmähliche RKäumung des Schaujagebiets zu treffenden Maßnahmen. Der Minister des Aeußern wurde mit der Fest⸗ setzung von Instruktionen für den Gesandten Regnault be⸗ auftragt, der Paris am 10. Januar verlassen wird, um den Sultan Mulay Hafid in Fes zu besuchen.
— Der Senat und die Deputiertenkammer haben, obiger Quelle zufolge, am Donnerstag voriger Woche das Budget endgültig angenommen. Darauf wurde die Tagung geschlossen. Die neue Tagung beginnt am 12. Januar n. J.
Rußland.
In der Reichsduma stand am Freitag voriger Woche der Etat des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten zur Beratung. Nachdem der Referent den Bericht der Budget⸗ kommission verlesen hatte, nahm der Minister des Aeußern Iswolski das Wort zu einer Darlegung der politischen Lage. Nach dem Bericht des „W. T. B.“ führte der Minister aus:
Der Optimismus, mit dem er im vergangenen Winter in der Duma auf die Gestaltung der Dinge im Stillen Ozean hingewiesen habe, habe sich bewahrheitet. Das amerikanisch⸗japanische Abkommen sei ein neues willkommenes Glied in der Kette inter⸗ nationaler Abkommen zur Aufrechterhaltung des status quo an den Küsten des Stillen Ozeans und zur Sicherung des freien internationalen Handels und der Wahrung der Integrität und Unabhängigkeit Chinas. Er, der Minister, könne zuversichtlich behaupten, daß in dieser Richtung keinerlei Verwickelungen zu erwarten seien. Ueber das englisch⸗ russische Abkommen, das eine notwendige und natürliche Er⸗ gänzung des russisch⸗japanischen bilde, wolle er nur sagen daß es in den persischen Wirren bereits eine sehr ernste Prüfung überstanden habe. Hinsichtlich Persiens bezwecke die russische Politik die Auf⸗ rechterhaltung historischer, freundschaftlicher Beziehungen und der russischen ndelsinteressen, vornehmlich in den persischen Nord⸗ provinzen. Jede Verletzung der Integrität und Unabhängigkeit Persiens sowie jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten liege Rußland durchaus fern. Eben diese Prinzipien lägen dem Abkommen mit Eng⸗ land zugrunde, mit dem Rußland in den persischen Angelegenheiten in voller Einmütigkeit handle. Beide Staaten seien jederzeit bereit, Persien zu helfen. Eine schnelle Klärung sei für Rußlarnd um so wichtiger, als die Wirkung der persischen Krise am emrfindlichsten in dem angrenzenden Aserbeidschan verspürt werde, wo der russische Handel bedeutend leide. Das englisch⸗russische Abkommen, das genau bestimmte, konkrete Fragen betreffe, sei für Rußland auch vom allgemeinen Standpunkt sehr wichtig, indem es zwischen beiden Mächten freundschaftliche und vertrauensvolle Beziehungen herstelle. Mit tiefer Genugtuung konstatierte der Redner, daß seine auf Befestigung der Allianz⸗ beziehungen zu Frankreich gerichteten Bemühungen von Erfolg gekrönt wären, und Rußland und Frankreich in allen Fragen der Welt⸗ politik in voller Uebereinstimmung handelten. Das hinderte Rußland aber keineswegs, auch zu anderen Mächten freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten und hic ganz und gar der Ansicht des Fürsten Bülow anzuschließen, daß die russische Politik keine Spitze gegen Deutsch⸗ land richte, daß im Gegenteil zwischen Rußland und Deutsch⸗ land die alten freundschaftlichen Beziehungen gewahrt blieben. Er könnte auch die Versicherungen des Fürsten Bülow bestätigen, daß zwischen Rußland und England weder öffentliche noch
eheime, gegen die deutschen Interessen gerichtete Abkommen beständen. die jüngste Annäherung Rußlands und Italiens sei die na⸗ türliche Folge gemeinsamer Interessen beider Länder an der Wahrung des territorialen status quo auf dem Balkan und der pPolitischen und ökonomischen Unabhängigkeit der Balkanstaaten. Er messe der An⸗ räherung an Italien großen Wert bei und sei überzeugt, sie werde eine friedliche und gerechte Lösung der auf der Tagesordnung stehenden wichtigen Fragen wesentli ern. Die letzten Jahre hätten bewiesen, daß Rußland ein wichtiger Faktor des europälschen Gleichgewichts sei, und daß seine, wenn auch nur zeitweilige Schwächung durchaus nicht dem Interesse des Friedens entspreche. Besonders gefahrdrohbend wäre eine Schwächung Rußlands für die slavischen Stämme und Staats⸗ organizmen. Den Beweis dafür, daß die russische Gesellschaft die Traditionen Rußlands nicht vergessen habe, liefere die allgemeine Aufmerksamkeit, die sie der Rolle der russischen Diplomatie in den Fragen der Reformen für Mazedonien zugewandt habe. Noch greifharer sei das Festhalten an der Tradition in der Sandschak⸗ bahnfrage hervorgetreten, die Rußland Anlaß geboten habe, entschieden und uneigennützig für die Interessen der Balkanstaaten einzutreten. Dabei habe sich erwiesen, daß Rußland auf die Unterstützung einiger anderer Staaten habe rechnen können. Gleich entschieden und uneigennützig handelte Rußland in der Feag⸗ der Reformen für Mazedonien. Der Minister ging dann auf die Wiederherstellung der Konstitution in der Türkei ein. Der neuen türkischen Staatsordnung sei die Gleichberechtigung der christlichen und mohammedanischen Bevölkerung zu Grunde gelegt. Die Duma wisse, wie die russische Regierung diesem Ereignis gegenüber gemeinsam mit allen Mächten sich verhalten habe, die eine friedliche Loͤsung der Krise auf der Balkanhalbinsel wünschen. Der Minister betonte, daß auch auf der Balkanhalbinsel sich die Dinge offenbar günstig gestalteten. Es sei vielleicht ein erster Fall in der Geschichte, daß Rußland in seiner Aktionsweise gegenüber den Vorgängen in der Türkei auf die Einmütigkeit selbst derjenigen Mächte habe rechnen können, die früher Rußland gegenüber