1910 / 264 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Nov 1910 18:00:01 GMT) scan diff

In der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Berichte von deutschen Fruchtmärkten für den Monat 11144A4*“*“”“

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. vorgestern in Korfu eingetroffen und geht heute von Cattaro in See.

S. M. S. „Victoria Louise“ ist vorgestern in Venedig eingetroffen und geht am 17. November nach Smyrna in See.

S. M. S. „Jaguar“ ist gestern in Hongkong ein⸗ getroffen und von dort wieder in See gegangen.

S. M. Flußkbt. „Otter“ ist am 6. November in Tschungking Jangtse) eingetroffen.

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dort nach

Potsdam, 9. November. Gestern vormittag hat, „W. T. B.“ zufolge, im Exerzierhause an der Plantage die Vereidigung der Rekruten der Potsdamer Garnison in Gegenwart Seiner Majestät des Kaisers und Königs, Ihrer Königlichen Hoheiten der Prinzen Eitel⸗ Friedrich, August Wilhelm, Oskar und Joachim, der demaherrlchen Offiziere, des Generalobersten von Plessen, der Herren des Hauptquartiers u. a. stattgefunden. Auch Ihre Majestät die Kaiserin und Königin sowie Ihre Königlichen Hoheiten die Prinzessinnen Viktoria Luise und Victoria Margarete, die Prinzessinnen Eitel⸗Friedrich und August Wilhelm wohnten dem feier⸗ lichen Akte bei. Nach der Vereidigung hielt Seine Majestät der Kaiser eine kurze Ansprache an die Rekruten, worauf der Stadtkommandant Generalmajor von Plüskow das Hoch auf den Allerhöchsten Kriegsherrn ausbrachte.

1“ Bayern. Der Generaladjutant Seiner Majestät des Königs von England Sir Arthur Paget ist nebst den übrigen Herren der Sondergesandtschaft, die Seiner Königlichen Hoheit dem Prinz⸗Regenten die Thronbesteigung Seiner Majestät des Königs Georg V. anzeigen sollen, gestern in München eingetroffen und wird, „W. T. B.“ zu⸗ folge, heute von Seiner Königlichen Hoheit dem Prinz⸗Regenten in Audienz empfangen werden.

8 Oesterreich Uungarn.

In der gestrigen Plenarsitzung der österreichischen

Delegation stand das Budget des Ministeriums des Auswärtigen zur Beratung.

Nach dem Bericht des „W. T. B.“ sprach der Delegierte Sustersic im Laufe der Debatte sein Bedauern darüber aus, daß Bosnien und die Herzegowina in der Delegation nicht durch Delegierte

vertreten seien. Weiter erklärte er bei der Erörterung der Vorgänge der letzten Jahre, daß die Südslaven der Monarchie wie früher so auch jetzt die Annexionspolitik billigten und daher auch bereit seien, ihre Konsequenzen zu tragen. „Die Annexions⸗ krise“, führte der Redner aus, „bewies nicht nur die militärische, sondern auch die politische Stärke der Monarchie, indem alle Völker der Monarchie eine einzige Front bildeten und ihre inneren Streitigkeiten zurückstellten. Der Lobgesang auf die Bundestreue Deutschlands ist überflüssig, weil Deutschland bei der selbstverständlichen Wahrung der Bundes⸗ treue nur im wohlverstandenen eigenen Interesse handelte. Die sicherste Garantie für die Dauer des Bundesverhältnisses mit Italien liegt in der Stärke der Monarchie.“ Der Redner billigte sodann die Führung der auswärtigen Angelegenheiten in den letzten Jahren und fuhr fort: „Die Slaven haben aber nicht die Be⸗ ruhigung, daß unser Bündnissystem nicht ohne Einfluß auf die innere Politik der Monarchie ist. Den Balkanländern dürfen wirtschaftliche

Konzessionen nicht auf Kosten der Landwirte gewährt werden, wohl

aber bin ich für eine Zollunion mit den Balkanstaaten. Die Balkanpolitik

muß auf vollständig neue Grundlagen gestellt werden, wir müssen die

Syvmpathien der Balkanstaaten zu erwerben suchen.“ Der

Baron Gautsch betonte die Wichtigkeit der Herstellung günstiger Handelsbeziehungen mit den Balkanstaaten, wobei nehen der not⸗ wendigen Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Interessen diejenigen der Industrie nicht verkürzt werden dürften. Deshalb warne er vor

eedder Einseitigkeit in dieser Hinsicht. Der Redner richtete zum Schluß einen Appell an die Jugend, sie möge ihre bisherige Auslandsscheu überwinden und nach dem Vorbild Deutschlands durch Reisen ins Ausland in harter Arbeit ihren Gesichts⸗ kreis erweitern und Kenntnisse erwerben, um auf diese 8 Weise dem Vaterlande und dem Staat wirksam zu dienen. Bei der weiteren Beratung wies Grabmayr nach, daß uristisch von einem Rechts⸗ oder Vertragsbruch bei der Annexion Bosniens und der Herzegowina nicht die Rede sein könne. Er betonte, Deutschland habe durch seinen trenen Beistand in kritischen Tagen Oesterreichs Haltung in Algeciras mit Zinsen vergolten, was Oesterreich nie vergessen werde. Bezüglich des Verhältnisses zu Italien bedauerte der Redner, daß die italienische Universitätsfrage noch nicht gelöst worden sei, und erklärte, das einzige Mitittel gegen die zweifellos bestehende Irredenta liege darin, daß den Italienern die wirtschaftliche, intellektuelle und kulturelle Entwicklung innerhalb Oesterreichs gewährleistet werde. Oesterreich wünsche auf⸗ richtigen Frieden mit Italien und verlange nichts anderes, als den Verzicht auf unrealisierbare Träume als Gegenleistung. Der Redner appellierte an die maßgebenden Faktoren Italiens, auf die öffentliche Meinung und die Presse im Sinne eines Umschwungs der öffentlichen

Meinung zugunsten Oesterreichs einzuwirken. Er begrüßte die Be⸗

mühungen beider Regierungen im Interesse der Herstellung eines ehrlichen und lovalen Bündnisses. Der Delegierte Simionovici betonte die lebhafte Sympathie der Rumänen für den Dreibund: die

Rumänen würden den eventuellen Anschluß Rumäniens an den Drei⸗

und begrüßen.

