1910 / 17 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 20 Jan 1910 18:00:01 GMT) scan diff

sgogar ganz erheblich, geändert worden ist.

Zur „Beaufsichtigun der Ausführung der Reichsgesetze“ gehört auch as Recht des Reichstags, Abänderungen in Vorschlag. zu bringen, und Art. 19 spricht ja sogar von einer Zwangsexekutive des Reichs, wenn die Einzelstaaten ihre bundesstaatlichen Verpflichtungen nicht erfüllen. In Bayern und Württemberg ist faktisch alles beim alten obwohl die Vereinsgesetzgebung, und für Württemberg Wir haben in Württem⸗ berg jetzt auch das Ausnahmerecht des Sprachenparagraphen; dennoch denkt kein Mensch dort an solche Dinge, wie sie in Preußen alte Praxis waren und geblieben sind; es ist eben in Württemberg kein Denunziant da. Von einem Fortschritt im freiheitlichen Sinne kann bei einem Gesetz mit solchen Ausnahmebestimmungen nicht die Rede sein; jedenfalls werde ich trotz dem Abg. Hieber diejenige Mehrheit, die diese Bestimmungen wieder beseitigen wird, für eine verständigere halten, als die, die sie gemacht hat. Der Allgemeine deutsche Lehrerverein hat eine durchaus antireligiöse Tendenz, das möchte ich hier lediglich feststellen, ohne weiter auf die Sache einzugehen; daß eine kirchliche Behörde darauf aufmerksam macht, das wird man ihr nicht übelnehmen können. Keine Staats⸗ ewalt der ganzen Welt wird im stande sein, einen Bischof an der rfüllung einer solchen Verpflichtung zu verhindern. (Lärm und Unter⸗ brechung links; Vizepräsident Spahn ersucht wiederholt, die Unter⸗ brechungen und Zurufe zu unterlassen.) Der Fall Ratibor hat eine Petition gezeitigt, die der Reichstag den verbündeten Regierungen zur Berücksichtigung überwies. In der Uebersicht der Fateleesnagen des Bundesrats auf Beschlüsse des uns mitgeteilt worden, daß die Erhebungen darüber noch schweben. Heute hören wir, es gehe nicht an, dort eine Zusammen⸗ rechnung eintreten zu lassen, es handle sich hier um zwei nicht⸗ deutsche Idiome. Für eine solche Auslegung findet sich in § 12 kein Anhalt, und da kann man auch von einer loyalen Auslegung nicht mehr reden. soll es hinkommen, wenn in einem Kreise, der nur 10 % deutsche Insassen hat, nur Deutsch in den Ver⸗ sammlungen geredet werden darf? Auf der Generalversammlung der Katholiken Deutschlands ist eine Sonderversammlung, in der Polnisch gesprochen werden sollte, trotzdem alle Kautelen, die die Polizei wünschen konnte, gegeben waren, nicht gestattet worden! Wenn je eine Polizeimaßregel des Regierungspräsidenten von Breslau deplaciert war, so in diesem Fall. Lediglich die radikal⸗polnische Strömung hat damit Wasser auf ihre Mühle bekommen; immer wieder richtet diese unglück⸗ selige Polenpolitik der preußischen Regierung den größten moralischen Schaden an, bringt sie wahrhaft verwüstende Wirkungen hervor, siehe Kattowitz! Mit solchen Maßnahmen dokumentiert diese Politik einfach ihren Bankrott. In Wanne hat die Polizei das Gesetz auch auf einen religiösen Verein, die polnische Rosenkranzgesellschaft, angewendet. Wenn man, wie es im Kreise Kolmar geschehen ist, das Zusammensein einer größeren Zahl von Personen als Versammlung auffaßt, so muß das zu lächerlichen Konsequenzen führen. Die Generalversammlung eines polnischen Sparkassenvereins wurde vom Amtsvorsteher als eine öffentliche erklärt, in der Deutsch gesprochen werden müsse! Mit der Begründung, daß in einer Versammlung Reden gehalten werden könnten, die zu Meinungsverschiedenheiten Anlaß geben und die öffentliche Sicherheit dadurch gefährden könnten, kann man jede Versammlung unter freiem Himmel verbieten. Die Meinungs⸗ verschiedenheit unter den Versammelten ist doch keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Daß wir jedes Jahr über die Hand⸗ habung des Vereinsgesetzes abrechnen können, ist viel wert. Das Lob, das die Freisinnigen dem von ihnen gemachten Gesetz erteilen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich bei ihnen über gewisse Haupt⸗ bestimmungen eben dieses Gesetzes ihr Gewissen regt.

Abg. Stychel (Pole): In den polnischen Landesteilen wird der Polizeistock am kräftigsten auf Grund des neuen Vereinsgesetzes ge⸗ schwungen. Man sollte nun meinen, daß die Kenntnis des Gesetzes und die Achtung vor dem Gesetze in erster Reihe bei den Hütern des Gesetzes, den Beamten, vorhanden wäre. Das ist aber nicht der Fall. Das Gesetz wird schikanös angewendet. Polnische Vereine und Versammlungen werden als Spielball benutzt. § 1 des neuen Gesetzes kommt uns nicht zu gute, es ist alles beim alten geblieben. Jünglingsvereine werden als politische Vereine verboten, weil sie das Polnische als Muttersprache pflegen. Man will eben keine polnischen Vereine haben; einem Musiklehrer im Regierungsbezirk Oppeln wurde verboten, Musikunterricht an jugendliche Mitglieder eines Vereins bis zum Alter von 21 Jahren zu erteilen. (Vize⸗ präsident Dr. Spahn: Dieser Fall fällt jedenfalls nicht unter das Vereins⸗ esetz, ich bitte Sie, sich auf die vorliegende Materie zu beschränken.) Mit einem Federstrich wurden im Regierungsbezirk Gnesen die olnischen Arbeitervereine vom Regierungspräsidenten als politische ingestellt. Weil diese Leute sich in den Vereinen ihrer Mutter⸗ sprache bedienen, darf man nicht sagen, daß sie sich von der deutschen Bevölkerung absondern. Sie verfolgten auch nur die wirtschaft⸗ lichen Interessen ihrer Mitglieder, nicht des gesamten Arbeiter⸗ standes, und trieben somit keine Politik, was außerdem statutarisch ausgeschlossen war. (Der Redner führt noch mehrere Fälle schikanöser Behandlung polnischer Arbeitervereine an.) Wir müssen energisch dagegen protestieren, daß wir verfolgt werden, bloß weil wir Polen find. Unser ceterum censeo ist: § 12 des Vereinsgesetzes muß beseitigt werden. 1

