1910 / 14 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 17 Jan 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Der König Franz Joseph hat, wie die „Neue Freie Presse“ meldet, die ihm heute vom Grafen Khuen⸗Hedervary unterbreitete Ministerliste genehmigt. Im Laufe des heutigen Nachmittags werden die Handschreiben ausgefertigt, durch die Graf Khuen zum ungarischen Ministerpräsidenten ernannt und die Mitglieder des neuen Kabinetts bestellt werden. Das neue Kabinett wird sich noch in dieser Woche im Abgeordneten⸗ hause vorstellen, vor dem Graf Khuen sein Programm darlegen wird, dessen Kernpunkt die Wahlreform bildet. Graf Khuen steht auf dem Standpunkt des allgemeinen Wahlrechts ohne Einschränkung durch einen Zensus oder durch ein Pluralwahlrecht. Neben der Wahlreform wird das Regierungs⸗ programm auch Reformen, betreffend die Verwaltung, Reformen auf dem Gebiete der Justiz und die von dem Kabinett Wekerle nicht vollendeten Angelegenheiten, wie insbesondere die Regelung der bosnischen Verfassung, enthalten. Frankreich. In dem vorgestern im Elysée abgehaltenen Ministerrat teilte der Minister des Aeußern Pichon, „W. T. B.“ zufolge, den Text der Abmachungen mit, die mit den marokkanischen Abgesandten bezüglich der Schauja, der algerisch⸗marokkanischen Grenze und der Anleihe getroffen worden sind. Die Ab⸗ machungen sind von den Vertretern des Sultans unterzeichnet. Pichon erklärte sodann, daß der Stand der Verhandlungen mit der Türkei wegen des Zwischenfalls bei Dehibat auf eine schnelle und befriedigende Regelung zu rechnen gestatte.

Der Ausschuß der radikalen und der radikal⸗sozialistischen Partei hat sich gegen die Proportionalwahl ausgesprochen.

Rußland:

Die Marinestudienkommission ist vor⸗ gestern nachmittag vom Kaiser Nikolaus in feierlicher Audienz empfangen worden. In der Begrüßungsansprache, die der Prinz Tsai⸗Hsün hielt, gab er, „W. T. B.“ zufolge, zunächst seiner Dankbarkeit für den wohlwollenden Empfang Ausdruck, übermittelte die freundschaftlichen Grüße des Prinz⸗Regenten und führte dann aus, die traditionelle Freundschaft beider Staaten würde dazu beitragen, die Wohlfahrt der ganzen Welt zu fördern. Hierauf begrüßte der Kaiser Nikolaus den Prinzen als Mitglied des Kaiserlichen Hauses des befreundeten chinesischen Reiches und sprach die Ueberzeugung aus, daß der Besuch des Prinzen zur weiteren Befestigung der vielhundert⸗ jährigen Freundschaft Rußlands und Chinas beitragen werde.

Italien.

Die „Agenzia Stefani“ veröffentlicht folgende Note:

Einige Zeitungen bringen beunruhigende Meldungen über die Lage in Aethiopien, über Abmachungen zwischen den drei Mächten Italien, Großbritannien und Frankreich bezüglich einer bewaffneten Intervention in Abessinien sowie über die Entsendung von italienischen Truppen nach Erythräa. Diese Meldungen entbehren jeder Begründung.

Spanien.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ bewegte sich gestern in Barcelona ein Demonstrationszug von etwa 30 000 Per⸗ sonen durch die Stadt nach dem Palast des Gouverneurs. Hier wurde eine Adresse überreicht, in der um Amnestie für die wegen der Vorgänge im Juli vorigen Jahres in Haft ge⸗ nommenen Personen gebeten wird. Die Ordnung wurde nirgends gestört. 8 v11A“

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Die von dem Obersten Handels⸗ und Industrierat eingesetzte Kommission zur Prüfung der durch den neuen französischen Zolltarif geschaffenen Lage hat, „W. T. B.“ zufolge, vor⸗ gestern ebenfalls ihre Ansicht dahin ausgesprochen, daß die Zölle auf französische Weine zu erhöhen seien.

Schweden.

Der Reichstag ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ vorgestern zusammengetreten. Der König hat das bisherige Präsidium wiederernannt.

Afrika.

Eine Abordnung der letzten fünf Stämme, die sich noch nicht unterworfen hatten, ist nach einer Meldung des W. T. B.“ gestern in Penon de la Gonsera eingetroffen, um deren Unterwerfung anzukündigen mit der Versicherung, daß sie nunmehr treu zu Spanien halten wollten. Der Handel nach dem Innern des Landes ist damit wieder frei.

Koloniales. v1“

Ueber Tabakbau, Kakao⸗ und Kaffeekultur in den

deutschen Kolonien berichtet der Geheime Regierungsrat, Professor Dr. das Kolonialwirtschaftliche Komitee:

Die Tabakanbauversuche im großen, die in unseren Kolonien, besonders in Ostafrika, auf Neu⸗Guinea und in Kamerun, in früheren Jahren unternommen wurden, haben leider nicht den gewünschten Erfolg gebracht und mußten zugunsten anderer Kulturen aufgegeben werden. Im Jahre 1907 hatte die Gesamtausfuhr unserer Kolonien an Tabak nur einen Wert von 67 000 ℳ, während die Einfuhr nach Deutschland im gleichen Jahre 141 Millionen Mark (1908: 136 Millionen Mark) betrug. Die Kolonien selbst hatten im gleichen Jahre einen eigenen Bedarf, d. h eine Einfuhr an Tabak von über 2 ½ Millionen Mark. Es ist daher unbedingt anzustreben, daß mindestens der Eigenbedarf der Eingeborenen in den Kolonien selbst produziert wird, ein Ziel, das leicht erreicht werden kann, da es sich hierbei nicht um Qualitätstabak handelt. D.

Wohltmann an

Die Vorbedingungen für einen rentablen Tabakbau sind vor allem gutes Land, sicheres Klima, geschickte Arbeiter, tüchtige Sachverständige und richtige Pflanz⸗ methoden. Nach den heutigen Erfahrungen kommen von unseren Kolonien hauptsächlich Kamerun, Neu⸗Guinea und der Norden von Deutsch⸗Südwestafrika für die Tabakkultur in Frage, da sie gutes Tabakland besitzen. Nach Mitteilungen des Deutschen Tabakvereins waren die bisher aus Kamerun stammenden Tabakproben in bezug auf Struktur des Tabaks, Deckfähigkeit, Brennbarkeit usw. durch⸗ aus vielversprechend. Wenn aber die Tabake fermentiert waren, stellte sich der Pfälzer Charakter heraus. Eine zur Vorbereitung des Tabak⸗

ues zu bildende Gesellschaft würde daher entsprechend anders ver⸗ fahren müssen, um geeignete Proben zu erhalten, und jedenfalls auch ausreichende Mittel aufbringen müssen, um umfassende Versuche mehrere Jahre lang durchführen zu köonnen. Neuerdings werden in Kamerun durch die Regierung größere Tabakbauversuche vorgenommen, weitere Versuche, und zwar mit orientalischem Tabak, sind im nörd⸗ lichen Teil von Deutsch Ostafrika geplant.

