1909 / 105 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 05 May 1909 18:00:01 GMT) scan diff

Großhandelgpreise von Getreide an dentschen und fremden . Börsenplätzen

für die Woche vom 26. April bis 1. Mai 1909 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. 1000 kg in Mark.

(Preise für greifbare Ware, soweit nicht etwas anderes bemerkt.)

Da⸗ egen or⸗ woche

179,00 247,33 8 180,33

Moanheim. 8

1 älzer, russischer, amerik., rumän., mittel

Hafer, Mige⸗ vere 1I11“

7 er, 0 0 60 20 0 2. 2

Gerfte veesc. 28 .“ Wien.

Fhe Boden 1 2 2— 2 slo

Berlin. Fefhen guter, gesunder, mindestens s: 2„ 9

Hafer,

188,75 268,75 189,37 193,75 147,50

177,42 266,14 162,92 . 172,31 . . 139,04

Budapest. Mittelware..

er 1..

166,85 248,56 155,08 151,83 129,31

Odessa. EEET das hl.. Weizen, Ulka, 75 bis 76 kg das hl

Riga. Roggen, 71 bis 72 kg das hl.. W 78 7

138,38 183,85

141,06 189,53

139,20 185,68

143,57 188,88

Paris.

Pegen lieferbare Ware des laufenden Monats ¼ 150,90

205,98

149.67 205,55

200,22 201,03 196,81

195,76 201,03

204,65 202,63 202,63

200,44 203,03

Kansas Nr. 2.

La Plata..

Kurrachee Eb eööööööö—”]

Amsterdam. Raacen—qSeipeseiburger.: Behen desö g. Winüer- Mais [E Plenischer s

London.

ess 888- (Mark Lane)

153,31 154 93 197,69 208,28 135,56 133,02

150,00 155,64 201,10 208,16 134,63 132,94

208,08 199,69

199,29 144,57 156,93

214,79 210,32

194,20 142,77

englisches Getreide, Mittelvac aus 196 Marktorten 6 158,81

(Gazette averages) Liverpool.

vegsce. e. zr

Manitoba Nr. 2 La Plata.. Kurrachee...

Australier 6

202,51 196,41

197,59 201,82 v 156,62 AZ“ amerikanische.

öEö1““

amerikan., bunt.. La Plata, gelber

Chicago.

205,11 205,11

202,98

207,21 152,44

138,14 145,55 152,24

138,14 146/49 150,60

188,74 169,30 . 157.39 kJe11¹“ 116,77

Neu YPork. roter Winter⸗ Nr. 2S. Mai

111“—

- Juli. September M

. alkl .

Buenos Aires. ee Durchschnittsware..

189,80 172,18 159,85 115,80

217,85 196,15 180,14 168,49 132,66

216,48 197,86 183,29 170,73 131,07

Lieferungsware

175,50 180,85 1 102,45] 106,91.

““

8 Bemerkungen.

1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Pro⸗ e = 504 Pfund engl. gerechnet; für die aus den Umse sen arktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Getreide (Gazette averages) ist 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfund engl. engesegt: 1 Bushel Weizen = 60, 1 Bushel Mais = 56 Pfund englisch. 1 Pfund englisch = 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen = 2400, Mais = 2000 kg.

Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im Nn8n er“ ermittelten wöchentlichen Durchschnittswechselkurse an der Berliner 180 zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, ür London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und

eu Iern die Kurse auf Neu York, dessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris, Antwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze. Preise in Buenos Aires unter Berücksichtigung der

Goldprämie. Berlin, den 5. Mai 1909.

Kaiserliches Statistisches Amt. 8 van der Borght.

(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

8 Aunuf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Besprechun der Fetervecehüc der Abgeordneten Albrcht⸗ und Brrchung betreffend gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse der von Arbeitgebern für die Arbeiter ihrer Betriebe er⸗ richteten Pensions⸗, Witwen⸗ und Waisenkassen.