Mißtrauen und Mißgunst an den Tag gelegt hätten. Der Minister ging hierauf auf die Angliederung Bosniens und die Unabhängigkeits⸗ erklärung Bulgariens über. Die Stimme der russischen Gesellschaft fordere dringend einen Protest der Regierung gegen die Annexion. Bezüglich der gegen ihn gerichteten Angriffe erklärte der Minister, wer von ihm einen scharfen Protest gegen die Annexion fordere, glaube offenbar, daß der russische Minister des Aeußern in dieser Frage unabhängig von vorher eingegangenen Verpflichtungen handeln könne. Leider sei dem nicht so. Der Schleier, der die Vergangenheit bedecke, sei jetzt ein wenig gelüftet. Wenngleich das durch fremde Indiskretionen geschehen sei, so könne er, der Minister, nicht die Authentizität der veröffentlichten Dokumente der Budabester Konvention von 1877 und der Berliner Deklaration von 1878 in Abrede stellen. Das Urteil über diese Akte gehöre der Geschichte an; des Ministers Sache aber sei es, mit ihnen und auch noch mit einer Reihe späterer diplomatischer Abkommen zu rechnen, von deren einige zweifellos ihre Kraft verloren, andere aber gewissermaßen noch immer die een der russischen Diplomatie einengten. Unter solchen Umständen e
8 8
i es nicht schwer, einzusehen, zu welch' für Rußland gefährlichen Folgen ein Protest geführt hätte. Einen Protest aber er⸗ klären, ohne die Absicht, ihn, wenn nötig, mit den Waffen zu unterstützen, sei der größte politische Fehler, den habe begehen wollen. Wenn Rußland auch kein persönliche⸗s Recht habe, allein zu protestieren, so habe es doch das Recht, ja die Pflicht, auf den internationalen Akt hinzuweisen, Bosniens bestimme, auf den Berliner Vertrag. Trotzdem dieser eine gute Eih der Resultate vernichtet habe, die Rußland für die slavischen Völker erreicht hätte, habe es 30 Jahre lang nicht daran gerührt. Wenn jetzt aber eine der Mächte sich entschlossen habe, eine Abänderung eines für sie unvorteilhaften Artikels des Berliner Ver⸗ trags anzuregen, und Rußland das nicht verhindern könne, so falle ihm die moralische Pflicht zu, auf andere Artikel des Vertrages hinzu⸗ weisen, die für Rußland unvorteilhaft und beengend seien, b-sonders aber für die Balkanstaaten und die Türkei. Die Stellung Rußlands,
dem die Mehrheit der Mächte sich angeschlossen, habe von selbst auf
den Gedanken einer Konferenz geführt. Der Konferenzgedanke gehe aber nicht von ihm, Iswolski, sondern von der Türkei, als der un⸗ mittelbar Geschädigten, aus. Eine Konferenz brauchten alle, für die die Wahrung des Prinzips wichtig sei, daß Verträge nicht abgeändert werden können ohne Zustimmung der Signatarmächte; Ruß⸗
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land dürfte auf die Zustimmung, wenn nicht aller, so doch de Mehrzahl der Mächte rechnen. Dabei habe Rußland durchaus nicht eine unfreundliche Haltung gegen Oesterreich Ungarn angenommen. Nach Mitteilung des Inhalts der jüngsten Zirkulardepesche an die Vertreter Rußlands bei den Signatarmächten wies der Minister sodann darauf hin, daß Rußland seit Beginn der Krisis nicht nur mit Frankreich, sondern auch mit England und Italien im Einverständniz gehandelt habe. Die Türkei könne bei den Verhandlungen auf Ruß⸗ lands Sympathien für ihre gerechten 1e rechnen. Au Oesterreich⸗Ungarn, das eben einen Beweis seiner versöhnlichen Stimmung gegeben habe, und das mit ihm soltdarische Deutschland würden sich für eine Lösung der Streitfragen aussprechen, die den allgemeinen Frieden fördere. Rußland trete in die Verhandlungen ohne egoistische Absichten ein, und es werde auf die Wahrung des für alle nötigen Friedens bedacht sein. Auf Rus⸗ lands Initiative sei in das Konferenzprogramm der Punkt über Ver⸗ ünstigungen für Serbien und Montenegro übernommen. Mit warmer Teilnahme verhalte sich Rußland auch zu Bulgarien. Bulgarien habe allerdings gegen die eindringlichsten Ratschläge Rußlands ge⸗ handelt; doch könnte Rußland nicht umhin, mit dem von ihm geschaffenen Bulgarien zu sympathisieren. Daher sei auch Ruoß⸗ land bemüht, ein gerechtes Abkommen zwischen Bulgarien und der Türkei möglichst schnell herbeizuführen. Bulgarien sei verständigt, daß Rußlands fernere Haltung nicht von Bulgariens Handlungsweise in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft abhänge, des heiße, inwieweit Bulgarien mit den übrigen Balkanstaaten soli⸗ darisch bleibe. Bulgarien, Serhien und Montenegro müßten durch⸗ drungen sein von dem Bewußtsein der Notwendigkeit morali⸗ scher und politischer Einigkeit untereinander. Rußlands Ziel bestehe darin, diese Staaten zusammenzuschließen und mit der Türkei durch den gemeinsamen Gedanken an den Schutz ihrer nationalen und ökonomischen Selbständigkeit zu einigen. Zu eben diesem Zwecke müsse man der Türkei beweisen, daß Rußland der Bemühung der Verjüngung ihrer inneren Ordnung mit aufrichtigster Sympathie gegenüberstehe und keinesfalls die Sicherheit der Türkei bedrohe. Ruß⸗ land hoffe, in Belgrad und Cetinje werde man verstehen, daß sie kalt⸗ blütig und besonnen bleiben müßten. Die russische Regierung habe auf das kategorischste angekündigt, daß ihre Unterstützung direkt von der Handlungtweise der Serben und Montenegriner ab⸗ hänge. Der Minister sprach zum Schluß die Hoffnung aus, daß seine Ausführungen eine genügend klare Vorstellung von der russischen auswärtigen Politik geben und es sowohl in Rußland wie im Aus⸗ lande ganz klar sein werde, daß Rußland keinerlei habsüchtige Zwecke verfolge und nur eine gesetzmäßige und friedliche Lösung der erwähnten Fragen anstrebe, wie sie der nationalen Würde Rußlands entspreche.
