Zwangsarbeitsnachweis herrscht weniger bei den flu⸗ menten als gerade bei den einheimischen und altansässigen Bergleuten.
arbeiter in jetzt
einem Wert von 60 Mill. Mark über Tage lagern.
Voraussetzungen aus den schwarzen Listen geradezu buchstäblich nachweisen. Die
nehmer wollen das Agentenwesen beseitigen, schicken aber selbst die Agenten hinaus, um Arbeiter anzuwerben.
meinem Wahlkreise
Zechenlaufen und — Die Sicherheit der Betriebe ist gerade da am meis
genommen?
die bei der Brotlosmachung
gar nicht
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zu sehr
daß das Hamburger System nicht so harmlos ist.
Abg. Kulerski (Pole): Die Unternehmer sind bestrebt, die Arbeiter in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, das weit über den Rahmen des Arbeitsvertrages hinausgeht; das gesetzlich garantierte Koalitionsrecht soll dem Arbeiter illusorisch gemacht, seiner Arbeitskraft, wie es seinen Interessen entspricht, unmöglich gemacht werden. Von einer Umwerbung der Massen sehe ich nichts, aber wohl eine ganz ungerechtfertigte Umwerbung des Unternehmer⸗ tums durch die Vertreter der Staatsregierung, wie es die Antwort des preußischen Handelsministers nur zu sehr erkennen läßt. Der Abg. Beuchelt beschwert sich über die ungerechte Beurteilung seiner Wohl⸗ fahrtseinrichtungen durch die Arbeiter; er sollte doch auch wissen, daß häufig derartige Einrichtungen, die ein philanthropisches Mäntelchen tragen, von den Unternehmern zu eigensüchtigen Zwecken gemißbraucht werden. Die schwarzen Listen, ein scheußliches Marterwerkzeug für die Arbeiter, tauchen jetzt in verschlimmerter Gestalt, in den Zwangsarbeitsnachweis⸗ bureaus auf. Der freie Wille des Arbeiters soll zerschmettert, der Arbeiter zum Sklaven, zum Heloten der Kohlenbarone erniedrigt werden. Das „schwarze Buch“ ist die schwarze Liste in höchster Potenz. Aus welchen Gründen wird die Sperrung der Arbeiter vor⸗ Die uns zugegangene rote Aufklärungsbroschüre gibt darüber sehr interessante Auskunft. Die ganze Geheimniskrämerei, des Arbeiters getrieben wird, muß in
ihm eine ungemeine Erbitterung erzeugen. Die Wirkungen dieses Mannheim⸗Hamburger Systems werden in dem ungeheuren Ruhrkohlen⸗ revier nur noch gewaltiger und unheimlicher in Erscheinung treten. Würde ein Arbeiter wagen, auf Mißstände hinzudeuten, die Kata⸗ strophen wie die in Radbod zur Folge haben können, so würde er alsbald als Agitator, als Aufwiegler usw. gemaßregelt werden. Blind geradezu muß derjenige sein, der hier nicht sieht, daß es sich um ein schmähliches Attentat auf die Freizügigkeit, die Unabhängig⸗ keit, die Koalitionsfreiheit des Arbeiters handelt, und die Zeit wird nicht fern sein, wo dieser Arbeitsnachweis auch für eine gründliche Lohndrückerei als Hilfsmittel verwendet wird. Es wäre dann auch erstaunlich, wenn es im Wirtschaftsleben zu Ex⸗ plosionen käme. Es scheint sogar, als ob jetzt solche dem Unternehmertum gar nicht so unwillkommen wären. Daß die Erregung der Arbeiterschaft so 8“ klärlich angesichts der ihnen soeben auferlegten schweren neuen Steuerbelastung. Der Bescheid des preußischen Handelsministers hat tatsächlich den Anstrich, als ob er die Arbeiter verhöhnen sollte, er könnte sehr gut von den Herren Zechenbesitzern dem Minister diktiert
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worden sein. Der Passus von dem mangelnden Vertrauensverhältnis
zwischen den Unternehmern und den Arbeitern ist ganz direkt eine Verhöhnung der Arbeiter, denn dieses „vertrauensvolle Zusammen⸗
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wirken“ ist dort durch die Schuld der Unternehmer nicht vorhanden und wird nie vorhanden sein. Der Staatssekretär hat uns auf eine ferne Zukunft vertröstet. Soll denn erst ein großes Unglück geschehen sein? Die Antwort des Staatssekretärs war doch wirklich zu lau; es hat geradezu den Anschein, als ob die Staatsbehörden unter dem Drucke des Unternehmertums stehen. Die Unternehmer sind stark genug, um sich selbst zu helfen; Aufgabe des Staates ist es, die Schwachen zu schützen; zum mindesten müssen die Arbeitgebernachweisbureaus unter Kontrolle gestellt werden.
Abg. Behrens (wirtsch. Vgg.): Wenn man die Stimmung im Ruhrrevier richtig beurteilen will, so darf man nicht auf die Notizen Berliner Börsenblätter zurückgreifen. Die Mißstimmung über den
fluktuierenden Ele⸗
In meiner Gewerkschaft ist die Stimmung eine keineswegs rosige; um so mehr, als diese Bergleute die Entwicklung ungefähr ein
Menschenalter hindurch beobachtet und ihre Enttäuschungen sich
organisierte Berg⸗ Frage kommen, rsehen sie sich nicht veranlaßt, oder in den nächsten Wochen die Arbeit einzustellen. Die Bergleute wissen ganz genau, daß 6 Millionen Tonnen Kohlen mit Der Arbeits⸗ markt ist seiner Natur nach ein Gebiet, auf dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt sein müssen. Die Bergarbeiter, auch im christlichen Bergarbeiterverein, haben den Eindruck, daß der Zechen⸗ verband sie noch mehr als bisher in seine Gewalt bringen will. Der preußische Handelsminister hatte ja selbst Bedenken gegen die neuen Bestimmungen: denn in seiner Antwort vom 27. November schrieb er, daß er wegen der Bedenken mit dem Zechenverband in Verbindung getreten sei. Die Unternehmer sagen allerdings, sie wollten nur die bisherigen Mißstände, die Kontrakt⸗ brüche usw. beseitigen. Die Kontraktbrüche der ansässigen und der organisierten Arbeiter sind aber an Zahl sehr gering. Sie kommen vielmehr bei den Massen der Arbeiter vor, die gewisser maßen unschuldig durch die Agenten der Unternehmer unter falschen s Ost⸗ und Westpreußen, Posen, Schlesien, Galizien in das Ruhrrevier herangezogen werden. Das läßt sich aus Unter⸗
nach und nach summiert haben. Soweit
Die Zeche zu wechseln, ist für diese Leute die einzige Möglichkeit, schlechten Löhnen oder Schikanierungen aus dem Wege zu gehen. In der Grube ist es viel leichter, den Menschen das Leben schwer zu machen; in sind von nationalliberalen Arbeitgebern Berg⸗ Abstimmung bei den Wahlen, auch bei den Ich kann also den Arbeitern dem übertriebenen einverstanden bin. eisten gefährdet, wo es ist statistisch nach⸗
leute wegen ihrer Abstimt Knappschaftswahlen, schikaniert worden. 5 nicht ganz unrecht geben, wenngleich ich mit dem Kontraktbruch nicht häufig wechseln;
Beamte und Arbeiter
ggewiesen, daß die meisten Unfälle da vorkommen, wo die meisten Leute durch Agenten herangezogen werden.
