1910 / 92 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 20 Apr 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Darauf wurde die Beratung über diesen Gegenstand ab⸗ ebrochen und der Dringlichkeitsantrag Vukovie e dalmatinischen Anschlußbahnen weiterberaten.

Großbritannien und Irland.

Im Ober hause gab gestern Lord Crewe, laut Bericht des „W. T. B.“, in Beantwortung einer Anfrage folgende Erklärung über die Geschäftslage ab:

Die Regierung sei bereit, die Vetoresolution sofort vorzunehmen, aber er höre, daß es bequemer sein würde, wenn die Debatte nach der Frühjahrspause, ungefähr am 24. Mai, stattfinden würde. Die auf den Vetoresolutionen basierte Gesetzesvorlage werde vor dem Beginn der Debatte veröffentlicht werden. Das Budget werde am 28. d. M. im Oberhause zur Debatte gebracht und die Königliche Zustimmung am nächsten Tage erklärt werden, wenn nicht die Lords die Debatte

Ffesängene sollen. Er könne keine Angabe machen, wann Roseberps. -

eformresolution zur Debatte gelangen würde, aber er meine, es sei vielleicht praktisch, sie vor der vorgeschlagenen Vertagung am 29. d. M. zu diskutieren.

Im Unterhause führte in der gestrigen Sitzung der Schatzkanzler Lloyd George bei der Einbringung des alten Budgets für 1909/1910, obiger Quelle zufolge, aus:

Obschon ein tatsächliches Defizit von 26 248 000 Pfd. Sterl vor⸗ handen sei, würde dies durch die Erhebung der noch rückständigen Staatseinkünfte mehr als ausgeglichen werden und sogar ein Ueber⸗ schuß von 2 960 000 Pfd. Sterl. vorhanden sein. Wenn die Lords das Budget nicht verworfen hätten, was zu einem Verlust des Schatz⸗ amts durch Nichtbezahlung von Einkommensteuern, Stempelsteuern, Zollen und anderen Beträgen geführt habe, würde der Ueberschuß für 1909 4 200 000 Pfd. Sterl. betragen haben. Wenn die Un⸗ gewißheit für die Industrie nicht existiert hätte, hätte die Whiskysteuer den Ueberschuß um weitere 1 250 000 Pfd. Sterl. gesteigert. Während der Dauer von vier Monaten hätten sich die Finanzen des Landes in einem Zustande der Verwirrung be⸗ funden, und doch habe die Regierung drei Millionen Pfund aus den Staatseinkünften des Jahres zur Verminderung der öffentlichen Schuld verwendet und einen Ueberschuß von 2 900 000 Pfund erzielt, der eben⸗ falls für die Verminderung der Schulden oder zu jedem anderen Zwecke, den das Haus wählen sollte, verwendet werden könne. Er glaube nicht, daß irgend ein anderes Land dies fertig bekommen hätte, und es sei lächerlich, wenn behauptet werde, daß die Finanzwirtschaft des Freihandelssystems versagt habe und das gesamte fiskalische System zusammengebrochen sei. Es gebe kein anderes fiskalisches System, das aus einer so starken Anspannung, wie sie dem Lande auferlegt worden sei, so triumphierend hätte hervorgehen könnnen.

Türkei.

Die Pforte hat, nach einer Meldung des „W. T. B.“, ihren Botschafter in Paris beauftragt, bei der dortigen Re⸗ gierung Vorstellungen darüber zu erheben, daß ein Offizier eines französischen Postens in Kawar an der Grenze des Sudan⸗ gebietes eine türkische Karawane habe anhalten und über 20 Kameltreiber, die dem räuberischen Stamme der Tibu an⸗ gehörten, töten lassen.

Amerika.

Im canadischen Haus der Gemeinen stand gestern die Klausel der Flottenbill zur Beratung, die besagt, daß die canadische Flotte ohne einen im Geheimen Rat erlassenen formellen Befehl des Generalgouverneurs nicht in Aktion treten kann.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ erklärte der Premierminister Sir Wilfrid Laurier, daß England in der Vergangenheit schon in solche Kriege verwickelt gewesen sei, daß Canada unmöglich an ihnen hätte teilnehmen können, z. B. in der Krim und in Aegypten. Wenn natürlich Großbritannien ernstlich in Gefahr geraten sollte, so würde die Woge der Begeisterung das ganze Reich überfluten, und dann würden die ganze Flotte und alle Hilfsquellen Canadas dem Mutterlande zur Verfügung stehen. Der Führer der Opposition Borden sagte, das Geschick des Reiches könnte binnen zehn Tagen entschieden sein, und die canadische Flotte könnte nur geringe Unter⸗ stützung bringen, wenn immer erst eine formelle Erlaubnis nötig wäre.

Das Haus nahm einen Antrag an, der die Regierung er⸗ mächtigt, im Falle der Not alle Docks und Werften den britischen Behörden zu überlassen.

Koloniales.

Wiie aus dem Ambolande in Deutsch⸗Südwestafrika

amtlich berichtet wird, haben im Monat Januar, von der Grenze Portugiesisch⸗Westafrikas kommend, die Station Namutoni südwärts 546 Ovambos passiert, von denen der größte Teil für die Diamanten⸗ felder angeworben wurde; 180 kehrten nach dem Ovambolande zurück. Die Station Okaukwejo passierten südwärts: 163 Ondongas, 82 Uukuambis, 128 Uukuanjamas und 62 Ongandjeras; es kehrten zurück: 69 Ondongas, 37 Uukuambis und 9 Ongandjeras. Die Station Outjo passierten, aus dem Ovambolande kommend: 123 Uukuan⸗ jamas, 91 Uukuambis, 31 Ongandjeras und 210 Ondongas; es kehrten zurück: 38 Uukuanjamas, 57 Uukuambis, 5 Ongandjeras und 48 Ondongas.

Die Ovambo⸗Großleute Itope und Martin befinden sich zur⸗ zeit auf dem Transport von Otjeru, wo ihnen vorläufige Zuflucht gegen Verfolgungen Kambondes gewährt worden war, nach Kub. Sie sollen dort beschäaftigt und daraufhin kontrolliert werden, daß eine Verbindung mit ihren Anhängern nicht stattfindet. Ein Verlassen des ihnen angewiesenen Wohnsitzes wird ihnen vorläufig nicht ge⸗ stattet werden.

Am 5. März verstarb nach einem Bericht des Gouvernements von Deutsch⸗Südwestafrika in Warmbad der Bondelkapitän Johannes Christian. Die Bondels verhalten sich ruhig. An die Spitze des Bondelstammes ist ein Rat, bestehend aus den Vorleuten Joseph Christian, Onkel des verstorbenen Kapitäns, Jakobus Christian und Abraham Kaffer, getreten.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die gestrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Zweiten und Dritten Beilage.

Der Reichstag erklärte in seiner heutigen (68.) Sitzung zunächst eine Reihe von Petitionen für erledigt, die die Petitions⸗ sommission zur Erörterung im Plenum für ungeeignet erachtet hatte, und setzte sodann die Generaldiskussion des Entwurfs einer Reichsversicherungsordnung fort.