Der Kakaobau hat sich in den Kolonien, besonders in Kamerun, Neu⸗Guinea und Samoa, recht günstig entwickelt. Die Gesamt⸗ ausfuhr aus den Kolonien im Jahre 1907 hatte einen Wert von rund 2 700 000 ℳ. Dagegen betrug der Bedarf Deutschlands im gleichen

Millionen Mark. Wir decken daher heute nur 4 ½ % X Kolonien selbf An der Kakaowelternt von

1908 mit über 193 Millionen Kilogramm waren die deutschen Kolonien nur mit etwa 1,4 % beteiligt, während der Konsum Deutschlands 1908 21 % der Welternte ausmachte. 8

Mit dem Kaffeebau in den Kolonien verhält es sich ähnlich wie mit dem Tabakbau. Die Kultur im großen hat in keiner unserer Kolonien den erwarteten Erfolg gebracht. In Ostafrika 1 seit dem Jahre 1890 rund 18 Millionen Mark in Kaffee angelegt worden. Die Gesamtproduktion der deutschen Kolonien im Jahre 1907 betrug nur etwa 4 Million Mark. Die Gesamtausfuhr aus den deutschen Kolonien belief sich 1907 auf etwa 545 000 ℳ, während der Gesamt⸗ bedarf Deutschlands im gleichen Jahre 162 Millionen Mark betrug. Fürs erste is die Kaffeekultur in unseren Kolonien im großen bei der schlechten Preislage nicht anzuraten. Auch sind die Produktionskosten in unseren Kolonien zum Teil sehr hoch, dies gilt nicht nur für den Kaffee, sondern auch für den Kakao und insbesondere für Samoa mit den teuren chinesischen Arbeitern. Unser Ziel muß daher sein Verbilligung der Produktion und daneben Erzeugung feinster Qualität.

Parlamentarische Nachrichten.

Ddie Schlußberichte über die vorgestrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

In der heutigen (18.) Sitzung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des Innern Delbrück beiwohnte, gelangten zunächst die Interpellationen der Abg. Freiherr von Hertling und Bassermann, betreffend die Versicherung der Pripatbeamten, zur Verlesung. 3

ie Interpellation des Freiherrn von Hertling lautet: „Ist der Herr Reichskanzler bereit, über den gegenwärtigen Stand der Vorarbeiten zur Pensionsversicherung der Privatbeamten Auskunft zu geben?“ Die Interpellation des Abg. Bassermann fragt: „Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft darüber zu geben, wann ein Gesetzentwurf über die Pensions⸗ und Hinterbliebenen⸗ versicherung der Privatbeamten zu erwarten ist?“

Auf die Frage des Präsidenten erklärte der Stell⸗ vertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück sich heute zur Beantwortung bereit.

Abg. Sittart (Zentr.) führte zur Begründung der ersten Inter⸗

ellation aus: In den beteiligten Kreisen hat sich eine gewisse Unruhe emerkbar gemacht, die durch Gerüchte hervorgerufen ist, wonach die Regelung der Angelegenheit in den Hintergrund zu treten drohe, da zunächst die Reichsversicherungsordnung unter Dach und Fach ge⸗ bracht werden soll. Auch ist man unsicher darüber, welche Herl tung der Materie gegenüber der neue Staatssekretär einnimmt. Vor drei Jahren haben alle Parteien mit Ausnahme der Polen einmütig ihre Sympathie mit den Wünschen der Privatangestellten bekundet; der Graf Posadowsky hat die Durchführung der Versicherung für eine wirtschaftliche Notwendigkeit erklärt und auch sein Nachfolger, der Staatssekretär Dr. von Bethmann Hollweg, hat sein Interesse dafür und nicht nur mit Worten zu erkennen gegeben. Er betonte auch, daß die entgegenstehenden Schwierigkeiten überwunden werden müßten und würden, und versprach die Ver⸗ öffentlichung des Entwurfs. Die zweite Denkschrift stellte ebenfalls möglichste Beschleunigung der gesetzgeberischen Aktion in Aussicht. Noch vor etwa einem Jahre erklärke Dr. von Bethmann Hollweg, daß nach vollständigem Eingang des Materials ein Gesetzentwurf ausgearbeitet und veröffentlicht werden würde. Seitdem haben wir einen neuen Reichskanzler und einen neuen Staatssekretär des Innern; auch die Konstellation der Parteien im Hause ist eine andere geworden. Letztere hat an der Stellung des Hauses zu den Wünschen der Privatbeamten nichts geändert. Wie es aber am Re ie⸗ rungstische aussieht, darüber wollen wir heute Klarheit erlangen. Die herrschende Unklarheit wirkt niederdrückend auf die Angestellten und auf diejenigen Unternehmer, die an sich bereit sind, die Zu⸗ kunft ihrer Angestellten sicherzustellen. Es hat sich die Meinung verbreitet, unter dem jetzigen Staatssekretär werde die Sache nicht weiterkommen. Auch hat der Abg. Bassermann in Cöln eine Aeußerung getan, wonach diese Versicherung unter den Tisch fallen würde. Hier muß Klarheit eintreten, einer unnötigen Verzögerung muß ebenso wie jeder Beunruhigung entgegengearbeitet werden und unsere festen Erwartungen, daß man die Wünsche der Privatbeamten erfüllen wird, müssen von neuem betont werden.

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen (3.) Sitzung des Hauses der Abgeord neten, welcher der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben, der Justizminister Dr. Beseler, der Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach, der Minister des Innern von Moltke und der Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten von Trott zu Solz beiwohnten, wurde die erste Beratung des Entwurfs des Staatshaus⸗ haltsetats für das Rechnungsjahr 1910 in Verbindung mit der ersten Beratung des Gesetzentwurfs über die Deckung des Defizits von 1908 fortgesetzt.