Abg. Dr. Arendt (Rp.): In einer so ernsten Zeit, wo das deutsche Volk mit Spannung und banger Sorge auf den Reichstag blickt, beschäftigt sich das Haus schon den zweiten Tag mit einer Interpellation, von der selbst ihre Urheber ein praktisches Ergebnis nicht erwarten. Die darin angeregte Materie erforderte eine besondere Erörterung durch eine Interpellation nicht, auch nicht im Hinblick auf die demnaͤchst zu verabschiedende Witwen⸗ und Waisenversicherung. Mit abwägender Gerechtigkeit hat der Staatssekretär in diese Materie hineingeleuchtet, nur hatte ich die Empfindung, als odb er der Inter⸗ pellation doch beinahe eine Beachtung geschent „die sie sachlich nicht verdiente. Die Analogie der Knappschaftskassen ist ganz zu Unrecht herangezogen; diese beruhen auf Zwangsverpflichtungen, während die Werkskassen freiwillige Leistungen sind. Wuͤrde man hier eingreifen, so entstände die Gefahr, daß die Arbeitgeber diese Einrichtungen auf⸗ heben und die Leistungen einstellen. Vom sozialdemokratischen Stand⸗ punkte können diese Wohlfahrtseinrichtungen ja ihre Mängel haben. Aber bei welchen Einrichtungen finden sich solche Mängel und Härten nicht? Die Sozialdemokratie scheint es wirklich darauf anzulegen, den Arbeitgebern solche Wohlfahrtseinrichtungen zu verekeln. Wären bloß selbstsüchtige Zwecke bei den Arbeitgebern im Spiele, warum hat dann das Ausland nicht eben solche Wohlfahrts⸗ einrichtungen aufzuweisen? Gerade die Kruppsche Kasse, die schon 1858 errichtet wurde, konnte nicht den Zweck haben, das Koalitions⸗ recht einzuschränken, denn es bestand damals noch gar nicht. Welche ausländische Firma hat Aehnliches geleistet wie die Firma Krupp? Ihre Pensionskasse ist eine geradeiu mustergültige Einrichtung. Der Abg. Severing hat einen ganz unmotivierten Angriff auf meinen Freund, den Abg. von Dirksen, gerichtet, der eaiweefen hatte, daß die Kruppschen Arbeiter, deren Entlassung der 2213 Severing im vorigen Jahre er⸗ wähnte, wegen Diebstahls usw. entlassen seien. Diesen Ausspruch hat der Abg. Severing verallgemeinert und dadurch in sein Gegenteil ver⸗ kehrt. Die Fnge⸗ der eventuellen Zurückzahlung der Beiträge ist eine der allerbestrittensten. Ich habe den Eindruck, daß es auch ohne zwangsweises Eintreten leicht wäre, die am meisten hervortretenden Uebelstände zu beseitigen. 81 % der Arbeiter, die überhaupt von der Arbeit zurücktreten, treten im ersten Jahre zurück; darin liegt die Möglichkeit, ohne große Umwälzungen zu einer Besserung zu kommen. Man lasse die Arbeiter erst vom Beginn des zweiten Jahres beitreten oder erhebe doch das Eintrittsgeld erst im zweiten Jahre; dann werden viele Klagen wegfallen. Die Zurückzahlung der Beiträge hätte doch auch recht schwere Bedenken. Die Forderung der obligatorischen Zurückzahlung steht mit der sozialen Gesetz⸗ gebung in Widerspruch und ist ein Rückfall in den über⸗ wundenen Individualismus. Die Zurückzahlung kann gy⸗radezu eine Verführung für den Arbeiter werden, der im Besitze größerer Geldmittel sieht. Auch der Rück⸗ zahlung muß der Charakter der Freiwilligkeit gewahrt bleiben. Wenn die Kassen sich nicht fügen, wenn es zur Auflösung der Kassen kommt, was dann? Sollen die Arbeitgeber dann andere Einrichtungen, Prämien, Belohnungen usw. aussetzen, die die Arbeiter ganz ebenso an die Werke fesseln würden, ohne daß sie die geringsten Rechte hätten? In einem Falle zahlt ein Industrieller für jeden Arbeiter ein Sparkassenbuch ein, das er behält; nach einer be⸗ stimmten Dienstzeit händigt er es dem Arbeiter aus; derselbe Industrielle versichert das Leben seines Arbeiters, aber nur für die Zeit, wo er bei ihm beschäftigt ist. Solche Einrichtungen, bei denen der Arbeiter gar nicht mitzusprechen hat, würden an die Stelle der Kassen treten. Der Angriff des Abg. Severing auf die Teilpensionen, an denen sich die Werke, auch Krupp, bereichern sollen, ist ebenso unhaltbar. Der Abg. Severing hat dann auf zwei Arbeiter hingemsesen, die trotz langer Beschäftigung bei Krupp entlassen worden seien; der eine, ein⸗ verheirateter, soll die Zurückzahlung nicht erlangt haben, weil er Vertrauensmann der sozial⸗ demokratischen Partei gewesen sei; der andere, der ledige, habe sie er⸗ langt. Daß man einem sozialdemokratischen Agitator nicht noch eine freiwillige Gabe bei der Entlassung reicht, ist doch selbstverständlich; das würde auch die Sozialdemokratie nicht anders machen, auch bei ihr fliegen Angestellte aus ähnlichen Veranlassungen rücksichts⸗ und erbarmungslos aufs Pflaster. Auch hier zeigt sich, daß die Sozialdemokratie nur kritisieren, aber nicht bessern kann; sie gibt den Arbeitern statt des Brotes Steine. Das ist keine praktische Sozialpolitik, wenn man gegen Wohlfahrtseinrichtungen mit Zwangsmaßregeln vorgehen will. Die deutschen Unter⸗ nehmer werden sich nicht beirren lassen durch solche An⸗ feindungen und Nörgeleien; sie werden auf diesem Wege fortfahren und an ihrem Teile den sozialen Frieden damit fördern helfen. Auch die deutsche Arbeiterschaft wird mehr und mehr dahin kommen, sich eins zu fühlen in ihrem sozialen Empfinden mit den Arbeit⸗ 8822 zum Wohle des Vaterlandes und aller Klassen seiner Be⸗ völkerung.

Abg. Brejski (Pole): Die Pensionskassen müßten der Ver⸗ sicherungsgesetzgebung unterstellt werden, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen. Das gemeinsame Merkmal der oberschlesischen Pensionskassen ist, daß sie obligatorisch sind und die Eintritts⸗ und Monatsbeiträge sehr hoch sind, während die Arbeiter so gut wie nichts in die Ver⸗ waltung bineinzureden haben. Aus dem Fürstlich Hohenloheschen Werk wurden Arbeiter ausgesperrt, weil sie die Werkebeamten aus dem Kirchenvorstand herausgewählt und Arbeiter hineingewählt hatten. Arbeiter wurden entlassen, die 25 Jahre in dem Werke gedient hatten. Die Verhältnisse der Kruppschen Kasse sind durchaus nicht so ver⸗ lockend, wie es der Abg. Arendt dargestellt hat; die Bedingungen sind im Gegenteil ziemlich rigoros. Ein Arbeiter verliert z. B. seine Pension, wenn er durch eigenes Verschulden arbeitsunfähig geworden ist. Auch Trunksucht und unmoralischer Lebenswandel und die An⸗ nahme einer Arbeit, die mit einer Mark täglich entlohnt wird, sind Gründe der Entziehung der Pension. Dazu treten die sehr rigorosen Bestimmungen über sofortige Entlassungen, bei denen die Arbeiter ihre Pensionsansprüche verlieren. Dies geschieht z. B. wenn die Arbeiter zulassen, daß ihre Angehörigen zu Hause ein Gewerbe betreiben. Wenn die Behörden keine Möglichkeit haben, solchem Unfug entgegen⸗ zutreten, so muß die Gesetzgebung helfend eintreten. Die Ein⸗ behaltung der Beiträge ist widerrechtlich; das Rtsiko besteht lediglich auf Seite der Arbeiter, nicht des Werks; bricht es zusammen, und das ist in einem Falle in Oberschlesien geschehen, so verlieren die Arbeiter ihre sauer verdienten Groschen. Ein Gutsbesitzer, der seinen Arbeitern so viele unerfüllbare Bedingungen stellte, wie an die in⸗ dustriellen Arbeiter gestellt werden, würde keinen Arbeiter finden oder sie verlieren. Die Arbeiter lernen die Arbeitsordnung erst kennen, wenn sie in den Fabrikbetrieb eintreten. Solche Be⸗ stimmungen verstoßen gegen die guten Sitten, und es müßten die vollen Beinäge zurückgezahlt werden. Es ist keine neue Forderung, wenn wir eine Pensionskasse nach dem Muster der Knappschaftskassen wünschen. Die Arbeiter wollen gern Bei⸗ träge leisten, aber sie müssen die Sicherheit haben, daß sse auch in den Genuß der Per sion gelangen. Im Mansfeldischen, im Wahl⸗ kreise des Abg. Arendt, gibt es Unterstützungsvereine, in die die Arbeiter hineingelockt werden, obwohl diese Vereine sich die Be⸗ kämpfung der Gewerkschaften zur Aufgabe machen. Wollen Sie den sozialen Frieden wirklich fördern, dann geben Sie den Arbeitern eine sichere Stellung, wie sie die Beamten haben.