Nach dem Minister Iswolski ergriff der Sozialist Pokrowski II. das Wort und betonte zunächst, daß ebenso wie vor dem japanischen Kriege auch jetzt noch unverantwortliche Personen sich in die russische Politik einmischten. Er verwies auf Persien, wo nach Aussagen des Gesandten Hartwig der Militär⸗ und Finanz⸗ agent neben den Diplomaten eine eigene Politik trieben und der Oberst Liakow Befehle vom Stabe des Miilitärbezirks des Kaukasus erhalte, die oft den Anordnungen des Gesandten widersprächen. Der Redner folgerte hieraus, daß die russische Politik ohne Rücksicht auf die Interessen des Volkes geleitet werde, was vielleicht anderwärts auch geschehe, aber nirgends in so starkem Maßstabe wie in Rußland. Die Erklärungen Iswolskis brächten nichts Neues. Niemand wisse, was außerdem noch für Verträge existierten, noch weshalb Iswolski seine Reise im Sommer unter⸗ nommen habe. Der Redner verlangte die Veröffentlichung der amt⸗ lichen Dokamente und sprach sich gegen die gesamte Politik der gegen⸗ wärtigen europäischen Regierungen aus sowie gegen die Ver⸗ gewaltigung der Schwächeren durch die Stärkeren usw. Inter⸗ nationale Verträge seien nicht immer friedlich, sondern oft geeignet, den Frieden zu gefährden und einen Krieg herbeizuführen, den die Völker mit ihrem Blut und Geld bezahlen müßten. Zu den Balkan⸗ fragen übergehend, besprach Pokrowski zunächtt die ang bliche Unter⸗ drückung der Bosnier und Herzegowiner durch die österreichisch⸗ungarische Verwalt die er michäliske dabei jedoch betonte, die Unter⸗ drückungen des russischen Volkes durch die russische Regierung seien weit grausamer. Er glaube daher nicht an die Aufrichtigkeit jerer polktischen Parteien, die die gegenwärtige allslawisch⸗ Verb üderung propagierten. Er kenne Leute, die im Auslande die weiße Sokoltracht trügen und im Inlande schwarze Raben seien. Aber vielleicht könnten sich die slawischen Völker an die russische Regierung um Schutz wenden. Indessen sei diesen Völkern die tradittonelle Politik Ruß⸗ lands wohl bekannt. Diese sei nämlich die reine Vergewaltigungs⸗ politik, die die Rechtgläubigkeit und das Slawentum nach Belteben als Vorwand benutzte. Im Jahre 1821 sei ia Konstantinopel der griechische Patriarch Eregor gehängt worden und die russische Regierung habe sogar verboten, für ihn zu beien, aus Gefälligkeit gegen den Sultan. 1839 habe Rußland serbische Flücht⸗ linge aus Bosnien im Stich gelassen, ebenso 1845 der . ge⸗ holfen, slawische Völker zu unterdrücken. 1853 habe Kaiser Nikolaus I. Oesterreich⸗Ungarn Bosnien und die Herzegowina gegen die Zusicherung der Neutralität im Krimkriege angeboten. Ferner führte der Redner einige Stellen aus einem Buche Leonows über Geheimdokuamente der russischen Orientpolittk 1881— 1890, Berlin 1893, an, worin auf russische Machinationen zum Sturze des Battenbergers hingewiesen wird und die früheren Bestrebungen Rußlands, das Protektorat über Bulgarien zu gewinnen, dargelegt werden. Auch gegen den Fürsten -vzen habe Rußland agitiert, was der Redner durch amtliche Dokumente zu beweisen suchte, aus denen er folgerte, daß Rußland früher sogar Vorbereitungen zu Attentaten gegen den Fürsten Ferdinand nicht fern gestanden habe. Das seien die Beziehungen Rußlands zu den verbrüderten Slawenvölkern. Später habe Ruß⸗ lands Gewaltpolitik sich nach dem fernen Osten gewandt und sis dem türkischen Despoten genähert, den es bei der grausamen Nieder⸗ metzelung einiger tausend christlicher Armenier unterstützt habe. Der Minister Lobanow Rostowski habe der Autonomie Armeniens wider⸗ sprochen Als in der Stadt Urfa in Mesopotamien im Jahre 1895 die Türken in eine christliche Kirche, in der 3000 Christen versammelt gewesen, eingedrungen wären und die Christen mißhandelt bätten, wäre Christus in frecher Weise von den Türken herausgefordert worden, er möge seine Söhne retten. Aber Christus habe geschwiegen wahrscheinlich weil ihn die russischen Diplomaten demgemäß instruiert hätten. (Bei diesen Worten des Redners erhob sich ein ungeheurer ärm, und es erschollen die Rufe: Hinaus! Der Präsident Chomjakow entiog dem Redner das Wort und beantragte, ihn für 3 Sitzungen auszuschließen, was die Duma annahm. Die Sozialisten verließen darauf den Saal.)