Die Verhandlung dieses Punktes wurde hierauf ab⸗ ebrochen. In Beantwortung der sozialdemokratischen Inter⸗ pellation, betreffend die jüngste Rede des Wiener Vize⸗ bürgermeisters Porzer im Rathaus, erklärte der Minister des Aeußern Graf von Aehrenthal: Die Regierungen hielten an dem Grundprinzip der Nichtein⸗ mischung in fremde Angelegenheiten fest. Weder der römische Bürger⸗ meister Nathan noch der Vizebürgermeister Porzer seien öffentliche Funktionäre und daher engagierten sie die Regierungen durch ihre Ausführungen keineswegs. Ferner hob Se Aehrenthal hervor, daß die Angriffe gegen den Heiligen Vater allenthalben, speziell in Italien,

ine große intensive Bewegung hervorriefen.

Am Schlusse der Sitzung teilte der Präsident mit, daß der Vizepräsident Bärnreither infolge seiner zur Ordnung der böhrn schen Angelegenheiten notwendigen Anwesenheit in Prag ee Posten als Vizepräsident niederlege.

Die ungarische Delegation verhandelte gestern über das Heeresbudget. Die Delegierten Mazoecssy und

Bakonyi begründeten den ablehnenden Standpunkt der Unab⸗

hängigkeitspartei gegen das Budget mit der Nichterfüllung d.

ungarischen Militärforderungen.

Frankreich.

Der Ministerrat hat den Präfekten des Departements Aisne zur Disposition gestellt. Der Präfekt hatte sich, wie das „W. T. B.“ meldet, beim Ausbruch des Eisenbahnerausstandes ohne Urlaub in Paris aufgehalten und die für die Au recht⸗ erhaltung der Ordnung vorgeschriebenen Maßnahmen auf dem Bahnhof in Tergnier zu spät getroffen.

Zu Beginn der gestrigen Kammersitzung herrschte im Saale und in den Wandelgängen lebhafte Bewegung. Der Ministerpräsident Briand verlas die Erklärung der neuen Regierung, die, obiger Quelle zufolge, besagt:

Die Regierung, die an der Trennung der staatlichen von der kirchlichen Gewalt, an der Gerechtigkeit und der Freiheit festhält, wird sich ausschließlich auf eine republikanische Mehrheit stützen, die aus Männern besteht, die entschlossen sind, die Eroberungen der Republik gegenüber der Kirche gegen die Reaktion zu verteidigen und weiter auszudehnen. Die Regierung wird ein Gesetz zur Ver⸗ teidigung der Laienschule einbringen und auf gesetzlichem Wege die Wahl⸗, die Verwaltungs⸗ und die Justizreform sowie das Beamten⸗ und das Einkommensteuergesetz ins Leben rufen. Die Er⸗ klärung erinnert sodann an die zugunsten der Arbeiter ins Werk gesetzten Reformen, namentlich an die Altersversorgung, und sagt, die Arbeiter dürften einzig vom Gesetz, nicht aber von Unordnung und Gewalttat ihre wirtschaftliche Befreiung erwarten. Es werde sich empfehlen, den gesetzlichen Maßnahmen zur Vermeidung der unerträglichen Fälle von Sabotage und Anarchie, wie sie beim Eisenbahnerausstand zutage getreten wären, dadurch Nachdruck zu verleihen, daß man durch sie die Urheber olcher Handlungen und die, die zu ihnen aufreizten, treffe. Die Freiheiten der Syndikate würden dadurch nicht berührt, sie seien unverletzlich wie die Freiheit der Arbeit. Die Regierungserklärung weist ferner auf die Notwendigkeit hin, die Berufssyndikate in ihren nützlichen Bestrebungen zu fördern und die Beteiligung der Arbeiter am Gewinn unter den bereits angegebenen Bedingungen zu sichern. Die Regierung werde aber nicht dulden, daß die Syndikate eine gesellschaftsfeindliche politische Aktion organi⸗ sierten. Es werde auch notwendig sein, die Syndikatsverbände derart auszugestalten, d sie eine richtige Vertretung der Arbeiter dar⸗ stellten, und die Frage des Ausstandes der Angestellten der öffent⸗ lichen Betriebe unzweideutig zu regeln. Ein Schiedsgericht sei zwar ein vorzügliches Vorbeugungsmittel, könnte aber unwirksam sein. Es wäre unzulässig, daß Angestellte, die Sondervorteile genössen, durch Lähmung des öffentlichen Lebens das Vaterland in Gefahr brächten. Die Regierung werde eine Abstim⸗ mung über die Maßregeln fordern, die nötig um den öffent⸗ lichen Dienst im Falle eines Ausstandes der Angestellten der öffentlichen Betriebe sicherzustellen. Dank dieser Maßnahmen werde die Republik, stark auch durch ihre Allianz und ihre freundschaftlichen Beziehungen, denen sie unabänderlich treu zu bleiben beabsichtige, inmitten der Nationen den Rang bewahren können, der ihr zukomme, werde ihrer Stimme nach außen Geltung verschaffen und in den Beziehungen zu den anderen Staaten die traditionelle Politik üben können, die die Größe Frank⸗ reichs geschaffen habe. Die Regierung sei entschlossen, die militäͤrische Macht, die sichere Garantie des internationalen Friedens und das Unterpfand der nationalen Würde, zu stärken. Die Regierung rechne schriegrich darauf, daß das Parlament das Marineprogramm annehmen werde.

Nach der Verlesung der Erklärung trat die Kammer sofort in die Debatte über die Interpellationen der Sozialisten, betreffend die arbeiterfeindliche Politik des Ministeriums und die Umstände, unter denen das Kabinett gebildet worden ist, ein.