Abg. Behrens (mwirtsch. Vgg.): Wenn man in die Kruppschen Wohlfahrtseinrichtungen Einsicht nimmt, so muß man davon be⸗ geistert sein; die Kolonie Altenhof ist geradezu wunderschön. Zweifellos leistet die Firma mehr als manche andere Firma.

sich plötzlich

Die Arbeiter erkennen ohne weiteres an, daß solche nvicht wertvoll für sie sind; sie legen Wert 8 8 stützungskassen, Pensionskassen für sie eingerschtet So großartig aber diese Wohlfahrtseinrichtungen enatn ihnen doch manche ingel an, die zum Teil auch vom sekretär nicht bestritten worden sind. Es ginge aber zu weit,; klären, daß man auf diese Pensionskassen verzichtet; die Arbeiterschet wünscht aber, daß sie einen gesetzlichen Unterbau bekommen. hae Knappschaftsvereine sind ursprünglich von Arbeitern selbst geschafen worden, bis nach und nach der Gesetzgeber immer mehr und n eingrifnf. Warum sollen die Werkspenfzonskassen F auch so 8 und nach gesetzlich geregelt werden? Der Gesetzgeber hat saah beim Trucksystem eingegriffen und es glatt verbotm. 1 dem 6. März 1908 liegt der Gewerbeordnungskommission ein Antr vor, durch den die Sicherstellung der Arbeiterrechte bei den Pensionskassenwesen gefordert wird. Damit werden sich die Arbeik geber schon abfinden können. Es wird sich fragen, ob wir nicht die Pensionskassen demnächst mit der Reichsversicherungsordnung in Ein klang bringen müssen. Professor Ehrenberg bezeichnet in einem Grt⸗ achten die Kruppschen Versicherungsanstalten als auf unsicheren und wechselnden Einnahmen basiert. In der Tat, stände nicht ein so hohez Kapital dahinter, so müßte man die größten Bedenken gegen eine solche Einrichtung haben. Auch mit Rücksicht auf die Koalitiongfreiheit der Arbeiter empfiehlt sich eine gesetzliche Regelung der Materze Es handelt sich hier um das große Problem, daß der vierte Stand als gleichwertiger vertragschließender Faktor mitwirken will. verden bn nnbin hier 8 85 S. zu tun und das erkspensionskassenwesen so zu ordnen, wie es mit den Kn. ffts. üen gicher 8 appschafts g. Hengsba oz.): Für die versteckte Arbeiterfeindli besonders bei Krupp sind bereits im vorigen Jahre vom lnfe 288 und mir Beweise dargebracht. Von dem damaligen Redefluß des Abg. von Dirksen haben wir heute nichts, nicht einmal ein murmelndes Bächlein gehört. Wenn der Abg. Dr. Arendt meint, es glaube niemand mehr an den Zukunftsstaat, so verstehe ich nicht, warum er noch heute in einem Artikel wie ein Schloßhund heult, daß der Reichskanzler den Reichstag nicht auflösen möge, weil sonst die Sozialdemokratie mit 100 Mandaten einziehen werde. Wenn Sie eine Arbeiterversammlung einberufen wollten mit der Tages⸗ ordnung: Ist die Pensionskasse der Firma Krupp eine Wohlfahrtz⸗

einrichtung?, so würden Ihnen die Arbeiter eine solche Menge Material beibringen, daß der Staatssekretär die Notwendi keit 8

Aenderung einsehen müßte. Das Statut von 1884 ist durch 5 Nach⸗ träge abgeändert, die bedeutsam sind. In 22 ¾ Jahren haben rund 4000 Personen Pension bezogen, das sind noch nicht 2 % der durch⸗ schnittlichen Arbeiterschaft, bei einem Betriebswechsel von zikn 200 000 Arbeitern. Die Unzufriedenheit weil die Arbeiter sehen, daß nur einige wenige, Rücken machen, die Kompottschüssel auslöffeln. Um Ethtk und soziale Fürsorge scheren sich die Unternehmer den Teufel. Der Kollege Osann hat am vorigen Donnerstag durch seinen Aus. spruch, daß auch die Gewerkschaften gegenüber freiwilltg ausgetretenen oder gegenüber ausgeschlossenen Mitgliedern ebenso wie diese Kassen⸗ vorstände verfahren, nur bewiesen, daß er die Gewerkschaften und ihre Einrichtungen nicht kennt oder nicht kennen will. Der Gewerkschafts⸗ beitrag ist eben eine wirkliche Versicherungsprämie; jener Vergleich, den übrigens auch der Abg. Dr. Arendt aufnahm, ist also gänzlich hin⸗ fällig. Allerdings hat dazu, gegen Krupp gerichtlich vorzugehen, ein gewisser Mut gehört, aber meine politischen Freunde unter den Krupp⸗ schen Arbeitern haben diesen Kampf von jeher aufgenommen, und es waren gerade die Freunde des Abg. Giesberts, die sie in diesem Kampf im Stiche ließen. Die Meinung des Kollegen Behrens, daß die Abhilfe auf dem Boden der Gewerbeordnung erfolgen könne, teilen wir nicht; sie muß so gestaltet werden, wie es von dem Inter⸗ pellanten Severing skinziert worden ist.