Abg. Dr. Wiemer (fr. Volksp.): Der Abg. Herold hat seine Rede mit einer Mahnung zum konfessionellen Frieden geschlossen. Seine Ausführungen waren geradezu darauf angelegt, den kon⸗ fessionellen Hader von neuem zu entfachen. Seine Rede war eine Fanfare zum konfessionellen Streit. Er sagte, der Kampf gegen Rom sei das Unglück des Vaterlandes. Ich sage, die Verquickung konfessioneller Fragen mit politischen Bestrebungen, dieser Kampf für Rom ist das Unglück des Vaterlandes. Seine Rede widerlegt selbst, daß das Zentrum keine konfessionelle, sondern eine politische Partei sei. Er fordert die weitere Konfessionalisierung des Schulwesens, Verstärkung des kirch⸗ lichen Einflusses; er beklagt die angebliche Zurücksetzung der katholischen Konfession. Ich habe schon im Reichstag gesagt, daß das Zentrum für seine Mithilfe bei der Reichsfinanzreform die Rechnung in den Einzellandtagen, namentlich in Preußen vorlegen würde. Der Katholikentag in Breslau hat dies bestätigt. Der Kollege Marx hat es als ein Erziehungsideal bezeichnet, daß nur in streng konfessionell geschiedenen Schulen ein gedeihlicher Unterricht erteilt werden könne. Er verlangte die Ueberwachung der Ausbildung in den Seminaren. Das Zentrum schickt sich an, auf dem Wege vorzurücken, den der Abg. Dr. Schädler auf dem Regensburger Katholikentag vorgezeichnet hat; er verlangte kon⸗ fessionelle Volksschulen, Mittelschulen, Gymnasien und Universitäten. Herr Herold verlangt die geistliche Kreisschulinspektion und Geistliche als Regierungsschulräte Da ist der Weg gar nicht weit zu der Forderung, daß das Unterrichtsministerium überhaupt mit Geistlichen besetzt werden müsse, und daß der Kultusminister ein Bischof sein solle. Die Schule gehört nicht der Kirche, sondern ist eine Einrichtung des Staates. Ich hätte es für selbstverständlich gehalten, daß der neue Kultusminister sich zunächst gegen die Ausführungen des Abg. Herold gewandt hätte. In seinem Etat geht es nicht vorwärts, sondern rückwärts. Im vorigen Etat waren 19 neue Kreisschulinspektoren gefordert, in diesem nur 13, und davon sind 3 durch Teilung schon vorhanden. Herr Herold rühmte, daß durch die Finanzreform seiner Partei der Besitz getroffen sei, der am besten die Steuer tragen könne. Ich 8 dies bestreiten. Die Steuern auf Glühkörper, Zünd⸗ hölzer, Kaffee und Tee sind keine Besitzsteuern. Die Erbschafts⸗ steuer als wirkliche Besitzsteuer hat jetzt das Zentrum abgelehnt. Der Abg. Müller⸗Meiningen und ich haben nicht aus grund⸗ sätzlichen Bedenken, sondern aus Zweckmäßigkeitsgründen seiner⸗ zeit uns gegen die Erbanfallsteuer erklärt und uns bereit erklärt, dieses Bedenken zurückzustellen und Opfer zu bringen. Weshalb das

trum und die Konservativen die Erbschaftssteuer abgelehnt haben,

hat Fürst Dohna⸗Schlobitten ausgesprochen. Er hat mitgeteil konservative Partei habe jene Steuer zu Fall gebracht, weil Zentrum die Ablehnung dieser Steuer zur Bedingung seiner Mr arbeit bei der Reichsfinanzreform gemacht habe. n Sie sich doch an den Fürsten Dohna!; Für das Zentna waren politische Gründe maßgebend. Ich bedaure, def n ihm mit den Konservativen gelungen ist, den Fürsten Bals zu stürzen. Herr Herold wirft uns parteipolitische Gründe wn Wir waren durchaus bereit, an der Ordnung der Reichsfinanzen mie zuwirken, aber wir haben von vornherein bestimmte Bedinam gestellt, und als diese nicht erfüllt wurden, haben wir unsere wirkung versagt. Wir haben, um mit dem Fürsten Bülow zu sprechen die Blockflöte niedergelegt und zur Oppositionstrompete gegriffen, vn diese werden wir kräftig blasen. Herr Herold macht den Block für Reichsschulden verantwortlich, aber bereits vor der Existenz des Blat waren die Reichsschulden auf 4 Milliarden angewachsen, und dan war das Zentrum ausschlaggebend. Herr Herold rühmt die jetia organische Schuldentilgung, der Antrag darauf ist aber 1 Reichstage von dem Abg. Paasche ausgegangen. Auf den Ruhmes titel der Witwen⸗ und Waisenversicherung sollte sich P Zentrum noch nicht Vorschußlorbeeren anrechnen, es zeigt 8 doch, daß die Mittel dafuür mit der lex Trimborn u. zu gewinnen sind. Wir waren bereit, auf die Vorschläge für dj andere Gestaltung der Matrikularbeiträge einzugehen, wenn en anderer beweglicher Fäktor, etwa eine quotisierbare Reitze vermögenssteuer eingeführt würde, aber unsere Anregunga dazu sind nicht durchgedrungen. Vorsicht in der Etau aufstellung ist gewiß gut, aber man darf auch nicht zu weit darn ehen, sonst man zu einem Etat, der nicht der Vir sichkeit entspricht. Ich erkenne an, daß der preußische Staat ih letzten Jahrzehnt große Aufgaben, insbesondere für die Schulen, a füllt hat, aber auch die Gemeinden haben außerordentlich große Ar wendungen für die Schulen gemacht; andererseits stellt der Ste⸗ steigende Anforderungen an die Gemeinden und weist ihnen Aufgaben daß es jhnen sehr schwer wird, ihre Finanzen in Ordnung zu haltd Der Finanzminister wies auch auf die großen Aufwendungen für de Wasserstraßen hin. Daß aber die Schissahetzabgaben auf den natin lichen Strömen so boch sein sollen, wie die Transportkosten auf! Eisenbahn, ist eine unerfüllbare agrarische 1.eesan⸗ Das Bedaue liche ist, daß durch solche rückschrittliche Bestrebungen die Einigis unter den Bundesstaaten und die Reichsverfassung gefährdet mwig Der Finanzminister freut sich über die Beseitigung des Konfitz zwischen Preußen und Sachsen und Baden durch die Hilfe d Vertreter dieser Staaten; aber das Vertrauen in die l verbrüchlichkeit der Reichsverfassung ist erschüttert. die Gehaltsaufbesserungen der Beamten sind allerdings N. Millionen ins dee ausgegeben worden, jetzt muß aber daran denken, daß auch die Bezüge der Staatsarbeiter am gebessert werden müssen. Meine politischen Freunde haben ein darauf bezüglichen Antrag bereits dem Hause vorgelegt. Notwend erscheint uns vor allem auch eine Neuregelung des gesamtz Beamtenrechts, insbesondere die Gewährleistung des Vereins⸗ n Versammlungsrechts sowie des Petitionsrechts der Beamta Der Finanzminister wies auf das Steigen der Selbstkosten d Betriebsverwaltungen hin; 98 Millionen Mark mehr für Löhn 66 Millionen Mark mehr für Gehälter mußten gezahlt werza Ja, alle diese Verteuerungen sind zum großen Teil auch Folgen w von den Regierungen getriebenen Wirtschaftspolitik. Diese ist nu einem Ausspruch Eugen Richters eine Schlange, die sich in den eigen Schwanz beißt; und die jüngsten Klagen des Finanzministers liefen für die Wahrheit dieses Ausspruchs den besten Beweis. Der Finan minister hat für das neue Finanzjahr die Parole der größten Sparsamke ausgegeben und den Etat für 1910 als einen Schritt auf diese Wege gerühmt. Wenn im Reiche zur Sparsamkeit gemahnt wird, sind wir durchaus damit einverstanden; wenn aber für Preußs dieselbe Parole gelten soll, so können wir das nur bedaum soweit es sich um Kulturaufgaben und um werbende Anlag⸗ handelt. Eine Ausnahme machen die neue Etatsforderung ft die Schaffung von Austernbassins und die Einrichtung der elektrische Beleuchtung in der Oberrechnungskammer. Was den Vorschlag ein preußischen Erbanfallsteuer betrifft, den Herr von Dewitz in ü Oeffentlichkeit gemacht hat, so würden wir ihm nicht zustimmen könna der Ausbau der Erbschaftssteuer muß dem Reiche vorbehalten bleiba Bei der Einkommensteuer ist die Hauptsache eine richtige Veranlagm Uns erscheint der Landrat nicht als die geeignete Persönlichkeit; Vorsitz der Einschätzungskommission, und wir haben neuerdin Unterstützung in dieser Auffassung gefunden bei dem Geheims Rat Falkenhahn vom Oberverwaltungsgericht; wir haben a in dieser Beziehung einen Antrag vorbereitet, der d hinausläuft, diese Posten mit unabhängigen Personen zu beseza Die Leistungsfähigkeit des inneren Marktes ist nach der Ansicht Ministers die Hauptsache; aber sie wird durch Vernachlässigung! Exports auch ihrerseits schwer beeinträchtigt. Die Landwirtsch ist nach unserer Meinung zuungunsten der Industrie und R. Handels bevorzugt worden. Wir sind bereit, die Landwirtschaft fördern, soweit es das allgemeine Staatsinteresse zuläßt; aber das dürfen wir die Augen nicht verschließen, daß seit 1895 G Zahl der landwirtschaftlich tätigen Personen von 36 auf 28 27% zurig gegangen ist, während die entsprechenden Zahlen für Industrie Handel sich erheblich gesteigert haben. Die beabsichtigte Abgre 5 zwischen den Ueberschüssen des Eisenbahnetats und dem allgememm Staatssäckel erscheint mir nicht unbedenklich, da sie für die Reg und das Haus ein Anreiz zur Einführung neuer Steuern bih könnte. Wiederum hat sich ein beträchtlicher Wagenmangel Eisenbahnbetriebe gezeigt. Bedauerlich ist es, daß es im Rei nicht gelang, die Fahrkartensteuer zu beseitigen. Die Zeit des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen hat eine Reform das befürwortet, daß auch die vierte Wagenklasse besteuert müsse, und die „Kreuzzeitung“ hat den Vorschlag mit Eifer aufgen Dieser antisoziale Gedanke muß von vornherein energisch bekt werden, zumal wenn man sich daran erinnert, wie im pre Herrenhause Herr von Buch die Einrichtung der vierten Kl viel zu luxuriös bezeichnet hat. Auf dem Gebiete der inner waltung scheint man auf eine Art Präfektenwirtschaft hinz1 und davor müssen wir um so mehr warnen, als die Macht des schon übergroß ist. Die Handhabung des Reichsverein beweist, wie weit wir auf diesem Boden schon gekommen sin Minister des Innern sollte hier nach dem Rechten sehen; wir seits werden im Reichstage Gelegenheit haben, diesem Then näher zu treten. Die Vorschriften über das Wahlrecht soll der Thronrede von 1908 eine organische Fortentwicklung e heute spricht man nur noch von einer ernsten Aufgabe und lediglich eine Wahlstatistik als zwingende Notwendigkeit an. Zwischenzeit sind von Politikern der Rechten allerlei sonderbe gekünstelte Auffassungen über das Verhältnis der Rechten zur verlautbart worden. 86