Der Abg. Painlevé (unabhängiger Soz.) warf Briand vor, daß er um das Vertrauen der Kammer gebeten habe für ein Mi⸗ nisterium, das nicht mehr bestanden habe, da es gleich darauf zurück⸗ trat. Painlevé griff in seinen weiteren Ausführungen die Persön⸗ lichkeit Briands heftig an, dem er vorwarf, daß er das Volk mit patriotischen Redensarten getäuscht habe und dacher erst habe Minister werden müssem, um zu lernen, daß Frankreich Grenzen habe. Briand erwiderte, er habe nicht darauf gewartet, die antipatriotische Taktik gewisser Sozialisten zu brandmarken, bis er Minister geworden sei. Der Abg. Painkevé warf Briand ferner seine sozia⸗ listische Propaganda und seinen Mangel an republikani⸗ scher Loyalitat heftig vor und rief: „Solange Sie dort sind, wird auf der Ministerbank etwas faul sein!“ Aubriot (geeinigter Sozialist) erklärte bei Besprechung der Um⸗ stände, unter denen der letzte Ministerwechsel stattgefunden, Briand habe einen wahrhaften Vertrauensmißbrauch gegen seine Majorität be⸗ gangen. Jaurès sagte, die ministerielle Erklärung enthalte zwei Charakterzüge: Brutalität und Zweideutigkeit, die erstere, weil sie wage, den Arbeitern in den öffentlichen Betrieben das Streikrecht zu nehmen, die zweite, weil sie nicht angebe, wie sie diese Drohung ausführen wolle. Im weiteren Verlauf seiner Rede wünschte Jaurès, daß die Regierung erkläre, ob sie Anhängerin des fakultativen oder des obligatorischen Schieds⸗ gerichts sei, und warf Briand vor, daß er ein doppeltes Spiel spiele mit den Parteien der Linken und des Zentrums. Der Redner erklärte ferner, die Gemäßigten und die Konservativen hätten den neuen Arbeitsminister Lafferre angenommen, weil sie in ihm einen Reaktionär sehen. Er griff Briand dann von neuem heftig an, der sich allen Parteien entziehe, und bedauerte zum ee. daß alle reaktionären Regierungen heute Briand als Beispiel anführten.

Als letzter der gestrigen Redner trat Theodore Reinach (radikal) für das obligatorische Schiedsgericht ein, worauf die Sitzung auf heute vertagt wurde.

Im Senat wurde die ministerielle Erklärung von Justizminister Girard unter lebhaftem Beifall verle en.

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ö1“ “““ Spanien. 1“

Der Minister des Aeußern hatte gestern nachmittag eine Besprechung mit El Mokri über die Garantien, die der Machsen für die Spanien zu zahlende Entschädigung geben soll. El Mokri bat, wie das „W. T. B.“ meldet, die Verhand⸗ lungen bis nächsten Freitag zu vertagen, um sich Instruktionen aus Tanger einholen zu können. 8 b114“

Belgien.

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Der König Albert hat gestern das Parlament mit einer Thronrede eröffnet, in der er, „W. T. B.“ zufolge, zunächst des Königs Leopold gedachte, dessen Sorge es gewesen sei, Belgien schöner zu gestalten und ihm durch Schaffung einer Kolonie neue Absatzmöglichkeiten zu eröffnen, und dann, an seine eigene Thronbesteigung erinnernd, für die Sympathie⸗ beweise seines Volkes dankte und weiter feststellte, daß er und die Königin an den ausländischen Höfen eine herzliche Auf⸗ nahme gefunden hätten, wie das belgische Volk seinerseits dem Kaiser Wilhelm einen herzlichen Empfang bereitet habe.

Die Thronrede kündigt sodann an, daß die zwischen Deutschland, England und Belgien getroffenen Vereinbarungen über die Grenze im Kongogebiet demnächst der Kammer zugehen werden, hebt den großen Erfolg der Weltausstellung hervor und betont, daß immer mehr daran gearbeitet werden müsse, auf dem Gebiete der Kunst, Literatur und Wissenschaft das Niveau der nationalen Erziehung ziu heben. Auch der gelungenen Ausstellung alter Kunst des

XVII. Jahrhunderts wird gedacht. Die Thronr

Sprachenkämpfe mit Mäßigung zu führen, den hes Fa Förderung des Fachunterrichts zu heben und den Kindern 8 n besuch durch gesetzliche Maßnahmen zu erleichtern. em 1g vater müsse durch gesetzliche Vorkehrungen das Recht 1 Fand werden, den ihm genehmen Unterricht für sein Kind augznemübth die soziale Fürsorge müsse erweitert werden durch Vervollständen Gesetze über die Altersrenten und den Kinderschutz und durch Cun von Handels⸗ und Industrieräten. Endlich werde die Re 8 dhfe Heimarbeit regeln. Nach Ankündigung einiger Gese gentwene die Militärpensionen erörtert die Thronrede die Abnahme de

genusses und das günstige Ergebnis des neuen Militärgesetzes Gb

Finanzlage des Landes sei gut, jedoch sei Sparsamkei Schluß er baht die 1“ in kst gcbole die in diesem Jahre vervollständigt werden sollen. wohän Vor dem Verlesen der Thronrede kam es zu lärmen Kundgebungen. Als nämlich der König den Sitzungssnt Kammer betrat, riefen die Sozialisten: „Auflösung! Allgene Stimmrecht!“ Sie wurden aber durch die Rufe: Es lane König!“ übertönt. „1

Im Senat erklärte gestern, obiger Quelle zuf der wiedergewählte Präsident Vicomte Simonis, daß 1 sich durch den Besuch des Deutschen Kaiserpaares am bel s Hofe geehrt fühle. Man dürfe aus diesen Freundse bezeugungen einer großen Nation schließen, daß man allr wisse und anerkenne, daß Belgien als neutrales undes hängiges Land sich allgemein Achtung verdient habe.

8 Griechenland. Die gestrige, vom „W. T. B verbreitete Nachricht einem Zusammenstoß zwischen griechischen Evzonen und kürkse Truppen in der Gegend von Prevesa wird in Athen in Form für falsch erklärt. 1

Nach dem gestern ausgegebenen Krankheitsbericht hat⸗ Kronprinz Alexander die Nacht in ruhigem, tiefem Sch verbracht. Nach Mitternacht stellte sich reichliche Schne absonderung ein. Morgens fühlte sich der Patient sehr; Die Untersuchung aller Organe zeigt keine Veränden. Temperatur 378. 1”“

Schweiz.

1 Das Aktionskomitee gegen den Gotthardverta veröffentlicht einen Aufruf an das Schweizer Volk, wori. „W. T. B.“ zufolge, die Bürger ermahnt, sich ernstlich dieser für die wirtschaftliche Zukunft der Schweiz wicht Frage zu beschäftigen. Das Komitee fordert auf, eine Peit an das eidgenössische Parlament zu unterzeichnen und A versammlungen abzuhalten. Der Aufruf trägt 113 lm. schriften, darunter von 24 Mitgliedern des eidgenössischen! laments, von zahlreichen bekannten Vertretern von Pc Militär, Universitäten, Handel und Industrie, aus allen Gegen des Landes und von allen politischen Parteien. 1

Amerika.

