Bei dem „Föonds für die Reblausbekämpfung“ be⸗
merkt der — 1 Abg. Dr. Dahlem (Zentr.): Die verbündeten Regierungen möchten
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dafür sorgen, daß in den Grenzbezirken das Reblausgesetz intensiv gehandhabt wird. Anderseits aber gehe das Gesetz zu weit, indem ein Weinberg, in dem auch nur eine Reblaus gefunden würde, ge⸗ schlossen werde, was nicht nötig sei. Ferner müsse eine Abänderung dahin verlangt werden, daß nicht nur der momentane Wert der Reb⸗ stöcke ersetzt werde, sondern auch eine Entschädigung für die zehnjährige Liegezeit, während der der Weinberg nicht benutztswerden dürfe, eintrete. fe ¶ee. brreee ☚᷑ F.
Bei dem Beitrag des Reiches von „10 000 ℳ zu den Kosten der Zentralstelle für Volkswohlfahrt“ weist der
Abg. Prinz zu Schönaich⸗Carolathäinl.) auf die hohen Aufgaben und Ziele hin, die sich die vom Grafen Douglas ins Leben gerufene Zentralstelle zur Aufgabe gestellt hat, und auf die von ihr bisher erreichten Leistungen. Immerhin aber könne sie wegen Mangels an Mitteln nicht alles ausführen, er bitte daher, in den nächsten Etat eine höhere Summe einzustellen, denn daß die Zentralstelle sich an Private wende, um sich Mittel zu beschaffen, sei kein ganz würdiger Zustand.
Abg. Dr. Pieper (Zentr.) schließt sich diesem Wunsche an. Nach⸗ dem die einzelnen Bundesstaaten ihre Beiträge schon erhöht hätten, sollte das Reich ebenfalls der Zentralstelle eine höhere Unterstützung zukommen lassen.
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (frs. Volksp.): Die vorjährige
Denkschrift bezeichnet als ein besonderes Gebiet der Zentralstelle ihre um⸗ fassende Tätigkeit im Volksbildungswesen durch Volksunterhaltungsabende, Konzerte und Theatervorstellungen. In letzterer Hinsicht scheint auch sie die Erfahrung gemacht zu 8 daß die Preise der Königlichen Theater so unerschwinglich sind, daß die großen Follschassen sie gar nicht besuchen können. Die Zentralstelle unterscheidet sich 88 vorteilhaft von der Art, wie heute der Kampf gegen die Schmutz⸗ und Schundliteratur geführt wird. Der Staatssekretär will nach seiner neulichen Beantwortung der dahingehenden Resolution den Kampf nur mit polizeilichen und strafgesetzlichen Maßregeln führen. Das halten wir für eine falsche Politik. Wir glauben vielmehr, daß positive Maßregeln wirksamer sein werden, eine gute Volks⸗ literatur, Volksbibliotheken, Ausbildung des literarischen und künst⸗ 1 Leischen Geschmacks, Hebung der körperlichen Ausbildung der Jugend. Die Zentralstelle möge sich sof er Bestrebung tendenzlos annehmen, mit der Einstellung eines höheren Betrages können wir dann um so mehr einverstanden 8 Das Volk verlangt eine spannende Literatur, und nichts ist gefährlicher als eine süßliche, frömmelnde Traktätchen⸗ literatur, die das Volk sofort wieder auf die Kolportageromane urückgreifen läßt. Der Weg, den wir vorschlagen, ist unzweifelhaft r Häacgja mere, aber wir glauben, daß er um so sicherer zum iele führt.
Abg. Dr. Heckscher (frs. Vgg.): Es wäre die zu prüfen, ob es nicht an der Zeit ist, für das deutsche Volk eine nationale Bühne zu schaffen. Auf die Dauer werden das Reich und die Einzelstaaten nicht darum herumkommen, auch die Bühne, dieses gewaltige Bildungsmittel, unmittelbar in den Dienst der Volks⸗ erziehung zu stellen.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:
Mieeine Herren! Die Ausführungen der beiden letzten Herren Redner sind eigentlich weit hinausgegangen über die der Zentralstelle für Volkswohlfahrt zunächst gesteckten Ziele. (Heiterkeit.) Ich bin im Zweifel, ob ich unter diesen Umständen gut tue, wenn ich auf die Ausführungen der beiden letzten Herren Redner eingehe.
