Vorschriften an sich sind also gut; allerdings müssen sie auch ausgeführt werden. Es wird überall vorkommen, daß Vorschriften hier und da übertreten werden, aber die Aufsichtsbeamten geben überall da, wo Mißstände vorkommen, sie bekannt und ver⸗ anlassen das Nötige, um sie zu beseitigen. Die Bleimerkblätter werden unentgeltlich abgegeben. Der Abg. Lehmann hat beklagt, daß Deutsch⸗ land in bezug auf das Bleiweißverbot hinter anderen Ländern zurück⸗ stehe. Man hat sic noch nicht überzeugen können, daß das Bleiweiß durch Zinkweiß ersetzt werden kann. Die holländische Regierung hat 1903 eine Kommission eingesetzt, um zu prüfen, ob das Bleiwei nicht durch Zinkweiß ersetzt werden kann. Die Kommission hat si überzeugt, daß bei Holz, Blei usw. das Bleiweiß unver leichlich besser ist als remeh Bei durchgreifender Befolgung der “ Verordnungen kann die Gefahr der Bleivergiftung erheblich vermindert werden. Andere Staaten haben den Bleiweißanstrich nur im Innern der Gebäude verboten. Frankreich hat allerdings ein absolutes Verbot erlassen, besitzt aber nicht eine so große Bleiweißerzeugung wie wir. Wir müssen auch hier auf die zahlreichen Arbeiter Rücksicht nehmen, ie bei der Bleiweißgewinnung beschaͤftigt werden. kann den Abg. Lehmann nur bitten, einzelne Vergiftungsfälle der Verwaltun zur Kenntnis und Remedur mitzuteilen. Der Abg. Kobelt hat sich estern mit der Frage der Konservierung der Nahrungsmittel be⸗ schäftigt. Ich finde es begreiflich, daß die Händler mit der Kontrolle nicht zufrieden sind. Für uns kommt aber das Interesse der Konsumenten in erster Line in Frage. Das Kaiserliche Gesundheits⸗ amt muß auch diejenigen Konservierungsmittel verbieten, die betrügerische Manipulationen befördern und der Unsauberkeit und Zersetzung der Nahrungsmittel Vorschub leisten. Es gibt eine Reihe von Nahrungsmitteln, bei denen Konservierungsmittel absolut entbehrlich sind, die Milch bedarf z. B. solcher Mittel nicht. Dampf und Hitze genügen vollständig zur Konservierung von Fleisch, wie ich mich noch neulich in einer staatlichen Anstalt überzeugen konnte. Gemüsekonserven werden Konservierungs⸗ mittel bisher überhaupt nicht zugesetzt, die Borsäure hilft da auch gar nichts. Der Ausbau der Nahrungsmittelkontrolle ist ebenso not⸗ wendig wie für Weine. Ich kann es nur begrüßen, wenn möglichst viel staatliche und Gemeindeuntersuchungsanstalten eingeführt werden. Milch, Butter und Brot müssen auf ihre Unschädlichkeit hin geprüft werden. Einem solchen Bestreben sollten sich die Händler nicht widersetzen. Gut bekömmliche Ware findet auch an erster Stelle
bsatz.
log. Leonhart (fr. Volksp.): Die Abgg. von Treuenfels u. Gen. haben eine Resolution beantragt, die einen Gesetzentwurf verlangt, der den Mißbrauch narkotischer Arzneimittel wirksam verhindern soll, da diese Arzneimittel durch den Großhandel in die Hände unbefugter Personen gelangen und dem Morphinismus usw. zu einer höchst verderblichen Verbreitung verholfen haben. Ich kann diese Resolution nur begrüßen. Der Kampf gegen die Tuberkulose hat schon Erfolge zu verzeichnen und das gerade auch durch die Beteiligun des Reiches an diesem Kampf. Ebenso ist der Kampf gegen die eschlechtskrankheiten von allen Seiten aufgenommen worden. Man hat sich mehr und mehr davon überzeugt, daß von der Reglementierung der Prostitution allein das Heil nicht zu erwarten ist Die Tuberkulose wird durch den Alkoholismus direkt und indirekt gefördert; daher ist auch die systematische Bekämpfung des Alkoholismus, auch von Reichs wegen, geboten. Im Verein mit den Abgg. Linz, enning, Semler und Behrens empfehle ich die Annahme einer Resolution dahin⸗
d, den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, in den nächsten
Etat Mittel zur Erforschung und Bekämpfung des Alkoholismus ein⸗ zustellen. Bisher hat das Reich 8 diesem Gebiete noch nichts getan. Ein Verdienst hat sich die Sozialdemokratie durch den Branntwein⸗ boykott erworben, durch den der Alkoholismus tatsächlich erheblich vermindert worden ist; sonst aber ist es bisher Sache privater Ver⸗ einigungen gewesen, hier aufklärend und vorbeugend zu wirken. Ver⸗ dien tveül war in Preußen der Erlaß des früheren Eisenbahn⸗ ministers Budde, der den Ausschank von Branntwein an das Zug⸗ personal verbot. Von einem Gesetz gegen die Trunksucht könnte ich mir absolut nichts versprechen. Es muß vor allem die schul⸗ ht sssn⸗ Jugend vor dem Alkoholismus gewarnt werden. Bis jetzt haben wir noch nicht einmal eine brauchbare Todesursachenstatistik.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:
Meine Herren! Nur wenige Worte. Ich glaube, es ist niemand in diesem hohen Hause, der mit dem Herrn Vorredner nicht darin übereinstimmt, daß die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs und des Alkoholgenusses eine der vornehmsten Aufgaben des deutschen Volkes sein muß. Aber, meine Herren, ob man derartige Ziele, wie sie der Herr Abg. Leonhart hier eben geschildert hat, in erster Linie durch staatliche Maßnahmen erreichen kann, ist mir zweifelhaft. (Sehr richtig! rechts.) Hier müssen die Hebel an ganz anderer Stelle angesetzt werden. Hier müssen Eltern und Erzieher, hier muß das Beispiel der älteren Arbeiter nnd der Meister, hier muß das Beispiel der Vorgesetzten wirken, und daneben muß eine auf⸗ klärende Tätigkeit über die Folgen des Alkoholismus hergehen. Diese aufklärende Tätigkeit ist nach meiner Ansicht auch von seiten des Reichs geübt. Das Reichsversicherungsamt hat meines Wissens einen umfangreichen Erlaß, den Alkoholgenuß betreffend, hinausgehen lassen, das Reichsgesundheitsamt hat ein Merkblatt in einer großen Auflage über diese Frage herausgegeben, das an geeigneten Stellen ausgehängt und zur Kenntnis der Beteiligten gebracht werden kann. Aber diese belehrende Tätigkeit wird nach meiner Ansicht in den Händen der gemeinnützigen Vereine besser untergebracht sein als bei Reich und Staat. Auch diese belehrende Tätigkeit muß getragen sein von einem gewissen Enthusiasmus der Ueberzeugung, wenn sie sich tatsächlich wirksam entfalten soll. Mit einem Ministerialerlaß kann man der⸗ artige Dinge nicht aus der Welt schaffen.