Die Arbeitgeber haben zweifellos die Absicht, die alten gelernten Arbeiter aus dem Süden des Ruhr⸗ reviers nach den neuen Bergrevieren im Norden und Nordosten zu verschieben, wo bisher nur die neu herangezogenen ungelernten Arbeiter zur Verfügung stehen. Wenn der Staatssekretär mit Befriedigung feststellt, daß man das Hamburger System nicht in seiner ganzen Schärfe im Ruhrrevier durchführen wolle, so beweist das gerade, Die Förderung
des Tarifvertrages mit Hilfe des Arbeitsnachweises kann nur erreicht
werden müsse, um
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Arbeitgeber seiner Natur nach nur Mittel zum Zweck
Wenn die Arbeitgeber weiter nichts beabsichtigen, als
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werden bei gegenseitigem Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern; die Arbeiter haben aber Ursache zu Mißtrauen. Hat doch der Geheimrat Kirdorf schon 1905 in einer Versammlung ausdrücklich gesagt, daß der Bergbauliche Verein zu einem geschlossenen Arbeitgeberverbande s den Arbeitsnachweis zu organisieren, daß er es aber ablehnen müsse, mit den Arbeiterorganisationen zu verhandeln. Auf der Versammlung des Zentralverbandes deutscher Arbeitgeber verbände hat der Generalsekretär Bueck gesagt, die Notwendigkeit von Arbeitgeberarbeitsnachweisen habe sich wieder eklatant durch den Streik im Ruhrrevier ergeben, wo es zur Gewohnheit der Arbeiter geworden sei, ihre Arbeitsstätten wie einen Taubenschlag zu verlassen. Als sich seinerzeit die Bergarbeiter über die Sperren beschwerten, haben die Herren von der Grubenverwaltung es glatt bestritten, daß derartige Verabredungen beständen. In jener Versammlung hat Bueck auch darauf hingewiesen, daß man mit den Arbeitsnachweisen viel besser das erreichen könne, was man mit den geheimen Sperren erreichen wollte. Auf der Tagung des Mitteleuropäischen Wirtschafts⸗ vereins in Stettin, auf der auch der Zechenverband vertreten war, wurde ebenfalls ausgesprochen, daß der Arbeitsnachweis der sei; er solle zu einer Kontrolle der Streiks und der ausgesperrten Arbeiter dienen. Ordnung zu ich nicht,
schaffen und den Arbeitern Arbeit nachzuweisen, dann weiß lassen.
weshalb sie sich nicht die Mitkontrolle der Arbeiter gefallen
Wer nichts zu verbergen hat, kann sich auch einer öffentlichen Kontrolle
unterwerfen.
Nun noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Staatssekretärs. Wer die Entwicklung des Arbeitsnachweiswesens in der Praxis beobachtet hat, kommt um die Notwendigkeit eines gesetz⸗ geberischen Vorgehens nicht herum. Ich habe selbst jahrelang einen paritätischen Arbeitsnachweis geleitet und habe mich persönlich sehr dafür interessie Die allgemeinen kommunalen paritätischen Arbeits⸗ “ —
die Verwertung
nachweise sind auch fachlich gruppiert. Mir sind einige solcher bekannt, und sie funktionieren sehr gut. Was die Arbeiter betrifft, so haben sie gegen die Einrichtung von Arbeitsnachweisen gar nichts ein⸗ zuwenden, im Gegenteil, sie haben ja dieses Gebiet zuerst betreten. Nach Aufhebung der Innungen, wo sich niemand um den Arbeits⸗ nachweis kümmerte, wollten die Arbeitnehmer ihren Kollegen auf diesem Wege Arbeitsgelegenheit verschaffen. Erst später sind dann diese Arbeitsnachweise mitgebraucht oder gemißbraucht worden als Kampfmittel. Sobald die Arbeitgeber das sahen, benutzten sie dieses Mittel auch. Ich möchte sehr wünschen, daß die verbündeten Regierungen dahin strebten, durch gesetzliches Eingreifen den Arbeits⸗ nachweis möglichst aus dem Kampfe herauszunehmen. Eine ein⸗ seitige Einschränkung der Koalitionsfreiheit ist nicht unser Begehr, wir wünschen vielmehr die Koalitionsfreiheit erst herzustellen. Zweifellos liegt es doch gegenwärtig so, daß den Arbeitgebern was den Arbeitnehmern zum Verhängnis werden kann. Heute ist der gesetzmäßige Gebrauch der Koalitionsfreiheit nicht einmal geschützt, daher auch die vielen Versuche, den § 152 G.⸗O. gründlich zu ändern oder ihn ganz zu beseitigen, damit wir dann den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen unterstellt sind. Unter dem Wunsche nach reichsgesetzlicher Regelung, wie er aus den Reden verschiedener Vorredner herausklang, hat man verschiedentlich eine reichsgesetzliche Zentralisierung verstanden. Solche wollen wir nicht, wir verlangen vielmehr eben nur, daß die Reichsgesetzgebung die Arbeits⸗ nachweise außerhalb des Kampfes stellt. Die Mittel dazu können verschieden sein. Wenn uns das Stellenvermittler⸗ und das Arbeits⸗ kammergesetz schon vorlägen, hätten wir auch gesehen, ob die von der Kommission beschlossene wichtige Aenderung, die nicht verloren gehen darf, der sogenannte Arbeitersekretärparagraph, in den Entwurf auf⸗ genommen ist. Vielleicht können wir in dieses Gesetz hineinschreiben, daß die Arbeitskammern die Kontrolle über die Arbeitsnachweise zu üben haben. Damit kommen wir vielleicht um diesen Streitpunkt herum. Um dem Ziel paritätischer Arbeitsnachweise näher zu kommen, bedarf es auch der Förderung der Tarifverträge. Es brauchten nur bei der Vergebung der Staatsaufträge diejenigen Firmen berücksichtigt und bevorzugt zu werden, die diesen sozialen Gedanken praktisch durchführen. Ich freue mich, daß der Staatssekretär anerkannt hat, daß das Ziel paritätischer Arbeitsnachweise erreicht werden kann. Ich möchte dringend bitten, daß uns im Januar gleich zuerst eine Vorlage darüber zugeht. Die allgemeinen paritätischen Arbeitsnachweise sollen und müssen und werden kommen. Ich schließe mit dem Wort, das bei einer anderen Gelegenheit angewendet worden ist: Mehr Dampf Herr Staatssekretär!