Eins möchte ich aber doch bemerken. Wenn ich bei Gelegenheit der Besprechung der Bekämpfung der Schmutzliteratur nur die Frage einer eventuellen Verschärfung oder Abänderung unserer strafgesetz⸗ lichen Bestimmungen und die Frage der polizeilichen Ueberwachung erörtert habe, so habe ich mich lediglich um deswillen so beschränkt, weil ich es für selbstverständlich ansehe, daß hier wie auf allen anderen Gebieten polizeiliche und strafgesetzliche Maßnahmen nur repressiv wirken können und daß die bessernde Kraft von anderer Seite kommen muß. Auch auf dem Gebiete der Schmutzliteratur werden wir nur dann zum Ziele kommen, wenn die religiösen, sittlichen und ästhetischen Kräfte des ganzen deutschen Volks für diese Sache mobil gemacht werden. (Lebhafte Zustimmung links und in der Mitte.) Das zu tun ist aber nicht Sache der Reichsgesetzgebung. (Sehr richtig! links.) Diese Bestrebungen durch staatliche Institute zu fördern, ist ebenfalls nicht Sache der Reichsgesetzgebung, sondern das sind Auf⸗ gaben der einzelnen Bundesstaaten, denen sich diese nach meiner Ueber⸗ zeugung mit Ernst widmen. Das Reich ist nicht in der Lage, der⸗ artige Bestrebungen unbegrenzt zu fördern, und es muß sich in dieser Beziehung Beschränkungen auferlegen, nicht bloß mit Rücksicht auf die augenblickliche Lage unserer Finanzen, sondern auch grundsätzlich mit Rücksicht auf die staatsrechtliche Struktur und die Organisation des Reichs. Richtig ist es aber, daß, wenn das Reich das Bedürfnis hat, Fragen, wie sie die beiden Herren Vorredner eben erörtert haben, zu fördern, das nur geschehen kann in der Weise, daß ein Institut wie die Zentralstelle für Volks⸗ wohlfahrt in angemessener Weise unterstützt wird, aber auch mit einer Beschränkung. Wir verkennen nicht die Opferwilligkeit und die Höhe der Gesinnung, die bei allen denen lebendig gewesen ist, die bei der Begründung des Instituts mitgewirkt haben. Ich verkenne auch nicht die wohltätigen Wirkungen, die die Arbeiten dieses Instituts gehabt haben und auch noch haben können. Ich darf hinzufügen, daß nach meiner Kenntnis der Dinge viele Anregungen, die die beiden letzten Herren Redner gegeben haben, von seiten der Zentralstelle für Volks⸗ wohlfahrt, soweit es ihre Mittel gestatten, bereits in die Praxis umgesetzt sind. Aber ein Reichsinstitut, ein Staatsinstitut ist die Zentralstelle für Volkswohlfahrt nicht (sehr richtig!), sondern ein Institut, in dem alle an der Volkswohlfahrt interessierten Kräfte der Nation gesammelt werden sollen unter einer angemessenen Beteiligung der Parlamente und der Behörden, und dementsprechend auch unter einer angemessenen Beteiligung des Reichs und der Bundes⸗ staaten auf finanziellem Gebiete. Aber die Zentralstelle für Volks⸗ wohlfahrt würde meines Erachtens einen großen Teil ihres ideellen Wertes verlieren, wenn man sie zu einem Reichs⸗ oder Staatsinstitut machen wollte, in dem alles aus dem Säckel der Steuerzahler bezahlt wird, was der Enthusiasmus des Einzelnen und das Interesse der Gesamtheit zu fördern berufen ist.
Nun kann man darüber streiten, ob gegenüber den wachsenden Aufgaben, die sich die Zentralstelle für Volkswohlfahrt selbst mit Er⸗ folg gestellt hat, gegenüber den stets wachsenden Forderungen, die man aus der Bevölkerung und auch aus dem Hause heraus an die Tätig⸗ keit dieses Instituts richtet, die Subvention, die das Reich in Höhe von 10 000 ℳ gibt, noch angemessen ist oder nicht. Ich würde, wenn wir normale Finanzverhältnisse hätten, unge⸗ säumt versprechen können, die Frage zu prüfen, ob und in welchem Umfange für den nächsten Etat die Zubuße des Reichs erhöht werden könnte. Aber ich muß mir, wie die Dinge
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heute liegen, in dieser Beziehung eine Reserve auferlegen und möchte zur Begründung dafür einige Sätze sagen, die sich auf einen großen Teil meines Etats beziehen.
Es ist gewiß für den Chef des Reichsamts des Innern vielleicht die dankbarste seiner Aufgaben und seiner Tätigkeit, derartige all⸗ gemeine, wirtschaftliche, sittliche, wissenschaftliche, ästhetische Ziele zu fördern, und es wird jedem Chef des Amtes besonders schwer werden, wenn er sich auf diesem Gebiete Beschränkungen auferlegen muß. Aber dieses Muß liegt zurzeit in unserer Finanzlage, und ich bin mit dem Herrn Staatssekretär des Reichsschatzamts der Meinung gewesen, daß es zurzeit gleichgültig ist, ob das Reich auf diesem Geb ete nur im bisherigen Umfange oder vorübergehend in etwas geringerem Um⸗ fange als bisher sich betätigt gegenüber der eisernen Not⸗ wendigkeit, zunächst unsere Finanzen in Ordnung zu bringen. Ich habe mich infolgedessen bei Aufstellung des Etats für das laufende Jahr in meinen Wünschen erheblich beschränkt und beschränken lassen müssen, und ich werde auch bei der Aufstellung des Etats für das nächste Jahr meiner inneren Ueber⸗ zeugung nach im Interesse des Reichs den entsprechenden Wünschen des Reichsschatzamts auch fernerhin in gewissen Grenzen Rechnung tragen müssen. (Bravo! in der Mitte.) Vergessen werde ich die freundlichen Anregungen, die hier zugunsten der Zentralstelle für Volkswohlfahrt gemacht sind, aber nicht. (Heiterkeit.)
Bei den „Aufwendungen für Einrichtungen und Veranstaltungen, welche allgemeinen Interessen des deutschen Handels und Gewerbes dienen“ be⸗ fürwortet der
Abg. Vogel (nl.) Maßregeln zur Ausdehnung und zum leichteren Absatz der en und nassauischen Eisenerzproduktion, namentlich fehle es noch an geologischen Untersuchungen, und wünscht außerdem Herabsetzung der innerhalb des Reichsgebietes.
Abg. Neuner (nl.) schließt sich den Darlegungen des Vorredners an und bedauert, daß der Fonds in diesem Jahre um 20 000 ℳ er⸗ mäßigt sei. Auch für Bayern, namentlich in der Oberpfalz und in der Gegend von Bayreuth, Kronbach, Kulmbach, würde eine Er⸗ mäßigung der Tarife eine gewinnbringende Verwertung der dortigen Eisenlager erleichtern.
Bei den Ausgaben „zur Förderung des Absatzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse und zur Unter⸗ stützung wissenschaftlicher, technischer und ähnlicher allgemeiner Bestrebungen auf landwirtschaftlichem Gebiete“ bitten die Abgg. Wallenborn (Zentr.) und Baumann (Zentr) um tunlichste Förderung des deutschen Obstbaues durch die Reichsverwaltung.
Der Rest des Kapitels wird ohne Debatte bewilligt, ebenso die Ausgaben für die Reichskommissariate.
