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In der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Berichte von deutschen Fruchtmärkten für den Monat
Februar 1910 veröffentlicht.
Kiel, 5. März. Seine Königliche Hoheit der Prinz Heinrich ist, „W. T. B.“ zufolge, von seinem Besuch am englischen Königshofe gestern abend hier wieder eingetroffen.
Oesterreich⸗Ungarn.
Das österreichische Abgeordnetenhaus beendete gestern die erste Lesung des Budgets und überwies den Staatsvoranschlag dem Budgetausschusse. Das Haus ver⸗ handelte dann über den Dringlichkeitsantrag, betreffend die vom ” Reiche beabsichtigte Einführung von Schiff⸗ fahrtsabgaben auf der Elbe.
Zur Begründung des Antrags führte der Abg. Smroek nach dem Bericht des „W. T. B.“ aus, daß Oesterreichs alter Feind sich bereit ihm den Zutritt zum Meere und dadurch auch zum englischen Markte zu verwehren. Durch den unkündbaren Vertrag von 1870 sei der österreichisch⸗ungarischen Monarchie der Zutritt zum Meere gesichert worden. Preußen habe Oesterreich als Sekundanten immer brauchen können, wirtschaftlich sei aber “ bezw. Deutschland mit Oesterreich immer in ge⸗ pannten und sogar in Kriegsverhältnissen gewesen. Deutsch⸗ land habe die österreichischen Erzeugnisse fast ganz aus dem eigenen Lande verdrängt und durch geschickte Schachzüge Oesterreich mit Rußland und den Balkanvölkern verfeindet. Aus der Türkei, aus Kleinasien, Aegypten, aus der Levante sei es verdrängt, und ebenso gehe es im fernen Osten. Nun hole Deutschland zu einem der schwersten Schläge gegen das wirtschaftliche Leben Oesterreichs aus, indem es den bisher ganz freien Weg zur Nord⸗ und Ostsee sperren oder doch erschweren und verteuern wolle. Der Redner will dem Handelsminister glauben, daß er einer Preis⸗ gabe der freien Schiffahrt auf der Elbe seine Zustimmung nie erteilen werde, und hofft, daß Oesterreich die für seine ökonomischen Interessen so hochwichtige Frage so beantworten werde, wie es seine Völker ver⸗ langten, daß es seine völkerrechtliche Würde zu wahren wisse und daß Oesterreichs Volkswirtschaft nicht Preußen auf Gnade oder Ungnade
sgeliefert werde. Er beantragte schließlich folgende Resolution:
Die Regierung wird aufgefordert, mit allem Nachdruck dahin zu wirken, daß unter keiner Bedingung die Auflassung der freien, durch internationale Verträge garantierten Elbschiffahrt zugelassen und unter keinem Vorwande der Erhebung von Abgaben auf der
Elbe, deren Einführung Deutschland zum Schaden des Handels,
der Industrie und der Landwirtschaft Oesterreichs plant, zu⸗
gestimmt werde.
Darauf ergriff der Handelsminister Weiskirchner das Wort und gab zunächst eine historisch⸗pragmatische Darstellung der ganzen
rage. Der Minister verwies auf die große wirtschaftliche Bedeutung
der freien Elbschiffahrt für Oesterreich und namentlich für Böhmen, und hob hervor, daß der freie Elbeweg von Oesterreich in jahrzehnte⸗ langen Verhandlungen mühselig errungen und bisher gegenüber allen Aenderungsversuchen standhaft an ihm festgehalten worden sei. Es handele sich dabei um eine wirtschaftliche und ver⸗ kehrspolitische Angelegenheit allerersten Ranges. Die Zukunft des bedeutungsvollsten Industriegebietes in Nordböhmen komme ins Spiel. Identische Interessen wie die Industrie habe auch die Landwirtschaft an der Freiheit des Elbeweges. Auch ihr diene der Strom als billige Zufahrtsstraße und Sew; ihr andererseits eine Erleichterung des Absatzes ihrer Erzeugnisse. Die Regierung habe jede Phase der im Deutschen Reiche um die Schiffahrtsabgaben ge⸗ führten Kämpfe verfolgt und keinen Anlaß vorübergehen chen um — soweit überhaupt möglich — über die rein sachliche Gegnerschaft Oesterreichs keinen Zweifel auffkommen zu lassen. Er möchte nur in Parenthese bemerken, daß es sich hier um keine politische, sondern um eine rein wirtschaftliche Angelegenheit handele. Der Minister verwies auf seine Interpellationsbeantwortung im Vorjahre sowie auf die vom Statthalter von Niederösterreich in dieser Frage abgegebene Erklärung und fuhr dann fort: „Ich muß mit aller Entschiedenheit erklären, daß die deutsche Regierung in dieser Frage überhaupt noch nicht an Oesterreich herangetreten ist. Es haben daher weder öffent⸗ liche noch geheime Vorverhandlungen stattgefunden. Ich weiß auch gar nichts von beabsichtigten Vorverhandlungen, bezüglich deren einige Blätter schon Duüͤsseldorf als Zusammenkunftsort bezeichnet haben. Ich kann natürlich keinen Vertragskontrahenten hindern, daß er intern erwäge, ob eine Aenderung des Vertrages ihm zweckmäßig erscheine, aber aus der Tatsache, daß Preußen bei den anderen Bundesstaaten eine Abänderung der Reichsverfassung zu erreichen sucht, schließen zu wollen, daß geheime Abmachungen bestehen, und daß Preußen das nicht tun würde, wenn nicht schon Holland oder Oesterreich im geheimen ja gesagt hätten — gegen einen solchen Ver⸗ such muß ich mich auf das entschiedenste verwahren. Die öster⸗ reichische Regierung hat in dieser Angelegenheit stets offen und ehrlich ihre Meinung bekannt, nicht nur in diesem Hause, sondern auch in der breiten Oeffentlichkeit. Ich möchte aber auch noch auf eine andere Seite dieses Gegenstandes zu sprechen kommen. In einer so eminent wirtschaftlichen An⸗ gelegenheit gibt es auch keine Kompensationen auf politischem Ge⸗ biet, und ich muß daher die Gerüchte, als ob Balkankompensationen im Spiele seien, auf das entschiedenste dementieren. Dagegen halte ich mich für verpflichtet, zu erklären, daß ich nicht den geringsten An⸗ haltspunkt habe, um an der Loyalität der deutschen Regierung in der Handhabung der Verträge zu zweifeln. Ich muß aber mit aller Ent⸗ schiedenheit erklären und jeden Zweifel darüber beseitigen, daß die österreichische Regierung zu irgendwelchen Zugeständnissen, die die volle Freiheit unserer Elbschiffahrt berühren, nicht zu haben sein wird. Ich bitte daher, meine Herren, — und ich glaube, in dieser Beziehung kann ich wohl auf die Ein⸗ mütigkeit des ganzen Hauses rechnen — versichert zu sein, daß die Regierung in vollem Bewußtsein ihrer Verantwortlich⸗ keit sowie der Größe und Wichtigkeit der hier auf dem Spiele stehenden Interessen den von mir gekennzeichneten Standpunkt mit unerschütterlicher Festigkeit wahren wird. Per Minister des Aeußern war auch während seines Aufenthalts in Berlin gelegentlich des freundschaftlichen Gedankenaustausches mit dem deutschen Reichskanzler in der Lage, auch die Frage der Schiffahrtsabgaben zu besprechen und die Auffassung der österreichischen a zu ver⸗ treten. — Der Abg. Schrammel (Soz.) führte aus, er und seine Partei würden für die Dringlichkeit des Antrages stimmen; die von der preußischen Regierung geplanten Abgaben würden das arbeitende Volk nicht nur Deutschlands, sondern auch Oesterreichs schwer treffen. — Der Abg. Dr. Ritter von Wittek (christlich⸗ sozial) wandte sich gegen die in der Begründung der Dringlichkeit vorgebrachte Behauptung, daß sich Preußen bei der geplanten Ein⸗ führung der Schiffahrtsabgaben von einem animus nocendi gegen⸗ über Oesterreich habe leiten lassen. Für Preußen sei in dieser Flage die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Verkehrs⸗ Fölüft Deutschlands, maßgebend. Hierauf wurde die Debatte ge⸗ ossen. .