„Abg. Werner (D. Rfp.): Es ist doch in den letzten Jahren seitens der Arbeitgeberschaft für die Arbeiter außerordentlich viel auf dem Gebiete der Wohlfahrtseinrichtungen geschehen, und das sollte doch von allen Seiten anerkannt werden. Wir sind durchaus dafür, daß diese Einrichtungen beibehalten werden, wünschen aber ebenfalls, daß ihnen eine gewisse gesetzliche Grundlage gegeben wird, besondert daß die Rückerstattung der Beiträge für die Ausscheidenden sicher⸗ gestellt wird. Daß die Kassen dem nackten Egoismus der Unter⸗ nehmer entsprossen sind, wird man niemals allgemein beweisen können; dem alten Krupp kann so etwas nicht untergeschoben werden. Es mag ja solche egoistischen Unternehmer geben; aber in diesen Sinne ist Egoismus etwas immerhin Berechtigtes, denn jeder Arbeit⸗ geber hat ein großes und berechtigtes Interesse daran, daß de Arbeiter möglichst lange in seinem Betriebe bleiben. Den Ruf: For⸗ mit diesen Kassen! sollten aber auch die Arbeiter nicht erschallen assen.

Abg. Hue (Soz.): Der Vorwurf, daß unsere Interpellation keine aktuelle Veranlassung hatte, ist durch die Debatte selbst wider⸗ legt. Tatsächlich hat die Regierung in den 6 Jahren, seitdem diese Frage hier zur Sprache gebracht worden ist, nichts, aber auc gar nichts getan; und seit einem Jahre, seit ihrer letzten Er⸗ klärung, warteten wir vergeblich auf eine Aeußerung. mußten wir wohl, nachdem die Reichsversicherungsordnung an⸗ gekündigt worden war, den Versuch machen, die Regierung arf diesem Wege vor Toresschluß des Reichstages zum Sprechen zu bringen. Die Reichsversicherungsordnung enthält von dieser so brennenden Reformfrage abermals nichts; auch sie will das alte Unrecht nicht beseitigen. Der Staatssekretär führte bei seiner Dar⸗ stellung der Entstehungsgeschichte dieser Werkskassen aus, daß sie von fortgeschrittenen, einsichtigen Unternehmern ins Leben gerufen seien, an deren Leistungen unsere deutsche Sozialreform überhaupt an⸗ geknüpft habe. Diese Darstellung ist falsch, und man sollte eigentlich von dem Steaatssekretär für Sozialpolitik erwarten, daß e hierüber unterrichteter wäre. Nicht Unternehmer, sondern genossen⸗ schaftlich vereinigte Hütten⸗ und Bergarbeiter sind es gewesen, dir in den Bruderladen usw. schon vor Jahrhunderten die ersten Anfänge einer Arbeiterversicherung schufen; auch enthielten die ersten An⸗ fänge unserer sozialen Versicherungs⸗ und Unterstützungskasser noch keine Unternehmerbeiträge, und als diese kamen, wurden sie als die Gegenleistung für die Ausbeutung der nationalen Bodenschätze angesehen, die den Unternehmern zuͤgestanden war⸗ Diese freien Schöpfungen der Arbeiter haben sich nachher freilich starke Modifikationen gefallen lassen müssen. Die Gegengründe des Ministers gegen zwangsweise Eingriffe klangen sehr lebhaft an die alte längst überwundene manchesterliche Theorie an; in der amtl Denkschrift über die Reformbedürftigkeit der Knappschaftskassen is der Staatssekretär mit seinen Ausführungen Punkt für Punkt wider, legt. Frei die Verbältnisse sich weiter entwickeln lassen, heißt das bestehend⸗ Unrecht verewigen. Die Arbeitgeberzeitung hat schon 1904 mit dürren Worten geschrieben, daß überall, wo für die Arbeitgeber aus solchen Wohlfahrtseinrichtungen kein Vorteil sich er⸗ gibt, auch deren Schaffung nicht herbeigeführt wird. Wie kann man also die Dinge so falsch auffassen wie der Staatbsekretär? Wir leben doch nicht in Wolkenkuckuckeheim. Von dem Unternehmerabsolutismus, und wäre er noch so aufgeklärt, will der moderne Arbeiter nichts me wissen. Derselbe Staatssekretär, der uns so schön von der Frei der Entwicklung dieser Einrichtung der Unternehmer zu erza 4 wußte, hat uns eine Reichsversicherungsordnung vorgeleg⸗ die, wenn sie angenommen wird, die Vernichtung der Fri⸗ heit der Ortskrankenkassen und den Uebergang der Gewalt über in die Hände der Unternehmer bedeutet. Man hat von der Steige rung der sozialen Lasten und von den guten Verhältnissen 5 Arbeiter gesprochen; man hat auf die Stimmen der qahristlich⸗ sozjalen Arbeiter hingewiesen. Aber auch diese warten nicht . duldig, bis die Regierung ihre milde Hand auftun ven draußen klingts bei ihnen ganz anders. Ein Artikel der Gen mania, herrührend von einem solchen Arbeiterführer, ha v. einer Betrachtung über den Zusammenhang zwischen Rei - finanzreform und Reichssozialpoliik eine äußerst schah Sprache geführt. Wie sieht es mit dem Hüttenarbeiterschu,

die einen krummen

ist deswegen so groß,

1 Professors Kohler

mit dem Schutz der Arbeiter in den Walzwerken usw. aus? Die ergangene Bundesratsverordnung ist eine Verhöhnung des Reichs⸗ tages. (Präsident Graf zu Stolberg: Sie haben gesagt, der Bundesrat hätte den Reichstag verhöhnt; ich rufe Sie dafür zur Ordnung!) Ich habe gesagt, die Bundesratsverordnung sei eine Verhöhnung des Reichstages. (Präsident: Das ist dasselbe.) Es bleibt dabei: die Regierung geht nur dann auf sozialpolitischem Ge⸗ Uhn⸗ wenn es sich um die Interessen der Großunternehmer ndelt.