Diese Vereine aber werden vom Reich seit längerer Zeit unter⸗ stützt. Bis zum vorigen Jahre wurden, glaube ich, jährlich 8000 ℳ, neuerdings werden 10 000 ℳ an die gemeinnützigen Vereine für die Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs gezahlt, von denen 8000 ℳ in Deutschland bleiben, 2000 ℳ gehen an die Internationale Kom⸗ mission zur Bekämpfung des Alkoholgenusses. Sie sehen also, es ist nach dieser Richtung von Seiten des Reichs nichts versäumt, was nach Lage der Verhältnisse und der uns zur Verfügung stehenden Mittel möglich war.
Ich möchte anheim geben, zu erwägen, ob wir nun, weil wir nicht recht in der Lage sind, etwas anderes zu tun, eine Statistik in An⸗ griff nehmen sollen. (Sehr richtig! rechts.) Die Schäden, die durch den Alkoholmißbrauch hervorgerufen werden, liegen so klar vor uns, daß unser Gewissen nicht noch durch eine Statistik geschärft zu werden braucht. (Erneute Zustimmung rechts.) Gerade eine Alkoholstatistik herzustellen, ist überaus schwierig und teuer, und nach den Mahnungen, die ich im Laufe des Winters gehört habe, daß man mit den Ausgaben für Drucksachen und Statistiken etwas sparsamer sein möge, werden Sie verstehen, wenn ich mir wenigstens einige Bedenkzeit ausbitte, ob wir von Reichs wegen Mittel für eine Alkoholstatistik aufwenden sollen. (Sehr richtig! rechts.) Soweit es in meinem Bereiche liegt, diejenigen Bestrebungen zu fördern, welche dem Alkoholgenuß ent⸗
geegentreten sollen, können Sie versichert sein, wird das geschehen. (Bravo!)
Abg. Brejski (Pole): Nach den Berichten der Gewerbeinspektoren ist die Wurmkrankheit noch nicht erloschen, sondern teilweise im
beschlossen.
Steigen begriffen. Im Bergrevier Aachen beträgt der Prozentsatz der wurmkranken Arbeiter sogar 4,7 von der Belegschaft. Im vorigen Jahre habe ich die Frage gestellt, ob nicht zu be⸗ fürchten 8 daß sich die Wurmkrankheit auch auf die Ziegelei⸗ arbeiter übertragen könnte. Es wurde mir erwidert, daß das nicht möglich sei. Inzwischen aber ist diese Uebertragung im Rheinland und Westfalen festgestellt, und eine weitere Verbreitung unter den Ziegeleiarbeitern Deutschlands ist nicht ausgeschlossen. Die Bergleute klagen vielfach über die Vers hlechterung der sanitären Verhältnisse in den Bergwerken. Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, daß nicht alle im sanitären Inter⸗ esse erlassenen Vorschriften innegehalten werden. Die Schädigung der Gesundheit der in den Zinkhütten beschäftigten Arbeiter wird am besten dadurch illustriert, daß unter diesen Arbeitern nur ein geringer vesitsah über 35 Jahre alt ist. Dies läßt darauf schließen, daß die Gesundheit die Arbeit in den Zinkhütten systematisch untergraben wird. Auch da sollte man auf strikte Innehaltung der Schutzvorschriften achten. Aehnlich liegt es in den Bleihütten. In diesen Fragen sollte auch jede Politik aus⸗ geschaltet werden. In Oberschlesien aber wird die freie Arztwahl mit der Begründung bekämpft, daß dadurch „die polnischen Aerzte einen Zulauf an Patienten erhalten. Der Bekämpfung des Alkohol⸗ nntrauch. könnten die Polizeibehörden dienen, wenn sie nicht die Lokale, die alkoholfreie Getränke verschenken, stiefmütterlich be⸗ handelten und die Konzessionierung mit der Begründung ablehnten, daß kein Bedürfnis für alkoholfreie Lokale vorliegt. Ein Gesetz zum Schutze der Gesundheit der Jugend haben wir * früher verlangt und bringen es erneut in Anregung, denn von unserer Jugend hängt die Zukunft des Volkes ab.
Abg. von Treuenfels (dkons.): Wir haben die Zahl der Reso⸗ lutionen ungern durch eine weitere vermehrt, aber bei dem Mißbrauch der narkotischen Arzneimittel handelt es sich in der Tat um einen beklagenswerten Uebelstand. In den Apotheken kann man die Narkotika nur gegen ärztliches Rezept bekommen. Aber der Großhandel ist den einschränkenden Bestimmungen nicht unter⸗ worfen, wenn der Nachweis erbracht ist, daß es sich bei den Ab⸗ nehmern um zuverlässige Persönlichkeiten handelt. Und er ist schwer zu kontrollieren. Dem sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Dr. Leon⸗ hart hat darauf hingewiesen, daß unter den Aerzten eine große An⸗ zahl Morphinisten sind. Vielleicht könnte man aber auch hier eine Kontrolle einführen. Der Arzt sollte z. B. gehalten sein, wenn er immer wieder für dieselbe Person das Rezept ausstellt, sich jedesmal von dem Gesundheitszustand zu unterrichten. Das Ge⸗ fährliche bei denen, die gewohnheitsmäßig Narkotika zu nehmen pflegen, ist, daß sie andere zu demselben Laster zu bestimmen suchen, und daß die unheimliche Wirkung sich nicht nur auf den Körper geltend macht, sondern auch den Charakter ruiniert. Diese Personen greifen zu allen möglichen Listen, und es ist ihnen jedes Mittel recht, um sich das Narkotikum zu ver⸗ schaffen. Es hat sich da ein b ehrloses Gewerbe heraus⸗ 8s ildet, eine Menge verkrachter Existenzen verstehen es, sich vom
roßhändler diese Arzneimittel zu verschaffen, und geben sie gegen teures Geld weiter. Mir scheint, daß man in der Bestrafung solcher Existenzen etwas zu lax ist, wie man ja bei uns überhaupt die Ver⸗ brechen gegen Leib und Leben viel zu milde bestraft im Vergleich zu denen gegen das Eigentum. Unsere Resolution soll die Reichsregierung
veranlassen, möglichst wirksame Schritte zu tun, um diese Mißstände aus der Welt zu schaffen.