Der Generalredner Reitzner erklärte, 888 durch die Schiffahrts⸗ abgaben Deutschland den Konsum und den Erxport Oesterreichs zu seinen Gunsten belasten könnte. Die ganzen Sudetenländer, ja selbst Galizien würden in bö1“ gezogen werden. Der Abg. Dr. Urban (deutschfortschrittlich) bemerkte, daß das Recht Preußens bezw. Deutschlands, auf jenen Flüssen und Strömen, die keinen inter⸗ nationalen Charakker haben, Abgaben einzuführen, außer Zweifel stehe,
da es eine rein interne Angelegenheit Deutschlands sei, die Oesterreich gar nichts angehe, dessen Interessen hier nur bei der Elbe und Donau in Betracht kämen.
Hierauf wurde dem Antrag einstimmig die Dringlichkeit zuerkannt, und darauf der Antrag selbst angenommen.
— In der gestrigen Sitzung des Verfassungsaus⸗ schusses brachte der Abg. Dr. Heilinger die Frage des Ruhegehalts für minder bemittelte Abgeordnete zur Sprache, die lange Zeit als Abgeordnete im Dienste der Oeffentlichkeit gestanden hätten. Es sei notwendig, daß für Abgeordnete, die eine bestimmte Zahl von Jahren dem Hause “ und unbemittelt seien, von Staats wegen ein Ruhe⸗ gehalt festgesetzt werde. 8 “
Großbritannien und Irland.
Das Unterhaus hat gestern die Vorschläge des Schatz⸗ amts über die Aufnahmen der erforderlichen Mittel und über die Rückzahlung der Kriegsanleihe in dritter Lesung an⸗ genommen.
Im Laufe der Debatte machten die Redner der Opposition laut Meldung des „W. T. B.“ der Regierung den Vorwurf, daß sie die gegenwärtige finanzielle Verwirrung noch vermehre. Der Premier⸗ minister Asquith sagte in einer energischen Verteidigungsrede, es sei unmöglich, die Lage zu mildern, die durch die Haltung der Lords geschaffen worden sei, die auch allein die Verantwortung trügen. Die Sitzungen des Hauses müßten bis zum Ende des Finanz⸗ jahres zur Fertigstellung der verschiedenen Etats verwendet werden, die für die Weiterführung der Verwaltung notwendig seien. In Erwiderung des Vorschlags der Opposition, daß die Regierung die Einziehung der Einkommensteuer für das Jahr 1909/1910 abgesondert ür sich legalisieren solle, erklärte Asquith, die Regierung weigere ich, das gebräuchliche Verfahren abzuändern; das Budget müsse als ein Ganzes zur Vorlage gelangen. “
Frankreich.
Nach einer Meldung der „Agence Havas“ sichert das Budget, so wie es von der Kammer genehmigt ist, eine Er⸗ gänzung der Jahreseinnahmen um 159 Millionen, die sich zu⸗ sammensetzen aus 146 Millionen aus den neuen Steuern und aus 13 Millionen aus dem neuen Zolltarif. Das Finanzjahr 1910 wird aus der Anwendung der neuen Maßnahmen nur einen Vorteil von 75 Millionen ziehen. Die Mehreinnahmen von 159 Millionen, zu denen noch der Teil der Mehreinnahmen von 1909 hinzutritt, den man für das Budget von 1911 verwenden kann, werden das Gleichgewicht dieses Budgets erleichtern und die normale Aus⸗ führung des Gesetzes, betreffend die Altersversorgung der Industrie⸗ und Landarbeiter, sichern. Eine erste wichtige Etappe zu dem vollständigen Gleichgewicht findet sich so schon in dem Budget von 1910 vorbereitet, und man wird einer geringeren Anstrengung als der bisherigen bedürfen, um der finanziellen und wirtschaftlichen Lage des Landes vollständig zu genügen.
Italien.
Der Kronprinz von Griechenland ist, „W. T. B.“ zufolge, gestern in Rom eingetroffen.
In der Deputiertenkammer stand gestern eine An⸗ frage des republikanischen Deputierten Eugen Chiesa, be⸗ treffend die Zusammenkünfte einer ausländischen Dame mit dem General Fesia es handelt sich um Zusammenkünfte mit dem General in Mailand nach den großen Manövern im Jahre 1909 auf der Tagesordnung.
Nach dem Bericht des „W. T. B.“ erklärte der Unterstaats⸗ sekretär im Kriegsministerium Prudente, der Kriegsminister halte es nicht für opportun, diese Frage zu beantworten. Als Chiesa hiergegen lauten Widerspruch erhob und trotz eines Ordnungsrufes seitens des Präsidenten sich nicht beruhigen wollte, hob dieser die Sitzung auf. Nach Wiederaufnahme der Sitzung wies der Unterstaats⸗ sekretär Prudente die Aeußerungen Chiesas in scharfer Weise zurück und erklärte, daß er auch eine von dem Abg. Leali in der gleichen Angelegenheit gestellte Anfrage nicht beantworten werde, worauf Leali erwiderte, daß er dann eine Interpellation einbringen werde. Später kam es in den Wandelgängen in derselben Sache zu einem persönlichen Renkontre zwischen den Ab “ 8
bg. Chiesa und Morando. 1
Spanien.