Iyn der Mehrzahl der Einzelstaaten de Union haben gestern Gouverneurs⸗, Staats⸗! Kongreßwahlen stattgefunden. In vielen Staaten veu auch die Staatslegislaturmitglieder gewählt, die ihrere etwa 30 neue Bundessenatoren zu wählen haben. Angesih

amerikanise

der Unzufriedenheit mit dem neuen Zolltarif und der A die über diese Frage in republikanischen Kri

wirrung, herrscht, hoffen, „W. T. B.“ zufolge, die Demokraten 1 sichtlich auf eine Majorität im Repräsentantenhause und Zuwachs an demokratischen Bundessenatoren. Das gn⸗ Interesse wendet sich den Staaten New York, wo die Pei lichkeit und die Politik Roosevelts im Mittelpunkte steht,“ Jersey, Ohio und Connecticut zu. In den Staaten Wiseng Idaho, Minnesota, Indiana und in Teilen von Washinat Californien, Oregon, Colorado und Texas rechnet man! einem Siege des progressiven Flügels der republikanischen Pan wenn nicht der Demokraten.

Bei der vorgestrigen Eröffnung des kubaniset Kongresses erklärte der Präsident Gomez den bishe Zenee für veraltet, forderte, wie das „W. T. B.“ udh anläßlich der Tarifrevision die Erhöhung der Zöll schutzzöllnerischer Grundlage und erwähnte, daß besor Zölle auf Schuhe, Gewebe, Seife, Flaschen und Papiere Erhöhung bedürfen.

Die chilenische Regierung hat, obiger O folge, 94 791 500 chilenische Gold⸗Piaster angewiesen; von 2405 km Eisenbahnen.

Afien.

Nach Depeschen des Wali von Van hat, wie das „W meldet, bei Dschar ein heftiger Zusammenstoß zwi türkischen Truppen und persischen Irregulären geblich auch persischen Regulären, stattgefunden, die türkischen Truppen besetztes Gebiet überfallen haben, aber Verlusten zurückgeschlagen worden sind. Die Pfort bei der persischen Regierung Protest erheben.

Nach einer Meldung der „St. Petersburger Tele agentur“ ist in Schiras der Belagerungszustand erklärt

Parlamentaris che Nachrichten.

Nach dem amtlichen Wahlergebnis sind bäl Reichstagsersatzwahl im 4. Posener Wahlte (Neutomischel, Grätz, Kosten, Schmiegel) am 4. Novembe ganzen 22 149 Stimmen abgegeben worden. Davon der Schriftsteller Morawski (Pole) 16 413, der Ritteng besitzer Schwartzkopf (deutschkons.) 5678, der Redlt Sremski (Soz.) 46 Stimmen erhalten. Zersplittert un 12 Stimmen.

Bei der Ersatzwahl eines Mitglieds des Hauses 1 Abgeordneten, die am 8. d. M. im 4. Wahlbezirke; Stadt Berlin (umfassend den östlichen Teil der Temp Vorstadt und den südlichen Teil der Luisenstadt diesseitze Kanals) stattfand, wurde an Stelle des Abg. Dr. Müller, de Mandat niedergelegt hat, wie hiesige Blätter berichten, Stadtverordnete Kreitling (Fortschrittliche Volkspartei; 269 Stimmen gegen 193, die auf den Schriftsteller Grumd (Sozialdemokrat) entfielen, gewählt.

fürchte

daher waren die Steuern und Pachtzinsen vielfach

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die Bamberger Konferenz von Vertretern der deutschen wisierten Sch uhfabrikanten hat, wie die „Köln. Ztg.“erfährt, orgar Zuziehung von Fabrikanten und auesständigen Arbeitern aus Wethen den letztern einige Zugeständnisse gemacht, über die gestern Hrenbede, Ausständigen in Dresden beschließen sollten. Man be⸗ aben taber, daß die Zugeständnisse unzureichend seien, um dort den fintend beizulegen und die drohende allgemeine Aussperrung in der

ttschen Schuhindustrie zu verhindern. (Vgl. Nr. 260 d. Bl.) deu Die Ausstandsunruhen der Bergarbeiter in Wales val. Nr. 263 d. Bl.) nehmen einen bedrohlichen Umfang an. Der Minister des Innern Churchill, der vermittelnd eingreifen will, hat, wie W. T. B.“ meldet, gestern an die Bergarbeiter von Südwales ein Schreiben gerichtet, in dem es heißt, ihre besten Freunde in London seien sehr betrübt über die Unruhen, die ausgebrochen seien, und wollten ihr Bestes daran wenden, den Bergleuten zu helfen. Ein Ver⸗ freter des Handelsamts wünsche mit den Vertretern der Bergarbeiter zu verhandeln. Aber die Unruhen müßten sofort aufhören, sodaß die Unter⸗ suchung nicht beeinflußt werde. Im Vertrauen auf den gesunden Sinn der Bergleute halte er die Soldaten vorläufig zurück und sende en ihrer Stelle Polizeimannschaften. 6 Im Laufe des gestrigen Abends begingen die Ausständigen in den Orten Tonypandy und beraman mehrfach A usschreitungen. In Tonypandy wurden zahl⸗ reiche käden geplündert, Fensterscheiben wurden eingeworfen und großer Schaden angerichtet. Es kam zu heftigen Zusammenstößen mit der olizei, wobei auf beiden Seiten zahlreiche Personen verwundet

1 wurden. In Pontypridd, wo sich die Unruhen wiederhbolten, ist

eine Schwadron Kavallerie eingetroffen, eine zweite Schwadron

1 rge gen. Außerdem sind dort gestern abend 270 Polizei⸗ wird morgen folgen. Außerdem sind dort gestern ab 8 3 heamte aus London eingetroffen, die sich unverzüglich nach Tonypandy und Aberaman weiterbegeben haben; heute vormittag wurden noch weitere 200 Polizeibeamte dort erwartet. Nach Meldungen aus Cardiff sind bei den Unruhen im Kohlenbergwerksgebiet von Glamorgan wenigstens 100 Personen verletzt worden. Unter den Verletzten befinden sich zwei Journalisten. Während die Polizei den Wohnsitz des Bergwerkedirektors in der Nachbarschaft der Stadt Tonypandy zu schützen bemüht war, war die Menge geraume Zeit Herr von Tonypandy, durchzog in Trupps die Straßen, zer⸗ trümmerte die Ladenfenster und warf die Waren auf die Straße, sodaß die Stadt aussah, als sei sie beschossen und geplündert worden. Ein Polizeibeamter von Tonypandy wurde schwer verletzt und ist seinen Wunden erlegen. Aus Cardiff werden Truppen er⸗ wartet. Man hegt Befürchtungen wegen der Sicherheit Llewellvns, des Generaldirektors der Cambrianbergwerke, der mit etwa fünfzig Mann in der Hauptstation der Glamorgan⸗Kohlenberg⸗ werke eingeschlossen ist. Llewellyn und seine Mannschaft halten die Maschinen im Betrieb, um einer Ueberflutung der Mine vorzubeugen. Während der Ruhestöcungen sind die Ventilationsanlagen von zwei Schächten unbrauchbar gemacht worden, und man fürchtet, daß infolge⸗ dessen 400 Pferde in diesen Schächten erstickt sind. Der ganze Bezirk bietet ein Bild der Zerstörung. Mehrere Polizeibeamte sind schwer verletzt worden. 1

Die im englischen Schiffbau beschäftigten Kesselschmiede haben, „W. T. B.“ zufolge, das von ihren Vertretern mit den Ver⸗ tretern der Arbeitgeber abgeschlossene Abkommen mit 15 563 gegen 5850 Stimmen verworfen. (Vgl. Nr. 247 d. Bl.)