Abg. D). Naumann (fr. Vgg.): Der Staatssekretär stellte sich gestern auf den Standpunkt der Gewerbeordnung von 1869 und be⸗ leuchtete mit den Gesichtspunkten von 1869 eine Situation, die in⸗ zwischen eine ganz andere geworden ist. Daß der Einzelne mit dem Einzelnen einen Vertrag schließt, kommt nur in den untersten Stufen des Erwerbslebens vor. Die Industrie hat sich zum Teil gern, zum Teil ungern darein finden müssen, daß der Arbeitsvertrag eine Art kollektiver Abmachung ist, und ohne Hilfe der Staatsregierung scheint auf dem Gebicte der mittleren Industrien eine Art tarifmäßiger Selbstverwaltung der verschiedenen Gewerbe zustande zu kommen, etwas, was sehr viel wünschenswerter ist, als daß mit Hilfe der Gesetzgebung diese Dinge geregelt werden. Heute handelt es sich um die Großkohlenindustrie, und die wird vom Staatssekretär behandelt, juristisch unanfechtbar, als handelte es sich um Einzelmenschen, die andere Einzelmenschen zu einer Arbeitsleistung herbeiholen und auf dieser Grundlage mit ihnen verkehren. Es gibt heute in der Kohlenindustrie überhaupt einen Einzelnen nicht mehr; es gibt ihn nicht mehr in der Verwertung des Materials, denn in der inneren wie äußeren Politik des Kohlengebietes sind alle Befugnisse des Einzelnen an das Kohlenkontor abgegeben worden. Vom Kohlensyndikat erhält der Einzelne seine Kontin⸗ gentierung, seinen Arbeitsauftrag. Die äußere Politik des Kohlen⸗ syndikats ist durchaus die Politik einer erfolgreichen Uebermacht. Ebenso wie nun diese Kohlenindustrie als Einheitsobjekt nach außen auftritt, so tut sie es auch in der inneren Politik gegenüber der Arbeiterschaft. Im Grunde sind es 14 Größen, die im Kohlensyndikat allein die Kontingentierung in der Hand haben, und die im Zechenverband die ausschlaggebende Macht ausüben können. Es handelt sich um etwas, was man im Mittelalter eine aristokratische Republik genannt haben würde. Es handelt sich um eine Art Territorialherrschaft, ähnlich wie in den späteren Jahren des alten deutschen Kaisertums. Wie unter dem Deckmantel dieses Kaisertums die Territorialherrschaft zur Selb ständigkeit aufgewachsen ist und schließlich dieses alte Kaisertum ge⸗ sprengt hat, so wächst unter dem Schutz vorhandener Rechte, gedeckt und geschützt durch die Minister der Gegenwart, ein neues Macht system bei uns in die Höhe, das Tribut von allen denen fordert, mit denen es in Berührung kommt. Es etabliert sich um eine Obrigkeit unter dem Schutz des sogenannten Einzelvertrages, und unter diesem Einzelvertrage werden 162 000 Arbeiter aus dem Osten in dies Gebiet verbracht. Der Staatssekretär sagt nun, ich kann nichts dazu tun, das sind 162 000 Einzelverträge, und der Einzelvertrag steht unter der Gewerbeordnung von 1869, ich bin da vollständig wehrlos. Die Vertreter des gefestigten und arrondierten Grundbesitzes stehen dieser Sache mit etwas gemischten Ge⸗ fühlen gegenüber. Sie wollen die Zechenvertreter hier mit vertreten und verteidigen. Man hat eine Art geschichtlicher Be⸗ wunderung für diesen Vorgang der neuen Herrschaft, denn es ist genau das, was die Vorfahren der Herren einst taten, als sie die Bauern allmählich scholl⸗ und fronpflichtig machten. Von den 160 000 Arbeitern sind über 130 000 aus den östlichen Provinzen herausgeholt worden, aus einem Lande, das keinen Ueberschuß an Menschen hat. Diese Menschen sind nun das Rohmaterial einer neuen Herrschaft, die das Herrschen noch nicht gelernt hat. Diese Menschen sind vielfach auch ein sehr rohes Material, die von Kontrakten keinen festen Begriff haben, weil sie nicht Deutsch verstehen, und denen die Werber zu Hause nicht klar gemacht haben, wie es in den heißen Gruben sein würde. Wenn nun diese Elendesten der Menschen eines Tages nicht mehr ein und aus wissen vor Hitze, Schweiß und Sorge, wenn sie von einer Zeche zur anderen laufen, dann sagen Sie (nach rechts), diese Leute müssen erzogen werden. Und nun diese vielen Pfändungen. Jede Pfändung ist eine wirtschaftliche Bankrotterklärung, wenn auch eine vorübergehende. Leute dieser Art in wirtschaftlich geregelte Verhältnisse zu bringen, ist eine Ver⸗ waltungsaufgabe, zu der Großherzigkeit und Genialität gehören würden. Und nun tritt man an diese Verwaltungsaufgabe heran ohne Großherzigkeit und ohne Genialität, mit einem bloßen Schema tismus und Zwang, mit einer psvpchologischen Armseligkeit, als könnten Menschen aussortiert werden, wie ein alter Kohlenbestand auf der Halde sortiert wird. Nun hat der Staatssekretär sich jenes Statut angesehen und für harmlos erklärt. Statuten dieser Art sind meistens harmlos. Wenn die Regierung früher Vereine auflösen wollte, so hat sie sich nicht an den bloßen Wortlaut des Statuts gehalten, sondern gefragt: was wird denn durch dieses Statut tatsächlich gedeckt? Der Staatssekretär hat sich bei einem hervorragenden Manne erkundigt; es wurde ihm zugerufen: warum haben Sie nicht mit Arbeitern gesprochen? Der Staatssekretär hört doch im übrigen sehr gut. Daß er sich nur von Unternehmern hat unterrichten lassen, widerspricht doch den Grundsatzen von Parität und Gleichberechtigung. Woher sollen die Kohlenkönige so genau wissen, was unten vorkommt? Sie haben Großes zu tun, sie haben die Geschäfte für das Inland und Ausland zu führen. Im übrigen versichern sie, daß sie den besten Willen haben, und so schreiben sie auch hinein: wir wollen auf die Wünsche der Bergleute eingehen. Auch der Abg. von Dirksen hat dasselbe ver⸗ sprochen. Was kann man mehr haben wollen? Das ist ja bei⸗ nahe eine Wohlfahrtseinrichtung. Rein technisch betrachtet, ist das aber eine Phrase. Die Arbeiter haben natürlich alle den Wunsch, in die besten Gruben und Schächte hineinzukommen, sie melden sich alle dazu. Den Beamten wollte ich sehen, der alle diese Wünsche erfüllen wollte. Er wird einfach den Arbeitern sagen: Hier haben Sie Ihre Stelle, gehen Sie hin.