Staatssekretär des Innern Dr. von Bethmann Hollweg: Meine Herren! Der Herr Abg. Hue hat soeben in seiner temperamentvollen Weise über eine Menge von Dingen gesprochen, welche mit dem Gegenstande der Interpellation nicht unmittelbar zusammenhängen. (Sehr richtig! rechts.) Ich gehe auf seine Aus⸗ führungen zur Reichsversicherungsordnung, zur Reschsfinanzreform, zum Block, zur Auflösung des Reichstags, und ich weiß nicht was alles⸗ selbstverständlich nicht ein, sondern halte mich enger an den Gegenstand.

Im Eingang seiner Ausführungen hat sich der Herr Abg. Hue in ziemlicher Breite über die Entstehung unserer sozialpolitischen Gesetzgebung ausgelassen und hat mit einer Sicherheit, um die ich ihn beinahe beneide, dekretiert, daß alles, was ich gesagt hätte, falsch sei, und daß nur er das richtige vorbringe. Ich habe gesagt, meine Herren, daß unsere sozialpolitische Gesetzgebung angeknüpft habe an private Wohlfahrtseinrichtungen, sei es der Arbeit⸗ geber, sei es der Arbeitgeber in Gemeinschaft mit Arbeitnehmern. Ich will dem Herrn Abg. Hue gern recht geben, ich hätte noch hinzu⸗ fügen können: sei es auch der Arbeiter allein. Aber, meine Herren, nun zu behaupten, daß diese meine Bemerkung über den Zusammen⸗ hang der sozialpolitischen Gesetzgebung mit privaten Wohlfahrts⸗ einrichtungen, als deren Begründer ich auch Arbester genannt habe, falsch sei wozu diese Uebertrelbung? Damit wird nichts bewlesen.

Der Herr Abg. Hue hat des weiteren in kritischer Weise be⸗ mängelt, daß ich von einem ethischen Gehalt der privaten Wohl⸗ fahrtseinrichtungen gesprochen habe. Er hat dabei einigermaßen ver⸗

choben, was ich gesagt habe. Ich habe als den Gehalt der Pensions⸗ assen bezeichnet: sozialpolitische Wohlfahrtszwecke und wirtschaftliche wecke der Arbeitgeber. Ich habe dabei von ethischem Gehalt nicht esprochen. Was ich als ethischen Gehalt bezeichnet habe, ist folgendes gewesen. Ich habe gesagt: die Arbeitgeber ziehen zu den Pensions⸗ kassen auch die Arbeiter heran. Ich habe angeknüpft an Bemerkungen über die wirtschaftliche Bedeutung dieser Arbeiterbeiträge, und habe dann gesagt, daß die rein wirtschaftliche Beurteilung dieser Beiträge nicht ausreiche, sondern daß die Form der eranziehung der Arbeiter zu Beiträgen von den Arbeitgebern auch zu dem ethischen Zweck gewählt sei, um die Arbeiter mit als Träger er Wohlfahrtseinrichtung erscheinen zu lassen. Das ist ein ganz anderer Sinn, als ihn Herr Hue in meinen Worten gefunden hat. Aber meine Herren, ich will nicht mit dem Herrn Abg. Hue weiter polemisieren. Damit fördern wir die Sacke an sich nicht. Und och habe ich den Eindruck, daß die Besprechung der Angelegen⸗ heit zu ihrer praktischen Klärung mit beigetragen hat.