Abg. Enders (Fortschr. Volksp.): Nach dem bisherigen Verlauf der Debatte ist dem Entwurf ein günstiges Prognostikon kaum zu stellen. Das ist bedauerlich. Wir hätten doch alle Veranlassung, wenigstens die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf das Hausgewerbe unter Dach und Fach zu bringen. Seit zwei Jahren arbeitet der Reichstag an einer Abänderung der Gewerbeordnung, die die traurige Lage Heimarbeiter zu bessern beabsichtigt; noch immer sind diese Arbeiten nicht zum Abse gekommen. Umsomehr ha wir Ursache, wenigstens die positive Hilfe zu leisten, die in der Zuwendung der Krankenversicherurg auf dos ganze Heimgewerbe liegt, auf welchem Gebiete wir seit zwei Jahrzehnten keinen Schritt vorwärts gekemmen sind. Die Art, wie die Vorlage die Durchführung dieser

Krankenversicherung löst, halte ich für die einzig richtige. Die Arbeitgeber des ganzen deutschen Hausgewerbes werden in eine Art von Berufsgenossenschaften vereinigt; sie haben die Hälfte der Bei⸗ träge aufzubringen, die andere Hälfte soll von den Heimarbeitern aufgebracht werden. Die Verschiedenheit des Verdienstes ist in dieser Industrie bekanntlich sehr groß; dem soll dadurch Rechnung getragen werden, daß die Höhe des Krankengeldes von der Höhe des Ver⸗ dienstes abhängig sein soll. Ob sich das in der Praxis bewähren wird, ist eine andere Frage; jedenfalls i der vorgeschlagene Weg gangbar. Eine Feststellung des Arbeitslohnes im einzelnen Falle ist allerdings unmöglich, daunon muß abgesehen werden. Der Bund der Industriellen, der Handelstag, zahlreiche Handelskammern haben sich in diesem Sinne ausgesprochen, weil sonst der Plackereien und Streitereien kein Ende wäre. Der gesamte Umsatz in der Hebnarbeit muß zum Maßstabe gemacht werden; das wird manche Härten und Ungerechtigkeiten im Gefolge haben, aber diese müssen

im. Interesse. des. Zustandekemmens —der. ganzen segensreichen

Maßregel ertragen werden.“ Die Begründung nimmt duürch⸗ schnittlich 452 Jahresverdienst an; das mag auf einzelne Elendsindustrien zutreffen, nimmermehr trifft es auf die gesamte Heimarbeit zu. Die Landkrankenkassen lehnen wir ab, speziell für Heimarbeiter; die Hausgewerbetreibenden gehören in die Ortskranken⸗ böser die auch schon ein gut bewährtes Aufsichts⸗ und Kontroll⸗ system haben, was gerade für die Heimindustrie eine Hauptsache ist. Die Krankenversicherung muß sich auf die ganze Familie des Haus⸗ arbeiters erstrecken. Diesen Teil der Reichsversicherungsordnung halten wir für die Hauptsache, die Forderung der Krankenversicherung für die Hausindustrie muß erfüllt werden.

Abg. Schmidt⸗Berlin (Soz.): Der im vorigen Jahre ver⸗ öffentlichte Vorentwurf zur Reichsversicherungsordnung ist ausgiebig kritisiert worden; leider aber hat der Bundesrat von dieser Kritik insofern keinen Nutzen gezogen, als er die Wünsche aus Arbeiter⸗ kreisen durchweg unberücksichtigt gelassen hat, während die Wünsche der Unternehmerkreise durchweg erfüllt worden sind. Den Wünschen der Berufsgenossenschaften entsprechend, ist das Versicherungsamt der Aufgabe, die ihm der Vorentwurf stellte, entkleidet worden; die Frage des Reservefonds ist ebenfalls nach ihren Wünschen schließlich geordnet worden, und auch bezüglich der Unfallverhütungs⸗ vorschriften ist das Versicherungsamt wieder ausgeschaltet worden, wie es die Interessentenkreise gefordert haben. Nunmehr konnte der Berufsgenossenschaftstag sich im wesentlichen mit der Vorlage ein⸗ verstanden erklären, desgleichen der Bund der Industriellen; sogar der Zentralverband Deutscher Industrieller hat die Vorlage akzeptiert und natürlich auch die Halbierung der Beiträge und die Entrechtung der Arbeiter bezüglich der Krankenkassen gutgeheißen. Im Zentralverband Deutscher Industrieller kam bei der Gelegenheit zum ersten Male die innige Freundschaft der Großindustrie mit dem Agrariertum zum Ausdruck, wozu jedenfalls der von dem Zentralverband begründete Wahlfonds beigetragen hat, der von jetzt ab ja nicht mehr den Nationalliberalen ausschließlich zu Gebote stehen soll. Es macht sich ja sehr eigenartig, daß zur Zeit des Hansabundes ein sehr starker und maßgebender Teil der Groß⸗ industrie so deutlich seine Anlehnung an die agrarischen Interessen betont. Diese Herren sehen Sozialpolitik nur dann als solche an, wenn sie ihnen materiell zugute kommt. 8

(Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten setzte in der heutigen (53.) Sitzung, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. An⸗ gelegenheiten von Trott zu Solz beiwohnte, die zweite Be⸗ ratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten bei dem Kapitel „Elementaxunterrichtswesen“ fort.