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erlaubt ist,
Sie Tatsächlich ist durch Verfahrens das Persönliche ausgeschaltet, und die der Bergarbeiter geht durch diesen Arbeits⸗
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nachweis vollends zu Grunde. Worin besteht jetzt noch seine, Gewerbefreiheit? Am Vertrage selbst kann er nichts ändern, es fragt sich Nur, wo ist die Stelle für ihn. Jetzt wird er auf die Stelle geschoben, und es wird ihm nachgerechnet, wann er schon mal eine Stelle verlassen und gewechselt hat. Er wird schollenpflichtig. Wie man früher nach römischem Recht die Bauern fronpflichtig machte, so-macht man jetzt auf Grund der Gewerbeordnung von 1869 mit Hilfe eines Arbeitsnachweises die Arbeiter schollenpflichtig. Nachdem die Kontingentierungskommission des Kohlensyndikats den Arbeiter⸗ bedarf signalisiert hat, werden die Ostprovinzen weiter nach Arbeitern abgesucht, sie werden von dort nach dem Kohlengebiet verfrachtet, dort kommen sie zunächst probeweise in einen der Schächte, und wenn sie zum ersten Male den Platz wechseln, geraten sie in die große Sortierungsmaschine und werden einzeln nach gut, mittel und schlecht sortiert, und ein gewisser Prozentsatz fällt beständig, unwiderruflich unten aus der Maschine heraus, um nie wieder von dieser Maschine aufgegriffen zu werden. Diese Ausgeschiedenen werden der Verwaltung am meisten zu tun machen. Fragen Sie den Bürgermeister in Ludwigshafen oder Mannheim nach den Folgen dieses Systems für die Kommunalverwaltung! Die großen Werke sammeln einen Ueberschuß von Arbeitskräften, damit sie einen gewissen Ausschuß niederlegen können; um die Schächte herum werden sozusagen Halden von unbrauchbarem Menschen⸗ material aufgeschichtet, die von dem Arbeitsnachweis ausgeschaltet sind, und die nun den Kommunen zur Last fallen. Lassen Sie den Apparat nur fünf Jahre arbeiten, dann werden Sie das Geschrei der Armenverbände und Kommunen hören. Dann wird gesagt werden, damals hatten wir einen Staatssekretär des Innern, der nichts tun konnte, weil es nicht gegen die Gesetze war. Ja, irgendwann wachsen solche Dinge und werden für den Staat gefährlich. Wenn dieses
System der Aussonderung im Schwange ist, werden auch Leute, die.
man sonst auf die Knappschaftskassen oder die Unfallversicherung übernehmen mußte, mit ausgesondert und in die Armenverwaltung hinübergeschoben werden. Natürlich wird man irgend welche gut⸗ gesinnte Arbeiter vorweisen können, die sich mit diesem System ein⸗ verstanden erklärt haben, aber ich zweifle, ob es die Arbeiter sind, die von den Herren als Intelligenzen am meisten geschätzt werden. So entsteht eine große Zentralbuchführung, ein System der Personalakten, das schon im Beamtenstand bean⸗ standet wird, in großer Vergröberung, eine Gerichtsbarkeit neuer Art ohne Appellation oder Instanzenzug; es wird nicht angegeben, warum bist du ausgeschaltet. Die Herren werden zwar nicht mehr wie in Mannheim das Wort „Hetzer“ hineinschreiben, sondern vielleicht „dienstlich ungeeignet“, damit, wenn man die Listen abschreibt, nicht mehr das Wort „Hetzer“ darin steht. So wird dieser große Sortierungsapparat auch seinen politischen Dienst gegenüber den Gewerkschaften und den politisch gesinnten Arbeitern tun. Wer in Mannheim im schwarzen Buch steht, für den heißt es: Laß jede Hoffnung fahren. Im mittelalterlichen Liede heißt es: „Ein großes Buch ist aufgeschlagen, drin ist alles eingetragen, um die Menschen anzuklagen.“ So werden die Menschen von einer dunklen unkontrollierbaren Macht, die über ihnen steht, abhängig gemacht. Die Gewerbeordnung von 1869 gibt den Arbeitern das Streikrecht, aber das ist für sie ein absolutes Verzweiflungsmitte. Denn nach der Art der militärischen Mobilmachung ist das ganze Streikgebiet präokkupiert. Und von dieser Gesellschaft, die den Arbeitern gegenüber den Mobilmachungsstandpunkt durchgeführt hat, sagt man, daß sie leider wegen des Mißtrauens der Arbeiter nicht imstande ist, mit ihnen gemeinsam etwas zu tun. Das ist eine große Heuchelei, wenn man die Sache so darstellt, als ob der Arbeiter der Kriegswillige wäre und die anderen, die die große Munition aufgefahren haben, nichts derartiges wollen. Hier müßte der Staat als Dritter eingreifen, und hier hat der Staatssekretär des Innern nicht nur juristisch zu sprechen, sondern politisch. (Rufe rechts: Ausnahmegesetz! Unruhe links und Rufe: Maschinengewehre!) Der Minister behandelt die Sache formalistisch und sagt, in der Gewerbeordnung ist nichts ge⸗ schrieben, und im übrigen gehöre diese Frage an die preußische Regierung. Wenn diese Frage nach Preußen verwiesen wird, so wird sie in ein merkwürdiges Land verwiesen, in ein Land, wo das Dreiklassenwahlrecht herrscht, ein unanständiges Wahl⸗ recht. (Stürmischer Beifall links und Lachen rechts. — Glocke des Präsidenten. Präsident Graf zu Stol berg: Sie werden selbst einsehen, daß es nicht gestattet ist, das Wahlrecht eines deutschen Einzelstaats als ein unanständiges Wahlrecht zu bezeichnen.) In einem Staate, der auf dem Klassenwahlrecht politisch aufgebaut ist, muß auch Klassenpolitik getrieben werden. Wenn der preußische Staat allerdings wollte, könnte er den Gedanken der Parität auf dem Verwaltungswege außerordentlich fördern. Er brauchte seine Lieferungen nur von solchen Werken zu nehmen, die ihrerseits paritätischen Grundsätzen huldigen. Sie (nach rechts) werden sagen, das ginge nicht. Aber so gut wie z. B. die Stadt Straßburg ihre Lieferungen nur von solchen Firmen nimmt, die den paritätischen Arbeitsnachweis benutzen, ebenso könnte der preußische