Abg. Graef § 12 noch

Reichstags ist

M Wo

(wirtsch. Vgg.): Nach unserer Meinung geht gar nicht weit genug; er ist gegen unseren Willen verstümmelt worden. Die Freisinnigen beklagen sich über Saal⸗ abtreibereien in Pommern. Sie (links) haben doch viel größere Mittel als die Konservativen, warum haben Sie ihnen nicht den Saal vor der Nase weggekauft? Den christlichen Gewerkschaften werden von den Behörden noch immer erhebliche Schwierigkeiten gemacht, z. B. in Oberschlesien. Nicht bloß Unterbeamte, sondern auch Landräte Laben sich Mißgriffen schuldig gemacht, so im Regierungsbezirk Oppeln, dort hat der Landrat die christlichen Gewerkschaften in bezug auf Verhetzung der Arbeiter mit den Sozialdemokraten auf die gleiche Stufe gestellt. Ich habe ferner Beschwerde zu führen über die Ver⸗ mwaltungsgerichtsbarkeit in Sachsen⸗Weimar. Weimar war früher das klassische Land der Versammlungsunfreiheit, und noch heute haben wir keine Garantie sür eine unparteiische Nachprüfung der Ver⸗ waltungsgerichtserkenntnisse. Eine Reform dieser in bezug auf die Handhabung des Vereins⸗ und Versammlungsrechts rückständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit soll ja in Aussicht stehen. Ich hoffe, daß wir im nächsten Jahre darüber keine Beschwerden mehr zu führen baben werden. Abg. Hanssen (Däne) führt für die Behauptung, daß die Klagen über die mißbräuchliche Anwendung des § 12 sich häufen, auch Bei⸗ piele aus Nordschleswig an. Als er auf die Maßregelung eines Kirchenältesten zurückkommen will, die weitere Beamten⸗ naßregelungen zur Folge gehabt hätte, wird er vom Ersten Vizepräsidenten Dr. Spahn daran verhindert und beschränkt sich uf die Konstatierung, daß ein alter deutscher Beamter, Organist und Hauptlehrer in einem Dorfe bei Flensburg, zwangsweise straf⸗ versetzt sei, weil er für die Wiederwahl jenes Kirchenältesten ein⸗ getreten sei. An einer Reihe von Fällen, die das Verfahren der Behörden bei der Handhabung des Vereinsgesetzes illustrieren sollen, sucht der Redner die Wahrheit des Ausspruches des Professors v. Lisz nachzuweisen, daß mit zweierlei Maß gemessen werde, daß man sich ganz wie in fruͤheren Zeiten besonders auch des beliebten Mittels er Saalabtreiberei bediene, um die Dänen zu drangsalieren. Be⸗ schwerden an den Minister des Innern würden nicht berück⸗ sichtigt, ja nicht einmal beantwortet. Selbst Hochzeiten würden unter polizeiliche Bewachung gestellt und Beschwerden darüber vom Regierungspräsidenten mit den wunderlichsten Argumenten unter absoluter Mißachtung der Bestimmungen des Gesetzes und der Er⸗ lasse der Landeszentralbehörde zurückgewiesen. 8 Abg. Dr. Mugdan (fr. Volksp.): Gerade die Parteien, die das Gesetz gemacht haben, sind verpflichtet, dafür zu sorgen, daß es ichtig ausgeführt wird, und wir Liberalen haben vor allem diese Wir sind nach wie vor stolz darauf, es mit zu stande gebracht zu haben; es ist gut, aber seine Güte tritt zurück, wenn solche Fehler bei der Ausführung gemacht werden. Wir dürfen eine gewisse Genugtuung empfinden, da die Sozial⸗

demokraten, die Polen und das Zentrum gegen das Gesetz selbst eigentlich nichts vorgebracht haben. Das bayerische Vereinsgesetz war mindestens so schlecht wie das preußische; der Abg. Gröber soll doch nicht vergessen, daß auch nach dem bayerischen Gesetz die Frauen völlig rechtlos waren. Für jeden deutschen Bundesstaat war das Reichsvereinsgesetz ein Fortschritt. (Widerspruch; Zuruf: § 12) Es wäre eine kolossale Dummheit gewesen, wegen des § 12 das ganze Gesetz zu verwerfen. Will man vielleicht leugnen, daß gerade auch die Arbeiterbewegung durch das Gesetz einen ungeheueren Impuls erhalten hat? Die Frage der Rechtsfähigkeit der Berufsvereine ist durch das Gesetz auf eine rein finanzielle Frage zusammengeschrumpft. Ich habe die Empfindung eines tiefen Aergers, daß gerade in Preußen das Gesetz so mangelhaft ausgeführt wird. Preußen als der größte deutsche Staat hat auch Pflichten; gerade Preußen als Vor⸗ macht Deutschlands muß Reichsgesetze auf das ausführen. Ein Freund der polnischen Bewegung bin ich nicht; ich glaube auch nicht daran, daß sie, wie der Abg. Stvchel ver⸗ sichert, so harmlos ist; aber vom Rechtsstandpunkte aus kann es dem Ansehen meines engeren Vaterlandes nicht dienen, wenn solche Klagen vorgetragen werden können. Die falsche Verwaltungspraxis der preußischen Beamten spielt gerade den Gastwirten gegen⸗ über eine Hauptrolle. In Württemberg, soweit es die katholischen Teile betrifft, steht es übrigens nicht anders: in dieser Zentrums⸗ domäne ist auch kein Wirt aufzutreiben, der eine freisinnige Ver⸗ sammlung in seine Räume aufnähme. Aber das beschäftigt uns ja heute nicht, hier reden wir von der Willkür der Behörden. Es ist mehr als merkwürdig, daß die Erlasse des preußischen Ministers des Innern vielfach bei den nachgeordneten Behörden so wenig Beachtung finden. In dem Dorfe Moys in meinem Wahlkreise Görlitz hat ein Amtsvorsteher durchgesetzt, daß überhaupt keine politischen Versammlungen stattfinden. Ich vertrete einen sehr tanzlustigen Wahlkreis. Ein Gastwirt wurde von dem Amtsvorsteher mit der Entziehung der Erlaubnis zu Tanz⸗ lustbarkeiten für fünf Wochen bedroht, wenn er eine sozial⸗ demokratische Versammlung aufnähme. Seine Beschwerde ist vom Landrat und Regierungspräsidenten zurückgewiesen worden. Die Folge war, daß die Sozialdemokraten über den ganzen Ort den Boykott verhängten. Eine solche Anwendung des Gesetzes züchtet nur Sozialdemokraten. Man sollte an den Grenzen einen anderen Weg einschlagen, um zu verhüten, daß das Deutschtum Abbruch er⸗ leidet. Beamte, die ein Reichsgesetz so falsch anwenden, verdienen wirklich die Strafe, die über Kattowitzer Beamten mit Unrecht ver⸗ hängt worden ist: die Versetzung im Interesse des Dienstes. 8

Darauf wird Vertagung beschlossen.