Präsident des Reichsgesundheitsamts, Wirklicher Geheimer
berregierungsrat Bumm: asmahmen sind ja gegen die mißbräuchliche Abgebung von arcoticis tatsächlich jetzt schon geschaffen. Allerdings finden die Bestimmungen der Kaiser⸗ ichen Verordnung vom Oktober 1901 auf den Geoß. handel keine Anwendung; daß aber auf diesem Wege erhebliche Miß⸗ stände eingetreten seien, ist uns bisͤher nicht bekannt geworden. Der Großhändler darf diese Mittel auch nur an solche Personen ab⸗ geben, die ihm als zuverlässig bekannt sind, und sie zu einem erlaubten Zweck verwenden wollen. Man wird nicht zu weit gehen können, nun auch wieder Aerzte unter Kontrolle zu stellen, denen man bisher Vertrauen entgegengebracht hat. Sollten Mißstände vorkommen, die aber erst nachgewiesen werden müßten, so wäre daran zu denken, ob nicht die Aerzte selbst in ihren Ehren erichten Abhilfe zu schaffen in der Lage sind. Es ist aber eine Revision der erwähnten Verordnung im Gange, und dabei ist auch eine Umfrage an sämtliche Bundes⸗ regierungen gerichtet und Material darüber eingefordert, ob der Groß⸗ handel zu Hüheen Anlaß gegeben hat. Sollten sich da schärfere Maßnahmen als nötig erweisen, so werden sie getroffen. Ob aber jeder Mißbrauch verhüͤtet werden kann, erscheint mir fraglich, denn es ist bekannt, daß Meg ungemein erfinderisch sind. Sie lassen sich eventuell die Mittel brieflich aus dem Ausland schicken. Daß die Wurmkrankheit eine erhebliche Zunahme erfahren hätte, ist uns nicht bekannt geworden. Möglicherweise sind die vom Abg. Brejski erwähnten Fälle auf Einsch eppung aus dem Aus⸗ sande Zurückzuführen. Eine Todesursachenstatistik besitzen wir schon seit 1892.
Abg. Dr. Burckhardt wirtsch. Vgg.): Die Resolution gegen den Albobolizmus möchte ich warm befürworten, indem ich mich allem anschließe, was der Abg. Dr. Leonhart gesagt hat. Der Abg. Brühne hat unter Heranziehung krasser Fälle von Kinderausbeutung heute wieder das Verbot der Kinderarbeit in der Zigarrenindustrie verlangt. Damit schießt er doch bedenklich über das Ziel hinaus. Die Interessen der kleinen Bäcker scheinen den Abg. Brühne nicht besonders am Herzen zu liegen; er schüttet mit seinen Ausführungen gegen die laxe Handhabung der Bäckereiverordnung wieder das Kind mit dem Bade aus. Das Bleigesetz ist scharf genug; es verbietet bei Bierkrügen Bleideckel, die mehr als 10 % Blei haben. Vom Auslande aber kommen diese bei uns verbotenen Bleideckel ungehindert herein. Auch die Stereotypplatten der Druckereien sind sehr bleihaltig und setzen die Setzer ständig der Gefahr der Bleivergiftung aus; die Sozialdemokraten sollten also zunächst einmal diese Platten in der „Vorwärts“⸗Druckerei verbieten. Das Reichsgesetz für die Apotheken kommt bedauerlicherweise nicht vom Fleck; es ist dringend erforderlich, daß das preußische System der reinen Personalkonzession gesetzlich auf das Reich ausgedehnt wird. Nicht der älteste, sondern „in der Regel“ der älteste Bewerber sollte die Konzession erhalten; es kann doch vorkommen, daß einer nicht der Aelteste, wohl aber der Qualifizierteste ist. Auch die Apothekenbesitzer erkennen die Dringlich⸗ keit der Reform an. Die alten Apothekenprivilegien müssen abgekauft oder abgelöst werden, und auch dies ist reichsgesetzlich zu regeln. Ebenso sind für das ganze Reich Apothekerkammern im Anschlusse an das Gesundheitsamt einzuführen. Ueber der völligen Beseitigung der Realkonzessionen können ja zwei Menschenalter vergehen; aber ein Anfang muß doch einmal gemacht werden. Vom Augenblick der Verkäuf⸗ lichkeit an sollte man die Kommunalisierung der Apotheken anstreben. Reich, Einzelstaaten und Publikum haben ein großes Interesse daran. Mit der Kommunalisierung der Apotheken kann man sich schließlich zufrieden geben, wenn die T erstaatlichung doch nicht zu erreichen ist,
ihr die verbündeten Regierungen widerstreben. Die Arznei⸗ versorgung der Bevölkerung ist viel zu wichtig, als daß die Regelung dieser Frage immer wieder verschoben werden darf.
Abg. Frank⸗Ratibor (Zentr.) verbreitet sich über die Notwendigkeit der Bekämpfung der Malaria und ihrer Erreger aus der Insekten⸗ welt. Besonders in den Badeorten werde die Fliegen⸗ und Mücken⸗ plage schwer empfunden. 1
Präsident des Reichsgesundheitsamts, Wirklicher Geheimer Ober⸗ regierungsrat Bumm: Es ist bisher sehr schwierig gewesen, dagegen anzugehen. Das Reichsgesundheitsamt hat sich bereits mit der Sache befaßt.