In Liverpool war gestern, wie „W. T. B.“ meldet, infolge eines Ausstandes der Fuhrleute, die kürzere Arbeitszeit verlangten, der Verkehr im Hafen und in den Docks lahmgelegt. Etwa 4000 Mann feierten. Der Ausstand ist aber inzwischen wieder bei⸗ gelegt worden.

Kunst und Wissenschaft.

Wir sind heute dabei, das Scheckwesen innerhalb der deutschen Post⸗ verwaltung mehr und mehr auszubauen und volkstümlich zu machen. Wir halten das für eine neuzeitliche Errungenschaft, und doch hat schon im Altertum ein Gixo⸗ und Scheckverkehr bestanden, dessen Einrichtungen im alten Aegypten uns durch die Papyri überliefert sind. Während zahlreiche sonstige Einrichtungen des praktischen Ver⸗ waltungsdienstes sich durch das Mittelalter hindurch forterhielten, konnte das Scheck und Girowesen, das sich auf gegenseitiges Vertrauen stützt, die schweren Erschütterungen, die den Untergang der antiken Welt zur Folge hatten, nicht überdauern und selbst die Erinnerung an das hochwichtige antike Girowesen ging verloren. Der Telegraphendirektor Dr. Preisigke in Straßburg hat nun in einer Schrift „Girowesen im griechischen Aegypten, enthaltend Korn⸗ giro, Geldgiro, Girobanknotariat, mit Einschluß des Archivwesens“ auf Grund der Papyrusurkunden ein genaues Bild von dem ägypti⸗ schen Girowesen entworfen. In der letzten Nummer des „Archivs für Post und Telegraphie“ teilt er die Hauptergebnisse seiner in jenem Buch dargelegten Feststellungen mit; diesem Aufsatz sind die nach⸗ stehenden Angaben entnommen. Im alten Aegypten, das ein Ackerbau⸗ staat war, waren neben Geldzahlungen auch Naturalzahlungen üblich. Ein großer Teil des Fruchtbodens war Staatseigentum oder Krongut, wo in Korn statt in Geld festgesetzt und diese Zahlungen erfolgten auch in der Regel durch Korn. Diese Zahlungsform war in Aegypten nicht die Folge⸗ erscheinung einer primitiven Kultur, vielmehr bei dem agrarischen Cbarakter des Landes durchaus zweckmäßig und ein Zeichen einsichtiger Staatsklugheit. Dieser Kornzahlungsverkehr trägt nun die Lurzeln des Giro⸗ und Scheckverkehrs in sich. Die Schwierigkeit des Austausches der Naturalien drängte auf Ver⸗ einfachung; dabei richteten sich die Blicke ganz von selbst auf die staat⸗ lichen Getreidespeicher, die fast in jedem größeren Dorf errichtet waren. n ihnen wurde das als Pachtzins für Staats⸗ und Kronländereien gelieferte Getreide gelagert, aber auch die Ernte von Privatbesitzern konnte in ihnen als Privatguthaben untergebracht werden. So ent⸗ wickelten sich bei diesen Staatsspeichern private Guthaben in aturalien, von denen Steuern, Pacht oder sonstige Zahlungen in Form von Abschreibungen geleistet werden konnten. Da der Privatmann bei zenutzung der stactlichen Speicher die Kosten für eigene Bauten erspparte, auch vor Diebstahl und Feuer sicherer war, andererseits die gesicherte Lagerung der Ernte das geschäftliche Vertrauen und damit die Steuerkraft des Landes erhöhte, war diese Einrichtung für den rivatmann wie für den Staat von gleichem Nutzen und us Korngirowesen kam in Aegypten bald zu hoher Blüte. Undere Stellen zur Abwicklung von Girokornzahlungen als die staat⸗ ichen Speicher gab es nicht. Der Girogeldverkehr hingegen Jag durchweg in den Händen von Privatbanken und drängte sich natur⸗ semäß in den Gauhauptstädten zusammen. In jeder Gauhauptstadt Pöfand sich freilich auch eine die sich aber nur mit der Gerwaltun der Staatsgelder befaßte. Der Privatmann benutzte bei egetzagtungen sowohl an Private wie an den Staat Bankinstitute, ie ühnlich unserer Reichsbank eine Mittelstellung zwischen Behörde 12 Privatbank einnahmen (Staatsbanken) und die von der Regierung berpachtet waren. Die Staatskasse des Gaues und alle in ihm vefindlichen Staatsspeicher standen unter der Oberleitung einer Gau⸗ desichtsbehörde, die man als Gaurechenkammer bezeichnen kann; bei 8es Behörde flossen monatlich die Rechenschaftsberichte und Ab⸗ rchnungen des Gaues zusammen: von der Staatskasse die Ab⸗ schnungen über Bargeld, von den Staatsspeichern diejenigen über wzetreide. In der Landeshauptstadt Alexandrien befand sich die nirgeordnete Landesrechenkammer, an deren Spitze der Finanz⸗ n ser stand. Von dieser Behörde wurden die Geld⸗ ud Kornrechnungsbelege aus allen Städten und Dörfern nachgeprüft. im alten Aegyten finden wir also dieselbe Dreiteilung der Behörden, as sie auch bei uns heute besteht. Aus den Papyri ist ersichtlich, gir meist Weizen, seltener Gerste in den Staatsspeichern als Pripat⸗ toguthaben verwaltet wurde. In allen Belegen und Uebersichten rden die Korngattung und der Jahrgang angegeben, Unter⸗

fidungen nach der Güte wurden aber nicht gemacht. Mit einer een Unterscheidung wäre das Girowesen in Korn auch garnicht