(Schluß des Blattes.)

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Dem Hause der Abgeordneten ist eine Denkf über die Wirkungen des preußischen Gerichtsk gesetzes vom 25. Juni 1895 in der Fassung der B machung vom 6. Oktober 1899 und der Gebü hrenord für Notare vom 25. Juni 1895 in der Fassung d kanntmachung vom 6. Oktober 1899 nebst Tabellen vo worden. Bereits im Jahre 1902 ist dem Landtag Denkschrift über die Wirkungen dieser Gesetze zugegangen: beruhte auf statistischen Erhebungen, die im Etatsjahre 18 angeordnet worden waren. Einem wiederholt geär Wunsche des Abgeordnetenhauses entsprechend haben im nungsjahre 1904 nochmals statistische Ermittlungen funden, um ein Urteil über die weiteren Wirkungen der Gesetze in ihrer seit dem Jahre 1900 veränderten Fasst gewinnen. v 8

1u

Die statistischen Ermittlungen ergeben, daß . den Gerichten den absoluten Beträgen nach gestiegen sind. Es ist dies die natürliche Folge des Anwachsens der Geschäfte. Auch relativ ist eine höhere Gebühreneinnahme in fast allen e zu verzeichnen, da fast überall eine Zunahme in den Geschäften über höhere Werte stattgefunden hat. Durch Artikel 30. des Ausführungsgesetzes zur Grundbuchordnung, durch Artikel 44 und 45 des Ausführungsgesetzes zum Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsver⸗ waltung und namentlich durch Artikel 86 des Tgefüchrungtgeseßes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ist das preußische Gerichtskostengesetz geändert. Diese Aenderungen waren zum großen Teile durch die am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen Gesetze bedingt; eine Reihe Be⸗ stimmungen, welche durch die neue Gesetzgebung ihre Bedeutung ver⸗ loren hat, sind ausgeschieden, andererseits mußten für verschiedene, den Gerichten neu übertragene Geschäfte neue Gebührenvorschriften ge⸗ schaffen werden. Durch einige Aenderungen ist auch die Höhe der

Gebührensätze wesentlich beeinflußt worden. Die Tragweite dieser

Aenderungen in finanzieller Beziehung festzustellen, ist ziffernmäßi genau nicht möglich. Eine Erhöhung der Gebühren hat nur due⸗ § 54a (jetzt § 55) des Gerichtskostengesetzes stattgefunden, na welchem die Gebühren für die Beurkundung eines Rechtsgeschäfts um

ein Viertel erhöht werden, wenn sich ein Beteiligter in fremder Sprache erklärt. Dagegen sind die Gebühren teilweise bedeutend herabgesetzt worden. 1

Eine erhebliche Herabsetzung der Gebühren ist in Testaments⸗ sachen durch die Aenderung des § 44 erfolgt. Der Ausfall ist unter