Dr. Spahn verkündet, daß ein Antrag auf Schluß der Diskussion vorliegt; die Verkündigung wird mit
allseitigem großen Beifall aufgenommen. Der Schluß der Diskussion wird mit großer Mehrheit
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen sfr Volks 2 zur Geschäfts ordnung: Der Abg. Sommer und ich bedauern se r, daß uns dur den Schluß die Gelegenheit genommen ist, die Themata der Kur⸗ pfuscherei, des Impfzwanges und anderes vorzutragen. Das kommt davon, wenn man hier tagelang nur mit persönlichen Zänkereien zubringt.
Die Resolutionen Jaeger (Wohnungswesen), von Treuen⸗ fels (Narkotika) und Leonhart (Alkoholismus) werden mit großer Mehrheit angenomm en; das Kapitel „Gesundheitsamt“ wird bewilligt.
Zu den Ausgaben für die Biologische Anstalt für Land⸗ und Forstwirtschaft weist der
Abg. Graf Praschma ( Zentr.) auf die Wichtigkeit der Milchwirt schaft hin. Die ärztliche Wissenschaft habe sich in den letzten Jahren mit der sanitären Seite der Milchversorgung beschäftigt. aber leider an einer die die wissenschaftlichen Resultate der Milchuntersu ung zusammenfasse, es müsse eine Reichs⸗ anstalt für Milchwissenschaft errichtet werden. 1 das preußische Landes⸗Oekonomiekollegium ausgesprochen. Die Kosten würden nicht sehr erheblich sein und sich reichlich lohnen. Von anderer Seite war die Errichtung eines Instituts für Jagdkunde ge⸗ wünscht. Das Wild spiele volkswirtschaf ich eine große Rolle in bezug auf die 1131“ Die Wissenschaft sollte sich mehr und einheit icher mit der Jagd befassen, z. B. mit der Nutzbarmachung des erlegten Wildes. Die Interessen der Erhaltung des Wildbestandes und die Vermeidung der Wildschäden könnten am besten an einer Zentralstelle abgewogen werden. 3
Abg. Wilkens (d. kons.) unterstützt den Wunsch auf Errichtung eines Instituts für Milchwissenschaft. Die Sache sei um so wichtiger, als für 130 Mill. Mark Milch in Deutschland eingeführt werden. Die Milchproduktion in Deutschland sei beinahe so groß wie die Neischprezürtion; sie betrage 2600 Mill. Mark gegen 2900 Mill. Mark Fleisch.
Abg. Siebenbürger (d. kons.) lenkt die Aufmerksamkeit der Regierung auf die Notwendigkeit einer gründlichen Erforschung der Schweinepest. Leider hätte von autoritativer Seite während der Landwirtschaftlichen Woche ein Vortrag über die neuesten Fortschritte der Erforschung der Schweinepest nicht gehalten werden können, weil auf diesem Gebiete nichts Neues zu sagen sei. Allerdings stoße die Erforschung auf Schwierigkeiten, weil sie große Kosten verursache. Die Schweinepest könne nicht an Kaninchen, sondern nur an Schweinen erprobt werden. Es kommt darauf an, ein billiges Serum
zu bekommen.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:
Meine Herren! Von den drei Herren Vorrednern sind nicht weniger als zwei neue Reichsämter, wenn nicht direkt verlangt, so doch warm befürwortet worden (Heiterkeit), und außerdem ist ein erheb⸗ licher Posten Geld für die Erforschung der Schweinepest gefordert worden.
Was die Schweinepest betrifft, so möchte ich bemerken, daß wir uns der Bedeutung der in dieser Richtung aufgestellten Forderungen nicht verschlossen haben. (Bravo!) Nicht bloß die Bundesstaaten, sondern auch das Reich haben sich mit der Frage beschäftigt; das Reichsgesundheitsamt speziell hat unter Aufwendung erheblicher Mittel Forschungen auf diesem Gebiete angestellt, und ich darf die Herren auf die Veröffentlichungen des Herrn Professors Uhlenhuth Band 27 Seite 225 und Band 30 Seite 217 der Veröffent⸗ lichungen des Reichsgesundheitsamts verweisen. Auch der Serumfrage ist speziell seitens des Reichsgesundheitsamts ernste Aufmerksamkeit gewidmet worden, und es ist neuerdings in Reichsgesundheitsamt ein neues Immunisierungsserum hergestellt worden,
von dem die Erfinder glauben, daß es den zu stellenden Anforderungen
entspricht. Zu Versuchen im großen fehlen uns augenblicklich die Mittel, immerhin wollen die Herren aus meinen Ausführungen er⸗ sehen, daß das Reich in den Grenzen der ihm gegebenen Möglichkeit an dieser wichtigen Frage gearbeitet hat.
Was die wissenschaftliche Förderung der Milchwirtschaft betrifft, so haben die beiden Herren Redner schon anerkannt, daß zurzeit nicht daran gedacht werden kann, ein besonderes Reichsinstitut für diesen Zweck einzurichten. Erörtert ist auch diese Frage schon zwischen der Reichsverwaltung und den einzelnen Bundesstaaten seit Jahren; aber
diese Erörterungen haben noch nicht dazu geführt, daß man unbedingt
und zweifelsfrei hätte erkennen können, ob ein derartiges Reichsinstitut unbedingt notwendig sei, und so lange man die unbedingte Not⸗
wendigkeit nicht anerkennen kann, dürfte es wohl mit Rücksicht auf
die Finanzen richtig sein, wenn man von der Begründung eines der⸗ artigen Instituts absieht, und das um so mehr, meine Herren, als ja eine ganze Reihe der die Milchwirtschaft und Milchverarbeitung betreffenden Fragen in den schon vorhandenen Reichsinstituten, einmal im Reichsgesundheitsamt und andererseits in der Biologischen Reichs⸗ anstalt, bearbeitet werden können. Diese werden, soweit die Arbeits, kräfte und Mittel dazu reichen, bereit sein, auch auf diesem Gebiete wirksam zu werden.
Dasselbe gilt von dem Reichsjagdamt. Auch hier wird wohl eine Notwendigkeit nicht als erwiesen angesehen werden können; soweit es aber wünschenswert ist, einzelne, die Biologie des Wildes betreffende Fragen besonders zu erörtern, wird erwogen werden können, ob nicht auch diese Fragen im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel in der Biologischen Reichsanstalt zweckmäßig werden bearbeitet werden können. (Bravo!)