Abg. Dr. Glattselter (Zentr.): Die Aufwendungen des Staats für das Volksschulwesen, die sich fort set erhöht haben, bieten uns ein Bild von der Entwicklung der vo eschule. Der Staat mußte in dieser Weise für die Schullasten eintreten. Daher überwiegt auch der Einfluß des Staates auf die Schule denjenigen der Gemeinden. Besonders gestiegen sind die Aufwendungen des Staates seit dem 1. April 1908 infolge des Inkrafttretens des Schulunterhaltungs⸗ geseses Bezüglich der Reform der Verwaltung wünschen wir nicht die Uebertragung der Verwaltung der inneren Schulangelegenheiten auf den Landrat. Wir bedauern, daß infolge des Erlasses des Schul⸗ unterhaltungsgesetzes nicht überall der geistliche Ortsschulinspektor im Vorsitz des Schulvorstands belassen worden ist. Die Vermehrung der Lehrerbildungsanstalten ist als ein Fortschritt zu begrüßen, wir sind auch damit einverstanden, daß die staatlichen Lehrerinnenseminare vermehrt werden, müssen aber betonen, daß auch die privaten Anstalten sich durchaus bewährt haben. Wenn mit der Vermehrung der Lehrer⸗ bildungsanstalten entsprechend der Vermehrung der Bevölkerung fort⸗ gefahren wird, ist zu hoffen, daß auch derLehrermangel beseitigt werden kann. Dagegen muß der Staat für die Präparandenanstalten noch mehr als bisher tun, insbesondere muß dahin gestrebt werden, daß ältere Lehrer an diesen Anstalten angestellt werden; die Leiter der Anstalten sind jetzt oft gezwungen, sich mit jüngeren Lehrkräften zu begnügen. Schließlich wiederholt der Redner die grundsätzliche Auffassung seiner Partei, daß die Religion im Mittelpunkt des Volksschulunterrichts stehen müsse.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikonsv.): Das Lehrerbesoldungsgesetz ist nach zwei Richtungen sehr förderlich für die Entwicklung unserer Volksschule: einmal wird der Lehrermangel dadurch beseitigt werden, und zweitens werden die Söhne der Lehrer sich in erböhtem Maße wieder dem Lehrerberufe zuwenden, und da⸗ durch werden dem Lehrerstande gute Elemente zugeführt werden Die Lehrer haben jetzt nicht mehr ihr Hauptaugenmerk auf die materielle Seite ihres Berufes zu richten, sondern wieder mehr die ideale Seite zu pflegen. Besonders die Lehrer⸗ vereine, der alte wie der neue, sollten sich mit voller Hingabe der Pflege der Ideale des Lehrerberufs widmen. Die Ortszulagen werden äufig mit Begründungen beantragt und gewährt, die dem Sinne des Gesetzes direkt zuwiderlaufen. Der den Lehrern gewährte Wohnungs⸗ geldzuschuß ist in vielen Fällen nicht ausreichend; die Minimalsätze sind als Normalsätze angenommen worden. Auf dem Lande sind in manchen Gegenden Wohnungen für verheiratete Lehrer nicht vorhanden; dadurch wird die Landflucht der Lehrer begünstigt. Die Lehrer⸗ wohnungen sind häufig auch räumlich nicht ausreichend; die Rangie⸗ rung der Lehrer in dieser Beziehung mit den Unterbeamten ent⸗ spricht nicht der hertigen Stellung der Lehrer, sie stehen den mittleren Beamten in ihrer Bedeutung gleich. Der Kreis⸗ schulinspektor wird mehr als bisher die jungen Lebrer in ibr Amt in pädagegischer Beziehung einzuführen haben. Die Kirche als solche kat mit unserer Schulaufsicht nichts zu tun, und wenn sie wirklich dazu herangezogen wird, so geschieht dies im Auftrage des Staates, durch den Staat. Der Kirche kann es doch wahrhaftig nicht daran liegen, daß der eine oder andere ihrer Diener den besten Teil seiner Kraft nicht der Seelsorge, sondern einem anderen, ihr allerdings naheliegenden Gebiete zuwendet; es kann der Kirche ferner nicht daran liegen, daß Geistliche in Stellungen kommen, für die sie nicht genügend vor⸗ gebildet sind. Eine ganze Anzahl von Geistlichen kann sich gar nicht der Schulaufsicht widmen, weil ihre Vorbildung den technischen Anforderungen nicht entspricht. Aber auch die Geistlichen, die den Anforderungen entsprechen, sind genötigt, bei der geistlichen Schulinspektion einen beträchtlichen Teil ihrer Kraft nicht der Schule zuzuwenden. Die Geistlichen sind gewiß wertvolle Elemente für die Schulaufsicht, aber nur dann, wenn sie die Schulaussicht im Hauptamt ausüben Es kann keine Rede davon sein, daß der Landrat mit der ganzen Kreisschul⸗ verwaltung, auch der inneren, betraut wird; eine entscheidende Mitwirkung von technisch vorgebildeten Pädagogen ist unbedingt erforderlich. Deshalb muß dem Landratsamt, wenn es die Kreis⸗ schulbehörde bilden soll, ein hauptamtlicher Kreisschulinspektor bei⸗ gegeben werden. Wenn das geschieht, können gegen das Landratsamt als Kreisschulbehörde auch die Freisinnigen nichts einwenden,

v111“*

den r Landrat immer das rote Tuch ist. Wir müssen bei de Dezentralisation der Schulverwaltung die Schule auf jeden Fall von dem bureaukratischen Regime der Schulabteilung der Re⸗ gierungen befreien. Der Religionsunterricht kann in einer Schule, die Christen und Patrioten erziehen will, nicht entbehrt werden; auch die Lehrer wollen, 8 der Religionsunterricht der Schule erhalten bleibt, und daß die Lehrer ihn erteilen. Die anderen Fächer dürfen natürlich nicht unter einer zu großen Ausdehnung des Religionsunterrichts leiden. Den Lehrern darf die Liebe zum Religionsunterricht nicht dadurch genommen werden, daß man in übertriebener Weise Wert auf die Dogmatik und auf das Auswendig⸗ lernen legt. Wir werden planmäßig dahin wirken müssen, daß der Lehrerstand so vorgebildet wird, daß er unsere Volksschüler zu guten Christen, guten Buͤrgern und guten Preußen erzieht.

Abg. Dr. Hintzmann (nl.): Mit der Umwandlung von Lehrer⸗ stellen in Lehrerinnenstellen sind wir in dem Rahmen, den gester der Minister gekennzeichnet hat, einverstanden. Mit den Gesichts⸗