Der Abg. Graf Casimir Bobrinski von der gemäßigten Rechten sprach speziell über den Panslawismus. Er wies auf die Gemeinsamkeit der slawischen Gefütle und Interessen hin, be⸗ tonte jedoch, daß auch seine Partei einen Krieg nicht wolle und daß das serbische Volk sich jeder offensiven enthalten müsse, die gegenwärtig einen Verrat an der slawischen Sache bedeuten würde. Er fordere keinen Protest Rußlands gegen die Annexion, sondern eine einfache Nichtanerkennung derselben. Selbst wenn alle anderen Mächte die Annex on anerkennen würden, was höchst unwahrscheinlich sei, so sei Rußland nicht verpflichtet, dasselbe zu tun. Die Unabhängigkeit Bulgariens sei an sich erfreulich, aber durch die Knechtschaft von 1 ½ Millionen Serben in Bosnien erkauft. Der Redner bestritt, daß der moderne Pan⸗ slawismus politische Ziele verfolge und darauf abziele, die nicht⸗ russischen Slawen mit Rusßland politisch zu vereinigen.
Der Abg. Purischkewitsch von der äußersten Rechten tadelte,
daß Iswolskt die Vertreter der nicht legalisierten Kadettenpartei ju einer Vorbesprechung über die äußere Politik zu sich eingeladen hab’. Die Rede des Ministers erscheine dadurch als ein Gang nach Canossa. Rußland müsse der ungesetzlichen Annexion Besniens ein entschiedenes „Niemals“ ent egenrufen. England könne sonst dasselbe mit Aegypten tun. Eine Konferenz könne Rußlands Prestige nur schädigen, wie dies der Berliner Kongreß getan habe⸗ Den linken Parteien diene der sogenannte Neoslawismus nur alt
Maske für ihre Parteiziele, um durch einen etwaigen unglücklichen Krieg Rußlands den Umsturz der bestehenden —— veuee; In der äußeren Politik sei es lächerlich und dumm, sich von persönlichen Sympathien und Antipathien leiten zu lassen, anstatt dem nüchternen Verstand zu folgen. Indessen seit den Zeiten Iwans des Schreck⸗ lichen seien alle englischerussischen Verträge zu Ungunsten Rußlands ausgeschlagen. England stehe gegenwärtig in einem heftigen Kampf mit Deutschland um die Eroberung des Weltmarkts und sirebe danach, Deutschland und Rußland in einen Krieg zu verwickeln und beide zu schwächen. Die Partei der Rechten halte einen Krieg gegenwärtig für unangebracht. Rußland müsse sich für einen Krieg in fernerer Zu⸗ kunft um die habsburgische Nachfolgerschaft rüsten. Gegenwärtig fahre Rußland im englischen Schlepptau.
Der Abg. Bulat von der Arbeitsgruppe sprach gegen die hohen Gehälter der russischen Diplomaten und die überflässigen Beamten⸗ stellen, wobei er die russischen Vertretungen in Hamburg, Darmstadt, Stuttgart, München und Dresden anführte, die gar keine Beschäfti⸗ gung hätten, sondern nur glänzende Empfänge veranstalteten. Die tussischen Vertreter beschützten nicht einmal die russischen Untertanen im Auslande, was aus den Studentenausweisungen aus Deutschland hervorgehe. Bezüglich der Balkanfrage meinte der Redner, die Schick⸗ sale der Völker müßten nicht durch diplomatische Verträge, sondern derch den Willen der Völker geregelt werden. Der Wille des russi⸗ schen Volkes käme aber gegenwärtig nicht frei zum Ausdruck. Die A beitsgruppe befürworte die Freiheit des Individuums und der Völker, und sie sei daher gegen die Annexion, jedoch für die Selb⸗ ständigkeit Bulgariens. Sie befürworte die Abberufung der russischen Gendarmerieoffisiere aus Mazedonien und verurteile die gesamte innere und äußere Politik der Regierung.
Namens der Fraklion der Muselmanen sprach der Abg. Maxudow unter Betonung der Kaisertreue der russischen Mohammedaner über den . Er bestritt aufs lebhafteste den gefährlichen CFharakter dieser Bewegung für die europätsche Zivilisation und eklärte, die muselmanische Bewegung sei eine Kulturbewegung, die vielfach verkannt werde. Der Redner befürwortete ein Bündnis mit der Türkei.