Hinzurechnung der Mindereinnahme durch die Zulassung der eigen⸗ ändigen Testamente und durch die Erweiterung der Zuständigkeit der

Notare auf mindestens 1 Million Mark anzunehmen. Welchen Gebührenausfall die Aenderungen des § 81 (Erbscheine) herbeigeführt haben, kann nicht festgesten werden; immer⸗ hin erscheint die Annahme eines Betrags von 25 000 nicht zu hoch. Einen weiteren Ausfall, der sich nicht näher berechnen läßt, der auch nicht von erheblicher Bedeutung sein kann, hat die Feststellung einer Höchstgebühr im § 51 Beglaubigung von Ab⸗ schriften und die Aufhebung des § 74 Nr. 3 Abs. 2 Schreib⸗ gebühren für Eintragung einer vollständigen beglaubigten Abschrift des Gesellschaftsvertrages verursacht. Wesentlicher fallen die Ergänzungen des § 74 ins Gewicht, welche für wiederholte Bescheinigungen aus dem Handelsregister eine feste Gebühr von 1 einführen. Nach den Ausführungen in der Denkschrift be⸗ rechnet sich die Mindereinnahme auf 70 000 ℳ. Der durch die Er⸗ räßigung der Gebührensätze hervorgerufene Ausfall ist mithin für 1904 auf rund 1 100 000 anzunehmen. Die erwähnte einzige Er⸗ höhung der Gebühren 55) hat 1904 eine Mehreinnahme von rund 15 000 ergeben, sodaß für 1904 mit einer Einbuße von 1085 000 zu rechnen ist.

Die Durchschnittsgebühren der Notare sind bei den Gebühren nach § 38 der Gebührenordnung für Notare (Zustimmungen, Voll⸗ achten u. dgl.) um 83,72 %, nach § 41 (Anerkennung des Inhalts) um 51,36 %, nach § 42 (Beglaubigung von Unterschriften) um 45,27 % und nach § 43 (Anträge und Bewilligungen in Grundbuchsachen u. dgl.) um 66,67 % höher als bei den Gerichten. Ebenso übertrifft die

Durchschnittgebühr der Notare die der Gerichte bei der Be⸗ urkundung von Erbverträgen 40 Abs. 1 Satz 1) um 60,46 %, und bei der Errichtung von sonstigen letztwilligen Verfügungen 40 Abs. 1 Satz 2) um 42,72 %. Die Prozentzahlen der Ansätze in den einzelnen Wertklassen zeigen hier ebenfalls, daß sich die Geschäfte der Notare in höheren Werten bewegen als bei den Gerichten. So entfallen bei den Notaren in die Wertklassen von 20 000 bis 100 000 19,51 % und über 100 000 4,41 % der Ansätze aus § 44 Abs. 1 Satz 1 Pr. G.⸗K.⸗G., bei den Ge⸗ richten dagegen nur 7,86 und 0,89 %. Auch bei den so⸗ genannten freiwilligen Versteigerungen 46), welche bei den Ge⸗ richten in nur sehr beschränkter Zahl vorkommen, ist die Durchschnitt⸗ gebühr der Notare um 64,09 % höher. Bei den eidesstattlichen Ver⸗ sicherungen 81 Abs. 2) ist die Durchschnittgebühr der Notare um 41,26 % größer. Daß auch die Gebührendurchschnitte bei den Zu⸗ satzgebühren nach § 53 um 31,17 % und § 55 um 137,50 % bei den Notaren höher sind als bei den Gerichten, liegt in der Natur der Sache.

Statistik und Volkswirtschaft.

Die deutsche überseeische Auswanderung im Dezember 1909 und in dem gleichen Zeitraume des Vorjahrs. Es wurden deutsche Auswanderer im Monat Dezember befördert:

8 über 1909 ZZ“ Bremen.. 460 423 Hamburg. . 324 220 deutsche Häfen zusammen. 784 643 fremde Häfen (soweit ermittelt) 399 194

überhaupt 1 183 837.

Aus deutschen Häfen wurden im Dezember 1909 neben den

784 deutschen Auswanderern noch 22 473 Angehörige fremder Staaten

befördert, davon gingen über Bremen 10 660, über Hamburg 11 813.

Steigender Pachtzins der neuverpachteten preußischen Domänen.

Dem Landtage sind Uebersichten über die Ergebnisse der Neu⸗

verpachtung von 26 im Jahre 1909 pachtfrei gewordenen und 27 im

Jahre 1910 pachtfrei werdenden Domänenvorwerken vorgelegt worden, die eine bedeutende Steigerung des Pachtzinses infolge der zunehmenden Besserung der Lage der Landwirtschaft erkennen lassen.

Die 26 im Jahre 1909 pachtfrei gewordenen Domänen (8 in der Provinz Hannover, 5 in der Provinz Brandenburg, je 3 in Ostpreußen und Hessen⸗Nassau, je 2 in Westpreußen, Pommern und der Provinz Sachsen und 1 in der Provinz Posen), die in der abgelaufenen Pacht⸗ periode einen Pachtzins von 447 580 ℳ, für 1 ha durchschnittlich 44,1 jährlich erbrachten, sind, obwohl deren Flächeninhalt jetzt nur 9721 ha gegen 10 152 ha in der letzten Pachtperiode be⸗ trägt, für 491 734 neuverpachtet worden; dies ergibt im Durch⸗ schnitt 50,6 für 1 ha. In der Provinz Sachsen stieg bei den Neuverpachtungen der auf 1 ha entfallende Pachtzins von 90,1 auf 95,8 ℳ, in der Provinz Hannover von 69 auf 71,2 ℳ, in Hessen⸗ Nassau von 39,2 auf 50,5 ℳ, in der Provinz Brandenburg von 26,4 auf 34,2 ℳ, in Westpreußen von 21 auf 33,3 ℳ, in Ostpreußen von 25,8 auf 29,4 ℳ, in der Provinz Posen von 15,7 auf 27 ℳ, in Pommern von 20,6 auf 24,4 ℳ. Nur bei 5 von den 26 neuver⸗ verpachteten Domänen ist er zurückgegangen.

