1909 / 141 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 18 Jun 1909 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 263. Sitzung vom 17. Juni 1909, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der ersten Beratung der Gesetzentwürfe wegen n gee9 des Erb⸗ schaftsstener⸗, Reichsstempel⸗ und Wechselstempel⸗ gesetzes.

Ueber den Anfang der Sitzung ist in der gestrigen Nummer. d. Bl. berichtet worden.

Abg. Graf von Westarp (dkons.) fortfahrend: Der Reichskanzler hat ernste Warnungen an die Konservativen gerichtet, er hat gemeint, die konservative Partei gräbt ihr eigenes Grab, wenn sie sich berechtigten 1 verschließt. Die Ausführungen des Reichs⸗ kanzlers über diese Frage weisen eine gewisse Lücke auf. Man hätte nach dieser Aeußerung meinen können, die konservative Partei stelle sich gegenüber der Finanzreform auf einen ablehnenden Standpunkt, sie sei der Vater aller Hindernisse. Dem gegenüber weise ich auf die eine Tatsache hin, daß nach monatelangen absolut fruchtlosen Verhandlungen unsere Partei es gewesen ist, die für den angeforderten Be⸗ trag von 500 Millionen die nötigen Steuern bewilligt hat. (Ruf: Und was für welche!) Ihre freudige Zustimmung

läßt erkennen, daß wir das Richtige getroffen haben, und wenn auch nicht alles als zweckmäßig anerkannt wird, so wird doch auch von der Regierung anerkannt, daß wenigstens 360 Millionen als ge⸗ chert zu betrachten sind. Einer Partei, die unter Zurückstellung parteitaktischer und wahltaktischer Rücksichten dies erreicht hat, kann man nicht den Vorwurf absolut negativen Verhaltens Durch neue Steuern macht sich eine Partei gewiß nicht populär; neue Steuern vorzuschlagen, ist eigentlich Sache der Re⸗ gierung, um so unberechtigter ist der gegen uns erhobene Vorwurf. Der Vorwurf des Kanzlers, daß wir uns berechtigten Forderungen erschlössen, bezog sich auf die Besitzsteuer. In Wirklichkeit ist die onservative Partei in energischer Weise für die Verwirklichung dieser Forderung eingetreten. Dieser Nachweis läßt sich leicht führen. Der Streit liegt gar nicht darin, ob der Besitz herangezogen werden oll, sondern in welcher Art. Wir haben uns nicht beschränkt uf Ablehnung des von den verbündeten Regierungen vor⸗ eschlagenen Weges, sondern sind mit Gegenvorschlaͤgen gekommen. Durch die Regierungsvorlage ist in die Steuerpraxis ein neuer Begriff eingeführt, der der Steuer auf den Besitz. Ich habe gewisse Zweifel, ob dieser Begriff als solcher auch von der Wissenschaft

MM

Manche meinen, daß allgemeine Besitzsteuern nur die sind, durch die er Steuerträger nach seiner gesamten persönlichen und wirtschaftlichen eistungsfähigkeit im Wege der direkten Einschätzung erfaßt wird.

Demgegenüber steht die Ansicht, daß auch dann Besitzsteuern vor⸗

liegen, wenn im Wege indirekter Besteuerung die Steuererhebung an

einzelne wirtschaftliche Vorgänge angeknüpft wird, sofern es derart geschieht, daß dabei die wirklich Besitzenden getroffen werden.

Letztere Auffassung, die wir uns zu eigen gemacht haben,

ist der der verbündeten Regierungen nicht entgegen gewesen;

sie ist heute von ihnen in der Begründung des Reichs⸗ stempelgesetzes ausdrücklich bestätigt. In ihrem Sinne sind unsere Vorschläge gehalten, ein Unannehmbar kann ihnen also von den verbündeten Regierungen nicht entgegengehalten werden.

Wir sind nun der Ansicht, daß ganz gewiß ein gerechtes und voll⸗

ständiges Steuersystem sein Rückgrat hat in jener ersten Art der

Besitzbesteuerung, der direkten Einschätzung der gesamten steuerlichen

Persönlichkeit. Aber unser Reichsfinanzsystem darf nicht beurteilt

werden allein vom Standpunkt der Reichsfinanzen aus, sondern die

Staats⸗ und die Kommunalfinanzen müssen mit in Rechnung ezogen werden, und auf diesem letzteren Gebiet ist die

des Vermögens hinreichend und bis zur Grenze

ausgebildet. Unsere Bedenken richten sich vor allen Dingen gegen eine Heranziehung der Ehegatten und besonders der Abkömmlinge.

Uebrigens werden durch den neuen Tarif die ganz kleinen Erbanteile

bei einem Nachlaß unter 60 000 schwerer belastet, als es bei der

Nachlaßsteuer der Fall war. Wir erblicken in der Erbschaftssteuer eine

Vermögenssteuer, und diese soll den Einzelstaaten verbleiben.

Ein ausschlaggebender Grund für uns ist es auch, daß

wir es mit einer rägravation des Immobilienbesitzes

gegenüber dem Mobilienbesitz zu tun baben sollen. So⸗ wohl auf illegalem sowie auch auf ganz legalem Wege ist das in

Wertpapieren angelegte Vermögen sehr viel leichter der Besteuerung

zu entziehen als das mobile Vermögen. Die Besteuerung der

Schenkungen unter Ehegatten und Kindern würde, wie auch die

Regierung anerkennt, ein lästiges Eindringen in die Familien⸗

beziehungen bedeuten, und deshalb geht die Vorlage einen Mittelweg;

sie unterscheidet Schenkungen, die als vorzeitige Verfügung über den

Nachlaß mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht anzusehen sind, und

andere Schenkungen. Zu den ersteren gehört die Ausstattung sowie

das, was den Kindern mit der Bestimmung geschenkt wird, daß es bei der Erbauseinandersetzung ausgeglichen werden muß; vor allem gehört dazu das, was im Wege des Gutsüberlassungsvertrages den einzelnen Kindern überwiesen ist. Diese Schenkungen sollen sofort steuerpflichtig sein. Beim Gutsüberlassungsvertrag soll besteuert werden die Differenz zwischen dem Wert des Gutes und dem Ueber⸗ nahmepreis. Es ist aber nicht klar, was unter Uebernabmepreis ver⸗ standen ist. Bei den anderen Schenkungen, die ohne Rücksicht auf des künftige Erbrecht gemacht sind, tritt die Steuerpflicht erst beim

Tode des schenkenden Vaters ein. Sofern aber die Schenkung mehr

als 2 Jahre vor dem Tode zurückliegt, tritt Steuerfreiheit ein. Auf

diese Weise kann der Vater allmählich sein Vermögen auf seine

Kinder überleiten, ohne steuerpflichtig zu werden, wenn er wenigstens noch 2 Jahre lebt. Ein Gut kann man nun in dieser Weise nicht

verschenken, wohl aber Wertpapiere. Die ganzen Aeußerungen

über die Steuerdrückerei der Landwirte siad ja eigentlich lächerlich.