Staat, wenn er wirklich das Suum cuique auf seine Fahne ge⸗ schrieben hätte, wenn er den Charakter des Klassenstaats überwinden wollte, auch den Grundsatz der Parität durchführen. Der preußische Staat hätte es verhältnismäßig leicht, mit diesen Bergherren zu reden. Sie würden es sich sehr überlegen, wieweit sie den Staat bei dieser Gelegenheit reizen wollen. Ein preußischer Minister ist doch sonst nicht der Mann, der aus lauter Furcht die Mittel, die er in der Hand hat, nicht anwendet. Aber der Minister sagt uns: ich werde es nicht können, denn ich als preußischer Minister beruhe auf dem Dreiklassenwahlrecht, und im Reiche heißt es: die Sache gehört nach Preußen, in die Dunkelkammer hinein. Der Staatssekretär hat nicht die Rede gehalten, die wir von ihm er⸗ wartet haben. Preußen ist infolge der besonderen Konstruktion seiner Verfassung nicht in der Lage, sozialpolitisch zu wirken. (Zurufe von rechts.) Warum sind Sie (nach rechts) denn eigentlich für das preußische Landtagswahlrecht? (Rufe von rechts: Weil es ver⸗ nünftig ist! Schallende, sich immer wiederholende Heiterkeit.) Weil das Landtagswahlrecht vernünftig ist? Nein, es ist für Sie das vernünftigste aller Wahlrechte, weil es Ihnen nützt. (Große Heiter⸗ keit linkts und anhaltender Lärm rechts. Glocke des Praäsidenten.) Was Ihnen nützt, das ist vernünftig. (Rufe von rechts: Weil das Volk dort keine Mehrheit hat! Große Unruhe links! der Pr. äsident bittet un Ruhe! Ich stehe auf demselben Standpunkte wie mein Freund Manz, nicht alle Arbeitsnachweise zu monopolisieren oder zu zentralisieren. Ueberall dort, wo auf dem Boden von Tarifverträgen Arbeiterverbände und Arbeitgeberverbände in einem Verhandlungs⸗ system miteinander stehen, wird es das beste sein, daß auf diesem Verhandlungswege auch das System des Arbeitsnachweises geschaffen wird. Die Sozialdemokratie fühlt jetzt selber die Folgen ihrer einseitigen Stellungnahme, indem man ihnen gegenüber die Ein⸗ seitigkeit ihres früheren Klassenstandpunktes anwendet. In anderen Fragen ist bei der Sozialdemokratie dieser einseitige Standpunkt heute Üüberwunden. (Rufe rechts: Na! Na!) Ja wohl, praktisch, denn die Arbeiterbewegung weiß jetzt, daß der Arbeitsnachweis als Beginn des Arbeitsvertrages eine vertragsmäßige Angelegenheit ist. Die Staatseinmischung muß aber dort einsetzen, wo ein Arbeits⸗ nachweis obligatorisch ist. Da muß der Staat die Parität wahren. Meiner Meinung nach muß der Arbeitsnachweis mehr fachlich ge⸗ staltet sein. Die Arbeitskammern würden die geeignete Stelle sein, den fachlichen paritätischen Arbeitsnachweis durchzuführen. Dazu gehört allerdings nicht nur, daß wir Arbeitskammern besitzen, sondern daß sie auch so konstruiert sind, daß sie das können. In dieser Be⸗ ziehung unterschreibe ich alles, was der Abg. Behrens darüber gesagt hat. Die Arbeitskammern müssen auch bestimmte Verwaltungs⸗ pflichten haben, nicht bloß beratende und begutachtende Behörden sein.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
gebracht hat, können nicht ausschlaggebend sein, denn
Regierung wollen aber nicht, sie haben gar kein Empfinden für dies Dinge.
Reichstag apostrophiert; man
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Will man das nicht, dann muß man die Sache kommunal organisieren. Die Bedenken, die hiergegen der Abg. Fuhrmann vor⸗
— sie lassen sich gegen Die Vertreter der
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jede Form des Arbeitsnachweises einwenden.
Ihre Empfindungswelt ist eine andere. Hat doch der Staatssekretär das Interesse für die Witwe, die irgend einen Anteil an einer Bergwerksaktie hat, also ein kapitalistisches Interesse, voran⸗ gestellt; von allen den Tausenden, die dort materiell und geistig ins Elend geraten, ist nicht die Rede. Das ist nicht die erste Klasse der Staatsbürger, das ist die plebejische Masse, auf die keine Rücksicht genommen zu werden braucht! (Stürmische Zustimmung und an⸗ dauernder Beifall links; große Unruhe rechts. Auf der großen Mittel⸗ tribüne für die Zuhörer erhebt sich eine Frauenstimme, die den hört die Worte: „Meine Kinder be⸗ kommen nichts!“ Die allgemeine Aufmerksamkeit wendet sich dieser Tribüne zu. Die Frau wird von den Galeriedienern hinausgeführt.)
Staatsminister, Staatssekretär des Innern Delbrück: Mieine Herren! Von den Herren Abgeordneten, die vor dem Abg. Herrn Dr. Naumann gesprochen haben, ist der ruhige und objektive Ton, mit dem ich mich bemühte, diese Sache zu führen, aufrecht erhalten, und das liegt meines Erachtens im Interesse der Sache. (Sehr wahr! rechts.) Ich bin ihnen dafür ganz besonders dankbar.
Ich habe eine Reihe von Fragen, welche die Herren Ab⸗ geordneten gestellt haben, zu beantworten; ich kann dabei zum Teil auf das Bezug nehmen, was ich gestern ausgeführt habe. Der Herr Abg. Behrens hat sich darüber gewundert, daß das Arbeitskammergesetz so spät kommt. Ich habe darauf zu antworten,
daß es um deswillen so spät kommt, weil ich mit Rücksicht auf die
Einbringung der
wenig freundliche Aufnahme, die das Gesetz eigentlich auf allen Seiten des Reichstages gefunden hat, versucht habe, für diese Frage eine andere Lösung zu finden. Erst nachdem ich mich davon überzeugt habe, daß diese Lösung minder vollkommen sein würde als dieses, wie ich anerkenne, nicht sehr vollkommene Arbeitskammergesetz, habe ich mich entschlossen, den verbündeten Regierungen die erneute Vorlage vorzuschlagen. Ich glaube, wir werden auf ein Eingehen auf die Einzelheiten dieses Entwurfs heute verzichten können; wir werden uns ja, wenn er hier im Hause ist, darüber aussprechen können.
