1910 / 61 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 12 Mar 1910 18:00:01 GMT) scan diff

dem EE.““ von Berlin keine Unverschämtheit vorwerfen!

zwischen 1 und ½2 Uhr geritten. Die Leute zogen ab, es bildeten sich Züge, die sich nach dem Königsplatz wandten. Wenn Anlagen

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54. Sitzung vom 11. März 1910, Nachmittags 1 (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der Tagesordnung soßht zunächst die Interpellation der Abgg. Albrecht und Genossen, betreffend die Verweigerung der Genehmigung zur Abhaltung einer im Tre btower Park bei Berlin am 6. März d. J. beabsichtigten öffentlichen Versamm⸗ lung unter freiem Himnmzel

Ueber den Anfang der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Abg. Ledebour (Soz.) fortfahrend: In dem Schreiben an den Genossen Ernst führt der 1ö. von Jagow aus, die Teilnehmer an den öffentlichen Aufzügen am Sonntag, den 13. Februar, hätten bereits ungesetzlich gehandelt. Diese Behauptung ist unrichtig; der Polizeipräsident von Berlin kennt bedauerlicherweise unsere Gesetze nicht. Das Kammergericht hat nämlich in einem Prozesse gegen Demonstranten in der Ürteilsbegründung ausgeführt, daß das preußische Wahlproblem die demonstrative Betätigung an sich nicht rechtswidrig mache; es komme nur darauf an, ob die rdnung gestört sei. Also öffentliche Demonstrationen sind an sich nicht rechtswidrig; also haben auch die Demonstranten vom 13. Februar nicht rechtswidrig gehandelt. Ferner darf die Genehmigung zu solchen Versammlungen nur versagt werden, wenn Gefahr für die öffentliche Sicherheit droht. Eine solche Gefahr lag aber in keiner Weise vor; am 13. Februar war bei dem zweistündigen Zuge von Moabit na dem Humboldthaine nichts dergleichen vorgekommen, und zwar, weil keine Polizei da war. Der Präsident von Jagow hat aber in seinem Aerger darüber, n⸗ es ihm nicht gelungen ist, auch da Un⸗ ruhen, Störungen, Verletzungen von Menschen herbeizuführen, diese Versammlung für rechtswidrig erklärt. Er hat aber noch mehr getan; er hat nicht nur die öffentliche Versammlung rechtswidrig verboten, auch die Absicht der Demonstration im Treptower Park gegen das elendeste und widersinnigste bestehende Wahlgesetz und gegen das ebenso elende und widersinnige, womit wir jetzt beglückt werden sollen, zu verhindern versucht. So ließ er denn erklären, er werde auch den Wahlrechtsspaziergang unmöglich machen, und zwar mit der Begründung, daß an den möglichen üblen Folgen allein die Sozialdemokratie die Schuld trage weil die politische Betätigung in Presse, Parlament und Versamm⸗ lungen „übergenug“ Gelegenheit habe, sich zur Geltung zu bringen. Damit ist erwiesen, daß der Polizeipräsident sich ausschließlich als n. als Handlanger des konservativen Polizeiregiments fühlt. Es verdient die allerschärfste Zurückweisung, daß ein von den Groschen der Steuerzahler besoldeter Polizeibeamter sich so etwas er⸗ laubt hat. Er müßte wegen einer derartigen Unverschämtheit sofort entlassen werden. bbrifibent. Herr Abgeordneter, Sie dürfen

Lebhaftes Ohol links und im Zentrum; Abg. Ablaß ruft: Davon steht nichts in der Geschäftsordnung!) Der Polizeipräsident hat nicht nur den Treptower Fs abgesperrt, sondern auch versucht, gewaltsam die Besucher an ihrer vollkommen legalen Demonstration zu hindern. Als unsere Parteigenossen in großer Anzahl im Tiergarten zusammenströmten, hat der Präsident Trupps von Schutzleuten zu Pferde und zu Fuß nach dem Tiergarten geschickt, und diese Schutz⸗ leute haben am Großen Stern auf die Menge eingehauen. Ich kann darüber nur als Zeuge urteilen. (Lachen rechts.) Ihr Lachen zeigt nur, daß Sie ein ebenso böses Gewissen haben wie der Polizei⸗ räsident, der die Menge brutalisieren ließ. Auf der Charlotten⸗ urger Chaussee kam eine Kavalkade von etwa 60, Schutzleuten angesprengt. Dann schwärmten sie aus in die verschiedenen Alleen hinein. 8 wurde befohlen, auseinanderzugehen, was gar nicht geschehen konnte, und nun drängten die Gendarmen auf uns; die Schutzleute galoppierten auch auf den Rasen, und nun wurde auf Fliehende, auf Frauen und Kinder eingehauen; darin zeigte sich gerade die feige Brutalitt. Im ganzen wurden etwa 3 oder 4 Attacken

zerstört wurden, so ist das lediglich dem Polizeipräsidenten zu verdanken. Ueber die Art, wie die Polizei vorgegangen ist, gibt es Mitteilungen aus bürgerlichen Kreisen. (Zuruf rechts: „Berliner Tageblatt“!) Ja⸗ wohl, im „Berliner Tageblatt“. Aber es handelt sich nicht um dieses, sondern um die Mishandlungen, die da vorgekommen sind. (Der Redner zitiert einige Mitteilungen aus dem „Berliner Tage⸗ blatt“.) Auch andere bürgerliche Blätter haben ähnliche Berichte gebracht. (Große Unruhe rechts.) Es ist eine Schamlosigkeit sonder⸗ gleichen, mich immer zu unterbrechen und zu lachen. Wenn Sie auch die Demonstrationen nicht billigen, so müßten Sie doch so viel menschliches Mitgefühl haben, daß Sie gegenüber solchen Brutalitäten wenigstens still sind ... .

Präsident grcj von Schwerin⸗Löwitz: Wenn ich recht ver⸗ standen habe, so haben Sie einer Seite dieses Hauses Schamlosig⸗ keit vorgeworfen.

Abg. Ledebour: Jawohl, das habe ich getan.

Präsident: Dann rufe ich Sie zum zweiten Male zur Ord⸗ n 8. und mache Sie auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen auf⸗ merksam.

Abg. Ledebour: Ich habe das erste Mal keinen Ordnungsruf, sondern nur eine Rüge erhalten.

Präsident: Ich habe bei dem ersten Male leider einen Ord⸗ nungsruf hinzufügen müssen.