Haben Sie schon einmal einen Gutsbesitzer gesehen, der seine Scheune

auf die Bank von England geschickt hätte? Der mobile Besitz

liegt klar zu Tage, die Wertpapiere können sich aber selbst auf legalem Wege der Erbschaftssteuer entziehen, es sei denn, daß man auch Schenkungen, die mehr als 2 Jahre vor dem Tode zurückliegen, besteuert. Gerade diese Bestimmungen sind geeignet, dem Spar⸗

8- und der Wiertschaftlichkeit entgegenzuwirken. Stirbt ein ater, der seine Kinder knapp gehalten und selbst an⸗

spruchslos gelebt hat und daher ein größeres Vermögen hinter⸗

läßt, als angenommen war, so sind ihm die Kinder dankbar dafür.

Solche Bilder des Familienlebens werden aufhören. Gerade der

Fall des Todes ist der ungeeignetste Moment für die Besteuerung,

weil in diesem Augenblick dem landwirtschaftlichen oder gewerblichen

Betriebe die erfahrene Kraft des Besitzers verloren geht. Die Er⸗

forschung des Vermögens in diesem Fall bedeutet gerade ein Ein⸗

dringen in die Familienverhältnisse. (Ruf links: Vermögenssteuer!)

Bei der Vermögenssteuer liegt es anders, da wird nicht in dem un⸗

geeineten Moment des Todes in die Verhältnisse eingedrungen. So⸗

dann befürchten wir, daß diese ganze Art der Besteuerung dazu bei⸗ tragen wird, den Grundbesitz aus festem Familienbesitz in mobilen

Besitz zu verwandeln. Namentlich wird die gute Sitte der Ver⸗

erbung des Grundbesitzes an einen bevorzugten Erben dadurch

Schaden leiden. Nun meinte der Reichskanzler, wenn wir jetzt die

Erbschaftssteuer zu Falle brächten, könnte die Zukunft unseren Sieg

in eine Niederlage verwandeln. Demgegenüber bleiben wir bei dem

„principiis obsta!“ 1906 haben wir uns ganz klipp und klar dahin

ausgesprochen, daß die Besteuerung der Kinder und Ehegatten für

uns undenlbar ist. Nicht die Konservativen sind in diesem Punkte dem Bunde der Landwirte gefolgt, sondern das Umgekehrte ist der

Fall. Der Reichsschatzsekretär hat publizistisch den Standpunkt ver⸗

treten, daß die Nachlaßsteuer eine conditio sine qua non Volke tun. Der Ab

der Finanzreform sei; als er das schrieb, kannte er unsere

gegenteilige Stellung ganz genau. Die jetzige Agitation im Lande ist anscheinend künstlich und, wie behauptet wird, nicht ohne Vorwissen der Regierung inszeniert worden. Unsere Stellung stand auch schon lange fest, ehe wir auf unserem Wege das Zentrum vorfanden. Die Nationalliberalen haben ja mit uns die Nachlaßsteuer bekämpft; wenn die Herren jetzt die neue Vorlage einstimmig annehmen, so will ich mir über die Motive dieser Stellungnahme kein Urteil er⸗ lauben, aber ich konstatiere, daß bei uns nur sachliche Motive den Ausschlag gegeben haben. Nach den gestrigen Ausführungen des Reichs⸗ kanzlers muß ich vor dem Lande aussprechen, daß auch der Gang der Verhandlungen der schärfste Gegenbeweis gegen die Vermutung ist, daß bei uns der Gedanke obwalte, den Kanzler zum Rücktritt zu bewegen. Nicht mit einem Worte ist davon bei uns die Rede gewesen. Gerade durch unser energisches Eintreten für das Zustandekommen der Finanzreform haben wir dem GEegenteil den Boden

geebnet. Ich spreche die Hoffnung aus, daß der Kanzler noch die Wege finden wird, 1 dene es möglich sein wird, auch

unter Berücksichtigung unseres Standpunktes die Reichsfinanz⸗ reform zu Ende zu bringen. (Abg. Singer (Soz.) ruft Armer Bülow!) Die gegenwärtige politische Situation ist nicht durch uns, sondern ganz und gar durch die Haltung der Liberalen geschaffen worden. Sollte Kommissionsberatung beantragt werden, so werden wir ihr nicht entgegen sein mit Rücksicht darauf, daß die Re⸗ gierung die Durchberatung ihrer neuen Vorlagen wünscht. Gegen die Feuerversicherungsprämienbesteuerung haben wir ebenfalls sehr starke Bedenken, ebenso gegen die Besteuerung der Wechsel und der Schecks. Auch hier kommt in Betracht, daß der Großkaufmann im allgemeinen mit Dreimonatswechseln arbeiten kann, während andere Kreise, zumal die Genossenschaften, langfristige Wechsel brauchen. Der Fixstempel von 10 auf Schecks wirkt bei kleinen Objekten ganz anders als bei großen. Der von der Regierung vorgeschlagene Umsatzstempel bei Grundstücken entspricht eigentlich unserem Antrage. Wir haben aber einen Umsatzstempel auf Immobilien beantragt in organischem Zusammenhange mit einer Besteuerung des in den Börsen umlaufenden Kapitals. Unsere Zustimmung zu dem Umsatz⸗ stempel wird erheblich davon abhängig gemacht, ob es gelingt, eine solche Besteuerung des mobilen Kapitals gleichmäßig herbei⸗ zuführen. Auch diese Vorlage wollen wir gern in einer Kommission näher prüfen. Wie der Steaatssekretär des Reichsschatzamts gestern zu dem Gesamterträgnis dieser Stempel gekommen ist, ist mir nicht recht klar geworden. Jedenfalls ist nur die Besteuerung des Effekten⸗ und Emissionsstempels mit 10 Millionen die einzige Vorlage, von der man anerkennen kann, daß sie das Bank⸗ und Börsenkapital trifft. Man hat die von uns vorgeschlagene Kotierungssteuer namentlich in der vee. heftig angegriffen. Wir haben zum Teil die Anregung zu diesem Vorschlage der Regierung selbst zu verdanken, die seinerzeit von dieser Steuer nur deshalb Abstand genommen hat, weil Deutschland einer einheit⸗ lichen Börsenordnung auf gesetzlicher Grundlage entbehrt. Hier handelt sich es um keine Vermögenssteuer, sondern um die Be⸗ steuerung eines einzelnen wirtschaftlichen Vorganges. Wir haben allerdings in zweiter die Steuer einer Vermögens⸗ steuer etwas mehr angenähert, aber in dritter Lesung diesen Beschluß wieder rückgängig gemacht. Man hat die von uns vorgeschlagenen Sätze für Coupons und Dividenden unrichtig aufgefaßt. Wir haben die Sätze differenziert, und es ist nicht richtig, daß wir die Dividendenpapiere im Verhältnis zu ihrem Ertrage doppelt so hoch belastet hätten, wie die fremden Papiere. Ein weiterer Vorwurf ist der, daß der Hypothekarkredit ganz besonders er⸗ schwert würde. Es ist nicht vorgesehen, daß die Steuer abgewälzt werden soll auf den Schuldner, wenn ich auch zugeben will, daß solche Abwälzung möglich und in manchen Fällen wahr⸗ scheirlich ist. Aber auch hier sind die Befürchtungen übertrieben. Wenn wir alle Papiere mit Ausnahme der Staatspapiere belasten, die Dividenpapiere und die ausländischen erheblich höher, so wird sich der Markt für diese Papiere doch schließlich auf die Steuer einrichten, und es ist anzunehmen, daß die inländischen Rentenpapiere, die am wenigsten belastet sind, in ihrem Kurswert nicht betroffen werden. Es ist gewiß wertvoll, daß wir einen Stamm ausländischer Wertpaplere im Lande haben, aber ihr Wert ist nicht so hoch und unbedingt, daß wir vor der Besteuerung zurückschrecken sollten. Die Darstellung, als ob ausländische Wertpapiere Deutschland meiden würden, ist absolut unzutreffend. Alle Einwendungen, die aus dem französischen Beispiel gegen unseren Vorschlag gemacht werden, sind nicht durchschlagend. Freilich wird die Steuer auch in Frankreich bekämpft, aber welche Steuer wird nicht bekämpft? Sie ist sachlich durchaus haltbar und gerecht. Ueber Einzelheiten läßt sich reden, und wir würden für jede positive Mitarbeit zur Beseitigung irgendwelcher Ungleichheiten dankbar sein. Von einer instinktiven Abneigung gegen die Börse, von einer Börsen⸗ feindschaft, wie man sie uns nachgesagt hat, kann ganz und gar nicht die Rede sein. Wir meinen, im Börsenverkehr tritt das mobile Kapital, das sich sonst der Besteuerung auf legalem und illegalem Wege so leicht entziehen kann, in steuerlich faßbarer Weise zutage. Und ohne eine Heranziehung des mobilen Kapitals können wir uns nicht auf die Reichsfinanzreform einlassen.