Ebensowenig bin ich in der Lage gewesen, das Stellen⸗ vermittlergesetz früher vorzulegen. Ich weiß auch nicht bestimmt, ob ich es unmittelbar nach den Feiertagen werde vorlegen können. Sie können aber versichert sein, daß es so bald als tunlich geschieht: ich habe selbst das größte Interesse, diese beiden Gesetze hier im Hause so bald als möglich zur Verabschiedung zu bringen.
Nun, meine Herren, möchte ich auf das eingehen, was der Herr Abg. Naumann ausgeführt hat. Der Herr Abg. Naumann begann seine Rede damit, daß ich diese für weite Bevölkerungskreise wichtige Frage lediglich unter dem formal⸗juristischen Gesichtspunkte der Bestimmungen in der Gewerbe⸗ ordnung von 1869 behandelt hätte, und durch seine weiteren Aus⸗ führungen klang immer der Vorwurf hindurch: dieser Minister kommt nicht hinweg über eine rein formale, juristische Behandlung der Dinge; ihm fehlt das Verständnis für das, was seit dem Jahre 1869 passiert ist; ihm fehlt das Verständnis und der gute Wille, den berechtigten Forderungen gerecht zu werden, velche die inzwischen veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse an uns alle und an die verbündeten Regierungen stellen. Ich glaube, der Herr Abg. Naumann wird, wenn er meine Rede noch einmal durch⸗ liest, finden, daß mein Gedankengang doch etwas anders ist. Ich habe pflichtmäßig zunächst prüfen müssen, ob die bestehenden Gesetze einem Arbeitsnachweis, wie er im Ruhrrevier gegründet werden soll, wider⸗ sprechen oder nicht, und es ist gut gewesen, meine Herren, daß ich das getan habe, denn ich bin bei dieser Gelegenheit noch einmal in die Lage gekommen, der Legende entgegenzutreten, als wenn der § 152 der Gewerbeordnung nur für die Arbeiter, nicht auch für die Arbeit⸗ geber Geltung hätte. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Nun, meine Herren, bin ich auch nicht ganz so einfältig in meinen volkswirtschaftlichen Anschauungen, wie der Herr Abg. Naumann glaubt. (Sehr gut! und Heiterkeit rechts.) Ich glaube, daß man auch ohne Studien, wie sie Herr Naumann auf diesem Gebiete gemacht hat (sehr gut! rechts), zu der Vorstellung kommen kann, daß sich seit dem Jahre 1869 unsere Ver⸗ hältnisse verändert haben. (Heiterkeit und Bravo! rechts.) Meine Herren, es unterliegt keinem Zweifel, daß unsere gesamte wirtschaftliche Entwicklung, wie wir sie unter der Geltung der Gewerbeordnung seit 1869 beobachten, zu Ergebnissen geführt hat, die man beim Erlasse dieses Gesetzes wohl nicht vorhersehen konnte. (Sehr richtig! rechts.)
Aber eine andere Frage darf man wohl aufwerfen: ob nicht gerade der § 152 der Gewerbeordnung die Grundlage gewesen ist, auf der wir zu unserer heutigen wirtschaftlichen Entwicklung gelangt sind, und ob nicht gerade dieser § 152 die Grundlage gewesen ist für die Entwicklung unserer Arbeiterschaft in wirtschaftlicher und politischer Beziehung. (Sehr richtig! rechts.) Auf der Grundlage dieses § 152 der Gewerbeordnung sind die Arbeiter dazu gelangt, sich gewerkschaftlich zu organisieren; unter der schrankenlosen Freiheit, die der § 152 (lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten) gewährt, haben sich diese Organisationen zu einer Macht entwickelt (Rufe von den Sozialdemokraten: Maschinengewehre!) — haben sich diese Organisationen zu einer ganz anderen Macht entwickelt — (Erneute Zurufe — Glocke des Präsidenten), als sie sein würden, wenn wir die Entwicklung der Berufsvereine von vornherein in die reglementierenden Schienen einer gesetzlichen Ordnung eingefügt hätten. Und, meine Herren, das Er⸗ gebnis dieser Betrachtungen ist für mich, daß es im Interesse aller nicht richtig ist, jetzt, wie der Herr Abg. Naumann es, wenn ich ihn recht verstanden habe, vorschlägt, grundsätzlich den Boden der Freiheit, den der § 152 der Gewerbeordnung bietet, zu verlassen und an seine
Zweite Beilage ischen Neichsanzeiger und Königlich Preußischen S
Berlin, Donnerstag, den 16. Dezember
taatsanzeiger.
Stelle eine reglementiereude Gesetzgebung treten zu lassen, welche die Arbeitgeber und Arbeitnehmer einschränkt in der freien Betätigung innerhalb ihrer wirtschaftlichen Kämpfe. (Sehr rriicchtig! rechts.) Meine Herren, das habe ich gestern ausgeführt.
Ich habe dabei ausdrücklich zugegeben, daß diese Koalitions⸗ freiheit erhebliche Mißstände zeitigt und gezeitigt hat, daß diese Koalitionsfreiheit hüben und drüben zu Auswüchsen geführt hat, die unerwünscht und, wenn ich mich so ausdrücken darf, mit den guten Sitten nicht vereinbar sind. Aber, meine Herren, selbst wenn sich ein Jurist fände, der die Fähigkeit hätte, die Fälle klarzulegen, in denen Mißbräuche der Koalitionsfreiheit strafrechtlich ge⸗ ahndet werden sollten, so würde immer die Schwierigkeit bleiben: wer soll denn für diese Mißbräuche der Koalitions⸗ freiheit bestraft werden? Wir würden nur in der Lage sein, zu strafen die Beamten der Koalition. Diese Beamten haben aber hinter sich eine leistungsfähige Organisation, die ihnen ohne weiteres die Strafe bezahlen wird. Auf der anderen Seite aber würden Sie auch in die Lage kommen, zu strafen den Arbeiter, der seinerseits einen gesperrten Arbeitsnachweis in Anspruch genommen hat. Und ich frage Sie: ist das richtig, ist das konsequent, daß man zu derartigen Strafbestimmungen übergeht, daß man einen Arbeiter be⸗ straft, der in der Not einen Arbeitsnachweis in An⸗ spruch genommen hat, der auf die Strafliste gesetzt ist? Also, meine Herren, ich habe nicht gesagt, daß die Gewerbeordnung von 1869 für mich ein Ideal gesetzgeberischer Arbeit sei. Ich habe nicht behaupten wollen, daß die Verhältnisse, die wir heute haben, denen entsprechen, die bei Erlaß der Gewerbeordnung von 1869 bestanden haben. Ich habe anerkannt, daß sich die Verhältnisse in dieser Zeit erheblich geändert haben. Ich bin aber im Zweifel, und wenn ich mit dem Herrn Abg. Dr. Naumann daran⸗ ginge, einmal juristisch das durchzuarbeiten, was er will, dann würde er vielleicht diesen Zweifel teilen, ob heute der Zeitpunkt gekommen ist, um in eine völlig grundstürzende Aenderung unserer Auffassungen über die Koalitionsfreiheit einzutreken.