27 Neuverpachtungen von im Jahre 1910 pachtfrei werdenden Domänen (9 in der Provinz Hannober, 4 in Pommern, je 3 in den Provinzen Posen und Sachsen, je 2 in den Provinzen Westpreußen, Brandenburg und Hessen⸗Nassau, je 1 in Ostpreußen und Schleswig⸗ Holstein), deren Pachtzins in der ablaufenden Pachtperiode bei 12 150 ha Flächeninhalt 531 693 ℳ, für 1 ha durchschnittlich 43,8 betrug, ergeben für die Jahre 1910 bis 1928 bei nicht wesentlich vergrößertem Flächeninhalte (12 186 ha) insgesamt jährlich 596 462 ℳ, im Durch⸗ schnitt für 1 ha 48,9 Pachtzins. Es stieg der auf 1 ha entfallende

achtzins bei den Neuverpachtungen in der Provinz Sachsen von 88,9 auf 89,1 ℳ, in der Provinz Hannover von 53,6 auf 57,6 ℳ, in

ommern von 36,3 auf 43,3 ℳ, in Hessen⸗Nassau von 34 auf 40,2 ℳ, in der Provinz Posen von 19,4 auf 37,6 ℳ, in West⸗ preußen von 22,6 auf 25,4 ℳ, in Schleswig⸗Holstein von 19,6 auf 24,9 ℳ, in Ostpreußen von 13,6 auf 21,2 ℳ, während die beiden Neuverpachtungen in der Provinz Brandenburg einen um ein Geringes niedrigeren Durchschnittspachtzins für 1 ha: 44,1 gegen 44,4 in der ablaufenden Pachtperiode ergeben. Im einzelnen wird ern nur bei 4 von den 27 Neuverpachtungen nennenswert niedriger sein als in der ablaufenden Pachtperiode.

die Gebühren bei

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Zur Arbeiterbewegung.

„Der Schiedsspruch der Unparteiischen in der Tarif⸗ bewegung der deutschen Maler ist, der „Voss. Ztg.“ zufolge, von den erliner Malern mit 1265 gegen 789 Stimmen ab⸗ gelehnt worden. Auch in Hamburg haben sich die Maler ehilfen mit großer Mehrheit gegen die Annahme des Schiedsspruchs aus⸗ gesprochen, während die Gehilfen in Frankfurt a. M. und zahlreichen anderen Orten dem Schiedsspruch zugestimmt haben. Dieser sieht für viele Provinzialstädte eine sofortige und eine spätere Lohnerhöhung vor, sodaß die Malergehilfen in der Provinz im Gegensatz zu den Kollegen in Berlin und Hamburg mit dem Er⸗ reichten zufrieden sind. Die Ablehnung des Schiedsspruchs hat nun eine schwierige Lage geschaffen und kann leicht einen Kampf entfesseln, der den Arbeitern angesichts der ungünstigen Zeit und Konjunktur recht ungelegen kommen würde. Beteiligt sind die meisten Städte Deutschlands.

Ein Ausstand der Stoffweber in der Sammetfabrik Niedieck & Co. in Lobberich ist, wie die „Köln. Ztg.“ mitteilt, infolge eines Vergleichs beendet worden. Die Arbeiter nahmen die Arbeit zu den von der Firma festgesetzten Lohnsätzen wieder auf, jedoch soll in einigen Wochen eine Lohnaufbesserung erfolgen.

Der Ausstand der Handschuhmacher in Magdeburg ist, wie die „Köln. Ztg.“ erfährt, nach einer Dauer von einer Woche durch die Gewährung der geforderten Lohnerhöhung beigelegt worden.

Der Stickerstreik in Plauen, der mehrere Wochen gedauert hat, ist nach dem „Confektionär“ nunmehr zu Gunsten der Arbeit⸗ geber beendet. Die Zahl der Streikenden war im Laufe der Zeit immer mehr zurückgegangen, und jetzt haben auch die letzten Streikenden (etwa 300) wieder die Arbeit aufgenommen, ohne daß ihre Forde⸗ rungen bewilligt worden sind.

Aus Madrid wird dem „W. T. B.“ berichtet: Zwischen den Arbeitern und der Direktion des Marinearsenals in El Ferrol ist wegen der Anordnung von Ueberstunden ein Streit entstanden. Die Direktion hat den Arbeitern eine Frist von drei Tagen gewährt, innerhalb deren sie die Arbeit unter der Bedingung, auch Ueberstunden zu leisten, annehmen können. Andernfalls werden die Werkstätten geschlossen werden, was eine Aussperrung von 2400 Arbeitern zur Folge haben würde.

Auf der Versammlung der Bergwerksbesitzer und des Bergarbeiterverbandes von Northumberland, die am Sonnabend in New Castle stattfand, einigte man sich, wie „W. T. B.“ meldet, dahin, daß, um zu einer Verständigung zu ge⸗ langen, weitere Konferenzen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf den einzelnen Werken abgehalten werden sollen.

Zum Ausstand der australischen Bergarbeiter erfährt „W. T. B.“ aus Sydney, daß die Abstimmung der Bergleute des Südreviers zu Gunsten der Entscheidung des obligatorischen Lohn⸗ amtes ausgefallen ist.

(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage.)

Kunst und Wissenschaft.

Die von der Akademie der Künste zu Berlin zur Feier

Allerhöchsten Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs in Aussicht genommene Ausstellung von Werken fran⸗ zösischer Kunst des XVIII. Jahrhunderts verspricht die von der Akademie vor zwei Jahren veranstaltete Ausstellung älterer englischer Kunst noch zu übertreffen. Geleitet wird die Ausstellung von einer Kom⸗ mission der Akademie unter dem Vorsitz ihres Präsidenten, Professors Arthur Kampf, von dem auch der Gedanke der Veranstaltung dieser Aus⸗ stellung herrührt. In ihren Bestrebungen wird die Akademie durch den hiesigen französischen Botschafter auf das nachdrücklichste unter⸗ stützt; der Botschafter hat eigens für die Ausstellung in Paris ein Komitee gebildet, an dessen Spitze der Prinz Arenberg steht. Eine große Anzahl Besitzer der interessanten Werke jener fran⸗ zösischen Kunstepoche leihen mit größter Bereitwilligkeit ihre kostbaren Kunstschätze dar. Auch Seine Majestät der Kaiser und König hat eine nicht unbedeutende Anzahl der hervorragendsten Werke jener Zeit, deren Erwerbung vornehmlich in die Zeit Friedrichs des Großen fällt, aus Seinem Besitz für die Ausstellung zugesagt, ebenso Seine Majestät der König von Sachsen und Ihre Königlichen Hoheiten die Großherzöge von Baden, Hessen und Sachsen⸗Weimar. Auch der französische Staat hat eine große Anzahl von Kunstwerken bereitwilligst beigesteuert und deutsche wie französische Sammler wett⸗ eifern, die Ausstellung so künstlerisch wertvoll als möglich zu gestalten. So werden auch Werke eingehen aus den Galerien Hresben, Darm⸗ stadt, Karlsruhe, Weimar, Paris und Wien. Während in der englischen Ausstellung das Bildnis vorherrschte, wird die französische neben glanz⸗ vollen Porträts der Hauptmeister jener Zeit, wie Rigaud, Nattier, Drouais, Roslin, noch eine Auslese hochbedeutender Genrebilder der großen Meister des Rokoko, Boucher, Fragonard, Lancret, Watteau, Chardin, um nur einige Namen zu nennen, enthalten: aber auch Meisterwerke der Bildhauerei werden vertreten sein, ferner aus⸗ gezeichnete und wertvolle Gobelins, Zeichnungen, Skizzen, Studien und Stiche. Eine besondere Anziehung wird eine Reihe kostbarer bgem Eigentum des französischen Staates sind, ausüben.