Abg. Singer (Soz.): Was der Abg. Graf Westarp gesagt hat, läßt sich in die Worte zusammenfassen: Und der Bülow absolut, wenn er unseren Willen tut. Die Freundschaft der Konservativen ist ihm sicher, wenn er Order pariert. Ich kann meine Verwunderung darüber nicht unterdrücken, welchen Ton der Abg. Graf Westarp gegen seinen Blockbruder Bassermann angeschlagen hat. Was der Vor⸗

redner vom Familiensinn gesprochen hat, von der Schwierigkeit und

Unmöglichkeit einer gleichartigen Behandlung des mobilen und immo⸗ bilen Kapitals, ist nichts weiter als die Rücksicht auf das Portemonnaie der Junker und den Großarundbesttg der nur ein Programm kennt: keine Steuern zu zahlen und alle Steuern den anderen aufzupacken. Das, was die „Kreuzzeitung“ in ihrer Eigenschaft als Organ der konservativen Partei freimütig herausgeplaudert hat, hat der Abg. Graf Westarp zwar nicht mit denselben Worten, aber doch sehr deutlich erkennbar gesagt. Die Neigung oder die angebliche Neigung der Regierung, das Wahlrecht in Preußen zu reformieren, macht die Konservativen störrisch nicht gegen die Finanzreform, sondern gegen diese Regierung. Der Reichskanzler gefiel sich gestern in der Rolle des „Flachsmann als Erzieher“. Er spricht in der Theorie vom liberalen Geist, man findet aber nichts davon in seinen Handlungen. Ist denn ein Funken liberalen Geistes in einer Steuervorlage zu finden, die 400 Millionen den Armen auferlegt, aber nur 100 Millionen den Besitzenden? Der Reichskanzler will die Unter⸗ stützung von allen Seiten nehmen und meint nur, daß die Sozial⸗ demokratie immer nur negiere. Wir haben aber bei den Handels⸗ verträgen und anderen Gelegenheiten Vorlagen zugestimmt, die nach unserer Meinung den Interessen des Volkes dienten. Wie der Reichskanzler und die Regierung uns behandeln, ist für uns nicht maßgebend, wir entscheiden uns nach sachlichen Rücksichten. Aber man kann nicht verlangen, daß wir etwas, was unseren Grund⸗ sätzen widerspricht, nur mit Rücksicht auf eine Partei tun sollen, die einen großen Teil der Arbeiter ächtet, die, wie der Abg. von Kröcher sagte, diese Arbeiter nicht als Subjekt, sondern nur als Objekt der Gesetzgebung betrachtet. Wir fühlen uns nicht dadurch beleidigt, daß der Reichskanzler uns nicht zu seinen Festen einladet, wir halten es überhaupt nicht für gut, daß hinter den Kulissen auf privaten Ver⸗ anstaltungen so viel verzeihen Sie den vulgären Ausdruck gemogelt wird. Es ist nicht konstitutionell, wenn sogar außerhalb des Parlaments die Regierung mit einzelnen Herren Verabredungen trifft, die nachher nur scheinbar durch das Parlament wirksam gemacht werden. Bei der Haltung des Zentrums kann man denken: A bisserl Liab, a bisserl Treu, a bisserl Falschheit ist allweil dabei,

damit der Zylinderhut des Abg. Spahn wieder zur Geltung kommt.

Der Reichskanzler kann sich die Freundschaft des wieder erwerben, dann wird er auch wieder vergessen, daß er eine Zeitlang vom Zentrum böse behandelt ist. Der Abg. Bassermann tritt für die Finanzreform ein, weil sonst die Sozlaldemokratie noch mehr Unterstützung bei den Massen fände. Die Finanzreform des Abg. Bassermann wird der Sozialdemokratie keinen Abbruch im nn hat selbst 1907 mit seiner Partei