Ich habe als das Ergebnis meiner Ausführungen neulich hingestellt,

daß ich die Möglichkeit, auf gesetzlichem Wege Normativbestimmungen ür die Pensionskassen vorzuschreiben, verneint habe, weil ich die Be⸗ ürchtung ausdrücken mußte, daß eine solche zwangsweise Reglemen⸗ jerung, solange die Pensionskassen freiwillige Einrichtungen sind, hren Bestand gefährden könnte. Nun doch noch ein Wort der Polemik gegenüber dem Herrn Abg⸗⸗ Hue. Herr Hue hat meine Ansicht damit von der Hand weisen zu önnen geglaubt, daß er sie als ödes Manchestertum bezeichnet hat. (Zuruf des Abg. Hue: Anklang an Manchestertum!) Nun, dann als Anklang an das Manchestertum. Mit solchen Schlagworten kann man nicht diskutieren. Es ist das nicht Manchestertum, sondern es st das Ergebnis einer nüchternen und praktischen Prüfung, und wie ch aus Reden anderer Herren des Hauses gesehen habe, sind auch sese zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Dann hat aber der Herr Abg. Hue meine Ansicht namentlich in der Form bekämpft, daß er emeint hat, man sei ja doch bei den Knavppschaftskassen zu einer esetzlichen Regelung gelangt, warum. wolle man das gleiche nicht auch ei den Pensionskassen tun? Es hat mich, offen gestanden, gewundert, wie Herr Hue den Unterschied zwischen den Knappschaftskassen und een Penstonskassen übersehen konnte. Die Knappschaften sind seit em Jahre 1854 in Preußen obligatorische Zwangseinrichtungen. des Abg. Hue: Sie waren es aber einmal nicht!) 8 : seit dem Jahre 1854. Ich bitte Sie, Herr Abg. Hue, unterbrechen Sie mich nicht in dieser Weise, wir kommen damit nicht Im Jahre 1854 sind sie zu Zwangseinrichtungen gemacht worden, und da ist es selbstverständlich, daß, wenn Kassen als obliga⸗ orische Einrichtungen vorgeschrieben sind, die Gesetzgebung sie zu regeln hat. Hier aber handelt es sich um freiwillige Einrichtungen und gerade darauf habe ich das Gewicht gelegt, daß ich gesagt habe, wenn man anfangen wolle, freiwillige Einrichtungen zwangsweise zu regeln, dann gefährde man ihren Bestand —, oder, worauf der Herr Abg. Cuno mit vollem Recht hingewiesen hat, vielleicht gefährdet man nicht ihren Bestand, aber die Arbeitgeber machen es anders. Sie verzichten darauf, Beiträge von ihren Arbeitern zu erheben, stellen hnen Pensionierungen nach einer bestimmten Dienstzeit in Aussicht und sind dann sehr viel freier gestellt als bei den Pensionskassen. Sie, meine Herren, würden dann an solchen Einrichtungen mit genau demselben Grunde bemängeln können, daß sie die Freizügigkeit und as Koalitionsrecht der Arbeiter einzuschränken in der Lage selen. In Ihrem Sinne würde die Sache nicht gebessert, sondern verschlim mert werden. Nun habe ich am vorigen Donnerstag die Unmöglichkeit des gesetzlichen Zwanges an zwei vorgeschlagenen Reformmaßregeln auseinandergesetzt, an der Rückzahlung der Beiträge und an der Möglichkeit der Weiterversicherung von Arbeitern, die aus dem Werk ausggeschieden sind. Im Verlauf er Diskussion sind noch andere Vorschläge gemacht worden, über die ch mir wenige Worte erlauben möchte. Der Herr Abg. Giesberts hat gemeint, daß ein sehr erheblicher Teil der vorliegenden Beschwerden beseitigt würde, wenn der Arbeiter rst nach Verlauf des ersten Dienstjahres gezwungen würde, der Pensionskasse beizutreten. Auch meines Wissens gibt es tatsächlich Kassen, welche eine solche Bestimmung in ihre Statuten aufgenommen haben. Eine solche Bestimmung mag sich gewiß in einzelnen Fällen durchaus bewähren, und ich bin weit davon entfernt, über ihre Zweckmäßig⸗ keit prinzipiell aburteilen zu wollen. Aber hier würde es sich doch wieder darum handeln: soll man eine solche Bestimmung gesetzlich vorschreiber

für alle Kassen? Meine Herren, was würde die Folge sein? Wenn

sich tatsächlich so zahlreiche Beschwerden der Arbeiter auf die Beitrags⸗

pflicht im ersten Dienstjahre gründen, dann müssen also die Pensions⸗

kassen sehr viele Mitglieder haben, welche im Laufe des ersten Jahres

ausscheiden. Von diesen Arbeitern wird also sowohl für ihren Teil,

als auch vom Werke für den Anteil der Arbeiter eine große Summe

Geldes zur Kasse eingezahlt. Streichen Sie diese Beiträge weg, was

ist die Folge? Entweder die Pensionen müssen sinken oder die Bei⸗

träge müssen erhöht werden (sehr richtig! rechts), und in beiden

Fällen leiden doch schließlich die Arbeiter. (Sehr richtig! rechts.)

Oder Sie müßten denn wollen, daß dieses Manko ganz

allein vom Werke getragen wird. Ja, eine Herren, vielleicht

besteht der Wunsch, daß das Werk dieses Defisit allein

übernehmen möge; aber glauben Sie wirklich, daß Sie

den Bestand der Pensionskassen sichern, wenn sie dem Werke zwangs⸗ weise noch dieses Defizit auferlegen? (Zuruf bei den Soztaldemokraten:

Das ist bei den Knappschaftskassen auch der Fall) Kommen Sie doch nicht immer wieder mit den Knappschaftskassen. Das sind zwangsweise Einrichtungen, und hier handelt es sich um freiwillige. Wenn Sie immer wieder diese Uaterscheidung verwischen, können wir uns niemals verständigen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten.)

Nun, meine Herren, möchte ich aber zu dem Gedanken, daß man die Arbeiter mit nur einjähriger Dienstzeit von Beiträgen befreit, noch folgendes sagen. Ich kann mich nicht davon überzeugen, daß eine so große Ungerechtigkeit darin liegen soll, gerade die Arbeiter, die schon im Laufe des ersten Jahres aus der Beschäftigung ausscheiden, zu Beiträgen heranzuziehen. Es liegt im Wesen jeder Versicherung, daß sie mit einer ganzen Anzahl von Mitgliedern rechnen muß, bei denen die Wahrscheinlichkeit von vornherein besteht, daß sie niemals zum Genuß der versicherten Leistungen kommen werden. Hier nun sollen zu Gunsten der älteren, der ständigen, der seßhaften Arbeiter diejenigen Arbeiter im, ersten Dienstjahre Beiträge zahlen, die jedenfamlls in ihrer großen Gesamtheit zu den jüngeren Arbeitern gehören, die noch nicht Weib und Kind haben, die überhaupt noch gar nicht die Absicht haben, sich eine feste Heimat, einen festen Wohnsitz zu gründen, sondern welche die Chancen des Lebens erst ausproben wollen. Gewiß werden auch in diesen Fällen, bei diesen einjährigen Beiträgen Härten vorkommen. Das leugne ich gar nicht, meine Herren; ich kann aber nicht zugeben, daß die Heranziehung dieser Arbeiter zu Beiträgen eine solche soziale Ungerechtigkeit darstellte, daß nun die Gesetzgebung diese Mißstände sofort zu beseitigen hätte.