Ich glaube, ich kann damit diese allgemeinen Betrachtungen ver⸗ lassen. Ich darf aber vielleicht den Herrn Abg. Naumann auch daran erinnern, daß ich gestern weitergehend gesagt habe: trotz dieser grund⸗ sätzlichen Bedenken, die ich gegen einen Eingriff habe, will ich gern die Frage prüfen, ob überhaupt die Einrichtung von Zwangsarbeits⸗ nachweisen auf paritätischer und öffentlicher Grundlage zurzeit möglich ist.é Ich habe mich bemüht, diese Frage zu beantworten, und bin dann auf Grund von Erwägungen, die von einer Reihe von Ab⸗ geordneten in diesem hohen Hause geteilt werden, zu dem Ergebnis gelangt: der Zeitpunkt für einen Zwang ist noch nicht gekommen, wir würden bei einem gesetzgeberischen Versuche dieser Art Aufgaben gegenüberstehen, die wir zu lösen außerstande sind. Ich habe mich an sich gegenüber dem Gedanken des paritätischen Arbeitsnachweises auf öffentlicher Grundlage nicht ablehnend verhalten, ich habe nur gesagt: wir können ihn heute nicht zwangsweise einführen, aber wir wollen uns bemühen, ihm allmählich mehr und mehr Boden zu schaffen, nicht allein durch eine Förderung der Propaganda des Verbandes deutscher Arbeits⸗ nachweise, deren Wirkung ich nicht übermäßig hoch anschlage, sondern auch auf dem Wege der Gesetzgebung, insoweit man auf diesem Wege indirekt die Beseitigung anderer Arbeitsnachweise und die Konsolidie⸗ rung und Vermehrung der paritätischen Arbeitsnachweise erreichen kann. Ich glaube, das Programm, das ich Ihnen entwickelt habe, ich doch wohl nicht so ärmlich, so unfruchtbar und so absolut negativ, wie es der Herr Abg. Naumann darzustellen beliebt hat.
Meine Herren, ich möchte nun auf etwas Anderes eingehen. Ich habe nach dem, was gestern und auch heute hier gesagt ist, die Empfiudung, daß wir auf dem Gebiete unserer wirt⸗ schaftlichen und sozialen Kämpfe einen erheblichen Schritt vorwärts gemacht haben, weil zum ersten Male, wie ich mich zu erinnern glaube — jedenfalls ist es früher noch nicht mit dieser Entschiedenheit geschehen —, von sämtlichen Arbeiter⸗ vertretern der Wunsch ausgesprochen worden ist, friedlich und ruhig mit den Arbeitgebern gemeinschaftlich ihre Angelegenheiten zu regeln. Daß dieser Gedanke ausgesprochen ist und so energisch verfochten ist, das ist etwas wert, ist mehr wert als ein halbes Dutzend sozialpolitischer Gesetze. Denn die Lösung aller dieser Schwierigkeiten liegt nicht darin, daß wir Gesetz über Gesetz verabschieden, sondern darin, daß wir versuchen, die Kluft zu überbrücken, die sich — ich will nicht die Schuldfrage untersuchen — zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in unserem Vaterlande entwickelt hat, eine Kluft, deren Beseitigung allen Parteien dieses Hauses und den verbündeten Regierungen gleich⸗ mäßig am Herzen liegen muß, eine Kluft, die heute einen großen und wertvollen Teil unserer Volkskraft von einer gemeinsamen Regelung unserer politischen und wirtschaftlichen Beziehungen aus⸗ schließt.
Ein anderer Herr Redner hat heute gesagt: man müsse verlangen, daß überall mit einwandfreien Waffen gekämpft werde, und ich frage Sie: ist von seiten der Arbeiter gegenüber den Arbeitgebern immer mit einwandfreien Waffen gekämpft worden? Können Sie denn all die schweren Beschuldigungen aufrecht erhalten, die Sie erhohen haben gegen die Zechenverwaltungen aus Anlaß des Unglücks in Radbod? Meine Herren, würden Sie, wenn Sie mit mir unter vier Augen wären, all die Beschuldigungen aufrecht erhalten wollen, die der Herr Abg. Hue mir und der preußischen Bergverwaltung im vergangenen Jahre hier im Reichstage entgegengeschleudert hat? Nein, meine Herren, das würden Sie nicht tun! Ich habe zu viel mit Arbeitern in meinem Leben verhandelt, um nicht zu wissen, daß sie einsichtiger sind und milder in der Beurteilung, als sie sich gelegentlich im öffentlichen Kampfe geben.
Also, meine Herren, wenn wir überhaupt zu einem Ziele kommen wollen auf diesem Gebiete, dann helfen uns nicht Bestimmungen, die ein paritätisches gemeinsames Arbeiten vorschreiben, sondern dann können uns nur Gesinnungen helfen, die auf beiden Seiten ein paritätisches
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und gemeinschaftliches Arbeiten ehrlich anstreben. (Sehr richtig! rechts.) Dieses Ziel erreichen wir jedoch nicht, wenn Sie immer und immer einseitig die Interessen der Arbeiter vertreten. Das ist zwar Ihr gutes Recht. Aber man soll nicht die Schuld an allem, was passiert, einseitig auf die Schultern der Arbeitgeber legen, vielmehr soll man sich daran erinnern, daß auch auf der anderen Seite manch bitteres Wort gefallen und manche harte Tat geschehen ist, die die Arbeitgeber schwer zu kränken und zu verletzen und mit Erbitterung zu erfüllen geeignet war. (Sehr richtig! rechts.)