Tabaksteuer, Biersteuer usw. energisch bekämpft, und doch tritt er jetzt dafür ein. Seine energische Abwehr mancher Kommissions⸗ beschlüsse maskiert nur seine jetzige Haltung sür diese Steuer. Nur in der Schlußbemerkung stimme ich mit dem Abg. Bassermann gern überein, worin er den Reichskanzler zur Auflösung des Reichs⸗ tages auffordert. Wenn die Reichsfinanzreform nach seinem Willen nicht zustande kommt, hat er die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, den Reichstag aufzulösen, dann muß an die Wähler appelliert werden. Ich sage der Regierung „Lösen Sie den Reichstag ruhig auf, dann werden Sie an dem Urteil des Volkes sehen, wie das Land über Ihre Steuerprojekte denkt. Welcher Hohn liegt für das Volk darin, daß eine solche Finanzreform eine „soziale Reform“ seil Mit einem solchen Worte, wie es der Abg. Bassermann tatsächlich ge⸗ braucht hat, schlägt man allen sozialen Gefühlen ins Gesicht. Unsere Stellung zu den Vorlagen, wie zu den Kommissionsbeschlüssen, ist von vornherein dadurch gegeben, daß es sich auch hier wiederum nur um eine weitere Ausbeutung der breiten Massen unter der Maske einer Reform handelt. Wir lehnen die Finanzreform der Regierung und der Kommissionsmehrheit als Ganzes ab und be⸗ kämpfen diese Art von Reform auf das allerschärsste. Das Verhalten der Mehrheit in der Kommission, namentlich bezüglich der formalen Behandlung, wird bei der Beratung der Kommissionsvorschläge noch gebührend beleuchtet werden. Die geschäftsordnungswidrige Manier, in der die Mehrheit vorzugehen beliebte, zeigt auch ihrerseits,

wes Geistes Kind diese Reform ist; gewalksame Brüche der Geschäftsordnung waren nötig, um die Mebrheit überhaupt in die Lage zu bringen, ihre Beschlüsse zu fassen. Die Kommissionsbeschlüffe

bedeuten eine schamlose Steuerdrückebergerei der Besitzenden. Pro

fessor Delbrück hat das ja nachgewiesen. Noch heute wird in den Zeitungen ein Fall erwähnt, wo ein Gutspächter, der über 10 000 jährliches Einkommen hat, mit ganzen 26 zur Staatseinkommen⸗ steuer veranlagt ist. Wohin wir aber in der Verwirrung de

Auffassungen gekommen sind, das beweist die Tatsache, daß der Liberalismus diese Finanzreform als liberale Tat ersten Ranges in die Welt hinausposaunt. In der Ansprache, mit welcher der Geheimrat Rießer die Versammlung der neuen Organisation eingeleitet hat, hat er sehr harte und energische W gefunden gegen die Steuern der Finanzkommission. Er hätte gut getan, dabei auch des Anteils der Arbeiterklasse zu gedenken. Der Hansa⸗ bund hat aber kein Wort gefunden der Abwehr gegen die 400 Millionen indirekter Steuern, die mit der Finanzreform verbunden sind. Statt dessen bören wir Klagen über die Belastung der Industrie durch unsere Sozialreform. Man hat es sogar zugelassen, daß ein Scharf⸗ macher und Hetzer gegen die Sozialreform auftrat. Was Herr Kirdorf in jener Versammlung in scharfmacherischer Weise ausgedrückt hat, das

hat der Abg. Basser mann in weniger anstößiger Form ebenfalls aus-⸗

Ieeo en. indem er von der sozialen Belastung des Mittelstandes sprach.

ie neue Erbanfallsteuer ist nach meiner Ueberzeugung geradezu ein Hohn auf eine richtige und vernünftige Erbschaftssteuer. Die Re⸗ gierung hätte sich an das englische Muster anlehnen müssen; England hat nach den neuen Beschlüssen die bisherige Steuer von 400 Millionen auf 530 Mill. Mark erhöht. Amerika, wo die Verhältnisse doch viel schwieriger sind, weil es dort lauter selbständige Staaten gibt, hat eine

Bundeserbschaftssteuer zustande gebracht, und der neue Präsident Taft beabsichtigt eine Besteuerung der Trusts und Kartelle; das wäre

auch bei uns eine Steuer, die etwas einbringt. Wir behalten uns die endgültige Entscheidung über diese Steuervorlage vor. Wie die Vor⸗

lage jetzt ist, ist sie für uns nicht annehmbar. Es ist mir inter⸗ essant, daß es dem Staatssekretär gelungen ist, den Post⸗ Er wußte genau, daß der Postscheckverkehr dadurch schwer geschädigt werden würde. Das ist eine Politik des heiligen Florian. Die ganzen Hoffnungen, die man auf die Ausdehnung des Scheckverkehrs gesetzt hat, werden

scheck von dieser Besteuerung freizulassen.

durch diese Besteuerung vereitelt. Ueber die Besteuerung der Feuer⸗ versicherung sollte man hier überhaupt nicht zu sprechen brauchen.

Seit Jahrzehnten ist man bemüht, die Leute zur Versicherung zu

treiben; diese kulturwidrige Vorlage macht alle diese Bemühungen illusorisch. Ganz unhaltbar ist die Auffassung, daß das versicherte Mobiliar den Maßstab für die Höhe des Besitzes des Versicherten

darstellt. Es gibt Hunderttausende von Gewerbetreibenden, die mehr als 5000 versichern und wirtschaftlich doch nicht so gestellt sind, daß sie diesen Zuschlag noch vertragen könnten. Wenn der gegen⸗ ch immer mehr steigernden Aus⸗

wärtigen Politik mit ihren gaben für Militär und Flotte, wenn der uferlosen Kolonial⸗

politik nicht Einhalt getan wird, dann werden wir in einigen

Jahren vor einer neuen Finanzreform mit 800 Millionen stehen. Denken Sie an die Novembertage von 1908 zurück! Damals forderte man auf allen Seiten konstitutionelle Garantien und die Beseitigung des Wahlsystems in Preußen; sie waren auch die Voraussetzung für die Finanzreform im Deutschen Reiche, und gerade der Abg Bassermann erklärte damals, daß ohne diese beiden Zugeständnisse seine Freunde

nicht für die Reichsfinanzreform zu haben wären (Widerspruch bei den

Nationalliberalen); dann, muß ich gestehen, habe ich mich geirrt. Und wie sieht die Finanzreform aus, die der Liberalismus gutheißen will? Auch sie ist lediglich eine Ausbeutung der wirtschaftlich Schwachen, unter größter Schonung der größeren Einkommen, ein Gesetz gegen die breiten Volksmassen, ein Ausnahmegesetz zu Gunsten der Besitzenden. Eine solche Finanzpolitik, eine solche Politik der Niedertracht werden wir mit allen Mitteln bekämpfen.