durchführbar gewesen: ein Scheffel Weizen, den man im Dorfe A beim Staatsspeicher einzahlte, mußte denselben Wert haben, wie ein Scheffel Weizen, den der Staatsspeicher des Dorfes B an den Giroempfänger auszahlte. Die eigenartige Fruchtbarkeit Aegyptens brachte es auch mit sich, daß der Weizen in allen Teilen des Landes von gleicher Güte war. Das Staatsgetreide scheint von dem Privat⸗ getreide nicht getrennt gelagert worden zu sein. Die Form der Giro⸗ anweisung mag eine Aufzeichnung auf einer Tonscheibe aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. zeigen. Die auf ihr enthaltene griechische Inschrift lautet in deutscher Uebersetzung: „Prophetes an Amonios Gruß zuvor. Buche um aus meinem Giroguthaben auf den Namen Lukillas ½ + ½ Weizen, wiederhole ½ + ½ Weizen“. Prophetes ist der Aussteller der Giroanweisung, Amonios der Vorsteher des betreffenden Staatsspeichers, Lukillas der Giro⸗ empfänger. Das übliche Getreidemaß war die Artabe (etwa 33 S die Benennung des ist als selbstverständlich fortgelassen. Die geringe Menge der Zahlung zeigt, daß man auch kleine Schulden in Korn tilgte und sich auch bei ihnen des Giro bediente. Die Wieder⸗ holung der Summe geschah im Kassen⸗ und Rechnungswesen allgemein. Es war dem Girozahler gestattet, mehrere Giro⸗ anweisungen an verschiedene Empfänger auf einem Papyrus⸗ blatt oder auf einer Scherbe niederzuschreiben. Die Anweisung verblieb als Kassenbelag dauernd beim Staatsspeicher. Die Giro⸗ anweisungen mußten im Ausstellungsmonate beim Staatsspeicher ver⸗ rechnet werden; erst im Monat nach ihrer Ausstellung eingehende Rechnungen galten als überfällig und ungültig. Diese Vorschrift war erlassen, weil man weder sprachlich noch geschäftlich eine Unterscheidung zwischen Giroanweisung und Scheck machte. Beide hießen dεαeστοεν und es war dem Aussteller eines solchen überlassen, es unmittelbar an den Speicher zu senden (Giroanweisung) oder dem Zahlungsempfänger auszuhändigen (Schech). Durch jene Vorschrift wollte man die Lauffrist des Schecks auf den Ausstellungsmonat be⸗ schränken. Neben den Schecks, auf denen eine bestimmte Person als Zahlungsempfänger genannt war, gab es solche, die von Hand zu Hand laufen konnten, bis schließlich ein beliebiger Inhaber den Scheck beim Speicher zur Zahlung vorwies; bei jenen mußte der Vorweiser Namensunterschrift leisten, bei diesen fiel jede Prüfung fort, doch mußte der letzte Inhaber eine besondere Antragsformel unter den Scheck setzen. Eine solche aus der Z it um 155 n. Chr. lautet in deutscher Pbersezung⸗ „Ich, Philoxenos, genannt Philiskos, Sohn des Dionysios, weise den Scheck hiermit vor mit dem Antrage, mir die (oben im Scheck) benannte eine Artabe Weizen auszufolgen unter Lastschrift auf den Namen des (Scheckausstellers) Diogas, Sohnes des Anois“. Das Giroguthaben wurde teils durch Selbsteinlage des Guthabers, teils durch Zahlungen anderer Personen gebildet, wobei Ein⸗ zahlungen durch Giroumschrift oder durch Zuführung in Getreide in natura erfolgen konnten; ob ein Mindestbestand festgesetzt war, wissen wir nicht. In zahlreichen Ackerpachtverträgen findet sich die Bestimmung, daß der Pächter sich verpflichte, den Pachtzins in Weizen an den Verpächter im Girowege zu zahlen, und zwar sofort nach der Ernte. Der Verpächter besaß in solchen Fällen entweder noch andere Ländereien, um derentwillen er ein Girokonto beim Staatsspeicher unterhielt, oder er hatte ein Getreidegeschäft. Aehnlich wurde die Girozahlung von Getreidesteuern erledigt. Diese flossen dem Staat nicht un⸗ mittelbar zu, sondern liefen vorher durch die Hand von Steuererhebern. Jährlich wurde von der Regierung ein Steueretat aufgestellt, wobei die Einnahmen des Vorjahres als Grundlage dienten. Der Etat zerfiel in den Etat für Getreidesteuern und in den für Geldsteuern. Jedem Gau wurde dann die Gauhauptsumme als Steuersoll zu⸗ geschrieben. Der Gau verteilte diese Hauptsumme auf die einzelnen Gemeinden, diese wiederum auf die Zünfte, Körperschaften usw. Staat⸗ liche Steuerbeamten besorgten die Einziehung, sie waren entweder Ge⸗ treide⸗ oder Geldsteuererheber. Die Erheber waren liturgische Beamte, das heißt, sie hatten den Erheberdienst als Fron ein Jahr lang unentgelt⸗ lich zu leisten, und zwar auf eigene Gefahr; uneinziehbare Steuerbeträge mußten sie aus eigener Tasche decken. War ein Steuererheber für eine Dorfgemarkung bestellt, so ließ er bei dem Staatsspeicher dieser Ge⸗ markung sofort ein Girokonto für sich einrichten. Alle Steuerzahler, die selbst ein solches Konto besaßen, zahlten dann ihre Steuern auf das Konto des Getreidesteuererhebers, indem sie den Steuerbetrag von ihrem Konto abschreiben ließen. Wer kein Konto besaß, mußte seine Steuer in natura im Steaatsspeicher abliefern, wo der Betrag im Konto des Erhebers gutgeschrieben wurde. Dieses Konto, das lediglich für die Steuereinnahmen diente, war an sich ein Privatkonto, der Staat hatte aber jeden Steuerbetrag vom Augenblick der Einzahlung in seinem Gewahrsam und konnte auch Tag für Tag die Steuereinnahmen feststellen. Das Privat⸗ steuerkonto diente zugleich als Abrechnungsbuch über die dem Erheber amtlichzugefertigten und von ihm eingezogenen Beträge. So wurde das pri⸗ vate Girokonto des Erhebers ganz von selbstzum Dienstkonto. Ein weiterer Vorteil aus der Giroeinrichtung erwuchs den Steuererhebern daraus, daß das Girowesen einen Fernverkehr ermöglichte. Im Altertum war jedermann nur in seinem Heimatsort steuerpflichtig; bei neuen Schätzungen mußte sich daher jeder in seinen Heimatsort begeben, um an Ort und Stelle persönlich seine Steuererklärungen abzugeben. Nach erfolgter Schätzung zerstreuten sich die Leute wieder, blieben aber zahlungspflichtig in ihrem Heimatsort. Daraus erwuchsen den Steuer⸗ erhebern große Schwierigkeiten und Verluste, denen sie durch gegen⸗ seitige Hilfe zu begegnen suchten. Man zog gegenseitig Kornsteuern ein, führte sie an die Staatskonten der Sactespeicher ab und be⸗ wirkte den Ausgleich buchmäßig durch die an die Gaurechnungs⸗ kammer eingesandten Monatsübersichten. Die Fremdpostenunterschiede, die aus dem Fernverkehr über die Gaugrenzen noch verblieben, wurden durch Gegenrechnung bei der Landesrechnungskammer in Alexandrien ausgeglichen. Eine andere Gattung des Girofernverkehrs war der Fernverkehr für Privatzahlungen; wurde er von den Steuererhebern zwecks Einziehung unterhalten, so bedienten sich die Privatleute seiner zwecks Auszahlung von Getreide⸗ summen am Fernorte, was für Landwirte sehr wertvoll war. Zur Sicherung des Fernbetriebes waren Dienstrückmeldungen vor⸗ geschrieben. Die Privatguthaben im Staatsspeicher konnten wie jeder andere Besitz verpfändet oder beschlagnahmt werden. Gehörte der Girobesitz unmündigen Kindern, so bedurfte die Giroanweisung der Gegenschrift des Vormundes. Für die Lagerung und Behandlung der Giroguthaben mußte der Guthaber an die Staatsspeicher be⸗ stimmte Gebühren zahlen. Ueber jede Zahlung erteilte der Staats⸗ speicher Quittung an den Einzahler, gleichviel ob die Ein⸗ zahlung durch Finmessen von Korn oder durch Lastschrift im Konto des Zahlers geschah; ebenso wurde bei jeder Giro⸗ einzahlung zu Händen des Giroempfängers eine Meldung ausgefertigt. Die Steuergiroquittung enthielt nur den Etatstitel, in den die Zahlung fiel (Gewerbesteuer, Kopfsteuer, Erntesteuer usw.). Eine Steuerquittung des Staatsspeichers lautet also z. B.: „Im Jahre x, am x. des Monats. N. Eingezahlt hat N. für Rechnung des Titels Kopfsteuer x Artaben Weizen. N., Speichervorsteher.“ Kassentagebücher und Kontobücher waren,