Zweiter Vizepräsident Prinz zu Hohenlohe: Es wird Ihnen bekannt geworden sein, daß heute das türkische Parlamentsgebäude in Konstantinopel abgebrannt ist. Ich bitte um die Ermächtigung, dem Präsidenten des türkischen Parlaments telegraphisch das Bei⸗ leid des Deutschen Reichstags aussprechen zu dürfen. (Allseitige Zustimmung.) Damit ist das Haus einverstanden.

Der Präsident schlägt weiter vor, die nächste Sitzung morgen, 1 Uhr, abzuhalten mit der Tagesordnung: Dritte Lesung des Handelsvertrags mit Bolivia und Beginn der zweiten Lesung des Etats.

Abg. Singer (Soz.) beantragt, als ersten Gegenstand die Fortsetzung der eben vertagten Besprechung auf die Tagesordnung zu setzen.

Abg. Gröber (Zentr.) bezweifelt die Beschlußfähigkeit des Hauses; das Bureau ist einstimmig der Meinung, daß das Haus nicht beschlußfähig ist, die Sitzung muß abgebrochen werden; es bleibt bei dem Vorschlage des Präsidenten.

Schluß nach 7 ¼ Uhr; nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Handelsvertrag mit Bolivia, Justizetat, Etat des Reichs⸗ eisenbahnamts.) 1““

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 5. Sitzung vom 19. Januar 1910, Nachmittags 1 ½ Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der Tagesordnung stehen die Interpellationen der Abgg. Dr. Porsch (Zentr.) und Genossen und der Abgg. Dr. von Jazdzewski (Pole) und Genossen, betreffend Maß⸗ regelung von Beamten und Lehrern in Kattowitz wegen Ausübung des kommunalen Wahlrechts.

Die Interpellation der Abgg. Dr. Porsch und Genossen lautet:

SI Kattowiß sind unmittelbare und mittelbare Staatsbeamte aus Anlaß der Ausübung des kommunalen Wahlrechts Maß⸗ regelungen unterworfen worden. Wie rechtfertigt die Königliche Staatsregierung diese Beschränkung in der Ausübung staatsbürger⸗ licher Rechte?“

Die Interpellation der Polen hat folgenden Wortlaut:

„Infolge der Beteiligung an den vorjährigen Kommunalwahlen in Kattowitz sind mehrere Staatsbeamte und Lehrer, weil sie polnischen Kandidaten die Stimme gegeben haben, strafversetzt worden. Wir richten an die Königliche Staatsregierung die Frage, wie eine solche Maßregelung mit den Grundsätzen der Staats⸗ verfassung und der den Staatsangehörigen gesetzlich garantierten individuellen Freiheit bei der Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte bei den Wahlen in Einklang zu bringen ist?“

Auf die Frage des Präsidenten von Kröcher erklärt der Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:

Ich bin bereit, die Interpellationen sofort zu beantworten.

Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Zu unserem lebhaften Bedauern ent⸗ bindet uns die zweitägige Beratung der Kattowitzer Maßreg elungen im Reichstage nicht von der Pflicht, die Angelegenheit sher zur Sprache zu bringen, einmal deshalb, weil es sich in erster Linie um eine preußische Angelegenheit handelt, dann aber, weil die Antwort auf die Frage, wie wir sie im zweiten Absatz unserer Interpellation berührt haben, von dem Staatssekretär im Reichstage in einer aus⸗ reichenden Weise nicht gegeben worden ist. Bei der Bedeutung einer freien und gesicherten Wahl halten wir es für not⸗ wendig, auf eine Klarstellung der Frage zu dringen, denn die Welt ist rund und dreht sich; das haben verschiedene Parteien des Hauses schon erfahren, und es haben also alle Parteien in gleicher Weise ein Interesse an einer freien und gesicherten Wahl. Ich habe die Frage um so lieber gestellt, als ich gehört habe, daß der Ober⸗ präsident in Oppeln in neuester Zeit an oberschlesische Magistrate einen vertraulichen Erlaß herausgegeben hat, der sich mit der Aus⸗ übung des Wahlrechts von seiten der kommunalen Beamten befaßt. Bei dem Sachverhalt werden noch einige Punkte zu unterstreichen sein, die bisher in der Oeffentlichkeit nicht genügend beachtet worden sind. In den Zeiten des unseligen Kulturkampfes ist in einer Reihe von oberschlesischen Stadtgemeinden entgegen dem Willen der katholischen Bevölkerung die Simultanschule eingeführt worden. Die Simultanschule soll in erster Linie nach der Ansicht ihrer Anhänger zu einer Förderung des konfessionellen Friedens dienen. In Kattowitz hat man aber in demselben Augenblick, wo man die Simultanschule einführte, die Kruzifixe, das Zeichen der Erlösung, aus dem Schulzimmer herausgebracht. Erst durch Beschwerde beim Minister von Puttkamer ist eine Zurücknahme dieser Anordnung erwirkt worden. Man empfand dort auch das Bedürfnis, eine altkatholische Gemeinde zu gründen, aus den Kreisen