Abg. Ledebour: Ich beziehe mich auf das unkorrigierte Steno⸗ gramm. Im übrigen kann auch der Abg. Gothein bestätigen, wie die Polizei mit dem Publikum umgesprungen ist. Der Polizei⸗ präsident hat sich dann bemüßigt gefunden, der Presse noch weitere Mitteilungen zugehen zu lassen, die sein Verfahren rechtfertigen sollten. Er berief sich auf einen Zeugen, der gesehen haben will, daß ein Sozialdemokrat simuliert habe, von Schutzleuten niedergeritten zu sein, und dann später vergnügt wieder aufgesprungen sei. ieser Anonymus, der so berichtet hat, kann sich doch mindestens geirrt und die Person des Verunglückten mit einem anderen verwechselt haben. Einen schlagenderen Beweis für das böse Gewissen des Polizei⸗ präsidenten kann es nicht geben. Es hat sich denn auch herausgestellt, daß der Mann, der wiederaufgesprungen und ein Hoch ausgebracht hatte, ein anderer Demonstrant war. Man hätte einen so blamablen Mann längst entlassen sollen. (Präs ident: Sie dürfen einen solchen Ausdruck von dem Berliner Polizeipräsidenten nicht brauchen! Abg. Heine (Soz.) ruft: Was soll man denn eigentlich noch sagen? Präsident: Sie müssen es meinem persönlichen Urteil überlassen, was ich nach der Ordnung des Hauses für zulässig halte oder nicht.) Der Ausdruck „blamabel“ braucht nicht die Absicht des Betreffenden zu enthalten, irgend etwas zu blamieren, sondern daß seine Haltung blamierend wirken kann, das kann auch dem Prä⸗ sidenten des Reichstags passieren. (Präsident: Ich bitte Sie, einen solchen Ausdruck nicht zu gebrauchen.) Das Ganze paßt in das System Bethmann Hollweg. Wie kommt der Präsident von Jagow dazu, sich die anonyme Meinung eines Briefschreibers, daß es sich um eine radaulustige Menge handle, zu eigen zu machen? Dafür fehlt mir der parlamentarische Ausdruck. Im Auslande hat man im allgemeinen gelacht über dieses Verhalten der Polizei. Wie die politisch vorgeschrittenen Länder darüber urteilen, zeigen die englischen Blätter. In England wäre es undenkbar, daß ein Polizist sich so etwas erlaubt, der Minister, der das duldete, würde ohne weiteres geliefert sein. Sie befinden sich in einem argen Irrtum, wenn Sie glauben, daß Sie mit solchen Dingen auf uns Eindruck machen. Wir wollen sehen, ob der Reichskanzler die Ueber⸗ griffe der Polizei mißbilligt. Sollte die Regierung den Polizei⸗ präsidenten von Jagow decken, so würde die Sathe⸗ noch ein anderes Gesicht für die Oeffentlichkeit gewinnen. Ausgeschlossen ist aber, daß sie mit der Unterdrückung nach russischem Muster erreichen könnte, daß unsere Parteigenossen auch nur einen Schritt zurückweichen. Wir werden uns nicht abschrecken lassen, und hoffen, daß die auf⸗

wird, daß wir für diesen Kampf auch auf die Unterstützung weiter

König von Serbien, der von Belgien. (Zuruf von den Sozialdemo⸗ aber der Geist ist derselbe geblieben. Den Wahlrechtskampf, den jetzt

machen müssen. Es hat gleichfalls demonstriert und seinen Zweck er⸗ reicht. Freilich stehen auch die österreichischen Staatsmänner in dieser

rüttelnde Wirkung dieser Demonstrationen noch weiter um sich greifen

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bürgerlicher Kreise rechnen können. Uns ist jeder willkommen. Wir wirken staatserhaltend. Eine staatszerstörende Wirkung wird aber dadurch erzielt, daß Sie die Polizeiorgane Uebergriffe begehen lassen, daß Sie die berechtigte, notwendige, geschichtlich gebotene große Volks⸗ bewegung in Preußen durch derartige kleinliche, polizeiliche Mittel zu unterdrücken suchen. Dadurch untergraben Sie Ihr eigenes Ansehen und die Staatsautorität, mehr noch, als einzelne Monarchen in Europa das Ansehen der Monarchie untergraben haben: der frühere

kraten: Und so weiter!) Die heutige Bureaukratie ist nicht besser als die von 1806; die geschichtlichen Verhältnisse haben si geändert,

Preußen durchmacht, hat vor kurzer Zeit das österreichische Volk durch⸗

rage auf einem höheren Niveau als die heutige Regierung hier in eutschland. Ich warne Sie, um ein Wort des Polizeipräsidenten von Berlin zu gebrauchen, Sie werden den Zusammenbruch des elenden und widersinnigen Wahlsystems nicht aufhalten! Es wird noch ganz anderes historisches Gerümpel weggeräumt werden.

Das Wort zur Beantwortung der Interpellation erhält der

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:

Meine Herren! Es handelt sich hier um die Beantwortung von zwei Fragen, erstens: hat der Polizeipräsident von Berlin durch die hier von dem Herrn Vorredner wiederholt gekennzeichnete Anordnung sich in Widerspruch mit den Bestimmungen des Reichsvereinsgesetzes gesetzt, und zweitens: liegt für den Herrn Reichskanzler, wenn diese Frage zu bejahen ist, die Veranlassung vor, sich wegen Abstellung derartiger Mißstände mit der preußischen Regierung ins Benehmen zu setzen? 8

Was nun die letztere Frage betrifft, so erinnere ich daran, daß so⸗ wohl ich wie mein Herr Vorgänger im Amte hier wiederholt den Standpunkt vertreten haben, daß uns ein Eingriff in die Exekutive der Einzelstaaten im Reiche nicht zusteht, daß wir eine Verantwortlichkeit für die Handlungen einzelner Landesbeamter nicht übernehmen können und uns auf Grund der Reichsverfassung ein Einschreiten den Bundes⸗ staaten gegenüber nur insoweit möglich ist, als wir feststellen können, daß die Zentralbehörden der betreffenden Bundesstaaten sich grund⸗ sätzlich mit den Bestimmungen eines Reichsgesetzes in Widerspruch setzen.

Was nun die erste Frage betrifft, so hat der Herr Vorredner ja den Hergang im wesentlichen vorgetragen. Ich erinnere nur noch einmal kurz an folgende Momente: Der Vorsitzende des Aktions⸗ ausschusses des Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine Berlins und Umgegend, Herr Eugen Ernst, und der Herr Landtags⸗ abgeordnete Borgmann haben bei dem Herrn Polizeipräsidenten für den 6. dieses Monats mündlich die Genehmigung zur Abhaltung von Versammlungen unter freiem Himmel und zur Veranstaltung von Aufzügen in Berlin nachgesucht. Der Herr Polizeipräsident hat diese Gesuche mündlich abgelehnt und dann den durch das Vereinsgesetz vorgeschriebenen schriftlich begründeten Bescheid erteilt. Für den Treptower Park, der nicht zum Bezirk des Polizeipräsidiums von Berlin gehört, ist eine Genehmigung zur Abhaltung einer öffentlichen Versammlung bei der zuständigen Ortspolizeibehörde nicht nachgesucht worden, und diese Polizeibehörde hat lediglich die Schließung des Parks angeordnet, nachdem ihr bekannt wurde, daß an Stelle der nicht genehmigten Versammlungen ein Spaziergang im Treptower Park stattfinden ollte, und die zuständige Ortspolizeibehörde von Treptow hat gleich⸗ zeitig den Polizeipräsidenten in Berlin um Unterstützung bei der Aufrechterhaltung dieser Maßregel gebeten. (Zuruf bei den Sozial⸗ demokraten.) Meine Herren, ich habe hier lediglich Tatsachen vor⸗ getragen, die meines Wissens unbestreitbar, im übrigen für die weitere Beurteilung der Dinge auch nicht von übermäßiger Erheblichkeit sind. Es dreht sich lediglich um die Frage, ob der Polizeipräsident in Berlin berechtigt war, die öffentlichen Versammlungen und die damit im Zusammenhange geplanten öffentlichen Umzüge zu verbieten oder nicht.