r ento wie her auch damals die grundlegenden Kassenbücher. 1“

Die Akademie der Medizin in Paris wählte den Bakteriologen Loeffler G Id zum wirklichen auswärtigen Literatur.

Der Lehrprinz. Lehrbuch der heutigen Jagdwissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse des Jagdbesitzers und des Jagdverwalters. Von Oberländer. Zweite, nach den neuesten Er⸗ fahrungen bearbeitete und verbesserte Auflage. Mit 242 Abbildungen nach Originalzeichnungen, Photographien und Originalholzschnitten. (Verlag von J. Neumann in Neudamm.) Preis gebunden 10 ℳ. Die alten Lehrbücher der Jagd und Jaadwissenschaft von Hartig, Diezel u. a. sind sicher auch noch heute lesenswert, für eine neue, den modernen Verhältnissen angepaßte Bearbeitung des ganzen Stoffes lagen aber unstreitig triftige Gründe vor, da sich

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ite, so

die Jagdverhältnisse seit der Zeit, in der jene Bücher er⸗ schienen, durchaus geändert haben. Nicht nur die Gesetzgebung hat in sie eingegriffen, sondern auch die moderne Technik hat ihre Hilfs⸗ mittel ausgestaltet, die Naturwissenschaft unsere Kenntnis vom jagdlichen Nutzen und Schaden einzelner Tiere erweitert, und es kann auch nicht bestritten werden, daß ein verfeinertes sittliches Gefühl das Weidwerk in den Anschauungen der wirklich weidgerechten Jäger veredelt hat. Oberländer hat es in dem vorliegenden Buch ausge⸗ zeichnet verstanden, die überkommenen, noch heute gültigen weidmännischen Regeln nach den Forderungen der Gegenwart auszugestalten, unter pietätvoller Wahrung der wertvollen Ueberlieferung den neuen Errungenschaften den ihnen gebührenden Platz anzuweisen. Sein Buch wird dem erfahrenen Jäger ebenso Anregung und Aufschlüsse bieten, wie es ein treffliches Lehrbuch für den jungen Nachwuchs ist. Ueberall zeigen sich in ihm Theorie und Praxis auf das glücklichste vereinigt, und aus jedem Kapitel spricht eine vollkommene Beherrschung des reichen Stoffes und der über⸗ reichen Jagdliteratur. Die Anordnung ist praktisch und über sichtlich. Nachdem einleitend das Weidwerk vom Standpunkt de Ethik betrachtet ist, beschäftigt sich der erste Abschnitt mit aller Fragen, die für die Erziehung des jungen Jägers von besondere Wichtigkeit sind. Dem Leser werden in ihm neben einer kurzen Ge schichte des deutschen Jagdwesens die Grundzüge des deutschen Jagd rechts und die der Jagdzoologie geboten und er wird mit der deutschen Jagdsprache bekannt gemacht. Der zweite Abschnitt behandelt di Vorbereitung für die Praxis, das Schießwesen, die Jagdwaffen Schießkunst und Jagdausrüstung, während im dritten alle Fragen be antwortet werden, die den Jäger als Revierinhaber und verwalter angehen. In diesem besonders wichtigen schnitt ist auf knappem Raum eine geradezu erstaun liche Fülle von Material übersichtlich und eingehen behandelt: Die Erwerbung des Reviers, das Verhältni zu den Jagdteilhabern und Grenznachbarn, Jagdschutzpersonal un Jagdverwaltung, Wildhege, Wildschaden und Wildschadenvergütung Wildererunwesen und Gastschütze. Der letzte Abschnitt handelt vo der eigentlichen Jagdausübung. Die zahlreichen Abbildungen gereichen dem Buche ebenso zur Zierde, wie sie seinen Text veranschaulichen. Ein sorgfältiges Register schließt das fast 600 Seiten starke Werk ab Der Umstand, daß der Verlag den Preis der zeitgemäß ergänzten Neu auflage von 18 auf 10 herabgesetzt hat, wird sicher dazu beitragen dem wertvollen Buch in immer weiteren Kreisen der Jäger und Jagd liebhaber Verbreitung zu verschaffen.