allerpünktlichste

der nichtkatholischen Großindustrie wurden die Mittel zum An einer Kirche gegeben, wurden Gelder zur Verfügung gestellt durch Unterstützung armer Handwerker und Arbeiterfamilien dies Gemeinde neue Mitglieder zuzuführen. Als altkatholischen Gecr lichen hat man einen nationalpolnischen Priester berufen, der Rücksicht auf den Aufstand in Russisch⸗Polen nach Preußen e flüchtet war. In Kattowitz, das 70 bis 75 % katholische F völkerung hat, waren von den 42 Stadtverordneten 19 ee gelisch, 15 Juden und nur 8 Katholiken. Aus diesem Grunde be⸗ der katholische Männerverein in der 3. Abteilung alle Hebel 1 Bewegung zu setzen versucht, um wenigstens die Mandate dienn Stadtverordneten mit katholischen Männern zu besetzen. 1” 2 Jahren ist zwar auch schon von polnischer Seite die Aufforde rung an den Männerverein ergangen, unter diesen Vertretern 8 katholischen Weltanschauung auch einen ppolnischsprechende⸗ Kandidaten aufzustellen, sie würden dann auch für die katholisch⸗ Kandidaten stimmen. Damals war es zur Verwirklichung diese Forderung zu spät. Aber diesmal sind in die Liste sa Kandidaten zwei polnische Diener der katholischen Kirche auf⸗ genommen worden. Das ist aber erst geschehen, nachdem von seit der Liberalen die Kandidatenliste aufgestellt worden n. Die Kandidaten der Liberalen waren als schärfste Gegner Katholiken bekannt. Der Reichstagsabg. Doormann hatte gesan die Liberalen würden verzichten, wenn hine Polen als Kandidates aufgestellt würden. Wäre dieser Vorschlag angenommen word⸗ so hätte sich der ganze Streit vermeiden lassen. Es sind da verschiedene Wahlaufrufe in liberalen Blättern ergangen, denen hervorging, daß es sich bei diesem Kampfe nicht um Kampf zwischen Katholiken und Evangelischen, sondern zwisce christlicher und liberaler Weltanschauung handelte. Das „Oh schlesische Tageblatt“ schrieb zwei Tage vor den Wahlen, es sich um den Kampf um die Simultanschule handele, das Zentrum beseitigen wolle, und in der liberalen „Kattowi Zeitung“ stand in einem Wahlaufruf, daß der der Mittelstand und der Arbeiterstand durch Wahl der liberal Kandidaten gegen die neuen Steuern protestieren solle. Pun nach der Hauptwahl vom 9. November schrieb das „Oberschlesisch Tageblatt“ am 11. November, es seien in beiden Bezirken Stichwahl zwischen den Gegnern und den Freunden der Simultanschule forderlich. Um den Sieg zu erreichen, hielten die Liberalen es fi notwendig, die sozialdemokratischen Stimmen zu bekommen, m darum wurde in einem freisinnigen Blatt der Ultramontanismus als der gemeinsame kulturelle Feind bezeichnet. Bei den Stichwahle erlangten die Kandidaten der Liberalen die Mehrheit, und auf einen großen Siegesfest feierte ein Rechtsanwalt erst den Liberalismus und dann den mit ihm verbündeten rechtsstehenden Sozialismu Dieser an sich schon scharfe Kampf wurde noch durch Ver träge und durch eine Ferrer⸗Versammlung verschärft. Der Ar Hirsch hat uns vorgestern scharf des Hasses gegen Ferrer beschuldigt Wir hassen nicht diesen toten Mann, wir wenden uns nur gegen de frivolen Mißbrauch, den man im Namen dieses Mannes getriek hat, um das Volk aufzuhetzen gegen Jesuitismus, gegen die katholisc Kirche, gegen das Zentrum und gegen den sogenannten schwarz⸗blaug Block. So lagen die religiös zugespitzten Verhältnisse in Kattowit Wenn der treue Katholik nun bei der Hauptwahl unterscheiden seh zwischen einem Vertreter seiner Weltanschauung und einem Vertretn der liberalen Weltanschauung, so ist doch klar, welche Stell⸗ er einnimmt. Ich hätte genau so gehandelt, und wenn deshall jemand meine nationale Gesinnung anzweifeln wollte, würde ich idn eine Antwort geben, die er sich nicht hinter den Spiegel steck Der Kampf drehte sich lediglich um die Simultanschule. Da trr nun das Novum ein, daß die Sozialdemokratie sich der Stimme enthielt. Von diesem Augenblick an wurde der Sache ein deutsches Mäntelchen umgehängt. In der „Schlesischen Zeitung“, die mit R⸗ gierungskreisen Fühlung zu haben scheint, wurde nach der Wahl au das Bedenkliche hingewiesen, daß die Beamten für die Polen stimmt haben; vor den Wahlen war davon nicht die Rede; es er schien ferner eine Mitteilung, daß die Regierung von den Beamten bei der Stichwahl ein treues Festhalten an ihrer Pflicht erwart Die „Schlesische Zeitung“ brachte einen Bericht über die Kattowite Stadtverordnetenwahl, der ihr aus Kattowitz geschrieben worden it im Eingang spielt der Verfasser den Naiven; er schreibt: „Die Stadt verordnetenwahlen und das Verhalten vieler Beamten werden noc vielfach erörtert, im Vordergrunde des Interesses steht die Frag⸗ welche Stellung die Regierung zu dem Verhalten der Beamta einnimmt. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten; einme ist die Haltung der Regierung zu der oberschlesischen Frag immer noch nicht klar, und dann ist die Situation sehr verwickel Die Regierung kann und muß disziplinarisch gegen die Beamten, de ihre Pflicht verletzt haben, einschreiten.“ Die Lehrer, die bei da Hauptwahl für den polnischen Kandidaten gestimmt hatten, wurde vor den Kreisschulinspektor zitiert, und ihnen eröffnet, daß il Stimmabgabe mit ihrem Diensteid nicht zu vereinigen sei. Da Sprecher der Lehrer erklärte, daß der Kandidat Dr. Adamczewski seiner seits erklärt habe, daß er auf dem Boden der Verfassung ständ und der Lehrer sagte weiter: „Einem Kandidaten, der mir al großpolnisch bekannt war, würde ich meine Stimme nicht g geben haben.’ Darauf wurde diesem Lehrer eröffnet, daß de Königliche Staatsregierung über die Qualifizierung der polnisch Kandidaten anderer Meinung sei. Daraufhin haben die Lehr bei den Stichwahlen lediglich für die katholischen Ka didaten gestimmt. Nur die Reichsbeamten haben auch in der Stit wahl ihre Stimme für die polnischen Kandidaten abgegeben. W. den preußischen Staatsbeamten hat nur ein einziger die Verwegenkbet gehabt, durch seine Stimmabgabe bei der Stichwahl die Staat autorität zu gefährden, und dieser Mann war der Schuldiener da Königlichen Baugewerkschule. Die Verfügung zur Versetzung de Lehrer ist den Lehrern nicht einfach zugestellt worden, sondern es n eine förmliche Hinrichtung, eine feierliche Hinrichtung vollzogen worden Wie es in der „Schlesischen Zeitung“ heißt, ist zu diese Konferenz zwischen den Rektoren und Lehrern auch der Erfe Bürgermeister Pohlmann hinzugezogen worden. Sogar die Schülg der Präparandie sollen feierlich hinzugezogen worden sein. Ma las nun den Beamtenerlaß von 1898 mit Ausnahme der Steller die vom Ausgleich der Gegensätze sprachen, vor. Die Lehrer suchte dann eine Audienz bei dem Regierungspräsidenten nach. Die Audien wurde ihnen auch gewährt. Der Sprecher der Lehrer erklärte, daß di Lehrer ihren Schritt bedauerten, und daß sie bäten, die Versetzung zurückzunehmen. Die Antwort des Regierungspräsidenten lautet⸗ aber: „Im Interesse des Landes und der Lehrer muß ein Eremdel statuiert werden, ein Exempel, und dieses Exempel sind Sie. 6. ist bei Ihnen Mangel an nationalem Gefühl und an der Beamter pflicht zutage getreten.“ Bei der Hauptwahl handelte es sich mm um die Frage: ob christliche Weltanschauung oder liberale, und de ist das Verhalten der Lehrer gerechtfertigt gewesen. Ich muß um mein lebhaftes Bedauern darüber aussprechen, daß die Königl— Regierung in Oppeln dafür nicht das geringste Verständnis Es sind dann am 13. Dezember die Lehrer noch einmal zu einer vertraulichen Besprechung zitiert worden, die anscheinen den Zweck hatte, die Lehrer zu der Beschwerde an da Kultusminister zu bestimmen, die dann abgelehnt worden i