Dies, meine Herren, wollte ich Ihnen sagen, und wenn der Herr Abg. Naumann der Meinung gewesen ist, daß wir in Preußen nicht in der Lage wären, Parität zu üben, so kann ich nur sagen: ich habe den Eindruck, daß in sozialpolitischen Fragen auch der auf Grund des allgemeinen Wahlrechts gewählte Reichstag ebensowenig in der Lage ist, Parität zu üben; denn die Parität wird hier nicht geübt gegen⸗ über dem Unternehmer. Da hören wir nur immer Anklagen und Beschwerden; aber es wird niemals anerkannt, daß auch der Unter⸗ nehmer ein berechtigtes Glied in unserer ganzen wirtschaftlichen Ent⸗ wicklung ist.
Der Herr Abg. der Ansicht gewesen, ich hätte es abgelehnt, die Angelegenheiten des Arbeitsnach⸗ weises im Ruhrrevier hier näher zu behandeln, weil es mit Rücksicht auf die berggesetzlichen Bestimmungen eine preußische An⸗ gelegenheit wäre. Das habe ich nicht getan. Ich habe gesagt, das, was ein einzelner Bundesstaat und seine einzelnen Minister im Rahmen und im Einklang mit den Reichsgesetzen unternehmen, gehört verfassungsmäßig in die einzelnen Landtage, und wir können nicht hier im Reichstage einzelne Handlungen eines Ministers eines Einzelstaats, die sich im Einklang mit den Gesetzen befinden, zum Gegenstand einer Erörterung machen.
Im übrigen aber wird der Herr Abg. Naumann mir zugeben müssen, daß ich materiell auf alle etwa in Betracht kommenden Fragen eingegangen bin.
Dann hat der Herr Abg. Naumann eine Bemerkung gemacht die ich nicht ganz verstanden habe. Es kam das Wort „plebejisch“ darin vor. Ich behalte mir vor, darauf zurückzukommen, wenn ich den Wortlaut kenne. Jedenfalls hat der Herr Abg. Naumann auch hier aus dem, was ich gestern gesagt habe, eine einzelne Wendung herausgegriffen um Waffen zu schmieden gegen das, was ich ausgeführt habe, und gegen die Gesinnungen, die er mir unterschiebt. Er hat gesagt, ich hätte von der armen Witwe gesprochen, die in den Zechenherren ge schützt werden müßte. Meine Herren, das habe ich nicht gesagt Ich habe nur darauf aufmerksam machen wollen, meine Herren — und wenn Sie das Stenogramm meiner Rede nachlesen werden, was nach meiner Erinnerung an dieser Stelle nicht korrigiert ist —, so werden sie das bestätigt finden, ich habe nur sagen wollen, es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, daß die Zechenherren, die wenigen Leute, die dort als Vertreter des Bergbaues in die Erscheinung treten, tatsächlich die allein Interessierten sind, sondern interessiert sind an unserer In dustrie, die ja meist in großen Aktiengesellschaften organisiert ist, alle diejenigen, die Besitzer von Aktien sind, und, meine Herren, daß unter diesen Aktienbesitzern manche Leute sind, die das Geld nicht übrig haben, wird mir jeder bestätigen, der in seinem Leben einmal eine Vormundschaft geführt und Aktien in den Händen gehabt hat.
Nun, meine Herren, damit darf ich wohl schließen. Ich glaube ich habe in der Hauptsache alle an mich gestellten Fragen beantworte oder steht noch eine aus? (Seiterkeit und Zurufe bei den Sozial⸗ demokraten.) — Meine Herren, Sie haben mich gefragt, warum ich keine Arbeiter gehört hätte. Meine Herren, die Frage des Arbeits nachweises ist eine Angelegenheit, mit der ich mich seit Jahren be schäftige. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben in meinem Zimmer gesessen, als ich noch preußischer Handelsminister war. Ich habe wegen einzelner Arbeitsnachweise mit den Arbeitgebern und Arbeit⸗ nehmern verhandelt und verhandeln lassen. Ich habe mich im vor⸗ liegenden Falle um Einzelheiten in den Verhandlungen nicht be kümmert. Ich habe mit einzelnen Abgeordneten der verschiedensten Parteien im Laufe der letzten Zeit über die Sache gesprochen, und es hat mich außerdem auf meinen Wunsch einer der Vertreter des Zechenverbandes besucht, auf den ich in demselben Sinne ein⸗ wirken wollte, wie der preußische Herr Handelsminister. Auf diese Weise bin ich in die Lage gekommen, mich noch speziell auf eine Aeußexung dieses Vertreters der Herren vom bergbaulichen Verein zu beziehen. Im übrigen kennen mich alle diejenigen, mit denen ich bisher zu arbeiten die Ehre gehabt habe, daraufhin ganz genau, daß ich mich nicht einseitig informiere, und daß meine Tür niemandem ge⸗ schlossen ist, er mag sein, wer er will, und heißen, wie er will, der mir irgendwelche Wünsche vorzutragen hat.
Meine Herren, ich komme zum Schluß. Ich möchte nur noch einmal dem Wunsche Ausdruck geben, daß der versöhnliche Zug, der heute die Verhandlungen im großen und ganzen beherrscht hat, in der Oberhand bleibt. Dann, meine Herren, werden wir von selbst zu einer paritätischen Regelung nicht nur dieses, sondern auch vieler anderen Fälle kommen, und nur auf dieser Grundlage werden wir die wirtschaftlichen und sozialen Kämpfe aus der Welt schaffe (Bravo! rechts.)
Abg. Schirmer (Zentr.) derbreitet sich zunächst unter großer Unruhe des Hauses über die Handhabung des Kvalitionsrechtes, wobei er hervorhebt, daß wir eigentlich nur einen Schutz des Sichnichtkoalierens der Arbeiter haben, und fährt dann fort: Es sollte endlich auf diesem Gebiet gleiches Recht für alle g. schaffen werden. Was der Staatssekretär uns in bezug auf den Zechenarbeitsnachweis gesagt hat, hat uns nicht befriedigt. Seine Ausführungen waren auf den Ton gestimmt, in dem der Handels⸗ minister auf die Eingabe der Bergarbeiterverbände geantwortet hat. Er hat wohl die ganze Tendenz der Bewegung des zentralisierten Arbeitsnachweises der Arbeitgeber übersehen. Diese geht dahin, die Arbeitnehmer in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen. Ein formaler Verstoß liegt ja nicht vor, aber das Hamburger System verstößt doch gegen den Sinn und Geist der Gewerbcordnung, die den Zweck hat, den Arbeitern Bewegungsfreiheit zu geben, sie vor Verruf
Naumann ist dann