Der Nationalist Motowilow sprach unter heftigen Angriffen auf die österreichisch⸗ungarische Politik gegen die Annexion, worauf der Oktobristenführer Wutschkow das Wort ergriff und erklärte, seine Fraklion billige vollständig die haupt ächlisten Gesichtspunkte Iswolskis, wie sie in der Zirkularnote und der Rede des Ministers aus⸗ gedrü ckt seien. Ein wichtiger Faktor der friedlichen Lösung der gegenwärtigen Frage seien gutnachbarliche, freundschaftliche Beziehungen zu Peutschland, deren Aufrechterhaltung den Interessen beider Länder entspräche; die gegenseitigen kulturellen und ökonomischen Bande und die Tradition der früheren Freundschaft und Erinnerungen an gegenseitige Dienste, die man sich in schweren kritischen geschichtlichen Momenten erwiesen, Erinnerungen, die fast gleichbedeutend seien mit moralischen Ver⸗ pflichtungen, alles das bilde eine feste Garantie für eine friedliche Lösung der Krisis. Der Redner verlas sodann namens der gemäßigten Rechten, der Nationalisten, der friedlichen Erneuerer, der Progressisten und Oktobristen folgende Uebergangsformel zur Tagetordnung: „Nach Anhörung der Rede des Ministers und mit dem Ausdrucke warmen Mitgefühls für die verwandten Slavenvölker und Staaten, sowie in der festen Hoffnung, die Regierung werde alle Anstrengungen machen jur Wahrung ihrer gerechten Interessen mit allen friedlichen Mitteln, geht die Duma zur Tagesordnung über.“
Sodann erhielt das Wort der Kadettenführer Miljukow, der junächst die Bedeutung der öffentlichen Meinung Rußlands hervorhob, deren Widtigkeit Iswolski selbst anerkannt habe. Während indessen der Reichskanzler Fürst von Bülow dem Freiherrn von Aehrenthal habe danken können, daß er ihn nicht vorher von der Annexion ver⸗ ständigt habe, habe Jswolski davon vorher gewußt und trotzdem nichts getan, sie zu verhindern. Der Redner behauptete, Rußland könnte trotz der geheimen Verträge die Annexion nicht anerkennen, weil die Be⸗ dingungen dieser Verträge nicht zuträfen. Er befürworte einen Balkan⸗ bund und sprach sich für die Bewilligung territorialer Kompensationen an Serbien aus, war jedoch gegen eine Aufrollung der Dardanellen⸗ frage und bezweifelte die Aufrichtigkeit der Darlegungen des Ministers bezüglich der Politik in Persien, da Rußland einerseits dem Schah den freundschaftlichen Rat gäbe, die Konstitution beizubehalten, andererseits russische Agenten den Schah antrieben, die seinem Volke gegeberen Versprechungen zu brechen. Daher steige der Einfluß der
ürken in Aserbeidschan, woselbst auch österreichische und deutsche Agenten tätig seien.
Nach Annahme der obigen Uebergangsformel zur Tages⸗ ordnung wurden die einzelnen Paragraphen des Etats des Ministeriums des Aeußern beraten.
Beim Kapitel „Konsularwesen“ bemängelte der Abg. Antonow die Existenz des Generalkonsulats und des Vizekonsulats in Frank⸗ furt am Main, des Konsulats in Rostock und Weimar und adelte das Fehlen jeglicher Vertretung Rußlands in Mannheim, das jetzt eine hewvorragende Rolle in Deutschland spiele.
Nachdem dann nochmals kurz der Minister des Aeußern Iswolski gesprochen und Reformen im auswärtigen Dienst, wozu es aber einiger Fiit bedürfe, in Aussicht gestellt hatte, wurde der Etat des Ministeriums des Aeußern an⸗ genommen.
Italien.
Das fünfzigjährige Priesterjubiläum des Papstes hat, „W. T. B.“ zufolge, gestern mit einem in der Basilika San Giovanni in Laterano abgehaltenen feierlichen Tedeum seinen Abschluß gefunden. Der Feierlichkeit wohnten das diplomatische Korps beim Heiligen Stuhl, viele geistliche und weltliche Würdenträger und eine große Volksmenge bei.
Portugal.
Die Kabinettskrisis ist beendet. Wie das „W. T. B.“ meldet, ist es dem Justizminister im Kabinett Amaral de Campos Henriques, der zu den Regenerados gehört, gelungen, ein Konzentrationskabinett zu bilden, das sich folgendermaßen zusammensetzt: Campos Henriques, räsidium und Inneres, Espre Gueira Finanzen, Telles Krieg, Wenceslau, Aeußeres, Luiz Castro, öffentliche Arbeiten, Antonio Cabral, Marine, Alarcao, Justiz.
Belgien.
Die Deputiertenkammer hat, „W. T. B.“ zufolge, am Donnerstag voriger Woche gelegentlich der Beratung des Militärbudgets das Kontingent für 1909 mit 73 gegen 8 Stimmen angenommen, das auf 13 300 Mann fest⸗
setzt ist.
Im Laufe der Debatte fragte der Abg. Woeste (klerikal) den Kriegsmirister, ob das Heer eine Kriegsstärke von 180 000 oder von 225 000 Mann haben müsse und ob er das Kontingent für 1909 als genügend ansehe. — Der Ministerpräsident erklärte sich mit
dem Kriegsminifter solidarisch und sagte, das Heer sei augenblicklich stark genug.
Türkei.
Durch Kaiserliches Irade sind Ahmed Riza zum Praͤsidenten der Deputiertenkammer und der Adrianopler De⸗ putierte Taalaat zum Vizepräsidenten ernannt worden.