Vizepräsident Kaempf ruft den Redner wegen der Charakte⸗ risierung der Vorlage als „Ausbeutung der Volksmassen“ und wegen des Ausdrucks „Politik der Niedertracht“ zur Ordnung.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Das Bedürfnis einer Finanzreform, durch die 500 Millionen an neuen Steuern aufgebracht werden, ist von meinen Freunden von vornherein anerkannt worden. Ein Teil der neuen Vorschläge der Kommission verdankt seine Entstehung gerade den Nationalliberalen. Die Regierung lehnt nun einen Teil der Kommissionsvorschläge ab und schlägt dafür Selasstenen vor, nament⸗ lich die Erbschaftssteuer für Deszendenten und Ehegatten. Niemand hat sich aber gegen diese Steuer schärfer ausgesprochen als am 6. De⸗ zember 1906 der Reichskanzler selbst. (Der Redner verliest dessen Er⸗ klärungen unter andauernder Erregung und Zwischenrufen des Hauses.) Der Reichskanzler hob damals namentlich bervor, daß der Familiensinn beeinträchtigt werden würde. Sehr eingehend hat sich damals auch der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben gegen die Steuer für Deszendenten und Ehegatten erklärt, er sprach namentlich von dem uneyträglichen Eindringen der Steuerbehörde in die intimsten Famllienverhältnisse und meinte, daß die Erbschaftssteuer auf Destendenten zur Konfiszierung des bäuerlichen Besitzes führen würde. Der Abg. Bassermann hat sich für die Erbschaftesteuer auf meinen Freund Gröber berufen; der Abg. Gröber ist allerdings ursprünglich ein Freund der Deszendentensteuer gewesen. Aber die Ver⸗ handlungen in unserer Fraktion im Jahre 1905 haben ihn anders über⸗ zeugt, und er ist jetzt ein Gegner dieser Steuer. (Ruf links: am Zehnhoff!) Mein Freund am Zehnhoff hat in dieser Frage allerdings einen anderen Standpunkt vertreten, aber seine Anschauungen haben in unserer Fraktion keine Zustimmung gefunden. Der Abg. Paasche hat noch am 21. November 1908 mit sehr scharfen Worten gegen die Erbschaftssteuer gesprochen, und bei der Versammlung des Hansabundes sagte einer der Redner: Wenn es erst dazu kommt, daß man eine Steuer zahlen soll, denkt man ganz anders darüber. Der Grundbesitz ist schon schwer genug belastet Ich habe mir von einem Groß⸗ grundbesitzer aus meinem Amtsbezirk eine Berechnung machen lassen, wonach er für Staat, Kommune usw. insgesamt 34 % seines Ein⸗ kommens an Steuern zu zahlen hat. Eine Steuer, die derart ungleichmäßig wirkt, kann nicht als ideal angesehen werden. Es wird dahin kommen, daß die Eiltern einen förmlichen Mietsvertrag abschließen, nach dem die Kinder jährlich einen be⸗ stimmten Geldbetrag von ihnen beziehen. Solche Verhältnisse sind nicht erwünscht. Der bayerische Handwerkerbund hat sich mit Ent⸗ schiedenheit gegen die Erbschaftssteuer ausgesprochen. Der Reichs⸗ kanzler meinte, sie würde wiederkehren, wenn sie jetzt abgelehnt würde. Das glaube ich nicht. Fällt sie jetzt, so kommt sie so bald nicht wieder. Wenn die Finanzlage wirklich so wäre, daß es andere Steuer⸗

quellen nicht gäbe, würde man ja vielleicht darüber reden können.

dittelstand, das Gewerbe trifft. sscht eingehen, glaube aber, daß diese Steuer doch zu großen

ber die Nationalliberalen haben selbst die Wege gewiesen, wie andere Teil nur auf dem Papier steht. (Sehr richtig! links.)

teuerquellen eröffnet werden können. Wasz die Kotierungssteuer be⸗

fft, so hat die Gegnerschaft des jetzigen französischen Finanzministers

1 cht zu ihrer Abschaffung geführt, wenn auch allerdings dazu, daß

r den Fall der Einführung einer Einkommensteuer die Kotierungs⸗ üer beseitigt werden soll. Die Steuer hat in Frankreich, s steht fest, völlig tadellos funkt'oniert. Man tut der ptierungssteuer unrecht, wenn man ihr die Bedeutung beilegt,

sie unsere internationalen Interessen schädigen könnte. Wenn s Wechselkonto günstig geregelt ist, sind unsere Beziehungen m Auslande gestedelt. „Es ist auch nicht richtig, daß die otierungssteuer eine Vermögens⸗, eine Einkommensteuer sei. Haben w doch schon in früheren Zeiten der nationalliberale Abg. Büsing d später der Finanzminister von Miquel für den Grundgedanken eser Steuer ausgesprochen. Was die von der Regierung neu vor⸗ schlagene Besteuerung der Feuerversicherungsprämien anbetrifft, ist sie insofern bedenklich, als sie in erster Linie den Ich will auf die Einzelheiten

gerechtiskeiten führen muß. Sie wird den Kreis der Ver⸗ chherten einschränken, während es doch gerade unser Bestreben sein üßte, die Versicherung auszudehnen. Immerhin könnte diese Steuer der Kommission geprüft werden. Ich stelle überhaupt, wenn es ach nicht geschehen sein sollte, den Antrag, die neuen Vorlagen der nanzkommission zu überweisen. Auch gegen den Scheckstempel ben wir Bedenken. Wenn man für dieses Verkehrsmittel auch

och eine Steuer bezahlen muß, so wird man sich überlegen, ob man

von noch Gebrauch machen soll. Gegen die Erhöhung der Zechselsteuer ist im Prinzip nichts einzuwenden, aber gegen die t der Erhöhung haben wir Bedenken. Der Abg. Bassermann t gestern gemeint, es handle sich bei dieser Finanzreform um e Frage der Weltanschauung. Fragen der Weltanschauung haben chts damit zu tun, ob man 500 Millionen neuer Steuern auf ese oder auf eine andere Weise aufbringt; Geldfragen id überhaupt keine Weltanschauungsfragen. Heißt es etwa dem beralismus ins Gesicht schlagen, wenn statt der Erbschaftssteuer eine örsensteuur in die Finanzreform eingestellt wird? Der Abg.

Hassermann hat viele große Worte gemacht, indem er von anti⸗

zial usw. sprach und von einer Schädigung unseres Ansehens im uslande. Was kümmert es das Ausland, wie wir unsere Steuern stalten. Der Abg. Bassermann sagte ferner, wir hätten früher asere Machtstellung mißbraucht, uns bemüht, dem Reiche unseren billen aufzuzwingen. Das ist ganz unrichtig; mit viel größerem echte kann man das von den Nationalliberalen behaupten. War ch die nationalliberale Partei mit dabei, als es sich darum handelte, 8 Parlament dadurch zu stärken, daß ein Ministerverantwort⸗

mebkeitsgesetz erlassen werden sollte, und in demselben Moment

lärt der Führer der nationalliberalen Partei hier: Wenn die teuer nicht nach unseren Wünschen zu stande kommt, dann muß r Reichstag aufgelöst werden! Das heißt mit anderen Worten: er Reich kanzler absolut, wenn er unseren Willen tut. Man t wieder das alte Märchen von dem Zylinder des Abg. Spahn ser aufgetischt. Die Sache ist einfach die, daß ich bei Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches mit dem Staatssekretär s Reichsjustizamts über eine Angelegenheit zu sprechen hatte und bei meinen Zylinder mit in das Zimmer hineinnahm; daher ist s ganze Märchen entstanden. Der Reichskanzler sagte gestern, er die Veranlassung gewesen, daß auch Mitglieder des Zentrums zur nanzreform zugezogen seien, durch ihn seien keine Anträge des ntrums verhindert worden. Das gebe ich zu. Aber der