Bei dem Kapitel „Patentamt“ tritt der 1
Abg. Sommer (fr. Volksp.) für eine Besserstellung der Kanzlei⸗ diätare durch Vermehrung der Kanzleisekretärstellen ein.
Abg. Dr. Junck (nl.) verbreitet sich über die Notwendigkeit der Reform der Patentgesetzgebung, namentlich bezüglich der Länge der Patentdauer und der Höhe der Patentgebühren, und tritt für eine Verbilligung der Patentgebühren in dem ersten Jahre ein, wogegen auch der Staatssekretär von finanziellen Standpunkten aus nichts ein⸗ zuwenden haben kann. Besonders brennend sei die Frage der Regelun des Erfinderrechtes der Angestellten. Die Lösung dieser Frage se schwierig, aber die Frage müsse im Rahmen des neuen Patentgesetzes gelöst werden, und es handle sich hier um eine wichtige soziale Frage, um einen Ausgleich zwischen den Interessen der industriellen Unternehmen und ihrer Angestellten. In dem neuen Gesetz müsse auch die Behandlung des Ausführungszwanges anders geregelt werden. Nachdem England in seinem neuen Patentgesetz seine Vorschriften über den Ausführungszwang verschärft habe, trete die Notwendigkeit von Vergleichsverhandlungen mit England noch mehr in den Vorder⸗ grund. Im vorigen Jahre habe der damalige Staatssekretär solche Verhandlungen in Aussicht gestellt. Wie weit seien sie inzwischen ge⸗ diehen? Besonders schwierig sei die Lage unserer Industrie gegen⸗ über Amerika. Es herrsche da ein Kriegszustand, den man ausnützen müsse. Man müsse in der Lage sein, Reziprozität zu üben. er Schwerpunkt müsse auf den Lizenzzwang gelegt werden.
Schluß der Zweiten Beilage.)
Es fehle
Dafür habe sich auch
Diesem Wunsch liege ein gesunder Gedanke zu Grunde.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:
Meine Herren! Wenn ich mir bei allen Fragen, die bei einer
Reeform unseres Patentrechts zu lösen wären, so klar wäre wie der
Herr Vorredner, würde ich nicht gezögert haben, Ihnen schon einen entsprechenden Entwurf vorzulegen. Die Fragen liegen aber so einfach nicht.
Es sind im Laufe des vergangenen Sommers die Sachverständigen gehört. Im Anschluß an diese Verhandlungen sind Eingaben der verschiedensten Art in meine Hände gelangt. Ich selbst habe Ver⸗ treter verschiedener Interessengruppen inzwischen gehört und habe gefunden, daß manche Fragen, die mand vor Jahresfrist als geklärt ansah, noch keineswegs als unbedingt geklärt angesehen werden können. Ich nehme aber an, daß ich im Laufe dieses Kalenderjahres in der Lage sein werde, einen vorläufigen Entwurf der Oeffentlichkeit zu
übergeben. Es wird sich dann zeigen, ob die Fragen so einfach
zu lösen sind, wie der Herr Vorredner glaubt (Zuruf bei den Nationalliberalen: Einfach — nicht!), oder ob die Schwierigkeiten, mit denen ich zu rechnen habe, doch ein größeres Gewicht haben, als der Herr Abg. Junck zu meinen scheint.
Eine Hauptschwierigkeit bei der Neuregelung unseres Patent⸗ wesens liegt ja darin, daß, was das Verfahren betrifft, die Be⸗ schwerden eigentlich nicht gegen die Zuverlässigkeit und gegen die Exaktheit der Arbeit des Patentamts gerichtet sind, sondern daß diese Beschwerden in erster Linie sich richten eimal gegen eine gewisse Ver⸗ zögerung, die zum Teil im mangelnden Personal ihre Ursache hat (hört, hört! bei den Nationalliberalen), und sodann gegen die große Zahl der Beamten und die aus diesem Beamtenheer erwachsenden Verwaltungsschwierigkeiten und Kosten.
Meine Herren, wenn ein Verfahren an sich einwandfrei ist und wenn es geübt wird von einem Institut, das Ueberschüsse abliefert, so muß man sich doch bei einem derartigen, in erster Linie den Interessen der Industrie dienenden Institut fragen, ob man nur im Interesse einer Personalverringerung dazu übergehen soll, ein jetzt be⸗ stehendes, von der Industrie gelobtes Verfahren abzuändern. Es liegt hier anders, als wenn man eine Behörde umgestaltet, weil man der Geschäfte mit Rücksicht auf die Kosten nicht mehr vollständig Herr werden kann. Also die Frage, ob Einzelprüfer oder das bisherige Verfahren, dürfte nicht so rasch und glatt zu lösen sein, wie es nach den Ausführungen des geehrten Herrn Vorredners den Anschein hat.
Neben den Verfahren spielen dann bei einer eventuellen Revision des Gesetzes eine Rolle die Gebühren. Der Herr Vorredner hat die Gebührenfrage lediglich unter dem Gesichts⸗ punkt einer Ermäßigung behandelt. Ich will ihm zugeben, daß unter bestimmten Voraussetzungen wohl eine Ermäßigung unserer Gebühren am Platze wäre. Die Gebührenfrage kann aber auch be⸗ handelt werden unter dem Gesichtspunkte einer Einschränkung der Geschäfte. Man würde nämlich durch eine angemessene anderweitige Gestaltung der Gebühren wahrscheinlich dahin kommen, das Patent⸗ amt von einem großen Teil minderwertiger Geschäfte zu entlasten.
Es ist dann seitens des Herrn Vorredners darauf hingewiesen, daß im Rahmen der bevorstehenden Reform unseres Patentrechts auch die Frage des Erfinderrechts der Angestellten zu regeln sein würde. Er hat selbst anerkannt, daß diese Frage schwer zu lösen ist,
unnd hat seinerseits davon abgesehen, Vorschläge in dieser Richtung zu
machen. Ich erkenne aber mit ihm an, daß wir bei einer ander⸗ weitigen Regelung unserer patentgesetzlichen Bestimmungen auch über eine Regelung dieser brennenden Frage in irgend einer Form nicht hinwegkommen werden.