Bei dem Ausgabenkapitel Bundesamt für Heimatwesen begründet der
Abg. Frank⸗Ratibor (Zentr.) eine vom Zentrum gestellte, schon am 1. Dezember 1909 als Antrag vorgelegte Resolution des Zentrums, „den Reichskanzler zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach das bandenweise Umherziehen der Zigeuner verboten wird“. Während Oberschlesien im Jahre 1908 durch die Zigeunerplage mit Peitschen gezüchtigt wurde, sei es 1909 mit Skorpionen gezüchtigt worden. Auch im übrigen Deutschland werde diese Plage immer unerträglicher. Senen gegen das bandenweise Umherziehen der Zigeuner beständen nur in einigen süd⸗ und westdeutschen Staaten. In Preußen reichten die bestehenden Bestimmungen nicht aus, da sie sich in der Hau tsach⸗ nur gegen ausländische Zigeuner richten.
Abg. Brühne (Soz.): Man sollte doch nicht bei allen mög⸗ lichen Anlässen nach der Polizei rufen; das zeugt nicht von allzu geoßer Menschenliebe. Ich meinerseits möchte auf die Not⸗ wendigkeit einer alsbaldigen Aenderung der gesetzlichen Bestimmungen über das Heimatwesen und einer Reform des Gesetzes über Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit erneut hinweisen.
Abg. Graf Carmer⸗Zieserwitz (kons.): Die Deutschkonser⸗ vativen haben einen gleichlautenden Antrag wegen der Zigeunerplage schon früher eingebracht. Unter dieser Plage hat besonders die Be⸗ völkerung des pkaesen Landes zu leiden.
Die Resolution wird mit etwa 20 gegen 15 Stimmen an⸗ genommen; im Zentrum sind 5 Abgeordnete anwesend.
das
Donnerstag 1 Uhr vertagt; danach Marineetat.
Um 8 Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. . Sitzung vom 2. März 1910, Mittags 12 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Das Haus setzt die Beratung des Etats der Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung, und zwar zunächst die allgemeine Debatte über die Einnahmen aus Berg⸗ werksprodukten (228 104 220 ℳ, 12 050 960 ℳ mehr als im Vorjahre), fort.
Minister für Handel und Gewerbe Sydow: 8
Meine Herren! Bei der Beratung des Bergetats haben sich zwei Redner mit den Ergebnissen der Aufwältigungsarbeiten auf der Zeche Radbod beschäftigt. Mir gibt das einen willkommenen Anlaß, mich über die Förderung dieser Arbeiten und darüber, was etwa über die Ursache jenes schweren Unglücks inzwischen ermittelt ist, kurzum über den Stand der ganzen Untersuchung, hier auszusprechen. Ich erfülle damit die Zusicherung, die mein Herr Amtsvorgänger am 20. No⸗ vember 1908 hier gegeben hat. Sie ging allerdings nicht dahin, wie Herr Abg. Leinert anzunehmen schien, daß schon jetzt eine Denkschrift über die ganze Entwicklung vorgelegt werden sollte; denn der Natur der Sache nach ist das erst möglich, wenn die gerichtliche Untersuchung zum Abschluß gekommen ist, wie auch in sonstigen Fällen ja üblich ist, daß die Bergverwaltung in der ihr zur Verfügung stehenden Zeit⸗ schrift über den Schluß und die Ergebnisse der Untersuchung von solchen wich⸗ tigen Unglücksfällen Bericht erstattet. (Unruhe. — Glocke des Präsidenten.) Nun ist aber die gerichtliche Untersuchung noch nicht beendet; soweit ich erfahren habe, sind erst die Zeugenvernehmungen zu Ende geführt und die Akten einem vom Gerichte ohne Mitwirkung der Berg⸗ verwaltuug oder der Zechenverwaltung ernannten Sachverständigen zur Ausarbeitung eines vorläufigen Gutachtens übermittelt worden, eines Sachverständigen, der auch bei den Untersuchungshandlungen selbst zugezogen worden ist.
Was die Aufwältigungsarbeiten selbst betrifft, so ist de Sümpfung der Grube beendet. Die Aufwältigung ist in der zweiten Sohle fertig; die Arbeiten erstrecken sich jetzt auf die dritte Sohle. Bereits gestern hat Herr Abg. Spinzig anschaulich dargelegt, daß und aus welchen Gründen nicht schneller mit der Arbeit kat vorwärts gegangen werden können, als es tatsächlich ge⸗ schehen ist, und ich kann das nach dem hier vorliegenden Material
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nur bestätigen: die Schwierigkeiten, die den Arbeiten entgegenstanden waren in der Tat groß. Zwar vom Standpunkt der Zechenverwaltum aus hätte es ja nur erwünscht sein können, wenn sie aufs äußerste beschleunigt worden wären; weil ja um so eher wieder die gewinn⸗ bringende Kohlenförderung hätte eintreten können. Die Aufgabe der Bergpolizeibehörde war eine andere; sie mußte dafür sorgen, da einerseits natürlich die Ursachen der Katastrophe möglichst genau fest
gestellt wurden, auf der anderen Seite aber kein neuer Schaden ent,
stand, der das Unglück noch vergrößerte.
Zunächst mußten ja die Wasser eine Zeitlang in der Gruhbe bleiben, damit nach dem großen Brande, der stattgefunden hatte, eine wirkliche Abkühlung der Kohlen eintrat und nicht etwa nachher eine neue Selbstentzündung eintreten konnte. Die Hauptquerschläge waren fast ganz zu Bruch gegangen, und die Be⸗ seitigung der darin liegenden Berge machte große Schwierigkeiten. Der eine Schacht war stark zertrümmert. Dann war besondere Vor⸗ sicht nötig wegen der Schlagwettergefährlichkeit der Grube; es mußten alle Vorsichtsmaßregeln getroffen werden, um zu verhüten, daß bei den Aufräumungsarbeiten neue Explosionen eintreten. Infolgedessen wurden auch hier schon durchweg elektrische Lampen benutzt. Auz
allen diesen Gründen ist man nicht so rasch vorwärts gedrungen, wie
man in dem Unglücksmonat selbst noch zu hoffen wagte. Von Leichen sind bis jetzt 127 geborgen, es sind noch etwas über 170 zu bergen.