ichskanzler hat doch durch sein Verhalten gewollt oder

gewollt die Wirkung erzielt, daß die Entscheidungen in r Kommission nicht immer aus sachlichen Gründen gefallen sind. as trifft besonders zu bei dem Antrage Herold, während nachher r Kompromißantrag angenommen wurde. Was die Novembertage betrifft, so kann man ja über das Verhalten des Reichskanzlers an den Sitzungstagen verschiedener Meinung sein, ohne seiner Ehre gendwie zu nahe zu treten. Auch ich könnte Gründe angeben, wes⸗ lb ich über sein Verhalten anderer Meinung bin wie er; ich habe ch nicht darüber geäußert. Der Artikel der „Germania“, der die ündnistreue des Fürsten Bülow gegen Oesterreich anzweifelte, stammt n einer Person, die nicht einmal der katholischen Konfession ange⸗ rt, und mit der unsere Partei in keiner Verbindung steht. Wenn Reicskanzler glaubt, wir hätten ihn boykottiert, weil er die ichstagsauflösung herbeigeführt hat, so irrt er ganz gewaltig. der ersten Sitzung des neugewählten Reichstags habe ich Gegenwart des Reichskanzlers ausgeführt, weshalb wir die eziehungen mit ihm abbrechen mußten. Mußten wir uns denn en ihm vor aller Welt den Vorwurf der antinationalen Arroganz aachen lassen? Nachdem wir erklärt hatten, daß wir das als persön⸗ che Beleidigung ansehen, hätte er erklären müssen, daß er eine solche bsicht nicht gehabt hätte. Darüber, was wir als taktvoll an⸗ hen, werden wir uns die Entscheidung dauernd selbst vorbehalten. er Reichskanzler glaubt aber, weil er nicht auf die Worte des entrums schwöre, sei es zum Bruch mit unserer Partei gekommen. Lir verlangen gar nicht, daß er auf unsere Worte schwört. Wir achen unsere Politik ganz unabhängig von der Person des Reichs⸗ lers. Er hat seine Verdienste, aber wenn er sich auf die von ihm assenen Gesetze zum Schutze der Agrarier beruft, so sind doch diese esetze nur dadurch zu stande gekommen, daß sie Resonanz im Reichs⸗ ge gefunden haben. Wir richten unsere Haltung ein nach den interessen des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes.

Preußischer Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Meiner ressortmäßigen Stellung gemäß werde Hmich lediglich auf die sachlichen Punkte beschränken, und zwar nur f die Hauptpunkte; denn ich glaube, es würde nicht Ihren Wünschen tsprechen, wenn ich im gegenwärtigen Augenblick auf alle die Projekte und die dagegen erhobenen Bedenken eingehen ollte.

Ich darf mir zunächst dem Herrn Abg. Singer gegenüber einige emerkungen gestatten. Er sagte, die Vorlagen der verbündeten Re⸗ serungen verrieten keinen Funken eines liberalen Geistes, weil 00 Millionen indirekte Steuern gefordert würden.

Meine Herren, diese Kritik kann ich als berechtigt nicht aner⸗ inen. Selbst wenn die indirekten Steuern bewilligt werden, um

se die verbündeten Regierungen gebeten haben, so bleibt die Be⸗

stung mit indirekten Steuern in unserem Vaterlande noch weit uter der in anderen Kulturstaaten zurück. Und ich frage weiter; ofür werden denn diese indirekten Steuern erbeten? Einmal, um asere steigenden sozialpolitischen Lasten zu bestreiten (sehr richtig! chts), und dann vor allem, um den in unserer Armee und Marine

Peegenden Schutz des Friedens zu sichern, eines Friedens, der doch in ster Linie auch den Arbeitern zugute kommt, die unter seinem Schutz

e Lohnsteigerung erfahren haben, der sie sich tatsächlich in den letzten ahren zu erfreuen haben. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, Herr Graf Westarp hat im Eingang seiner sehr chlichen und lichtvollen Ausführungen, so wenig wir in allen Punkten nen Endergebnissen zustimmen können, ausgeführt, man könne den ssitz auch auf indirektem Wege heranziehen durch Anknüpfung an stimmte, die besitzenden Klassen treffende Akte, und die Konservativen itten nur eine andere Form gewählt, als die Regierung sie vorge⸗ Nagen, in der Sache aber tatsächlich die Besitzsteuer bewilligt. Ja, eine Herren, da weichen wir nun hinsichtlich der Schätzung sehr esentlich ab. Wir glauben eben, daß die Besitzsteuer, die Sie in r Form der Kotierungssteuer bewilligt haben, zu einem großen

Wir glauben, daß die Schätzungen, die Sie geleitet haben, in der Tat nach vielen Richtungen hin zu hoch sind. Ich darf Ihnen dafür wenigstens ein Beispiel vorlegen. Nach der Kotierungssteuer würden die festverzinslichen Wertpapiere 2 pro Mille Kotierungssteuer zu zahlen haben. Nun haben wir nach einer Schätzung etwa 3 Milliarden russische und österreichische Werte; die würden also jährlich 6 Millionen Mark Stempel zu zahlen haben. Nach den betreffenden Bestimmungen sind aber die Staaten gar nicht in der Lage, diese 6 Millionen etwa auf den Inhaber der Papiere abzuwälzen, sondern müßten sie ihrer⸗ seits tragen; sie haben gar kein Interesse, die 6 Millionen zu zahlen, und würden also einfach die Börsennotiz streichen lassen. Was wäre dann der Effekt? Das Deutsche Reich würde keine Steuer haben, die Inhaber der betreffenden Papiere würden keine Notiz mehr haben, und damit wäre das Papier überhaupt für sie nahezu unverkäuflich. Sie sehen also, auf wie schwachen Grundlagen diese Berechnung des Aufkommens beruht, die die Steuerkommssion vorgenommen hat.

Wir haben gegen die Kotierungssteuer, wie sie die Kommission beschlossen hat, sehr ernste prinzipielle wie praktische Be⸗ denken, wie sie der Herr Staatzsekretär des Reichsschatzamts schon in der gestrigen Sitzung zum großen Teil dargelegt hat. Wir müssen auch den Ausführungen des Herrn Grafen Westarp gegenüber daran festhalten, daß es sich hier in der Tat um eine partielle Reichs⸗ vermögenssteuer handelt. (Sehr richtig! links.)