Meine Herren, es ist gegen die betreffende Verfügung des Herrn Polizeipräsidenten in Berlin die Klage im Verwaltungsstreitverfahren erhoben. Das Verfahren schwebt. Es wird zweifellos durch alle Instanzen getrieben und durch eine letztinstanzliche Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts seine Erledigung finden. Ich muß Bedenken tragen, unter diesen Umständen hier im einzelnen in eine Kritik der Tatsachen einzutreten. (Sehr richtig! rechts.) Wenn die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gefallen ist, dann wird es meine Sache sein, zu prüfen, ob nach der Entscheidung des höchsten preußischen Gerichtshofs für mich eine Veranlassung vorliegt, mich mit dem preußischen Herrn Minister wegen des Verhaltens eines seiner polizei⸗ lichen Organe ins Benehmen zu setzen. Ich möchte aber unabhängig von diesem Spezialfall im Anschluß an die Rechtsausführungen des Herr Vorredners doch kurz auf folgendes aufmerksam machen:

Nach § 7 des Vereinsgesetzes bedürfen öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge auf öffentlichen Straßen oder Plätzen der Genehmigung der Polizeibehörde. Die Genehmigung soll nur versagt werden, wenn aus der Abhaltung der Versammlung oder der Veranstaltung des Aufzugs Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist. Also, meine Herren, der betreffende Beamte, der die Genehmigung erteilt bezw. versagt, muß die Befürchtung haben, daß eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit eintritt. Meine Herren, Sie werden mir alle zugeben, daß damit ein stark subjektives Moment in diese Entscheidung hereingetragen ist. (Hört! hört! und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Sie werden lassen Sie mich weiter reden, meine Herren Sie werden auch bei der objektivsten Handhabung der Dinge bei der Entscheidung über ein derartiges Gesuch den Einfluß von Takt, Temperament und Nerven bei den betreffenden Beamten niemals ausschalten können, obwohl selbstverständlich Tat⸗ sachen vorliegen müssen, die objektiv, nach allgemeiner Beurteilung, geeignet sind, eine derartige Befürchtung zu begründen. (Sehr richtig! links.) Nun werden derartige Tatsachen an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Voraussetzungen ganz verschieden zu bewerten sein. Es ist zweifellos richtig, daß an sich die Absicht, eine politische Demonstration zu veranstalten, nicht allein und unter allen Umständen geeignet ist, die Befürchtung zu begründen, daß eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit eintritt. Es wird überhaupt in den seltensten Fällen der Zweck einer derartigen Veranstaltung allein für die Genehmigung oder Versagung der Genehmigung entscheidend sein können. Derselbe Zweck wird an einem Ort zu ganz unbedenklichen, am anderen Ort zu bedenklichen Veranstaltungen führen können. Es

anstaltung stattfinden soll, seine Größe, seine Zuwege, der Verlauf früherer ähnlicher Veranstaltungen. Es wird zu beurteilen sen die Zahl der Menschenmenge, die Gewohnheiten der Bevölkerung an den verschiedenen Orten. Es wird zu beurteilen sein in welchem Umfange Gefahr vorliegt, daß sich außer den Demon stranten andere Ihrer Disziplin nicht unterworfene, bedenkliche Element an einer derartigen Veranstaltung beteiligen. Unter diesen Umständen ist der preußische Minister des Innern meines Erachtens mit vollen Recht der Ansicht gewesen, daß eine allgemeine Vorschrift über di Voraussetzungen, unter denen eine öffentliche Versammlung genehmig oder nicht genehmigt werden darf, nicht erlassen werden könne, und die Folg⸗ davon ist, daß, wie der Herr Vorredner ja schon erwähnt hat, ein Teil de Polizeibehörden auch öffentliche Aufzüge und Versammlungen zun Zwecke der Wahlrechtsdemonstration in letzter Zeit hat genehmigen können und genehmigt hat, während andere nach ihrem pflichtmäßigen Ermessen geglaubt haben, die Genehmigung versagen zu müssen, Meine Herren, es liegt also gewiß zurzeit für mich keine Veranlassung vor, gegen diese allgemeine, der Entstehungsgeschichte, dem Wortlaut und Sinne des Gesetzes entsprechende Anordnung des preußischen Ministers des Innern irgend welche Schritte zu unternehmen. Wißʒ werden, wie ich vorhin schon gesagt habe, zunächst abwarten müssen, wie die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gegen die be⸗ treffenden Verfügungen des Polizeipräsidenten von Berlin ausfällt. Nun einige Worte noch auf die zweite Frage: Ist das Verhalten des Polizeipräsidenten von Berlin in bezug auf den Wahlrechts, spaztergang anfechtbar oder nicht? Wenn ich sage ausdrücklich wenn, denn ich will mir über diese Frage heute, bevor das Ober⸗ verwaltungsgericht gesprochen hat, kein Urteil gestatten die N⸗ ordnung des Polizeipräsidenten, wonach er die Umzüge und Versamm⸗ lungen unter freiem Himmel verbietet, zu Recht bestand, war er zweifellos auch berechtigt, Vorsorge zu treffen, daß dieses Verbot nicht umgangen wurde, und er hat dementsprechend völlig konsequent die jenigen Herren, welche bei ihm die Genehmigung zu den öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Umzügen nachgesucht hatten, als er von der Absicht eines Demonstrationsspazierganges hörte, darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn dieser Demonstrations⸗ spaziergang den Charakter eines Aufzugs annehmen würde, er genötigt sein würde, ihn zu verhindern. (Zuruf von den Sozialdemokraten⸗ Er hatte doch in Treptow nichts zu sagen!) Meine Herren, ich meime⸗, daß in diesem Punkte der Gang der Ereignisse dem Polizeipräsidenten von Berlin Recht gegeben hat; es handelte sich nicht um einen harmlosen Spaziergang. Ich bin auch im Tiergarten gewesen an dem betreffenden Tage. (Bravo! bei den Sozialdemokraten. Heiterkeit, Meine Herren, wenn große Mengen von Menschen in geschlossenen Kolonnen von Führern auf bestimmte Plätze nach einem einheitlichen Plane dirigiert werden, wenn sie äußerlich durch das Entfalten von roten Fahnen, Hochrufen auf das allgemeine Wahlrecht und dergl. dokumentieren, daß sie eben nicht spazieren gehen wollen, nicht des schönen Frühlingssonnenscheins sich haben freuen wollen, wenn sie entgegen den polizeilichen Intentionen und entgegen dem ergangenen Verbot einen Aufzug veranstalten, so können sie sich nicht darüber beschweren, wenn von seiten der zuständigen Polizeibehörden dagegen eingeschritten wird. Nun besteht, soweit ich unterrichtet bin, in Preußen die Anordnung, daß in solchen Fällen die Polizei durch geeignete Maßnahmen darauf hinwirken soll, daß sich derartige Ansammlungen zerstreuen, daß sie von den Verkehrszentren ab⸗ gehalten und auf andere Straßenzüge abgelenkt werden. Auch das ist eine allgemeine Anordnung, deren Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit niemand wird bestreiten können. Nun behauptet der Herr Vorredner, und es ist auch in der Presse behauptet worden, daß dieser Auftrag durch die ausführenden Polizeiorgane nicht immer in zweckentsprechender Weise erfüllt worden sei.