Die Bergpolizeibehörde hat sich mit der größten Sorgfalt der
Aufgabe der Ueberwachung der Arbeiten gewidmet. Der Referent des
Handelsministeriums ist selbst sechsmal in der Zeit seit dem Unglück
in die Grube gefahren und hat alle Arbeiten an Ort und StelP⸗ besichtigt; der Bergrevierbeamte oder sein Vertreter sind an 200 mal in der Grube gewesen; ständig ist ein Einfahrer in jeder Schicht in der Grube anwesend.
Was nun die Frage der Zuziehung von Arbeitern bei den Auf⸗ wältigungsarbeiten betrifft, so hatte ja, wie schon gestern aus der Rede des Herrn Abg. Spinzig hervorging, Herr Abg. Sachse inm Reichstage der Verwaltung Vorwürfe gemacht, daß sie nicht die damalige Zusage der Zuziehung von Arbeitern gehalten habe. Herr Abg. Spinzij hat gestern einen Brief verlesen, den die Werksverwaltung an den Arbeiterausschuß gerichtet hat und in welchem sie ihn ersuchte, einen Arbeiter, der dem Ausschuß genehm schiene, zu jeder Zeit mit einen Werksbeamten in die Grube zur Befahrung zu entsenden. Dieser Brief ist auf eine Anregung hin ergangen, die von Seiten
meines Herrn Amtsvorgängers durch das Oberbergamt an die Grube
gerichtet ist.
Es ist dann weiter dauernd ein Mitglied des Arbeiterausschusses
der Hauer Horn, in der Grube beschäftigt gewesen und bei irgend interessanten Aufschlüssen, die sich ergaben, sofort zugezogen worden⸗ er ist auch in der Lage gewesen, sich dauernd über den Fortgang der Arbeiten zu unterrichten. Der Fall, der im Reichstage zu Klagen Veranlassung gegeben hat, daß nämlich der Bergmann Oehler, der mit einem anderen Bergmann Schäfer einmal zugezogen war, nicht wieder zugezogen worden ist, liegt auf einem anderen Gebiet. Bei der erstmaligen Beteiligung der beiden Bergleute handelte es sich darum, daß auf eine Anfrage des Revierbeamten, die durch eine Anregung des Regierungspräsidenten in Münster veranlaßt war, der Knappschaftsvorstand von dem ihm nach § 65 des Gewerbo⸗ unfallversicherungsgesetzes zustehenden Rechte Gebrauch gemacht und zwei Arbeitervertreter zur Unfalluntersuchung entsandt hatte. Später hat der Knappschaftsvorstand die weitere Entsendung der beiden Ver⸗ treter abgelehnt; aus welchen Gründen, weiß ich nicht, vielleicht des⸗ halb, weil der Arbeiterausschuß schon beteiligt war. Jedenfalls ist der Knappschaftsvorstand in solchen Beschlüssen selbständig, und eine Einwirkung der Bergpolizeibehörde auf ihn findet nicht statt.
Was die Frage bezüglich der Ursache der Katastrophe betrifft, so muß ich mir in dieser Beziehung natürlich die größte Zurückhaltung auferlegen; denn erstens sind die Aufwältigungsarbeiten noch nicht durchgeführt; solange nicht die dritte Sohle auch frei gelegt ist, sind immer noch neue Tatsachen und Ueberraschungen möglich. Zweitens schwebt die gerichtliche Untersuchung, und es muß mir in jeder Be⸗ ziehung fern liegen, dem Urteil des gerichtlichen Sachverständigen irgendwie vorzugreifen. Ich kann also hier nur Tatsachen mitteilen als Momente, aus denen sich nach dem gegenwärtigen Stande de Untersuchung vielleicht der eine oder der andere Schluß rechtfertigt.
Was zunächst die Frage betrifft, ob eine Kohlenstaubexplosion die Veranlassung gewesen sei, so ist zu sagen, daß bis jetzt die bei einen solchen Explosion gewöhnlich in sehr starkem Maße vorkommenden Koksperlen nur in geringem Umfange gefunden worden sind. In den letzten Monaten ist dann ein Umstand zutage getreten, der möglicherweise eine Erklärung für die Explosion gibt. Es hat sich in dem Liegenden des Flözes 3 der zweiten Sohle ein System von Spalten gefunden, die vorher nicht vorhanden waren. Mir ist au amtlichem Wege durch das Oberbergamt die Mitteilung davon zue gekommen. Danach handelt es sich um zwei parallel gehende Spalten die etwa 20 m lang sind, und deren Tiefe nicht festgestellt ist. Sie waren zum Teil wieder durch Berge gefüllt; sie sind 25 cm breit Man hat bis zu etwa 18 cbm Wasser hineingeschüttet, das aber ar tiefer gelegenen Stellen nicht zutage getreten, sondern in der Ver⸗ tiefung verschwunden ist.
Eigentümlich ist, wie die Nachricht von dem Auffinden diese Spalten in der sozialdemokratischen Presse aufgenommen ist. Gleich⸗ zeitig mit der Nachricht, die ich davon erhielt, erschien ein Artikel der die Sache ironisierte. Es hieß da — ich habe hier den Abdrut des Artikels im „Vorwärts“:
Da hätte man also mit einem Male die Ursache der Radbodt katastrophe in elementaren Einwirkungen entdeckt; die Radbodver⸗ waltung stände rein da. Wirklich ausgezeichnet!