sympathisieren. Nach der jetzigen Ausbildung in den Seminaren kann der junge Lehrer noch nicht allen Anforderungen in pädagogischer Hinsicht entsprechen. Die hauptamtliche Kreisschulinspektion muß mit größerer Schnelligkeit weiter durchgeführt werden; als Kreisschulinspektoren sind solche Leute zu bestellen, die nach ihrem ganzen Entwicklungsgange die Schule zu kennen in der Lage sind. Unsere Stellung zur Frage des Einflusses der Kirche auf die Schule ist bekannt. Der Religionsunterricht darf nicht so großes Gewicht auf das Gedächtniswerk legen. Nur dahin hat sich mein Freund Maurer ausgesprochen, er wollte aber keineswegs den religiösen Unterricht überhaupt beseitigen. Die Einführung der Bürgerkunde in der Volksschule halte ich für zweckmäßig. Die Hoffnung, daß durch das Lehrerbesoldungsgesetz unter den Lehrern ein Moment der Ruhe geschaffen worden ist, hat sich leider noch nicht erfüllt. Woran liegt dies? Es herrscht zunächst Mißstimmung dar⸗ über, wie die Amtszulagen für die Leiter der sechsklassigen Schulen vertein worden sind; ferner sind die Mietsentschädigungen zu gering, sie entsprechen nicht den wirklich gezahlten Wohnungsmieten. Es handelt sich hier nicht um Wohnungsgeldzuschüsse, wie bei den Beamten, also nicht um einen Zuschuß zur Miete, sondern die Lehrer haben einen Anspruch auf die volle Entschädigung der Mietsaufwendung. Die Schulverbände haben erklärlicherweise bei ihrer finanziellen Lage keine Neigung, viel Geld auszugeben, aber es muß doch eine Grenze gezogen werden, und das Gesetz muß von den Schulverbänden ausgeführt werden. Die Regierung muß in der Frage der Mietsentschädigungen Remedur schaffen. Die meiste Beunruhigung unter den Lehrern haben die Ortszulagen hervorgerufen. Unsere in dieser Hinsicht bei Beratung des Lehrerbesoldungsgesetzes geäußerten Wünsche sind nicht erfüllt worden, wir mußten uns mit dem Maximum der Ortszulage von 900 begnügen. Die Hoffnung auf die Erreichung dieses Maximums hat sich leider vielfach auch nicht erfüllt. Den Schulverbänden ist Freiheit in der Gewährung der Höhe der Ortszulage gelassen worden. Aber abgesehen vom Maximum, hat auch die Verteilung der Ortszulagen Mißstimmung erregt. Die Lehrer ver stehen es nicht, wenn in einer Gemeinde Ortszulagen von 500 gewährt werden, in einer benachbarten Gemeinde aber, wo dieselben Teuerungsverhältnisse herrschen, überhaupt keine Ortszulagen gegeben werden. Allerdings soll die e- Lage der Schulverbände berücksichtigt werden, aber nach dem § 25 des Lehrerbesoldungsgesetzes können die Gemeinden von der Regierung zur Gewährung der Ortszulagen angehalten werden, und dort sind auch die Voraussetzungen dafür richtig gekennzeichnet. Ferner müßten die Vergünstigungen für die auftragsweise beschäftigten Lehrer besser normiert werden. Schließlich weise ich noch auf den Wunsch der Lehrerschaft hin, die Lehrer nicht mehr vom passiven Kommunalwahlrecht auszuschließen. Die Erfüllung dieses Wunsches kostet ja nichts. Der Anschluß an bestimmte Lehrervereine sollte den Lehrern nicht verboten werden. Wir können es den Lehrern selbst überlassen, sich Vereinen anzuschließen, von denen sie eine Förderung ihrer Interessen erhoffen. Wir brauchen doch in dieser Hinsicht nicht unnötige Angst zu haben. Schließ⸗ lich wirken doch diese Vereine zum Besten des Vaterlandes. In der Schule selbst sollten wir in mancher Hinsicht für ein neues Leben wirken. Der Deutsche Verein zum Schutze der Vogel⸗ welt hat z. B. an den Minister eine Petition des Inhalts gerichtet, daß die Schüler in die freie Natur gefuhrt werden möchten, um die Vogelwelt kennen zu lernen und die Natur beobachten zu können. Der Minister hat die Petition leider nicht nur abschlägig beschieden, sondern auch Versuche in dieser Richtung in Hannover unterbunden. Ein namhafter Ornithologe in der Provinz Sachsen will jetzt gleich⸗ falls solche Versuche machen, und ich bitte den Minister, sie nicht zu unterbinden. Der Minister sollte alle Bestrebungen fördern, die Jugend bodenständiger, ihr die Heimat lieb und wert zu machen. Wir sind dem Minister dafür dankbar, daß in der Schule die Liebe zur Musik geweckt wird, daß die Jugendspiele gepflegt und dafür geeignete Lehrkräfte herangebildet werden Es muß eben alles getan werden, was zum Wohle des gesamten Volksschulwesens dienen kann.

Hierauf nimmt der Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten von Trott zu Solz das Wort, dessen Rede morgen im Wortlaut wiedergegeben werden wird.

(Schluß des Blattes.)

6 Dem Reichstage sind die Gesetzentwürfe, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Reichshaushalts⸗ estat und zum Haushaltsetat für die Schutzgebiete auf

beamtengesetzes zugegangen. 8

Nr. 14 des „Eisenbahnverordnungsblatts“, heraus⸗ gegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 19. April, hat folgenden Inhalt: Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 9. April 1910, betreffend Aenderung der Eisenbahnsignalordnung.

Statistik und Volkswirtschaft.

Deutschlands Ein⸗ und Ausfuhr von Milch und 8 Molkereiprodukten im Jahre 1909. 8

Deutschlands“ sind in das deutsche Zollgebiet an Milch und Molkerei⸗ produkten im Jahre 1909 eingeführt worden: 1909

Wert in

Milch, frisch, auch entkeimt Rahm, frisch, auch entkeimt 29 304 Magermilch 295 ‧„ Buttermilch, Molken .. , 139 Milchbutter . . . . . 440 45 101 969 Butterschmalz .. . .. 569 1116*“ 3 1 651 Weichkäse v. 1 084

51 269 dz

Die Einfuhr von Milch und Rahm hat sich im Jahre 1909 wesentlich anders gestaltet als im Vorjahre. Während 1908 gegen 1907 eine Steigerung der Milcheinfuhr um 39 925 dz stattgefunden hatte, ist im Jahre 1909 die Milcheinfuhr um 51 269 dz zurück⸗ gegangen, dafür aber die Rabmeinfuhr um 29 304 dz gestiegen. Der Rückgang der Milcheinfuhr entfällt hauptsächlich auf Dänemark,

woher 42 528 dz weniger eingeführt worden sind als im Vorjahre.

üunkten des Freiherrn von Zedlitz können wir in der Hauptsache

das Rechnungsjahr 1910, sowie der Entwurf eines Kolonial⸗

Nach den „Monatlichen Nachweisen über den auswärtigen .“

Auch aus Rußland ist beträchtlich weniger Milch bezogen worden, und

zwar 16 028 dz, dagegen hat die Milcheinfuhr aus der Schweiz um 13 195 dz zugenommen. Die Rahmeinfuhr hat aus allen drei in Betracht kommenden Einfuhrländern zugenommen, am stärksten aus Dänemark, und zwar um 22 815 dz, ferner aus Rußland um 3042 dz, aus Schweden um 3497 dz. Die Einfuhr von Milch⸗ butter hatte im Vorjahre eine Abnahme um 49 631 dz erfahren, sie ist 1909 erneut, und zwar um 101 969 d⸗, gestiegen. Diese starke Zunahme der Buttereinfuhr ent⸗ fallt in erster Linie auf eine stärkere Zufuhr aus Rußland einschließlich Finnlands. Dieses Land hat nicht nur den vorjährigen Rückgang seiner Buttereinfuhr nach Deutschland, der 44 982 dàz be⸗ tragen hatte, ausgeglichen, sondern noch erheblich mehr als früher eingeführt, im ganzen 75 198 dz. Auch in der Einfuhr aus Däne⸗ mark ist nicht nur der vorjährige Rückgang von 10 918 dz aus⸗ geglichen, sondern es sind im ganzen 18 189 d⸗ mehr als im Vor⸗ 88 nach Deutschland gesandt worden. Die Einfuhr aus den gegen im Jähre 1909 um 19 762 d“z gestiegen; auch die Butterein⸗ fuhr aus Frankreich, die schon im Vorjahr um 218 dz gestiegen war, hat 1909 noch um 1950 dz zugenommen. Dagegen hat Oesterreich⸗Ungarn infolge einer Mindereinfuhr von 15 326 dy nicht nur die vorjährige Einfuhrsteigerung um 9818 dz verloren, sondern weist noch darüber hinaus einen erheblichen Rückgang in der Einfuhr nach Deutschland auf. Die Einfuhr von Hartkäse nimmt dauernd zu, und zwar sind es hier besonders die Niederlande, die mehr als im Vorjahre nach Deutschland eingeführt haben (7545 dz); dagegen hat die Zufuhr aus der Schweiz um 5628 dz abgenommen. Die Einfuhr von Weich⸗ käse hatte im Vorjahre einen Rückgang von 1140 d⸗z aufzuweisen, sie ist 1909 wieder um 1084 dz gestiegen, und zwar sind haupt⸗ sächlich französische Weichkäse in größeren Mengen eingeführt wo (+ 1284 dz). Aus Deutschland ausgeführt wurden: 1909 3 1909