— In der Deputiertenkammer teilte am Donnerstag voriger Woche bei Beginn der Sitzung die mit der Aus⸗ arbeitung der Antwort auf die Thronrede beauftragte
ommission mit, daß sie ihre Arbeiten beendet habe. Das
Haus beschloß, „W. T. B.“ zufolge, die Diskussion über die Antwort auf die Thronrede auf Sonnabend zu vertagen, um vorher von dem Entwurf Kenntnis zu nehmen. Sodann nahm die Kammer die Wahl der Vizep enten und des Bureaus vor. — In der vorgestrigen Sitzung teilte der Alterspräsident Naki unter lebhaftem Beifall des Hauses mit, daß der Sultan die Wahl Ahmed Rizas zum Präsidenten der Kammer be⸗ stätigt habe. Ahmed Riza bestieg darauf den Präsidenten⸗ — sprach dem Altersprösidenten seinen Dank aus und fuhr ann fort:
Sein berptsächlichstes Streben werde die Erfüllung der Pflichten sein, die das ihm anvertraute Amt von ihm fordere. Den Deputierten empfahl der Präsident Pflichteifer, Ernst und Häöflichkeit. Rassen⸗ und Religionsverschiedenheit solle das Urteil der Deputierten nicht trüben. Man möge nicht vergessen, daß die Worte, die in der Kammer gesprochen würden, nicht nur von Otto⸗ manen, sondern von der ganzen zivilisierten Welt gehört würden. Jetzt müsse man politische Fähigkeit beweisen. Aufgaben der Kammer seien, die Ordnung der Finanzen, die Konsolidation der Souveränität der Nation und die Vermehrung der Reichskräfte zur Verteidigung. Man müsse für die Erhaltung der Verfassung arbeiten, die Lehren der Vergangenheit beherzigen und Fehler vermeiden, die an anderen die Unterdrückung der Souveränität der Nation verschuldet
ätten.
Ein Antrag, in die Beratung des Entwurfs der Antwortadresse auf die Thronrede einzutreten, wurde abgelehnt und beschlossen, den Entwurf zunächst in den Kommissionen zu prüfen und ihn heute zur Beratung im Plenum auf die Tagesordnung zu stellen. Ein Antrag, für die Zeit der Adreßdebatte die Presse von der Sitzung aus⸗ zuschließen, wurde abgelehnt.
Der Entwurf der Antwortadresse beschäftigt sich zunächst mit der Auflösung des ersten türkischen Parlaments und wendet sich dann in scharfer Sprache gegen die damaligen Ratgeber des Sultans. Die Adresse sagt:
„ Wern sich der Sultan in der Vergangenheit nicht von den trüge⸗ rischen Einflüsterungen unzuverlässiger Personen hätte berücken lassen, so würde man in der Tärkei in den letzten dreißig Jahren an vielen Stellen des Reichs blühende Dasen an Stelle von Ruinen, Fortschritt an Stelle des Verfalls haben erstehen sehen, dann würden der Nation, die einige wenige Individuen unter dem Schutze des Despotismus für eigennützige⸗Zwecke ausbeuteten, nicht so viele Wunden geschlagen worden sein. Zur äußeren Politik übergehend, bemerkt der Entwurf, daß die ganze Nation den Schmerz des Sultans über die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens und die Annektierung Bosniens und der Herzegowina teile, und fährt fort: „Die Kammer wird einer Politik der internationalen Freundschaft folgen; die Nation, die im Inlande die friedliche Umwälzung durchgeführt hat, wird der Welt zeigen, daß sie auch dem Auslande gegenüber unentwegt die Friedenspolitik ver⸗ folgen wird. Wir hoffen, daß dadurch das Land sich zu der Stellung hinaufarbeiten wird, die es im Konzerte der Großmächte verdient, daß es den Schutz des Völkerrechts genießen und die Liebe und die Achtung aller verdienen wird, daß die erwähnten politischen Fragen bald zu einem guten Ende geführt werden dank dem freund⸗ lichen Beistande der Großmächte, die unserer friedlichen Absichten ebenso wie unseres Eifers und unserer Loyalität sicher sind.“ Als nächste Aufgabe der Kammer nennt der Entwurf die Regelung des Finanzwesens. Die Kammer werde dafür Sorge tragen, daß es nicht erlaubt sei, auch nur einen Pfennig aus der Staatskasse oder auch nur einen roten Para aus der Tasche der Steuerzahler im Widerspruch mit dem Budgetgesetz auszugeben. Trotz der unglaublichen Verschwendung, die Jahre hindurch getrieben sei, wofür die Geschichte der Finanzen kein Beispiel fände, werde die Kammer es versuchen, die Bilanz herzu⸗ stellen und dadurch eine Erhöhung des Kredits herbeizuführen. An weiteren Aufgaben nennt die Adresse die Sorge für die öffentliche Sicherheit, für Schulbauten, die Vermehrung der Verkehrsmittel, die Entwicklung von Handel, Industrie und Landwirtschaft, ferner die Neuorganisierung des Heeres und der Flotte, wie es die geographische Lage des Landes verlange, um die Interessen des Vaterlandes wie der kon⸗ stitutionellen Regierung, die unter dem Schutze des es und der Flotte stehe, zu verteidigen. Die Adresse schließt: „Wir freuen uns, Eurer Majestät unsere Gefühle des Stolzes und der Dankbarkeit kundgeben zu können darüber, daß der Wille des Volkes derartig fest ist, daß keine Macht der Erde ihn erschüttern kann. Darüber, daß wir bei Eröffnung der Kammer, jenes Abbildes der Volkssouveränität, Eure Majestät haben vor Augen sehen können und zum Zeichen dafür, daß alle Schranken zwischen Herrscher und Volk auf immer gefallen sind, fließt unser Herz über einzig und allein von der Liebe zum Vaterlande und zu unserem Volke. Alle unsere Wünsche gehen darauf hinaus, für das Land und für die Nation nützliche Arbeit zu leisten. Wir lassen uns führen von dem Morgenrot der Gleichheit und Einigkeit, und unser Ziel ist Recht und Gerechtigkeit.“
— Die Adresse des Senats drückt gleichfalls den Wunsch nach Erhaltung der Verfassung aus und erklärt, daß der Senat den Wunsch des Sultans bezüglich Einhaltung der Verfassung als ein defin itives Gelöbnis aufnehme. Der Pelas über die äußere Politik lautet, obiger Quelle zufolge:
Was die in der Thronrede erwähnte bosnische und bulgarische Frage anbelangt, so liegt die Aufgabe, die Korrespondenz hierüber und die notwendigen Beratungen mit den Berliner Signatarmächten zu verfolgen sowie diese Fragen befriedigenden Lösungen zuzuführen, der Exekutivgewalt ob. Wir erwarten, daß der Ministerrat diese Auf⸗ gabe in befriedigender Weise erfüllen wird. Denselben Wunsch hegen wir bezüglich der wichtigen kretischen Frage.