Es ist behauptet worden, daß einzelne Beamte sich Uebergriffe hätten zuschulden kommen lassen (sehr richtig! bei den Sozial⸗ demokraten), daß sie mit ungeeigneten Mitteln bestrebt gewesen wären, ihre Aufgaben zu erfüllen. Und es ist ferner behauptet worden, daß unschuldige Kinder und Frauen, völlig Unbeteiligte, durch das Ein⸗ greifen der Polizei nicht nur in Schrecken gesetzt, sondern auch in ihrer Gesundheit geschädigt worden wären. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ich bin völlig außerstande, die hier vorgetragenen Einzelheiten zu prüfen. Es gehört auch wie ich in bezug auf meine einleitenden Worte bemerken möchte die Prüfung, die Beurteilung dieser Frage, nicht zur Zuständigkeit des Reichstags, sondern das muß dem preußischen Abgeordneten⸗ hause und der preußischen Regierung überlassen werden. (Sehr richtig! rechts.) Wenn aber tatsächlich unbeteiligte, unschuldige Per⸗ sonen, wenn Frauen und Kinder durch das Eingreifen der Polizei in bezug auf ihr Leben gefährdet, in ihrer Gesundheit geschädigt sein sollten, so ist das sicher auf das äußerste zu beklagen. Es ist zu beklagen nicht bloß vom Standpunkte der betreffenden Opfer, sondern auch vom Standpunkte unserer Polizeimannschaften (Zurufe von den Sozialdemokraten), die wochenlang im schwersten Dienst gestanden haben, und von denen man es wohl verstehen kann,⸗ wenn unter dem Eindruck der Ansprüche, die an sie gestellt werden, die Nerven (stürmische Zurufe von den Sozialdemokraten: Sollen zu Hause bleiben. 300 Trinkgeld dafür! Lebhafter Beifall rechts. Große Unruhe). Meine Herren, die Beamten haben nicht darüber zu befinden, ob sie zu Hause zu bleiben haben, sondern die Beamten haben ihre Pflicht zu tun, und daß ihnen die Erfüllung dieser Pflicht im Laufe der letzten Monate manchmal sehr schwer gemacht worden ist, das werden auch Sie, meine Herren, bei objektiver Beurteilung nicht bestreiten wollen.

Aber wenn man nun im Anschluß an diese Vorgänge, von denen ich nicht weiß, ob sie sich so zugetragen haben, wie sie von dem Herrn Vorredner im Anschluß an Preßmitteilungen dargestellt sind, sagt, daß für diese Vorgänge verantwortlich wäre der leitende Staatsmann, wenn man dafür verantwortlich macht das System Bethmann Hollweg, ja, dann möchte ich Sie doch darauf aufmerkam machen, daß die Verantwortung in erster Linie diejenigen tragen, welche ohne die Genehmigung eines Aufzuges (stürmische Zurufe von den Sozial⸗ demokraten, lebhafte Zustimmung rechts, erneute Zurufe von den Sozialdemokraten) im Widerspruch mit den Gesetzen eine derartige Veranstaltung getroffen haben und damit der Polizeibehörde nicht nur die Möglichkeit, sondern in gewissen Grenzen auch die Pflicht gegeben haben, einzuschreiten. (Lebhafter Beifall rechts, stürmische Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Auf den Antrag des Abg. Bebel (Soz.) wird in die Be⸗

wird in Frage kommen die Lage des Platzes, auf dem die Ver⸗

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sprechung der Interpellation eingetreten. v“