gegen 1908 Wert in

Rahm, frisch .. Magermilch . .. 1 732 Buttermilch, Molken 12 404 + Milchbutter und Butter⸗ 8 schmalz u“ 101 474 beeebb.; 860 395 eeeö11““ 18 9- .. 6176 2 626. Die Ausfuhr von Milch, die im Vorjahre eine Steigerung um 6556 dz erfahren hatte, ist 1909 um reichlich denselben Betrag wieder zurückgegangen, und zwar hat sowohl die Ausfuhr nach Oesterreich⸗ Ungarn wie die nach der Schweiz abgenommen. Die Ausfuhr von Milchbutter hatte schon im Jahre 1908 eine Abnahme aufzuweisen, die sich 1909 noch etwas erhöht hat. Die Ausfuhr von Hartkäase hatte im Vorjahre eine Steigerung um 3022 dz erfahren, sie ist 1909 wieder um 2980 dz zurückgegangen, und zwar wurde hauptsächlich nach Italien weniger ausgeführt. ie Ausfuhr von Weichkäse war im Vorjahre um 837 dz zurück⸗ gegangen, und diese Abnahme hat sich im Jahre 1909 noch verdoppelt. Der Wert der Einfuhr von Milch und Molkereiprodukten, der vorläufig auf 148 418 000 berechnet wird, ist danach um 25 602 000 höher als der endgültig festgestellte Einfuhrwert des Vorjahres. Der Wert der Ausfuhr beläuft sich auf 2 626 000 und weist einen Rückgang um 519 000 auf. Demnach beträgt der Wert des Einfuhrüberschusses an Milch und Molkereiprodukten im Jahre 1909 nach der vorläufigen Wertberechnung 145 792 000 ℳ, während er im Vorjahre nach der gleichen Berechnung 117 283 000 und nach der endgültigen Feststellung 119 681 000 betragen hat.

Milch, frisch, auch entkeimt 64 861 d2 . 76

Zur Arbeiterbewegung.

Der Verein Deutscher Arbeitgeberverbände erläßt in Gemeinschaft mit der Hauptstelle Deutscher Arbeitgeber⸗ verbände folgende Erklärung: „Nachdem die Arbeiterorganisationen die letzten Vorschläge der Unternehmer im Baugewerbe abgelehnt haben, ist mit der in weitestem Umfange erfolgten Stillegung der Baubetriebe im ganzen deutschen Reiche ein Kampf entstanden, wie er in dieser Ausdehnung bisher in Deutschland wohl noch nicht zu verzeichnen gewesen ist. Im Hinblick auf die große Bedeutung und Ausdehnung dieses Kampfes war es Pflicht der gesamten organisierten Unternehmer⸗ schaft, zu dieser Bewegung Stellung zu nehmen. Die beiden zentralen Unternehmerverbände, der Verein Deutscher welchem der im Kampf stehende Deutsche Arbeitgeberbund für das Baugewerbe als Mitglied angehört, und die mit ihm im Kartell⸗ verhältnisse stehende Hauptstelle Deutscher Arbeitgeberverbände haben nach Gehör ihres ständigen Kartellausschusses die gesamte Sachlage einer eingehenden Prüfung und Erörterung unterzogen. Die in den beiden Zentralen vereinigten Unternehmer von Industrie und Gewerbe erkennen bei aller Wahrung ihres jeweiligen grundsätzlichen Standpunktes hinsichtlich der einzelnen Programm⸗ punkte, insbesondere hinsichtlich der Tarifverträge durchaus an, daß das Vorgehen des Deutschen Arbeitgeberbundes für das Bau⸗ gewerbe berechtigt gewesen ist, und daß den immer weitergehenden Ansprüchen und Bestrebungen der Arbeiterorganisationen auch einmal der berechtigte Standpunkt des Arbeitgebers entgegengesetzt werden muß. Die im Kampfe befindlichen Arbeitgeber des Baugewerbes sind hiernach der tatkräftigen Unterstützung der übrigen organisierten Arbeitgeber von Industrie und Gewerbe sicher..

In Frankfurt a. M. fanden, der „Frkf. Ztg.“ zufolge, am 18. d. M. zwischen den Lohnkommissionen der streikenden Schuh⸗ machergehilfen und der Innung Verhandlungen statt. Es kam zu Vereinbarungen, deren Annahme von beiden Teilen in Versamm⸗ lungen, die für heute anberaumt wurden, empfohlen wird. Stimmen die Gehilfen⸗ und Meisterversammlungen zu, so wird der Streik für beendet erklärt. 8. 8

Aus Düsseldorf berichtet die „Köln. Ztg.“: Der Arbeitgeber⸗ verband für den Bezirk der nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen⸗ und Stahlindustrieller hat einen Ausstand der Former bei der Firma Potthoff u. Fluhme in Lünen nach eingehender Untersuchung für unberechtigt erklärt und der Firma den vollen Schutz des Verbandes zugesichert. . 8

Auf den zum Differdinger Hüttenwerk gehörenden E rzgruben Oberkorn und Tillenberg sind, wie die „Rh.Westf. Ztg.“ aus Trier erfährt, dreihundert Arbeiter im Ausstand..

Sämtliche Stukkateure in Nürnberg und Fhseb⸗ etwa 1000 Mann, treten, wie die „Köln. Ztg.“ meldet, in olge der Aus⸗ sperrung der Bauarbeiter in einen Sympathiestreit ein, ob⸗ wohl sie erst am 1. April einen dreijährigen neuen Lohntarif ab⸗ geschlossen haben.

Die Lohnbewegun rge sich ihrem Ende zu. is zum 15. April hatten, wie die „Lpz. Ztg.“ mitteilt, . Firmen die Forderungen der Gehilfen anerkannt (pgl. Nr. 91 d. Bl.).

3 Der Ausstand der Seeleute in Dünkirchen (vgl. Nr. 90 d. Bl.), der keine große Ausdehnung angenommen hatte, ist, wie „W. T. B.“ meldet, beendet. Das Komitee der dortigen Dock⸗ arbeiter hatte es abgelehnt, sich mit den Seeleuten solidarisch zu erklären, und den 24⸗stündigen Generalstreik nicht angenommen.

der SerPztgen Kürschnergehilfen neigt

(Weitere „Statistische Nachrichten“ s. i. d. Dritten Beilage.)