kauf

Gegenüber den polnischen Kandidaten waren als Gegenkandidate

die Herren Grabow und Griese von den vereinigten Liberalen aufgestellt. Erst nach der Hauptwahl ist man dazu übergegangen, da Sündenregister gegen den Herrn Adamezewski aufzustellen, obweolt dieser Herr erklärt hatte, daß er auf dem Standpunkt der Verfassum stehe und im Interesse der Bürgerschaft ohne Rücksicht auf Ken fession und Nationalität wirken werde. In Kattowitz stehen . polnischen Katholiken nicht im Gegensatz zu dem Zentrun.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Rechtsanwalt Adamczewski war im katholischen Kirchenvorstand, und gist nicht bekannt geworden, daß er irgendwie politisch unangenehm bervorgetreten wäre; er ist eine friedliche Natur. Herr Pakulla ist mit einer Dame aus deutschen Kreisen verheiratet, die nicht einmal volnisch sprechen kann, seine Kinder haben die Kommunion in deutscher Sprache erhalten, er ist Vorsitzender der Gesellenprüfungskommission dr Regierung, stellvertretender Vorsitzender der Handelskammer in Oppeln. Er ist Mitglied des Bürgervereins, der neutral, tatsächlich dber liberal ist, er ist Mitglied des katholischen Männervereins usw. Dagegen wird geltend gemacht, daß er sich einmal an der Gründung ener polnischen Bank beteiligt habe, daß er einmal in Krakau gewesen si. Ich kann nicht verstehen, wie durch die bloße Anwesenheit in Krakau der Mann gefährlich geworden sein soll. Vielleicht ist mancher schon Krakau gewesen; ich selbst bin zweimal dort gewesen. Ich kann nicht behaupten, daß mein Deutschtum dadurch in irgend einer Weise Schaden gelitten hätte. An deutschfeindlichen Kundgebungen hat er in Frakau nicht teilgenvommen. Die Lehrer haben optima fide für Pakulla gestimmt; sie sind dafür gemaßregelt worden; es sind Lehrer, di jahrzehntelang Beamte in Kattowitz sind. Diese versetzt man nun aus dieser Stadt nach dem Dorfe im Interesse des Dienstes. Der eine Rektor, der eidesstattlich erklärt hat, er habe nicht gewußt, daß Pakulla als Großpole angesehen werde, ist in die Stelle des Haupt⸗ jehrers an einer Dorfschule mit 10 Klassen versetzt worden, während er früher 22, Klassen hatte. Seine Bezüge haben sich verschlechtert, er ist erkrankt und ist um seine Entlassung eingekommen. Man hat sich beeilt, sie ihm noch im Dezember zu geben. Gemaßregelt ist ferner ein Funktionär der Baugewerkschule. Ferner sind zwei Eisenbahn⸗ sekretäre versetzt worden nach Cöln bezw. Coesfeld, ein anderer hat nur eine Verwarnung bekommen und ist auf seine Pflicht hingewiesen worden. In dem Ministerialschreiben heißt es, daß erwartet werden müsse, daß die Beamten sich weder einer bewußten noch einer fahrlässigen Verletzung ihrer Pflichten schuldig machen. Was ich im Eingang vorführte, rechtfertigt vollkommen das Verhalten der Beamten. Mindestens hätte man die Lehrer nicht so scharf behandeln sollen. Es kommt aber gar nicht auf diese Verhältnisse