ö 1 im 95 18h, 8sm ebn g eptr. SWirh däcihn dexnen ses merhen dar⸗ 8 Gefahr für die zffentliche g. ne hann ürchten ist, nicht aber im Interesse der Aufrechterhaltung der öffent⸗ lichen Ordnung. Ob eine solche Gefa keen Fall zu Fall entschieden werden. Die En svortiegt, 1 66 örtlichen Verhältnisse bedingt sein müssen; fällt sie verschieden aus, so kann durchaus nicht gefolgert werden, daß eine Entscheidung eine unrichtige gewesen wäre. Man wird auch nicht bestreiten können 5. bei einem Massenaufgebot (es wurde von 200 000 Menschen E11““ e Gsfahs 8— liegen kann, zumal in großen Städten, an disziplinierte Masse r ei 8 disziplinierte Elemente anschlirßenn können dasen links; n. seiche in. können Sie jede Versammlung verhindern!), die solche Gelegenheit nur benützen, um ihrem Mutwillen, ihrem Zerstörungstrieb oder gar ihren verbrecherischen Instinkten Rechnung zu tra vi Man kann Fer nicht verhüten, daß auf beleidigende, Rufe auch Ant⸗ worten aus der umstehenden Menge erfolgen; die Erfahrung lehrt daß nur zu häufig auf Worte Tätlichkeiten folgen. Das Gesetz sieht vor, daß die Entscheidung angefochten werden kann; das Verwaltungs⸗ streitverfahren ist eingeleitet, in diesem Stadium ist eine Stellung⸗ nahme des Reichstags durchaus unangebracht. 1 8. 8 Abg. Dr. Junck (nl.): Es handelt hier sich lediglich um die luslegung des § 7 des Reichsvereinsgesetzes. Zunächst steht noch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Daus. Wir gehen davon aus, daß die Anwendung eines Reichsgesetzes wie des Vereinsgesetzes der Gegenstand der Besprechung im Reichstage sein kann, wenn auch die Ausführung den Einzelstaaten obliegt. Wir müssen aber die Beschränkung din ufa ee daß nicht jeder Einzel⸗ fall dem Reichstage Veranlassung geben sollte, ihn vor sein Forum zu ziehen. Es liegt hier nur vor die Maßnahme eines einzelnen eamten, des Berliner Polizeipräsidenten, und gegen diese Maß⸗ nahme ist Einspruch erhoben worden. Solange die letzte Ent⸗ scheidung nicht ergangen ist, kann man nicht davon reden, daß das Reichsvereinsgesetz von einem Bundesstaat prinzipiell falsch angewendet worden ist. Richtig ist, daß eine Versammlung unter freiem Himmel nicht schon versagt werden darf, weil Gefahr für die öffentliche Ordnung besteht; es muß bestehen eine Gefahr für ee öffentliche Sicherheit. Diese Frage darf nicht rein subjektiv mit den ‚Nerven des betreffenden Beamten begründet werden ob die Gründe ausreichen, die Genehmigung zu versagen das eine Frage, über die mit vollem Recht die Entscheidung der höheren Instanzen anzurufen ist. Persönlich habe ich große Zweifel, ob die angegebenen Gründe ausreichen. Die Interpellation ist nur eine retrospektive Kritik, und damit hätte man sehr wohl bis nach der Entscheidung der obersten Instanzen warten können. Es handelt sich also nur um einen konkreten Fall, wo zudem die obersten Instanzen noch nicht gesprochen haben. Es lag also kein Gruud vor F Haterenattb ei ubeingen; dieser Fall wird wirklich nicht dazu eitragen können, die Erweiterung des J. vellationsrechts, wie ichtpeg ütnfcge he g des Interpellationsrechts, wie auch 8 Abg. Freiherr von Richthofen (dkons.): Wenn wir uns an der Debatte beteiligen, so geschieht es nur deshalb, weil der zVorwärts behauptet, wir fürchteten uns vor der öffentlichen Behandlung der Sache. Davon kann gar keine Rede sein. Das Verbot rechtfertigt sich nach dem Gesetze nur durch die Rücksicht auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Es ist bisher nicht hervorgehoben, aber selbstverständlich, daß man zur Verhütung dieser Gefährdung auch die Vornahme von strafbaren Handlungen ver⸗ hindern muß. Dem Berliner Polizeipräsidenten kann ich wohl nachfühlen, daß er die Berechtigung zu seinem Verfahren für gegeben ansah nach dem Verhalten der Demonstranten am 13. Februar. Da sind nicht bloß die ordnungsmäßig angemeldeten Versammlungen gewesen, sondern es haben im Anschluß daran öffent⸗ liche Aufzüge und öffentliche Versammlungen mit Ansprachen statt⸗ gefunden am Humboldthain und am Schlesischen Tor, Versamm⸗ lungen, die nicht angemeldet waren und also ungesetzlich waren. In dem ganzen Verhalten der Sozialdemokraten war zu erkennen daß sie Gesetzwidriges tun wollten; mit vollem Bewußtsein wollten sie die Ruhe stören. (Stürmische Unterbrechungen bei den Sozial⸗ demokraten.) Im „Vorwärts“ hatte ausdrücklich gestanden: Keine Ruhe in Preußen! Darüber lagen Tatsachen vor, die das Ein⸗ schreiten der Polizei zu rechtfertigen geeignet sind. An andern Orten ist es anders zugegangen, in Frankfurt a. Main haben die Gerichte zu tun bekommen, es sind Verurteilungen bis zu zwei Jahren erfolgt; auch das mußte von dem Polizeipräsidenten in Erwägung gezogen werden, und so ist subjektiv sehr be reiflich, daß er die Versammlung verbot. Der „Vorwärts“ hat dann trotzdem zum Wahlrechts⸗ spaziergang aufgefordert; es wird sich noch zeigen, ob diese Auf⸗ forderung straffällig ist, jedenfalls enthält sie die Auf⸗ forderung zum Ungehorsam gegen die polizeilichen Anordnungen. (Erneutes stürmisches Gelächter bei den Sozialdemokraten.) Nachdem die Genehmigung nicht erteilt war, hatte die Leitung eine andere Parole ausgegeben, sich am Großen Stern einzufinden (Zuruf bei den Sozialdemokraten) und die Versammlung am Großen Stern hat stattgefunden. Jedenfalls sind von Automobilen aus usw. Reden ehalten und es ist die rote Fahne gezeigt worden. Wenn das keine Provokation der Polizei ist, dann weiß ich nicht, was eine Provokation sein soll. Der „Vorwärts“ schrieb doch: Das revolutionäre Banner vor dem Reichstagsgebäude. Ist das keine Provokation? Es ist nicht bewiesen, daß die Polizei ungesetzlich vorgegangen ist. Wir warten, ob bewiesen werden kann, daß Frauen niedergeritten sind usw. Ich kann bis auf weiteres nur annehmen, daß das Verhalten der Sozialdemokraten der Polizei zum Einschreiten Veranlassung gegeben hat. Ich kann der Polizei für ihr ruhiges Vorgehen nur meine Anerkennung aussprechen. Ich kann nur hoffen, daß sie gegen ein solches Revolutionieren der Massen vorgehen wird, wenn nötig mit schärferen Mitteln. Ich halte die Interpellation für unbegründet. Abg. Dr. Müller⸗Meiningen (fortschr. Volksp.): Wie haben sich doch die Zeiten seit den Tagen der Beratung des Vereinsgesetzes geändert, daß der Abg. von Hertling eine solche Rede halten konnte! Karl, wie hast Du Dir verändert! Er hat über § 7 eine so reaktionäre Auffassung zum besten gegeben, an die keiner bei Erlaß des Gesetzes gedacht hat. Wir haben aber gewußt, daß die Polizei

alles anwenden würde, um diesem Gesetze ein Schnippchen zu schlagen. Ueber die Haltung der Konservativen wundern wir uns ja nicht. Vor dieser harmlosen Demonstration am Sonntag hatten sie beinahe eine pathologische Angst. Das rote Tuch hat auf den Freiherrn von Hertling und den Freiherrn von Richthofen beinahe gleich gewirkt. Die Interpellation ist zu sehr spezialisiert, es handelt sich hier um das Glied einer ganzen Kette. Es handelt sich um ein preußisches System, alle Versammlungen unter freiem Himmel nach einer bestimmten Schablone zu behandeln. Nach der Auslegung der preußischen Polizei können alle Ver⸗ sammlungen unter freiem Himmel verboten werden. Der Staats⸗ sekretär hat im Januar gesagt, er werde alles Material, das ihm zu⸗ getragen sei, den Bundesstaaten übermitteln; er habe die feste Ueber⸗ zeugung, daß die Zentralbehörden der Einzelstaaten eine Entscheidung treffen werden, die dem Kraftbewußtsein eines gut regierten Staates entsprechen. Wir meinen, daß die Haltung der preußischen Polizei diktiert ist von Angstmeierei. Vom Rechtsstandpunkt muß gesagt werden, daß das Verbot rechtlich unhaltbar erscheint. Die Kommission hat mit dem Begriffe der „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ einen ganz engpräzisen Kompler von Tatsachen gemeint. Deshalb wurden auch die Worte „öffentlichen Ordnung“ gestrichen. Ich hatte beantragt, daß nur die Gefährdung des öffentlichen Verkehrs das Verbot begründen dürfe. Darauf wurde mir erwidert, allerdings solle nur der öffentliche Verkehr geschützt werden, es müßten aber noch andere Rechtsgüter geschützt werden, und darum möge man die Worte: „öffentliche Sicherheit“ wählen. Die Ausführungsbestim⸗ mungen der süddeutschen Staaten zeigen, daß man tatsächlich nur einen ganz bestimmten engbegrenzten Komplex von Tatsachen unter diese zöffentliche Sicherheit“ subsummieren wollte. Der Staatssekretär hat heute ausgeführt, es müssen Tatsachen vorliegen, die die Befürchtung begründen, daß die öffentliche Sicherheit bedroht sei; maßgebend sei