Der gestern unter dem Vorsitz des Königs Alfons ab⸗ gehaltene Ministerrat beschäftigte sich, wie das „W. T. B.“ meldet, mit den Wahlen, die vom 1. bis 15. Mai stattfinden sollen. Das Dekret, das die gegenwärtigen Cortes auflöst und den Wahltermin bekannt gibt, wird demnächst veröffentlicht werden. Der Ministerpräsident Canalejas erklärte, die Re⸗ gierung werde sich nicht in die Parteikämpfe einmischen, sie habe das Vertrauen, daß das Land eine regierungsfreundliche Mehrheit in die Kammer entsenden werde. 8
Belgien. In der Deputiertenkammer fand gestern die Be⸗ sprechung der Interpellationen über die Coburger Gründung des Königs Leopold und die aufgefundenen Congowerte statt.
Wie das „W. T. B.“ meldet, gac der Ministerpräsident Schollaert die Erklärung ab, daß alle Aktiva der Krondomäne der Regierung zufallen müßten, wobei er jedoch im Zweifel ließ, ob alle Güter des Königs auch dieser zugezählt werden könnten. — Nachdem der Justizminister de Lantsheere auf eine Anfrage erklärt hatte, daß seiner Meinung nach die Congowerte für Reformen in der Kolonie verwendet werden müßten, wurde eine Tagesordnung Woeste angenommen, die die Erklärung der Minister zur Kenntnis nimmt; eine von den Sozialdemokraten eingebrachte Tagesordnung
mit einem Tadelsvotum für die Regierung wurde mit 70 gegen
64 Stimmen abgelehnt. Montenegro. Nach einer Meldung des „W. T. B.“ hat das öster⸗ reichisch⸗ungarische Geschwader gestern die Reede von Antivari wieder verlassen.
Amerika. Bei der Präsidentenwahl in Brasilien sind, wie das „W. T. B.“ meldet, für Hermes da Fonseca 270 637 und für Ruy Barbosa 131 399 Stimmen abgegeben worden.
Asien.
Die persische Regierung hat, wie die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ meldet, entgegen ihrem früheren Stand⸗ punkt anerkannt, daß der Russe Lianosoff berechtigt ist, die Fischerei auf dem Flusse Tschumuschal an Nussen in Unterpacht abzutreten.
8 Die von der indischen Regierung vorgeschlagene Erhöhung der Einfuhrzölle auf Silber, Petroleum und Bier 9, „W. T. B.“ zufolge, von dem Gesetzgebenden Rat genehmigt worben. v ““
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Afrika. Wie die „Agenzia Stefani“ aus Addis Abeba meldet, ist der Sohn von Ras Makonnen Degiac Dafari zum Ober⸗ haupt der Provinz Harrar ernannt worden.
Parlamentarische Nachrichten.
Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
— Der heutigen (49.) Sitzung des Reichstags, welcher der Staatssekretär des Innern Delbrück und der Staats⸗ sekretär des Reichsmarineamts, Admiral von Tirpitz bei⸗ wohnten, wurde die S ezialberatung des Extraordinariums des Etats für das Reichsamt des Innern fortgesetzt.
Der Etat wirft 40 000 ℳ als „Beitrag zu den Unter⸗ haltungskosten der Anstalt in Charlottenburg für die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reiche“ aus.
Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) befürwortet die Erhöhung der Reichszuwendung für dieses Säuglingsheim, dessen Bedeutung nicht unterschätzt und dessen Existenz überhaupt nicht der Privatwohltätig⸗ keit überlassen werden dürfe, vielmehr an Reichs⸗ oder Staatseinrich⸗ tungen anzulehnen sei.
Abg. Zietsch (Soz.): Ich halte auch meinerseits dafür, daß 40 000 ℳ als Reichsbeitrag ungenügend sind. Deutschland marschiert im Punkte der Säuglingssterblichkeit leider an erster Stelle. Wenn überhaupt noch eine Bevölkerungszunahme eintritt, so ist sie nicht der Zunahme der Geburten, sondern einer allmählich fortschreitenden Verminderung der Sterblichkeitsziffer zu verdanken. Preußen tut zur Verringerung der Säughingessterblichkeit sehr wenig; mehr tun schon einige Gemeinden, unter denen Charlottenburg hervorsticht, aber man darf die Kommunen bei der Lösung sozialer Probleme nicht allein lassen. Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit erfordert. auch nicht nur praktische Maßnahmen, sondern auch die Errichtung einer Zentralstelle, die der gesamten Säuglingsfürsorgetätigkeit zugute kommen kann. Da hat das Kaiserin Auguste⸗Victoria⸗ Saͤuglingsheim, eine Musteranstalt, Bahn zu brechen versucht; aber gerade das ist das Bedauerliche, daß das Deutsche Reich eine solche Aufgabe der privaten Tätigkeit überläßt. Die Anstalt kann ihren Etat nur mit Mühe und Not balancieren. Die Anstalt sollte direkt in die Reichsverwaltung übernommen und dem Gesundheitsamt angegliedert werden. Hand in Hand mit diesen Bestrebungen müssen Erweiterungen der Kinderschutzgesetzgebung, muß das Eintreten des Reichs mit praktischen Maßnahmen im Sinne der auf Mutterschutz und Schwangerschaftsschutz gerichteten Bestrebungen gehen. Die Frage nach der Ernährungsweise der Säuglinge muß als Nebenfrage bei der nächsten Volkszählung in die Fragebogen auf⸗ genommen werden, bis jetzt ist das wegen des höchst kurzsichtigen Widerstands der preußischen Regierung nicht gelungen. 1
Abg. Frhr von Richthofen (dkons.): Durch die Begründung der Anstalt ist eine soziale Tat getan worden, das hat auch die Budget⸗ kommission anerkannt. Auch wir ersuchen die Regierung, zu erwägen, ob der Beitrag des Reichs erhöht werden kann.