Und nun wird nachher behauptet, daß nach Aussage von Berg⸗ leuten der Spalt schon monatelang vor der Katastrophe in unmittelbarer Nähe eines Sprunges im Flöz gewesen wäre. Selbstverständlich habe ich dafür gesorgt, daß die Staatsanwaltschaft von den beiden Auffassungen Mitteilum erhielt, und sie ist ersucht worden, diesen Umstand möglichst durch eidliche Vernehmungen festzustellen Es ist dabei folgendes ermittell
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Es sind alle Bergleute, die etwas davon wissen konnten, vernommen worden, darunter auch der Bergmann, der, wie sich ergeben hat, der Vater dieses Artikels in der Zeitung war. Er hat zunächst sofort zugegeben, daß er eigentlich, wie er sich nachher überlegt hätte, von der Sache nichts wissen konnte, da er nicht in der westlichen Richtstrecke der Sohle 2 Flöz 3 gearbeitet hätte, sondern an einer anderen Stelle, an der östlichen Strecke. Er hat es leider unterlassen, der ihm befreundeten Parteipresse Mitteilung von seinem Irrtum zu machen; er sagt, er habe sich das vorbehalten wollen, bis er gerichtlich vernommen sei. Bis jetzt ist eine solche Berichtigung, soweit ich sehe, nicht erschienen.
Er hat sich dann zum Beweise der Behauptung, daß der Spalt schon früher da gewesen sei, auf verschiedene Bergleute berufen. Die Protokolle liegen mir vor. Zunächst hat der Bergmann, auf den er sich in erster Linie berufen hat, erklärt: diese Angaben des vorhin erwähnten Zeugen — ich nenne mit Absicht keinen Namen — habe ich diesem nicht gemacht, diese Angaben sind der Wahrheit nicht ent⸗ sprechend. Dann sind 9 Bergleute und mehrere Beamte vernommen worden. Die haben alle übereinstimmend bekundet, daß sie diese Spalte an der Stelle, wo sie jetzt ist, vor dem Unglück nicht bemerkt haben, daß sie sie hätten bemerken müssen, wenn sie da gewesen wäre; manche haben auch direkt gesagt, sie wüßten bestimmt, daß sie nicht da gewesen wäre. Es ist das also ein neues Moment, was möglicher⸗ weise eine Aufklärung für die Ursachen der Katastrophe bietet. Es sind anderswo Fälle vorgekommen, wo große Ausbrüche von Grubengas aus derartigen plötzlich aufgebrochenen Spalten zutage getreten sind.
Im Reichstage ist von dem Abg. Sachse auch noch be⸗ hauptet worden, daß die Bergverwaltung dadurch die Förderung der vollen Klarheit, die Ermittelung der Wahrheit gehindert habe, daß sie dem stellvertretenden Bergrevierbeamten bei einem gerichtlichen Prozeß die Genehmigung versagt habe, das, was er wußte, auszu⸗ sagen. Ich halte es für meine Pflicht, auch das hier richtig zu stellen. Der stellvertretende Bergrevierbeamte, der Berginspektor Hollender, ist als Zeuge in dem Beleidigungsprozeß vernommen worden, den der Direktor Andree gegen die „Bergarbeiterzeitung“ um deswillen angestellt hatte, weil diese ihm den Vorwurf gemacht hatte, er hätte seinerzeit, als es noch zweifelhaft war, ob noch Lebende in der Grube wären, gesagt: was lebt, lebt, wir müssen raus! — hätte also, ehe er alle Rettungsversuche beendet hatte, das Rettungswerk aufgegeben⸗ Darüber war Herr Hollender vernommen worden, und nun hatte der Verteidiger eine Frage gestellt, die sich auf angebliche Miß⸗ stände auf Radbod bezog. Herr Hollender, der zu seiner Ver⸗ nehmung die Genehmigung des Oberbergamts erhalten hatte, war der Meinung, daß sich seine Ermächtigung nur auf die spezielle Beleidigungsfrage, auf den Gegenstand der Beleidigungs⸗ klage, bezog, und lehnte zunächst die Beantwortung ab. Ich mache ihm daraus nicht den geringsten Vorwurf. Ich habe nur festgestellt, daß das Oberbergamt selbst die Genehmigung in weiterem Sinne hatte geben wollen, und wenn das Gericht irgendwie über etwaige Mißstände den Revierbeamten hätte fragen wollen, so würde auch die Genehmigung seitens des Oberbergamts dazu noch besonders erteilt worden sein. Jedenfalls hat aber das Gericht die Frage als unerheblich abgewiesen, sodaß schon aus diesem Grunde keine Rede davon sein kann, als habe die Bergverwaltung durch die Verweigerung der Vernehmung ihrer Beamten irgendwie die Auf⸗ klärung der Sache gehemmt.
Von großem Interesse ist ja die Frage, die seinerzeit viel erörtert wurde, ob etwa das Rettungswerk zu früh verlassen wurde, ob die Grube nicht zu einer Zeit geschlossen sei, zu welcher noch Lebende unter Tage sein konnten. In der Beziehung hat sich bisher ergeben, daß die Leichen, die bis jetzt gefunden worden sind, mit Ausnahme von ein paar Leichen von Arbeitern, die sich mit dem Transport eines Ventilators beschäftigt hatten, genau an ihrer ständigen Arbeitsstelle gefunden worden sind, und zwar in der Haltung, in der sie gearbeitet haben. Sie haben zum Teil die Kohle, das Gestein, das Werkzeug noch in der Hand gehabt, sodaß man wohl annehmen muß, daß der mächtige Feuerstrom, der infolge der ersten Erplosion die Grube durchzogen hat, jedenfalls diese Arbeiter, deren Leichen man bis jetzt gefunden hat, sofort getötet hat.