Die Wettervorhersage.*)

Welche Mittel und Ueberlegungen stehen der modernen Wetter⸗ kunde zur Verfügung, um eine Wettervorhersage zu machen? Der leitende und mit Erfolg gekrönte Grundgedanke ist sehr einfach. Wer ins Wetter sehen will, geht ins Freie oder auf einen Ausguck, um möglichst den ganzen Horizont überschauen zu können. Die Wölbung der Erde setzt seinem Blick ein Ziel. 20 bis 100 km ist etwa die Grenze, bis wohin die Beschaffenheit der Luft zu übersehen ist, wenn man von den ganz hohen Wolken absieht, die noch weiterhin sichtbar werden. Wenn es nun möglich wäre, gewissermaßen mit einem Blick die gesamten, über dem europäischen Festland augenblicklich vorhandenen Wetterverhältnisse zu überschauen, so müßte dies für die Vorhersage offenbar großen Vorteil erwarten lassen. Zur Verwirklichung dieses Gedankens ist zweierlei nötig, erstens müssen die zu einem und dem⸗ selben Zeitpunkte über dem ganzen Festland gemachten Beobachtungen zu einem übersichtlichen kartographischen Bilde vereinigt werden, d. h. es muß eine sogenannte synoptische Karte gezeichnet werden; zweitens muß die Sammlung aller dieser gleichzeitigen Beobachtungen an einer Sammelstelle so schnell geschehen, daß überhaupt noch Zeit für eine Vorhersage auf 24 oder 48 Stunden übrigbleibt. Das aber ist durch den elektrischen Telegraphen möglich geworden. Vorschläge, den optischen Telegraphen zu benutzen, wurden freilich schon am Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich gemacht. Auf die ersten Anregungen von Kreil in Prag, Ball in England und Henry in Amerika folgten vom Jahre 1848 an vereinzelte telegraphische Wettermeldungen. Glaisher entwarf sogar während der Londoner Weltausstellung 1851 täglich Wetterkarten auf Grund telegraphischer Mitteilungen. Den letzten Anstoß zur Einrichtung regelmäßigen Wetterdienstes gab dann der Sturm vom 14. November 1854, der den im Schwarzen Meere befindlichen Flotten Frankreichs und Englands ver⸗ derblich wurde und dessen Untersuchung durch Leverrier zu dem Ergebnis

führte, daß eine telegraphische Benachrichtigung, die etwa beim Einsetzen dieses über Wien ostwärts sich bewegenden Zyklons von Wien aus gegeben wäre, noch rechtzeitig hätte warnen können. 1857 wurde darauf

*) Wir entnehmen obenstehende Ausführungen dem soeben in 2. Auflage erschienenen 55. Bändchen der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“: „Wind und Wetter“. Von Professor Dr. Leonh. Weber in Kiel (Verlag von B. G. Teubner in Leipzig. Preis geh. 1. ℳ, in Leinw. geb. 1,25 ℳ), das die historischen Wurzeln der Meteorolo ie, ihre physikalischen Grundlagen und ihre Bedeutung im gesamten Gebiete des Wissens schildert und die hauptsächlichsten Auf⸗ gaben, die dem ausübenden Meteorologen obliegen, wie die praktische Anwendung in der Wettervorhersage, erörtert.

ein wettertelegraphisches System in Frankreich eingeführt. An der weiteren Ausbildung haben sich, um wenigstens einige der zahlreichen hervorragenden Meteorologen zu nennen, Buys Ballot in Holland, Maury in Amerika, Scott in England, Ho meyer in Dänemark und Georg von Neumayer verdient gemacht. Ins besondere hat sich die unter der Direktion des letzteren 1875 gegründete Deutsche Seewarte und ihre Mitarbeiter, unter denen van Bebber in erster Linie zu nennen ist, schon im nächsten Jahre 1876 der Ausgestaltung der Wettervorhersage mit voller Kraft gewidmet und diese zu hoher Blüte gebracht. Weitere Zentralen wurden in Berlin und Chemnitz 1878 gegründet, denen München, Stuttgart, Karlsruhe, Straßburg, Aachen, Cöln, Frankfurt a. M. und Königs⸗ berg folgten. Da an diesen Orten die ausländischen Telegramme und die allgemeine europäische Wetterlage erst durch Vermittlung der Seewarte einliefen, so wurde hier der lokalen Wetterprognose und deren Verbreitung die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Schließlich hat der gesamte Wetterdienst in Deutschland seit 1906 eine Neu⸗ organisation erhalten.