Abg. Bassermann (nl.): Ich schließe mich den Anregungen der Vorredner an. Mit den 40 000 ℳ ist nicht auszukommen. Der hohe kulturelle Wert der Säuglingsfürsorge wird allseitig anerkannt; es wird kaum noch eine größere deutsche Stadt ohne einen Verein sein, der sich dieser Fürsorge widmet und namentlich auch der Kindermilchfrage seine Aufmerksamkeit zuwendet. Im Gemeindewege wird für die Beschaffung guter Kindermilch bereits vielfach gesorgt; manche Gemeinden sorgen auch für die Beschaffung von Milch zum Frühstück für die Schulkinder. Die Statistik erweist, wie notwendig hier derartige Eingriffe sind. Ebenso fangen die Ge⸗ meinden an, sich mit der Zahnfrage der Kinder zu befassen. Alle⸗ diese Maßnahmen finden ihre letzte Ursache in der mangelnden Säuglingsfürsorge. In den Kreisen der Militärverwaltung wächst ja auch die Besorgnis über den Rückgang der Militärtauglichkeit. Alle diese Gegenstände weisen auf die Notwendigkeit einer Reichsanstalt für diesen Zweig der sozialen Fürsorge hin.
Abg. Dr. Doormann (fr. Volksp.): Auch wir werden alle hierauf gerichteten Bestrebungen gern unterstützen.
Abg. Graf von Oppersdorff (Zentr.): Bei uns findet die Anstalt ebenfalls volle Sympathie. Mit den 40 000 ℳ ist in der Tat nicht viel zu machen; in einem Etat, der für die Bekämpfung der Rinderpest 400 000 ℳ hingibt, ist dieser Betrag allzu bescheiden. Die Anstalt untersteht heute der Medizinalabteilung des preußischen Kultusministeriums; wird diese an das Ministerium des Innern über⸗ tragen, so wäre das für die Anstalt kein Gewinn. Es wäre vielleicht besser, sie an das Reichsgesundheitsamt oder an die Universität Berlin anzugliedern. Außerdem müßten, um die Volksgesundheit wirklich zu heben, wieder Findelhäuser zugelassen werden.
Hierauf ergriff der Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück das Wort, dessen Rede⸗ übermorgen im Wortlaut mitgeteilt werden wird.
— Auf der Tagesordnung für die heutige (34.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister des Innern von Moltke und der Minister für Handel und Gewerbe Sydow beiwohnten, standen zunächst die Beratung des Antrags der verstärkten Gemeindekommission auf Annahme einer Resolution, betreffend allgemeine Ein⸗ gemeindungsfragen, und die zweite Beratung der Ent⸗ würfe von Stadterweiterungsgesetzen für Essen, Cöln, Ratibor, Kiel, Flensburg, Harburg und Magdeburg.
Die Resolution der Kommission lautet:
„die Regierung zu ersuchen, a. in Zukunft bei Eingemeindungs⸗ gesetzen in die zu veröffentlichenden Eingemeindungsbedingungen nut solche Vorschriften aufnehmen zu lassen, durch die entweder einer Abänderung der geltenden Gesetze erfolgt oder öffentlich⸗rechtliche, erzwingbare Verpflichtungen für eine Gemeinde begründet werden, b. in allen Eingemeindungssachen von erheblicher Bedeutung eine Anhörung des Provinzial⸗ (Kommunal⸗) Landtags herbeizuführen, c. künftig darauf hinzuwirken, daß in die Eingemeindungsverträge Bestimmungen, die dauernde Sonderrechte schaffen, tunlichst nicht aufgenommen werden“.
Die einzelnen Gesetzentwürfe hat die Kommission unver⸗ ändert angenommen.
Berichterstatter Abg. Frank (Zentr.) weist zur Begründung der Resolution kurz auf den vorliegenden schriftlichen Kommissiond⸗ bericht hin.
Abg. Hausmann (nl.): Veranlaßt durch die große Zahl der Eingemeindungsgesetze in diesem Jahr, hat die Kommission eine ganze Reihe von Fragen, die bei den Eingemeindungen auftauchen, mit der Regierung einer Erörterung unterzogen und gewissermaßen Richtlinien für die Gestaltung der Eingemeindungsverträge aufgestellt. Auch die Frage der Zwangseingemeindung ist in der Kommission geklärt worden; unter Umständen soll zu einer Eingemeindung auch gegen den Willen der Stadtgemeinden geschritten werden. Die Abfindung der Kreise soll nicht unter allen Umständen erfolgen, sondern, wie es auch schen bei diesen Vorlagen gehandhabt worden ist, nur dann, wenn die Kreis⸗ tage es gefordert haben. Die Verhandlungen der Kommission haben zu einem Antrage geführt, der dem Hause nur zur Annahme empfohlen werden kann. Die Hauptsache ist ja, daß Eingemeindungen nur dolt vorgenommen werden, wo es das Hereinwoht dringend erfordert, und wir müssen in jedem einzelnen Fall prüfen, wie die Dinge liegen⸗
Abg. von Kardorff (freikons.; Auf die Frage der Zwec⸗ verbände will ich erst dann eingehen, wenn uns der Gesetzentwu
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ddes öffentlichen Interesses. Zu unserer Freude ist es uns auch ge⸗ lungen, in der Kommission nachzuweisen, daß in den hier vorgelegten
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üͤber die Bildung von Zweckverbänden vorgelegt wird. In der Kom⸗ ich gezeigt, daß die Regierung darüber einig ist, den mission hat sich gezeigt, daß gierung da inig ist, Wünschen der großen Städte nach Eingemeindung im weitesten Maße Erig genlcts mneh Wir haben aber das Gefühl, daß auf seiten der Regierung ein geradezu bedenkliches Maß von Entgegen⸗ kommen für die Wünsche der großen Städte vorhanden ist. Die einzig mögliche Richtschnur für die Frage, ob Eingemeindungen vorgenommen werden sollen oder nicht, kann nur das öffentliche Interesse im Sinne der Landgemeindeordnung sein. Die großen Städte sind oft nicht in der Lage, das öffentliche Interesse richtig abzuschätzen. Auf dem Standpunkt stehend, daß nur das öffentliche Interessé allein bei Eingemeindungen maßgebend sein soll, hat die Regie⸗ rung auch dem Gedanken zugestimmt, daß unter Umständen Eingemein⸗ dungen gegen den Wunsch der Beteiligten vorgenommen werden können. Es ist gut, daß dieser Gesichtspunkt mit so erfreulicher Deutlichkeit ausgesprochen ist. Die vorliegenden Anträge empfehle ich zur An⸗ nahme. Durch den Antrag soll verhindert werden, daß in die Ver⸗ träge Bestimmungen aufgenommen werden, die gesetzlich nicht durch⸗ eführt werden können, sondern nur moralische Verpflichtungen ent⸗ alten. Das sind oft Versprechungen, mit denen man nur die Nachbargemeinden ködern will. Jetzt wird ein klarer und bestimmter Rechtsboden geschaffen, sodaß die Gemeinden nach jeder Richtung hin wissen, woran sie sind und was sie fordern dürfen. Jetzt ist auch den Behörden ein klarer und be⸗ stimmter Rechtsboden für eventuelle Zwangseingemeindungen gegeben. Durch den Antrag b soll die Anhörung des Provinziallandtags herbeigeführt werden. Wir werden uns aber selbstverständlich eine sorgfältige Nachprüfung der Eingemeindungsvorlagen auch dann vor⸗ behalten, wenn ein zustimmendes Votum des Provinziallandtags vorliegt. Wir werden für alle diese Vorlagen stimmen, ausgenommen die Frankfurt a. M. betreffende; bezüglich der Vorlage für Flensburg werden wir Zurückverweisung an die Kommission beantragen. Wir beweisen damit, daß wir volles Verständnis für die Interessen der großen Städte und ihre Lebensfragen haben und bereit sind, ihnen entgegenzukommen, wo es notwendig ist; aber wir verschließen uns nicht der bedenklichen Entwicklung, die sich hier klar vor Augen stellt, wir verschließen uns dem nicht, daß diese Aufsaugung der einzelnen Landgemeinden durch die großen Städte eine bedenkliche und bedauerliche Entwicklung ist. Die eigent⸗ liche Grundlage für unsere Volksgesundheit liegt nicht in den großen Städten, sondern auf dem Lande; das wollen und können wir nicht vergessen, das darf auch die Regierung nicht vergessen.