Nan, man muß vom allgemein gesetzlichen Standpunkt aus die Möglichkeit

einer I von Beamten wegen ihrer Abstimmungen bei den Wahlen ablehnen. In dem Erlaß Kaiser Wilhelms vom 4. Januar 1882 heißt es, daß in die Wahlfreiheit der Beamten nicht eingegriffen werde, daß sich nur die poli⸗ tischen Beamten, die die Politik der Regierung vertreten müßten, von der Agitation fernhalten sollten. Fürst Bismarck sagte darüber im Reichstag, die Ausübung des Wahlrechts stehe den Beamten vollkommen frei; es sei ein Unterschied zwischen politischen und unpolitischen Beamten zu machen; die Ausübung des Wahl⸗ rechts dürfe niemals ein Grund sein, gegen einen Beamten ein⸗ zuschreiten; von den unpolitischen Beamten verlange Seine Majestät nichs. In diesem Hause hat der Ministerpräsident Fürst Bülow einmal die unparteiische Haltung der Regierung bei den Wahlen proklamiert. Ein andermal sagte er, er verlange von den politischen Beamten nur von diesen sprach er —, daß sie die Politik der Regierung unterstützen, daß sie nicht Politik auf eigene Hand treiben; er werde dafür sorgen, daß der Erlaß von 1882 strikt durchgeführt werde. In diesem Erlaß heißt es aber wörtlich: „Mir liegt es fern, in die Wahlfreiheit einzugreifen“. Und hier handelt es sich nicht einmal um die staatlichen Wahlen, sondern um die Kommunal⸗ wahlen. Solange der Erlaß von 1882 nicht geändert ist, konnten die Beamten glauben, freies Wahlrecht zu haben. Die ganze Art der Maßregelung war für die Volksschullehrer eine Schmach. Bei der Konferenz mit dem Stadtschulrat wurde auf den Erlaß von 1882 überhaupt nicht Bezug genommen, sondern auf den Erlaß des Ober⸗ präsidenten der Provinz über die Sprachenverhältnisse. In diesem Erlaß heißt es aber, daß ein Geist der Versöhnung und der all⸗ mählichen Abschleifung der Gegensätze das Verhalten der Beamten und Lehrer bestimmen müsse. Für die bevorstehende Ausstellung in Posen hat sich ein Komitee gebildet, zu dem auch die Vertreter der volnischen Blätter „Dziennik Poznanski“ und „Kuryer Poznanski⸗“ zu⸗ gezogen wurden; ich habe nicht gehört, daß deswegen der Ober⸗ präsident im Interesse des Dienstes versetzt ist. Der deutsche Kandidat, der über Pakulla gesiegt hat, sitzt im Vorstand des Freidenkervereins mit einem Nationalpolen zusammen, der Anarchist ist. Der Lehrer kann doch nicht immer bei seinem Schulinspektor erst nachfragen, wie er zu stimmen habe. In anderen Fällen haben Staatsbeamte bei den Wahlen die Sozialdemokraten unterstützt, ohne gemaßregelt zu werden. Ruf bei den Sozialdemokraten: Denunziation!) Das ist keine enunziation, sondern im allgemeinen Interesse muß auf diese Dinge hingewiesen werden, damit klar wird, wohin ein solches Vor⸗ gehen der Regierung führt. B“ 8.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) zur Geschäftsordnung: Die Begründung unserer Interpellation deckt sich mit der des Vorredners, ich verzichte jetzt darauf, unsere Interpellation zu begründen, und behalte mir vor, in der Besprechung der Regierung zu antworten.

Darauf nimmt zur Beantwortung der Interpellation

Wort

Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Dr. Bethmann Hollweg:

Meine Herren! Die Interpellation beschwert sich darüber, daß eine Anzahl von Lehrern und Beamten aus Kattowitz versetzt worden sind, und wünscht Auskunft über die Gründe dieses Vorgehens. Ich bin bereit, Ihnen die gewünschte Auskunft über die Ansichten und die Anordnungen der Königlichen Staatsregierung zu geben.

Meine Herren, Herr Abg. Dr. Porsch ist soeben bei der Schilde⸗ rung des Sachverhalts auf die einzelnen Gegensätze parteipolitischer und konfessioneller Natur in Kattowitz eingegangen. Ich will ihm im gegenwärtigen Moment in diese Details nicht folgen; ich behalte das für den späteren Gang der Debatte entweder mir selbst oder einem der Herren Ressortminister vor. (Lachen im Zentrum.) Meine Herren, bitte, lachen Sie nicht zu früh und stören Sie mich nicht mit Zwischenrufen; lassen Sie mich ruhig meinen Gedanken entwickeln. Sie werden sehen, daß er auch von Ihrem Standpunkt aus begründet sein kann. Für mich kommt es darauf an, hier festzustellen, daß für die Entscheidung der Königlichen Staatsregierung parteipolitische oder konfessionelle Gegensätze ohne jeden Einfluß gewesen sind, daß für die Königliche Staatsregierung nur der Gesichtspunkt entscheidend gewesen ist, über den Herr Abg. Dr. Porsch in mancher Beziehung etwas kurz hinweggegangen ist, der Gesichtspunkt, daß Beamte Kandidaten großpolnischer Richtung ihre Stimme gegeben haben. (Zuruf aus dem Zentrum.) Sie sagen: es sind keine Großpolen. Meine Herren, die Staatsregierung hat ein sehr gründliches Material, das Ihnen unmittelbar nach mir von meinem verehrten Herrn Nachbar zur Rechten mitgeteilt werden wird, und aus dem Sie trotz der Mitteilung des Herrn Abg. Dr. Porsch ersehen werden, daß

das von

aus dem ganzen Verhalten der beiden Kandidaten, um die es sich handelt, kein anderer Schluß gezogen werden kann, als daß sie der großpolnischen Richtung angehören. (Hört, hört!)

Meine Herren, wenn ich soeben gesagt habe, daß für die König⸗ liche Staatsregierung bei ihrer Entscheidung konfessionelle Gegensätze gänzlich ausscheiden, so will ich das erweitern. Ich will gleich allen meinen Vorgängern auf das bündigste in Abrede stellen, daß in der gesamten Polenpolitik der preußischen Regierung konfessionelle Gegen⸗ sätze irgend eine Rolle spielen. (Bravo! rechts.) Die Königliche Staatsregierung lehnt es ab, solche Gegensätze mit dem Nationalitäten⸗ kampf zu verquicken. Wer diese Verquickung vorgenommen hat, das sind die Polen! (Sehr richtig! rechts.) Die Polen haben den Gegensatz von katholisch⸗polnisch und evangelisch⸗deutsch konstruiert. (Sehr richtig! rechts; Zurufe.)

Meine Herren, ich muß also daran festhalten, daß in Kattowitz eine Anzahl von Beamten und Lehrern Kandidaten ihre Stimme gegeben hat, welche der großpolnischen Richtung zugerechnet werden müssen.

Der Herr Abg. Dr. Porsch hat soeben den Beschluß des König⸗ lichen Staatsministeriums aus dem Jahre 1898 beinahe in extenso verlesen, in welchem für die Ostmarken und alle Landesteile mit gemischtsprachiger Bevölkerung den unmittelbaren und mittelbaren Staatsbeamten einschließlich der Lehrer vorgehalten wird, welche Hal⸗ tung sie auch in ihrem außeramtlichen Leben einzunehmen haben bei der Stärkung des Deutschtums und bei der Abwehr von deutschfeind⸗ lichen Angriffen.