Der Herr Vorredner ist dann eingegangen auf die letzte, für die Reform des Gesetzes in Betracht kommende Frage, den Ausführungs⸗ zwang, die zweifellos mit zu den dringlichsten gehört und ebenfalls bei einer Abänderung des Patentgesetzes anderweit wird geregelt werden müssen. Ich darf in dieser Beziehung im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Vorredners kurz an folgendes erinnern.
In Deutschland besteht der Ausführungszwang, d. h. die Mög⸗ lichkeit, ein Patent zum Verfall zu bringen, wenn es innerhalb einer bestimmten Frist im Inlande nicht zur Ausführung kommt. Das gilt für Inländer und für Ausländer. Auf demselben Gedanken ist die Patentgesetzgebung einer Reihe von anderen Staaten aufgebaut. Nun hat der größere Teil unserer Industrie, nicht bloß die chemische In⸗ dustrie, sondern fast unsere gesamte exportierende Industrie zweifellos ein Interesse daran, von dem Ausführungszwang im Auslande befreit zu sein, und daraus hat sich das Bestreben entwickelt, im Wege des Vertrages mit den einzelnen Staaten einen Zustand zu schaffen, der auf dem Wege der Gegenseitigkeit den Ausführungszwang beseitigt. Bis zu diesem Moment hat, glaube ich, hierüber zwischen Regierung und allen Parteien dieses Hauses und zwischen Regierung und Industrie niemals ein Streit bestanden. Kompliziert ist die Situation zunächst dadurch, daß es uns nicht möglich gewesen, speziell mit England zu einem Abkommen zu gelangen, und daß man in England sich nicht nur einem derartigen Abkommen versagt hat, sondern sogar dazu übergegangen ist, die Bestimmungen über den Ausführungszwang zu verschärfen. Der Versuch, nach dem Abschluß dieser Gesetzgebung mit England zu einem gegenseitigen Abkommen über die Beseitigung des Ausführungszwanges zu gelangen, ist bis heute nicht von Erfolg begleitet gewesen, aus eigentlich nahe⸗ liegenden Gründen, die ich wohl hier nicht näher auseinanderzusetzen brauche.
Als unsere Industrie die verschärften englischen Bestimmungen über den Ausführungszwang anfing überaus schwer zu empfinden, kam plötzlich die Nachricht über den Ozean, daß die Vereinigten Staaten von Amerika im Begriffe seien, ebenfalls den Ausführungs⸗ zwang gesetzlich einzuführen, und entsprechend dem Drängen unserer nach Amerika exportierenden Industrie, e tsprechend
weite Beilage iger und Königlich
Berlin, Sonnabend, den 5. März
auch Ratschlägen, die, ich glaube, aus diesem hohen Hause an die Re⸗ gierung ergangen sind, und mit Rücksicht auf die Erfahrung, daß man nach der Verabschiedung eines neuen Gesetzes mit dem Auslande schwer zu einem Vertrage kommen würde, entschlossen sich die ver⸗ bündeten Regierungen, schnell, bevor das amerikanische Gesetz zur Verabschiedung gelangte, mit Amerika ein Abkommen zu treffen, wonach beiderseits die Befreiung vom Ausführungszwang garantiert wurde. Das war nach Lage der damaligen Verhältnisse ein absolut korrektes Verfahren. Daß die Vereinigten Staaten von Amerika einen der verschiedenen damals dem Kongreß vorliegenden Gesetz⸗ entwürfe nicht verabschieden würden, konnte man nicht voraussehen⸗ und man wird denjenigen, die damals die Verantwortung für einen raschen Abschluß mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Ueber⸗ einstimmung mit der Industrie und in Uebereinstimmung mit der öffentlichen Meinung übernommen haben, daraus gewiß keinen Vor⸗ wurf machen.
Nun ist der Gesetzentwurf in Amerika über die Einführung des Ausführungszwanges nicht zur Verabschiedung gelangt, und daraus ist allerdings ein Zustand der Imparität zwischen den Deutschen und den Bürgern der Union in Deutschland selbst entstanden. Das Ergebnis ist, daß in Amerika der Deutsche und der Inländer, d. h. der Ameri⸗ kaner, vom Ausführungszwang befreit sind, weil er gesetzlich nicht statuiert ist, während umgekehrt in Deutschland der Inländer dem Ausführungszwang unterliegt, der Amerikaner aber auf Grund des abgeschlossenen Vertrages vom Ausführungszwange befreit ist. Dieser Zustand hat nun, wie ich mit dem Herrn Vor⸗ redner ohne weiteres anerkenne, in einigen Fällen — sehr zahlreich sind sie nach unseren Informationen nicht — allerdings zu unbequemen Konsequenzen geführt, indem amerika⸗ nische Gesellschaften, die in Deutschland domiziliert waren und in Deutschland amerikanische Erfindungen hatten patentieren lassen, als man von ihnen die Ausführung dieser Patente verlangte, die Patente zurückübertrugen an das amerikanische Stammhaus und das amerikanische Stammhaus nun in der Lage war, auf Grund der den Amerikanern zustehenden Befreiung vom Ausführungszwange im Inlande die betreffenden Patente unausgeführt zu lassen und ihre freie Benutzung durch Dritte zu verhindern.
Meine Herren, es ist kein Zweifel, daß jene Imparität ein un⸗ erwünschter Zustand ist. Ob alle diejenigen Konsequenzen daraus zu ziehen sind, die der Herr Vorredner gezogen hat, ist mir zweifelhaft; ob man so weit gehen kann, zu deduzieren, daß nichtamerikanische Patente, wenn sie einem Amerikaner nur formell übertragen werden, auf Grund der den Amerikanern zustehenden Befreiung vom Aus⸗ führungszwang in Deutschland ebenfalls vom Ausführungszwang be⸗ freit sein würden, ist zweifelhaft; meine Juristen nehmen das Gegen⸗ teil an. Zweifellos ist es nun wünschenswert, daß diesem Zustande ein Ende bereitet werde, und ich bin darin mit dem Herrn Vorredner vollständig einig, daß das erreicht werden kann durch eine Aenderung unserer Patentgesetzgebung dahin, daß der Ausführungszwang für den Inländer im Inland entfällt, daß aber der Ausführungszwang für das Inland bestehen bleibt für solche Patente, die nur im Auslande ausgenutzt werden. In diesem Sinne — nehme ich an — werde ich Ihnen bei der Vorlage des Gesetzes über die Reform unseres Patent⸗ wesens die entsprechenden Vorschläge machen können, und ich glaube, daß damit nicht nur die Beschwerden des vorliegenden Falls in der Hauptsache aus der Welt geschafft sind, sondern daß mit einer solchen Gesetzgebung auch den Bedürfnissen unserer eigenen Industrie ent⸗ sprochen werden wird. Ich bin mit dem Herrn Vorredner darin voll⸗ ständig einig, daß der Schwerpunkt in Zukunft auf den Lizenzzwang zu legen sein wird, worüber § 11 Nr. 2 des Patentgesetzes Be⸗ stimmung trifft.