Meine Herren, die Unmöglichkeit des gesetzlichen Eingreifens ist mir aber besonders klar geworden bei den Forderungen, die der Herr Abg. Severing für die Reform des Pensionskassenwesens gestellt hat. Ich will sie nicht alle einzeln durchgehen, ich will nur eins hervor⸗ heben. Der Herr Abg. Severing fordert, es möge gesetzlich vor⸗ geschrieben werden, daß die Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge zu leisten hätten, und im gleichen Atem verlangt er, daß die Ver⸗ waltung der Pensionskassen im Regelfall allein den Arbeitern zustehen soll, und daß, wo die Statuten eine Mitwirkung der Arbeitgeber vorsehen, im Falle des Dissensus jedenfalls die Stimme der Arbeiter den Aus⸗ schlag gibt. (Hört, hört! und Lachen rechts, Zuruf bei den Sonial⸗ demokraten.) Ja, meine Herren, wenn man das verlangt, man kann es ja tun, aber man soll sich nicht der Hoffnung hingeben, daß dieses Verlangen erfüllt wird (sehr richtig! rechts), und man soll nicht er⸗ warten, daß und darauf kommt es hier an die Arbeitgeber ge⸗ neigt sein werden, solche Pensionskassen, bei denen sie selbst nichts mehr zu sagen haben, freiwillig fortzuführen. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, will man gesetzlich eingreifen, und will man Forderungen, wie sie die Herren Interpellanten aufgestellt haben, tat⸗ sächlich durchführen, dann soll man offen mit der Sprache herausrücken und soll sagen: wir verlangen, daß die Pensionskassen zu einer obliga⸗ torischen Einrichtung gemacht werden. Sobald man das tut, gewiß, meine Herren, dann bin ich nicht nur bereit, sondern dann muß ich die Sache auch gesetzlich regeln.

Auch diejenigen von den Herren Vorrednern, welche in ihren Forderungen nicht so weit gehen wie die Herren Soztaldemokraten, haben als das Endziel der Entwicklung gleichfalls obligatorische Pensionskassen im Auge. So hat der Herr Abgeordnete Cuno seine Rede dahin enden lassen, daß er sagte, es müsse dahin gestrebt werden, daß auch für die großindustriellen Arbeitsverhältnisse der schweren Eisenindustrie allmählich aus den einzelnen Ansätzen der privaten Pensionskassen einzelner Werke durch gesetzlichen Zwang eine erweiterte Arbeiterfürsorge entsteht, die über den allgemeinen Rahmen der Invaliditäts⸗ und Altersversicherung hinausgeht. Diese selbe Perspektive hat als Endglied der Entwicklung, wie mir scheint, auch dem Herrn Abgeordneten Giesberts und dem Herrn Abgeordneten Behrens vor⸗ geschwebt.

Nun, meine Herren, habe ich neulich und heute wieder auf den Zusammenhang hingewiesen, den ich zwischen den privaten Wohl⸗ fahrtseinrichtungen und unserer sozialpolitischen Gesetzgebung erblicke. Aber ich habe auch bei einer anderen Gelegenheit schon ausgesprochen, daß ich es für grundfalsch und für sehr gefährlich halte, in eine gesetz⸗ geberische Erörterung über soztalpolitische Probleme einzutreten, von denen man überhaupt nicht weiß, ob und wie sie sich in Zukunft lösen lassen werden, von denen man aber mit Bestimmtheit weiß, daß sie im gegenwärtigen Moment nicht gelöst werden können.

Wir sind dabei, meine Herren, die Hinterbliebenenversicherung einzuführen. Der Entwurf der Reichsversicherungsordnung schlägt weiter vor, die Krankenversicherungspflicht auszudehnen. Wir beraten seit Jahren in einem akuten Stadium über die Einführung einer Privatbeamtenversicherung. Die Durchführung aller dieser Aufgaben wird nicht nur der Gesetzgebung, sondern auch allen an diesen Fragen Beteiligten große Arbeit verursachen und die sozialpolitischen Lasten in sehr erheblichem Maße steigern. (Sehr wahr! rechts.) Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß wir in demselben Moment wiederum und, sei es auch nur einem einzelnen Industriezweige, eine neue Zusatzversicherung zwangsweise auch nur in Aussicht stellen. (Sehr richtig! rechts.) Tun wir das, so erwecken wir auf der einen Seite nicht realisierbare Hoffnungen, die sehr bald in Forderungen auswachsen (sehr richtig! rechts), und auf der anderen Seite erregen wir eine Beunruhigung, die mit Recht zurückgewiesen wird. (Sehr wahr! rechts.) Auf diesen Weg wird die Reichsverwaltung nicht treten. (Bravo! rechts. Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.)

Erkennt man, meine Herren, daß wir nicht in der Lage sind,

Pensionskassen in Zwan ten umzu

gibt man weiter zu, daß die zwangsweise Reglementierung de Pensionskassen deren Bestand gefährden oder, weil die Arbeitgebe zu anderen Auskunftsmitteln greifen würden, nicht

Ziele führen würde, dann sollte man auch davon abstehen bei den Arbeitern die Anschauung zu unterhalten, als ob die Beschwerden, die sie über die Pensionskassen gegenwärtig haben, mögen sie auch teilweise das habe ich schon am vorigen Donnerstag ausgeführt zutreffen, ohne weiteres abgestellt werden könnten, wenn nur die böse Reichsverwaltung, der böse Bundesrat es wollte. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe wahrhaftig, meine Herren, weder neulich noch heute Schwierigkeiten anzuhäufen versucht; aber gegenüber de großen Zahl von Anträgen und Anregungen, welche der Reichsta alljährlich der Reichsverwaltung gibt, um soziale Mißstände des Lebens auf dem Wege der Gesetzgebung zu beseitigen, haben wir die dringende Pflicht, in eine ernste und gewissenhafte Prüfung darüber einzutreten, ob es möglich ist, diesen Weg zu betreten. (Sehr richtig! rechts.) Hätten wir das nicht getan gegenüber den mancherlei An⸗ regungen, die in der besten Absicht an uns gekommen sind, meine Herren, wo würden wir uns dann gegenwärtig befinden!