6“ v 8 die Lage des Platzes, die Zugänge usw. Der Treptower ark li doch an der Briönn von Herfin. Wir können Fiog 8 daß 88 Versammlung vom Herzen von Berlin hinaus in die Peripherie ver⸗ legt war, und durften den Leuten das nicht erschweren. Der Treptower Park ist eine Million Quadratmeter groß. wo von einer Verkehrs⸗ störung keine Rede sein kann. Eine Reihe von Kollegen hat festgestellt, daß die Hürtung der Demonstranten eine tadellose zu nennen war, die Disziplin wurde aufrecht erhalten. Woher weiß der Staatssekretär, daß jene Tausende sich nicht des ebens gefreut haben? Er war ja auch dabei. Ich war in der Nähe des Reichstags und ich muß sagen: Ich kann nur bestätigen was eine Reihe von Augenzeugen aus meiner Partei beobachtet haben, daß die Leute sich tatsächlich musterhaft benommen haben. Es gibt eine große Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Berlin, das cheint mir das System des Polizeipräsidenten von Jagow. Ich möchte dem Reichskanzler und dem Staatssekretär raten, mit Othello zu sprechen: Verlaß mich Jagow! Gesetzwidrig handelt derjenige nicht, der einer solchen Versammlung, auch wenn sie verboten ist, beiwohnt. Die Leute haben auch nach dem Reichs⸗ vft ee a h nicht ungesetzlich gehandelt. Der Kollege Gothein und andere haben bestätef daß die berittene Schutzmannschaft in unglaublicher Weise, blind, nervös, gegen die Massen vorgegangen ist. Daß die Polizei etwas verärgert war, rechtfertigt ihre Nervosität nicht. Die Tätigkeit des Polizeipräsidenten als Erzieher des deutschen Volkes müssen wir ablehnen; er hat sonst gerade genug zu tun, als das Publikum schulmeistern zu wollen, wie er es tatsächlich tut. Wozu diese Aufreizung durch solche Verbote? Wir klagen nur das System an Die einzelnen Schutzleute sind ja sehr wohl zu entschuldigen. Daß sie wegen der Kasernierung nervös waren, ist zu begreifen. Ich moͤchte an beide Teile die dringende Warnung richten; die Folgen zu hebten man soll nicht mit dem Feuer spielen. Ein gefährlicher Janhagel, der im Trüben fischen will, drängt sich allmählich, das konnte man schon am Sonntag sehen, in vordringlicher Weise an die politischen Demonstranten heran Vom Ochsenziemer greift er eines schönen Tages zum Revolver, und das könnte vielleicht gewissen Scharfmachern nur erwünscht’ sein Wer zahlt die Zeche bei solchem Blutvergießen? Die liberale Bürger⸗ schaft und die Arbeiter. Das brutale Benehmen der Polizeiorgane muß aber ebenso aufhören, denn es ist nur geeignet, die Aufregung zu vergrößern. Die kleinliche Nadelstichpolitik gegen einzelne politische Parteien auf dem Gebiete des Vereinsgesetzes muß beseitigt werden. Das deutsche Volk ist so reif wie das englische; es braucht solche kleinliche Polizeischikane nicht mehr.

Abg. von Dirksen (Rp.): Ich hätte mich nicht gewundert, wenn heute eine Interpellation eingegangen wäre, des Inhalts, was der Reichskanzler zu tun gedenke, die ungesetzlichen Vorgänge vom letzten Sonntag zu verhindern und der Bevölkerung die widerre tlich von der Sozialdemokratie beschlagnahmten Straßen und Pliätze wieder zur Verfügung zu stellen, und wir hätten die Interpellation ern unterstützt. Wenn aber die Sozialdemokraten die Unverfroren⸗ eit haben (stürmische Unterbrechungen bei den Sozialdemokraten; Vizepräsident Spahn rügt diesen Ausdruck) dann will ich ihn durch Unbefangenheit ersetzen —, so ist das doch ein starkes Stück. Schon seit Jahresfrist wird von der Sozialdemokratie das Recht auf die Straße verkündet: zahllose Versammlungen haben stattgefunden und die Provokation der Polizei und der friedliebenden Bevölkerung wurde ganz planmäßig betrieben. Am letzten Sonntag sollte dieses Recht noch energischer betont werden und da ist auch der friedlichen Bevölkerung endlich einmal die Geduld Frissen. Neuer Gesetze bedarf es die vorhandenen und das Reichsvereinsgesetz § 7 genügen vo lständig. Im ganzen haben sich ja die Demonstranten ruhig benommen; aber diese Demonstrationen können Aufregung in die Kreise der po⸗ litischen Gegner der Demonstranten bringen, und es können leicht Tausende von Undisziplinierten hinzustoßen und alles in Frage stellen. Es war kein S aziergang, sondern ein lange vorbereiteter Demonstrationszug; mit so kindischen Bezeich⸗ nungen wie Spaziergang sollte man uns nicht entgegentreten. Dazu sind die Zeiten zu ernst. Es handelt sich, das bezeugen ja die Apostrophe im „Vorwärts“, um eine hochpolitische Demonstration nicht um einen Spaziergang mit Kinderwagen. Die „Leipziger Volkszeitung“ meint, die Arbeitermassen hätten es geschafft, den hauenden Säbel und die schießende Flinte der Polizei aus der Hand zu winden; eine solche Arbeiterschaft bringt alles fertig. Auch die „Kölnische Zeitung“ schreibt, es hätte jedem Zuschauer aus den Demonstrationszügen ein Hauch entgegenweht, der mit äußerster Besorgnis erfüllen müsse. Trotz der Zeugnisse des Abg. Dr. Müller⸗ Meiningen steht es fest, daß im Tiergarten den Schutzleuten die Worte „Bluthunde! Schufte!“ und anderes entgegengerufen worden ist. Es wurden rote Fahnen entfaltet, es wurde die Arbeitermarseillaise gesungen, es wurde gerufen: Nieder mit der Junker⸗ und Pfaffenwirt⸗ schaft! Also es war eine politische Demonstration ernstester Art. Nach dem Zeugnis der „Kölnischen Zeitung“ hat auch die Polizei sich sehr maßvoll benommen. Wir müssen es ablehnen, die Interpellation zurzeit als berechtigt anzuerkennen. Wir gönnen dem arbeitenden Volk mit vollem Herzen den ruhigen arbeitsfreien Sonntag und das Ergehen in der frischen Natur; aber das darf nicht gemißbraucht werden durch unverantwortliche Führer von Sozialdemokraten. Wir danken dem Polizeipräsidenten für seine Leistungen und seinen Organen für ihre Tätigkeit, die sie unter den erschwerendsten Umständen haben leisten müssen; die 300 sind durch einen unqualifizierbaren Zwischenruf als „Trinkgeld“ bezeichnet worden. Ich wünsche nur, daß das Auftreten der Polizei in den verschiedenen Städten einheitlicher sein möge. Es handelt sich nicht um eine momentane Erscheinung, sondern um eine Erscheinung, die zu den größten Bedenken herausfordert. Hat doch Liebknecht schon den Massenstreik angekündigt, der von selbst kommen werde; das ist ein ernstes Wort der Mahnung, über das man nicht leichten Herzens hinweggehen sollte. Haben wir noch zwei, drei Fuücht Sonntage, dann bekommen wir vielleicht den Massenstreik; auch das sollte die Regierung bedenken. Auf dem Festmahl der fortschrittlichen Volkspartei hat der Abg. Haußmann gesagt: „Die höchste Freiheit ist die