Im vorliegenden Falle, meine Herren, ist den Beamten, welche in der Hauptwahl für polnische Kandidaten gestimmt hatten, vor der Stichwahl von ihren vorgesetzten Behörden ausdrücklich erklärt worden, daß die Stimmabgabe für den polnischen Kandidaten nicht als vereinbar mit ihren Pflichten erachtet werden könne. (Hört, hört! bei den Polen und im Zentrum.) Ein Teil dieser Beamten ist dieser Mahnung zugänglich gewesen, ein anderer Teil nicht. Die Königliche Staatsregierung sah sich deshalb vor die Entscheidung gestellt, ob und wie sie gegen diese Beamten vorgehen solle. Sie hat sich entschieden, von allen disziplinaren Strafmaßregeln abzusehen. (Heiterkeit bei den Polen und im Zentrum.) Meine Herren, ich werde gleich auf Ihr Gelächter noch mit einigen Bemerkungen antworten. Sie hat abgesehen von disziplinaren Strafmaßregeln; sie hat die Beamten im Interesse des Dienstes von Kattowitz versetzt in Aemter von gleichem Rang und Gehalt was der Herr Abg. Porsch soeben bezüglich des einen Lehrers in dieser Beziehung mitgeteilt hat, ist mir bisher unbekannt gewesen —, in Aemter von gleichem Rang und Gehalt und ohne Verlust von Umzugskosten. Eine solche Versetzung im Interesse des Dienstes, meine Herren, ist trotz Ihres Gelächters keine Disziplinarstrafe.

Meine Herren, auch wenn eine solche Versetzung im Interesse des Dienstes von den betroffenen Beamten wie eine Strafe empfunden wird, so kommt es doch hier darauf an, den rechtlichen Charakter der Maßregel festzustellen. Sie selber, meine Herren, sprechen in Ihrer Interpellation von einer „Beschränkung in der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte“. Man wirft der Herr Abg. Dr. Porsch hat es in sehr milder Weise getan der Staatsregierung rechtswidriges Vorgehen vor, wenn sie in dem vorliegenden Falle die Beamten versetzt hat. Da müssen Sie mir schon gestatten, daß ich auch unser Verfahren rechtlich definiere, und da muß ich daran fest⸗ halten, daß die Versetzung im Interesse des Dienstes keine Disziplinarstrafe ist. Eine solche Versetzung im Interesse des Dienstes hat jeder nichtrichterliche Beamte, jeder Beamte, für den nicht durch ausdrückliche Gesetzesvorschrift bestimmt ist, daß er nur mit seinem Willen oder im Disziplinarverfahren versetzt werden darf, über sich ergehen zu lassen. Allgemeine Regeln dafür, wann das dienstliche Interesse eine Versetzung erfordert, lassen sich nicht auf⸗ stellen und sind nicht aufgestellt worden. Selbstverständlich dürfen es niemals schikanöse oder frivole Rücksichten sein, welche eine solche Ver⸗ setzung diktieren, sondern nur sachliche und triftige Gründe.

Nun behaupten Sie, ein solcher sachlicher und triftiger Grund könne niemals gefunden werden in der Stimmabgabe des Beamten bei einer öffentlichen Wahl. Man hat deshalb es ist im Reichstag geschehen das Vorgehen der Regierung für verfassungswidrig erklärt (sehr richtig! links), und Sie bestätigen mit ihrem Zwischenruf, daß das auch Ihre Ansicht ist. Inwiefern denn verfassungswidrig? Wo steht eine derartige Vorschrift? Ich kenne sie nicht. Die Regierung hat das unbestreitbare Recht, einen Beamten von dem speziellen Posten, für den er sich nach Ueberzeugung der Regierung nicht eignet, zu ver⸗ setzen. Wenn die Regierung auf die Ausübung dieses Rechtes ver⸗ zichten soll, weil die Ungeeignetheit des Beamten sich in der Stimm⸗ abgabe bei einer öffentlichen Wahl dokumentiert hat, dann müssen Sie die Vorschriften mir vorführen, welche die Staatsregierung in dieser Weise in der Ausübung eines sonst unbeschränkten Rechtes ein⸗ schränken, und diesen Beweis hat auch der Abg. Porsch nicht geführt und wird ihn nicht führen können. Er hat angedeutet, man müsse die Folgerung wohl aus den Erlassen ziehen, die er uns mitgeteilt hat, aus Aeußerungen des Fürsten Bismarck, der gesagt hat, daß die Freiheit der Wahl nicht beschränkt werden soll. Es handelt sich, wie ich schon gesagt habe, im vorliegenden Fall nicht um Disziplinar⸗ strafmaßregeln. Ich lehne es deshalb ab, theoretisch die Frage zu erörtern, inwieweit die Stimmabgabe eines Beamten bei einer öffentlichen Wahl zum Ausgangspunkt von disziplinarischen Maßregeln gemacht werden kann oder nicht. Diese Frage hat mit dem vorliegenden Fall gar nichts zu tun. (Wider⸗ spruch links.) Eins gebe ich Ihnen zu: der Beamte soll in der Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte und insonderheit in der Freiheit seines Wahlrechts nur dann beschränkt werden, wenn es das Interesse des Staats unbedingt erfordert. Engherzigkeit in dieser Beziehung würde gerade einer Beamtenschaft wie der preußischen gegenüber am allerwenigsten am Platze sein. Ihre Treue und Vaterlandsliebe ruht auf festerem Fundament, als äußerer Zwang zu

zeiger. 1910.

schaffen vermag. (Bravol rechts.) Aber, meine Herren, sie hat dem preußischen Staat so Großes geleistet, weil sie sich bewußt gewesen ist, daß sie über die unmittelbaren Amtsobliegenheiten hinaus auch in ihrem gesamten außeramtlichen Verhalten dem Staate durch den Treueid verbunden ist. (Lebhaftes Bravo!) Ich hoffe sicher, daß die Beamtenschaft an diesem Grundsatz preußischen Beamtenrechts festhalten wird, auch gegenüber Be⸗ wegungen, die ihr einzureden versuchen, daß die individuellen Rechte des Beamten dem Interesse des Staats vorzugehen haben. Wenn derartige Ansichten zum Durchbruch kämen, so würde eine der sichersten Grundlagen des preußischen Staats erschüttert werden. (Sehr richtig! rechts.) Darum wird die preußische Staatsregierung an diesem Grundsatz unerschütterlich festhalten. (Lebhaftes Bravo! rechts.) 1 Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Dr. Porsch gemeint, die Beamten in Kattowitz hätten ja gar nicht annehmen können, daß sie gegen ihre Pflichten verstießen, wenn sie bei der Stadtverordneten⸗ wahl einem Großpolen ihre Stimme gäben. Der Herr Abg⸗ Porsch beurteilt dabei nicht die leider hochgespannten nationalen Verhältnisse in Oberschlesien. Es gibt bei den Verhältnissen, die sich leider Gottes in Oberschlesien entwickelt haben, dort keinen Beamten, der nicht wüßte, daß es mit seiner nationalen Ver⸗ pflichtung unvereinbar ist, bei Wahlen das Großpolentum zu stärken. (Sehr wahr!)