Ich möchte nun diese Mitteilungen nicht schließen, ohne noch darauf hinzuweisen, was getan ist, um für die Zukunft in der Grube eine Sicherung gegen ähnliche Unglücksfälle herbeizuführen. Es ist
zunächst für die Grube Radbod vorgeschrieben, daß überall von den Arbeitern nur elektrische Lampen benutzt werden sollen. Es ist dann angeordnet, daß in den Stößen bis auf 5 m vorgebohrt werde, um zunächst eine Entgasung der Flöze herbeizuführen. Dann ist neben der bisherigen Schlauchberieselung eine Berieselung durch Düsen⸗
berieselung herbeigeführt worden. Es werden täglich die aus⸗ ziehenden Wetter chemisch analysiert auf ihren Gehalt an Gruben⸗ gasen, und es ist endlich bestimmt worden, daß die Kohlen⸗ gewinnung nur des Morgens und des Nachmittags statt⸗ finden darf, während die Schießarbeiten in die Nachschicht
verlegt sind. Es sind aber auch infolge des Unglücks noch
angeordnet worden. Zunächst hat mein Herr Amtsvorgänger eine Kommission nach Belgien, das ja reich an Gasausbrüchen ist, geschickt, um die dortigen Vorbeugungsmaßregeln an Ort und Stelle studieren
u lassen. Der Bericht der Kommission befindet sich in der Be⸗ arbeitung, und es wird erwogen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Sodann hat man sich in Oesterreich wegen der dort bestehenden Rettungskammern erkundigt, und auch darüber schweben Erwägungen. Endlich ist noch von allgemeinerem Interesse, daß jetzt ein Versuch gemacht wird, der vor 20 Jahren bereits von dem jetzigen Referenten im Handelsministerium für die Bergpolizeiangelegenheiten angestellt und jetzt von neuem angeregt wurde, dadurch den Kohlenstaub un⸗ schädlich zu machen, daß in Bohrlöcher unter starkem Druck Wasser
ineingeführt wird, das sich in dem Kohlenstoß durch dessen feine Adern
—
Berlin, Donnerstag, den 3. Müärz
verteilt, sodaß nicht bloß nachher die Gewinnung der Kohle erleichiert wird, sondern die Kohle schon in feuchtem Zustande zum Bruch kommt. Ich hoffe, daß auch nach der Richtung hin wenigstens die Gefahr vermindert wird.
Auf alle Fälle glaube ich das sagen zu können, daß die Förderung der Untersuchung, wie bisher, so auch künftig, mit der größten Un⸗ parteilichkeit geführt wird und daß die Verwaltung kein anderes Interesse hat, als die Ursachen klargestellt und alles getan zu sehen, was zur Verhütung von Unfällen führen kann.
Wenn der Abg. Leinert noch einen Vorfall hier erwähnt hat, der sich auf die Verteilung der Radbod⸗Spende bezieht, daß nämlich den Radbod⸗Witwen, die den Prozeß auf Ausschüttung des Fonds verloren haben, von seiten des Ortskomitees ein Teil der Gerichtskosten — es sind 6 bis 7 ℳ monatlich — drei Monate lang auf die Spende an⸗ gerechnet wurden — das Komitee mußte ja die Kosten einziehen —, so entzieht sich das meiner amtlichen Kenntnis. Ich weiß das, was ich gelesen habe, nur aus den Zeitungen. Die Verwaltung der Spende steht nicht unter dem Handelsministerium.
Wenn ich nun diesen Gegenstand verlasse, so möchte ich mich mit wenigen Worten zu dem wenden, was der Abg. Macco gestern gesagt hat. Die vielen wertvollen Anregungen, die er in der Frage der besseren Rentabilität der fiskalischen Gruben gegeben hat, werden sicherlich in der Subkommission gebührende Prüfung erfahren. Ich kann mich deshalb hier wohl enthalten, darauf einzugehen, Er hat dann noch über die besonderen Verhältnisse des Siegerlandes einiges gesagt in bezug auf die Erleichterung des Absatzes des dortigen Eisensteins durch Verbesserung der Bahnverbindungen und durch Aenderung der Tarife. Was die Bahnverbindungen betrifft, so bin ich, wie das schon mein Herr Amtsvorgänger getan hat, bereit, die Pläne bei dem Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten wärmstens zu unterstützen. Was die Tariffrage betrifft, so ist sie, insbesondere was die Frage der Braunkohlentarife angeht, etwas komplizierter, weil darin immer die verschiedenen Interessen sich kreuzen. (Sehr richtig!) Insbesondere in bezug auf die Braunkohlentarife habe ich noch gestern eine Eingabe bekommen, worin sich ein Teil der östlichen Braunkohlenwerke darüber beschwert, daß die Tariferleichterungen den Niederlausitzer Braun⸗ kohlenwerken eine Konkurrenz in Gebieten ermögliche, die eigentlich ihnen bestimmt seien. Darüber möchte ich mich des Urteils ent⸗ halten; die Frage gehört ja überhaupt zum Ressort des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten, und ich kann den Herren, die sich dafür interessieren, nur anheimstellen, beim Etat des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten sie zu wiederholen.
Herr Abg. Leinert hat noch einige andere Punkte zur Sprache gebracht, an denen ich nicht ganz vorbei gehen kann. Er hat zunächst geglaubt, auf einen Widerspruch hinweisen zu müssen, der zwischen den „Nachrichten“ und dem Sonderabdruck aus der Zeitschrift für das Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenwesen in bezug auf die Ge⸗ staltung der Löhne der Arbeiter bestehe; während es in den „Nach⸗ richten“ Seite 4 heiße, daß die Arbeiter der Staatswerke unter der Verschlechterung der Lage im allgemeinen nicht zu leiden hatten, sei in der „Zeitschrift“ davon die Rede, daß die Löhne teilweise einen Rückgang erfuhren. Der Herr Abgeordnete hat nicht genau genug gelesen. Was hier in der „Zeitschrift“ abgedruckt ist, bezieht sich auf Löhne von Privatgruben und Staatsgruben zusammen. Was in den „Nachrichten“ gesagt ist, bezieht sich nur auf die Staatsgruben.