Die Adresse schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die gesetzgebende Gewalt des Parlaments unter Mithilfe des Seard geear das Land zum gewünschten Fortschritt führen werhhe 3 “
Die Deputiertenkammer verhandelte gestern über die Thronrede.
Der Minister des Innern Bratiano erklärte, laut Bericht des „W. T. B.“, in Vertretung des beurlaubten Ministerpräsidenten Sturdza, trotz der Schwierigkeiten der äußeren Lage werde der Friede gewahrt bleiben. Er begrüße die Erneuerung der Türkei, der Rumänien durch alte Freundschaft verbunden sei, und hoffe, daß die neue Aera den Rumänen in der Türkei eine ge⸗ rechte Behandlung zubilligen werde. Zur Unabhängig⸗ keitserklärung Bulgariens übergehend, sagte der Redner, niemand werde im gegebenen Augenblick die Anerkennung der Unab⸗ hängigkeit Bulgariens wärmer unterstützen als Rumänien. Was die Annexion Bosniens und der Herzegowina betreffe, so be⸗ rühre sie kein direktes Interesse Rumäniens, aber niemand habe ein rößeres Interesse an der Aufrechterhaltung des status quo auf dem
lkan als Rumänien. Es werde auf Wahrung seiner In⸗ teressen und legitimen Rechte bedacht sein und mit Energie alle Bestrebungen zur Sicherung des Weltfriedens unterstützen. Der Minister besprach alsdann die Donaufrage, betonte die von Rumänien vorgenommenen Flußmeliorationen und sagte, niemand könne an die Möglichkeit denken, heute für die Donau ohne Rumäniens Teilnahme Bestimmungen zu treffen. Dies widerspräche der Würde Rumäniens und den gegebenen Verhältnissen. Mit Bezug auf die
Handelsvertragsverhandlungen mit Oesterreich⸗Ungarn
erklärte der Minister, daß die Kündigung des Handelsvertrages un⸗
jeitgemäß sein würde. EE“ v““ Terbien.
In einer am Freitag voriger Woche abgehaltenen ge⸗ heimen Sitzung der Skupschtina berichtete, „W. T. B.“ zu⸗ folge, der Minister des Aeußern Milovanovitsch über das Ergebnis seiner Besuche in Berlin, London, Paris und Rom.
Amerika.
Die Revolution in Venezuela ist ohne Blutvergießen beendigt worden. Wie das „Reutersche Bureau“ meldet, ist die Präsidentschaft von Gomez im ganzen Lande an⸗ erkannt worden. Sogar der General Celestino Castro, der Bruder des früheren Präsidenten und Chef des Departements Tachira, hat das Kommando über die Truppen abgegeben und alle Waffen mit Munition, über 6000 Gewehre und 3 Millionen 1“ ausgeliefert. Dies wird als entscheidend dafür ange⸗ ehen, daß der frühere Präsident Castro nicht mehr als Macht⸗ faktor gelten könne. Die Presse ist frei. Das Viehmonopol ist aufgehoben worden, die Grenzfrage mit Columbia geregelt und der Schiffsverkehr auf dem Zulia von und nach Columbia wiederhergestellt. Durch Erlaß der Regierung ist jetzt die Um⸗ ladung der Waren im Verkehr mit Trinidad zugelassen, die Schiffahrt auf dem Flusse Meta freigegeben und das Trans⸗ portmonopol für Sahz abgeschafft worden.
Der holländische Kreuzer „Gelderland“ ist am Freitag in Willemstad eingetroffen. Damit ist die niederländische Flottendemonstration förmlich beendet.
Nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ hat eine sehr einflußreiche Abordnung aus Vertretern aller Klaässen der Bevölkerung Bengalens, einschließlich von Vertretern der extremen Parteien, dem Vizekönig Earl of Minto eine Adresse überreicht, in der sie ihrer aufrichtigen Dank⸗ barkeit für die neuen Reformen Ausdruck gibt und ihre Unterstützung dem Vizekönig zusagt. Der Vizekönig hob in seiner Erwiderung den repräsentativen Charakter der Deputation sowie die Bedeutung ihrer Versicherungen hervor und sagte, er sehe die Möglichkeit vorher, daß das Reformwerk durch Aufrührer gestört werden könne, er rechne aber auf die Unter⸗ stützung der Bevölkerung.
Statistik und Volkswirtschaft.
Die Frequenz der deutschen Universitäten im Winter⸗ halbjahr 1908/09.