Es ist das bestritten worden, meine Herren, und doch, glaube ich⸗ läßt sich nicht leugnen, daß hier das Vermögen auf einem begrenzten Gebiete erfaßt werden soll, und daß daher alle die prinzipiellen Ein⸗ wendungen, die seitens der verbündeten Regierungen gegen eine Reichs⸗ vermögenssteuer erhoben worden sind, auch gegen die hier in Rede stehenden Vorschläge geltend zu machen sind. Ich will die Herren hier nicht ermüden mit Darlegungen, wie in steigendem Maße sich die Finanzlage der Einzelstaaten ungünstiger gestaltet hat, wie die Aus⸗ gaben in immer stärkerem Maße steigen als die Einnahmen, und wie zu dieser regelmäßigen Steigerung der Ausgaben nun noch die außer⸗ ordentliche Belastung hinzutritt, die infolge der Aufbesserung der Beamtengehälter nahezu allen Staaten zuteil wird. Die Tat⸗ sachen ergeben sich aus der Prüfung jedes Budgets der Einzelstaaten, aus den Verhandlungen in den Einzellandtagen, daß die Einzelstaaten schon bis aufs äußerste angespannt sind und deswegen keinesfalls derjenigen Steuerquellen entraten können, die ihnen bisher zur Ver⸗ fügung gestanden haben. Deswegen müssen wir auch gegen die partielle Reichsvermögenssteuer und darüber waren alle Bundes⸗ staaten vollständig einig unsere sehr ernsten Bedenken erheben.

Nun, meine Herren, wie würde aber weiter die Kotierungssteuer wirken? Keine Steuer wird gern bezahlt, kein Mensch auf der Erde tut das, und der Deutsche betrachtet es ja nahezu als persönliche Be⸗ leidigung, wenn man von ihm Steuern fordert. Ich bitte Sie aber, das eine zu erwägen, daß eine Steuer ganz odiös wirkt, wenn sie un⸗ gleichmäßig erhoben wird, und diese Ungleichmäßigkeit würde meiner Meinung nach doch in erheblichem Maße vorliegen, zunächst was den Kreis der Steuerzahler betrifft. Sie würden die Inhaber von Wert⸗ papieren besteuern, aber der Besitzer einer Hypothek, derjenige, der Sparkassenguthaben hat, derjenige, der Depositen hat, würde frei bleiben. Würde es im Publikum in der Tat verstanden werden, wenn der Inhaber von Hypothekenpfandbriefen eine hohe Abgabe zu zahlen hat, derjenige, der eine Hypothek sein eigen nennt, dagegen von solcher Steuer frei bleibt? (Sehr richtig! links.)

Und dann, meine Herren, vor allem eins: es würde die Steuer nur erhoben werden ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit, sie würde erhoben werden ohne Rücksicht darauf, ob der Betreffende an sich in der Lage ist, eine Steuer zu bezahlen oder nicht. Ich glaube, meine Herren, es ist eine irrige Auffassung, wenn man glaubt, daß etwa der Besitz von Wertpapieren, insbesondere auch von Aktien, lediglich in den Händen wohlhabender Leute ist. (Sehr richtig! links.) Die Verteilung von Wertpapieren, ins⸗ besondere die von Aktien, geht bis in weite Kreise unseres Mittelstandes hinein. Man hat meinem verstorbenen Amts⸗ vorgänger, dem Herrn Minister von Miquel, oft den Vor⸗ wurf gemacht, daß er geradezu unser Publikum zum Erwerb von Wertpapieren, insbesondere von Aktien, gedrängt habe infolge seiner Korversion der Staatspapiere. Ich glaube, der Vor⸗ wurf ist nicht begründet. Denn mit der Konversion waren zunächst die Landschaften vorgegangen, um den landwirtschaftlichen Kredit zu verbilligen; dann waren die Kommunen gefolgt, und Herr von Miquel ist mit dem Staat erst nachgegangen, als diese Vorgänge bereits vor⸗ lagen, ja er mußte das tun, weil damals alle Welt möchte ich sagen des Glaubens war, daß bei steigendem Wohlstand auch der Zinsfuß bei uns sinken würde. Die Entwicklung hat dem nicht recht gegeben, sondern durch die große Inanspruchnahme des Eeldmarkts infolge des Anwachsens unserer Industrie ist der Zinsfuß nicht nur nicht gefallen, sondern, wie Sie alle aus den Erfahrungen des letzten Jahres wissen, zeitweise sehr erheblich gestiegen. Die Tatsache ist aber nicht zu bestreiten, daß viele, auch kleine Leute infolge der Konvertierung der Anleihen sich ihrer Staats⸗ papiere entäußert haben und vielfach auch Industriepapiere, Aktien usw· gekauft haben. Also, meine Herren, es trifft auch den kleinen Mann, wenn Sie den Inhaber der Wertpapiere, den Besitzer von Aktien heranziehen. (Sehr richtig! links.)

Wie das wirken würde, wollen Sie mir erlauben, an wenigen Bei⸗ spielen zu illustrieren. Ich nehme zunächst einen Ort wie Berlin, der nur 100 % Kommunalsteuer zu zahlen hat. Jetzt werden nach unserer preußischen Gesetzgebung die größten Aktiengesellschaften bis zu 6 % zur Steuer herangezogen; bekanntlich steigt die Steuer bei den physischen Zensiten bis auf 5 %, bei den juristischen Personen bis auf 6 %. Die Kommunalsteuer, die auf die Zuschläge nicht gewälzt werden darf, beträgt 4 %, dazu kommen 150 % Ge⸗ werbesteuer, macht 1 ½ %, und endlich kommt die Besteuerung der Aktionäre mit durchschnittlich 3 %, gibt 14 ½ % Steuer schon jetzt. Nun nehmen Sie einen Ort mit hohen Kommunalsteuern und in den industriellen Orten, wo Aktiengesellschaften domiziliert sind, finden Sie vielfach sehr hohe Kommunalsteuerzuschläge, Zuschläge bis zu 200 % bilden gar keine Seltenheit —, dann würde sich die Rechnung so stellen: Staatssteuer 6 %, für die Kommune 8 %, für die kommu⸗ nale Gewerbesteuer 2 %, Dividendensteuer der Aktionäre 3 %, gibt 19 % Steuer, die diese Gesellschaften an sich schon für Staat und Kommune zu entrichten haben. Und nun soll noch eine Kotierungssteuer hinzutreten, die im Duvrchschnitt etwa 5 % betragen würde und bis

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auf 10 %, ja höher steigt bei den Aktiengesellschaften, die sich gering

rentieren!

Meine Herren, man hat mir hier folgendes Exempel aufgemacht. Es kauft sich jemand für 20 000 Aktien der Deutschen Bank zum Kurse von etwa 240. Bei 12 % Dividende würde der Betreffende von diesem Aktienbesitz eine Einnahme von 1000 haben. Er hat nach dem Beschluß der Kommission 3 pro Mille von diesen 20 000 zu zahlen, also 60 abzugeben von 1000 ℳ. Das bedeutet also eine Einkommensteuer von 6 % bei einer Einnahme von 1000 ℳ. Meine Herren, während in Preußen überhaupt erst bei einer Einnahme von 900 die Steuerpflicht beginnt, würde die Kotierungssteuer schon bei einem Einkommen von 1000 einen Steuersatz von 6 %. ausmachen! Ich glaube, das widerspricht in der Tat den Rücksichten der Billigkeit. (Sehr richtig! links.)