Man hat weiter gesagt, die Versetzung der Beamten von b Kattowitz sei auch um deswillen so ungerecht gewesen, weil, wie der 8 Herr Abg. Porsch es ausdrückte, die Welt rund ist. Andere haben es schärfer gefaßt: weil ja niemand wissen könne, ob wir unsere Polen⸗ politik auch weiterführen würden. Meine Herren, die gegenwärtige Polenpolitik ist vom Fürsten Bismarck inauguriert worden. Meinem unmittelbaren Amtsvorgänger, dem Fürsten Bülow, wird es stets als eines seiner größten Verdienste anzurechnen sein, daß er diese Politik mit Energie fortgeführt hat. (Bravo! rechts und bei den National⸗ liberalen.) Diese Politik hat die Zustimmung der großen Mehrheit dieses hohen Hauses, von der rechten Seite bis weit in die Reihen des Liberalismus hinein, gefunden. Es ist deshalb nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Staatsregierung, die Prinzipien dieser Politik gegenüber ihren Beamten, auch wenn sie dissentieren, durch⸗ zusetzen. Wenn ein Beamter, wie es in Kattowitz geschehen ist, in seiner Stimmabgabe zeigt, daß er die Polenpolitik der Regierung für falsch hält, daß er sie nach seiner Ueberzeugung nicht zu unterstützen vermag, daß er sich im gegebenen Falle für den polnischen Kandidaten aussprechen muß, dann beweist dieser Beamte damit, daß er in einem national umstrittenen und gefährdeten Orte wie Kattowitz nicht an seinem rechten Platze ist (sechr richtig!), mag er sonst ein noch so brauchbarer und tüchtiger Beamter sein.

Die Staatsregierung hatte deshalb die Pflicht, diese Beamten als für Kattowitz ungeeignet von dort zu entfernen. Hätte sie es nicht getan, so hätte sie, wie die Stimmungen in Oberschlesien sind, eine ganz heillose Verwirrung angerichtet. (Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen. Widerspruch bei den Polen und im Zentrum.) Jawohl, meine Herren, das hätte sie getan! Sehen Sie sich doch einmal die praktischen Verhältnisse an: der deutsche Gewerbetreibende, der deutsche Landwirt, der in den Ostmarken das Deutschtum hoch hält, hat unter dem Boykott und unter den Anfeindungen der Polen (Zurufe bei den Polen und im Zentrum) in Ober⸗ schlesien, in Posen (erneute Zurufe) meine Herren, Sie wissen es, Sie haben die Bewegung von Posen nach Oberschlesien hinüber⸗ getragen. (Lebhafte Zustimmung rechts und bei den Nationalliberalen.) Seien Sie also ganz still! der Gewerbetreibende, der Landwirt hat unter den Anfeindungen des Polentums zu leiden (Widerspruch bei den Polen und dem Zentrum); wie soll ich denn nun von diesen Elementen der Bevölkerung ein Festhalten an der nationalen Ge⸗ sinnung verlangen, wenn die Regierung zusieht, wie ihre eigenen Be⸗ amten bei der Durchführung der Polenpolitik ihr in den Rücken fallen! (Sehr gut! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren, ich sagte vorhin, der Herr Abg. Porsch hätte die ganze Angelegenheit auf konfessionelle und parteipolitische Gegensätze hin geprüft und hätte den nationalen Gesichtspunkt in den Hinter⸗ grund geschoben. Ich wiederhole: der nationale Gesichtspunkt ist für die Königliche Staatsregierung das einzig Entscheidende gewesen, und darum wollen Sie mir gestatten, daß ich auch noch einige Worte an die Gegner unserer Polenpolitik richte.

Meine Herren, man wirft uns vor, daß wir die polnische Gefahr überschätzen (sehr richtig! bei den Polen und dem Zentrum); möchten auch einige Hitzköpfe vorhanden sein, die von der Wiederaufrichtung des polnischen Nationalstaats träumen, so seien das unklare Phan⸗ tasten; man solle eine ruhige Politik der Versöhnung treiben, dann würde sich die Frage von selbst lösen. (Sehr richtig! im Zentrum.) Sie sehen, meine Herren, ich schildere die Ansicht der Gegner der Polenpolitik zutreffend. (Sehr gut! und Heiterkeit.) Man hat weiter behauptet, es sei ja erst die preußische Polenpolitik gewesen, deren gänzliches Fiasko jetzt festgestellt sei (sehr wahr! im Zentrum), die den polnischen Chauvinismus großgezogen habe.

Meine Herren, ich sehe die historischen Zusammenhänge und Tat⸗ sachen anders an. Mag auch die Politik der bewaffneten Erhebungen längst als aussichtslos aufgegeben sein, und mögen sich auch die Be⸗ sonnenen unter den polnischen Führern hüten, ihre letzten Ideale zu enthüllen, so ist doch der Gedanke und die Hoffnung auf die Wiedererstehung eines polnischen Nationalreiches das geistige Element, das die Polen, ob radikal oder gemäßigt, ob arm oder reich, ob hoch oder niedrig, zusammenhält, und das allein der polnischen Bewegung die Stoßkraft verleiht, deren Erfolge jeder sehen muß, der sieht und sehen will. Wenn die polnische Bewegung nicht von einer solchen Idee getragen wäre, dann würden nie und nimmermehr die großen materiellen und geistigen Opfer möglich sein, die ihr alle ihre Mitglieder bis hin⸗ über in die überseeischen Länder bringen.

Und wenn man demgegenüber behauptet, es sei die preußische