Wohlfahrtspflege.

Anläßlich der Dreihundertjahrfeier Elberfelds stiftete, wie das „W. T, —” meldet, der Kommerzienrat Bayer von den Elberfelder Farbenfabriken 80 000 für städtische Wohlfahrtszwecke.

Niederlanden war im Vorjahre um 3346 -d2. zurückgegangen, ist da⸗

1.“

AKunst und Wissenschat.

A. F. Auf der Tagesordnung der ordentlichen Aprilsitzung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie am letzten Sonn⸗ abend stand an erster Stelle ein Vortrag des Geheimrats, Professor Dr. Gustav Fritsch, der die Vorlage und Besprechung eines an der Wand aufgehängten Tableaus der Rassenverwandt⸗ schaften des Menschen bringen sollte. Mit Rücksicht auf die reiche Tagesordnung der Sitzung teilte jedoch einleitend Professor von den Steinen mit, daß im Einverständnis mit dem Vortragenden nur eine kurze Darlegung der Grundgedanken erfolgen solle, auf denen das Tableau aufgebaut sei, die daran zu knüpfende Besprechung würde dagegen bis zur prähistorischen Fachsitzung vom 4. Mai verschoben werden. Geheimrat Fritsch erläuterte seine Grundanschauung über die Entstehung der Rassen dahin, daß er, unter entschiedener Ab⸗ lehnung des Gedankens einer Abstammung des Menschen von den jetzt lebenden Affen, der Auffassung von Professor Klaatsch voll zu⸗

stimme, wondch es Urtypen gegeben habe, von denen Entwicklungen

Die Entwicklungen nach heutigen Menschen, und zwar, beeinflut von Klima und Lebensbedingungen, Menschen verschiedener Art und Veranlagung. Offenbar war die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen in der frühesten Zeit seines Erscheinens bei den verschiedenen Individuen schon sehr verschieden. Sie bezeugte sich anfänglich im wesentlichen wohl durch den ver⸗ schiedenen Grad der Neigung, Wohnplatz und Lebensumstände zu ver⸗ ändern. Ohne Zweifel ist der Wandertrieb, ob er vorhanden oder nicht vorhanden war, ob ihm nachgegeben wurde und werden konnte, die erste, älteste und Hauptursache für allmähliche Ent⸗ wicklung und Vervollkommnung der Menschen gewesen. Er ist auch der tiefste Grund der entstehenden Rassenverschiedenheiten, wie sich ganz deutlich daraus ergibt, daß die Völker, die uns heute als dem Naturzustande noch nahestehend, als zurückgeblieben bekannt sind, auch seit unvordenklicher Zeit noch auf dem Boden ihrer Vorfahren hausen und weder jetzt Wandertrieb besitzen, noch ihn je besessen zu haben scheinen. Anders die Wandervölker, für die rücksichtlich ihrer Zugehörigkeit zu charakteristisch verschiedenen Rassen, der weißen, schwarzen und gelben, vielleicht drei verschiedene Strahlungsmittel⸗ punkte anzunehmen sind, von denen sie sich in allen Richtungen der Windrose entfernten. Was in einer schon verhältnis⸗ mäßig späten Entwicklungszeit von den Söhnen Noahs und der Zerstreuung ihrer Nachkommenschaft über die Lande erzählt wird, ist twypisch für eine viel früher aus dem Wandertrieb hervorgegangene Zerstreuung. Hiernach unterscheidet Geheimrat Fritsch scharf zwischen Urbevölkerungen und Stammrassen, die auf Grund des Wandertriebs und der Einflüsse verschiedenster Lebensbedingungen im Gegensatz zu jenen im Urzustande verharrenden eine Entwicklung gewannen und deren Glieder sich in weiterer Folge vielfach miteinander vermischt haben. Als Urbevölkerungen, die somit ganz außerhalb der Rassenentstehung geblieben sind und nur vereinzelt, wo sich Reibungsflächen mit Nachbarn er⸗ gaben, Mischvölker hervorbrachten, benennt das Tableau für Afrika die Buschmänner, Akko (Zwerge), Obongo und Bahia, für Australtien die Queensländer Urbevölkerung, für Asien die Dawida, Vedda, Chuang, Senai, Kabu⸗Matanvy (Sumatra), Hiog, Mia Tse und die Aino (nördliche japanische Inseln), für Amerika die Caraiben, Bakaini, Miranchas, Feuerländer, für Europa als aus⸗ gestorben die Neandertal⸗Rasse, die alpine Rasse, die europäische Zwergrasse und die Steinlappen. Als den meist metamorphen Wander⸗ dölkern zugehörig dürften in Afrika die Hottentotten gelten, die Anschluß an Buschmänner einerseits und die schwarze Rasse andererseits haben, in Australien die Hebridenbewohner, die Beinzu und Antas als Mittel⸗ glieder zwischen der australischen Urbevölkerung und der schwarzen Rasse angesprochen werden, während zwischen den genannten asiatischen Ur⸗ bevölkerungen und der gelben Rasse die den Wandervölkern zuzu⸗ zählenden Madagassen, Javaner, Dajah, Oceanier, Neuseeländer, Batak, vor allem aber Malayen und Indochinesen vermitteln. Schwierig ist das Problem der Entstehung der indianischen Be⸗ völkerung Amerikas. Der Vortragende lehnt den Gedanken einer roten Rasse entschieden ab und sieht in den Bellecoola, den Quedelen, der zentralamerikanischen und nordamerikanischen Kulturbevölkerung Uebergänge zwischen den vorbenannten amerikanischen Ur⸗ bevölkerungen und Ausläufern der weißen Rasse im Osten, der gelben im Westen. Viel einfacher als bei den bisher genannten Wandervölkern liegt das Problem bei den Gliedern der drei archimorphen Rassen, die keine erkennbaren Beziehungen zu den genannten Urbevölkerungen zeigen. Geheimrat Fritsch unterscheidet für die schwarze Rasse (Nigritier) einen pelagischen und einen afrikanischen Ast. Zum ersteren rechnet er die Wander⸗ völker der Andamanen, Negritos, Papuas und Salomon⸗Insulaner, den zweiten Ast trennt er in die drei Zweige der Bantu, Sudanesen und Aethiopier und zählt den Bantu die Kaffern, Betschuanen und Tanna zu, den Sudanesen die Congo⸗Neger, Massai, Fulbe und Suaheli, den Aethiopiern, die Galla, Nubier, Abessinier und Bedja. Für die weiße Rasse (Indogermanen und Arier) unterscheidet der Vortragende den semitischen Ast und den sanskritischen Ast. Zum ersten zählen Aegypter, Araber, Juden, Syrier, im zweiten gehören dem asiatisch⸗afrikanischen Zweige an: Berber, Perser, Indier, Turanier, Kaukasier, Guanchen, dem europäischen Zweige dagegen: Kelten, Romanen, Germanen, Slawen. Endlich wird bei der gelben Rasse

in divergierender Richtung ausgingen.

aufwärts erbrachten den

(Mongolen) Unterscheidung getroffen zwischen einem finnisch⸗tatarischen

Ast Magyaren, Finnen, Lappen, Tataren —, einen skythischen Ast Hyperboräer, Samojeden, Gitzaken, Tungusen und einen chinesischen Ast Mantschu, Chinesen, Japaner. Voraussichtlich wird die Besprechung dieser sich zu manchen bisherigen Annahmen in bewußten Widerspruch setzenden Rasseneinteilung, der Frucht langen Studiums, die nächste Sitzung der Gesellschaft sehr interessant ge⸗ stalten.