An den 21 Universitäten des Reichs befinden sich im laufenden Wintersemester 48 718 immatrikulierte Studierende, darunter 1077 weibliche, gegen 47 799 im letzten Sommer, 46 471 im Winter⸗ halbjahr 1907/08, 31 677 vor zehn, 28 551 vor zwanzig und erst 19 040 vor dreißig Jahren, im Winter 1878/79. Diese Entwicklung des Universitätsstudiums ist übrigens nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande (Frankreich hat zurzeit etwa 32 000, Oesterreick⸗ Ungarn 30 000, England und Italien je 25 0700 Universitätsstudenten) teilweise in ebenso starkem Maße, festzustellen. Außer den 48 718 immatrikulierten Studierenden haben in diesem Semester noch 3228 männliche und 1782 weibliche Personen als sogen. „Gastzuhörer“ die Erlaubnis zum Besuch von Universitätsvorlesungen erhalten, sodaß die Gesamtzahl der Berechtigten 53 728 derrägt, gegenüber 52 019 im letzten Sommer und 52 124 im Winter 1907/08. Von der derzeitigen eigentlichen Studentenzahl sind 24 950 an den 10 preußischen Uriversitäten eingeschrieben, gegen 23 335 im letzten Sommer und 23 308 im Winter 1907/08; an den 3 bayerischen be⸗ finden sich 8740 (8670 und 8383), an den 2 badischen 3807 (4644 und 3490) und an den übrigen 6 einzelstaatlichen Universitäten (ein⸗ schließlich der reichsländischen) 11 221 (11 150 und 10 795).
Wie die derzeitige Studenten ahl auf die einzelnen Fakul⸗ täten bezw. Studienfächer sich verteilt, und wie der Zugang zu den einzelnen Fächern neuestens sich gestaltet hat, zeigt die nachstehende Zusammenstellung. Es studieren zur Zeit: evangelische Theologie 2191 gegen 2321 im letzten Sommer, katholische Theologie 1670 gegen 1785, Rechtswissenschaft 11 379 gegen 11 760, Medizin 8558 gegen 8282, Zahnheilkunde 1054 gegen 979, Philosophie, Sprachen und Geschichte 12 232 gegen 12 277, Mathematik und Naturwissenschaften 6652 gegen 6710, Pharmazie 1566 gegen 1503, Staatswissenschenschaften einschließlich der Landwirtschaft 2172 gegen 1957, Forstwissenschaft 125 gegen 109, Tierheilkunde (nur in Gießen) 115 gegen 116. Darnach sind neuestens wieder zurückgegangen die Zahl der Theologen beider Konfessionen, ferner die der Juristen, die jetzt innerhalb von drei Jahren langsam um etwa 1000 abgenommen hat, sodann, allerdings geringfügig, die Zahl der Philologen und Historiker, die in den letzten Semestern beständig in die Höhe gegangen war und seit dem Winter 19057(6 eine Zunahme um 2250 aufweist, sowie die Zahl der Mathematik und Naturwissenschaften Studierenden, wogegen die Mediziner, deren Zunahme seit 1905/06 etwa 2500 be⸗ trägt, eine weitere Vermehrung erfahren haben, wie auch die Zahnärzte und die Kameralisten, deren Ziffern in den letzten Jahren ebenfalls be⸗ ständig gestiegen waren.
Im folgenden seien noch den heutigen Besuchszahlen der ein⸗ zelnen Universitäten, um die hinsichtlich der Reihenfolge der Hochschulen nach der Besuchsziffer binnen Jahresfrist ein⸗ getretenen Verschiebungen erkennen zu lassen, die entsprechen⸗ den Zahlen des Wintersemesters 1907,08 gegenübergestellt. Wie auch bis jetzt in den Sommerhalbjahren, steht die Universität Berlin an der Spitze mit 8641 immatrikulierten Stu⸗ dierenden (gegen 8220 im Vorjahr); dann folgt München mit 6304 (5943), Leipzig zählt 4418 (4341), Bonn 3282 (3209), Breslau 2248 (2071), Halle 2158 (2237), Göttingen 2054 (1857), Freiburg 1966 (1814), Straßburg 1856 (1709), 1841 (1676), Marburg 1750 (1670), Münster 1737 (1606), übingen 1647 (1578), Jena 1419 (1375), Würzburg 1346 (1382), Gießen 1196 (1144), Kiel 1191 (1025), Erlangen 1090 (1058), Greifs⸗ wald 786 (803), Rostock 685 (648). Demnach hat jetzt Breslau die 5. Stufe inne, aus der es Halle verdrängte; Jena stieg von der 15. auf die 14. Stelle und überflügelte Würzburg; Erlangen sank von der 18. auf die 19. Stufe, verdrängt von Kiel. Die Besuchsziffer ging zurück in Berlin, Halle, Greifswald, Würzburg und Erlangen, während alle übrigen Universitäten eine Besuchssteigerung zu ver⸗ jeichnen haben.
Zur Arbeiterbewegung. G
In Mannheim ist, wie die „Köln. Ztg.“ berichtet, in einem am 23. d. M. zwischen dem Oberbürgermeister Martin und den Metall⸗ industriellen gepflogenen Besprechung als gemeinsame Ansicht fest⸗ elegt worden, daß in dem Augenblick, wo der Verband der
etallindustriellen die ; Mitteilung von der Beendi⸗ gung des Ausstands auf dem trebelwerk erhält, die Ar⸗ beit den vereinbarten Bestimmungen gemäß wieder auf⸗ genommen werden kann. Die Kündigung der Verbandswerke wird zurückgenommen. Der Deutsche Metallarbeiter⸗ verband erließ durch Flugblatt eine Erklärung der Gründe die die Leitung zur Aufhebung des Ausstands bei dem Strebelwert und zur Entziehung der Streikgelder veranlaßt haben, und teilt mit,