Abg. Dr. Flesch (fr. Volksp.): Wir werden diesen Vorlagen zu⸗ stimmen und sind auch im wesentlichen mit der Resolution einver⸗ standen. Im ersten Teile der Resolution müßte eigentlich das Wort „tunlichst“ eingefügt werden, ich will aber einen solchen Antrag nicht stellen. Man kann das allerdings der Regierung überlassen; aber schließlich ist auch die Regierung nicht unfehlbar. Es kann zweifel⸗ haft sein, ob eine Eingemeindungsbedingung privatrechtlichen oder öffentlich⸗rechtlichen Charakter hat. Wenn nun der öffentlich⸗ rechtliche Charakter angenommen wird, so könnte eine solche Be⸗ dingung nur durch Gesetz, wieder geändert werden, sie müßte also wieder den Landtag beschäftigen, und daraus können sich bedeutende Schwierigkeiten in der Praxis ergeben. Das v9G der Re⸗ gierung reicht vollständig aus, um die richtigen Bedingungen festzu⸗ setzen, und die Stellungnahme des Abgeordnetenhauses sollte in erster Linie nur die sein, daß es feststellt, ob etwa wesentliche Gründe gegen eine Eingemeindung vorliegen, die von der Regierung empfohlen und von den Beteiligten gewollt ist. Der Eingemeindungsvertrag hat nur deklaratorische aber er beweist wenigstens, daß diejenigen, die es angeht, ihre Interessen so verstehen, daß sie die Eingemeindung wünschen. Daß Landgemeinden geködert werden könnten, ohne daß die lokalen Aaffchtsbehörden etwas davon wissen, glaube ich nicht. Die Vertragsform ist für die Eingemeindung jedenfalls richtig, denn die Nächstbeteiligten können die Verhältnisse immer besser übersehen als die Regierung. Es ist gesagt worden, die Landgemeinden dürften nicht verschwinden und die Städte nicht zu groß werden. Das erinnert an das Wort der Eltern: es war doch schöner, als die Kinder klein waren. Wenn die vorhandenen Gemeinden nicht mehr genügen zur Erfüllung der öffentlich⸗rechtlichen Aufgaben, so sind die Ein⸗ gemeindungen notwendig. Die Kommunen wachsen eben, und wir müssen diesen Verhältnissen ins Auge blicken. Wir wollen auch nicht, daß die Landgemeinden verschwinden. Das Haus ist ja darin einig, daß die innere Kolonisation gefördert wird und daß die Moore kultiviert werden, und das bedeutet die Bildung neuer Landgemeinden. Andrerseits müssen wir dafür sorgen, den Städten den Raum, den sie für die wachsende Bevölkerung brauchen, nicht zu verengen. Die Resolution a wird in der Praxis Schwierigkeiten verursachen können, unter diesem Vorbehalt möchte ich jedoch die Resolution der Kom⸗ mission empfehlen.
Abg. Ecker⸗Winsen (nl.) befürwortet die Annahme eines von ihm zu Absatz b der Resolution gestellten Antrags, nach dem der Provinziallandtag nicht in allen Fällen soll gehört werden müssen. Die Fassung des Kommissionsantrages unter b gehe zu weit; es könne nicht anerkannt werden, daß eine Anhörung des Provinzial⸗ landtags unter allen Umständen notwendig oder auch wünschenswert sei.
Abg. von Brandenstein (kons.): Wir sind mit der Resolution, wie sie von der Kommission vorgeschlagen ist, durchaus einverstanden; auch mit den Erklärungen der Regierung sind wir im großen und ganzen zufrieden. Wir wünschen nur, daß diese Erklärungen hier im Hause wiederholt werden möchten. Die Aenderung gegen früher wird ja im wesentlichen darin bestehen, daß nur das, was an dem bestehenden Rechte geändert werden soll, in das Gesetz aufgenommen werden wird, alles andere aber in der Weise, z. B. durch einen Vertrag, festgelegt wird, daß die Regierung eine Garantie dafür nicht übernimmt, die sie auch nicht übernehmen kann. Daß die Bedingungen, unter welchen die Eingemeindung erfolgen soll, durch das Amtsblatt veröffentlicht werden sollen, ist nicht meine Ansicht gewesen; ich habe aus⸗ drücklich gesagt, es solle das Verfahren wieder eingeführt werden, das bis 1895 bestanden hat, und danach würden die Bedingungen in ein kurzes Gesetz mitaufgenommen werden. Den Antrag Ecker werden wir ablehnen. Wir haben dem praktischen Bedürfnis schon Rechnung getragen insofern, als wir anerkennen, daß Fälle vorkommen können, in denen es sich um sehr geringfügige Sachen handelt; wenn aber ganze Landkreise verschwinden oder Ort⸗ schaften mit vielen tausend Einwohnern eingemeindet werden sollen, so halten wir es unbedingt für notwendig, daß der Provinziallandtag gehört wird.
Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund: Für die liebenswürdige Anerkennung der Mitarbeit der Regierungskommissare in der Kommission bin ich den Herren Vorrednern aufrichtig dankbar. Die Freude wird mir nur durch die Auffassung des Abg. Kardorff etwas vergällt, daß die Re⸗ gierung den Städten zu weit entgegengekommen sei. Wir stehen durch⸗ aus auf dem Standpunkt, daß die Eingemeindung nicht lediglich im Interesse einer Partei erfolgen darf, die Eingemeindung ist eine Frage
Fällen wirklich ein öffentliches Interesse an der Eingemeindung vorliegt. In diesen Fällen haben nicht nur die Großstädte, sondern auch die Landgemeinden ein sehr erhebliches Interesse an der Eingemeindung. Auf die Restbürgermeistereien und Postämter wird natürlich Rücksicht genommen werden. Dem Wunsche des Abg. Brandenstein, daß die Regierung die in der Kommission gegebenen Erklärungen im Plenum wiederholen möchte, komme ich hiermit gern nach.
Abg. Fürbringer (nl.) spricht sein Bedauern darüber aus, daß der Abg. von Brandenstein den Verbesserungsantrag der National⸗ liberalen ablehnen wolle. Es sei seiner Partei unmöglich, für die Resolution im ganzen zu stimmen, wenn diese kleine Verbesserung nicht angenommen werde. “
Abg. Dr. Müller⸗Berlin (fr. Volksp.): In der Resolution kommt eine Tendenz gegen die Städte zum Ausdruck; der Provinzial⸗ landtag ist nicht immer obsektiv⸗ sondern steht vielfach auf einem einseitigen Standpunkt. Deshalb will mir Absatz b der Resolution nicht gefallen. Daß der Provinziallandtag bei „erheblicher Bedeutung“ der Ein⸗
meindung gefragt werden soll, ist eine kautschukartige Bestimmung,
und der Antrag der Nationalliberalen, ztunlichst einzuschalten, macht diesen Kautschuk noch dehnbarer. Wir sollten diese Be⸗ schränkung der Regierung ganz weglassen. Ich sage das nicht im ein⸗ seitigen Interesse der Städte, auch nicht aus Feindschaft gegen das Land; das Land liegt mir ebenso am Herzen, ich gehöre auch einer Landgemeinde an. Die Regierung wird schon selbst, wo es notwendig ist, den Provinziallandtag anhören; die Interessen des Landes wurden schon bisher von der Regierung genügend gewahrt. Für mich ist die Ein⸗ gemeindung eine Frage nicht der Landgemeinden, der Provinzen oder der großen Städte, sondern des öffentlichen Interesses.
Abg. von Kardorff (freikons.) erwidert auf die Bemerkung des Regierungskommissars bezüglich eines zu weitgehenden Entgegen⸗ kommens gegen die Städte, duß er, um Mißverständnissen vorzu⸗ beugen keinen Zweifel darüber lassen wolle, daß er seine Ausführungen im Auftrage seiner Freunde gemacht habe.
(Schluß des Blattes.)
Statistik und Volkswirtschaft.
Die Schöneberger städtische Sparkasse im Geschäfts⸗ jahre 1909.
Das Jahr 1909 zeigt eine außergewöhnlich günstige Entwicklung der Sparkasse, wie sie in gleichem 16 während ihres Bestehens noch nicht zu verzeichnen war. Die Einlagen erhöhten sich um 7 538 393 ℳ (im Jahre 1908 um 2 107 039 ℳ) und erreichten eine Höhe von 40 Millionen Mark. Es wurden 21 936 neue Bücher aus⸗ gegeben, sodaß der Fugang an Sparern 11 402 und deren Gesamtzahl 81 097 betrug. er Reingewinn der Kasse bezifferte sich auf 245 004 ℳ. — Interessant ist die Skala der Höhe der Einlagen: bis zu 60 ℳ hatten eingezahlt 34,74 %, über 60 bis 150 ℳ 14,24 %, über 150 bis 300 ℳ 11,96 %, über 300 bis 600 ℳ 13,46 %, über 600 bis 1500 ℳ 14,65 %, über 1500 3 bis 3000 ℳ 6,68 %, über 3000 bis 10 000 ℳ 4,03 %, über 10 000 ℳ 0,24 %. So ergibt sich als durchschnittliches Guthaben der Sparer die Summe von 604,90 ℳ gegen 595,70 ℳ im Vor⸗ jahre. — Der Bestand an Urkunden über Hypothekendarlehen beträgt 20 032 900 ℳ, an Inhaberpapieren 22 790 250 ℳ, an Darlehen an Gemeinden 6 753 600 ℳ; Darlehen an Privatpersonen unter Ver⸗ pfändung mündelsicherer Papiere wurden in einer Höhe von 40000 ℳ gewährt. Das Bankguthaben der Sparkasse fhlhce met 988 612 ℳ ab. — Einer Erweiterung bedarf dringend die Stahlkammer mit ihren vermietbaren Schrankfächern. Es sind 2632 Fächer zu 3 ℳ, 298 zu 8 ℳ, 24 zu 12 ℳ, 5 zu 18 ℳ, insgesamt 2959 Schrank⸗ fächer vermietet, sodaß nur noch 120 Fächer, d. h. der Bedarf für etwa 2 Monate, zur Verfügung stehen.
Die neugeschaffenen Einrichtungen zur Förderung der Spartätig⸗ keit haben sich vorzüglich bewährt. Die Heimsparbüchsen konnten 2188mal geleert werden und brachten eine Einnahme von 85 913 ℳ. In der Schulsparkasse der 8. Gemeindeschule wurden in einem Jahre 10 000 ℳ bei einer Beteiligung von 70 % der Schüler eingezahlt. An Sparbüchern für jedes in Schöneberg geborene Kind wurden 1727 im Laufe des Jahres ausgegeben und in dieser kurzen Zeit rund 11 000 ℳ zugezahlt, ein Beweis für die volkserzieherische Wirkung dieser Maß⸗ nahme! Einen überraschenden Erfolg hat die am 1. Oktober 1909 eingerichtete Abholung von wöchentlichen Spareinlagen von 50 ₰ bis 20 ℳ erzielt. Die Teilnehmerzahl belief 8 bis zum Schlup des Jahres auf 1789 mit 3237 ℳ Wocheneinlagen, vermehrte sich bis Anfang Februar auf 2000 und ist in stetem Steigen begriffen.
Zur Arbeiterbewegung.