Den zweiten Vortrag des Abends hielt der Regierungsbaumeister Ernst Boerschmann über Architektur⸗ und Kulturstudien in China. Der Vortragende hat auf Grund eines Auftrages der Reichsregierung vom August 1906 bis zum Sommer vorigen Jahres China in allen Teilen bereist. Sein Auftrag lautete auf „Erforschung der chinesischen Architektur und ihres Zusammenhanges mit der chinesischen Kultur.“ Behufs gründlicher Ausführung dieses Auftrags wählte der Vortragende folgende Reiseroute, die sich auf 3 Jahre ver⸗ teilte und unterbrochen war durch wiederholte Rückkehr nach Peking, bei welchen Gelegenheiten dann auch die großen, für den Spezial⸗ zweck der Reise weniger in Betracht kommenden Handelsstädte besucht wurden: Peking, Jehol, Minggräber, östliche, westliche Kaisergräber, Wut'ai shan in Shansi. Hoanghobrücke, Taishan in Shantung, Ningpo, Putoshan (heilige Insel der Göttin der Barmherzigkeit Rivan vin), Taigüesin in Shansi, Lutsun⸗Salzdistrikt, Hua shan mit dem heiligen Berge westlich davon, Hsingausin (Hauptstadt der Pro⸗ vinz Shansi), Gebirge Tsinlingshan, Chingtusin (Hauptstadt der schönsten chinesischen Provinz E Omishan mit dem buddhistischen Berg in seinem Westen, endlich zum mächtigen Strom Yangtsekiang. Von bhier führte auf dem Strome der Weg zu dem großen Salzdistrikt von Tze liu tsing, in dem 4000 Brunnen von großer Tiefe, man sagt 1000 m, vorhanden sind, nach der Provinz Hunan zum südlichen heiligen Berge bei Hengshan, und über Land nach Kweilinsin (Hauptstadt der Provinz Kwanghsi), von da stromabwärts nach Canton. Nach entsprechendem Aufenthalt in dieser lebhaften Handelsstadt wurde die Reise nach Foochow in Fukien und nach Hangchansin (Hauptstadt von Chekiang) fortgeseßgt und hier Gegenden von hohem landschaftlichen Reiz gesehen. Der Vortragende hat auf dieser langen Reise, die ihn, weil sie von Nichtchinesen wenig be⸗ tretene Wege einschlug, in die engste Berührung und Bekanntschaft mit dem Leben im inneren China brachte, von Land und Leuten die allerfreundlichsten Eindrücke gewonnen. Die stets belebten Straßen, die einheitliche Kultur des Landes, der Fleiß, die Schlichtheit, der Frohsinn des Volkes, die Pietät für die Ahnen, für die Vergangen⸗ heit des Landes, worüber der Geringste unter den Volksgenossen Bescheid weiß, haben ihn belehrt, daß wir in Europa doch im Grunde ziemlich ungenügend unterrichtet sind über ein Land, das siebenmal

rößer ist und siebenmal mehr Einwohner hat als Deutschland. Diese Eindrücke des Reisenden wurden verstärkt und zur Bewunderung ge⸗ steigert durch das Spezialstudium chinesischer Architektur und Skulptur. Ganz abgesehen von der Monumentalität, der imposanten Größe und Massenhaftigkeit vieler dieser Bauwerke mit der chinesischen Mauer gibt es kein in diesem Punkte in Vergleich tretendes Bauwerk, selbst die ägyptischen Pyramiden nicht bekundet sich in der Wahl der Bauplätze ein feines Verständnis für die Wechsel⸗ wirkung von Natur und Kunst auf den Menschen, zu dessen Freude und Erholung diese Bauten doch an letzter und wichtigster Stelle be⸗ stimmt sind. Wo sonst findet man wohl riesige Tempelanlagen auf dem Hintergrunde einer mit dichtem Wald bewachsenen Bergwand, Tempel auf der Spitze von Bergen von 2000 m Höhe, ja, in einem Falle von 3300 m Höhe, zu dem gebahnte Wege und Treppen hinauf⸗ führen? Daß der Vortragende mit einer Mappe schönster photoßraphischer Aufnahmen nach der Heimat zurückgekehrt ist, die mit dem Bildwerfer in fast endloser Folge vorgeführt wurden, ist nahezu selbstverständlich;

aber besonders interessant waren die Bemerkungen und historischen.

Nachweise, die der Redner an die Bilrer zu knüpfen wußte. Sind es doch drei Weise aus einer großen und langen Vergangenheit dieses Volkes, an deren Person die Verehrung und Vergöttlichung anknüpft: Buddha, Laotse und Confutse und welche die Kunst befruchtende Dar⸗ stellungsfähigkeit besitzen alle die sich aus der Götterlehre des Buddhismus ergebenden Heiligen und Dämonen, angefangen von dem tausendarmigen Buddha selbst, wie er sich unter seinem schlichten in einer geöffneten Lotosblüte thronenden Bildnis an vielen Stellen dargestellt findet! Der Vortragende ist auch aufmerksam geworden auf bestimmte, tief⸗ sinnige Zahlenverhältnisse, die sich bei den Bauten, Grundrissen wie Gliederung der Innenarchitektur immer wiederholen und wobei die Zahl 8 eine hervorragende Rolle spielt. Er konnte an den vor⸗ gezeigten Bildern den Beweis hierfür erbringen. Auch bestimmte Symbole kehren regelmäßig wieder. Professor von den Steinen dankte dem Redner am Schluß unter Hervorhebung der mancherlei neuen Gesichtspunkte, die er aufgestellt und die geeignet scheinen, An⸗ schauungen von China und Chinesen zu berichtigen, ganz besonders für die ansprechende Schilderung seiner ausgedehnten Reise und für die Schönheit der vorgezeigten Bilder.