Was nun die Entwicklung der Löhne in den staatlichen Berg⸗ werken betrifft, so liegt die Sache folgendermaßen: Die Löhne sind in Oberschlesien und im Oberharz im Jahre 1908 gegenüber dem Jahre 1907 durchschnittlich gestiegen. In Oberschlesien betrug die Erhöhung des Durchschnitts der Löhne aller Arbeiterklassen — um die handelt es sich immer — für das Jahr 28 ℳ, im Oberharz 41 ℳ. Im Dortmunder Bezirk ergibt sich ein Rückgang um 13 ℳ, im Saarrevier ein Rückgang um 3 ℳ. Man wird das kaum als einen nennenswerten Abschlag ansehen dürfen. Ungünstiger liegt die Sache am Deister; da ist, wie ganz richtig gestern hervorgehoben wurde, eine Verminderung des Einkommens um 111 ℳ jährlich eingetreten. Die Gründe sind aber auch in den „Nachrichten“ angeführt worden: es liegt daran, daß wegen mangelnder Absatzgelegenheit dort mehr Feier⸗ schichten eingelegt werden mußten und daß die Knappschaftsbeiträge sehr erheblich haben erhöht werden müssen. Wenn man also von diesem Sonderfall absieht, wird man sagen können: im großen und ganzen haben sich die Löhne auf den staatlichen Gruben gehalten wie im Vorjahr; und das ist doch ein recht günstiges Ergebnis, wenn, nachdem die Lohnsteigerung von 1906/7 bis Anfang 1908 eingetreten war, trotz des Konjunkturrückgangs kein erheblicher Rückgang der durchschnitt⸗ lichen Löhne eintrat. Für das Jahr 1909 liegen erst die Angaben für die ersten drei Vierteljahre vor, und da wird es sich auch nur um eine geringe Veränderung, um ein paar Pfennige, handeln. Wir wollen abwarten, wie das letzte Vierteljahr sich gestaltet hat; denn es hatte eine etwas bessere Konjunktur.
Wenn nun die Frage an mich gerichtet wird, ob ich bereit sei, an eine Erhöhung der Löhne heranzutreten, so kann ich darüber nur folgendes sagen. Die Gestaltung der Löhne muß sich bei einer staat⸗ lichen Verwaltung ähnlich wie bei Privatgruben nach der allgemeinen Konjunktur richten. Ich kann nicht aus allgemeinen Wohlfahrts⸗ rücksichten für die staatlichen Betriebe die Löhne in die Höhe setzen; einmal wäre es unwirtschaftlich, und dann würde ich auch für die Privatbetriebe ein sehr schweres Präjudiz schaffen. (Glocke des Präsidenten.)
Da komme ich auf die Frage der sogenannten Musterbetriebe. Dies Wort wird meiner Ansicht nach recht oft in einem Sinne an⸗ gewandt, den es nach der Absicht dessen, der es geprägt hat, nicht haben sollte. Unter Musterbetrieb verstehe ich einen wirtschaftlichen Betrieb, der innerhalb der Grenzen der Wirtschaftlichkeit auch alle humanen Rücksichten gelten läßt. (Sehr richtig!) Es wird aber so angewandt, als ob ein Musterbetrieb nur ein solcher Betrieb wäre, der den Arbeitern so viel zahlt wie nur irgend möglich. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Das halte ich nicht für einen Muster⸗ betrieb. Gewiß, Herr Abg. Leinert, wir sind verschiedener Meinung.
ger und Königlich Preußischen
Sie haben gestern Ihre Meinung gesagt, und darum sage sch heute meine, von der Ihrigen abweichende Ansicht.
Der Herr Abg. Leinert hat dann die Frage der Behandlung der Arbeiter gestreift, und zwar aus Anlaß eines Falles, der es mir an sich kaum nötig erscheinen läßt, darauf einzugehen. Er hat dem Fall eine gewisse typische Bedeutung beigelegt. Nun, ich glaube, es wird in diesem hohen Hause keiner daran zweifeln, daß der Standpunkt der Verwaltung nur der sein kann: sie muß wünschen, daß die Arbeiter durch ruhige, ernste Menschenfreundlichkeit nachhaltig zur Erfüllung ihrer Pflichten angehalten werden. Daß einmal auch Abweichungen und Irrtümer vorkommen können, gebe ich gerne zu. Aber der Fall, der gestern vorgetragen wurde, liegt doch etwas anders, als er ge⸗ schildert ist. Es hatte in Altenau der Werksdirektor einen Arbeiter, der ihm schon viele Schwierigkeiten gemacht hatte, auf dem Platz — nicht in der Stube — bemerkt, war herangetreten, und der Arbeiter hatte ihn, wie man so sagt, glatt geschnitten. Da fragte der Werks⸗ direktor den Arbeiter, warum er nicht grüße, und erhielt nun die Antwort: Sie haben mich zuerst zu grüßen. So lautete, wenigstens dem Sinn nach, die Antwort. Das halte ich für eine Disziplinwidrig⸗ keit (sehr richtig!); denn auch bei Staatsbergwerken ist der Werks⸗ direktor, solange der Arbeiter auf dem Werk arbeitet, der Vorgesetzte. (Sehr richtig!) Daraufhin hat der Arbeiter eine Ordnungsstrafe von 2,50 ℳ bekommen. Daß sich nun nach der Antwort der Werks⸗ direktor zu einer ganz unpassenden Bemerkung hat hinreißen lassen, ist gemißbilligt worden und mußte gemißbilligt werden.