höchste Ordnung“; da hätte man erwarten sollen, daß der Abg. Müller (Meiningen) die höchste Unordnung vom letzten bdes nhg Ien so warm verteidigen würde. Volksrechte kann man nicht durch Straßen⸗ bernmgse tener errei er .r. Abg. von Czarlinski (Pole): Auch meine Partei verurteilt au schärfste jeden Uebergriff der Pee. ch p 8

Abg. Liebermann von Sonnenberg (wirtsch. Vgg.) verliest eine Erklärung, in der es heißt: Seit einiger Zeit betreibt die Sozialdemokratie die Aufpeitschung der Massen, und es ist bereits zu Ausschreitungen, zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gekommen. Das Urteil darüber, ob das Vorgehen des Berliner Polizeipräsidenten Feneckent eehnd und geboten war, be⸗ halten wir uns bis nach der Entscheidung des Oberverwaltungs⸗ gerichts vor. Wir weisen aber darauf hin, daß die Demonstrationen von ihren intellektuellen Urhebern als revolutionäre Vorübung be⸗ zeichnet sind. Die Frage, ob durch die öffentlichen Massenansamm⸗ lungen die öffentliche Sicherheit gefährdet wurde oder nicht, vermag am besten die Polizeibehörde zu übersehen, die ihrerseits die Ver⸗ antwortung für die Uebergriffe trägt. Wir glauben, daß es die unabweisbare Pflicht aller bürgerlichen Parteien wäre, einmütig dieser Gefährdung des Volkes entgegenzutreten.

Abg. Werner (Rfp.): Wir enthalten uns jeder Stellungnahme bis zur Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Wir verurteilen die Massenansammlungen, die es dem friedlichen Staatsbürger un⸗ möglich machen, die öffentlichen Wege zu benutzen, und wir erwarten, daß die Polizei auch die friedlichen Staatsbürger, die ihren Sonntag haben wollen, ebenso wie die Sozialdemokraten schützt.

Abg. Heine (Soz.). Es besteht hier tatsächlich eine Analogie zwischen der Köpenickiade und der Treptowiade. Die geniale Idee, uns auf die Entscheidung des Oberverwaltungs⸗ gerichts zu verweisen, können wir nicht ernst nehmen. Das Ver⸗

fahren schwebt. Es wird noch lange schweben, darin bin ich Praktikus. Vor. do Nachwahl im Wahlkreis Et. Goar wurden uns vom Zentrum

die Versammlungslokale abgetrieben, Versammlungen unter freiem Himmel aber wurden uns verboten mit der Be ründung, das all mächtige entrum würde in eine folche gewaltige Aufregung geraten, daß es sich zu Gewalttätig keiten hinreißen ließe. Aber wir sind gute Kerle, wir haben dem Zentrum eine solche Neigung zum Knüppel⸗ heldentum gar nicht zugetraut, sondern den Instanzenweg beschritten. Die Nage beim Oberverwaltungsgericht „schwebt“. Es wird noch ein Jahr dauern, bis wir mit unserem Termin an die Reihe kommen. Will man einer Partei, die um ihre politischen Rechte geprellt werden soll, zumuten, so lange das Maul zu halten?