Einen dritten Vortrag an diesem ereignisreichen Abend hielt Dr. Krause über merkwürdige Funde von Eolithen in großer Zahl, die er auf einer zum Rhein abfallenden Terrasse an dem Teil des Stromlaufes gemacht hat, mit welchem auf eine Strecke parallel die sich nachher in den Rhein ergießende Erft fließt. Diese mit diluvialem grobkörnigen Sande bedeckte Terrasse von etwa der Hälfte der Breite der Entfernung zwischen Erft und Rhein, liegt stromabwärts Cöln an der linken Rheinseite in der Nähe von Grevenbroich. An den vom Vortragenden in beträchtlicher Zahl vorgelegten Steinwerkzeugen scheint eine Tauschung über ihre einstmalige Benutzung durch die Menschen ebenso ausgeschlossen, wie die häufig von Zweiflern gehörte Ansicht, daß ein Spiel der Natur vorliege. Es sind ohne Ausnahme sehr primitive Werkzeuge, deren scharfe Kanten oder Spitzen sich die Menschen für die schlichten Zwecke ihres Daseins bedient haben. Das Merkwürdigste an ihnen aber ist, daß sie nicht, wie sonst immer, aus Feuerstein, sondern aus sehr hartem Quarzit bestehen. Im

Anschluß an diese mit großer Aufmerksamkeit angehörten Mite...

teilungen des Entdeckers teilte Konservator Eduard Krause noch mit, daß er auf Wunsch des Entdeckers an Ort und Stelle gewesen sei und alles bestätigen könne, was berichtet wurde. Es sei eine Stelle, an der Diluvialschichten in Löß und grobem Sand über ter⸗ tiären Bildungen lagern, denn es wird Braunkohle im Bezirk ge⸗ funden. Es seien im Sande auch römische Reste gefunden worden, die aber natürlich mit diesen zweifellosen Steinwerkzeugen aus quarzitischer Grauwacke nichts zu tun haben. Diese Eolithe sind viel aͤlter als die neolithische Zeit, sie scheinen ähnlich den von Rubot be⸗ schriebenen, derselben Schichtenfolge des Magdalénien angehörig, die er als von einem Volke benutzt vermutet, das damals von England zum Niederrhein oder in umgekehrter Richtung ausgewandert war.

Literatur.

Friedrich der Große, Denkwürdigkeiten aus seinem Leben nach seinen Schriften, seinem Briefwechsel und den Berichten seiner Zeitgenossen zusammengestellt von Franz Eyssenhardt. Zweite Auflage. Neu bearbeitet und ergänzt von Georg Winter, Geheimer Archivrat, Direktor des Königlichen Stadtarchivs zu Magdeburg. In 2 Bänden. Geheftet 9 ℳ, gebunden 12 ℳ. Leipzig, Verlag von F. W. Grunow. Die Eyssenhardtsche Sammlung von Denkwürdigkeiten Friedrichs des Großen wollte keinen Abriß der Geschichte des großen Königs aus seinen eigenen Aeußerungen herstellen, sondern ein Bild des eigenartigen Mannes zeigen, das deutlich sein Wesen und Wollen ausprägte. Der Verfasser war dabei mit Sachkenntnis, Wahr⸗ heitsliebe und Geschick zu Werke gegangen, sodaß seine Schrift erfüllte, was Professor Eyssenhardt als Ziel bei ihrer Abfassung vorgeschwebt hatte. Der Neuherausgeber hat diese Vorzüge dadurch anerkannt, daß er an der Gesamtanlage des Werkes, das sich des Beifalls der Kritik und des Publikums in gleich hohem Grade erfreut hatte, möglichst wenig änderte, den Inhalt aber aus den inzwischen zahlreich neu er⸗ schlossenen Quellen ergänzte. Diese Arbeit war nicht leicht. Beim Erscheinen der ersten Auflage waren z. B. in der akademischen Aus⸗ gabe der „Politischen Korrespondenz Friedrichs des Großen“ in dreizehn Bänden 8274 Aktenstücke gedruckt, jetzt liegen von dieser großen Sammlung 32 Bände mit 21 450 Aktenstücken vor. Neu zu berücksichtigen war ferner das reichhaltige Material zur Ge⸗ schichte der Beamtenorganisation und der Wirtschaftspolitik des Königs auf den verschiedensten Gebieten, das inzwischen in den Acta borussica veröffentlicht wurde. Zu diesen großen Werken kamen eine Anzahl kleinerer, die nicht außer acht gelassen werden konnten, wie Kosers Aus⸗ gabe des Briefwechsels mit Grumbkow und Maupertuis Wund die Neuausgabe des Briefwechsels des Königs mit Voltaire. Es ist der großen Vertrautheit des Neuheraus⸗ gebers mit dem Stoffgebiet zu danken, wenn es ihm gelang, durch passende Streichungen den Umfang des Werks nicht allzusehr auszu⸗ dehnen und doch gegen 200 neue Aktenstücke mitaufzunehmen. Eine weitere Neuerung der vorliegenden Auflage, die von dem Leser dankbar anerkannt und begrüßt werden dürfte, sind kurze geschichtliche Ein⸗ leitungen, die Geheimrat Winter den einzelnen zugleich sachlich und zeitlich abgegrenzten Abschnitten des Werks vorausgeschickt hat. Dadurch hat der sachliche Inhalt der Sammlung einen Rahmen erhalten; die einzelnen Aktenstücke sind in den Zusammenhang des geschichtlichen Entstehens eingereiht und sind aus ihm heraus erst voll verständlich geworden. Der Zusammenhang wird noch durch die Einrichtung klarer ersichtlich, daß in der geschichtlichen Darstellung stets auf die Nummern der einzelnen Aktenstücke hingewiesen ist, deren Erklärung die Einleitung dienen soll.

Grundzüge der Biologie für Unterrichtsanstalten und zur Selbstbelehrung von Dr. J. Reinke, Professor an der Universität Kiel. (Verlag von Eugen Salzer in Heilbronn. 2 ℳ; geb. 2,80 ℳ.) Das Büchlein des Kieler Botanikers soll in erster Linie dem Lehrer für den biologischen Unterricht in den Oberklassen höherer Lehranstalten Leitgedanken für eine Erziehung der Schüler zu wissenschaftlicher Auf⸗ fassung, zur Anschauungs⸗ und Denkweise der Biologie bieten. Die Beispiele hat der Verfasser in erster Linie dem Pflanzenleben ent⸗ nommen, für die höheren biologischen Funktionen kommen dann ausschließlich die Tiere und der Mensch in Betracht. Zahl⸗ reiche, gute Abbildungen tragen wesentlich zum Verständnis des Textes bei. Das Bedürfnis nach einem derartigen knapp⸗ gefaßten Leitfaden liegt zweifellos vor und der Verfasser war nicht nur als Fachmann sondern auch wegen seiner Gabe, streng wissenschaftlich und doch zugleich gemeinverständlich darzustellen, in jeder Hinsicht berufen, ihn zu schreiben. Auch außerhalb der Mauern unserer Lehranstalten dürfte die Schrift Freunde finden; ist doch in weiten Kreisen der der Schule längst Entwachsenen das Interesse an biologischen Fragen ebenso verbreitet wie die Unkenntnis selbst der elementarsten biologischen Vorgänge. Zahlreiche populäre wissenschaft⸗ liche Schriften, die in den letzten Jahren erschienen sind, waren nicht imstande, dem vorhandenen Bedürfnis abzuhelfen, sie haben viel⸗