Meine Herren, ich glaube, ich habe hiermit alle wesentlichen Punkte in den Aüusführungen des Herrn Vorredners erörtert beziehungs⸗ weise berührt und kann nur wiederholen: ich bin von der Notwendig⸗ keit einer raschen Reform unseres Patentgesetzes in all den eben be⸗ sprochenen Punkten überzeugt und werde meinerseits bestrebt sein, sobald als möglich mindestens einen Vorentwurf der Oeffentlichkeit zugänglich zu machen. (Vielseitiger Beifall.)
Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fr. Volksp.); Diese Erklärungen werden in weiten Kreisen der Industrie hohe Befriedigung hervor⸗ rufen. Die große Gefahr egalich des Patentamts gesteht darin, daß wir schließlich zu Zuständen ommen wie beim Reichsgericht. Wir haben jetzt bereits einen Beamtenkörper von nahezu 1000 Be⸗ amten, und es wird der Versuch gemacht, ihn immer noch zu ver⸗ größern. Die Arbeit kann von einer Stelle nicht mehr überblickt werden, und die Einheitlichkeit der Entscheidungen leidet darunter. Nicht durch eine mechanische Vergrößerung des Beamtenpersonals muß hier Wandel geschaffen werden, sondern durch eine tiefgreifende or⸗ ganische Aenderung der Gesetzgebung. Die Tendenz der Einschränkung des Geschäftsbetriebes beim Patentamt sollte in den Hintergrund treten. Wenn ich auch ohne weiteres zugebe, daß eine Menge von Erfinder⸗ querulanten vorhanden sind, so gibt es doch auf der anderen Seite eine Reihe armer Schlucker, die sehr wertvolle Patente geschaffen haben, sie aber nicht weiter bezahlen können und daher verlieren. Dies Moment ist für die volkswirtschaftliche Entwicklung das wichtigere. Die Frage des Schutzes der Erfindungen der technischen Angestellten sollte möglichst bald im Rahmen dieses Reichspatentgesetzes geordnet werden. Die Materie ist ja ungeheuer schwierig, aber es muß auch das immaterielle Rechtsgut, das Idealgut, die persönliche Seite des Erfindungsrechtes des Angestellten neben der gewiß auch bedeutungs⸗ vollen wirtschaftlichen Seite sichergestellt werden. Der amerikanische Ausführungszwang wird auch von uns bedauert, aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß die eingetretenen schlechten Folgen durch unsere Gesetzgebung mit verschuldet sind. Eine Beseitigung für das Inland und Verschärfung für das Ausland führt zweifellos zu Repressalien von seiten des Auslandes. J meine, auf dem Wege der internationalen Gesetzgebung müßte man über⸗ haupt einen allgemeinen Fortschritt aller Kulturstaaten in dieser Richtung berbeiführen. Den Weg der gütlichen Einigung moͤchte ich dringend befürworten. Vor allem moͤchte ich wünschen, daß auch England und die Vereinigten Staaten, die ja jetzt in anderen kulturellen Fragen mit uns zusammen arbeiten, auf diesem wichtigen Gebiete des Patentausführungszwanges sich mit der deutschen R
e⸗ gierung verständigen werden. 1
Preußischen St
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:
Meine Herren! Ich habe aus den Ausführungen des Herrn Vor⸗ redners entnommen, daß ich mich wohl vorhin in einem Punkte, nämlich in meinen Ausführungen über die Gebühren etwas summarisch aus⸗ gedrückt habe. Es ist zu unterscheiden nach dem jetzigen Verfahren zwischen den Jahresgebühren und der Anmeldegebühr. Ich will den beiden Herren Rednern zugeben, daß man bezi Jahresgebühren wohl im Zweifel sein kann, ob man sie nicht anders ordnet, als bisher, d. h. ob man nicht in der Gestaltung namentlich auch dem Umstand Rücksicht trägt, daß eine große Zahl von Patenten sehr kurzlebig sind und dadurch nicht zur Ausführung gelangen, und daß man sich aus diesem Grunde fragt, ob die Jahresgebühren in ihrer jetzigen Gestalt zweckmäßig und praktisch sind.
Ich bin aber andererseits der Ansicht, daß eine große Zahl über⸗ flüssiger und zweckloser Dinge zum Patentschutz angemeldet werden und unter Umständen durch mehrere Instanzen behandelt werden müssen, und da bin ich im Zweifel, ob man nicht durch eine andere Ausgestaltung der Anmeldegebühr und der Instanzengebühr dahin kommen könnte, wertlose Sachen, die nicht zur Patenterteilung führen können, dadurch, daß die ersten Kosten des Verfahrens etwas höher werden, von dem Patentamt abzuhalten, während diejenigen An⸗ meldungen, die sich als brauchbar erweisen, bei den Jahresgebühren demnächst eine angemessene Erleichterung erfahren. Denn, meine Herren, darüber dürfen Sie sich nicht täuschen: wenn es nicht gelingt, die Masse des Stoffes, die das Patentamt zu bearbeiten hat, zu ver⸗ ringern, dann werden Ihnen alle Reformen, die auf eine Verringerung des Beamtenpersonals gerichtet sind, nichts helfen.