zenn man uns auf den Instanzenzug verweist, so wissen wir schon, daß die Sache verschleppt werden soll. Außerdem wüßte ich keine höhere Instanz als den Deutschen Reichstag. Nach ihm hat das Oberverwaltungsgericht sich zu richten. (Zuruf rechts: Unabhängige n e ge. Die unabhängigen Richter haben sich zu richten nas dem Willen des Gesetzgebers. Wir lassen uns diesen nicht dur Juristenkunststücke aus dem Gesetz heraus⸗ interpretieren. Das Zentrum braucht keine Versammlun ghekale um seine Leute bei der Fahne zu halten. Ihm steht jeden onntag ein Versammlungslokal zur Verfügung, so schön und groß, wie wir es nicht zu haben pflegen. (Zurufe aus dem Zentrum: Gehen Sie doch in die Kirche!) Dort wird den Leuten gesagt, wo der Teufel sitzt und daß sie für ihn nicht stimmen sollen. Wenn einer für die Ausführung des Vereinsgesetzes verantwortlich ist, so ist es der jetzige Reichskanzler, der fruͤhere Staatssekretär des Innern. Ich erinnere mich noch lebhaft seiner liberal schillernden Er⸗ klärungen. Sie glichen den heutigen des Staatssekretärs Delbrück. Glücklicherweise hören nun auch andere Leute auf, zu glauben, was vom Ministertisch in dieser Art erklärt wird. Der Kritik des Reichs⸗ tages unterliegt die Exekutive sehr wohl, denn dem Reiche liegt die Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze ob. Bei dem Wahlrechtsspaziergang bestand nicht die geringste Gefahr, daß un⸗ beteiligtes Publikum in die Demonstration hineingezogen wurde. Der Park ist vollständig abgeschlossen und enthält keine unumgäng⸗ liche Verkehrsader. Wenn wir eine Revolution beginnen wollten würden wir nicht nach Treptow ziehen, wo die Familien Kaffee zu kochen pflegen, das würde der Strategie des Präsidenten von Jagow ent⸗ prechen, aber wir sind nicht so dumm. Man muß doch auch die Berliner kennen. Die Vorgänge vom 13. Februar ebenso wie die am letzten Sonntage haben den Beweis erbracht, daß die Sicherheit nicht gefährdet wird. Es hätte nahe gelegen, daß dort, wo die feingeputzten Herren und Damen spazieren, ein s böttisches Wort gefallen wäre, aber selbst das ist nicht geschehen. 8 war geradezu rührend, wie diese dichtgedrängten Massen meiner Parteis enossen riefen: „Macht Platz, es kommen Kinder“, ganz 8 Rücksicht darauf, zu welcher Bevölkerungsklasse diese gehörten. Ich habe auch keine bessergekleideten Leute gesehen, die Angst gehabt hätten. Aus meiner 25 jährigen Erfahrung weiß ich, daß sich der Janhangel an sozialdemokratischen Versammlungen nicht beteiligt das mag bei antisemitischen Versammlungen der Fall sein, bei Paraden und ähnlichen patriotischen Veranstaltungen. Die Sozial⸗ demokratie weiß sich solcher Elemente zu erwehren. Der Spaziergang im Tiergarten war eine politische Demonstration, aber in durchaus legaler Form, indem die Demonstranten die öffentlichen Wege und Plätze dazu benutzten, wozu sie da sind, für den Verkehr, wie der Präsident von Jagow sagt, wo aber die Polizei diesen legalen Verkehr zu verhindern suchte. Wir wissen sehr gut, daß kein Mensch im Deutschen Reiche ein Interesse an blutigen Zusammenstößen hat, als nur die Reaktionäre. Der Abg. von Dirksen sang das alte Lied: Ja, die Sozialdemokratie benimmt sich ruhig, aber die Gegner derselben ärgern sich über sie so daß sie zu Gewalttätigkeiten greifen. Mit derselben Begründung werden alle Versammlungen verboten, von dem kleinsten litauischen Nest bis St. Goar. Wenn sich der Abg. von Dirksen an die Spitze der Konservativen in Berlin setzte, um die Demonstrationen der Sozial⸗ demokratie zu verhindern, in einer Droschke würden sie alle Platz finden. „Der Abg. von Richthofen meinte, solche Ver⸗ sammlungen müßten verboten werden, weil im „Vorwärts“ gestanden hätte: „Keine Ruhe⸗. Dann müßte ja auch die Oper Don Juan verboten werden, die mit den Worten beginnt: Keine Rubh bei und Nacht. Wenn Sie (nach rechts) mit ihren Auto⸗ mobilen durch die Dörfer rasen, dann fragen Sie auch nicht nach der öffentlichen Sicherheit; beim Pistolenduell kehren Sie sich auch nicht daran. Eine Gefährdung des Verkehrs gefährdet auch nicht die öffentliche Sicherheit. Juristisch steht für uns die Sa e glänzend. Das Verbot des Präsidenten Jagow ist absolut unhalthar. Wenn Leute friedlich und ruhig spazieren gehen, so ist das keine Versamm⸗ lung, selbst dann nicht, wenn einmal ein Demonstrationsruf erschallt. Auch moralisch steht die Sache für uns günstig. Denn wir haben die Lacher für uns. Der Polizeipräsident begann afs Napoleon mit dem Stil, als befände er sich unter den Pyramiden; weiter kann man den Lakonismus nicht treiben. Wie war die Fortsetzung? Sein Lakonismus verwandelte sich in phrasenhafte Redseligkeit. Der Prä⸗ sident von Jagow macht es nicht wie der Reichskanzler, dem vor⸗ geworfen wurde, er hätte keine Fühlung mit der Presse. Seine Kundgebungen sind weitschweifig, inhaltlos, man kann sagen: Nach ihm ist die Zahl der Demonstranten immer mehr zusammengeschrumpft; schließlich ist gar keiner dagewesen. Von and rer Seite werden uns Vorwürfe gemacht, daß wir die Sache nicht richtig angefangen haben. Kann man die Sache besser machen, als wenn man die Leute im März in den April schickt? Es ist nicht richtig, daß wir einen Geheimdienst haben. Unsere Organisation ist ganz öffentlich, ihre Statuten liegen gedruckt vor. Daß die Schutzleute, die zwei Meilen weit nach dem Großen Stern getrieben werden, sich ärgern, ist Fecgretin ‚sie sollten sich aber nicht über uns, sondern über das verkehrte Syftem ärgern, das sie dazu treibt. Selbst das blindwütige Einhauen der Schutzleute möchte ich entschuldigen und die ganze Schuld den Vorgesetzten Ehen. Das nächste Mal wählen diese Schutzleute uns, des können ie sicher sein, bei den Landtagswahlen, auch bei den Kommunal⸗ wahlen. Das Reichstagsgebäude wird nicht entweiht, wenn auf seinen Stufen sozialdemokratische Kundgebungen stattfinden; solche Kundgebungen finden alltäglich im Reichstage selbst statt, und Sie werden zugeben, daß diese etwas gefährlicher sind als die rote Fahne. Der verehrte frühere Präsident Graf Ballestrem pflegte jeden 8* eine rote Fahne zu entfalten (gemeint ist das rote Taschen⸗ tuch des damaligen Prösidenten), und wir haben uns jedesmal dar⸗ über gefreut. Im Tiergarten flatterte ein Stück roten Tuches, und es standen zwei Schutzleute stundenlang dabei. Ich bin überzeugt, daß diese die einzigen waren, die sich darüber ärgerten. Wir ver⸗ langen, daß uns das Recht werde, Versammlungen unter freiem Himmel zu veranstalten. Die kleinlichen Mittel der Strafanträge se solche, die einen Spoaziergang machen, der als Ver⸗ ammlung angesehen wird, werden nicht verfangen. Die Polizei hat das Schwert bekommen, nicht um selbst Unfug zu begehen, nicht um gegen eine Menge, die sich vielleicht auf Umwegen ihr Recht sucht, brutal vorzugehen. Ein Niederreiten der Massen ist nicht nur eine Roheit, sondern ein Verbrechen. Legt die Polizei weiter das Gesetz in ungesetzlicher Weise aus, so fällt die Verantwortung der Polizei zu, wenn Unregelmäßig⸗ keiten vorkommen.

Damit ist die Besprechung der Interpellation erledigt.

Abg. Kirsch (Zentr.) erstattet für die Geschäfts⸗

ordnungskommission mündlichen Bericht über den vom Abg. Geck gestellten Antrag, die Genehmigung zur Fort⸗ führung einer gegen ihn schwebenden Privatklage zu erteilen. Die Kommission schlägt vor, die nachgesuchte Genehmigung aus prinzipiellen Gründen zurzeit zu versagen. 1—

Abg. Geck (Soz.) erkennt an, daß die Kommission ihm etwas entgegengekommen ist, bittet aber, seinen Wünschen zu entsprechen und seinen Antrag anzunehmen, um seinem politischen Gegner, einem badischen Abgeordneten, in der Berufungsinstanz Gelegenheit zu eben, den Wahrheitsbeweis für die von ihm aufgestellten Be⸗ auptungen zu führen.