Ich möchte aber, was die Kotierungssteuer betrifft, vor allem auch noch auf zwei Gesichtspunkte allgemein wirtschaftlicher, öffentlich rechtlicher Natur hinweisen: zunächst auf die Verteuerung des Hypothekarkredits und die Schädigungen, die unseres Erachtens darin für den ganzen Landbesitz und für den städtischen Hausbesitz liegen. Nach einer Zusammenstellung, welcher gestern auch Exzellenz Sydow gedacht hat, haben wir in Deutschland rund 10 Milliarden Pfand⸗ briefe; dem gegenüber steht ein Aktienkapital von 762 Millionen Mark. Davon entfallen auf Preußen rund 4 Milliarden mit 264 Millionen Mark Aktienkapital. Nun ist in dieser Eingabe genau ausgerechnet, wie sich die Kotierungssteuer in ihren Wirkungen für die einzelnen Gesellschaften stellen würde. Da⸗ nach ergibt sich beispielsweise, daß die Preußische Zentral⸗ bodenkredit⸗Aktiengesellschfsft mit 809 Millionen Mark um⸗ laufender Pfandbriefe und 39 Millionen Mark Aktienkapital 958 000 Kotierungssteuer zu zahlen haben würde. Ich habe mich erkundigt, welche Steuer die Gesellschaft jetzt schon zu zahlen hat, und danach ergibt sich ein Betrag von 350 000 ℳ, wozu noch diese nahezu 1 Million hinzutreten, und da die Gesellschaft 4 ½ Millionen Gewinn verteilt hat, würden also von dem Gewinn 31 % als Steuer erhoben werden.

Weiter, meine Herren! Die Bayerische Hypotheken⸗ und Wechsel⸗ bank in München hat 984 Millionen umlaufende Pfandbriefe und ein Kapital von 54 Millionen. Sie würde 1 299 000 Slteuern zu zahlen haben, und damit würde ihre Dividende um 2,39 % sinken, während die der Preußischen Zentral⸗Bodenkredit⸗Gesellschaft um 2,42 % sinken würde. Das würde naturgemäß einen sehr bedeutenden Kurssturz zur Folge haben, und ich glaube, der Gedanke, daß diese Gesellschaften diese Verluste selber tragen würden, ist von vornherein abzuweisen. Sie würden ihn tatsächlich abwälzen auf alle ihre Kredit⸗ nehmer in Stadt und Land. (Sehr richtig! links.) In dieser Be⸗ ziehung schreibt mir ein Herr, der durchaus auf konservativem Boden steht: .

Heute möchte ich Ihnen noch einmal vor Augen führen, wie sich gerade die landwirtschaftlichen Kreise in ihr eigenes Fleisch schneiden, wenn die gemachten Vorschläge Gesetz werden. Käufer der landwirtschaftlichen Pfandbriefe sowohl wie die der Hypothekenpfandbriefe sind im großen und ganzen nicht landwirtschaft⸗ liche Kreise, sondern Kapitalisten, Rentner, Stiftungen usw. Wenn diesen Leuten der ohnehin karge Zinsfuß noch durch Abzüge ge⸗ schmälert wird, so werden sie aufhören, Käufer zu sein, und damit werden diese Papiere erheblich im Kurse sinken. Wenn diese Käufer sich nun auch den Staatspapieren etwa zuwenden, so könnte dies Eurer Exzellenz als preußischen Finanzminister ja nur lieb sein. Aber mit diesen Käufen kann das Geldbedürfnis der Landwirtschaft nicht befriedigt werden. Also gerade der Kredit für den Grundbesitz in Stadt und Land wird auf das schwerste geschädigt, denn kein Leiter einer Hypotheken⸗ und Kreditanstalt kann bei einem Kurs von 94 dem Darlehnsnehmer das Geld zu pari geben. Entweder muß der Zinsfuß erhöht werden, oder die Provision muß zur Deckung des Kursverlustes so hoch werden, daß es einer Versagung des Kredites gleichkommt.

Meine Herren, so wird also der landwirtschaftliche Kredit getroffen werden und ebenso auch der städtische. Wenn man beispielsweise die Belastungs⸗ verhältniffe in den mittleren und kleinen Städten kennt, so weiß man, wie sehr der städtische Besitz unter der Hypothekarbelastung leidet. Also den Kredit noch in dieser Weise zu verteuern, würde ich für eine sehr bedenkliche und in ihrer Bedeutung vielleicht noch nicht voll erkannte Nachwirkung des Vorschlags erachten.

Vom allgemeinen Standpunkt vielleicht noch bedenklicher würde die Rückwirkung der beschlossenen Kotierungssteuer auf den Kredit der Provinzen, Kreise und Gemeinden sein. Das Anwachsen der Ver⸗ schuldung der Kommunen ist ja ein Gegenstand ernstester Sorge, und es ist in der Tat alle Veranlassung gegeben, dem so weit wie möglich zu begegnen. Fast täglich gehen solche Anleihegesuche der Städte durch meine Hand. Wofür werden die meisten Anleihen aufgenommen? Gerade für die kommunalen Veranstaltungen, die den minderbemittelten Kreisen der Bevölkerung zugute kommen. Immer wieder handelt es sich um Kanalisation, Wasserleitung, Straßendurchbrüche, Kranken⸗ häuser, Schulen und dergleichen.

Nun sind von 1897 bis 1908 an Anleihen der Provinzen, Krelse und Städten an deutschen Börsen nicht weniger wie 4,355 Milliarden zugelassen worden, also innerhalb 12 Jahren. Es würde also bei einem Satze von 1 pro Mille auf die kommunalen Verbände de

deutschen Reichs auf die in den letzten 12 Jahren emittierten Beträge

eine Mehrsteuer, eine Jahressteuer von 4 355 000 entfallen. (Hört hört! links.) Meine Herren, es ist ja ganz unzweifelhaft, daß di Bankiers, die die Anleihen herausbringen, diese Last nicht etwa ihrer seits auf sich nehmen werden, sondern daß damit der Kurs jeder späteren kommunalen Anleihe wesentlich herabgedrückt wird (seh richtig! Iinks), die Anleihe nur zu ungünstigeren Bedingungen an de Markt kommen würde, und daß also schließlich die Steuerzahler der einzelnen Kommunen die Leidtragenden sein würden. (Sehr richtig links.)

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Auf eins muß ich dabei noch insbesondere hinweisen, das sind

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die Anleihen der Provinzialhilfskassen. Meine Herren, bekaänntlich

nehmen die Provinzialhilfskassen im allergrößten Stile Anleihen auf,

um sie den bedürftigen Gemeinden weiter zu geben, aber namentlich

auch den landwirtschaften Genossenschaften. Die landwirtschaftlichen Ge⸗ nossenschaften sind in ihrem Kredit großenteils auf die Provinzialhilfskassen angewiesen. Wenn Sie also auch diesen Provinzialhilfskassen den Kredit in der Weise verteuern, so sind wiederum die mittleren und

kleineren Teile unserer produzierendenden Bevölkerung in Stadt und Land und namentlich auch die landwirtschaftlichen Genossenschafte

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