Abg. Dr. Junck (nl.): Es ist erfreulich, aus den Ausführungen des Staatssekretärs zu entnehmen, daß die Reform des Patentgesetzes ausgezeichnet vorbereitet ist, daß die Erwägungen abgeschlesfes sind und jetzt das Stadium der Entschliefzungen eingetreten ist. Den Zugang zum Erfinderschutz durch eine ohe Anmeldegebühr zu erschweren, würde unsozial gedacht sein. Was das Recht der An⸗ gestellten anlangt, so nehme i gern davon Akt, daß der Versuch ge⸗ macht werden soll, es im Rahmen des Patentgesetzes mit zu lösen. Für den Angestellten ist es ein großer Vorteil, wenn sein Name bei dem Patent genannt werden muß, wofern er der wirkliche Er⸗ finder ist. Diese Vorschrift sollte obligatorisch gemacht werden. Hin⸗ sichtlich des Ausführungszwanges bin ich der Ansicht, daß ein großes internationales Reich für die Welt der Erfindungen geschaffen werden muß. Das kann nur erstrebt werden auf dem Wege der Staats⸗ verträge. Deshalb müssen wir gerüstet sein. Es gilt auch hier das Wort: Si vis pacem, ara bellum. Es wäre aber sehr zu er⸗ wägen, ob die Frage des Ausführun szwanges nicht durch ein Spezial⸗ gesetz gelöst werden soll, um die Lösun durch eine Verbindung mit der allgemeinen Reform nicht unermünscht lange hinauszuzögern.
Das Kapitel „Patentamt“ wird bewilligt.
„8u den Ausgaben für das Reichsversicherungsamt befürwortet der
Abg. Behrens (wirtsch. Vgg.) folgenden Antrag: „den Reichs⸗ kanzler zu ersuchen, eine Abänderun des § 14 der Unfallversicherungs⸗ gesetze vom 30. Juni 1900 dahin Lerbeinsütene daß die Wahl der nichtständigen Mitglieder des Reichsversicherungsamtes und deren Stellvertreter nicht nach der relativen Mehrheit, sondern nach dem Verhältnis der abgegebenen Stimmen (Verhältniswahl) erfolgt.“ Die Vornahme der Wahl als Proportionalwahl entspreche bei einer Anzahl von etwa 10 Millionen Stimmen lediglich einem Gebote der Da etwa 130 Stellvertreter durch ganz Deutschland zu wählen seien, wähle jeder Stimmberechtigte eine Bekannten, und daraus ergebe sich eine ungeheure Stimmenzersplitterung. Durch die Vorschrift der Verhältniswahl würde auch das Vertrauen der Arbeiter zu dem Reichsversicherungsamt als oberster Spruch⸗ behörde außerordentlich gehoben werden. Der Antrag habe bei zahl⸗ reichen Parteien des Hauses Unterstützung gefunden. Den Gärtner⸗ gehilfen werde noch immer ihr gesetzliches Recht, als gewerbliche Arbeiter zu gelten, streitig gemacht. Das Verfahren der hannoverschen Landesversicherung, Hypotheken auf Arbeiterrentengüter zu geben, sollte Nachahmung finden. Bei der Vergebung von Mitteln für gemeinnützige und Wohlfahrtsunternehmungen dächten manche Landes⸗ anstalten nicht immer objektiv, sondern ließen sich manchmal von konfessionellen Gesichtspunkten leiten: Katholiken und Sozialdemo⸗ — würden nicht berücksichtigt. Man sollte hier weitherziger ver⸗ fahren.
Abg. Hebel (Zentr.) führt Beschwerde darüber, daß katholischen Insassen von Heilanstalten der Landesversicherungsanstalten die Lektuͤre “ Zeitschriften nicht gestattet worden sei. Das sei ein unberechtigter Eingriff in die Aufgaben der Seelsorge. Ferner müsse die weitverbreitete Gepflogenheit ein Ende nehmen, die eine Rente nachsuchenden Leute als Lumpen oder Schwindler zu behandeln. Gewiß müsse dem Simulantentum entgegengearbeitet werden, aber es sei doch sehr eigentümlich, daß manche Landes⸗ versicherungsanstalten für arme alte und invalide Leute kein Geld, dafür aber desto mehr Geld für kostspielige Bauten usw. übrig hätten. Das könne das Volk nicht verstehen, da es wisse, daß es sich hier nicht um Wohltaten, sondern um Rechte handle. Eine zu rigorose “ des hen e könne nur Erregung und Mißstimmung erzeugen. Das Gesetz verlange ein Beschäftigt⸗ oder Angestelltsein gegen Lohn oder Gehalt, um ein Verbältnis imn Sinne des Alters⸗ und Invaliditätsgesetzes zu begründen; die neuere Spruchpraxis des Reichsversicherungsamtes setze sich mit dieser Vorschrift zuungunsten mancher als Hilfskräfte im Haushalte tätigen Verwandten (Söhne, Brüder, Schwestern usw.) des Haushaltungsvorstandes in Widerspruch. Daraus sei eine große Beunruhigun und Rechtsunsicherbeit ent⸗ standen, und man komme bei Dur führung der neuen Auffassung zu
ganz absurden Konfequenzen.
Abg. Schwabach (nl.): Die Vorschriften über die der Ver⸗ sicherungspflicht unterliegenden See⸗ und Küstenfischereibetriebe be⸗ asten unverhältnismäßig diejenigen Betriebe, welche die Fischerei nur vorübergehend, nur für einige Wochen im Jahre ausü und im Hauptberufe in der Landwirtschaft oder als Industrie⸗ arbeiter tätig sind. Die Betreffenden, meistens nüithellose Personen, werden zu allen Lasten der Seeberufsgenossenschaft erangezogen und unterliegen oft der ruinösen Zwangsvollstreckung. In der neuen Reichsversicherungsordnung 2⸗ dieser Mitstand behoben und die Freilassung dieser Personen statuiert werden.
Vizepräsident Erbprinz zu Hohenlohe: Es ist bei Beginn der
Beratung ausgemacht worden, die auf die Reichsversi Lordnung bezüglichen Materien nicht zu berühren. (Der Redner verläßt unter
ironischem Beifall der Rechten die Tribüne.)
Abg. Potthoff (fr. Vgg.): Aus demselben Grunde gehe ich auf
die Rede des Abg. Hebel nicht ein. Ich konstatiere, daß die Er⸗
klärung des Staatssekretärs Delbrück über die Versicherung der
Privatangestellten nur der Schlußstein in einer Reihe von Ent⸗
täuschungen gewesen ist, die die Privatangestellten haben erleben 18 1
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