Meine Herren, ich bin aber bei meinen Ausführungen und das möchte ich doch auch den Herrn Abg. Hue zu bedenken bitten durchaus nicht bei der Negative stehen geblieben. Der Herr Abg. Hue hat gemeint: seit Jahren klagen wir, Sie müssen wissen, daß die Arbeiter sich beschweren usw., aber nichts geschieht, und auch jetzt bei der Reichsversicherungsordnung geschieht nichts! Meine Herren, bei der Reichsversicherungsordnung! Ich weiß nicht, wie in der Reichs⸗ versicherungsordnung das Pensionskassenwesen geregelt werden sollte. (Sehr richtig! rechts) Man könnte ja sagen der Herr Abg. Hue hat den Gedanken gebracht —, man solle in der Reichsversicherungs⸗ ordnung vorschreiben, daß die Hinterbliebenenrenten und die sonstigen Renten, die die Reichsversicherung gewährt, nicht Anrechnung finden dürfen auf Privatkassen. Die Reichsversicherungsordnung wird dafür sorgen, daß den Arbeitern unter allen Umständen ohne Abnig gewährt wird, was ihnen auf Grund des Reichsgesetzes zusteht.

Aber, meine Herren, schon am vorigen Donnerstag habe ich deutlich genug ausgeführt, daß die berufenen Behörden, in erster Linie das Aufsichtsamt sür Privatversicherung, sich mit der Sache nicht nur theoretisch beschäfligen, sondern auch praktisch eingreifen. Ich habe die Hoffnung ausgedrückt, daß sich allmählich, nicht nur im Reich, sondern auch in den Bundesstaaten, eine Praxis entwickeln wird, die uns im Wege der Verhandlung mit den Arbeitgebern unter Berück⸗ sichtigung der individuellen Verhältnisse vorwärts bringen kann. Das ist etwas Positives, und man soll weder von der Gesetzgebung alles erwarten, noch auch übersehen, was neben der Gesetzgebung geschieht.

Dazu kommt, daß die praktische Entwicklung bereits dahin ge⸗ geführt, daß eine große Anzahl von Kassen verschiedene der hier vor⸗ gebrachten Reformgedanken tatsächlich bald in der einen, bald in der andern Gestaltung durchgeführt haben. Es werden Beiträge zurück⸗ erstattet, die Arbeiter können sich weiter versichern, sie werden be⸗ teiligt an der Verwaltung der Kassen usw. Noch heute früh habe ich in der letzten Nummer des „Arbeiterfreundes“ einen interessanten Artikel gelesen, welcher Auskunft gibt über derartige Bildungen ich will hier auf die Einzelheiten nicht eingehen —, und dann hat neulich, durchaus zutreffend, der Herr Abg. Cuno auch an Bestrebungen er⸗ innert, die bei den Kommunen in dieser Beliehung rege sind, und der Herr Abg. Cuno wird mir darin Recht geben, daß derartige kommunale Bestrebungen im allgemeinen auf dem Boden der Frei⸗ willigkeit besser gedeihen, als auf dem Boden des Zwanges. (Sehr richtig! links.)

Und endlich, meine Herren, sollten Sie auch nicht unterschätzen, welche Einwirkung eine Besprechung derartiger Fragen hier im Reichstage hat und haben muß. Nachdem die Besprechung in so ruhiger und sachlicher Weise in diesen Tagen, vielleicht mit Ausnahme einiger besonders lebhafter Ausführungen des Herrn Abg. Hue, erfolgt ist, habe ich die Zuversicht, daß die Angelegenheit dadurch in nach⸗ haltiger Weise gefördert worden ist. Sie wird auch weiterhin bei den Arbeitgebern dann am besten gefördert werden, wenn man bei Er⸗ örterung von Reformvorschlägen die wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten im Auge behält und den Arbeitgebern nicht unmögliche und ungerechtfertigte Forderungen stellt. (Sehr richtig! rechts.) Und so, meine Herren, habe ich die Hoffnung, daß, obwohl ich Ihnen meine Bedenken und meine Zweifel an der Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung habe auseinandersetzen müssen, doch auch die jetzige Be⸗ sprechung der Angelegenheit der Sache dienlich und fördersam sein wird. (Lebhaftes Bravol rechts.)

Abg. Severing (Soz.): Ich habe gar nicht das gefordert, was der Staatssekretär soeben als unmöglich und ungerecht erklärt hat. Ich habe möglichste Selbstverwaltung der Kassen gefordert in den Fällen, wo die Arbeitgeber nicht die gleichen Beiträge leisten. Die Arbeitgeber leisten zu den Werkspensionskassen kein Eintrittsgeld; in einzelnen dieser Kassen, z. B. bei Krupp, werden in einem Jahre allein an Eintrittsgeldern von den Arbeitern 4000 gezahlt. Da müssen doch die Arbeiter ein Mitbestimmungzrecht haben. 6u“

Damit schließt die Besprechung. 8

Schluß nach 6 ¼ Uhr. Nächste Sitzun 3 Phach (dgca h chencschs 88 Haftung Reichs für seine Beamten; dritte Lesung der Justizgesetz⸗ novellen; zweite Lesung der Vorlage wegen Abwehr und 8 Unterdrückung von Viehseuchen.)

8 1

1u““ Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 79. Sitzung vom 4. Mai 1909, Mittags 12 Uhr.

(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) 8

Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten, und zwar zunächst die Ver⸗ handlung über das Kapitel der höheren ehranstalten, fort.

Auf die Ausführungen des Abg. Eickhoff (fr. Volksp.), über die in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, erwidert

Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat Dr. Köpke: Nach der Gleichstellung der drei Arten der höheren Lehranstalten und nach der damit verbundenen Aenderung der Vorschriften über die Zulassung zum akademischen Studium bat sich

der Besuch der Realanstalten sehr gesteigert; die Zahl der Real⸗ ist von 97 auf 163, die der lateinlosen von 175 auf 246

andeln

stiegen. Während die Gesamtzahl der höheren Lehranstalten um

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