Friedrich Lienhard: Oberlin. Roman aus der fran zösischen Revolutionszeit. Buchschmuck und Einband nach Zeichnungen von Kurt Jäckel. Broschiert 4,50 ℳ, gebunden 5,50 ℳ. Verlag von Greiner u. Pfeiffer in Stuttgart. Dieses Buch gibt uns di Entwicklungsgeschichte eines jungen Elsässers und zugleich ein an⸗ schauliches Bädd der französischen Revolution und ihrer Wirkungen auf das Elsaß. Leidenschaft, Freundschaft und Liebe und daneben die Erschütterungen und leidvollen Erfahrungen, die durch die französische Revolution hervorgerufen werden, sind es, die einschneidend in Viktor Hartmanns inneren und äußeren Lebensgang eingreifen. Lehrer, Führer und Meister wird Oberlin, ein Pfarrer und eigenartiger Mann, dessen Trachten dahin geht, die Menschen von innen heraus zu veredeln, zu erleuchten, zum Frieden der Seele und zu wahrem Herzensadel zu leiten. Geschickt sind Geschichte und Phantasie zu einem Ganzen verbunden, und wir gewinnen einen tieferen Einblick in jene bewegte Zeit. Vertraute Namen, wie Lili von Türckheim, Friederike Brion, Pfeffel ꝛc., treten als redende und handelnde Menschen vor uns hin, oder wir vernehmen die Wirkungen von Persönlichkeiten wie Goethe, Kant ꝛc. an anderen. Der Roman hat genaue Studien, unveröffent⸗ lichte Papiere aus Privatbesitz, Reste von Oberlins Bücherei, eine Reihe von Briefen und Memoiren der auftretenden Personen zur Grundlage. eignet sich gut zum Geschenk für die Jugend.

Ausstellungsnachrichten. b

Wie die Ständige Ausstellungskommission für die Deutsche Industrie, „W. T. B.“ zufolge, mitteilt, wird die Internationale Eisenbahn⸗ und Verkehrsmittel⸗Ausstellung in Buenos Aires am 2. Januar 1911 geschlossen werden.

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Land⸗ und Forstwirtschaft.

Wien, 8. Novemher. (W. T. B.) Das Ergebnis der Obst⸗ ernte ist befriedigend bis sehr befriedigend, das der Olivenernte infolge Umsichgreifens der Oelfliege verschlechtert. Der heimische Weinbau hat ein Mißjahr gehabt; im allgemeinen ist die Qualität schwachmittel.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.

Das Kaiserliche Gesundheitsamt meldet den Ausbruch der Maul⸗ und Klauenseuche aus Pianovo, Kreis Kosten, Reg.⸗ Bez. Posen, Kandlau, Kreis Fraustadt, Reg.⸗Bez. Posen, und Peitz, Landkreis Kottbus, Reg.⸗Bez. Frankfurt, sowie aus Pirmasens, Bezirksamt Pirmasens, Reg.⸗Bez. Pfalz, Niederlustadt, Bezirksamt Germersheim, Reg.⸗Bez. Pfalz, und Schlacht⸗ und Viehhof berg am 7. November 1910. v“

1.

1“

Türkei. folgende

Der internationale Gesundheitsrat in Konstantinopel hat Quarantänemaßnahmen verfügt:

Die für die Herkünfte von Neapel angeordneten Quarantäne⸗ maßregeln sind aufgehoben, Herkünfte von Neapel unterliegen bei der Ankunft im ersten türkischen Hafen, in dem sich ein Sanitätsarzt be⸗ findet, einer ärztlichen Untersuchung. Das Lazarett von Touzla ist für die Handelsschiffe geschlossen. Schiffe, die Konstantinopel ver⸗ lassen, haben sich je nach ihrem Reiseziele nach einem anderen türki⸗ schen Lazarett oder nach einer türkischen Sanitätsstation zu begeben, um sich hier der vorgeschriebenen ärztlichen Besichtigung und der Desinfektion zu unterwerfen. Die für die Herkünfte von den Sastenstrichen zwischen Anapa und Poti, diese beiden Häfen ein⸗ geschlossen, Kertsch⸗Yéni⸗Cäla und Eupatoria, diese beiden Häfen ein⸗ geschlossen, sowie von den Städten Akerman und Taganrog angeord⸗ neten Quarantänemaßregeln sind aufgehoben. Von dort kommende Schiffe, welche Passagiere an Bord Haben⸗ unterliegen im Lazarett von Sinope oder in demjenigen von Monastir⸗Aghzi (Cavak) einer ärztlichen Untersuchung nebst Desinfektion. Haben Schiffe dieser Her⸗ kunft Passagiere nicht an Bord, so unterliegen sie einer ärztlichen 1-ae e. im ersten türkischen Hafen, wo sich ein Sanitätsarzt efindet.

Der internationale Gesundheitsrat in Konstantinopel hat für die Herkünfte von Rodosto und Eregli (Marmarameer) eine ärzt⸗ liche Untersuchung angeordnet, die im ersten türkischen Falen. wo sich ein Sanitätsarzt befindet, zu erfolgen hat. Treffen Schiffe aus diesen Häfen in einem Hafen des Marmarameeres ein, wo sich ein Sanitäts⸗ arzt nicht befindet, so erfolgt die ärztliche Besichtigung durch den Munizipalarzt des Ortes. Die für die Konstantinopel zu Schiff ver⸗ Seh Reisenden angeordnete ärztliche Untersuchung bei der Ab⸗ fahrt ist aufgehoben. Die für die Herkünfte von Adalia ange⸗ ordnete ärztliche Untersuchung ist aufgeboben.

Niederlande.

Die Königlich niederländischen Minister des Innern und der Finanzen haben unter dem 3. d. M. (Bekanntmachung im Nieder⸗ ländischen Staatscourant Nr. 259 vom 5. d. M.) ihre Verfügung vom 24.,25. v. M. (vgl. Deutsch. Reichsanz. vom 2. d. M. Nr. 298), betreffend das Verbot der Ein⸗ und Durchfuhr von Lumpen, ge⸗ brauchten Kleidungsstücken und ungewaschener Leib⸗ und Bettwäsche, soweit es Barletta betrifft, vom 6. d. M. ab aufgehohen. In derselben Nummer des Staatscourants ist eine Verfügung des genannten Ministers des Innern vom 5. d. M. veröffentlicht,

bedeutender und Wirken

Das gediegen ausgestattete, 480 Seiten starke Buch