Aus Gronau in Westfalen wird der „Köln. Ztg.“ berichtet, daß bei der Baumwollspinnerei Eilermark, deren Arbeiter aus⸗ ständig sind, Vermittlungsversuche scheiterten. Mehrere Arbeiter⸗ sekretäre und ein Abgeordneter haben versucht, mit der Leitung der Spinnerei zu verhandeln. Diese hat das jedoch mit der Be⸗ merkung abgelehnt, daß sie nur mit ihren Arbeitern verhandeln werde, da die Vermittler den Betrieb überhaupt nicht kennen. Da die Arbeit bis gestern noch nicht wieder aufgenommen worden war, werden, falls nicht eine unvorhergesehene Aenderung eintritt, von Montag an sämtliche Textilbetriebe Gronaus vorläufig an zwei Tagen in der Woche ec Falls auch dann noch nicht die Wiederaufnahme der Arbeit erfolgt, werden in der übernächsten Woche die Betriebe an drei Tagen stillgesetzt und so von Woche zu Woche weiter einen Tag mehr. Bei der drohenden allgeme inen Aussperrung kommen über 12 000 Arbeiter und Arbeiterinnen in Betracht. 1 *
250 Steinmetzen der Sandsteinindustrie Bunzlau, Löwenberg und Plagwitz sind, wie der „Köln. Ztg.“ aus Görlitz gemeldet wird, in den Ausstand eingetreten, weil die geforderte Lohn⸗ erhöhung nicht bewilligt worden ist, nachdem der alte Tarif gekündigt worden war. Sämtliche Betriebe haben die Tätigkeit eingestellt.
Die Forderungen der Lokomotivführer und Heizer der französischen Staatsbahnen sind, „W. T. B.“ zufolge, er⸗ füllt worden. Der Konflikt ist damit beigelegt. (Vgl. Nr. 53 d. Bl.) — In Paris haben, wie dasselbe Bureau meldet, die Fahrstuhl⸗ arbeiter in einer gestern abend abgehaltenen Versammlung den allgemeinen Ausstand beschlossen, da ihnen von der Mehrzahl ihrer Arbeitgeber gewisse Forderungen nicht bewilligt wurden. An alle Einwohner der Stadt haben die Arbeiter die gerichtet, bis zur Beendigung des Streiks, wenn ihnen ihr Leben lieb sei, die Fahrstühle nicht zu benutzen.
In Halluin haben, wie „W. T. B.“ erfährt, die ausständigen Weber (vgl. Nr. 52 d. Bl.) gestern beschlossen, die Arbeit heute wieder aufzunehmen. Z
Zur Ausstandsbewegung auf der Insel Guadeloupe (vpgl. Nr. 54 d. Bl.) berichtet „W. T. B.“, daß der Streik in Basse Terre weiter um sich greift. In Capesterre sind zahlreiche Arbeiter in die Fabrik und in Häuser eingebrochen und haben Plünderungen verübt. Die Post ist unterwegs angehalten worden.
Laut Telegramm der „Köln. Ztg.“ aus New York haben neunzig v. H. der Arbeiter an der Baltimore and Ohio Railroad für eine Ablehnung der Lohnvorschläge der Gesellschaft gestimmt. Ein großer Streik wird befürchtet und ist wahrscheinlich.
Zu den Streikunruhen in Ptiseh, teilt „W. T. B.“ mit, daß der Ausschuß der Arbeiterunion bestätigt, daß um Mitternacht 75 000 syndizierte und viele nichtsyndizierte Arbeiter in den allgemeinen Ausstand eingetreten sind. Die Droschken⸗ kutscher verließen ihre Plätze vor den Konzerthallen, Hotels und Cafés. Polizei und Feuerwehr erhielten Weisung, auf ihren Posten zu bleiben. (Vgl. Nr. 54 d. Bl.)
(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten u. Dritten Beilage.)
Kunst und Wissenschaft.
In der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunst⸗ gewerbemuseums, Prinz Albrechtstraße 8, beginnt der Sommer⸗ unterricht am 14. April. Die Anmeldungen haben daselbst — Vorder⸗ haus I Treppe, Zimmer 68 — in der Zeit vom 14. bis 23. März von 9 bis 2 Uhr zu erfolgen. Hierbei sind von den Bewerbern Arbeiten vorzulegen, die ein Urteil über ihre Befähigung und über Art und Umfang der bisher genossenen Vorbildung gestatten. Die Aufnahmeprüfungen, von deren Ergebnis die zunächst probeweise Auf⸗ nahme abzängt finden vom 4. bis 9. April statt.
In den Vordersälen des Erdgeschosses des Kunstgewerbemuseums
findet eine Sonderausstellung von Altertümern statt, die in
den 8 1907 — 1909 von Dr. Walter Lehmann im Auftrage der Generalverwaltung der Königlichen Museen in Berlin und mit Unter⸗ W 6 v1“ vW1
stützung des Herzogs von Loubat in Paris auf einer Forschungs⸗ reise in Zentralamerika und Mexiko zusammengebracht wurden. Es gelangen nur ausgewählte Stücke zur Aufstellung: keramische Erzeugnisse der verschiedenen Kulturkreise, Gold⸗ und Nephritsachen, Steinskulpturen sowie einige ethnographische Gegenstände. Besonders die Funde aus Costa Rica sind wichtig, da sie Zusammenhänge einerseits mit den Kulturen des nördlich gelegenen Mexiko aufweisen, andererseits ebensolche mit den andinen Völkern und Kolumbiens. Die Ausstellung wird von heute ab mehrere
ochen geöffnet bleiben. Nähere Angaben sind dem „Führer“ zu entnehmen.
„Im Verein für deutsches Kunstgewerbe spricht am nächsten Mittwoch der Stadtbaumeister Bruno Jautschus aus Berlin über den Zusammenhang zwischen Architektur und Kunstgewerbe. Der Vortrag wird von Lichtbildern begleitet sein und Abends 8 ½ Uhr im großen Festsaale des Künstlerhauses statt⸗ nden.
Die Ausstellung von Werken französischer Kunst des 18. Jahrhunderts im Akademiegebäude wird morgen geschlossen. Der Eintrittspreis beträgt an diesem Tage 3 ℳ.
Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg hat seinen 56. Jahresbericht für das Jahr 1909 veröffentlicht. Ihm ist zu entnehmen, daß sich die Entwicklung der Finanzen des Museums im verflossenen Jahr wesentlich in den alten Bahnen be⸗ wegt hat. Bei den fortgesetzt steigenden Preisen für hervorragende Gegenstände der alten Kunst und des Kunstgewerbes, wie auch für die selteneren und kostbareren Denkmäler unserer alten Kultur, wird sich das Museum den ihm gestellten Aufgaben auf die Dauer aber nur gewachsen zeigen können, wenn auch sein Etat für An⸗ schafungen, künftig eine namhafte Erhöhung erfährt. Da das Museum für seine Neuerwerbungen einzig und allein auf frei⸗ willige Beiträge, auf die offene Hand seiner Freunde und Gönner angewiesen ist, ergeht nicht nur an seine Mitglieder, sondern auch an weitere Kreise die Bitte, das Museum tatkräftig zu unterstützen. Im vergangenen Jahre beliefen sich die Einnahmen auf laufende Rechnung auf 163 033 ℳ, die Ausgaben auf laufende Rechnung auf 141 996,28 ℳ. Der Verwaltungsreservefonds ergab 76 063,37 ℳ Einnahmen, denen 53 885,90 ℳ Ausgaben gegenüberstanden. Für die Sammlungen und den Ausbau des Museums wurden 177 356,04 ℳ Einnahmen und 139 470,53 ℳ Ausgaben verzeichnet. — Was die Neuerwerbungen anlangt, so war das große Ereignis des Berichtsjahres die Erwerbung der Münzen⸗ und Altertümersammlung des verstorbenen Kommerzienrats Kahlbaum in Berlin. Er hatte seine Sammlung dem Museum als Vermächtnis hinterlassen und ihm damit eine Stiftung vermacht, wie sie seit seiner Gründung dem Museum noch nicht zuteil geworden war. Der hervorragendste Teil der Stiftung, die Münzsammlung, besitzt allein einen Wert von etwa 90 000 ℳ; sie enthält ausschließlich mittelalterliche und neuzeitliche Gold⸗ und Silbermünzen der europäischen Völker, dazu eine Anzahl Medaillen, fast alle in vorzüglicher Erhaltung. Diese Sammlung wird, äußer⸗ lich mit dem Namen ihres Schöpfers gekennzeichnet, im Museum ge⸗ sondert aufgestellt bleiben. Die Kahlbaumsche Altertümersammlung enthält Waffen, Kupfer⸗ und Messinggeräte, vor allem aber zinnerne Trinkgeschirre, deren hervorragendste Stücke aus dem Besitz der ehe⸗
maligen Zünfte der Stadt Wismar stammen.
Land⸗ und Forstwirtschaft.
Die landwirtschaftlichen Sachverständigen bei den Kaiserlichen Konsularbehörden.
Als landwirtschaftliche Sachverständige bei den Kaiserlichen Konsularbehörden sind tätig:
in Kopenhagen: Dr. Frost,
in London: Dr. Skalweit,
in Paris: Dr. Hailer,
in St. Petersburg: Dr. Hollmann,
in Rom: Dr. Mueller, Geheimer Oberregierungsrat
in Chicago: Kaumann.
in Montreal: Dr. Hucho.
Getreidemarkt in Italien während des Monats Januar 1910.
Weichweizen: Während eines Teils des Monats hielt die feste Stimmung an, und die Aufwärtsbewegung der Preise machte weitere Fortschritte. Von den Käufern hatte sich ein großer Teil entschlossen, dieser Bewegung zu folgen, als die argentinischen Erporteure ihre eigenen Kontrakte zurückkauften und für Barusung 78 kg bei Januarverschiffung bis zu 22 ½ Fr. be⸗ zahlten. Da die russische Ware nicht im gleichen Maße im Preise gestiegen war, konnten die Eigner von Platakontrakten diese gegen 1 Fr. höher bewertete russische Ware eintauschen. Gegen Ende des Monats trat jedoch ein Umschwung ein. Die argentinischen Ver⸗ käufer wurden nachgiebiger, und auch die russischen Verkäufer zeigten sich Preiskonzessionen nicht abgeneigt, sodaß die Konsumenten wieder auf einen durchgreifenden Preisrückgang hoffen und ihre Käufe auf das allernotwendigste beschränken. Auf dem Genueser Markt scheinen in diesem Jahre die russischen Weichweizen die führende Rolle über⸗ nehmen zu wollen. Dies geht schon daraus hervor, daß vom 1. Januar 1910 bis zum 4. Februar von Argentinien nur 544 000 Quarters Weizen exportiert wurden gegen 1 955 000 Quarters in der gleichen Vor⸗ jahrperiode, während Rußland seit 1. August 1909 15 655 000 Quarters ausgeführt hat gegen 4 710 000 Quarters im gleichen Zeitraume des vergangenen Jahres. Es ist allerdings an⸗ zunehmen, daß die argentinische Ernte nicht in dem Maße geringer ist, als diejenige des letzten Jahres, wie es der Vergleich der ersten Abladungen vermuten ließe; es handelt sich mehr um eine Verspätung der Ernte, sodaß von nun an ungefähr gleich große Ab⸗ ladungen von Argentinien erwartet werden wie im letzten Jahre. Der Inlandweizen folgt dem Preisgange der ausländischen Ware. In der Preissteigerung, die bis zum 20./24. Januar anhielt, ist seitdem ein Stillstand eingetreten; seit einigen Tagen sind sogar kleinere Preis⸗ rückgänge zu verzeichnen. “ 8
Hartweizen folgte mit einem Abstande von ungefähr 1 Fr. den Preisschwankungen der Weichweizen.
Preiesc⸗ Für Fühahelieserung sind die Preise fest und derart, daß sie die italienischen Konsumenten nicht anlegen wollen. In naher Ware beschränkt sich das Geschäft auf den Verkauf der hier vor⸗ handenen Bestände. 1 .
Hafer: Der Markt ist noch immer unbelebt. 86
ie Preise stellten sich am 9. Februar 1910 für 100 kg eif Genua, wie folgt:
Ghirca⸗Ulka⸗Nicolajeff 22,25 — 22 ⅛ Fr., Ulka Novorossisk 22 ¾ Fr., südrussische Azimen 24 — 24 ½ Fr., Plataweizen 21 ⅛⅞ Fr., italienischer andweizen 30,15 — 30,25 Lire franko Mailand, Mehl Ia weiß 37 ¼ bis 37 ¾ Lire franko Genua, Novorossisk Hartweizen 21 ¾ Fr., elber Platamais 15 ¼ Fr., roter Mais R. T. 16 Fr., italienischer Mais 19— 20 Lire franko Mailand, russischer Hafer 14—13 ¾ Fr., Plata⸗ hafer 14 Fr., italienischer Hafer 20,75 — 21,25 Lire franko Mailand.
Die Getreidevorräte in Genua betrugen am: “
31. 12.09 31. 1.10
dz dz Weichweizen .. . . . 95 000 30 500 Hartweizen . . . —. 70 000 8 000 Mäatnhn18“ . .255 000 184 000 Hasek . . . . .. .. .... 111ppp“ 2 500.
Nach Savona wurden im Januar 1910 37,55 t Hafer ein⸗
geführt, wovon nichts auf Lager blieb.