Nun sagte der Herr Abg. Leinert, in dem Bescheide, der da erteilt worden wäre, wäre der Arbeiter, um den es sich handelt, als nicht in gutem Ruf stehend bezeichnet worden; das sei eine Verdächtigung. Ich glaube, er hätte besser getan, hier diesen Ausdruck „Ver⸗ dächtigung“ zu vermeiden. Der Arbeiter, um den es sich hier handelt, ist schon wiederholt wegen Mißhandlungen — einmal wegen Mißhandlung mit einem Messer — bestraft worden, hat sich wiederholt als widersetzlich erwiesen und ist, um es kurz zu sagen, eine etwas gewalttätige und aufsässige Natur. (Hört, hört! rechts.) Man kann der Meinung sein, daß der Werksdirektor über das Nichtgrüßen hätte hinwegsehen können; aber es ist erklärlich, daß er, wenn er das bei einem solchen Arbeiter bemerkt, darin eine be⸗ wußte Provokation sieht und ihn zur Rede stellt. (Sehr richtig!)
Das ist der ganze Fall, aus dem gestern so schwere Vorwürfe hergeleitet worden sind.
Endlich möchte ich noch wenige Worte zu dem Antrag der Abgg. Borgmann und Genossen sagen, den der Herr Abg. Leinert gestern vertreten hat. Es werden da statistische Nachrichten von der Regierung verlangt, und zwar sollen für jedes Staatswerk gesondert vollständige und vergleichende Angaben über Alter, Löhne, Beschäftigungsdauer, Arbeitszeit und Ferien der beschäftigten Arbeiter vorgelegt werden; dann aber soll wieder für jedes Staatswerk gesondert — und darauf liegt der Nachdruck — soweit wie möglich vergleichend berichtet werden über den Anteil des Arbeitslohnes an den Selbstkosten der Produkte, die Leistungen der Arbeiter, die gesetzlichen und statutarischen Arbeiter⸗ und Pensionsversicherungen, Arbeiterschutzbestimmungen, Zugang und Abgang der Arbeiter.
Ja, meine Herren, wenn Sie das haben wollen, dann kann ich zunächst mal eine ganze Anzahl von Bergassessoren mehr anstellen, — und dabei wird geklagt, daß wir zu viel höhere Beamte haben und zu viel Schreibwerk, und wir sollen einen kaufmännischen Betrieb einführen! Nun, für sehr kaufmännisch kann ich das nicht halten. Ja, wenn der Erfolg der Nachweisungen wenigstens im Verhältnis zu dem der Arbeit stände! Aber was wird denn damit bezweckt? Die Lage der Durchschnittslöhne, die im allgemeinen ein Bild geben, erhalten Sie. Nun soll aber für jedes einzelne der 65 Staats⸗ werke die Nachweisung besonders gemacht werden. Der Effekt wird sein, daß die Leute oder ihre Vertreter, die ihre Interessen wahrnehmen, sich hinsetzen und nun die Arbeiterklassen auf den ein⸗ zelnen Bergwerken vergleichen, ob nicht der eine einen Pfennig mehr bekommt als der andere (Zuruf des Abg. Leinert), und das wird natürlich zum Gegenstand einer eingehenden Landtags⸗ oder Reichs⸗ tagsrede gemacht. Ich glaube wirklich, im sachlichen Interesse liegt das nicht, und deshalb bitte ich das Hohe Haus, durch Ablehnung dieses Antrages die Königliche Staatsregierung mit dieser Aufgabe zu verschonen. (Bravo!)
Abg. Korfanty (Pole): Der Ertrag der bevia Se Bergwerke
ist in der Tat in den letzten Jahren zurückgegangen. Die Annahme, daß die Arbeitsleistung der Arbeiter zurückgegangen sei, ist durchaus unzutreffend; man muß doch berücksichtigen, wie die Schwierigkeite der Kohlenförderung gewachsen sind. Die Berggesetznovelle vom vorigen Jahre schreibt vor, dgß die Sicherheitsmänner nicht entlasser werden können; ich bitte den Minister, eine allgemeine Anordnung zu erlassen, d— solche willkürlichen Entlassungen vermieden werden, und daß die geheime Wahl der Sicherheitsmänner nicht dadurch beein⸗ trächtigt wird, daß die Grubenverwaltungen selbst die Stimmzettel liefern. Erkrankungen von Bergarbeitern sind dadurch vorgekommen daß sie schlechtes Trinkwasser trinken mußten. (Der Redner bringt noch verschiedene Fälle von schlechter Behandlung der Bergarbeiter vor, die im einzelnen nicht verständlich werden.) 8 muß auf die gestiegene Krankenziffer hinweisen, über deren Ursachen dem
eine Statistik vorgelegt werden muß; denn eine große Zah Krankheiten sind durch die Zunahme der Ünfälle veranlaßt. Bergherren klagen fortwährend über die Belastung durch die Vor⸗ schriften über Unfallverhütung usw. Solche Klagen müssen auf das richtige Maß zurückgeführt werden. Jede Erweiterung der sozialen Gesetzgebung ruft ja derartigen Widerstand seitens des Unter⸗ nehmertums hervor. Den deutschen Knappschaftsärzten ist der Vorwurf gemacht worden, daß sie mit unlauteren Mitteln ihre olnischen Kollegen aus dem Felde zu schlagen versuchten, indem 8 ihnen agitatorische Tätigkeit vorwerfen. Das ist unwürdig des Standes, u
Die desnsgegeae.ens gegen die polnis Arbeiter muß beseitigt werden.
während des ganzen Jahres 1 Die uns pergelegte Lohnstatistik gibt ein 18 Bild. oberschlesischen Bergarbeitern kann ich versi em noch nie eine so traurige Zeit wie jetzt durchgemacht haben. Much die oberschlesische Montan⸗ und Eisenindustrie leidet unter der un⸗ sinnigen Polenpolitik.é Denn durch die Verhetzung zwischen Deutschen
en und ausländischen Sie müssen das Recht haben, in Deutschland anwesend zu sein. Von den ern, daß sie seit lang
unwürdig gebildeter und ger anbe Menschen.
Die