Vergegenwärtigen wir uns die Lage eines Wetterpropheten, der etwa um 1 Uhr Nachmittags in den Besitz der Wetterkarte von 8 Uhr Morgens kommt. Schönes, klares antizyklonisches Wetter hat schon tagelang geherrscht. Nun sieht er auf der Karte die eng⸗ geschlossenen Ringe einer über England erschienenen Depression. Er überlegt, welche Zugstraße dieselbe einschlagen wird. Vielleicht geht sie nördlich auf Zugstraße I. Dann bleibt das Wetter einstweilen noch gut. Vielleicht wird aber Zugstraße II oder III eingeschlagen. Dann ist in etwa 24 Stunden die rechte Vorderseite des Zyklons da, und es ist Regen mit stark auffrischenden südwestlichen Winden zu erwarten. Einen gewissen Anhalt zur Entscheidung dieser Frage bietet zwar schon die Wetterkarte vom Tage vorber, die natürlich sorgfältig verglichen wird, insbesondere die abgekürzten Zusammen⸗ stellungen von 8 Uhr Abends. Aber dies läßt noch berschiedene Deutungen zu. Nun wird aber das Barometer betrachtet. Die Kurve des Registrierbarometers ist bereits seit der Nacht in beständigem Sinken und seit 8 Uhr Morgens ist sie stark gefallen. Daraus geht bereits mit großer Wahrscheinlichkeit hervor, daß die Depression nicht seitwärts ab geg. Nordosten, sondern nach dem Beobachtungs⸗ orte zu sich bewegt. Zeigen sich dann vielleicht schon gegen Abend jene Cirruswolken, die wir als die Vorläufer der Depression er⸗ kannten, und ist das Barometer in schnellem Sinken geblieben, während der vorher östliche Wind durch Süden zu drehen anfängt, so ist mit großer Sicherheit auf eine direkte Annäherung jenes Zyklons zu schließen, und für den nächsten Tag ist zunehmende Verschleierung des Himmels mit folgendem Regen und Wind aus Südwesten zu prognosti zieren. In diesem Falle bewährte sich also das Barometer in seiner früheren und volkstümlichen Bezeichnung als Wetterglas. Auch ohne Kenntnis der Wetterkarte hätte man aus dem fallenden Barometer Regen prophezeien können. Aber daß nach dem Vorübergang der Depression aufklärendes Wetter mit Nordwestwind folgen würde, sagte das Barometer allein noch nicht im voraus. Erst als es hierzu wirklich kam, begann das Steigen. Ein anderer Fall ist etwa folgender. Im Süden liegt laut Wetterkarte ein baro⸗ metrisches Marimum, nördlich liegt ein Zyklon, dessen Rinne um 8 Uhr gerade durch den Beobachtungspunkt geht. Das Barometer ist bis Mittag im Steigen, der Wind hat stark nach N gedreht, der Himmel wird prachtvoll klar. Wollte man nun allein auf das Baro⸗ meter vertrauen und gutes Wetter bei östlichen Winden prophezeien, so würde man getäuscht werden. Denn ein zweiter Zyklon folgt dem ersten, zwischen beide hat sich, wie die wasserklare Luft erkennen läßt, ein „Keil“ hohen Druckes geschoben, dessen Rückseite heftigen Regen gibt. Hier leitet also das Barometer allein völlig fehl. Erst die gemeinsame Berücksichtigung von Wetterkarte, Barometer, Wind⸗ richtung und allgemeiner Wetteransicht klärt den Beobachter über die Sachlage auf und ermöglicht die richtige, auf Regen lautende Prognose trotz steigenden Barometers. Die wichtige Frage ferner, ob Nachtfröste zu erwarten sind, ist auf Grund der Wetterkarte allein nicht immer sicher zu entscheiden. Der Feuchtigkeitsgehalt des örtlichen Bezirks gibt den Ausschlag, ob eine Abkühlung unter Null möglich ist ohne Kondensation von Wasserdampf, oder ob bereits vorher Nebelbildung zu erwarten ist, die den Nachtfrost verhindert. Befragt man daher nicht bloß die Wetterkarte, sondern auch das Psychrometer, so ist bei trockener Luft Nachtfrost, bei feuchter Nebel oder e vorherzusagen. Man bemerke, daß die sogenannter psychrometrische Differenz (trockenes Therm. minus feuchtem) hier ent⸗ scheidend ist. Doch muß gleichzeitig auch die Lufttemperatur (Temp. des trockenen Thermometers) berücksichtigt werden. Ist diese Sö. S 10 °, so kann nach den Untersuchungen von Lang das feuchte Thermo⸗ meter bis zu 6 ° heruntergehen, bevor Nachtfrost zu erwarten: dagegen bei einer Luftemperatur von nur bis zu dem kleineren Unterschied von 0,7 °, d. h. nur bis zu 1,30° Uebrigens gilt dies nur für wenig bewegte Luft. Wenn kalte Winde wehen, die am Tage durch Sonnenstrahlung ausgeglichen werden, kann auch schon bei geringeren psychrometrischen Differenzen in der Nacht Frost eintreten⸗

Die örtliche Beobachtung von Luftdruck, Temperatur, Feuchtig⸗ keit, Windrichtung und Bewölkung sind also für die Wettervorher⸗ sage von größtem Nutzen, und zwar nicht nur die absoluten Werte, sondern auch die Aenderungen. Zu wissen, ob das Barometer steigt oder fällt, ist meist viel wichtiger, als seinen absoluten Stand zu kennen. Gleich bedeutungsvoll sind auch manche der sogenannten Wetterregeln, wie sie sich im Volksmunde überall und vielfach von örtlicher Beziehung herausgebildet haben Von einer Erklä⸗ rung und Begründung weiß der Volksglaube in der Regel nichts. Aber im Lichte der gesetzmäßigen Zusammenhänge, die wir in den verschiedenen Wetterlagen und ihrer Aufeinanderfolge er⸗ kannt haben, sehen wir rückwärts ein, daß und wie weit sie begründet sind. Heißt es z. B. hier zu Lande: „Wie am Freitag, so ist auch am Sonntag das Wetter“, so steckt hierin etwas Richtiges und etwas Falsches. Richtig ist, daß Zyklone, die auf der selben Zugstraße, einer dem andern folgend, an uns vorüberziehen, oft etwa zwei Tage für den Vorübergang brauchen. Waren wir also am Freitag z. B. in der Vorderseite des einen Zpklons mit Regen, so können wir nach einem frischen und heiteren Wetter am Sonnabend wieder zum Sonntag in die Vorderseite des nachfolgenden Zpklons, also abermals in Regen geraten. Falsch aber an der Wetterregel ist es, daß der Zeitraum zwischen zwei Zyklonen etwa immer zwei Tage betragen solle, und reiner Aberglaube ist es, daß diese Regel etwa gerade für Freitag und Sonntag und nicht ebenso gut auch für Montag und Mittwoch gelten solle. Die Regel: „Je weiter man sieht, desto näher der Regen“ findet ihre Begruͤndung, wie wir jetzt wissen, darin, daß auf der Vorderseite eines Hochdruckkeiles ungemein durchsichtige Luft vorhanden ist und die nicht allzuweit entfernte Rückseite des Keiles schweren Regen bringt. Die Regel wird also be⸗ stätigt, wenn der Keil über uns fortzieht; sie wird versagen, wenn

direkt in das eigentliche

unser Ort statt in die Rückseite des Keiles

Hochdruckgebiet kommt. Ferner „Starker Tau bedeutet anhaltend gutes Wetter“; das ist begründet, da Taubildung vorzugsweise bei antizpklonalem Strahlungswetter eintritt, und dieses, wie wir sahen, die Neigung zu längerem Anhalten hat. Eine Menge von Wetter⸗ regeln, namentlich die auf das Ausfliegen der Vögel bezogenen, finden dieselbe Einigen anderen solcher Wetterregeln werden wir noch bei der Betrachtung der Lichterscheinungen am Himmel wieder begegnen. Ganz lokal ist die den Schweizerreisenden geläufige, am Vierwaldstädter See geltende Regel: „Hat der Pilatus einen Hut, so wird das Wetter gut; hat er einen Kragen, so darfst du es wagen, hat er einen Degen, so gibt es Regen“. Hier bei uns im Flachlande an der Küste gibt das Steigen und Sinken des Meeres⸗ niveaus wertvolle Winke. Da das Wasser hier in Kiel bei südwest⸗ lichen Winden über der Ostsee fällt und bei nordöstlichen steigt, so verrät uns Hoch⸗ oder Niedrigwasser, wie die herrschende Windrichtung ostwärts von uns ist, Schiffer und Fischer wissen hieraus ihre Vorher⸗ sage zu machen und sie würden unzweifelhaft noch bessere Propheten werden, wenn sie zugleich auch die Wetterkarten mit ihren unmittel⸗

und Wetterregeln zur Ergänzung

baren Beobachtungen in Verbindung brächten. Auf eine möglichst ausgiebige Heranziehung örtlicher Beobachtungen

und Spezialisierung der aus den

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